Dunkle Zeiten
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Der Sklavenhändler ist in der Stadt. Diejenigen, die etwas erweben wollen, tummeln sich um den Schwarzhändler, die anderen versuchen, sich zu verbergen; ob in ihren Häusern oder in angrenzenden Gassen, denn vor den gierigen, dicken Fingern des Mannes mittleren Alters ist niemand sicher. Er dreht einem nicht nur Menschen, sondern alles an, was er zu bieten hat, und nein zu sagen wagt niemand.
Unter den Erwebenden befindet sich nun auch James, ein Mann mit dem Ruf eines durchtriebenen Sadisten; mächtig noch dazu. Er besitzt einiges an Land, Bediensteten und allem voraus: Geld. Er ist es gewohnt, zu bekommen, was er will.
Geschrieben wird das Jahr 1889. Eine Zeit, die dunkler ist, als sie den Anschein erweckt. Selbst die Gelehrtesten vermögen nicht über alles Bescheid zu wissen, was sich abspielt in der Dunkelheit der Gassen, die einen Platz für diejenigen mit gewissen Vorlieben bieten. Angepriesen werden sie; die in Lumpen Gekleideten, bereits Geschändeten, darauf Wartenden, dass sich ein gutes Herz ihrer annimmt und ihr Leid beendet.
Derjenige, der nun von dem jungen Mann ausgewählt wird, der sich als einziger seines Alters noch dort herumtreibt, wird dieses Glück wohl nie erfahren. Er ist mit bereits in frühen Kindheitsjahren ergrautem Haar, einer von Natur aus schlaksigen Statur und einem scheinbar unbrechbarem Willen gesegnet, und wird als Dritter unter fünf ausgewählt, auf das mickrige Podest zu steigen, von welchem aus die Sklaven präsentiert werden. Er fällt dem Jungen schon früh ins Auge; noch bevor seine nackten Füße das raue, splitterreiche Holz betreten. Die Auktion verläuft schnell, James bietet direkt den Höchstsatz, was bei seinem Vermögen kein Problem darstellt und so wird die Hoffnung des mit Narben bedeckten Jungen beerdigt, bevor er es überhaupt zur Kenntnis nehmen kann.
Er vernahm ein melodisches Summen, als er langsam wieder zur Besinnung kam. Das letzte, an das er sich erinnern konnte, war das Holz, welches sich in seine Hornhaut bohrte, während er erneut auf das Podest hatte steigen, und sich besehen lassen müssen, wie er es schon unzählige Male zuvor getan hatte, ohne auch nur einen Funken Widerwillen zu zeigen und die Rufe aus der Kehle des Mannes, der ihn erworben hatte.
Es war schwer gewesen, seinen Willen zu unterdrücken. Anfangs. Er hatte geschrien, sich gewehrt, gezetert, doch mit der Zeit war ihm klar geworden, dass es das nur noch schlimmer machte. Also fügte er sich jedes Mal aufs Neue, stieg auf das Podest, ließ sich betasten, teilweise sogar begrabschen, bis irgendjemand sich dann entschied, ihn mitzunehmen und sich zu halten, bis dieser jemand seiner müde geworden war und ihn zurück zu Ole, dem stämmigen, muskelbepackten Händler schickte.
Er hatte schon viel erlebt, vieles durchmachen und ertragen müssen, und dieses Summen, welches immer mehr Präsenz in seinem Kopf erlangte, ähnelte einem Dröhnen in seinem abgestumpften Verstand. Er nahm es zwar in seiner vollen Melodie wahr, doch er ignorierte es, so, wie er alles um sich herum ignorierte. Hoffnung auf Freiheit war ihm immer geblieben, doch nur tief in seinem Innersten existierte sie, eingebettet in steinharter Willenskraft und Ignoranz, die sie vor dem Verderben beschützten. Niemand durfte sehen, dass er sie besaß, ansonsten war er nur noch schlimmer dran.
