GeisteskrankheitMittel

Brainfood – Der erste Gang

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

„Jetzt probier es doch einfach erst einmal, bevor du urteilst!“

Leonie warf ihrem Bruder einen gleichermaßen flehenden wie auch genervten Blick zu.

„Nicht zu fassen…“, murmelte sie kopfschüttelnd. „Siebenundzwanzig Jahre und du benimmst dich immer noch wie ein kleines Kind.“

„Als hättest du immer alles gegessen, was Mutter uns vorgesetzt hat.“, erwiderte ihr Bruder stur, den angewiderten Blick auf den Teller vor sich gerichtet.

„Immerhin hab ich probiert, bevor ich es abgelehnt habe.“

„Du meinst, bevor du es dem Hund unterm Tisch zugeschanzt hast.“

„Ach, jetzt komm schon, Konni!“

„Nenn mich nicht so!“

Leonie verdrehte die Augen. „Entschuldigung, Konstantin!“, verbesserte sie theatralisch. „Es ist unser wöchentlicher Filmeabend. Ich dachte, wir essen zur Abwechslung mal was Richtiges.“

Ihr Bruder hob eine Braue. „Was Richtiges?“

„Du weißt schon… etwas das nicht geliefert wird und vor Fett oder Käse trieft.“

„Und dann kochst du ausgerechnet so etwas?“

„Du tust ja geradeso, als hätte ich dir Hundefutter vorgesetzt.“

„Hundefutter ist ein guter Vergleich, um diese Pampe zu beschreiben, finde ich.“

„Diese Pampe nennt sich Hirn mit Ei, liebstes Bruderherz.“, seufzte sie resignierend. „Ein bewährter Klassiker der heimischen Küche.“

Konstantin schob den Teller demonstrativ von sich. „Nicht meiner Küche.“

Leonie sah zu, wie er sein Handy hervorholte und per App nach dem nächstbesten Lieferservice suchte. „Sei froh, dass du so einen guten Stoffwechsel hast.“, murrte sie kopfschüttelnd. „Andere Leute wären bei deinem Junkfood Konsum längst im dreistelligen Kilobereich.“

„Für dich wieder Nudeln mit Huhn?“, erwiderte ihr Bruder lediglich.

„Nein, Danke. Ich habe mein Essen bereits.“

„Sofern man das tatsächlich als Essen bezeichnen will.“

„Ach, erstick doch an einem künstlichen Aromastoff!“

Trotz des kulinarischen Desasters, wurde es ein relativer netter Abend, inklusive drei Runden geschwisterlichen Ringkampfs um die Fernbedingung. Als Konstantin sich gegen elf Uhr abends schließlich auf den Heimweg machen wollte, drückte ihm seine Schwester überraschend eine grellgrüne Tupperdose in die Hände.

„Ich hab für dich gekocht, also hab wenigstens den Anstand und nimm etwas davon mit.“, stellte sie dabei in einem Tonfall klar, der keinen Widerspruch duldete. Konstantin blieb also nichts anderes übrig, als die Tupperdose wie einen scharfen Sprengsatz nach Hause zu tragen, wo sie prompt in den hintersten Winkel des Kühlschranks wanderte.

Hirn.

Hirn mit Ei. Eins war klar: eher würde er verhungern, als jemals so etwas zu essen!

Knapp zwei Tage später, fühlte Konstantin sich vor eine schwere Wahl gestellt: sein ohnehin schon sehr mageres Bankkonto belasten oder sich dem Grauen in der grünen Tupperdose stellen. Da seine Toleranzschwelle bezüglich Hunger sehr niedrig ausfiel, war die Entscheidung rasch getroffen. Bewaffnet mit einer großen Flasche Curryketchup, setzte er sich mit dem dubiosen Gericht vor den Fernseher. Gut ein Drittel der würzigen Paste landete dabei auf dem Teller, ein Anblick, der Leonie vermutlich vor Entsetzen in Ohnmacht hätte fallen lassen. Für Konstantin hingegen war es die einzige Möglichkeit um sicherzustellen, den ohne Zweifel grauenvollen Geschmack so gut wie nur möglich zu überdecken. Probeweise nahm er einen kleinen Bissen von der orange-roten Masse. Er stellte gerade zufrieden fest, dass Curry und Chemie geschmackmäßig  an erster Stelle lagen, als etwas über ihn hereinbrach, das man wohl am besten als mentales Blitzgewitter beschreiben konnte.

