Eine Gruselgeschichte – Verschwommen
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Am liebsten würde ich mich umdrehen und weglaufen. Weg von diesem Ort, raus aus dieser Stadt, am besten auch noch aus dem ganzen verdammten Land, einfach so viel Abstand wie möglich zwischen mich und die Kreatur bringen, die ich mit meinem Blick fixiert halte. Doch ich bewege mich nicht. Kein bisschen. Meine Glieder wollen mir nicht gehorchen, mein Füße nicht meine Befehle befolgen. Oder will ich insgeheim selbst nicht, dass sie es tun? Ich bin mir gar nicht mehr so sicher.
Wozu sollte ich denn noch rennen? Würde es etwas bringen? Ich habe diesen Frankenstein für Bescheuerte umgelegt, seine Krankenschwester, die halb Supermodel und halb tollwütiger Dämonenrottweiler war, wieder in den Kreis der Hölle befördert, aus dem sie gekrochen kam, nur um dann von diesem Psycho am Telefon belästigt zu werden, der in seiner Freizeit Menschen aufschlitzen lässt und Dinge grundlos mit Eis überzieht. Dann bin ich aus dieser Horrorklinik gestolpert, die daraufhin verschwunden ist, damit ich jetzt hier stehen konnte. An einer der belebtesten Kreuzungen der Stadt, diese Monstrosität im Auge, wie ein kleiner Junge beim Verstecken seinen Verfolger. Und wie dieses dämliche Kind bin ich ebenfalls völlig überrascht, als die Kreatur sich umdreht und plötzlich meinen Blick erwidert.
Ihre eisblauen Augen scheinen mich zu durchbohren, von den gebleckten Reiszähnen fließt der Geifer nur so in Strömen herunter. Ihre Haut hat einen unangenehmen Rotton, als hätte man jemanden mit Sonnenbrand noch durch ein Bad aus Chilisoße gezogen, um ihn danach mehrere Stunden in einem Ofen gar werden lassen. Das dunkle Haar hängt nur noch in Büscheln von ihrem Haupt, welches das Wesen in einer buckligen Haltung vor sich herträgt. Ich sehe es an. Es sieht mich an. Ich wage es kaum, zu blinzeln, und mein Gegenüber auch nicht. Oder es hat keine Augenlider, beides scheint eine reale Möglichkeit zu sein. Obwohl die zweite Option deutlich wahrscheinlicher erscheint, warum sollte so eine Ausgeburt der Grässlichkeit auch Angst vor mir haben? Das ist schließlich völlig abwegig.
Oder ist es das? Ich weiß zwar nicht, woher ich mir die Zeit dafür nehme, doch ich komme ins Grübeln. Gedankengänge, für die ich mir am liebsten mehrere Stunden Ruhe
genommen hätte, rasen nun binnen Millisekunden durch meinen Schädel. Mein Freund am Telefon, Fleischmann, der hatte speziell mich als Opfer gewollt. Nicht irgendeinen Depp in einer Bar, nicht einen der vielen Kerle, den die teuflische Roxanne ihm hätte bringen können. Nein, er wollte mich. Warum wollte er mich? Konnte es sein, dass ich etwas Besonderes an mir hatte, von dem ich bis jetzt nichts gewusst hatte? Etwas, dass mich für das Ritual, das dieser Sektenführer und Halbtagseismann vorbereitete, prädestinierte? Etwas, dass diesem Ding dort so viel Angst machte wie es mir?
Die Antwort darauf kommt schneller und deutlicher, als ich erwartet hätte, denn genau in dem Moment, als ich die letzte Frage in meinem Hirn formuliert habe und meine Hoffnung es gewagt hat, ihre zarten Flügelchen zu regen, stürmt diese Kreatur auch schon auf mich zu. Es gleitet durch die Menge, als würden die Menschen um es herum gar nicht wissen, dass es da ist. Als würden sie es nicht bemerken. Es windet sich durch die Menge, und ich schreie innerlich danach, mich endlich bewegen zu dürfen. Zu laufen. Zu rennen. Zu flüchten. Aber ich tue es nicht. Anscheinend habe ich meine Dosis Adrenalin für heute bereits verbraucht. Komisch, dabei hatte ich doch so einen ruhigen und entspannten Tag gehabt. Als es nur noch zehn Meter von mir entfernt ist und ich bereits hören kann, wie sich auch von anderen Seiten Kreaturen auf mich zu bewegen, die die Erde unter dem Klang ihrer unzähligen Hufe erzittern lassen, reißt das Vieh seine Arme nach oben. Alle beide. Oder sind es vier? Nein, acht. Ganz sicher. Oder doch sechs?