„Ah, wach bist du! Ich dachte, das Mittel sei zu stark gewesen!“
Die Stimme, die nun das Summen unterbrach, erschien ihm wie die eines alten, erfahrenen Mannes, doch er hörte auch eine Abfälligkeit heraus, die nur Menschen jungen Alters oder geringer Reife ausdrücken können; was dazu führte, dass er die Augen öffnete und sich umsah, denn das Unbehagen, das diese Stimme in ihm auslöste, war nicht länger zu ignorieren.
Was er sah, war in Nebel getaucht. Er erkannte nur schemenhafte Silhouetten der Dinge, oder Menschen, die ihn umgaben.
„Schöne Augen hast du,“ erklang diese Stimme wieder und nun wendete Matthew seinen Blick nach rechts, aus der sie zu kommen schien und versuchte, etwas zu erkennen. Die Überraschung zeigte sich in seinem Blick – bei dem Verkauf hatte der junge Herr doch ein wenig älter ausgesehen; oder hatte er sich das bloß eingebildet? Derjenige, der nun vor ihm stand, war ein Mann, nicht viel älter als er, wie es schien. Um seine scheinbar wertvollen Klamotten, sofern er das einschätzen konnte, trug er eine Schürze aus einem knisternen Material, und in der linken Hand hielt er einen Gegenstand, den Matt nicht identifizieren konnte.
Er runzelte die Stirn. Was hatte er gerade gesagt? „Schöne .. Augen?“, krächzte er zurück. Seine Stimme war heiser, seine Kehle trocken. Wie lange war er bewusstlos gewesen? Er verspürte ein penetrantes Kratzen und großen Durst in der Kehle.
„Ja, sie glänzen. Du versteckst etwas. Etwas, das kein anderer Sklave nach Jahren der Unterdrückung noch besitzt. Zumindest keiner, den ich bisher getroffen habe. Das, was du verbirst, ist wunderschön.“
Matthew wusste nicht, was er meinte. Er runzelte die Stirn und sah ihn fragend an. Diese Szene war bizarr, aber ihm nicht unbedingt fremd. Viele seiner ‚Herren‘ hatten gewisse Vorlieben, für die ihnen ihre Gattinnen (oder Gatten) zu schade waren.
Matthew merkte, dass seine Hände und Füße taub waren und schloss daraus, dass er gefesselt worden war. Zur Überprüfung versuchte er, sie zu bewegen, und erhielt Bestätigung. Sein Blick wanderte wieder zu dem Schwarzhaarigen, der den Gegenstand hob, den Matthew noch immer nicht erkennen konnte. Der Mann schüttelte den Kopf. Sein Blick war tadelnd.
„Oh, Matt, lüg mich nicht an. Ich erkenne sie, wenn sie da ist.“
Seinen Namen. Er kannte seinen Namen. Woher? Niemand kannte ihn! Er war nirgends verzeichnet, da er, um mit dieser Welt klarzukommen, sein Ich sicher bei seiner Hoffnung verschloss.
Der schlanke, großgewachsene Kerl kam auf ihn zu und erst jetzt erkannte Matthew, dass die Augen seines Käufers denen eines Albinos glichen. Auch seine Hautfarbe wies darauf hin. Was war das nur für ein Ding in seiner Hand?
„Du möchtest nicht antworten? Nun gut, es hätte sowieso nichts geändert.“ Wie eine Schere schnappte der Gegenstand in der blassen Hand des Schwarzhaarigen auf und zu, während dieser auf ihn zuging, bis er ganz nahe an den an die Wand gefesselten Knaben herangetreten war. Er roch gut, nach Kräutern, deren Geruch Matthew kaum zuordnen konnte. Irgendwie paradox, dass jemand, der so sprach und die Welt so anblickte, so einen guten Geruch verströmte.
Jetzt, wo er so nahe war, redete keiner von den beiden mehr. Matthew wusste, dass es besser war, einfach den Mund zu halten, und zu ertragen, was er erwartet, wenn ein Kerl wie dieser plötzlich still wurde und ihn so betrachtete. Doch als der rotäugige Kerl das tat, wofür er näher zu Matthew getreten war, riss dieser den Mund auf und schrie. Schrie um seiner Schmerzen Willen, schrie um Hilfe, obwohl er wusste, dass sie nicht kommen würde, und schrie um das Augenlicht, welches er in dieser Nacht verlor.