KreaturenMittel

Der Fischer

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Noch vor
wenigen Wochen hatte Christian Fischer vor Stolz geglüht. Als einer von zwölf
Teilnehmern war er auserkoren worden ein Motiv für den städtischen Kalender von
Hohenweiher zu entwerfen. Schon im Vorjahr hatte er es versucht, war aber nicht
in die engere Auswahl gekommen. Umso glücklicher war er jetzt gewesen.
Zumindest bis zu dem Punkt, an dem er sich eingestehen musste, dass er einfach keine
Idee hatte.

Viele
stumpfe Bleistifte und zerknüllte Blätter später, machte sich Christian auf den
Weg in den Stadtpark von Hohenweiher. Es war ein strahlender Maitag,
ausgerechnet der Monat, der ihm zu gelost worden war. Wie zum Hohn blühten die
Büsche und Bäume heute besonders üppig. Rosen verbreiteten ihren betörenden
Duft, während in den Rabatten Stiefmütterchen und Tagetes mit dem azurblauen
Himmel um die Wette leuchteten. Der Wind rauschte sanft in den Kronen der
frisch ergrünten Bäume und trieb weiße Wattewolken über den Horizont. Kurz: es
war ein abartig schöner Tag.

Seine
Suche nach Inspiration führte ihn über den blitzsauberen Kiesweg in Richtung
des kleinen Gewässers in der Mitte des Parks, das der Stadt ihren Namen gegeben
hatte. Zwar war die Szenerie unbestreitbar Postkarten-würdig, doch ein simples
Landschaftsbild schwebte ihm nicht vor. Auf einer der Bänke am Ufer ließ er
sich schließlich nieder und starrte trübsinnig auf das Wasser. Wenige Schritte vom
Ufer entfernt, war vor ein paar Jahren eine Nixenstatue aufgestellt worden, da
der See im Volksmund auch „Nixenweiher“ genannt wurde. Früher hatten sich viele
abenteuerliche Geschichten um ihn gerankt, lange bevor er seine rein dekorative
Rolle erhalten hatte.

Missmutig
blätterte Christian durch seine Skizzen. Eine einfallsloser als die andere.
Erschöpft sank er zurück und ließ sich die angenehm warme Sonne ins Gesicht
scheinen.

„Ich
kenne Sie!“, drang eine sanfte Stimme zu ihm durch. Ein bisschen erschrocken,
blinzelte Christian durch das blendende Licht. „Entschuldigung, falls ich Sie
erschreckt haben sollte.“ Die zauberhafte Stimme gehörte einer jungen Frau, die
sich neben ihn gesetzt hatte. Mit jeder Sekunde, die er sie ansah, wurde ihm
mehr bewusst, mit was für einer Schönheit er es zu tun hatte. Christian
schätzte sie auf maximal Anfang zwanzig. Sie hatte makellose Haut, langes,
sanft gewelltes, goldblondes Haar und wunderschöne seegrüne Augen. „Woher?“,
fragte er einfältig, als ihm klar wurde, dass er sie anstarrte. Sie störte sich
aber offenbar nicht daran und erklärte: „Ich habe letzten Monat den Artikel in
der Zeitung gelesen und Sie gleich erkannt.“ Mit einem Blick auf seinen
Skizzenblock fuhr sie fort: „Sie arbeiten an Ihrem Kalenderbeitrag?“ „Also ähm…
naja… Ich versuche es zumindest. Aber bisher hat mich die Muse noch nicht
geküsst“, stammelte Christian und schämte sich sofort dafür, eine solch
unheimlich abgedroschene Redewendung verwendet zu haben.  „Ich bin sicher, das wird sie noch“, sagte die
Fremde mit einem strahlenden Lächeln. Neugierig fügte sie hinzu: „Hätten Sie
etwas dagegen, wenn ich…?“

Normalerweise
widerstrebte es Christian anderen Menschen Skizzen oder unfertige Werke zu
zeigen, aber die junge Frau schien einen Nerv bei ihm zu treffen, der jede
Gegenwehr lahmlegte. Zaghaft reichte er ihr den großen Block hinüber und sie
begann ehrfürchtig darin zu blättern. Christian war sich bewusst, dass er
Talent hatte, jedoch war ihm das nie zu Kopf gestiegen. Er musste unwillkürlich
lächeln, als er sah mit was für einer- fast kindlichen – Begeisterung sie seine
Bilder betrachtete. „Oh, die Stelle kenne ich. Das ist drüben am Westufer,
richtig?“ Sie zeigte auf eine ältere Zeichnung und sah ihn mit jenem fragenden
Blick an, der eigentlich nur auf eine Bestätigung wartete. „Genau.“ Erfreut
darüber, dass sein Bild offenbar auch zu einer anderen Jahreszeit
Wiedererkennungswert besaß, führte er weiter aus: „Die Skizze war die Vorlage
für den Wettbewerbsbeitrag, darum möchte ich auch bei meinem Kalenderbild beim
Weiher bleiben.“ Sie ließ den Blick über das Wasser gleiten und meinte ein
wenig wehmütig: „Das kann ich gut verstehen.“ Mit einem Lächeln fügte sie
hinzu: „Ich muss jetzt leider gehen, aber ich hoffe doch, wir sehen uns bald
wieder.“

Christian
schaute ihr nach, wie sie anmutig den Weg entlangschritt, bis sie um eine
Biegung verschwand. Hatte sie eben mit ihm geflirtet oder hatte sie nur höflich
sein wollen? Er hoffte doch sehr auf Ersteres, denn – oh ja – er wollte sie wieder sehen.