Ich kneife die Augen zusammen, obwohl das eigentlich gar nicht nötig sein dürfte. Es ist nur noch sieben Meter oder so entfernt. Aber dennoch, irgendwie wirkt es nicht richtig. Es fällt so aus dem Bild, wie eine sich bewegende Person auf einem Foto. Es ist keine 20 Fuß mehr weg, aber dennoch erscheint es nicht so, wie es sollte. Irgendwie verschwommen. So surreal wie diese gesamte Situation. Wahrscheinlich eine Nachwirkung einer der weiß Gott wie vielen Drogen, die man mir in diesem versifften Drecksloch verpasst hat. Aber hat Frankenstein Junior nicht gemeint, er hätte mir keine Schmerzmittel verpasst? Ich schließe die Augen, um meinen Blick zu klären und meinem Untergang wenigstens noch klar ins Auge sehen zu können. Wenn ich schon nicht weglaufen kann, dann möchte ich wenigstens die Kreatur sehen, die mich erledigen will. Vielleicht kann ich es ihm dann in der Hölle heimzahlen oder so.
Doch als ich die Augen wieder öffne, ist es verschwunden. Beziehungsweise nicht mehr das, was es noch vor dem Bruchteil einer Sekunde war. Denn dort, wo gerade eben noch eine hungrige, bucklige Vogelscheuche aus dem Jenseits gestanden hat, steht nun eine junge Mutter mit ihrem Kinderwagen. Ich sehe mich um. Nichts zu sehen, keine Spur von den anderen Wesenheiten, deren Atem ich doch gerade noch im Nacken gespürt habe. Als hätten sie sich alle in Luft aufgelöst. Das kann doch nicht sein! Ich mag vielleicht einen harten Tag hinter mir gehabt haben, mit allem möglichen Kram, den ich noch gestern für unmöglich gehalten habe, aber das? Nein, das kann nicht sein. Ich weigere mich, zu glauben, dass mir mein Kopf so einen Streich spielen würde. Das ist schlicht und ergreifend nicht möglich. Diese rote Kakerlake war eben noch da. Genauso wie ihre Ungezieferfreunde! Was ist denn hier los? Ich drehe mich mehrmals um die eigene Achse, in der panischen Hoffnung, irgendeine Erklärung dafür zu finden. Denn auch wenn ich mir augenblicklich bewusst darüber werde, wie verrückt das klingt, doch das Fehlen dieser Viecher ist ehrlich gesagt noch grusliger als ihre Anwesenheit.
Als ich aufhöre, mich zu drehen, sieht mich die Mutter mit ihrem Kinderwagen, die vor wenigen Sekunden noch gar nicht da gewesen war, mit einem verwirrten und besorgten Blick an. Ich schaue zurück, doch welcher Ausdruck auch immer in diesem Moment auf meinem Gesicht liegt, er reicht aus, um sie mit ihrem Kinderwagen umdrehen und verschwinden zu lassen. Sie geht, ich bleibe, angewurzelt wie ein Baum inmitten der Hunderten Menschen, die an mir vorbeiwuseln. Wie ist das möglich? Ich stütze mich mit meiner Hand in meine Seite und beginne zu überlegen. Und dann, auch wenn ich das gar nicht mehr für möglich gehalten habe, erstarre ich noch ein kleines Stückchen mehr. Denn obwohl ich meine Hand in meine frisch operierte Seite stemme, verspüren ich nicht den geringsten Schmerz. Mir bleibt nur noch der erstaunte Blick auf meinen unversehrten Oberkörper, bevor die Illusion der heilen Welt um mich herum wortwörtlich verschwimmt.