Der Richter
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Ich bin hier, um euch meine Geschichte zu erzählen. Ich bin Kyle, aber das tut eigentlich nichts zur Sache.
Kennt ihr das, wenn ihr morgens aufsteht und wisst, dass der Tag nicht gut laufen wird? Das irgendwas katastrophal in die Hose gehen wird? Bei mir war es an jenem Tag so.
Ich traf mich mit meinen Freunden, Mike und Brian und wie das nun mal so ist, irgendwann kamen wir halt auf dumme Gedanken. Wir kamen aus einem verschlafenen Dorf und es gab dort relativ am Rand einen alten verlassenen Wohnblock. „Hey Leute“, sagte Mike, als wir gelangweilt durch die Straßen liefen, „Wetten, dass ihr euch nicht traut, eine Nacht in dem Haus zu verbringen?“
Natürlich trauten wir uns nicht. Aber wir hatten auch keine Lust bis in alle Ewigkeiten damit aufgezogen zu werden. Im Nachhinein wäre das wohl besser gewesen. Aber so nahmen wir die Herausforderung an. Als es Abend geworden war, trafen wir uns alle vor dem Haus wieder, jeder mit einem Schlafsack und etwas zu Essen ausgerüstet. „So“, sagte Brian, „Dann lasst uns mal loslegen.“ Als ich das alte Haus ansah, erfüllte mich ein seltsames Gefühl aus Angst und dunkler Vorahnung. Und auch wenn die Anderen es hinter ihrem Lächeln verbargen; es ging ihnen ähnlich. Langsam ließ ich meinen Blick über die dunklen Fenster des Blocks schweifen. Sie waren größtenteils eingeschlagen und die Räume im Inneren mit Graffiti besprüht.
Wir hatten beschlossen uns aufzuteilen. Mike nahm den rechten Eingang, Brian den linken und ich den in der Mitte. Die Tür knarzte als ich sie vorsichtig aufschob, und das Gemäuer sah im Inneren noch verwahrloster aus als vorher. Ich lief ein wenig ziellos durchs Haus auf der Suche nach dem besten Raum, doch sie waren alle gleich schlecht. Ich war kurz davor, einfach so in ein schäbiges Zimmer zu gehen, als ich etwas hörte. Erst war es nur ein kleines Kichern, das vom Dach zu kommen schien. Ich schob es einfach als Einbildung ab, sowas war in dieser Situation ja normal. Aber auch wenn ich so drüber nachdachte, es jagte mir schon eine Scheißangst ein. Ich stürzte einfach in den nächsten Raum und schlug die Tür hinter mir zu. Da stand ich nun, verängstigt von irgendeinem Mausfiepen in einem kahlen Betonraum ausgestaltet mit tollen Kommentaren wie „Jürgen ist dumm“ oder „yolo“. Es versprach also eine ganz fabelhafte Nacht zu werden. Ich rollte meinen Schlafsack aus und aß erst mal was, Angst macht erstaunlich hungrig. So langsam wurde es so richtig dunkel draußen, aber mein Smartphone spendete mir wenigstens etwas Licht. Ich blickte aus dem Fenster in den alten Innenhof des Hauses. Ich sah, wie auch in den anderen Häusern das Licht aus den Zimmern von Brian und Mike schien. Brian zockte auf seinem Handy und Mike stand an seiner Tür. In meinem Augenwinkel warfen die Fliegen Schatten auf die Wand. Gebannt beobachtete ich sie, an der Wand schienen sie riesige Monster zu sein, wie sie da friedlich rumsurrten. Und dann gefror mir das Blut in den Adern.
Ein Schrei schallte durch den ganzen Komplex. Ein Schrei aus purer Verzweiflung. Ich stürzte zum Fenster und sah hinaus. Mir stockte der Atem. Das Licht in Mikes Zimmer war ausgegangen. Wieder überfiel mich eine unbeschreibliche Angst. Ich gebe zu, es war vielleicht etwas übertrieben, aber ich bekam Panik und ich sah, dass es Brian ähnlich ging. Ohne weiter nachzudenken rannte ich los. Ich stürzte aus meiner Tür und sprintete durchs Haus. „Wo zur Hölle ist der verdammte Ausgang?“, schrie ich. Ich fand ihn und nach kurzer Zeit stand ich wieder vor den Häusern. Brian war auch schon da. „Was ist passiert?“, fragte er mich zitternd. „Ich weiß es nicht, da war dieser Schrei und dann…“ „Ja verdammte Scheiße ich weiß. Wir müssen zu Mike!“
„Willst du da echt rein?“, fragte ich stotternd, doch er war schon los. Verängstigt folgte ich ihm. Wir brauchten eine Weile, doch schließlich fanden wir sein Zimmer. Mittlerweile war es unglaublich dunkel, man sah die Hand vor Augen kaum. In seinem Zimmer war alles unordentlich. Der Schlafsack war gegen die Wand geworfen worden und sein Essen lag überall verstreut. „Scheiße, wo ist er?“, fragte Brian hysterisch. „Ich weiß es doch auch nicht!“ „Warum machen wir überhaupt sowas? Dieser Dreck war doch sogar seine Idee.“ „Ja und, das bringt doch jetzt auch nichts.“ Dann waren wir still und sahen uns um. Aber wir bekamen weder mit wie sich die Tür langsam schloss, noch wie eine Person dahinter hervorkam.
