ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Teil 1: Globalisierung
Die Straßenbahn rauschte geräuschvoll über die quietschenden
Schienen. Ich schlenderte durch die sonnendurchflutete Fußgängerzone. Wie für
einen Freitagvormittag üblich, herrschten überall Hektik und Rastlosigkeit. Ich
versuchte, nicht allzu sehr zu schwitzen und ärgerte mich darüber, dass mir die
Kleider dennoch am Leib klebten, als ein angenehmer Klang meine Ohren erfüllte.
Ein hohes melodisches Pfeifen, das jedoch nicht einmal ansatzweise nervig war.
Es hörte sich an als würde der Wind durch eine Röhre wehen und genau genommen
stimmte das sogar.
Am Rand des kopfsteingepflasterten Gehsteiges stand ein Mann
in einem Poncho, einem Kleidungstück das aus geradezu hypnotischen Webmustern
in dunklen Farben bestand. Er hatte blonde Haare und ein etwas kantiges
Gesicht, sah aber im Großen und Ganzen ziemlich gut aus. In der Hand hielt er ein
exotisch aussehendes Instrument, das sich aus vielen Röhren verschiedener Länge
zusammensetzte. Wenn er hinein blies gab es einen beruhigenden Ton, den er nach
eigener Vorstellungskraft mit anderen Tönen kombinieren zu können schien. Vor
ihm lag ein geöffneter Koffer, in dem sich eine beachtliche Menge Kleingeld
befand.
Ich spürte wie Klänge des Panflötenspielers auf mich
wirkten. Er spielte wirklich wunderschön, meine Beine schienen sich von alleine
zu ihm hin zu bewegen. „Ähm… Hallo…!“, sagte ich und fühlte, wie sich ein etwas
verlegenes Lächeln auf meine Lippen stahl. Der Straßenmusikant unterbrach sein
Spiel. „Na meine Hübsche?“, fragte er. Ein wohliger Schauder durchfuhr mich,
als er zurücklächelte.
Für einen unendlich langen Augenblick herrschte Stille. Ein
Schweigen, das ich um jeden Preis brechen wollte. „Ähm… Bist du Peruaner…?“,
hörte ich mich sagen. Zwei Sekunden später hatte ich das Bedürfnis mich selbst
zu ohrfeigen.
„Ob ich Peruaner bin?“, er grinste. Seine Stimme klang so
akzentfrei, dass mir die Frage noch bescheuerter vorkam. „Nicht ganz. Aber muss
man Peruaner sein um Panflöte zu spielen?“ „Nein! Nein…!“. Meine Stimme klang
wesentlich weniger fest als ich gehofft hatte. „Tja, ich kann’s nachvollziehen,
leider sind die Klischees nicht so einfach aus den Köpfen der Leute zu
kriegen…“. Er lächelte verständnisvoll. „J-ja…“, stotterte ich. „Wo kommst du
dann her?“, fragte ich das Erste, was mir einfiel. „Ich komme aus der Stadt,
aber das ist nun mal Globalisierung.“ „Ist das schlecht?“, wollte ich wissen,
obwohl ich gleichzeitig zweifelte, ob mich das Thema an sich allzu sehr
interessierte.
„Tja… Die Welt war mal groß, aber jetzt ist sie klein. Zu
klein um alle zu ernähren. Und deshalb stehe ich in der Fußgängerzone und
spiele Panflöte.“ Er lachte und ich stimmte ohne darüber nachzudenken in sein
Lachen ein. Als es nach kurzer Zeit verebbt war, fuhr er fort: „Aber ich will
dich jetzt nicht mit weltschmerzlichen Themen langweilen, immerhin willst du ja
eine Show!“
Und mit diesen Worten begann er, in meisterlicher Präzision
auf seiner Panflöte zu spielen. Mir war als würde ich die Musik fühlen. Eine
wunderschöne Melodie, die mir vorkam als würde ich sie schon ewig kennen, so
als wäre sie mir als Kleinkind vorgesungen worden. Für einen Moment vergaß ich
alles um mich herum, es gab nur mich und ihn.
Ich kann nicht sagen, wie lange ich ihm lauschte, doch ich
vergaß die Zeit und so bekam ich einen halben Herzinfarkt, als mein Blick eine
Uhr streifte. „Verdammt! Ich müsste eigentlich längst wieder an der Uni sein!
Tut mir leid, ich muss gehen!“ „Kein Problem.“ Er ließ sich nicht aus der Ruhe
bringen. „Weißt du was, heute Abend gibt es ein kleines Konzert im Café Haima,
nicht nur ich sondern die verschiedensten Leute mit den verschiedensten
Instrumenten treten auf! Würde dir bestimmt gefallen.“
„Was?“, rief ich etwas überrumpelt, „nicht das mir das
Angebot nicht gefallen würde, aber ich kenne dich doch gar nicht!“ Dies
entsprach der Wahrheit. „Oh entschuldige, das ist mir jetzt peinlich!“, sagte
er in einem Ton, der das Gegenteil suggerierte. „Roland“, sagte er und reichte
mir eine bedruckte Karte. „Roland Barlow! Und wie heißt du?“ „Mina!“, sagte ich
bereitwillig während ich mir überlegte, dass ich gerade wie ein Schulmädchen
auf seinen Charme hereingefallen war.
