
Das tiefgekühlte Eichhörnchen
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Die meisten Mitarbeiter des McDonald’s drückten sich vor der Nachtschicht so gut wie sie konnten. Oftmals wurden Ausreden vorgeschoben, wie etwa die liebesbedürftigen Kinder zu Hause, das fortgeschrittene Alter, oder eine imaginäre Krankheit, die immer dann geheilt wurde, wenn die Chefin den Krankenschein bestätigte. So blieben die Nachtschichten meistens an den jüngeren Auszubildenden, den Kinderlosen, den Ehrlichen und den Nebenjobnern hängen. Die meisten von ihnen lamentierten über dieses Schicksal von Beginn der Nachtschicht bis zu ihrem Ende, das meistens gegen drei Uhr nachts war.
Nicht so ich. Natürlich riss ich mich auch nicht darum, jede Woche eine Nachtschicht einzulegen, aber im Gegensatz zu meinen Kollegen, genoss ich die ruhigeren Stunden durchaus. Wer um 0:30 Uhr nachts noch einen Cheeseburger wollte, war meistens wesentlich entspannter als die typische Laufkundschaft die uns am Mittag und frühen Abend die Bude einrannte. Bei diesen gestressten, meist adipösen und kritisch unterzuckerten Kunden zählte jede Minute. Die Nachtschichtkunden waren meist zu betrunken oder zu müde, um sich über unser langsames Arbeitstempo zu beschweren.
Außerdem frequentierten nachts wesentlich weniger Leute den McDonald’s am Autobahnkreuz Köln-West.
Durch den reduzierten Stressfaktor kam man in der Nachtschicht zu all den Tätigkeiten, für die während des Tages meist keine Zeit blieb. Etwa die überfällige, aber meist leider trotzdem nur oberflächliche, Reinigung der Toiletten. Ich beschwöre es, die Toiletten waren bei uns so versifft, dass uns jeder Gesundheitsinspektor sofort den Laden dicht gemacht hätte. Der einzige Grund, warum das bisher noch nicht passiert war, war der, dass unsere Chefin Peggy mit einigen Typen aus dem Gesundheitsmanagement vögelte. So wusste sie dann immer rechtzeitig über die „unangekündigten“ Kontrollen Bescheid. Wann immer eine solche Kontrolle, die sie Blitzen nannten, anstand, brach in der Filiale die Hölle los. Unsere Sympathieträgerin Nummer eins, Peggy, wurde dann noch unträglicher und der Stress steigerte sich ins Unermessliche. Man mag von Fastfood Mitarbeiten halten was man möchte, aber zumindest in puncto Stressresistenz konnten wir es durchaus mit Kampfpiloten oder Gehirnchirurgen aufnehmen.
Und wo wir gerade von Stress sprechen, just in diesem Moment kam Peggy zur Kasse, wo ich heute meine Schicht verrichtete. Ich bin nicht der Meinung, das füllige Frauen grundsätzlich unattraktiv wären. Wenn man allerdings eine Frau nimmt, die deutlich mehr als nur ein bisschen zu viel auf den Hüften trägt und sie in ein mindestens zwei Nummern zu kleines McDonald’s-Shirt presst, sie dann auch noch anmalt wie ein Pfingstochsen und sie mit dem Charme eine Abrissbirne ausstattet, dann gibt es tatsächlich erstaunlich wenig an ihr, dass man als begehrenswert bezeichnen könnte. Umso mehr erstaunte es mich, was die Männer im Gesundheitsmanagement an Peggy finden konnten. Ich mochte mir gar nicht ausmalen, wie jemand aussehen musste, um ein Wesen wie Peggy auch nur im entferntesten attraktiv zu finden. Peggy baute sich so gerade und respektheischend vor mir auf, wie es ihre füllige Statur zuließ. Dunklen Augen, die in dem von blauem Haar gekrönten Mondgesicht geradezu grotesk klein erschienen, funkelten mich feindselig an. “ hast du gerade nichts zu tun? „, fauchte sie mich an. Ich blickte in das fast leere Restaurant und schüttelte den Kopf. “ Falsch!“, triumphierte sie. „Du wirst nun eine Lage Inventur machen.“
Ihr Grinsen war beinahe drakonisch. Lagerinventuren gehörten zu den eher unliebsameren Aufgaben, da es immer etwas gab, woran sie etwas auszusetzen hatte. Eigentlich waren Inventuren im Lager auch Chefsache, aber niemand in der Filiale hätte es gewagt, sich gegen eine Anweisung von Peggy zu stellen oder sie darauf hinzuweisen, dass das eigentlich ihr Zuständigkeitsbereich war. Sie beschränkte sich meistens darauf, Donuts, die nicht verkauft wurden, in ihrem Büro zu fressen und andere herumzuscheuchen und zu terrorisien.
„Also gut“, sagte ich, „aber davor möchte ich noch eine Zigarette rauchen.“
Peggy sah mich einen Moment lang seltsam an, dann nickte sie. „Aber nur fünf Minuten“, fügte sie mahnend mit erhobenem Zeigefinger hinzu.
Ich ging also nach hinten, auf die kleine, umzäunte Mitarbeiterterrasse, und steckte mir eine Zigarette an. Eigentlich war ich kein Raucher – zumindest keiner gewesen, als ich hier zu arbeiten begann. Aber da Raucher das Privileg einer gelegentlichen Fünf-Minuten-Pause genossen, waren früher oder später die meisten Mitarbeiter zu passionierten Qualmern mutiert.
