Die Epidemie
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Schweißgebadet wachte ich aus einem merkwürdigen Traum auf. Ich sah auf mein Handy. Samstag, der 18. April 2020. Ich versuchte über den Traum nachzudenken, darüber, ob es wieder ein Alptraum war oder etwas anderes. In meinem Schlafzimmer war es heißer als die letzten Tage. Die Heizung hatte ich sehr hoch gestellt, da es die Vortage kalt war und ständig nur regnete. An diesem Tag war es hingegen viel wärmer als zuvor. Der Frühling hatte angefangen und von einen auf den nächsten Tag herrschten 10 Grad Unterschied. Also ging ich davon aus, dass mich mein Traum zwar verwirrte, aber kein richtiger Alptraum war, drehte die Heizung runter und öffnete das Fenster. Der Frühling kam tatsächlich rasend schnell, kaum bemerkbar. Blumen, Bäume und Wiesen blühten in allen möglichen Farben, Kinder spielten auf dem Rasen und Jacken wurden ebenfalls zuhause gelassen. Eines fehlte mir: Vogelgezwitscher. Ich suchte nach den Vögeln, die jedes Jahr ihre klassische Gesangsvorstellung präsentierten. Einige saßen auf den Bäumen, rührten sich jedoch nicht und starrten lediglich hinab auf den Boden. Gut, vielleicht kam ihnen der Frühling wie es scheint doch etwas zu schnell, dachte ich mir und nahm mir vor, ihnen noch einige Tage Zeit zu geben, um mir wie jeden Frühling aufs Neue, jeden Morgen als Wecker zu dienen. Ich wandte mich ab, bereitete mir mein Frühstück zu, gab meinen Kaninchen, die gemeinsam mit mir wohnen, ein fröhliches „Tschüss, ihr Süßen“ und machte mich auf den Weg in die Stadt.
Auf dem Weg in mein Lieblingscafé „Blumenröster“ traf ich auf meine Nachbarin, Sophia, mit ihrem sonst so aufgeweckten Hund und begrüßte sie. Wir verstanden uns sehr gut und unternahmen immer wieder etwas. Sie wurde zu einer Art besten Freundin für mich, als sie einer der ersten Menschen war, denen ich mich outete und die mich so akzeptierte, wie ich bin. Charly, ihr Golden Retriever, starrte an diesem Tag ebenfalls auf den Boden, statt mich mit einem wilden Schwanzwedeln und auf mich springen zu begrüßen. Sophia musterte meinen Blick und meinte etwas traurig, dass sich Charly seit dem Vorabend schon so merkwürdig verhalten würde. Sie würde den Tierarzt besuchen, um nachzusehen, was nicht stimme.
Im Café angekommen bemerkte ich zwei weitere, mir fremde, Hunde, die genau das Gleiche wie Charly taten: sie starrten ausdruckslos auf den Boden.