Urplötzlich hatte er den würzigen Geruch von Gras in der Nase und für einen Sekundenbruchteil war er sicher, nicht auf seiner alten, ausgeleierten Couch, sondern auf einer saftig grünen Wiese zu sitzen. So schnell dieses merkwürdige Empfinden gekommen war, so schnell verflog es auch restlos wieder.

Den Löffel immer noch im Mund, starrte er mit weit aufgerissenen Augen auf den belanglosen vor sich hin quäkenden Fernseher.

Was… in aller Welt… war das gerade gewesen?

Seine verkrampften Finger zogen den Löffel mit einem leisen „Plop“ aus dem Mund. Verwirrt betrachtete er den Brei auf seinem Teller. In seinem Kopf begann ein absurder Gedanke gegen nüchterne Vernunft anzukämpfen. Er zögerte kurz, dann nahm e
einen zweiten Bissen.

Augenblicklich stieg ihm wieder der Geruch von Gras und frischer Bergluft in die Nase. Er war nicht mehr in seinem Wohnzimmer, nicht mehr in einer Wohnung, nicht einmal mehr in der Stadt. Er lag auf einer Wiese, unter freien Himmel. Das leise Summen von Bienen mischte sich mit dem leisen Rascheln dicker Grashalme sowie einem merkwürdig vertrauten, metallenen Scheppern. Ein tiefes Gefühl der Unbeschwertheit erfüllte ihn, eine Art innerer Frieden wie er ihn noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Die Welt und er selbst, schienen mit sich und allem anderen völlig im Reinen zu sein. Es war wie eine Offenbarung, die mit einem hässlich kratzenden Geräusch abrupt endete.

Konstantin zuckte wie unter einem Schlag zusammen. Anstatt auf einer Wiese, saß er auf seiner abgewetzten Couch und anstelle von Bienensummen quäkte ihm der nach wie vor laufende Fernseher im Ohr. Ein, zwei Minuten lang starrte er den restlos leergegessenen Teller in seinem Schoß an. Seine Hand kratzte dabei unentwegt mit dem Löffel über das rotverschmierte Porzellan, fast als weigere sein Körper sich zu begreifen, dass der Teller endgültig leer war. Irgendwann schließlich griff Konstantin nach seinem Handy, um die Nummer seiner Schwester zu wählen.

„Hallo, Leonie.“, sagte er völlig ruhig. „Hast du morgen Zeit für eine Kochstunde?“

Konstantin wischte sich klammen Schweiß von der Stirn. Er fühlte sich seltsam. Ängstlich und erregt zugleich, wie vor einer bevorstehenden Achterbahnfahrt. Tief ausatmend setzte er sich an den Tisch. Vor ihm stand eine dampfende Portion Hirn mit Ei.

Die Zubereitung war ein wahrer Horrortrip gewesen. Alleine der Anblick des rohen Kalbshirns hatte ihn beinahe in die Knie gezwungen aber dann auch noch das Säubern und Zerkleinern dieser merkwürdigen weichen und zugleich doch festen Masse! Mehr als einmal hatte er sich wie eine Figur in einem Horrorfilm gefühlt, ein kannibalischer Gourmet der sein letztes Opfer verarbeitete. Zu seinem Glück hatte Leonie sich dazu verpflichtet gefühlt, die ersten Ansätze von echter Esskultur bei ihrem Bruder nach Kräften zu unterstützen und ihn Schritt für Schritt durch das Rezept gelotst. Das Ergebnis sah genauso unappetitlich aus wie beim ersten Mal. Eine undefinierbare Masse dubiosen Fleisches, die ihn aber dennoch ohne Zögern nach dem Löffel greifen ließ.

