Ein kleines Geschenk
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Hallo Freunde. Bestimmt kennt ihr alle genau so gut wie ich
all die kleinen netten Geschichtchen, die man hier so häufig findet, handelnd
von einem ungeliebten, gehänselten und verachteten Kind. Natürlich entwickelt
ausgerechnet dieses Kind dann unfassbare dunkle Kräfte oder ein
unkontrollierbares Verlangen zu töten. Natürlich auch verbunden mit
übermenschlichen Kräften und dem Verlust des Schmerzempfindens. Ihr wisst
sicherlich wovon ich rede. Nun, nicht nur wir kennen diese Erzählungen, auch Harry
kannte sie. Er war einer ihrer unzähligen Fans, hatte sich sogar selbst an
einer versucht, aber um ehrlich zu sein, besonders gut gemacht war sie nicht.
Das hatte auch den einfachen Grund, dass er sich einfach nicht in eine solche Person
hineinversetzen konnte. Schließlich hatte er es ja auch nie gemusst, er war
sowohl der größte als auch der sportlichste Junge seines Jahrgangs und ,wie
einige fanden, auch der bestaussehendste. Er war auch ein hervorragender
Schüler, hatte eines der hübschesten Mädchen der Schule zur Freundin, er war
alles in allem das Idealbild eines Jugendlichen, alle Mädchen wollten ihn und
die Jungs wollten so sein wie er. Und das war auch der Grund, warum er die
folgende Wende, die sein Leben nehmen sollte, beim besten Willen nicht begreifen
konnte.
Ich weiß, was ihr denkt. Nein, seine Freundin wird ihn weder
betrügen wodurch er, resultierend aus seiner unfassbaren Liebe, einen riesigen
Hass auf seine gesamten Mitschüler bekommt und sie alle umbringt. Und nein, es
wird auch kein von ihm gemobbtes Kind irgendwelche dunkle Magie erlernen und
ihn töten oder verfluchen oder sonst was tun. Mobben war eh nicht so sein Ding.
Nicht, dass er es nie gemacht hätte, aber er mochte es nicht besonders. Wie auch
immer, es trug sich in der letzten Woche vor den Sommerferien zu, die Sonne
wärmte die Erde und das Herz, sie alle feierten ausgelassen und schon bald
würden sie ihr letztes Schuljahr erreicht haben. Es war ein unglaubliches
Gefühl der Kraft, der Freiheit und des Gewissens, bald alles tun zu können, worauf
man schon immer einmal Lust gehabt hatte. An jenem Abend war er grade mit
Melanie, seiner Freundin, auf dem Weg zu einer Party. Die Straßen flimmerten im
roten Licht der untergehenden Sonne und die alten Bäume am Rand warfen ihre
mächtigen Schatten auf die Flecken Asphalt, die den ganzen Sommer über noch
keinen einzigen Sonnenstrahl gesehen hatten. Die Vögel zwitscherten munter vor
sich hin und alles schien die perfekte Kleinstadtidylle zu wahren. Doch als sie
grade in eine Querstraße abbiegen wollten, bemerkte er etwas im schmalen
Schatten einer noch recht jungen Birke, die wie die vollkommene Unschuld
zwischen all den gewaltigen und eindrucksvollen Bäumen emporwuchs. Genau an
dieser Stelle, dort, wo der Schatten am hellsten und das Licht am nahsten war,
lag völlig unberührt ein kleines Kästchen. Harry konnte es schon von Weitem
erkennen und wollte es, wie jeder andere Mensch, der heute schon daran
vorbeigelaufen war, einfach ignorieren. Falls jemand von euch jetzt denken mag,
die Schatulle hätte ihn in ihren Bann gezogen, zu einer Marionette des Bösen
gemacht und die Apokalypse herbeirufen lassen, so irrt ihr euch. Denn er
ignorierte es wirklich einfach. Fürs erste.