Ich versuchte, ein paar Tage darüber zu schlafen und beruhigte mich selbst, in dem ich mir einredete, dass ein plötzlicher Klimawechsel die Tiere wohl stärker treffen würde als den Menschen. Schließlich fing ich an, mich an meine merkwürdigen Träume zu erinnern. In den Träumen fuhr ich zu dem Wald, der rund eine halbe Stunde mit dem Rad von meiner Wohnung entfernt lag, welchen ich tatsächlich regelmäßig besuchte, um in Ruhe nachdenken zu können, wenn mein Kopf vor lauter Gedanken wieder kurz vor einer Explosion stand. Der Wald in meinen Träumen wurde allerdings immer düsterer und der Platz, an dem ich regelmäßig saß, wurde zu einem immer größer werdenden schwarzen Loch, welches von Traum zu Traum immer größer wurde. Hätte ich in der Wirklichkeit nicht ebenfalls Änderungen festgestellt, hätte ich diese Träume möglicherweise einfach als Träume abgestempelt und nicht weiter nachgeforscht. Auch meine beiden Kaninchen fingen an, sich immer merkwürdiger zu verhalten, auch, wenn – das muss man dazu sagen –sie ohnehin nicht unbedingt die Intelligentesten waren. Was sie diesmal taten lag allerdings weit über dem, was sie sonst immer taten. In den ersten Tagen fingen sie an, sich gegenseitig hinterherzujagen und sich zu zwicken, was soweit noch vollkommen in Ordnung war, denn das taten sie ohnehin immer wieder, gaben sich für gewöhnlich kurz darauf ihre „Kaninchenbussis“ und säuberten sich gegenseitig. In den nächsten Tagen bemerkte ich, dass diese Reinigung und ihre Zuneigung gegenüber ausblieb. Auch Sophie erzählte mir, dass Charly aggressiver ihr gegenüber wurde, was er sonst nie tat. Charly war gewissermaßen einer der friedlichsten Hunde, die ich je gesehen hatte und kannte. Zu hören, dass er anfing, Sophie zu beißen und weiterhin – abgesehen von dem Beißen – nur auf den Boden starrte, kaum aß und auch nicht mehr Gassi gehen wollte, wunderte mich beträchtlich.
Mein Freund, Christopher, kam vorbei und hörte sich meine Besorgnisse an. Er riet mir, meine Mutter anzurufen und ihr davon zu erzählen, denn er glaube nicht daran, dass etwas Bewegendes passieren würde und meinte nur, es sei eine Art Virus, den die Tiere erwischt hätten – wie auch zB bei der Vogelgrippe – , welcher bald wieder vorbeigehen würde.
Ich rief also meine Mutter an und erzählte ihr alles, was bisher geschah und was mir aufgefallen ist. Sie meinte, so etwas Ähnliches von mir käme ihr bekannt vor, grübelte kurz und erwähnte dann China:
Anfang 2002 erzählten mir meine Eltern, wir würden Ende des Jahres nach China fliegen, um ein wenig neue Kultur zu erleben. Damals war ich gerade erst neun Jahre alt geworden und freute mich irrsinnig auf diesen Ausflug, da ich, seit ich lesen konnte, bereits mehr Interesse für die Kultur und Geschichte aufbringen konnte, als für Freunde oder anderen nicht-bildenden Aktivitäten. Meine Eltern hatten immer wieder versucht, mich von den Büchern wegzubringen und mich dazu zu bringen, sozialen Aktivitäten nachzugehen. Nach endlosen misslungenen Versuchen haben sie es aufgegeben und vermutlich darauf gehofft, dass sich das mit dem Alter wieder legen würde. Diese introvertierte Eigenschaft ist mir allerdings bis heute, 17 Jahre später, immer noch geblieben.
Wie dem auch sei; kurze Zeit, nachdem ich von unserem geplanten China-Trip erfahren hatte, begannen meine Träume. Ich sah Menschen, die nach Luft rangen, zu Boden fielen. Sie zeigten keinerlei Reaktionen mehr, außer einem kurzen, letzten Atemzug. Eine Woche lang hatte ich diese Träume und wusste nicht, was sie bedeuten sollen. Im letzten und siebten dieser Träume hatte sich nicht viel verändert. Die einzige nützliche Information, die ich aus diesem Traum erhielt war die China-Flagge.
Ich teilte meinen Eltern meinen immer wiederkehrenden Traum mit und bat sie, dieses Jahr auf den Ausflug zu verzichten und diese Reise nächstes oder übernächstes Jahr anzutreten. Für gewöhnlich würden meine Eltern nicht auf diesen Rat hören, wäre er von meiner älteren Schwester, Lucy, gekommen. Zu wissen, dass ich um Nichts auf der Welt auf diese Reise verzichten würde, es sei denn, etwas Ernstes würde mich davon abhalten wollen, hat sie stutzig gemacht und sie hatten den Flug sowie den Hotelaufenthalt in China storniert.