Auf der Terrasse traf ich Frank, einen älteren Kollegen, mit dem ich die Nachtschicht gemeinsam absolvierte. Frank war deutlich älter als der Rest des Teams – er musste schon Mitte sechzig sein. Früher war er Schreinermeister gewesen, hatte seinen Beruf aber nach einer seltsamen, nie ganz erklärten Krankheit aufgeben müssen. Angeblich konnte er seitdem seine Hände nicht mehr richtig bewegen. Wenn nichts zu tun war, erzählte er manchmal davon, gerne ausführlich und zum Leidwesen der Kollegen, die seiner Lamentei lauschen musste.
Frank war kein typischer McDonald’s-Mitarbeiter. Er war kernig, robust – sicher kein Genie im landläufigen Sinne, aber von einer Bauernschläue beseelt, die ihn bei Kunden beliebt und bei Peggy zumindest unangreifbar machte. Ich mochte Frank. Zwar war er in seinem Alter weder besonders schnell noch körperlich auf der Höhe, und sein Geruch erinnerte manchmal eher an einen muffigen Geräteschuppen als an einen Menschen – aber er war jemand, der einem die Schicht versüßen konnte. Seine Sprüche, sein trockener Humor und sein stoischer Frohsinn machten ihn zu einem Lichtblick in der grauen Servicehölle.
Da Frank kurz vor der Rente stand, konnte er sich auch einige Schnitzer erlauben. So konnte er beispielsweise ständig eine Raucherpause machen, obwohl er eigentlich gar kein Raucher war, er konnte kommen und gehen, wie er wollte, ihm wurden ständig mehr Minuten auf der Stempeluhr hinzugefügt, als er eigentlich gearbeitet hatte und auch der ein oder andere Spruch, der uns vermutlich unseren Hals gekostet hätte, wurde ihm von Peggy durchgehen gelassen.
Er saß gerade auf der Terrasse und schlürfte an einem Pappbecher mit Kaffee, als ich heraustrat.
„Ich muss Lagerinventur machen“, murmelte ich ihm etwas missmutig zu.
Er lachte nur – ein heiseres und röchelndes Lachen, das von gelegentlichem, kehligen Husten durchbrochen wurde.
„Hat die Alte wieder gute Laune?“, fragte er, zweifelsfrei Peggy meinend.
Es war kein Geheimnis, dass er sie nicht ausstehen konnte – andererseits konnte das niemand so wirklich. Ich hegte den Verdacht, dass die Frau sich selber nicht mochte und ihren eigenen angestauten Frust gerne an ihren Untergebenen ausließ.
„Grandiose Laune sogar“, sagte ich ironisch und rollte mit den Augen.
Frank lachte abermals.
„Da hat wohl wieder jemand eine Absage kassiert“, schmunzelte er.
Er spielte oft darauf an, dass Peggy keinen Mann hatte und abseits von den Männern aus dem Gesundheitsmanagement vermutlich auch kaum erfüllenden Sex.
„Sie sagte sogar, ich soll genau darauf achten, nur fünf Minuten Pause zu machen.“
Frank schmunzelte abermals.
„Was für eine blöde Sau“, sagte er. „Sie selbst sitzt den halben Tag auf ihrem fetten Arsch und frisst Donuts in sich rein, aber uns terrorisiert sie ständig mit der Zeit unserer Pausen.“
Ich musste ihm beipflichten. Tatsächlich konnte man bei der Betrachtung Peggys den Eindruck gewinnen, dass ihre Tätigkeit hauptsächlich im Sitzen und im Essen bestand. Abseits vom Nörgeln natürlich. Dafür, dass sie fast doppelt so viel Gehalt bekam wie wir anderen, sah man sie jedenfalls erstaunlich selten einen Finger rühren, wenn es um die eher unliebsamen Aufgaben wie das Putzen, das Kochen oder das Bedienen der Kasse ging. Eigentlich kam sie nur dann aus ihrem Büro gekrochen, wenn ein Kunde eine Beschwerde anprangerte oder wenn sie einen der Mitarbeiter drangsalieren wollte, weil er in ihren Augen nicht gründlich, nicht schnell genug oder gar nicht arbeitete.
„An deiner Stelle würde ich mir schön Zeit lassen, bevor du die Inventur machst“, meinte Frank. „Ist ja eigentlich sowieso ihre Aufgabe als Chefin.“
Ich zog an meiner Zigarette und sah ihn lange an.
„Du weißt doch genau, dass ich mir das nicht leisten kann. Im Gegensatz zu dir bin ich auf den Job angewiesen. Und außerdem, glaubst du, es würde sie jucken, wenn ich ihr sage, dass es Chefsache ist, die Lagerinventur zu machen?“
Er gab keine Antwort, weil keine nötig war.
Vorschriften interessierten Peggy nur dann, wenn sie zu Ungunsten der Mitarbeitern waren. Beispielsweise kontrollierte sie sehr akribisch, wer wann einstempelte und ausstempelte. Pausen über fünf Minuten mussten an der Stechuhr ausgestempelt werden. War man nur ein paar Sekunden über der Zeit, erwartete sie einen mit verschränkten Armen und einem gut geübten Todesblick vor der Stechuhr, wo man sich dann kleinlaut einstempelte und unter bösartigem Starrn davonschlich. An besonders schlimmen Tagen wurde man dann vor versammelter Belegschaft und Kundschaft angeschrien und beschuldigt, das Restaurant zu ruinieren.