„BUH!“, schrie Mike als er hinter der Tür vorkam. Brian und ich bekamen natürlich erst mal einen Schreikrampf. Lachend fragte er: „Na, habt ihr euch etwa erschreckt, ihr Pfeifen?“ Dann bekam er einen Lachkrampf. „Nein, weißt du, wir schreien aus Spaß. Das sind Stimmübungen“, antwortete ich grantig. Wir schafften es noch kurz wütend auf ihn zu sein, dann fielen wir mit ins Gelächter ein. „Also das war es mir definitiv wert“, sagte er, als er sich wieder gefasst hatte, „Ihr hättet eure Gesichter sehen sollen. Ich hab kurz gedacht, ihr würdet nicht kommen.“ „Ich wollte auch nicht so ganz, aber Brian ist einfach losgerannt, ne du?“ „Echt, Alter?“, fragte Mike lachend. Doch er sagte nichts. „Ach komm Brian, es war zwar gruselig, aber jetzt hör doch mal auf so schwer zu atmen.“ Man hörte noch ein letztes Keuchen und dann ein leises Kichern. „Das ist nicht Brian.“ Danach wurde alles schwarz.
Als ich erwachte fühlte es sich an, als würde mein Kopf explodieren. Anfangs war mein Blick noch verschwommen, doch dann sah ich besser. Ich saß in einem kalten Raum, der durch eine einzelne Glühbirne spärlich beleuchtet wurde. Mein Kopf pochte wie wild und als ich ihn nach Wunden abtasten wollte, merkte ich, dass ich gefesselt war. Der Raum hatte nur einen einzigen Ausgang, eine alte verrostete Eisentür. Während ich dort saß und mir Wasser gleichmäßig auf die Hand tropfte, rasten mir tausend Fragen durch den Kopf. „Wo waren die anderen? geht es ihnen gut? Und wo bin ich hier eigentlich?“ Doch ich hatte auf nichts eine Antwort. Also wartete ich. Ich weiß nicht worauf, aber ich wartete. Dann hörte ich wieder dieses Kichern, doch dieses Mal war es ein lautstarkes Lachen, erfüllt mit Zorn und Wahnsinn.
Plötzlich starrte ein trübes Auge durch das kleine Fenster in der Tür, dann wurde sie aufgestoßen. Aus der Dunkelheit dahinter trat ein großgewachsener Mann ins Licht. Er trug eine Jeans und ein schwarzes Hemd und sah so gar nicht aus wie jemand, der Kinder in Keller sperrt. „Na, mein Junge, alles in Ordnung bei dir?“, fragte er beinahe einfühlsam, doch das interessierte mich nicht. „Wer sind Sie?“, schrie ich. „Na, immer mit der Ruhe, alles zu seiner Zeit, ich habe dich gefragt, ob bei dir alles in Ordnung ist“, sagte er diesmal mit mehr Nachdruck. „Ja, ich denke schon“, stotterte ich ein wenig verwundert, „Aber mein Kopf tut etwas weh.“ „Ja, er sieht auch nicht schön aus, aber das tat er ja nie, nicht wahr?“ Ich wollte schon protestieren, aber das interessierte ihn nicht. „Nun, da wir uns ein wenig unterhalten haben, willst du sicher wissen wer ich bin, nicht wahr?“ „Das hab ich doch grad gesagt.“ „Ach echt? Ja, wie auch immer, ich bin der Jürgen und ich weiß, das klingt jetzt nicht besonders gruselig, aber…“ Bevor er aussprechen konnte wurde er gepackt und den Gang entlang zurückgeschleudert.