Wenige Monate später am Abend unserer eigentlich geplanten Anreise sahen wir gemeinsam die Nachrichten. Was wir dort sahen, entsetzte und erleichterte uns zugleich. Es wurde davon berichtet, dass eine Menge Menschen bereits gestorben seien und das aufgrund eines Virus, eines schweren akuten Atemwegssyndroms, welches sich über mehrere Kontinente rasend schnell verbreitete und unzählige Menschenleben kostete. Es handelte sich dabei um die SARS-Pandemie.
Meine Mum schlug mir vor, sie und Dad zu besuchen, sodass wir alles noch einmal genau und in Ruhe besprechen können. Ich sollte Chris doch auch mitnehmen, wenn er wolle.
Als ich alle meine Sachen packte und bereit war, zu gehen, entdeckte ich einen faustgroßen Blutfleck am Eingang des Zimmers von Cullen und Eva, meinen beiden Kaninchen. Bei näherem Betrachten sah ich Cullen, aus wessen kleinem Kaninchenhals Blut floss und sich eine Lache um seinen Kopf bis hin zu seinen Vorderpfoten bildete. Bevor ich einen Angstschrei ausstoßen konnte, stand Eva mit blutverschmiertem Mund vor mir und starrte mich – mit ihren eigentlich noch normal wirkenden großen Kaninchen-Augen – an.
Ich konnte nicht fassen, was passiert ist und kniete mich auf den Boden, als im selben Moment die Eingangstür aufging und mein Dad hereintrat. Er riss mich vom Boden, schloss die Kaninchenzimmertüre zu und zog Chris und mich aus der Wohnung. Tränen strömten mir die Wangen runter und ich hatte das Gefühl, den Zugang zur Realität verloren zu haben, als ich die Worte meines Dads hörte: „Es tut mir so leid, Alex. Ich wusste sofort, dass Etwas nicht‘ stimmt, als Mum mir von eurem Gespräch erzählt hatte. Sophia rief mich vorhin an, weil sie solche Angst vor Charly hat. Mitten im Gespräch hörte ich einen Schrei von Sophie. Ich habe fünf Minuten gewartet und wirklich gehofft, dass nichts passiert ist und mich dann aber auf den Weg zu ihr gemacht. Ihre Tür stand sperrangelweit offen, also bin ich reingegangen. Alex, Sophia ist tot, offensichtlich hat ihr Charly die Arme rausgerissen und ihr die Hälfte ihres Gesichts runtergefressen. Ich weiß nicht, was hier los ist, es wird aber keine Zeit mehr sein, um das jetzt noch zuhause zu besprechen. Wir werden sofort in den Wald fahren, den du erwähnt hattest. Deine Mum wartet im Auto.“ Er sah zu Chris „Chris, kommst du mit?“
Chris war jetzt genauso erstarrt wie ich, wenn nicht sogar etwas mehr. Ich musste mich fassen, ich musste einen klaren Verstand bekommen. Ich blickte zu Chris und sagte ihm, er muss einen kühlen Kopf bewahren. Chris blinzelte ein paar Mal und sagte ganz ruhig, dass es klar ging.
Beim Auto angekommen sah ich Mum, die gerade versuchte, ihre Betroffenheit wegen Sophia zu vertuschen. Wir setzten uns zu ihr ins Auto und fuhren die halbe Stunde schweigsam in Richtung des Waldes. Als wir ausgestiegen waren, fragte Dad, was wir weiter tun würden. Lucy war diesmal auch dabei und erkundigte sich bei mir, was genau passiert sei. Sie wusste, was passiert ist, Mum musste es ihr erzählt haben, vermutlich konnte sie das alles selbst noch gar nicht glauben und fragte mich deswegen selbst. Ich erzählte ihr alles von Anfang an, von den Träumen, von den Veränderungen, von den Tieren. Ich hatte nur ein Detail ausgelassen, was ich allen von ihnen nun anfing mitzuteilen.