Die Sonne streckte schon ihre ersten Strahlen über den
Horizont, als Harry sich auf den Weg nach Hause machte. Die Party war ganz gut
gewesen, sie hatten viel gelacht, viel getrunken und alles in allem eine schöne
Nacht gehabt. So lief er nun also seinen Rückweg entlang, als sich der Gedanke
an die Schatulle in seinen benebelten Verstand schlich. Sofort hatte er das
Gefühl, aus irgendeinem kruden Grund wieder schärfer zu denken, sobald er sich
ihr Bild ins Gedächtnis rief, doch das verflog schnell wieder. Er war viel zu
betrunken, um tatsächlich einen klaren Gedanken zu fassen. Nichtsdestotrotz
hielt er an der jungen Birke kurz inne, ließ seinen Blick umherschweifen, bevor
er sich dann schlussendlich seinem Haus näherte und der Gedanke an die Schatulle
von der Sehnsucht nach seinem kuschligen Bett verdrängt wurde. Als er wenige
Stunden später seine Augen aufschlug, hatte sich nicht viel verändert. Das
Sonnenlicht fiel durch sein Fenster und erhellte das ganze Zimmer, während die
munteren Vögel von draußen es beschallten. Und noch bevor er sich an der
Schönheit dieses Augenblicks erfreuen konnte machte sich ein dumpfer Schmerz in
seinem Kopf breit. Wer jetzt denkt, irgendein böser Geist habe ihn infiziert
und übernehme nun langsam die Kontrolle über seinen Körper, der irrt sich. Er
hatte einfach nur einen gehörigen Kater. Seine Blicke schweiften durch sein
Zimmer, er sah alles so, wie es sein sollte: seinen mehr oder weniger
aufgeräumten Schreibtisch, seine strahlend weiße Schrankwand, die Bilder von
ihm und allen die ihm wichtig waren und hinten, in der letzten Ecke fand sich
auch ein kleines bisschen Chaos, denn dort hatte er vorhin nur schnell seine
Sachen und das Kästchen hingeworfen. Ja,
du hast richtig gelesen. Das Kästchen. Es lag dort feinsäuberlich auf all der
zusammengeknüllten Kleidung. In diesem Augenblick stellte sich Harry die
gleiche Frage, wie einige von euch: Wie
kam das denn bitte dahin? Hatte er es doch gefunden und mitgenommen? Er wusste
es selbst nicht (offen gesagt hatte er eh nur wenige Erinnerungen an diese
Nacht), aber trotz seiner Kopfschmerzen nutzte er die Gelegenheit, es einmal
näher zu betrachten. Es war eine ungefähr faustgroße Kiste, mit allerlei
merkwürdigen Ornamenten verziert und in den herrlichsten Farben bemalt. Es
leuchtete in tiefstem Rot, hellsten Gelb, reinsten Orange, stärksten Grün und
vollkommensten Türkis. Das klingt jetzt bestimmt komisch, aber es gehörte zu
den schönsten Dingen, die er je gesehen hatte. Mittlerweile hatte er es auf
seinen Schoß gelegt und, wie jeder andere in dieser Situation wohlmöglich auch,
brannte er darauf, es zu öffnen. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, er stellte
sich vor, es enthielte Gold, Edelsteine oder Diamanten, aber stattdessen war es
bis zum Rand voll mit… nichts. Ja, das Kästchen war vollkommen leer.
Natürlich fragt ihr euch jetzt, wo dort der Grusel ist, wo
ist die Spannung, das finstere Mysterium, der düstere Fluch, warum zur Hölle
erzähle ich euch das eigentlich alles? Nun ja, der Grund ist ganz einfach. Ich
habe euch eingelullt, habe euch ein nahezu perfektes Leben gezeichnet, euch von
der durchzechten Nacht eines jungen Erwachsenen erzählt und euch hungrig auf
etwas Dunkles und Schreckliches gemacht. Und wieso? Damit ihr abgelenkt seid!
Du, mein verehrtester Leser, bist in diese Fantasiewelt geflohen, hast deine
Umwelt völlig vergessen und dich von Allem abgekapselt. Du hast nicht bemerkt
wie ich deine Tür aufgebrochen hab, du hast weder die verzweifelten Schreie
noch das ängstliche Flehen deines Mitmenschen gehört. Du wolltest etwas
Düsteres und da hast du es! Ich hoffe, dass dir mein kleines Geschenk Freude
bereitet und es ist mit Sicherheit auch viel spannender, als eine Geschichte,
die du irgendwann durchgelesen hättest. Nun darfst du es alles erleben. Die Angst, die Verzweiflung, den Tod deiner Lieben und die Rachegedanken. Deine Seele wird ihre tiefsten Abgründe entdecken, deine gesamte Existenz wird zerfressen sein vom Zorn auf deine eigene Untätigkeit und von Neid auf alle die anderen, die noch haben, was du dir selbst für immer verbautest. Nun erlebst du es alles. Es war
mir eine Ehre und ein unvergleichliches Vergnügen. Adieu.