Ich glaube, Peggy war der Grund, warum die Belegschaft der Filiale so oft wechselte. Bis auf einige wenige Urgesteine wie mich, Frank und eine Handvoll treuer Seelen, die auf den Job angewiesen oder resistent gegen Peggy waren, wechselte die Belegschaft in sehr regelmäßigen Abständen. Die meisten Mitarbeiter waren auch nicht unbedingt dazu angetan, die Stimmung zu erhellen. Denn man kann sich vorstellen, dass eine Belegschaft, bei der es schon zum Herausstellungsmerkmal gehört, dass man die deutsche Sprache fehlerfrei beherrscht und bis drei zählen kann, nicht unbedingt zur Hervorbringung geistiger Höhenflüge bestimmt ist.
Leider ist es Fakt, dass Leute, die in einem solchen Beruf arbeiten, nicht unbedingt von akribischer Genauigkeit ausgezeichnet sind. So war allein das Wort Arbeiten für die meisten hier ein sehr dehnbarer Begriff. Denn viele der Mitarbeiter kündigten nicht etwa, sondern wurden gekündigt, weil sie ihre Arbeitszeit damit zubrachten, mit Freunden zu quatschen, am Handy zu spielen, die Lebensmittel selber zu essen oder schlicht und ergreifend nichts zu tun.
In dem Punkt musste ich Peggy sogar zustimmen – einige hier hatten eine katastrophale Arbeitsmoral. Aber musste sie deshalb gleich an allen ihren Frust auslassen?
Ich behaupte nicht von mir, der Gründlichste oder der Fleißigste zu sein, aber zumindest habe ich mir immer Mühe gegeben bei meiner Arbeit. Sicher, es gab den einen oder anderen schludrigen Tag, an dem ich die Zügel etwas habe schleifen lassen, aber im Großen und Ganzen kann ich schon behaupten, dass ich meine Arbeitszeit sinnvoll ausfüllte.
Ich drückte meine Zigarette aus, verabschiedete mich von Frank mit einem Nicken und ging wieder nach drinnen zum Büro von Peggy. Dort holte ich eine Liste von dem völlig vermüllten und unordentlichen Schreibtisch, auf der ich die Inventur machen sollte. Glücklicherweise hatte ich schon die ein oder andere Inventur machen müssen und wusste daher, wie ich es zu tun hatte und welche Listen ich brauchte.
Gerade als ich das Büro verließ, kam Peggy angewatschelt, sah mich und warf einen skeptischen Blick auf ihre Armbanduhr – eine pinke mit Hello-Kitty-Muster – meiner Meinung nach genau die passende Uhr für ein Wesen wie Peggy.
„Fünf ziemlich lange Minuten“, sagte sie dann mit ihrem typischen missbildigenden Blick, den die gesamte Belegschaft so hasste.
Ich hob nur entschuldigend die Hände.
„Ich gehe dann jetzt Inventur machen“, sagte ich und deutete mit dem Kinn auf die Liste in meiner Hand.
„Das will ich auch meinen“, schnauzte Peggy und verschwand wieder im Büro.
Du blöde Schlampe, dachte ich mir, wagte aber nicht, es auszusprechen – Ein wahres Meisterwerk der Beherrschung.
Ich begann meine Inventur im Trockenlager. Hier lagerten alle Zutaten, die nicht gekühlt werden mussten, sowie allerhand Material wie Strohhalme und Becher. Es war mühselig, die Kisten zu zählen, denn diejenigen, die das Lager einräumten, machten sich meistens keine Gedanken darüber, wie sie die Kisten in die Regale knallten. So war es keine Seltenheit, dass man die schweren Kisten erst mühsam aus den Regalen herausfummeln und umdrehen musste, um überhaupt zu lesen, was darin war. Auch kam es mehr als einmal vor, dass in Abteilungen Kisten vorkamen, die eigentlich nicht dorthin gehörten. So fand ich eine Kiste mit Pappbechern zwischen den Soßen und einige Latex-Gummihandschuhe hinter den Strohhalmpackungen.
Ich selbst machte mir auch nicht die Mühe, die Sachen wieder ordentlich an ihren Platz zu stellen. Das hatte ich ein paar Mal gemacht, hatte mir dann eine Rüge abholen können, weil ich so lange gebraucht hätte, und am nächsten Tag war sowieso wieder alles im Chaos versunken. Sollten sich die damit rumärgern, die als Nächstes etwas aus dem Lager suchen mussten. Meistens war das sowieso ich.
Als ich mit dem Trockenlager fertig war, ging es ins Kühllager. In diesem bewahrten wir die Lebensmittel auf, die gekühlt werden mussten, und die, die tiefgekühlt werden mussten. Es waren zwei große, eiserne Türen, mindestens so hoch wie ich selbst und so breit wie Peggy, die in zwei begehbare Kühlschränke führten.