„Toll!“, sagte Roland verschmitzt. „Dann sehen wir uns ja
heut Abend!“ „Ich…“, setzte ich an, „ich kenne dieses Café nicht, dieses…“
„Haima! Es ist auch nicht sehr bekannt. Keine Sorge, wie wäre es, wenn wir uns
wieder hier treffen? So gegen zehn?“ „In Ordnung!“, sagte ich nach viel zu
kurzem Zögern. „Dann bis heute Abend.“ Und mit einer beängstigenden Mischung
aus Unsicherheit und Vorfreude ging ich. Während ich ihn verließ spielte er
weiter auf seiner Flöte.
–
Der Tag war noch lange und stressig, doch schließlich ging auch
er vorbei. Nachdem ich geduscht und angezogen vor dem Spiegel stand fragte ich
mich, ob ich mich wirklich auf ein Date mit einem Typen einlassen sollte, den
ich nicht kenne. Ich meine, wie dumm könnte ich sein um ihn wirklich zu
treffen? Er könnte sonst was vorhaben! Andererseits… Die Melodie verfolgte
mich… Ich spürte eine unfassbare Faszination davon ausgehen.
Sollte ich wirklich…? Während ich noch mit mir rang
klingelte mein Handy. „Hey!“, kam eine wohl bekannte, weibliche Stimme aus dem
Lautsprecher, „hast du nicht Lust heute mitzukommen? Es ist ‚Déjà-Vu Party‘ in
unserer Bar! Alles was du vor Mitternacht trinkst kriegst du nach Mitternacht
umsonst!“ Ich hörte nur mit einem Ohr zu. Sollte ich jetzt zusagen? Ich hatte
es Roland trotz allem versprochen, aber ich kannte ihn doch gar nicht! Ein
Seufzer entfuhr mir. Hoffentlich hatte sie ihn nicht gehört. „Klar!“, sagte ich
nach einigem Zögern und bemerkte kurz darauf, dass mein melancholischer Tonfall
durchaus zu ihren Ohren fand. „Ist irgendwas?“, die Besorgnis in ihrer Stimme
war rührend, doch ich tat sie mit einem knappen „Nein! Nichts! Bis später!“ ab.
Ich seufzte ein zweites Mal als ich den Auflegen-Knopf
drückte. Wahrscheinlich war es besser so. Ich hatte diesen Roland noch nie
zuvor gesehen. Warum sollte ich ihm trauen, geschweige denn mich auf ihn
einlassen?
Ich schüttelte mehrmals den Kopf und zwang mich zu grinsen.
Ja, das wäre wirklich bescheuert gewesen. Nachdem ich die Wohnung verlassen
hatte, machte ich mich mit meinen Freundinnen auf den Weg in die Bar. Es war
eine sehr großes Etablissment in der Innenstadt, das mich schon immer mehr an
eine vollwertige Disco erinnert hatte. Immerhin gab es dort drei Dancefloors
und haufenweise Tresen. Die Sonne war noch nicht ganz untergegangen, als wir
ankamen. Sieben Mädchen waren wir. Sechs davon lachten.
Eine Clique von Studentinnen die sich am Wochenende einen
hinter die Binde kippen ist vieles, aber sicherlich nichts Ungewöhnliches. Und
so war es nicht weiter verwunderlich, dass uns auch nichts ungewöhnliches
passierte.
Eigentlich wollte ich sowieso nur meine Ruhe. Kein stupides
Feiern und Trinken. Letztendlich kam mir diese erzwungene, aufgesetzte
Fröhlichkeit auch nur wie etwas vor, dass meinen langen, stressigen Tag
fortsetzte. Wo ich auch hinging, ich musste mich maskieren und anpassen. Ich
verabscheute den ganzen Trubel, aber noch mehr verabscheute ich die Einsamkeit
und so blieb mir nichts anderes übrig als ständig mit mir im Clinch zu liegen.
Ich musste das eine ertragen um das andere zu vermeiden.
Die Boxen dröhnten mich mit Musik voll, die ich nicht mochte
und der ständige Wunsch nach Hause zu gehen und einfach nur zu schlafen wurde
übermächtig. Ich sah zu meinen
Freundinnen hinüber die sich angeregt an den Jungs rieben. Und musste ein
Würgen unterdrücken. Andererseits hatte ich meine letzten drei Freunde innerhalb
von vier Monaten gehabt. Energisch schüttelte ich diese Gedanken ab.
Eine meiner Freundinnen –ich kann nicht mehr sagen welche-
winkte mir als sie an mir vorbei ging, mit einem simplen Handzeichen gab ich
ihr zu verstehen, dass ich ging. Ich wartete nicht einmal auf ein Signal des
Verstehens sondern verschwand einfach nur durch den Haupteingang und lief mit
klackenden Schritten in die Nacht.