Sehr behutsam nahm er einen kleinen Bissen der frisch zubereiteten Speise. Der „Effekt“ stellte sich ein, kaum dass das Fleisch seine Zunge berührte. Eine Welle fremder aber unglaublich intensiver Eindrücke riss seinen Geist regelgerecht mit sich fort. Anstellte von Wiesenduft, strömten ihm diesmal die Gerüche von Heu, Fell sowie feuchter Exkrementen in die Nase. Unter ihm war kein Gras mehr sondern Stroh und über ihm erstreckte sich nicht der blaue Himmel sondern ein solides Dach. Das Licht war dämmrig und die Luft stickig, dennoch fühlte er sich seltsam geborgen. Heim. Wieder war da diese ungewohnte innere Ruhe in ihm, eine Art perfekter Rundlauf auf mentaler Ebene. Sein Bauch war gefüllt und er fühlte sich sicher, zwei simple Tatsachen, die auf einmal das Zentrum seines Denkens darstellten. Um ihn herum erklangen unentwegt tief brummende Muh-Laute, die das Gefühl von Zufriedenheit noch weiter verstärkten.

Meine Herde. Mein Schutz. Ein großer Kopf schob sich wie ein Kontinent in sein Sichtfeld, um ihn aus sanften Augen aus anzusehen. Das Zentrum von allem, der Mittelpunkt des Universums.

Mutter schoss es Konstantin noch durch den Kopf, ehe er so abrupt in die Wirklichkeit zurückgezogen wurde, dass er fast vom Stuhl kippte. Schwer atmend hielt er sich einige Sekunden lang an der Tischkante fest. Der Teller vor ihm war völlig leer und er fühlte, wie seine rechte Hand nach wie vor die schaufelnde Bewegung des Löffels ausführen wollte. Fast schon gewaltsam musste er gegen den Impuls ankämpfen, über das Porzellan zu lecken.

„Das ist… einfach nur verrückt.“, hörte er sich selbst flüstern. „Das ist völlig verrückt.“

Ein verstörend rauer Laut drang über seine Lippen. Zuerst hielt er es für ein Muhen, dann begriff er, dass er lediglich aufgelacht hatte. Er betrachtete seine Finger die nach wie vor den Löffel umklammert hielten. Ganz langsam lockerte er den Griff, bis der Löffel mit einem leisen Scheppern zu Boden fiel. Das Geräusch erinnerte ihn groteskerweise an eine Essensglocke, befreite ihn aber zugleich endlich aus der Paralyse. Ausatmend rieb er sich übers schweißnasse Gesicht.

Verrückt.

Einfach nur verrückt!
„Verrückt…“, murmelte er, bevor er den Teller in die Spüle stellte und mit leicht taumelnden Schritten zu Bett ging.

In den folgenden zwei Wochen gestaltete sich Konstantins Speiseplan relativ einseitig. Tag für Tag kaufte er nach der Arbeit frische Zutaten, um sich danach in der Küche einen bitteren Krieg zwischen Abscheu und nervöser Euphorie zu liefern. Die Zubereitung seiner neuen Leibspeise blieb eine schwere Hürde, ebenso der damit verbundene Ekel.  Lediglich die Aussicht auf den „Effekt“ trieb ihn voran, denn dieser stellte sich ausnahmelos bei jeder Mahlzeit ein.

Mal war das Erlebnis stärker, dann wieder schwächer, was vermutlich mit der Frische der Zutaten oder vielmehr DER Zutat ankam. Was genau mit ihm von statten ging, sowie er den Löffel zum Mund führte, konnte Konstantin allerdings auch nach mehreren Tagen noch nicht sagen. Es war wie eine Art Trip, ein mentales, fast kosmisches Erlebnis, für das es in seinem Kopf keine Worte gab. Was für seine Schwester und vermutlich auch die meisten anderen Menschen nur eine gewöhnliche Mahlzeit darstellte, entwickelte sich für ihn dadurch zu einer Art Rauschgift, eine verbotene Frucht, die ihn nach jedem Mal nach mehr hungern ließ. Wie bei allen Genussgiften stellte sich jedoch schon bald ein Gewöhnungseffekt ein, oder in Konstantins Fall schlichtweg Langeweile.

Die Welt der Kälber war auf Dauer reichlich unspektakulär und auch das tiefe Gefühl von Zufriedenheit löste schon bald nicht mehr Freude sondern vielmehr Ärger in ihm aus. Natürlich war es einfach mit sich selbst und der Welt im Reinen zu sein, wenn das allgemeine Denken nur aus Fressen, Kacken und Schlafen bestand. Fast schon beschämend, wie simpel der Verstand eines so großen Tiers gestrickt war… wie eine einzelne, schmucklose Murmel die in einer riesigen Blechdose herumrollte.

