
Lavender-Duft Der Duft des Bösen
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Als meine Großeltern das alte Farmhaus am Rande des Blumenfeldes für unsere Familie kauften, war es wie ein Neuanfang für uns. Wir hatten nach einem Hausbrand alles verloren und die Versicherung wollte den Schaden nicht regulieren. Einige Zeit wohnten wir bei unseren Großeltern, die es uns auch ermöglicht haben, dieses alte Farmhaus hier zu kaufen.
Die endlosen Reihen blühender Pflanzen erstreckten sich wie ein Meer der Farben, das sich fast bis in den Horizont erstreckte. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als wir zum ersten Mal hier ankamen. Den schweren Duft der Blumen habe ich heute noch in der Nase, wenn ich an den ersten Tag zurückdenke.
Ich bin Larissa. Ich war 18, als wir hier eingezogen sind. Über einen Arbeitskollegen meines Vaters wurden wir auf dieses Haus aufmerksam. Da wir wie bereits erwähnt bei einem Hausbrand unser gesamtes Hab und Gut verloren hatten, mussten wir eine Zeit lang bei meinen Großeltern leben. Klar, ich liebte meine Großeltern genauso sehr wie ich meine Eltern liebte, aber es war eine anstrengende Zeit. Wir mussten unser Leben komplett nach dem von unseren Großeltern ausrichten. Da dies aber nicht für immer so sein sollte, waren wir froh, als der Arbeitskollege meines Vaters uns auf dieses Haus aufmerksam gemacht hatte.
Als wir dann zum ersten Mal das alte Farmhaus besichtigten, sahen wir, dass noch einiges am Haus getan werden musste. Doch wenn wir alle mit anpacken würden, wären die Renovierungsarbeiten schnell abgeschlossen.
Meine Mutter war begeistert von den Möglichkeiten, die dieser Ort versprach, und meine jüngere 10-jährige Schwester Lea rannte sofort in das Blumenfeld und jauchzte dabei vor Freude.
Bei einem gemeinsamen Abendessen machten meine Großeltern den Vorschlag, uns ein privates Darlehn für das Haus zu gewähren. Dieses sollten wir in Form eines Mietkaufes bis zu Ihrem Tod an Sie zurückzahlen. Wir waren begeistert von der Großzügigkeit von Ihnen, und meine Eltern stimmten der Bedingung zu.
Das Farmhaus selbst war wie schon erwähnt alt und renovierungsbedürftig, aber mein Vater sah das Potenzial darin. Er war schon immer ein Träumer gewesen, einer, der in den einfachsten Dingen dieser Welt die Schönheit fand. Meine Großeltern kauften das Haus und wir zogen Anfang Juni ein. Die ersten Wochen vergingen in hektischer Arbeit – Renovierungen, das Einrichten und sich einleben.
Da unser Haus auf dem Land lag, kamen nach und nach die Dorfbewohner und erzählten uns Geschichten über das Haus, das Blumenfeld und über die vorherigen Besitzer. Aber auch dass Menschen hier auf mysteriöse Weise verschwunden seien. Wir hörten gebannt den Geschichten zu, aber lachten am Ende hinter verschlossener Tür darüber und hielten es für eine Art Aberglauben der älteren Dorfbewohner. Wie falsch wir doch lagen.
Es war ein sehr heißer Sommer und die Nächte drückend warm. An Schlafen war nicht zu denken. Die Zirpen der Grillen im Blumenfeld hielten einen zusätzlich noch wach. Als sich jedoch der Sommer seinem Ende entgegen-neigte, kehrte endlich etwas Stille ein. Doch es waren auch jene Nächte, in denen das Unheil unsere Familie heimsuchte.
In der ersten kühleren Nacht, als sich die Stille nach einem heftigen Unwetter über das Land legte, begann etwas Merkwürdiges.
Es fing alles damit an, dass nach dem Regen die Blumen intensiver rochen als den ganzen Sommer über. Doch etwas war anders. Ein betörender und intensiver Duft von Lavendel machte sich breit und überdeckte den Duft der anderen Blumen.
Er schlängelte sich förmlich durch das Haus. Doch ich wusste, dass in dem Blumenfeld kein Lavendel wuchs. Schließlich bin ich mit meiner Schwester Lea sehr oft durch das Blumenfeld gelaufen und weit und breit haben wir keinen Lavendel gesehen. Trotzdem war der Duft so stark und intensiv, dass ich am nächsten Tag oft aus meinem Zimmer ging, um nach seiner Quelle zu suchen. Ich vermutete, dass meine Mutter Lavendelduftsäckchen gekauft hatte und diese in den Schränken lagen, um die Motten von den Kleidern fernzuhalten, und ich ließ es auf sich beruhen.