Es dauerte keine zehn Minuten, bis ich mich mies fühlte. Sie
hatten sich so auf diesen Abend gefreut und mich mit offenen Armen empfangen
und ich war einfach abgehauen. Eigentlich wollte ich ja bei ihnen sein aber… Es
hielt mich zurück! Eine Kralle tief in mir! Eine Kette die mich an mich selbst
fesselte, die jeden Kontakt den ich mir wünschte unerträglich machte.
Wieder ein Seufzen. Die Nacht war kälter als erwartet und
das obwohl es Sommer war. Fröstelnd bewegte ich mich durch die dunklen Gassen
der Stadt. Ich hatte keine Uhr und wusste nicht wie spät es war, doch ich
hoffte, dass in der Fußgängerzone noch immer Straßenbahnen fuhren. Die
Neonlichter der geschlossenen Geschäfte leuchteten auf das Kopfsteinpflaster
und ich war gerade dabei, die menschenleeren Gehsteige zu betreten, als ich
etwas hörte, das mich erschaudern ließ. Ein Schock, gepaart mit Ekstase durchfuhr
meinen Körper, ich spürte ein fast unbeschreibliches Gefühl von Angst, Neugier
und Freude.
Nicht weit von mir spielte jemand auf einer Panflöte.
„Hallo Mina…!“, die Melodie wurde unterbrochen und eine
weiche und freundliche Stimme drang an meine Ohren. „Ro-Roland…!“, stotterte
ich. „Du…“ „Schön, dass du kommen konntest.“ Er ließ mich nicht ausreden. „Ich…
Ich wollte grade nach Hause, ich…!“ Der Versuch meine Gedanken zu ordnen
scheiterte.
Als er wieder zu spielen anfing bewegten sich meine Beine
wie von selbst auf ihn zu. Er begrüßte mich mit einem warmherzigen Lächeln.
„Warst du feiern?“, fragte er, worauf ich entgegen meiner Natur nickte. „Ich
wollte eigentlich früher nach Hause gehen.“ Meine Stimme hörte sich für mich
anders an. „Wieso das denn?“, seine Fragen hörten nicht auf.
„Weil ich… ich…“, ich versuchte verzweifelt nachzudenken,
„ich will meine Freunde nicht sehen! Ich halte menschliche Nähe nicht aus!
Aber… aber wenn sie weg sind dann…“ „Ich hasse dich! Verlass mich nicht!“, fiel
mir Roland ins Wort. Nicht nur das mich dieser Mann durch seine bloße
Anwesenheit dazu gebracht hatte, ihm mein Herz auszuschütten, jetzt schien er
mir auch noch die Worte aus dem Mund zu nehmen.
„Du hast furchtbare Angst vorm verlassen werden, nicht wahr?
Dennoch erträgst du es nicht, alleine zu sein. Trotzdem fühlst du dich unfähig,
dich auf irgendeinen Menschen einzulassen. Sicherlich gab es ein schreckliches
Erlebnis in deinem Leben. Irgendetwas, das einen Fremdkörper in deiner Seele
hinterlassen hat, der dich ständig quält.“
Ich konnte förmlich spüren, wie sich meine Augen weiteten.
Hatte er das gerade wirklich gesagt. Mein Herz begann zu rasen. Angst ließ mich
zittern, doch auf der anderen Seite… Auf der anderen Seite spürte ich eine
Wärme in mir, die ich schon seit Jahren vermisst hatte. Es war das Gefühl
verstanden zu werden.
„Man nennt es Borderline-Persönlichkeitsstörung“, flüsterte
Roland und kam mit seinem Gesicht so nahe an meines, dass sich beinahe unsere
Nasen berührten. „Ich hatte es auch eine ganze Zeit lang.“ „Hatte…?“, stammelte
ich kaum hörbar, „Borderline ist unheilbar!“
„Nichts ist unheilbar!“, antwortete er leise. „Die Welt ist
nur zu klein um uns alle zu ernähren.“ Er strich mir über die Wange wobei mich
eine Wallung aus Hitze durchdrang. Dann nahm er mich bei der Hand und zog mich
mit sich. „Komm, ich zeige dir die Heilung!“, und nach seinen Worten bewegten
wir uns durch die finsteren Straßen. Hinein in den Kern des Nachtlebens einer
Stadt, die ich zu kennen glaubte.
—-
Teil 2: Panflötenspieler
Schmutziges Licht drang aus milchigem Fensterglas. Ansonsten
war diese dunkle Gasse bar jeder Beleuchtung. Vor einer Tür, die nicht von der
Umgebung zu unterscheiden war, hing ein Schild, auf das mit silbernen Buchstaben
‚Café Haima‘ gedruckt worden war.
„Keine Sorge! Der äußere Eindruck täuscht gewaltig!“, sprach
Roland und öffnete die Tür. Eines sah ich sofort: ‚Gewaltig‘ traf es nicht
einmal ansatzweise. Im Innern dieser erbärmlich aussehenden Fassade war ein
riesig wirkender Raum mit hohen Decken, dessen Wände mit dunkelroten Teppichen
ausgekleidet waren, bestickt mit undefinierbaren Szenen aus spiralförmigem
Surrealismus.