Im Kühllager war es bereits ziemlich kalt, nämlich genau 4 Grad. Aber im Tiefkühllager wurde es arktisch – minus 17,5 Grad, zeigte das Thermostat. Dass auch in diesen beiden Lagern nicht unbedingt Ordnung herrschte, machte die Inventur zu einer wahren Qual. Denn unsere dünne Arbeitskleidung war vielleicht in der heißen Küche oder an den Fritteusen wirklich von Nutzen, damit wir nicht in Hitzetod starben. Aber im kalten Lager konnte man sich sehr schnell eine Erkältung einfangen, wenn man mal etwas zu lange nach den passenden Burgerbuletten suchen musste.
Als ich mit dem Kühllager durch war, das aktuell geneigterweise relativ leer war, wärmte ich mich erstmal vorne bei den Fritteusen etwas auf, bevor ich mich ins Tiefkühllager wagte. Die Arbeit war zum Glück relativ einfach, man musste schlicht und ergreifend die Anzahl der vorhandenen Boxen, die alphabetisch nach Inhalt sortiert auf der Liste standen, einzutragen.
Nachdem ich mich wieder etwas aufgewärmt hatte, ging ich also ins Tiefkühllager. Sofort beschlug meine Brille und ein feiner, kalter Nebel schwoll mir entgegen. Ich ging also hinein und begann, die im vorderen Bereich stehenden Boxen zu zählen. Als ich mich den etwas weiter hinten stehenden Boxen zuwandte, hörte ich auf einmal ein Krachen und musste mit Erschrecken feststellen, dass die Tür, durch die ich eben gekommen war, zugefallen war.
Die Türen der beiden Kühlschränke hatten eigentlich eine Sicherung, sodass sie, selbst wenn sie zufielen, nicht versehentlich verschlossen wurden. Es hätte schon jemand von außen den Hebel herunterdrücken und die Tür somit verschließen müssen. Ich dachte mir also nicht viel dabei und ging zur Tür, um sie von innen wieder aufzudrücken. Da die Türen in einem ohnehin schon engen Gang standen, kam es durchaus vor, dass jemand, der eilig hindurchging, sie versehentlich oder auch absichtlich zuknallte, um besser hindurchzukommen. Aber wie schon gesagt, würde das die Türen nicht verschließen.
Ich drückte also von innen dagegen und musste feststellen, dass die Tür nicht wie sonst üblich leicht wieder aufschwang, sondern verschlossen blieb. Ich legte das Klemmbrett mit der Inventurliste auf ein paar Boxen ab und stemmte mich mit beiden Händen erneut gegen die Tür. Keine Veränderung. Die Tür blieb verschlossen.
Ich bin nicht unbedingt das Stärkste, was man auch daran sieht, dass ich beim Tragen mehrerer Bulettenboxen schon mal ins Schnaufen komme, aber eigentlich sollte ich eine solche Tür aufstemmen können. Ich warf mich also mit meinem ganzen Körpergewicht gegen die Tür. Nichts. Die Tür blieb zu.
Ich stieß einen resignierten Seufzer aus und fragte mich, welcher hirnamputierte Idiot es für eine gute Idee gehalten hatte, die offene Tür des Kühlschranks nicht nur zu schließen, sondern auch noch abzusperren.
Sofort fiel mir Peggy ein, die blöde Schnepfe. Aber die wusste ja, dass ich Inventur machte, und verirrte sich nur sehr selten in den Lagerbereich – Es könnte ja Arbeit aufkommen. Frank wusste ebenfalls, dass ich Inventur machte, und hätte deswegen vermutlich die Tür nicht zugemacht. Außerdem hatte ich ihn eben bei den Fritteusen noch nicht gesehen. Ich ging also davon aus, dass er immer noch Pause machte.
Es kam also nur einer der anderen Arbeiter in Betracht. Die wenigsten von ihnen waren der deutschen Sprache mächtig genug, als dass man ihnen erklären könnte, wie gefährlich es ist, eine solche Tür einfach zu schließen, wenn noch jemand im Kühlschrank war. Aber dennoch nahm ich mir fest vor, demjenigen, der diese Tür abgeschlossen hatte, eine ordentliche Gardinenpredigt zu halten.
Doch zuerst musste ich herauskommen.
Ich hämmerte also mit den Fäusten gegen die stählerne Tür und rief laut, in der Hoffnung, dass derjenige, der die Tür geschlossen hatte, noch in der Nähe war und mich hören konnte. Aber entweder war niemand mehr in der Nähe, oder aber – was noch wahrscheinlicher ist – das Rauschen der Lüftung, das Blubbern der Fritteusen und das immerwährende Piepsen und Stimmengewirr, das in jeder McDonald’s-Filiale wohnt wie ein böserGeist, übertönten mein Rufen und Pochen.
Abermals ließ ich einen resignierten Seufzer von mir und schüttelte mich gleichzeitig leicht, da die Kälte bereits begonnen hatte, meinen Körper hinaufzukriechen.
„Fick die Henne, da hat aber jemand ganz schöne Schwierigkeiten“, ertönte eine piepsige, hohe Stimme hinter mir.
Erschrocken fuhr ich herum und sah ein kleines Eichhörnchen, das fast wie ein Mensch mit herunterhängenden Beinen und in dem Schoß verschränkten Armen auf einer Palette mit gefrorenen Burgerbuletten saß und mich frech angrinste. Ich musste ein zweites Mal hinsehen und ein drittes Mal. Ich rieb mir die Augen, schüttelte den Kopf, drehte mich zweimal im Kreis – aber die Erscheinung blieb.