Anfang der dritten Woche begann Konstantin daher nach Alternativen für Kalbshirn im Rezept zu suchen.

Er probierte es zunächst mit Lamm, danach mit Schwein und letztendlich sogar mit Rind. Teilweise musste er dafür immens lange Umwege durch die Stadt auf sich nehmen, da nicht jeder Fleischer oder Schlachter derartige Zutaten überhaupt im Angebot hatte. Einige Wochen lang konnte er den immer stärker werdenden Hunger in seinem Kopf dadurch auch tatsächlich besänftigen. Nach und nach stellte sich aber auch hier die Langeweile ein, denn unterm Strich blieben seine Zutatenspender beschränkte Nutztiere. Der zu Anfang noch alles mit sich reißende Kick stellte sich dadurch immer seltener ein und Konstantin begann sich wiederholt bei höchst verstörenden Was-Wäre-Wenn Szenarien zu ertappen.

Was wäre, wenn die dicke, graue Katze seiner Nachbarin auf einmal verschwände?

Wie groß wäre die Chance, dass der Verdacht auf ihn zurückfiel?

Wie schwer konnte die Haftstrafe für die Schlachtung einer Katze ausfallen?

Waren Katzen für Menschen überhaupt unbedenklich verzehrbar?

Und noch viel wichtiger, welche Sichtweise konnte man dadurch erlangen? Katzen waren weitaus intelligenter als Kälber und Lämmer, manche Leute schrieben ihnen sogar menschenähnliche Persönlichkeit zu. Wie sah wohl die Welt durch die Augen eine Katze aus?

Oder was war mit dem massigen Berner Sennenhund, der regelmäßig mit seiner Besitzerin an Konstantins Wohnung vorbei trottete? Es hieß, dass Hunde in erster Linie mit der Nase sahen, wie also musste man sich ihre Sicht auf die Welt vorstellen? Und was war mit Vögeln oder Fischen? Wie groß musste das Gehi- die ZUTAT sein, um den erwünschten Effekt auch tatsächlich erzielen zu können?

Je öfter Konstantin in derartige Grübeleien fiel, umso schwerer gelang es ihm, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Seine Leistungen im Job verschlechterten sich dadurch zusehends, doch prallten sowohl Warnungen von Kollegen und Familie wie auch Strafverweise seines Chefs haltlos an ihm ab. Jeder Gedanke in seinem Kopf schien sich nur noch um die nächste Mahlzeit und den damit verbundenen Trip zu drehen. Es war wie ein Zwang, eine Sucht, die ihn in ihrer stetig wachsenden Intensität zutiefst verstörte. Erging es Junkies auf Meth oder Heroin etwa auch so?

Leonie arbeitete ehrenamtlich in einer sozialen Einrichtung, zumindest vereinzelt hatte er also schon mit Süchtigen zu tun gehabt. Der Gedanke an diese ausgezehrten Halbzombies mit ihren glasigen Augen und der wächsernen Haut, versetzte ihm einen tiefen Stich. War er womöglich gerade selbst dabei einen derartigen Kurs einzuschlagen?
Niedergerungen von einer Sucht, triebgesteuert und blind für alles andere, einschließlich der eigenen Körperhygiene? Die Aussicht auf ein derartiges Leben, ohne jegliche Perspektive oder Zukunftsaussichten, wirkte wie ein kalter Wasserschwall auf Konstantins Geist.

Nein.

Nein, er würde nicht so enden!

Er war süchtig, das war nicht zu leugnen, doch er würde nicht einer von denen werden. Sucht war nichts weiter als eine Krankheit und eine Krankheit konnte kuriert werden. Er musste etwas tun und zwar jetzt, solange es noch nicht zu spät war. Mal sehen… er brauchte so etwas wie eine Selbsthilfegruppe. Vielleicht die anonymen Alkoholiker? Oder lieber so etwas wie die Weight Watchers? Nein… Nein, das hier sah besser aus. Er wählte mit
ahrigen Fingern eine Nummer auf dem Smartphone.

„Ja, Hallo? Ist da die Telefonseelsorge? Ja, ich,  also

ich glaube ich leide an… an einer Art Essstörung…“

Brainfood- Der zweite Gang

Bewertung: 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Überprüfen Sie auch
Schließen
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"