Doch meine Mutter bemerkte es auch. „Riecht ihr das?“, fragte sie eines Abends beim Abendessen. Mein Vater nickte, seine Stirn war dabei in Falten gelegt. „Vielleicht hat jemand in der Nähe Lavendel gepflanzt“, antwortete er meiner Mutter darauf. Er tat es aber als belanglos ab und wir verbrachten den restlichen Abend mit einigen Familienspielen.
In der nächsten Nacht hörte ich zum ersten Mal die Geräusche. Ein leises Wispern, das durch mein offenes Fenster drang, als ob jemand in einem fremden Dialekt sprach. Ich konnte die Worte nicht verstehen, aber sie hinterließen ein Gefühl der Beklemmung. Lea, die das Zimmer neben meinem hatte, kam zu mir. Sie klopfte an meine Zimmertür und öffnete diese. Ihre Augen waren vor Angst geweitet. „Hörst du das auch?“, fragte sie mich leise. Ich nickte nur und schaute zum Fenster herüber. Ich fragte Sie, ob sie die Nacht bei mir schlafen wollte, und sie stimmte zu.
Am nächsten Morgen fragten wir unsere Eltern, ob sie dieses leise Wispern auch gehört hatten, doch diese verneinten dies.
Einige Nächte später wurde ich durch ein seltsames Licht geweckt, das durch mein Fenster schien. Ich stand auf und sah aus dem Fenster hinaus. Im Blumenfeld war eine Gestalt zu sehen, die sich langsam bewegte und fast zwischen den Blumenreihen zu tanzen schien. Sie bewegte sich zwischen den Pflanzen hin und her. Ihr Körper war dünn und ausgezehrt, und das Kleid, das sie trug, ähnelte einem schwarzen Hochzeitskleid. Nur dass es kein Hochzeitskleid war. Man konnte durch das helle lila Licht, das die Gestalt umgab, erkennen, dass sich das Kleid im Wind bewegte. Allerdings konnte ich Ihr Gesicht nicht erkennen.
Der Lavendelduft, der von leichtem Wind über das Blumenfeld zu unserem Haus hinauf wehte, war stärker als die Tage zuvor. Er drang durch das geschlossene Fenster und schien durch jede Ritze des Hauses hereinzukriechen. Ich verspürte einen unwiderstehlichen Drang, nach draußen zu gehen, aber etwas hielt mich zurück. Eine tief sitzende Angst, die mich vor dem Unbekannten warnte. Ich bekam Gänsehaut am ganzen Körper und ich schüttelte mich vor Unbehagen. Anschließend zog ich meine Vorhänge zu, legte mich wieder in mein Bett und zog mir aus Angst die Bettdecke über den Kopf. Der Duft des Lavendels ließ mich ruhig werden und ich schlief innerhalb kürzester Zeit ein.
Doch am nächsten Morgen war Lea verschwunden. Mein Vater, meine Mutter und ich suchten überall nach ihr. Es war so, als wäre sie buchstäblich vom Erdboden verschluckt worden.
Egal wo wir nach Lea suchten, sie war nirgends zu finden. Wir durchsuchten zweimal das ganze Haus, vom Keller bis zum Dach. Riefen dabei nach ihr, doch unsere Rufe blieben ungehört. Anschließend gingen wir hinaus und suchten draußen weiter. Das Erlebte von letzter Nacht hatte ich bereits vergessen, da ich es anscheinend für einen Traum gehalten hatte. Ich lief durch das Blumenfeld und rief dort nach Lea. Als ich zu der Stelle kam, wo ich die Gestalt letzte Nacht von meinem Schlafzimmerfenster aus gesehen hatte, fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen. Leas Stoffteddy lag dort auf dem trockenen Erdboden. Es war kein Traum, den ich hatte. Ich nahm den Teddy auf und rannte zum Haus zurück und war völlig außer Atem, als ich dort ankam.
Meine Eltern fragten mich, was los sei, und ich zeigte Ihnen den Teddybären. Anschließend erzählte ich Ihnen von meinem Erlebnis von letzter Nacht. Daraufhin wurde die Polizei eingeschaltet. Als die Beamten am Haus ankamen, war es bereits früher Nachmittag. Wir erzählten Ihnen von dem merkwürdigen Flüstern und der Gestalt, die ich letzte Nacht im Blumenfeld gesehen hatte. Mein Vater holte ein Bild von Lea und gab es den beiden Polizisten. Anschließend nahmen die beiden eine Vermisstenanzeige auf und riefen Verstärkung herbei. Weitere drei Polizeiwagen kamen an und fuhren vor unserem Haus vor.