Das Eichhörnchen legte den Kopf leicht schief und schien zu lächeln.
„Jetzt hab dich nicht so. Hast du noch nie ein sprechendes Eichhörnchen gesehen?“ fragte es. Seine Stimme klang piepsig und hell, so als hätte es vorher Helium inhaliert, und ein frecher Unterton lag darin.
Ziemlich verdattert und verdutzt schüttelte ich den Kopf.
„N-nein“, sagte ich dann.
„Naja, gibt wohl für alles ein erstes Mal im Leben, nicht wahr?“ gab das Eichhörnchen zurück und gestikulierte mit seinen Pfötchen in der Luft. „Aber wie ich schon sagte, du steckst gerade in größeren Schwierigkeiten.“
Das Eichhörnchen zeigte mit seiner Pfote auf die Tür.
„Das Ding da ist zu, und so schnell wird niemand herkommen und sie wieder öffnen. Also musst du jetzt dringend hier herauskommen.“
Immer noch fassungslos starrte ich auf die kleine Kreatur. Das Eichhörnchen war nun aufgestanden und marschierte von einem Ende der Palette zum anderen.
„Meiner Meinung nach“, hob es langsam an, „sieht es generell schlecht aus für dich. Es ist kurz vor Feierabend, und vermutlich werden keine Gäste mehr kommen. Und selbst wenn – es gibt noch genug Buletten auf Halde. Niemand würde hier in diesen Kühlschrank kommen und dich zufällig finden. Deine Chefin sitzt lieber auf ihrem fetten Arsch, Frank macht ewig lange Pausen, und die anderen schreiben mit den Verwandten im Ausland, spielen Angry Birds oder essen heimlich Pommes. Du musst dich also selbst aus dieser Situation befreien.“
Ich gab dem Eichhörnchen keine Antwort, da ich beschlossen hatte, dass es sich nur um eine Halluzination handelte, die aufgrund des Schocks, eingesperrt zu sein, vor meinem geistigen Auge erschienen war. Stattdessen suchte ich in der Nähe der Tür nach einem Notfallknopf oder ähnlichem. Vielleicht gab es auch einen zweiten Hebel, mit dem man die Tür von innen öffnen konnte. Ich war mir ziemlich sicher, dass so etwas Pflicht war und vorgeschrieben.
Auf der anderen Seite wusste ich, dass einige der vorgeschriebenen Pflichten und Sicherheitsvorkehrungen – zumindest in dieser Filiale – nicht beachtet wurden. Beispielsweise hatten wir erst dann spezielle Arbeitsschuhe bekommen, als eine Mitarbeiterin sich an der Fritteuse heißes Fett über die Schuhe gekippt und sich damit Verbrennungen zweiten Grades eingefangen hatte. Davor hatte Peggy gesagt, man könne alle Schuhe tragen, Hauptsache, sie seien geschlossen. Dass die Turnschuhe, die besagte Kollegin trug, nicht unbedingt dazu bestimmt waren, siedendes Fett aufzuhalten, war ihr erst später aufgefallen.
Ich fand keinen Notfallknopf und auch keinen Hebel. Immerhin brannte Licht, denn der Lichtschalter für die Kühlschränke befand sich innen. Zumindest dahingehend war das Schicksal etwas gnädig mit mir, denn wenn nun noch jemand von außen das Licht ausgeschaltet hätte und ich im stockdunklen, eiskalten Kühlschrank gesessen hätte, wäre ich sicher durchgedreht.
Das Eichhörnchen musterte mich.
„Du hast also beschlossen, mich zu ignorieren“, schlussfolgerte es. „Das ist auch durchaus verständlich. Es ist die erste Stufe.“
„Die erste Stufe?“ fragte ich leicht genervt, ohne mich umzudrehen, da ich immer noch nach einem Hebel suchte.
„Die erste Stufe“, wiederholte das Eichhörnchen. „Es gibt sieben Stufen für die Situation, in der du dich momentan befindest. Die erste Stufe ist Unglaube. Du weigerst dich einzusehen, dass ich hier bin. Du weigerst dich, die Situation vollumfassend zu begreifen. Das ist auch verständlich. Es erscheint einem nicht alle Tage ein sprechendes Eichhörnchen in einer Tiefkühlkammer, das einem rät, man sollte…“
Das Tier brach ab.
„Aber später mehr dazu.“
„Du weißt also anscheinend alles besser“, fauchte ich das Tier an, wandte mich herum und starrte es bösartig an. Seine kleinen Knopfaugen funkelten.
„Wir nähern uns Phase zwei“, sagte es selbstzufrieden. „Wut. Du suchst nach einem Schuldigen für deine Lage und teilst gegen alle aus, die dir in den Sinn kommen – inklusive mir.“
„Halt doch dein Maul, du neunmal kluges Stück Scheiße!“, brüllte ich ihm entgegen und schleuderte mit dem Klemmbrett nach dem Tier.