Es war warm. Nicht zu warm. Die Temperatur war genau
richtig, was möglicherweise am gemütlich wirkenden Holzboden lag. Gegenüber vom
Eingang war eine kleine Bühne mit scharlachfarbigen Vorhängen aufgebaut, davor
gab es einige Tische und Stühle. Seitlich war ein edel aussehender Tresen aus
Ebenholz, hinter dem eine arrogant wirkende Frau in einer kunstvollen Bewegung
Kaffee in eine Tasse goss.
Auf der Bühne selbst war ein korpulenter, fast fetter
Gitarrenspieler. Trotz seines vorurteilbehafteten Äußeren war das Spiel seines
Instruments atemberaubend. Ich spürte wie ich langsam in einen fast
tranceartigen Zustand verfiel. Café Haima… Hier könnte es mir gefallen.
Als ich mich umsah bemerkte ich, dass der Raum von zwei
Arten von Personen erfüllt war: Der größere Teil der vielleicht 20 oder 30
Besucher hatte ein zufriedenes Lächeln im Gesicht und sah in kontrolliertem
Genuss zur Bühne hinauf. Der andere Teil starrte den dicken Gitarristen an als
wäre er eine Sonnenfinsternis auf Opium. Die Gesichtszüge dieser wenigen Gäste
sahen aus als wären sie in einem tiefen Rausch und das alleine durch die Klänge
der Musik. Ob auch ich zu ihnen gehörte? Höchstwahrscheinlich denn auch ich
spürte eine steigende Ekstase in mir aufsteigen.
„Schöne Musik, nicht wahr?“, jemand hatte meine Hand
genommen. „Er ist wirklich unglaublich!“, flüsterte Roland, doch zu mehr als
einem schwachen Nicken konnte ich mich nicht durchringen. Dieser
Panflötenspieler hatte mich hergebracht. Ich spürte, wie sich etwas in meinem
Bauch überschlug, ein Gefühl, dass ich schon sehr lange nicht mehr hatte. Wie
hatte ich ihm nur misstrauen können?
Tosender Applaus holte mich zurück in die Realität. Das
Gitarrenspiel war zu Ende und der Musiker verschwand hinter dem Vorhang. Kurz
darauf erschien ein Mann mit dunkler Hautfarbe, er trug ein rotes Hemd, einen
schwarzen Sakko und eine Jeans. Während er dem Künstler applaudierte
beanspruchte er gleichzeitig das Mikrofon für sich und begann eine Ansage: „Das
war wundervoll! Deine Gitarrenkunst ist einfach unnachahmlich!“ Ein leicht
arabischer Akzent verlieh seiner Stimme einen gewissen fremdländischen Charme.
„So, wie ich sehe ist Roland endlich angekommen! Dann können wir endlich mit
dem Hauptprogramm beginnen!“
Ich sah den jungen Mann neben mir verwirrt an.
Offensichtlich hatte er mit Konzert auch gemeint, dass er selbst spielen würde.
Allmählich fing ich an Roland wirklich zu bewundern und das obwohl ich bei den
meisten Menschen zuerst das schlechte sah. Der Panflötenspieler war bereits auf
die Bühne gestiegen.
„Danke Malek!“, sagte er und fand sich auf seinem Platz ein.
„Die anderen warten schon! Einen Applaus für unser kleines philharmonisches Orchester!“,
verkündete der Moderator daraufhin in sein Mikro, „nur hier im Café Haima
bilden diese verschiedenen exotischen Instrumente eine Musikgruppe! Hier haben
wir Roland an der Panflöte, Farook am Guqin, Malika und Emma an den Okarinas,
Jannik an der Zither, Anita an den Bongos und Daniel am Didgeridoo!“
Auf sein Stichwort erschien ein orientalisch aussehender
Junge mit einem seltsamen Zupfinstrument auf der Bühne. Ihm folgten zwei
Mädchen –Zwillinge- mit kleinen Gefäßflöten, ein blasser Junge mit roten Haaren
der seine Zither umklammert hielt, eine junge, südländische Dame mit zwei
Schlaginstrumenten und ein stämmiger Schwarzhaariger mit undefinierbarer
Herkunft, der ein langes hölzernes Horn vor sich hertrug.
„Ja, hier im Café Haima kommen Musiker und Musikinstrumente
aus aller Welt zusammen!“, rief Malek heiter. „Ihr glaubt diese
unterschiedlichen Instrumente passen nicht zusammen? Dann hört ihn selbst! Den
großartigen Sound!“ Er machte eine ausgedehnte Armbewegung und die Gruppe
begann zu spielen.