Durch das Auftauchen der Polizisten wurden unsere Nachbarn, die zwar etwas weiter entfernt von uns wohnten, auf das Geschehen aufmerksam und eilten herbei. Sie fragten, was passiert wäre, und boten sofort Ihre Hilfe bei der Suche nach Lea an. Aber sie fanden keine Spur von ihr. Es war so, als ob sie sich in Luft aufgelöst hätte. Die Suchmaßnahmen dauerten mehrere Tage an und blieben ergebnislos.
Meine Mutter war am Boden zerstört und verbrachte die folgenden Tage mit dem Stoffteddy im Arm, schweigend in Leas Zimmer zu sitzen. Sie weinte dabei still und leise. Den Lavendelduft, der in der Luft lag, ignorierte sie dabei völlig.
2 Wochen nachdem Lea verschwunden war, stellte die Polizei die Suche nach ihr ein und vermutete, dass sie entführt worden sei und eventuell einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sei. Nach dieser Nachricht wandelte meine Mutter wie ein Schatten ihrer selbst durch das Haus. Mein Vater beschloss, dass es besser für meine Mutter wäre, dass sie einige Tage bei unseren Großeltern verbringen würde. Doch meine Mutter wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen. Sie rannte die Treppe hoch in Leas Zimmer und schloss sich weinend darin ein. Wir konnten Sie erst wieder aus dem Zimmer hinaus-bewegen, als wir versprachen, sie dürfte hier bleiben.
Mittlerweile neigte der September sich seinem Ende zu und von meiner kleinen Schwester gab es weiterhin kein Lebenszeichen. Die Blumen auf dem Blumenfeld machten ebenfalls keine Anstalten, welk zu werden. Sie leuchteten am Tag weiterhin in Ihrer bunten Farbenpracht und verströmten Ihren Duft. Allerdings war nun der Duft des Lavendel immer und überall präsent. Egal ob draußen oder im Haus selbst. Er war mal stärker oder schwächer wahrzunehmen.
Die Nächte begannen ebenfalls wieder unheimlich zu werden. Die Geräusche wurden von Nacht zu Nacht lauter und das Wispern eindringlicher. Ich stellte mich an mein Fenster und beobachtete das Feld. Wolken versperrten den Blick zum Vollmond. Die Dunkelheit, die um das Haus herrschte, war erdrückend und unheimlich.
Ich legte mich in mein Bett und war rasch eingeschlafen. Dabei hatte ich einen seltsamen Traum, in dem ich barfuß und nur mit meinem Nachthemd bekleidet durch das Blumenfeld lief und nach meiner Schwester suchte. Ich wälzte mich im Bett hin und her, bis plötzlich und unerwartet die Stimme meiner Schwester laut nach Hilfe schrie. Es war fast so, als ob Lea direkt neben meinem Bett stehen würde und mir in mein Ohr brüllte. Ich wachte mit einem Mordsschrecken und schweißgebadet auf.
Ich brauchte Kurz, um mich zu orientieren, wo ich gerade bin. Mit der rechten Hand wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Meine Haare waren nass. Der Geruch nach Lavendel war intensiver als je zuvor. Noch immer leicht neben der Spur, blickte ich mich im Raum um und sah, dass mein Fenster offen stand. Die Vorhänge bewegten sich im Wind.
In meinen Gedanken fragte ich mich selbst, ob ich eben das Fenster vor dem Schlafengehen geöffnet habe oder nicht. Ich konnte es nicht mehr mit Sicherheit sagen. Ich war mir aber relativ sicher, dass ich es nicht geöffnet hatte.
Ein leises Donnergrollen war in der Ferne zu hören. Mir fiel wieder ein, dass der Lavendelduft nach einem Regenschauer immer besonders intensiv roch. Ich schlug meine Decke zurück und sah, dass mein Nachthemd und meine Füße nass und voll Schlamm waren. „Was zum Teufel ist hier los?“, fragte ich laut in den Raum hinein und sprang dabei aus dem Bett. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich klatschnass war. Aber nicht vor Schweiß, wie ich zuerst vermutete. Nein, es war Regenwasser.
Mein Nachthemd und mein Bett waren klitschnass und voller Schlamm. Ich rannte zum Fenster und fiel fast hin. Ich blickte in das Blumenfeld und ein Blitz erleuchtete es kurz. Auch wenn es nur für weniger als 2 Sekunden hell war, konnte ich Sie sehen. Da stand sie, die unheimliche Gestalt in ihrem schwarzen Kleid.