Das Eichhörnchen sprang elegant und ohne Mühe zur Seite und kletterte eine andere Palette hoch. Nun etwas höher gelegen, betrachtete es mich von oben herab und sprach gelassen weiter:
„Lass deiner Wut ruhig freien Lauf. Das ist normal. Es ist natürlich. Es ist der Lauf der Dinge.“
„Das alles wäre nicht passiert, wenn diese fette Schlampe Peggy die Sicherheitsvorkehrungen beachten würde“, keifte ich. „Verdammt, es wäre nicht mal passiert, wenn sie ihren Job ernst nähme, denn dann würde sie jetzt in diesem Kühlschrank sitzen – und nicht ich. Eigentlich hätte ich gleich schon Feierabend, würde nach Hause fahren und mich ins Bett legen, ins schöne warme Bett. Stattdessen sitze ich hier in diesem Kühlschrank – mit so einem sprechenden Ding.“
Ich sprach mehr zu mir selbst als zu dem Eichhörnchen, und dennoch folgte es lächelnd jedem meiner Worte.
„Ja, sehr gut machst du das. Lass alles raus.“
„Warum arbeite ich überhaupt hier“, lamentierte ich weiter. „Warum mache ich es nicht so wie Frank oder wie die anderen und tue nur so, als würde ich arbeiten. Bei denen klappt es doch auch, und niemand sagt was. Und wenn die Alte mal wieder rumkeift, dann zucke ich einfach mit den Schultern, sage, ich würde mich bessern – und mache es am Ende doch nicht. Warum bin ich eigentlich immer der Idiot, der ehrlich sein Geld verdienen will?“
Ich warf theatralisch die Hände zum Himmel, und das Eichhörnchen applaudierte mit seinen kleinen Pfötchen.
„Eine hervorragende Phase zwei“, gratulierte es. „Wut ist die natürliche Reaktion auf Furcht, wusstest du das?“
Statt zu antworten, streckte ich dem Eichhörnchen meinen Mittelfinger entgegen.
Allmählich begann die Kälte, mir wirklich etwas auszumachen. Meine Finger wurden etwas steifer, und ich begann zu zittern. Vorher war die Kälte nur unangenehm gewesen, jetzt begann sie wirklich weh zu tun. Ein unangenehmer Gedanke schoss mir durch den Kopf, ein Gedanke, den ich bisher mühsam unterdrückt hatte. Jetzt aber ploppte er auf, und ich konnte nichts dagegen tun.
Was wäre, wenn mich niemand finden würde?
Was, wenn ich hier nicht rechtzeitig herauskommen würde?
Das Eichhörnchen schien meine Reaktion zu beobachten.
„Phase drei“, sagte es kennerhaft, als würde es einen Rotwein verkosten. „Die Verzweiflung.“ Es hauchte das Wort, als wäre es ein ganz besonderer Moment.
Ich lehnte mich an eine Palette mit gefrorenen Burgerbrötchen und schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen.
Wenn mich hier niemand findet, dann ende ich bald genauso wie diese Burgerbuletten – schockgefrostet, stocksteif und tot.
Ich zögerte, das letzte Wort auszusprechen. Abermals fragte ich mich, warum es immer mich treffen musste. Warum immer die am meisten gestraft wurden, die am ehrlichsten sein wollten.
„Es trifft sowieso immer die Falschen“, sagte das Eichhörnchen resigniert, als hätte es meine Gedanken gelesen.
„Womit habe ich dich eigentlich verdient!?“, keifte ich das Eichhörnchen an und spürte, wie mir heiße Tränen in die Augen schossen. „Reicht es nicht, dass ich mit dieser furchtbaren Chefin in diesem schrecklichen Job und in diesem verschissenen Kühlschrank eingesperrt bin? Ist das nicht genug für mich? Reicht es nicht!?“
Ich schrie förmlich, hatte aber jede Hoffnung aufgegeben, dass einer der Kollegen es hören konnte.
Das Eichhörnchen zuckte nur mit den Schultern, dann setzte es sich wieder an den Rand der Palette.
„Verdienen tun wir sowieso nichts. Niemand von uns tut das. Eigentlich erleiden wir nur eine Abfolge von Schicksälen – manche gut und manche schlecht. Wir reden uns ein, dass wir Dinge verdient haben oder nicht verdient haben. Aber in Wahrheit können wir nichts dagegen tun. Es passiert einfach. Und weißt du, was das Tragische daran ist? Es ist alles völlig egal.“
Entmutigt sackte ich an der Palette herab und blieb auf dem Hosenboden sitzen.
„Oh Gott“, flüsterte ich dabei und schlug mir die Hände vor die Augen.
Das Eichhörnchen sprang von der Palette herunter und nahm in einigem Abstand von mir auf dem Boden Platz.
„Interessant“, sagte es. „Die Suche nach Gott – Phase vier. Bei manchen dauert es länger, bis diese Phase eintritt, bei dir offenbar etwas schneller. Daraus schließe ich, dass du grundsätzlich dem Gedanken an Gott nicht abgeneigt bist.“
Ich ließ meine Hände zwar nicht sinken, aber horchte auf.
„Was hat das denn damit zu tun?“ fragte ich.
„Nun“, hob das Eichhörnchen an
„Es ist erstaunlich, wie viele Menschen irgendwann in dieser Situation nach Gott suchen. Selbst Atheisten fangen in der größten Not an, Gott zu rufen. Oder irgendeine andere höhere Macht, an die sie vorgeben, nicht zu glauben. Doch interessanterweise ist jedes Rufen, egal von einem Gläubigen oder von einem Ungläubigen, völlig bedeutungslos.“
Das Eichhörnchen schüttelte den Kopf, wie ich durch die gespreizten Finger meiner Hand erkennen konnte.