Am
nächsten Tag machte er sich gleich nach der Schule wieder auf den Weg in den
Park und suchte die Bank vom Vortag auf. Selbstverständlich war sie leer.
Enttäuscht setzte er sich und wartete. Natürlich umsonst. So ging es den Rest
der Woche. Nach dem Unterricht kam er direkt in den Park und hoffte darauf, die
schöne Fremde wieder zu sehen.

Am
Samstagmorgen zogen dunkle Wolken auf und Christian überlegte, ob er die
Hoffnung nun nicht doch endlich aufgeben sollte. Immerhin hatte er sie auch
zuvor noch nie gesehen und Hohenweiher war nicht gerade eine große Stadt. Aber sie
kannte ihn aus dem Zeitungsartikel… „Wenn ich sie heute nicht treffe, werde ich
sie vergessen!“, dachte er entschlossen. Nach dem gemeinsamen Frühstück mit
seinen Eltern, machte er sich trotz der schlechten Wetteraussichten auf den
Weg.

Christian
skizzierte gerade eine Entenfamilie im Schilf, als er eine bekannte Stimme
hörte. Wunderschön und sanft, wie er sie in Erinnerung hatte. „Hallo, wie schön
dass wir uns so schnell wieder sehen!“ Aufrichtige Freude schwang in ihren
Worten mit, während Christian dachte: „Zum Glück weiß sie nicht, dass ich jeden
Tag wie ein Vollidiot hierher gepilgert bin.“ „Wie geht Ihre Arbeit voran?“,
nahm sie den Faden von ihrem ersten Treffen wieder auf. „Nicht so gut, ehrlich
gesagt. Aber es sind auch noch ein paar Wochen bis zum Abgabetermin“, gab
Christian zu.

So saßen
sie eine ganze Weile beisammen und redeten zuerst über seine Bilder, das Wetter
und dann alles andere belanglose Zeug, das ihnen in den Sinn kam. Christian,
der sonst eher schüchtern war, konnte kaum glauben, wie leicht es ihm fiel sich
mit ihr zu unterhalten. Obwohl sie viel reifer war, als die Mädchen in seiner
Klasse, schienen ihm die Worte in ihrer Gegenwart einfach zu zufallen. Die
einzige Frage, die er bisher noch nicht gestellt hatte – obwohl sie so banal
wie selbstverständlich war – war die nach ihrem Namen.

Nach einem
viel zu schnell vergangenem Nachmittag blickte sie auf die schmale silberne Uhr
an ihrem Handgelenk und meinte: „Ich muss dann wieder los.“ Sie stand schon auf
und wollte gehen, als Christian sich endlich überwand: „Wie heißt du
eigentlich?“ „Helena“, lautete die schlichte Antwort. Mit einem letzten
fröhlichen Winken verschwand sie hinter einem Hortensienbusch.

„Helena…
Hoffentlich dauert es diesmal nicht so lange, bis ich sie wieder sehe.“

Seine
Hoffnungen sollten nicht enttäuscht werden. Am Montagnachmittag hatte Christian
seinen Stammplatz im Park aufgesucht und dachte an Helena, die ihm nicht mehr
aus dem Kopf gehen wollte. Geistesabwesend ließ er seinen Bleistift über das
Papier tanzen. Als er sein Werk schließlich bewusst betrachtete, stellte er
fest, dass die Nixenstatue auf seinem Block weniger der im Weiher ähnelte, als
vielmehr –

„Bin ich
das etwa?“ Helena hatte sich von hinten angeschlichen und spähte über seine
Schulter. Peinlich berührt, als hätte sie ihn bei etwas Unanständigem erwischt,
klappte er den Block zu. „Ist es eingebildet zu sagen, dass das Bild sehr
hübsch ist?“, fragte sie schmunzelnd und ihre strahlend grünen Augen blitzten
vergnügt. „Naja, ein ganz kleines bisschen vielleicht“, antwortete Christian
grinsend.

Am Abend
saß Christian mit glühendem Kopf beim Abendessen. Er fühlte sich wie der
glücklichste Mensch auf Erden. Der Tag mit Helena war wieder bezaubernd gewesen
und er machte sich Hoffnungen, dass seine wachsenden Gefühle, durchaus auf
Erwiderung stoßen könnten. Verträumt stocherte er in seinem Salat, während sich
seine Eltern wissende Blicke zuwarfen.