Es waren nicht nur die Tiere, die sich verändert hatten. Es waren auch die Menschen. Ich hatte gesehen, wie eines der Kinder, welche auf dem Rasen vor unserem Wohnkomplex spielten, ein Junge, einem anderen Kind, einem Mädchen, ein Stück Haut hinausbiss. Normalerweise kann es vorkommen, dass sich Kinder beißen. Der Junge jedoch hatte ein apfelgroßes Stück hinausgebissen, spuckte den Hautfetzen auf die Wiese und war bereit, zu einem weiteren Bissen anzusetzen, als die Mutter des Mädchens, dessen Arm betroffen war, den Jungen förmlich wegschleuderte. Der Junge grinste nur. Er sollte eigentlich schwer verletzt sein von dem Stoß, doch er grinste nur, rappelte sich auf und lief davon. Die Eltern des Jungen suchten ihn daraufhin die nächsten paar Tage, doch fanden keine Spur. Niemand wusste, wo er hin war.
Nicht nur das war merkwürdig. Ich war viel in der Stadt unterwegs und obwohl die Leute immer versuchten, solche Geschichten so geheim wie möglich zu halten, bekam ich dennoch Einiges mit. Als ich meine Friseurin kurze Zeit nachdem das alles angefangen hatte, traf, erzählte sie mir, dass ihre Tochter versuchte, ihren Mann mit der Schere zu durchbohren. Ihr Mann hätte sie darum gebeten, damit aufzuhören, als sich ihre Tochter die Schere in den Oberschenkel rammte und ebenfalls weglief. Mit Panik in ihrer Stimme erzählte sie mir weiters, dass sie ihre Tochter seither jeden Tag und jede Nacht suchten, ohne Pause, aber sie war verschwunden und es gab keine Spur von ihr.
Eine etwa 40-jährige Dame, welche aussah, als wäre sie Teil der Roma und Sinti, erschien hinter uns und räusperte sich. Sie machte darauf aufmerksam, alles gehört zu haben, was ich erzählt hatte und sagte, dass ihr ebenfalls Dinge aufgefallen seien. Nicht nur bei den Kindern und den Tieren. Auch die Pflanzen hatten etwas Merkwürdiges an sich. Erst dachte sie, Teenager würden dieses Ereignis ausnutzen, um ihr und ihren Nachbarn, welche Großteils Pensionisten waren und die Kinder förmlich anschrien, leise zu sein, wenn sie im Hof spielten, Angst einzujagen, bis sie außerhalb ihres Wohnkomplexes genau dasselbe bemerkte. Blumen verwelkten, aus den Baumrinden trat eine Tinktur aus und auch die Blätter verfärbten sich vereinzelnd rot. Dies geschah alles derart langsam und dezent, dass es kaum jemandem auffiel. Makayla, so war ihr Name, tat sich gut darin, sich in allen möglichen Angelegenheiten einzumischen und wusste daher Dinge offensichtlich schon, bevor sie überhaupt geschahen, wie diesmal auch, so erzählte sie.
Zu sechst machten wir uns nun auf den Weg in den Wald hinein. Keine zehn Meter vor dem Platz aus meinem Traum sah ich, wie düster alles eigentlich war. Überall zwischen den Bäumen, die mit schwarzer Flüssigkeit beschmiert waren, lagen schwarze Säcke. Makayla, Chris, meine Eltern und Lucy blieben stehen, ich allerdings ging weiter. Bei genauerer Betrachtung dieser Säcke stellte ich fest, dass diese schwarzen Säcke alle Tiere waren. Einige von ihnen lehnten über einem anderen Tier, knabberten an dessen Hals, am Bauch und auch am Fleisch der anderen bereits toten Tiere. Die meisten waren es jedenfalls. Je tiefer ich hinein ging, umso mehr von ihnen sah ich. Rehe, Hasen, auch ein paar Hunde aus der Stadt hatten sich hineinverirrt und fraßen sich gegenseitig auf. Keines zeigte auch nur das geringste Interesse an mir, sie schienen ganz gut mit sich selbst beschäftigt zu sein.
