ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Türchen 7
Autor: RookieNightmare
Ein ganz besonderes Geschenk
„Verdammt!“ Wieder einmal griffen meine gefühllosen Finger in nasskaltes Elend. Mühsam richtete ich mich auf und klopfte vergebens ein paar Mal auf meinen mittlerweile tauben Beinen herum, um zumindest ein wenig des Schnees loszuwerden. Der Großteil hatte sich jedoch bereits zu dem riesigen nassen Fleck gesellt, der ursprünglich meine Jeans darstellte. Schniefend gab ich den Versuch auf und wackelte vorsichtig mit den Zehen. Der scharfe Schmerz, der daraufhin in meine Füße schoss, bewies immerhin, dass sie noch nicht völlig zu Eis erstarrt waren.
„Komm schon, du lahme Ente! Bei dem Tempo kommen wir nie an!“
Ed war bereits einige Meter vorausgelaufen und wartete nun feixend darauf, dass ich zu ihm aufschloss.
Bibbernd blies ich etwas warme Luft in meine steifen Hände und warf ihm einen, wie ich hoffte, vernichtenden Blick zu. Wenn Blicke doch nur wirklich töten würden. Da sie das leider nicht konnten, zumindest zeigte Ed keine Anzeichen spontaner Selbstauslöschung, machte ich mich stöhnend und fluchend wieder daran, ihm zu folgen.
„Diese blöde Schrottkarre. Muss natürlich ausgerechnet jetzt den Geist aufgeben. Und warum zum Teufel bleiben wir nicht auf dem Weg, wie jeder normale Mensch?“
Ich schnauzte nur vage in seine Richtung, während ich versuchte, die unkontrollierten Muskelzuckungen in meinem Brustkorb unter Kontrolle zu bekommen. Neidisch blickte ich zu meinem Vordermann, der es wieder einmal geschafft hatte, sämtliche Katastrophen auf mich abzuwälzen, während er mit schlafwandlerischer Sicherheit durch das dichte Unterholz zu marschieren schien.
„Weil mittendurch nur halb so lang ist wie außen rum, das habe ich dir schon mindestens tausend Mal gesagt. Jetzt sei doch nicht so ein Spielverderber! Du meckerst schon, seit wir losgelaufen sind, und dabei ist die ganze Aktion doch auf deinem Mist gewachsen!“
Ich versuchte erneut, ihn mit Blicken zu erdolchen, konzentrierte mich aber schnell wieder darauf, mir in diesem Meer aus Todesfallen nicht sämtliche Knochen zu brechen.
„Ich weiß auch, dass es meine Idee war! Konnte ja niemand ahnen, dass die Klapperkiste gerade heute über den Jordan geht, wo ich ein Geschenk für Cindy besorgen wollte.
Zum gefühlt hundertsten Mal stolperte ich und küsste den Schnee. Der Geschmack von Erde, Moos, Tannennadeln und anderen Dingen, über die ich lieber nicht so genau nachdenken wollte, hatte es sich schon vor Stunden auf meiner Zunge gemütlich gemacht. Mittlerweile bezweifelte ich, dass ich ihn je wieder loswerden würde.
Gerade als ich mich wieder in eine halbwegs aufrechte Position manövriert hatte, bemerkte ich einen dunklen Schemen aus dem Augenwinkel und reagierte instinktiv. Prompt verlor ich wieder das Gleichgewicht. Diesmal landete ich zur Abwechslung auf dem Hintern, auf dem sich sofort die bekannte eiskalte Nässe breitmachte. Der Ast, dem ich so elegant ausgewichen war, wippte fröhlich auf und ab, als würde er sich über mich lustig machen. Langsam hatte ich wirklich genug.
Ich setzte gerade zu einer weiteren Schimpftirade an, da unterbrach mich mein ach so lustiger Weggefährte auch schon. „Jetzt hör gefälligst auf, hier den schwarzen Peter zu spielen, und sieh dich mal richtig um! Merkst du nicht, wie schön es hier ist?“
Für einen Moment wollte ich meinen Ohren nicht trauen. Schön? Hatte er gerade ernsthaft dieses tiefgefrorene Höllenloch als schön bezeichnet?