„Warum ist es bedeutungslos?“ fragte ich das Eichhörnchen, teils aus Trotz, teils aus tatsächlichem Interesse. Diese kleine Kreatur mochte eine verschissene Halluzination sein, aber trotzdem erregte sie irgendwie meine Neugier.
„Nun“, das Eichhörnchen ließ das Nun eine Weile im Raum hängen und begann, langsame Kreise um mich zu ziehen,
„weil das Rufen nach Gott bedeutungslos ist. Denn selbst wenn es ihn geben würde, würde das keinen Unterschied machen. Er hört uns nicht. Es ist ihm schlicht und ergreifend egal. Denn ansonsten wärst du nie in diese Lage gekommen. Überlege selbst.“
Es war nun stehen geblieben und gestikulierte mit seinen Pfoten vor meiner Nase herum.
„Würde ein höherer Gott, der tatsächlich gut ist, zulassen, dass du in diesen Kühlschrank landest? Würde er zulassen, dass die fette, ungebummste Schlampe Peggy dich so schlecht behandelt? Würde er nicht viel eher einen Blitz herabsenden, um diesen Drachen zu fällen? Oder einen Engel schicken, der dir auf magische Weise diese Tür öffnet und dich befreit?“
Ich horchte nach Spott in der Stimme des Eichhörnchens. Einen Spott, den ich aus der Erzählung meiner ungläubigen Kollegen gewohnt war – aber ich hörte keinen. Das Eichhörnchen meinte es tatsächlich ernst. Und auf seine Weise gut mit mir.
„Du kannst nach ihm rufen, so viel du willst. Tob dich richtig aus. Nimm dir die Zeit. Diese Phase muss man auskosten. Aber erwarte nicht, dass er antwortet – oder auch nur hinhört.“
„Du sagst also, es gibt keinen Gott?“ fragte ich resigniert, auch wenn sich alles in meinem Inneren sträubte, diese Aussage als wahr anzuerkennen.
„Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte das Eichhörnchen, abermals ohne dass ich auch nur den kleinsten Spott in seiner Stimme erkennen konnte.
„Ich sagte nur, dass es keinen Unterschied macht, ob er existiert oder nicht. Denn wenn er existiert, hat er seit ziemlich langer Zeit Mittagspause – und glaube nicht, dass diese Pause allzubald endet.“
„Oh Gott“, sagte ich abermals und sank noch ein Stückchen mehr in mich zusammen. Die ersten Körperteile hatten angefangen taub zu werden. So spürte ich etwa meine Fingerspitzen nicht mehr, und auch meine Füße hatten jedes Gefühl verloren. Der übrige Körper brannte wie ein Feuer.
„Was soll ich denn jetzt nur tun?“ fragte ich, ohne jede Hoffnung in der Stimme. „Dann ist doch sowieso alles sinnlos.“
Das Eichhörnchen kam näher, kletterte an meinem Bein entlang und setzte sich auf mein Knie. Ich tat keinen Versuch, es von meinem Knie zu fegen oder zu verscheuchen. Stattdessen betrachtete ich das kleine Wesen nun aus der Nähe. Es schien gegen die Kälte, die uns umgab, immun zu sein, denn weder konnte ich Eiskristalle in seinem Fell feststellen, noch zitterte es. Im Gegenteil – es schien sich in seiner Haut pudelwohl zu fühlen.
„Offenbar bist du einer von der schnellen Sorte“, stellte es fest, „denn wir beginnen bereits mit Phase fünf: die Resignation. Wir nähern uns langsam dem Finale.“
Seine Stimme wurde einen Hauch leiser, fast verführerisch.
„Aber wenn ich dich so ansehe, wundert es mich auch nicht. Du bist mehr als nur etwas dünn. Die Kälte hat dich ziemlich schnell erfasst. Tja, hätte man deine fette Chefin hier eingesperrt, hätte ich sicherlich Stunden auf sie einreden können, bevor…“ – das Eichhörnchen brach ab.
„Bevor die Sache endet“, fügte es dann gönnerhaft hinzu.
Ich hatte aufgehört zu weinen. Stattdessen zitterte mein Körper nur noch vor Kälte. Meine Augen brannten, und es bereitete mir immer größere Mühe, sie offen zu halten. Mein Blick glitt von Palette zu Palette. Ich las die Namen. Burgerbrötchen. Big Mac Patties. Pommes.
Und ich fragte mich, warum das alles keinen verschissenen Sinn ergab.
Das Eichhörnchen war von meinem Knie gesprungen und hatte mir gegenüber auf einer Palette Burgerbrötchen Platz genommen.
„Weißt du, was mein Lieblingsteil an der ganzen Show ist?“ fragte es.
Nein, und ich wollte es auch nicht wissen, hatte aber nicht die Kraft zu widersprechen.
„Mein Lieblingsteil ist die Phase, die jetzt kommt. Die vorletzte. Das große Finale. Leben in Reinstform.“
Ich bedachte das Eichhörnchen nur mit einem müden Blick. Sollte es sich doch daran ergötzen. Was hatte es für einen Sinn, sich zu wehren?
Moment mal, meldete sich da eine Stimme in meinem Kopf.