Der Traumzustand in dem ich schwebte als ich nur Rolands
Panflöte hörte war nichts im Vergleich zu dem was jetzt kam. Ich fühlte mich
als würde ich ganz langsam fallen; flog frei in einem unendlichen weißen Raum,
dessen Farbe sich mit jedem Ton änderte, mir war als würden die Noten ein
riesiges farbiges Mosaik kreieren und ich konnte es fast sehen. Wann hatte ich
das letzte Mal so eine Freude gespürt? Es war eine sehr, sehr lange Zeit her.
Normalerweise gab es immer irgendetwas, das mich am Boden hielt. Etwas das es
mir unmöglich machte mich frei zu fühlen.
Es kam mir vor als würden sie Stunden, ja Tage lang spielen.
Perfekt ineinandergreifende Töne und sie kamen aus den verschiedensten Teilen
der Welt, aber passten unendlich gut zueinander. Dieser Fluss der Musik
schaffte etwas, das der Menschheit möglicherweise niemals gelingen würde.
Und Roland war für diesen unfassbaren Klang verantwortlich.
Sein Anblick jagte mir ein heißes Kribbeln durch den Körper. Schließlich wurde
die Melodie leiser und leiser, bis das Stück in einem hallenden Ton, der wie
das Flüstern eines Kindes klang, sein Ende fand. Angespannte Stille mündete in
donnernden Applaus.
„Habt ihr das gehört?“, rief der dunkelhäutige Moderator in
die begeisterte Menge, „das war musikalische Kunst in höchster Vollendung!“
Malek klatschte und verbeugte sich vor dem Panflötenspieler und dem Rest der
Gruppe. „Eine Vorstellung solcher musikalischer Genies hört ihr nur hier, im
Café Haima!“ Noch einmal schüttelte er den lächelnden Musikanten die Hände
bevor er Mikrofon samt dazugehörigem Publikum ergriff:
„Doch ich bin sicher ihr seid schon ganz ungeduldig! Also
kommen wir jetzt zum Höhepunkt! Meine verehrten Musikanten, ich möchte euch
bitten, eure Gäste auf die Bühne zu holen!“ Roland sah mir direkt in die Augen.
Ich zitterte. Was sollte das? War ich sein Gast? Wollte er wirklich mich nach
oben mitnehmen? Als hätte er meine Gedanken gelesen nickte er sanft. Zögerlich
bewegte ich mich auf ihn zu. Ich hatte mich einlullen lassen wie ein
Schulmädchen! Was hatte dieser Junge nur an sich? Überhaupt was sollte das
alles hier? Warum sollte er gerade mich an diesen wundervollen Ort mitnehmen,
der über jeden Vergleich erhaben war?
Letztendlich besiegte Neugier den Zweifel. Er nahm meine
Hand und zog mich auf das Podest. Neben mir war für jeden anderen Musiker ein
weiterer Gast des jeweils anderen Geschlechts erschienen. „Das hier ist die
wunderschöne Mina!“, rief Roland in die Menge. „Sie ist unser erster Gast!“
Ohne Vorwarnung ergriff er mich. Meine Füße überschlugen sich, doch er hielt
mich fest. Und während ich in seinen Armen lag war sein Gesicht nur Zentimeter
von meinem entfernt.
„Ich habe dir gesagt, ich hätte eine Heilung für
Borderline!“, flüsterte er während er näher und näher kam. „Du wirst sie jetzt
bekommen! Entspann dich! Dieser Moment gehört ganz dir!“ Ich wollte die Augen
schließen in Erwartung geküsst zu werden, doch er… hatte sich verändert.
Aus seinem sanften Lächeln wurde nach und nach eine Grimasse,
die ich schon des Öfteren bei Drogenabhängigen kurz vor einem Schuss gesehen
hatte. Innerhalb eines kurzen Momentes zeigte Rolands Antlitz eine gierige,
grinsende Fratze. Ein dünner Spalt bildete sich zwischen seinen Lippen, dem ein
durch Mark und Bein gehendes Zischen entstieg. Und in einem Schockmoment, der
mich mit Fäusten zu bearbeiten schien, fletschte Roland zwei lange und scharfe
Eckzähne.
Ein spitzer Schrei ertönte unmittelbar neben mir. Dieses
warme Gefühl in mir war rapide abgekühlt. Mein Herz raste noch immer… doch aus
anderen Gründen. Verzweifelte Fäuste schlugen in Richtung des Panflötenspielers.
Immer und immer wieder rammten meine angespannten Knöchel
sein Gesicht, meine Füße versuchten seine Beine zu erwischen doch es hatte
keinen Sinn, denn sein Griff war gnadenlos… Dachte ich zumindest. Für einen
Moment sah ich wie sein wärmendes und charmantes Lächeln zu einem abscheulichen
Grinsen geworden war, dann ließ er mich los. Ich stolperte zurück und fiel
rücklings von der Bühne.
Das harte Holz schlug mir gegen den Rücken und für einen
Moment sah ich das Café verschwommen doch meine Sicht wurde schneller wieder
klar und scharf als mir lieb war. Eine ganze Schar von Leuten blickte auf mich
herab. Ihre Zähne funkelten. Es sah fast aus, als hätten das weiße Gebiss der
Besucher selbst Augen, die gierig aufblitzten.