„Wir laufen seit wasweißichwielange durch einen gottverlassenen Wald. Meine Hände sind vollkommen taub, meine Schienbeine morgen definitiv voll mit blauen Flecken, meine Turnschuhe mittlerweile komplett am Arsch und meine Eier spüre ich seit einer halben Stunde nicht mehr! Was zum Henker soll daran denn bitte schön sein?“
Erst jetzt bemerkte ich, dass wir wieder stehengeblieben waren. Vor uns lag der Rand einer nahezu kreisrunden Lichtung. Auf der freien Fläche standen nur vereinzelt ein paar Sträucher, alles war dick in wattiges Weiß gepackt. Kein Geräusch war zu hören. Der jungfräuliche Schnee reflektierte die silbernen Strahlen des Vollmonds, als lägen Tausende von Diamanten in ihm versteckt und warteten nur darauf, von tapferen Abenteurern entdeckt zu werden. Ein siegessicheres Lächeln auf den Lippen, sah Ed mich erwartungsvoll an. Ich verkroch mich tiefer in meinen Schal und grummelte etwas Unverständliches. Er kannte mich einfach viel zu gut.
Eine Weile standen wir stumm da. Ich saugte den Anblick in mich auf und versuchte die immer lauter werdenden Beschwerden meines geschundenen Körpers zu unterdrücken. Plötzlich ertönte irgendwo links von uns ein lautes Knacken. Erschrocken fuhr ich herum. Das Knacken wiederholte sich. Kam näher. Meine übersprudelnde Fantasie überschüttete mich mit Horrorszenarien. In meinem Kopf sprangen unzählige der grässlichsten Kreaturen aus dem Dickicht, die geifernden Mäuler weit aufgerissen, bereit, mich mit einem einzigen Happs zu verschlingen!
Schweiß sammelte sich trotz der Kälte auf meiner Stirn. Meine Knie wurden weich wie Wackelpudding. Nervös sah ich zu Ed. Er war schon immer der Mutigere von uns beiden. Auch jetzt stand er vollkommen ruhig da, den Blick in Richtung der immer lauter werdenden Geräusche gerichtet. Schritte. Menschliche Schritte. Sobald ich diese einfache Wahrheit realisiert hatte, verflog meine wachsende Panik. Mit Menschen konnte man reden. Mit Menschen konnte man umgehen. Alles kein Problem. Nun beinahe ebenso ruhig wie Ed, beobachtete ich, wie ein Schemen auf die Lichtung trat und das malerische Bild mit ein paar ungelenken Schritten zerstörte. Was ihm einen missbilligenden, in der Dunkelheit jedoch unsichtbaren Blick von mir einbrachte. Ich konnte mit Menschen umgehen, ja. Das hieß aber noch lange nicht, dass ich sie auch mochte.
„Hey, ich hab‘ dich fluchen gehört! Hätte nich‘ gedacht, dass sich noch jemand hier draußen die Nüsse abfriert. Kannst du mir ungefähr sagen, wo ich gerade bin?“
Die Stimme klang, als könnte sie erst seit kurzem bei einer Kontrolle im Club ihren echten Ausweis benutzen. Trotz der schlechten Sicht betrachtete ich den Schemen näher und erkannte in ihm einen schlaksigen Jungen, der etwa im gleichen Alter zu sein schien wie wir. Seine Gliedmaßen bewegten sich ungelenk, so, als hätte er den letzten Wachstumsschub nicht ganz verarbeitet und wüsste immer noch nicht so recht mit seiner, jetzt wohl endgültigen, Größe umzugehen. Nicht sehr bedrohlich, selbst in einer solchen Situation. Meine Selbstsicherheit zurückgewinnend antwortete ich ihm, bevor Ed irgendetwas Dummes sagen konnte.
„Dasselbe könnten wir auch sagen, du hast uns ’nen ganz schönen Schrecken eingejagt.“ Ed schnaubte. Okay, er hatte mir einen Schrecken eingejagt, aber das war nun wirklich nicht der springende Punkt. „Was machst du hier draußen?