Was rede ich denn da? Warum lasse ich es zu, dass dieses verschissene, kleine Drecksviech mich hier so beleidigt, sich an meinem Leiden ergötzt?
Unbändige Wut erfasste mich plötzlich. Nein – nicht bloße Wut. Es war Hass. Purer, kochender Hass.
Ich hasste Frank, diesen alten, geschwätzigen Sack, der nur Pause machte, während andere sich den Arsch abschufteten.
Ich hasste Peggy, die fette Schlampe, die nicht nur als Chefin, sondern auch als Mensch versagt hatte.
Und am meisten hasste ich dieses kleine, verschissene Eichhörnchen.
Ich wollte es packen, wollte ihm den Hals umdrehen und den Kopf abreißen. Und dann wollte ich zusehen, wie sein zuckender Körper in einer Blutlache langsam gefriert – in diesem riesigen, eiskalten Grab.
Als hätte mir mein plötzlicher Hass übermenschliche Kräfte gegeben, sprang ich auf. Ich ignorierte den taubenbrennenden Schmerz in meinen Gliedern und stürzte auf die Palette zu, auf der das Eichhörnchen saß. Ich wollte es packen und meinen gesamten Hass an ihm auslassen. Doch als hätte es darauf gewartet, sprang es auf und entschlüpfte mit flinken Bewegungen jedem meiner Griffe.
Ich verfolgte es und brüllte Verwünschungen, die selbst ich noch nie gehört hatte. Aber das Eichhörnchen war jedes Mal schneller. Schließlich war es auf eine Palette geklettert, die bis unter die hohe Decke reichte. Zu hoch, als dass ich es noch erreichen konnte.
„Komm sofort zu mir herunter, du blödes Stück Scheiße!“ schrie ich ihm entgegen.
„Komm herunter, damit ich dich zertreten kann, damit ich dir dein hässliches Fell über die Ohren ziehe und auf dich pisse!“
Ich schrie, und Speichelfäden flogen aus meinem Mund, während ich die kleine Kreatur beschimpfte und an der Palette rüttelte.
Das Eichhörnchen zeigte sich von meinem gesamten Ausbruch wenig beeindruckt. Es lächelte nur knapp.
„Ein sehr schönes Finale“, sagte es dann. „Wirklich eine Meisterleistung. Fast tut es mir ein bisschen um dich leid.“
„Fick dich selbst ins Knie“, schrie ich und zeigte ihm meinen Mittelfinger.
So plötzlich, wie mein Hass gekommen war, so plötzlich verließ er mich auch wieder – und mit ihm schwanden meine Kräfte.
Nunmehr völlig erschöpft sackte ich auf dem Boden zusammen. Den Rücken gegen eine Palette gelehnt, ging mein Atem flach, und vor meinen Augen flimmerte es.
Das Eichhörnchen kam langsam von der Palette herab. Es kam nahe an mich heran. Fast so nah, dass ich es hätte packen können, aber dazu fehlte mir die Kraft. Flach atmend starrte ich die kleine Kreatur an. Und in meinen Augen lag genug Hass, um sicher hunderte Eichhörnchen zu töten – wenn Blicke diese Eigenschaft gehabt hätten.
„Schieß dir in den Sack und stirb tanzend“, sagte ich müde. Ein letztes Aufbäumen des in mir verpuffenden Zornes.
Das Eichhörnchen legte den Kopf leicht schief.
„Ich bin beeindruckt“, sagte es. „So etwas habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Ich glaube, ich sollte öfter in solche Filialen kommen. Es ist doch immer wieder erstaunlich, welche Formen das Leben annehmen kann an Orten wie diesem. An der letzten Sprosse der Karriereleiter gescheiterter Existenzen.“
Es machte eine kurze Pause.
„Aber nun ja – um Diamanten zu finden, muss man schließlich auch im Dreck graben, nicht wahr?“
Jetzt hörte ich sehr wohl einen gewissen süffisanten Spott in seiner Stimme, der aber sofort wieder verflog.
„Ich denke, es ist nun Zeit“, sagte das Eichhörnchen, nun völlig neutral.
„Zeit für was?“ fragte ich, während meine Stimme bereits langsam brüchig wurde.
„Zeit für die letzte Phase. Phase Sieben.“
„Und was ist Phase Sieben?“ hörte ich mich sagen.
Das Eichhörnchen lächelte mitleidig.
Erst als am nächsten Morgen die Frühschicht den Kühlschrank öffnete, um Zutaten für den Tag hervorzuholen, fand man ihn – steifgefroren, an eine Palette gelehnt, neben sich das Klemmbrett mit der Inventurliste.
Peggy wurde wegen Fahrlässigkeit angeklagt. Sie war davon ausgegangen, er habe sich heimlich aus dem Staub gemacht und hatte böse auf ihn geschimpft. Wer den Kühlschrank geschlossen hatte, blieb ewig ein Mysterium und Spekulation der Mitarbeiter. Aber seitdem wurden immer zwei losgeschickt, wenn etwas in dem Kühlschrank zu erledigen war.
Bemerkenswert und von den meisten unbemerkt war, dass in dem Polizeibericht, neben dem Fund der Leiche und des Klemmbretts, noch ein kleines Büschel Tierhaare beschrieben wurde, das unweit der Leiche gefunden wurde. Ein kleines Fellbüschel – rotbraun.