Später
saß Christian noch lange an seinem Schreibtisch und arbeitete an der Skizze
weiter, die die Nixenstatue zeigte. Ohne darüber nachzudenken, fügte er dem
Ufer Schilf hinzu, ließ Richtreflexe auf der Wasseroberfläche erscheinen und
verlieh schließlich Helenas Antlitz Farbe. Immer mehr vertiefte er sich in
seine Arbeit, fügte immer mehr Details hinzu, bis er vollkommen die Zeit
vergaß. In seinen Gedanken sah er den Hohenweiher lebhaft vor sich, hörte das
Wasser förmlich rauschen und konnte fast den Kiesweg unter sich spüren. Er
hatte das Gefühl, er müsste nur den Kopf ein wenig zur Seite drehen, um in
Helenas Gesicht zu blicken.

„Willst
du nicht mal ins Bett gehen?“, wurde Christian von seiner Mutter aus seinen
Träumereien gerissen. Erschrocken sah er auf und stellte zu seiner Überraschung
fest, dass es schon fast zwei Uhr nachts war. Obwohl er ein fast körperliches
Verlangen empfand, an seinem Bild weiter zu arbeiten, gab er der stummen
Aufforderung im strengen Blick seiner Mutter nach und legte seine
Zeichenutensilien beiseite.

Doch
obwohl es bereits so spät war, dauerte es lange bis Christian endlich in einen
von unruhigen Träumen erfüllten Schlaf fand.

Leises
Wasserrauschen drang an sein Ohr, während sich Christian durch Schilf und
Schlamm kämpfte. Immer weiter, ohne zu wissen in welche Richtung er ging. Dichte
Nebelschwaden zogen über den Boden hinweg und versperrten jede Sicht. Das Gehen
fiel ihm zunehmend schwerer, als würde der Weiher selbst ihn festhalten wollen.
Schließlich hörte er – wie aus weiter Ferne – eine vertraute Stimme. Helena!
Leise rief sie seinen Namen und je weiter er ihr folgte, desto leichter kam er
voran. Endlich erkannte er ihre Gestalt. Sie stand im seichten Wasser, umspielt
von leichten Wellen und lächelte ihm zu. Kurz vor ihr blieb Christian mit
rasendem Herzen stehen. Sanft legte sie ihre Hände um seinen Hals und zog ihn
an sich, während ihre seidenweichen Lippen sich den seinen näherten-

Mit
klammen Kleidern schreckte Christian hoch. Er fühlte sich seltsam erschöpft und
die zahlreichen Schweißtropfen, die ihm von Stirn und Armen rannen,
vermittelten ihm ein merkwürdiges Gefühl von Realität. Noch immer schien der
Nebel vor seinen Augen zu schweben. Und langsam und schleichend überkam ihn die
Gewissheit, dass der dichte Dunst nicht nur ein verblassendes Traumbild war.
Selbst das Plätschern des Wassers erfüllte noch immer den Raum.

„Christian…“,
wieder drang Helenas Stimme verschwindend leise durch die Stille. Irritiert
blickte er sich im Zimmer um. Das Rufen schien aus der Ecke zu kommen, in der
sein Schreibtisch stand. Ein Schauer überkam ihn, als er die Quelle des Nebels
und der Stimmen ausmachte. Aus dem aufgeschlagenen Skizzenblock quollen träge
Wolken hervor und waberten über den Fußboden, der kaum noch zu erkennen war.
Erfüllt von einer Mischung aus Angst und Faszination näherte sich Christian
langsam seinem Schreibtisch. Erneut hörte er Helenas Stimme. Diesmal jedoch
flehentlicher und leiser als zuvor.

„Sie
braucht mich!“, schoss es ihm durch den Kopf und alle Angst fiel von ihm ab. Hastig
stürzte er aus dem Bett, ignorierte das eisige Schaudern und stolperte Richtung
Schreibtisch. Doch das Bild, das sich ihm bot, ließ ihn erstarren. Statt der
Zeichnung, an der er noch vor kurzem gearbeitet hatte, blickte er auf die sanft
schaukelnde Oberfläche des Hohenweihers. Fasziniert von dem Anblick, der sich
ihm gerade bot, streckte Christian die Hand aus und zog sie erschrocken zurück.
Sie war nass. Dann – gespenstisch fahl im trüben Wasser – erkannte er ein Paar
seegrüne Augen inmitten einer Wolke goldblonden Haares.

Langsam
hob sich ihr Kopf aus dem Wasser und durch das Bild, während Christian mit
stummen Schaudern zusah. Wie festgefroren beobachtete er, wie Helena –
unverkennbar sie selbst und doch vollkommen anders – dem Skizzenblock entstieg.
Zärtlich legten sich ihre eiskalten Hände um seinen Nacken. Violett verfärbte
Fingernägel zogen ihn näher an ihren von silbrigen Schuppen bedeckten Körper
und er folgte bereitwillig. Wie berauscht gehorchte er ihrer Führung, bis sich
endlich ihre Lippen berührten. Als ihre gräulich-blauen Hände ihn schließlich
unter Wasser zerrten, war Christian bereits vollkommen in ihrem Bann.

Wenige
Stunden später fand ein Spaziergänger seinen Leichnam im Hohenweiher.

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