Sie kamen näher und näher. Zwischen ihren Beinen hindurch
konnte ich erkennen, dass ein junger Mann auf dem Boden lag, dem die Okarina
spielenden Zwillinge abwechselnd in den Hals bissen. Innerhalb einer Sekunde
wurde mir eiskalt. Schock um Schock durchfuhr mich und ich spürte, wie sich
Tränen in meinen Augen sammelten. Das konnte doch nicht wahr sein! Das musste
ein grausamer, geschmackloser Witz sein! Mehr nicht!
„Seht sie euch an Leute! Die Gäste unseres Orchesters!“,
rief Maleks Stimme durch den Raum. „Das gibt es nur hier, im Café Haima! Einem
Treffpunkt für unseres Gleichen aus aller Welt! Unsere großartigen Musiker
haben sie mitgebracht und sie werden für uns alle ein Festmahl bieten!“
Ich erschauderte schlimmer denn je. Nicht nur Panik
zerquetschte mein Inneres. Es hatte in meinem Leben viele Männer gegeben, die
nur Sex wollten, aber… Roland hatte eine Ausstrahlung wie kein anderer Mensch…
Ich dachte er würde mein Weltbild sprengen und verdammt, das hatte er getan!
Und er wollte nur mein Blut. Zwischen die Todesangst mischte sich ein weiteres,
schmerzendes Gefühl.
Die Monster kamen näher. Angst und Ekel ließen mich
erschaudern, als ich kalte Speicheltropfen auf mein Gesicht fallen spürte. Schließlich
drängte sich auch der Panflötenspieler höchstpersönlich in die Menge dieser
Geier in Menschengestalt. „Du riechst schon von hier aus herrlich, Mina!“, rief
er. Selbst seine Art zu sprechen hatte sich verändert. Aus einer festen,
schmeichelnden Stimme war ein unkontrolliertes Keuchen geworden.
Meine Hände verkrampften sich und ich hatte das Bedürfnis,
mich irgendwo festzuhalten. Das konnte einfach nicht wirklich passieren! Es gab
Zeiten in denen ich wirkliche Selbstmordgedanken hegte, aber… sollte ich jetzt
wirklich sterben? Ich schloss die Augen, als die blutgierigen Fratzen sich
meinen wehrlosen Adern näherten.
—-
Teil 3: Bandenkrieg
Ein Klirren, ein Poltern, und ein hasserfülltes Zischen
dutzender Zungen. „Guten Abend!“, sagte eine kalte, aber seltsam charismatische
Stimme. Zögerlich öffnete ich die Augen. Meine Angreifer, selbst Roland, hatten
sich von mir abgewandt und starrten zur Tür. Ich rollte mich langsam und fast
lautlos aus dem Zentrum ihrer bisherigen Aufmerksamkeit und kroch zwischen den
Beinen der abgelenkten Bestien hindurch. Selbst wenn ich jemanden berührte,
schien er keine Notiz von mir zu nehmen.
„Was? WAS HABT IHR HIER ZU SUCHEN…?“ Diesmal verwendete
Malek kein Mikrofon, doch sein zornesgeladener Schrei hallte auch so durch das
ganze Café. Mittlerweile war es mir gelungen, tatsächlich den Tresen zu
erreichen und mich hochzuziehen. Niemand schien sich für mich zu interessieren
und ich war noch nie so erleichtert darüber, wie jetzt. Als ich zum Eingang sah,
wurde mir auch bewusst, was diesen ganzen Auffuhr verursachte.
Die Scheiben lagen in Scherben und in der eingetretenen Tür
standen mehrere seltsam aussehende Leute. Männer und Frauen, in zerschlissenen
Kleidern und Springerstiefeln. Sie trugen löchrige Westen, waren geschminkt und
gepierct und hatten grell gefärbte Haarsträhnen. Solche Menschen –zumindest
hatte ich sie immer für Menschen gehalten- lungerten oft in der Fußgängerzone
herum und nun standen drei von ihnen im Café, während sich hinter der Schwelle
eine kleine Armee tummelte.
„Was wir hier zu suchen haben, Malek?“, fragte der Vorderste
mit leichter Belustigung. „Na wenn der High-Society-Abschaum eine Fressparty
schmeißt, lassen wir uns das doch nicht entgehen!“ Der Anführer dieser
seltsamen Punks war mit einer Axt bewaffnet. Seine Kameraden trugen Stahlrohre,
Ketten, Sägen, Messer und viele andere stählerne, kampfesgierige Werkzeuge.