Er zuckte mit den Schultern als Antwort. „Mutprobe. Einmal quer durch den Wald. Eigentlich ganz easy, aber irgendwie habe ich mich komplett verirrt. Hat auf der Karte alles viel einfacher ausgesehen. Und vor allem kürzer.“
„Wie lange bist du denn schon unterwegs?“
Wieder zuckte der Angesprochene mit den Schultern, die nur mäßig von einer zu dünn aussehenden Jacke gegen die Kälte geschützt waren. Was ihm allerdings nichts auszumachen schien. „Kein Plan. Losgelaufen bin ich, als es dunkel wurde, also so gegen 5, denke ich. Die anderen haben mir mein Handy abgenommen, damit ich nicht cheate und Maps nutze oder so‘n Scheiß, also hab‘ ich keinen blassen Schimmer, wo oder wie lange ich schon hier drin bin. Du hast nicht zufällig deins dabei, oder?“
Von einem Fuß auf den anderen tretend, um meine Zehen zumindest nicht komplett erstarren zu lassen, schüttelte ich den Kopf. Ich besaß nicht einmal ein Handy. Gäbe ja sowieso niemanden, den ich anrufen könnte. Außer meiner Cindy natürlich, aber die hatte für technische Dinge sowieso keinerlei Verwendung. „Leider nicht. Aber eine Armbanduhr kann ich anbieten. Warte, es ist jetzt…“ Angestrengt kniff ich die Augen zusammen und versuchte in dem diffusen Zwielicht, welches vom Schnee geschaffen wurde, die Ziffern meiner Uhr zu erkennen. „…kurz nach sieben.“
„Das heißt, ich laufe hier seit über 2 Stunden durch die Pampa?“
„Jap. Normalerweise braucht man, selbst wenn man es schafft, sämtliche Wege zu verfehlen, kaum mehr als eine Stunde hier durch. Wo musst du denn hin?“ Ich versuchte mich auf den Jungen zu konzentrieren, wurde aber von Ed abgelenkt, der hinter dessen Rücken seltsame Verrenkungen aufführte. Spaßvogel. Seinetwegen hätte ich auch fast nicht zugehört, als der Name des Ortes fiel, von dem aus wir zu unserer unfreiwilligen Nachtwanderung aufgebrochen waren, und er konnte sich einen Kommentar offensichtlich nicht länger verkneifen.
„Du bist die ganze Zeit im Kreis gelaufen, Alter. Wie orientierungslos kann man denn bitte sein?“ Der Angesprochene hielt es offenbar nicht für nötig, sich zu seinem Gesprächspartner umzudrehen. Seine Antwort ging also in meine Richtung. „Ach ja? Und was ist mit dir? Du weißt natürlich ganz genau, wo du bist, deshalb läufst du auch mitten durchs Gestrüpp, anstatt den Weg zu nehmen wie jeder normale Mensch.“ Ich schaffte es gerade so, Ed keinen vielsagenden Blick zuzuwerfen. In dem Zwielicht hätte er ihn ohnehin nicht gesehen.
Um den offenbar genervten und deswegen ziemlich schnell angepissten Typen nicht noch mehr zu reizen, übernahm ich wieder das Reden. „Tatsächlich wissen wir, wo wir sind. Das Auto hat auf halbem Weg den Geist aufgegeben und wir sind unterwegs zum nächsten Ort. Bezüglich der Weg-Sache: mittendurch ist nur halb so lange wie außen rum.“ Das waren zwar Eds Worte und ich stimmte nicht im Ansatz mit ihm überein, aber das war eine Sache zwischen uns und gehörte nicht vor Fremden ausgetragen. Der besagte Fremde schien mir aber sowieso nicht zugehört zu haben.