Prompt nahm ich einen unangenehmen, fauligen Geruch wahr. Als ich an einen der Bäume näher trat, bemerke ich, dass der Geruch von ihnen kam. Offensichtlich weniger direkt von den Bäumen und mehr von dieser unbekannten schwarzen Flüssigkeit.
Knappe drei Meter vor meinem Lieblingsplatz, als auch dem Platz aus meinem Traum, musste ich die Taschenlampe meines Handys einschalten, denn sonst wäre ich in vollkommener Dunkelheit umhüllt gewesen trotz der Tatsache, dass es mitten am Tag war. Als ich das tat, sah ich weitere Tiere. Schlangen, Katzen, Schweine, auch wieder Hunde und Hasen sowie Rehe konnte ich erkennen. Nun fraßen sie sich nicht gegenseitig, sondern fraßen sich ihre eigene Haut von den Knochen, bohrten in ihren eigenen Eingeweiden herum, als würde es ihnen absolut nichts ausmachen. Man sah ihnen ihre Schwäche in ihren Augen an, ihren bevorstehenden Tod und dennoch fraßen sie weiter und zogen sich all ihre Innereien heraus. Ich musste mir die Hand vor den Mund halten, um mich nicht sofort zu übergeben. Nicht nur der Anblick war abscheulich, auch der Gestank war grauenhaft.
Ich musste meinen Blick von ihnen abwenden, um zu sehen, was ich eigentlich die ganze Zeit vor mir sah – das schwarze Loch. Es war bereits größer als in meinen Träumen. Aus ihm floss genau dieselbe schwarze Tinktur, wie sie aus den Bäumen kam. So muss sie wohl ins Innere der Bäume gelangt sein: durch die Erde und die Wurzeln.
Keinen knappen Meter vor dem Loch hörte ich plötzlich eine Mischung aus mehreren Grummen und Summen gleichzeitig. Kurz darauf folgte ein lautes Knacken, als wäre ein dicker Ast gebrochen. Ich blickte zurück und sah Makayla wie sie mit ihrem linken Arm ihren rechten Arm dreht. Knochen brechen. Sie drehte und drehte ihn und immer wieder war dieses Knacken zu hören. Dieses Knacken, das jeden ihrer letzten Knochen in ihrem Arm und ihrer Schulter brechen ließ. Sie grinste dabei als hätte sie gerade ein wunderschönes Geschenk bekommen, das ihr überaus gefällt, grummte und summte gleichzeitig weiter. Ihr floss schwarze Lauge aus ihrem Mund, aus ihrer Nase und ihre Augen färbten sich rot und es sah aus, als wäre sie ganz wo anders.
Lucy starrte sie an und fing an zu schreien. Sie schrie, sie würde zurück ins Auto und nachhause gefahren werden wollen. Weg von hier, weg von dieser fremden, merkwürdigen Frau und fuchtelte mit vollkommener Panik mit ihren Händen in der Luft. Unerwartet hingen ihre Arme auf einmal nach unten. Die Panik wich aus ihrem Gesicht und formte sich zu einer Ausdruckslosigkeit wie sie bei den Tieren vorerst zu sehen war. Plötzlich fing sie an, zu grinsen, zog ihr Taschenmesser, welches sie immer bei sich trug, raus und stach sich mit dem Messer, welches darauf war, in ihr Auge. Sie grummte und summte voller Freude und begann sich mit ihren Fingern ihren Augapfel herauszuziehen. Mum wollte sie dabei stoppen, flehte sie mit Trauer in der Stimme an, damit aufzuhören. Lucy packte Mum, warf sie auf den Boden und rannte auf Chris zu. Sie stach auf ihn ein, packte auch ihn an der Schulter und biss ihn in den Hals. Sie riss ihm ein riesiges Stück aus dem Hals und spuckte dieses auf den Boden, woraufhin Chris zu Boden sackte. Lucy wandte sich zu Dad und machte sich bereit, loszurennen. Ein Revolver, den ich vorher noch nicht sah, lag plötzlich in Dads Hand und bevor ich auch nur ein einziges Wort von mir geben konnte, schoss er mit diesem los. Er schoss Lucy in ihr Knie, sodass sie nicht mehr laufen konnte und stürzte sie somit zu Boden. Auch er hatte nun nach Allem Tränen in den Augen, versuchte diese dennoch gut zu verstecken. Er zog ein Seil aus seiner Jackentasche und bindete Lucy am nächstgelegenen Baum fest, sodass sie sich nicht weiter bewegen konnte. Ihr Bein verarztete er und sagte ihr immer wieder, wie Leid es ihm tue und er es tun musste.