Nun trat jemand ein, der schon eher nach einem Verrückten aussah. Das Wesen, was auch immer es war, schloss die Tür hinter sich und baute sich vor mir auf. Es trug eine bodenlange schwarze Kutte und hatte sich seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Unter ihr quoll eine Perücke vor, wie man sie von Königen und Komponisten aus dem Barock und sowas kannte. Seine Augen lagen im Schatten und seine spitze Nase versteckte seinen schmalen, zu einem gruseligen Lächeln verzogenen Mund. In seiner einen Hand hielt er einen kleinen Holzhammer, die andere hatte er in seiner Kutte vergraben. „Hallo“, hauchte er mit einer grässlichen Stimme, als wenn man Kreide an der Tafel entlang ziehen und dann überfahren würde, „Du weißt doch sicher was du hier machst, nicht wahr?“ „Nicht wirklich.“ Sein Lächeln wurde breiter. „Noch besser. Dann lass mich etwas ausholen, zu einer Zeit als dieser Komplex gebaut wurde. Weißt du wenigstens, wozu er gut war?“ „Nun ja, es sieht sehr nach Wohnungen aus…“
„Also nicht. Lass es mich dir erklären.“ Plötzlich veränderte sich der Raum. Die Wände verschwanden und wir befanden uns auf einem Friedhof, auf dem kniehoch Nebel waberte. Mühevoll stand ich auf. Als ich wieder zu ihm blickte, war er verschwunden. „So sah dieser Ort noch vor 20 Jahren aus“, hauchte er mir ins Ohr, woraufhin ich erschrocken zusammenfuhr. Doch das schien ihn nicht zu interessieren. „Auf diesem Friedhof lagen die schlimmsten Menschen dieser Stadt. Diebe, Mörder, Vergewaltiger. Das hier war ein Gefängnis und ich war der Leiter. Das ganze Land kannte mich für meine Strenge, Richter Stahl wurde ich auch genannt. Ich machte diesen Ort zur Hölle für die Insassen, doch am Ende waren sie alle geläutert. Ich verhörte sie, ich bedrängte sie, ich belog sie und ich folterte sie. Es war das beste Gefängnis weit und breit. Und dann kam die Katastrophe. Der Sohn irgendeines Industriellen kam hierher und natürlich behandelte ich ihn besonders streng, ich musste ihm seine Dekadenz austreiben. Doch er war nicht wie die anderen.
Er wollte ‚humane‘ Umstände, er wollte Rechte. Dafür ließ ich ihn foltern, immer und immer wieder. Am Ende brach ich auch ihn, doch er war anders. Ich brach nicht nur seinen Willen, auch seinen Verstand. ER hatte Geld, viel Geld, und so bestach er andere Insassen. Weißt du, was sie getan haben? WEISST DU, WAS SIE GETAN HABEN? Sie haben sich umgebracht. Es war eine Parade, aus so gut wie jedem Fenster baumelte eine Leiche. Und das kam raus. Ich verlor alles, meinen Job, meinen Ruf, mein Geld und schließlich meine Familie. Und da schwor ich Rache. Rache an allen Verschwörern. Ich suchte ihre Verwandten, ihre Nachkommen, einfach alle. Es veränderte mich, doch die Rache trieb mich an. Nur noch drei Opfer, dann ist es vorbei.“ Langsam dämmerte es mir. Drei Opfer. „Du glaubst doch nicht wirklich, dein Freund wäre allein auf die Idee gekommen. Euch hierher zu locken? Euch alle in einen Raum zu holen? Nein, ich habe es ihm eingeflüstert, ich habe ihn übernommen, langsam, bis er nur noch eine Marionette war. Sieh es dir an!“ Mit einem Windstoß lichtete sich der Nebel und gab drei Gräber frei. Brian lag schon dort, seine Kleidung war zerrissen und mit Blut getränkt, sein Gesicht war unkenntlich gemacht worden.
Zwei Gräber waren noch frei und zwischen beiden stand Mike. Seine Augen waren leer, es waren nur noch weiße Kugeln und er war über und über mit Blut befleckt. In seiner Hand hielt er ein rotes Messer. Doch das war noch nicht einmal das Schlimmste. Der Wind hatte auch diesem komischen Typen die Kapuze vom Kopf gefegt, und gab preis was er im Schatten versteckt hatte. Wo eigentlich hätten seine Augen sein sollen, war nichts. Er hatte eine riesige Stirn und darunter direkt die Nase. Er machte eine Handbewegung und ich lief wie in Trance auf mein Grab zu. Ich wollte das nicht, ich wollte weglaufen, doch ich konnte mich nicht wehren. Unsanft fiel ich in mein Grab und sah Mike in die weißen Kugeln, die einst seine Augen waren. Ich versuchte gar nicht erst mit ihm zu reden, es hätte ja doch keinen Zweck. Wahrscheinlich hat er mir das Messer damals schnell in die Brust und in den Bauch gerammt, doch für mich war es eine gefühlte Ewigkeit, und so war es quasi eine Erlösung, als das kalte Metall mich durchdrang. Ich nahm den Schmerz kaum war, ich sah noch, wie Mike das Messer kurz skeptisch beäugte und zögerte, sich aber im Endeffekt selbst den Kopf abschlug. Hätte ich zu dem Zeitpunkt noch einen richtigen Magen gehabt, hätte ich mich sicherlich übergeben, aber so sackte ich bloß zusammen und sah noch, wie der komische Typ an mein Grab trat und sagte: „Verfluche deine Vorfahren, verfluche nicht mich, ich bin bloß ‚Der Richter‘.“ Dann wurde alles schwarz.
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