„Also…“, sprach der Mann in der Tür weiter. „Überlasst ihr
uns eure Beute freiwillig oder müssen wir erst nachhelfen?“ Während dieses
Satzes bleckte er seine langen, spitzen Zähne. „Ihr kommt, in mein Café, zeigt
keinen Respekt, sprecht Drohungen aus und beleidigt meine Gäste!“, antwortete
Malek in steigender Lautstärke. „ICH WERDE EUCH ZEIGEN, WAS IHR BEKOMMT!“
In einem unmöglich wirkenden Sprung, flog der dunkelhäutige
Cafébesitzer von der Bühne aus auf den Anführer seiner Feinde zu. Kurz darauf
schien es für niemanden mehr ein Halten zu geben. Mich und die anderen Opfer
schien man völlig vergessen zu haben, und das obwohl es doch angeblich um uns
ging. Ich konnte sehen wie Fleischfetzen durch die Luft flogen und spritzendes
Blut die Inneneinrichtung verunstaltete.
Mein Herz raste. Einerseits in Angst, andererseits im
Adrenalinrausch! Ich hatte eine reelle Chance zu fliehen. Die Eingangstür war
noch immer von den Angreifern besetzt und so rannte ich zum Ausgang hinter dem
ich die Küche vermutete.
Ich unterdrückte mit aller Macht einen Schrei, als ich
angekommen war. Der Raum in dem ich mich befand war definitiv die Küche. Völlig
abrupt blieb ich stehen und versuchte mein unkontrolliert rasendes Herz zu
beruhigen. An die Wände waren Menschen genagelt. Lange Haken hielten die Körper
an den ursprünglich weißen, rot verschmierten Kacheln fest. An den Wunden im
durchbohrten Fleisch waren Schläuche befestigt, die zu verschiedenen Gläsern
und Behältern führten und von einer roten Flüssigkeit erfüllt waren.
Sie zuckten. Als ich meinen Blick auf das Gesicht eines
Mädchens an der Wand richtete, sah sie mich mit einer Mischung aus Verzweiflung
und Benommenheit an. Es waren drei Männer und drei Frauen… und sie lebten noch.
Sie hatten ein unfassbar schreckliches Schicksal erlitten. Lebendige Getränkespender
für gierige Wesen. Ihre einzige Aufgabe bestand darin in entsetzlich langsamer
Geschwindigkeit zu verbluten.
Sie alle bewegten die Lippen, offenbar wollten sie noch
immer um Hilfe schreien und das obwohl der Tod wohl das Beste war, was ihnen
jetzt noch hätte passieren können… Und ich wäre auch zu so etwas geworden… Nur
aus diesem Grund hatte Roland mich angesprochen.
Ich verlor die Beherrschung, beugte mich nach vorne und
übergab mich. Überließ all meine Sinne den schmerzhaften Stößen aus meinen
Eingeweiden, sehnte mich dem bisschen Freiheit dass sie mir geben konnten um
das einzige zu tun, was mir logisch erschien: Ich nahm die Beine in die Hand
und rannte.
Immer schneller mit der wachsenden Hoffnung, dass auch die
Köche dieses Cafés in einen Kampf mit den Punks verwickelt waren. Mein Herz
klopfte, doch das Adrenalin nahm mir den Schmerz. Ich hatte das Bedürfnis die
Opfer dieser grausamen Bestien zu retten, doch was könnte ich alleine schon
tun? Ich musste die Polizei rufen! Vielleicht gleich die Armee! Völlig egal!
Irgendjemand musste uns doch gegen die blutsaugenden Monster verteidigen!
Mit einem mal schien sich mehrere eiskalte Dolche aus meinem
Inneren zu ziehen, als ich ein Fenster über einer Heizung sah. „Haltet noch ein
bisschen durch! Ich werde Hilfe holen!“, flüsterte ich mehr zu mir selbst als
zu den blutenden Leidträgern an der Wand. So kletterte ich auf den Heizkörper,
riss das Fenster auf und zog mich nach oben.
Aus heiterem Himmel ergriff jemand meinen Fußknöchel. Ich
stieß einen panischen Schrei aus und versuchte mich verzweifelt aus dem Fenster zu hieven.
Widerwillig drehte ich den Kopf und sah einen jungen Mann in einem
blutgetränkten Poncho, zerzausten, blonden Haaren und einer von grausiger
Mordlust verzerrten Miene. „Du willst schon gehen, Mina? Das ist aber schade!“,
rief Roland dessen Stimme mich an eine Hyäne erinnerte.
Statt zu antworten trat ich ihm ins Gesicht und zog
verzweifelt am Fensterrahmen. Ich musste hier raus! Ich musste! Tränen liefen
meine Wangen hinunter. Wie hatte ich nur auf einen billigen Panflötenspieler
hereinfallen können? Wieso war ich nicht einfach auf der Party bei meinen
Freundinnen geblieben? Wieso hatte ich ihre Freundschaft nie als so wichtig
empfunden, wie sie es verdient hätten? Sollte ich das hier überleben, würde ich
ihnen eine wirkliche Freundin sein! Das schwor ich!
Ich mobilisierte meine letzte Kraft, spannte all meine
Muskeln an und zog mich nach oben. Roland ließ meinen Fuß nach ein paar
weiteren Tritten los und ich hatte mich schon halb aus dem Fenster gelehnt als
ich das Gleichgewicht verlor. Mit dem Kopf voraus fiel ich dem Hinterhof des
Café Haima entgegen. Für den Bruchteil einer Sekunde nahm ich wahr, wie mir
jemand kichernd hinterhersprang, dann wurde alles schwarz.