Als er fertig war, wandte er sich zu mir, dann zu Mum. Über Mum waren zwei Katzen, die den Großteil ihres Gesichts bereits abgefressen hatten. „Verdammt, Mum!“ schrie ich und versuchte, die Katzen wegzuscheuchen, war mit dieser Aktion bereits zu spät.
Makayla lag ebenfalls am Boden, sich ihren zweiten Arm ebenfalls herausgerissen. Wie sie das tat, kann ich nicht nachvollziehen, aber sie musste an ihrem übermäßigen Blutverlust (und wohl den Schmerzen) gestorben sein. Zumindest sah sie so aus, als wäre sie tot.
Nun waren es nur noch Dad und ich und Lucy, aus deren Augen ebenfalls schon Flüssigkeit heraustrat. Auch Lucy roch nach Verwesung, summte lauter als zuvor und starrte Dad und mir mit einem breiten Grinsen abwechselnd direkt in die Augen. Sie versuchte, sich aus der Fesselung zu befreien, was ihr nicht geling und mit einigen Knacken verbunden war. Dad war früher bei den Pfadfindern und wusste daher sehr gut, wie er einen Knoten binden muss, sodass dieser nicht so leicht aufging.
Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, welche mich nach vorne riss, weg von all den Leichen. Panik stieg wieder in mir auf, der Wille nach Flucht und Abwehr stieg in mir auf und wurde immer stärker, bis ich sah, dass es Dad war. Er befahl mir, mit ihm gemeinsam zu dem Loch zu gehen, denn jetzt sei es ohnehin schon zu spät, um zurückzukehren. Nach all den Opfern müssten wir herausfinden, was es mit diesem Loch auf sich hat. Also gingen wir gemeinsam in Richtung dieses düsteren außerirdisch wirkenden Lochs. Als wir dort angelangt sind, machte ich einen Schritt hinein. Ich trat in die Dunkelheit und im selben Moment blickten alle Tiere und auch Lucy auf. Alle Augen waren nunmehr auf mich gerichtet und konzentrierten sich stark darauf, was ich als Nächstes tun würde. Auch Dad wurde blieb den starrenden Blicken nicht verschont. Ich machte einen weiteren Schritt nach vorne. Dad tat es mir gleich und setzte seinen ersten Schritt an, um ebenfalls in die Dunkelheit zu steigen. Im selben Moment liefen alle Tiere auf uns zu, knurrten und grummten und sprangen auf Dad, die ihn allesamt zerfetzten, als wäre er bloß ein Stück Fleisch, um das sich alle streiten. Als ich mich umdrehen und vergeblich versuchen wollte, Dad zu retten, packte mich etwas an meinem Fuß und zerrte mich direkt in das Loch hinunter. Mit einem letzten Blinzeln erblickte ich Makayla mit beiden Armen an ihrem Körper aufrechtstehend und mir leicht grinsend, diesmal ohne Wahnsinn in ihren Augen, hinterhersehend bevor ich ganz im Unteren verschwand.