„Was redest du eigentlich ständig von wir? Hängt hinter dir in den Schatten noch irgendwer rum?“ Verwirrt blickte ich zu Ed, der mittlerweile wieder neben mir stand und nur die Schultern zuckte. Offenbar wusste er auch nicht, was plötzlich in den Kerl gefahren war. „Ich weiß nicht, was du meinst. Außer uns drei ist niemand sonst hier.“ Jetzt war es offenbar an ihm, verwirrt zu sein. „Drei? Hast du einen an der Waffel, oder so?“ Mit einem Mal schwand die Aggressivität aus seiner Stimme und er wich etwas zurück. „Hör mal, ich will keinen Stress. Sag mir einfach, wie ich wieder in die Zivilisation komme, und ich bin weg, okay?“
Hier lief eindeutig irgendwas schief und ich hatte keine Ahnung, was. Hatte der Kerl was genommen? Bekam er Halluzinationen? Könnte es sein, dass er gleich auf uns zustürmen würde, weil er uns für Dämonen oder irgendwas anderes Abgefahrenes hielt? Die Angst von vorhin machte sich wieder bemerkbar. Sie kroch langsam meine Beine hoch und arbeitete offenbar mit der Kälte zusammen, denn ich konnte mich keinen Millimeter bewegen. Zu meiner Überraschung war es Ed, der zur Deeskalation ansetzte. Langsam ging er auf unser Gegenüber zu, während er mit möglichst ruhiger Stimme auf ihn einredete. „Hey Kumpel, ganz ruhig. Es ist alles in Ordnung. Wir werden dir nichts tun.“
Offenbar bewirkte Eds Beruhigungsversuch das genaue Gegenteil. Der Typ, dessen Name wir nicht kannten, wich weiter zurück. Plötzlich stolperte er über irgendetwas. Sein Bein rutschte weg, er verlor das Gleichgewicht und schlug mit einem dumpfen Geräusch auf dem Waldboden auf. Noch bevor ich wusste, wie mir geschah, war ich schon da und beugte mich über ihn. Er lag reglos da, die Augen geschlossen. Einzig das flache Heben und Senken seines Brustkorbes deutete darauf hin, dass er noch lebte. Ich wollte mich gerade einer Welle der Erleichterung überlassen, als sein Atem stockte. „Was? Nein, komm schon!“ Panisch versuchte ich ihn aufzuwecken. „Hey, hey. Komm schon! Wach auf, sag irgendwas!“ Sein Kopf rollte schlaff von einer Seite auf die andere, als ich begann, ihn zu schütteln. Das durfte nicht wahr sein. Nicht nochmal, es durfte nicht wahr sein. „Ben.“ Das war Ed. Ich reagierte nicht. „Ben! Verdammt noch mal, hör mit dem Quatsch auf!“
Ruckartig wurde ich von dem leblosen Körper weggerissen. Tot. Er war tot. Und ich hatte nicht einmal seinen Namen erfahren. Ein schmatzendes Geräusch riss mich aus meinem Zustand. Ed hatte sich über den Jungen gebeugt, seine Arme bewegten sich, als würde er sich mit irgendetwas abmühen. Das Schmatzen wurde von einem Schaben abgelöst. Ein lautes Knacken ließ mich zusammenzucken. Dann war alles still. „Ed?“ Meine Stimme klang schwach und zittrig. „Ed, was machst du da?“ Ein Teil von mir wusste es bereits, noch bevor ich die Frage ausformuliert hatte.
„Wonach sieht es denn aus? Ich besorge das Geschenk für Cindy.“ – „Aber, ich meinte doch nicht…“ Eds höhnischer Blick traf mich bis ins Mark. „Was, wolltest du in einen von diesen Billigdiscountern und ihr irgendein Krebs- und antibiotikaverseuchtes Zeug von der Stange mitbringen?“ Mein Blick fiel auf seine Hände. Sie schimmerten schwarz im Mondlicht, ebenso wie das Messer, das sie hielten. Wut kam in mir auf, als ich es erkannte. „Du hattest das die ganz Zeit vor!“ Dabei hatte er es doch versprochen…
Seelenruhig drehte sich Ed wieder zu dem Körper um. Das Schmatzen ging weiter. „Ich habe versprochen,
Ich schüttelte den Kopf, als ich spürte, wie Eds verdrehte Logik in meinen Verstand eindrang. Aber irgendwie ergab es ja Sinn. Technisch gesehen hatten wir den Kerl nicht umgebracht. Das Einzige, wofür man uns drankriegen könnte, wäre Leichenschändung, und da hatten wir definitiv Schlimmeres auf dem Kerbholz. Außerdem… Ed und ich hatten nicht viel, worin wir uns einig waren. Aber Cindy liebten wir abgöttisch. Ed würde alles für sie tun. Und ich. Ich würde ihn alles tun lassen, nur um zu sehen, wie sie sich mit ihrem kleinen Stummelschwanz fast verrückt wedelte vor Freude.
Als die Geräusche endlich aufhörten und ich das schwarz schimmernde Herz in meinen Händen betrachtete, musste ich Ed mal wieder Recht geben. Cindy würde es lieben.