—-
Epilog: Unstillbare Gier
Regelmäßiges Piepen ließ mich erwachen. Ich erwartete, dass
sich meine Augen erst langsam an die Dunkelheit gewöhnen würden, doch
seltsamerweise sah ich sofort alles in erstaunlicher Schärfe. Das Bett auf dem
ich lag war nicht gerade bequem und das ich nichts außer einem weißen Hemd
trug, war auch nicht das, was ich mir unter idealen Umständen vorstellte, trotzdem…
Ich fühlte mich nicht wirklich schlecht und das obwohl ich auf den Kopf
gefallen war.
Langsam setzte ich mich auf und entfernte die Pulsmesser von
Brust und Fingern. Jemand musste mich gefunden haben, denn offenbar befand ich
mich in einem Krankenhaus. Obwohl es draußen finstere Nacht war, war meine
Sicht war gut… toll… besser denn je!
Und noch während ich mich in Sicherheit wog, stellten sich die
ersten Beschwerden ein: Mein Kopf dröhnte und ich spürte einen starken,
drückenden Schmerz im Mund. „Meine Zähne…“ Es dauerte keine halbe Sekunde bis
ich begriff, nachdem mir dieses Flüstern entfuhr. Panisch sprang ich aus dem
Bett und stürmte zum Waschbecken. Etwas in mir war felsenfest überzeugt, kein
Spiegelbild zu haben. Erleichtert stellte ich fest, dass das abgedunkelte Glas
mein Gesicht noch immer reflektierte. Doch es verstrichen kaum die winzigsten Augenblicke,
bevor ein schrecklicher Gedanke all meine Erleichterung erstarren ließ.
Ich öffnete den Mund und konnte sie sehen. Die langen,
spitzen Reißzähne, die allmählich aus meinem Kiefer zu wachsen schienen. Einen
schrecklichen Augenblick lang durchfuhr mich ein nie dagewesenes Entsetzen.
Vorsichtig berührte ich die Spitze.
Ein geplagtes Stöhnen stahl sich aus meinem Hals. Mein Zahnfleisch schmerzte fürchterlich und
ich wandte meinen Blick von mir selbst ab. Einzelne Tränen klammerten sich an
meine Pupillen. Doch bevor sie sich einen Weg in ihre Freiheit bahnen konnten,
spürte ich etwas anderes. Ein Gefühl, dass jedes andere in meinem Leben wie
eine unwirkliche Belanglosigkeit wirken ließ. Es fühlte sich an als hätte ich
wortwörtlich Feuer getrunken. Ein schreckliches Brennen begann damit, meine
Kehle zu versengen. Mein Mund fühlte sich widerlich trocken an und mir drehte
sich der Magen um… Durst ergriff mich… schrecklicher Durst.
Langsam schlich ich aus meinem Krankenzimmer, denn ich hatte
etwas gerochen, das mir fast die Sinne raubte. Ein metallisch-süßlicher Geruch
ging von meiner gesamten Umgebung aus… und aus einem Instinkt heraus folgte ich
ihm… Blut… Ich brauchte Blut!
Auf halbem Weg in ein anderes Zimmer wurde mir klar, dass
Roland Recht behalten hatte. Ich fühlte keine Zweifel bei dem was ich vorhatte.
Ich fühlte keine Trauer, keine Angst, keine Wut und zum ersten Mal seit Jahren
belasteten mich meine verdrängten Erinnerungen nicht. Da war nur Gier. Eine
unstillbare Gier die mich auf eine entartete Weise glücklich machte. Und irgendetwas
sagte mir, dass ich nicht mehr unter den eigenen Emotionen leiden müsste, wenn
ich dieser Gier nachgab.
Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Der
Panflötenspieler aus der Fußgängerzone hatte tatsächlich eine Heilung für
Borderline gefunden. Mir war fast so als würde ich die Klänge seiner Musik
hören als ich einen willkürlich ausgewählten Raum öffnete.
Das leise, unschuldige Atmen eines kleinen Mädchens drang an
meine Ohren. Perfekt. Mein Lächeln wurde zu einem grausamen, wölfischen Zerrbild.
Langsam näherte ich mich meinem süßen Opfer. Ihr Blut würde meinen Durst
stillen und mich von unliebsamen Gefühlen befreien.
Im Nachhinein habe ich mich oft gefragt, was es war, dass
mich zurückspringen und zitternd auf die Knie fallen ließ. War es, dass das
Mädchen sich blitzschnell aufgerichtet hatte? War es, dass sie mich anzischte
und dabei ihre langen, scharfen Eckzähne bleckte? War es dieser animalische
Ausdruck von Gier und Hass in ihren Augen? Nein! Es war die Erkenntnis, dass
die Welt bereits uns gehörte… Und dass sie zu klein war, um uns alle zu
ernähren.
() 16:27, 1. Apr. 2015 (UTC)