Ich kniff die Augen zusammen. Es war blendend hell. Ein paar Sekunden später nachdem ich mich an das Licht gewohnt hatte, blickte ich auf mich herab. Überall klebte Blut auf mir, vermischt mit dieser schwarzen verwesend riechenden Flüssigkeit, als etwas meinen Namen rief. „Alex, kannst du mich hören?“ fragte mich eine sehr düstere Stimme, die ich nicht wiedererkannte. Als ich aufblickte, sah ich eine gut zwei Meter große, weiße Gestalt, aus wessen Körperöffnungen dieselbe Schwärze floss. Sie bedeckte beinahe den ganzen Körper dieser Gestalt, dennoch konnte ich erkennen, dass die eigentliche Haut, falls man es Haut nennen kann, weiß gefärbt war. Wieder hörte ich die Stimme. „Alex, erinnerst du dich an China? 2002?“. Ich schluckte, dachte kurz nach und nickte. Was soll das hier? fragte ich mich. Warnt mich die Gestalt? Bei genauerer Betrachtung sah ich die Traurigkeit in den Augen dieser Gestalt, welche ihre Worte nur noch einmal wiederholte und mich warnte, mich darum bat, ihr zu helfen. Als ich sie gerade fragen wollte, bei was ich ihr helfen sollte, verfinsterte sich alles um uns herum. Nicht allzu weit entfernt musterte ich eine weitere Gestalt. Eine Gestalt, in deren Gesicht nichts außer Hass und Wut steckte. Eine Gestalt, über die dasselbe floss wie über die andere Gestalt, war ihre Haut nicht weiß, sondern pechschwarz, wenn man denn überhaupt noch etwas unter diesem feuchten Element erkennen konnte.
Die schwarze Gestalt rannte mit dem wütendsten Blick, den ich je gesehen hatte, auf mich zu. Alleine der Ausdruck fühlte sich wie ein Schlag ins Gesicht, wie mehrere Schläge auf meinem ganzen Körper, an. Die weiße Gestalt umarmte mich und plötzlich wachte ich in meinem Bett auf. Ich blickte auf mein Handydisplay. Dienstag, 22. Jänner 2019. Ich rief meine Eltern an, stellte fest, dass es ihnen gut geht und fragte nach Lucy, der es ebenfalls gut geht. Auch Chris rief ich an, welchen ich mit 6:30 Uhr viel zu früh anrief, denn er hatte sich gerade eben schlafengelegt, um sich von seiner Nachtschicht zu erholen. Er murmelte zwar etwas genervt vor sich, dennoch schien es ihm gut zu gehen, also legte ich auf und ließ ihn weiterschlafen.
Als ich aus meinem Schlafzimmer trat, hoppelten Cullen und Eva um meine Füße herum und erwarteten von mir, ihnen Karotten zu geben. Ich streichelte Evas und Cullens Kopf und bereitete ihnen ihre Karotten zu, welche sie mit vollem Genuss innerhalb von zwei Minuten verschlungen hatten.
Alles schien gut zu sein. War wohl nur wieder ein blöder Traum, dachte ich mir und machte mich auf dem Weg in die Stadt, um meinen freien Tag zu genießen.
Im Fenster eines Ladens spiegelte sich hinter mir eine bekannte Person mit kaltem, aber gleichzeitig besorgtem Blick, eine Dame mittleren Alters. Wer diese Frau war, konnte ich nicht sagen, ich spürte, dass sie mich ansah und niemanden sonst, denn ich war die einzige Person vor dem Laden sowie in meinem nahen Umkreis. Ich schloss kurz die Augen und überlegte, von wo ich sie kennen würde. Freunde meiner Familie schloss ich aus, denn diese hatten ganz andere Freunde, welche allesamt aus dieser Stadt stammten. Diese Frau schien jedoch nicht von hier zu sein. Sie wirkte wie jemand, der nicht lange in derselben Stadt blieb und schon sehr viele Länder und Orte gesehen hatte. „Makayla!“ flüsterte ich aufgeregt in mich hinein. Als ich die Augen öffnete war sie verschwunden und ich bemerkte, wie der an der Wand des Ladens nebenan angekettete Hund ausdruckslos auf den Boden starrte.