Ich konnte Sie nur für einen kurzen Moment sehen, aber Sie war da. Sie schaute in Richtung unseres Hauses. Den linken Arm streckte sie von sich und zeigte mit dem Zeigefinger ihrer dürren Hand auf unser Haus. Mir gefror fast das Blut in den Adern.
Ein weiterer Blitz durchzog die Wolken am Nachthimmel und erhellte erneut für einen kurzen Augenblick das Blumenfeld. Die Gestalt war verschwunden und zurück blieben nur die Blumen, die sich im aufkommenden starken Wind hin und her bewegten.
Ich schloss das Fenster und riss vor Angst die Vorhänge zu. Mit wild pochendem Herz holte ich mir ein neues Nachthemd aus meinem Schrank, ging ins Bad und wusch mir meine Füße. Anschließend zog ich mir mein neues Nachthemd über. Ich ging zurück in mein Zimmer und warf das schmutzige Nachthemd in eine Zimmerecke und schaltete das Licht an. Erst jetzt sah ich die schlammige Fußspuren, die von meinem Fenster aus zu meinem Bett führten. Eilig holte ich meine Taschenlampe aus meinem Nachttisch.
Ich fasste all meinen Mut zusammen und ging wieder zum Fenster. Aus Angst, diese unheimliche Gestalt könnte sich vor meinem Fenster befinden, zögerte ich kurz, bevor ich die Vorhänge wieder öffnete. Als ich die Vorhänge wieder geöffnet hatte, stieß ich vor Erleichterung einen Seufzer aus, als ich sah, dass niemand vor dem Fenster stand. Eilig schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete damit vor das Haus. Ich konnte Fußabdrücke im Schlamm erkennen, die von Haus zum Blumenfeld und wieder zurück führten.
Erst jetzt realisierte ich, dass es kein Traum war, den ich gehabt hatte, und ich im strömenden Regen durch das Feld gelaufen bin und nach Lea gesucht habe. Doch ich war dabei wie in Trance gewesen und dachte, ich habe es geträumt. Doch die Fußspuren, meine schmutzigen Füße und das Nachthemd bewiesen mir, dass ich tatsächlich draußen gewesen war. Den Rest der Nacht war nicht wirklich mehr an Schlaf zu denken.
Am nächsten Morgen fragte ich meine Eltern, ob sie die Geräusche und das Flüstern der vergangenen Nächte auch gehört hatten. Diesmal bejahten Sie meine Frage. Meine Mutter schaute mich dabei mit traurigen und fast leeren Augen an. Es war fast so, als ob sie durch mich und die Wand hindurchblickte, nur um das Blumenfeld und das plötzliche Auftauchen meiner Schwester darin sehen zu können.
In diesem Moment beschloss ich, dass es besser war, über das Erlebte und Gesehene von letzter Nacht vor meiner Mutter lieber Stillschweigen zu bewahren. Doch ich musste eines wissen. Ich fragte die beiden, ob sie die geflüsterten Worte verstehen konnten. Doch beide verneinten dies.
Mit mehr Fragen als Antworten in meinem Kopf verließ ich nach dem Frühstück das Haus und machte mich schweren Herzens auf den Weg zur Schule. Der Morgen verging quälend langsam, und als mich mein Vater nach der Schule abholte, erzählte ich ihm, was ich letzte Nacht erlebt und gesehen hatte.
Seine Reaktion darauf fiel gemischt aus. Zwar bestätigte er, dass es besser war, dass ich es nicht vor meiner Mutter schon erzählt habe, was ich gesehen hatte, aber er wusste nicht so recht, wie er mit der Tatsache umgehen sollte, dass die Gestalt im Blumenfeld wieder aufgetaucht war. Er fragte mich sogar, ob ich mir sicher sei, das Ganze nicht geträumt zu haben. Als wir zuhause angekommen waren, schlief meine Mutter und ich zeigte meinem Vater mein schmutziges Nachthemd und die Fußspuren in meinem Zimmer.
Er war sprachlos und ich konnte die Angst in seinen Augen sehen. Ich fragte Ihn, was wir nun machen sollen. Die Polizei zu rufen war zwar gut und schön, aber wie sollte ich beweisen, dass ich die Gestalt im Blumenfeld gesehen habe? Wir beschlossen, ins Feld zu gehen und zu schauen, ob die Gestalt dort Spuren hinterlassen hatte. Doch das Einzige, was wir fanden, waren meine Fußabdrücke auf dem schlammigen Boden.
Wir gingen zum Haus zurück. Gerade rechtzeitig. Meine Mutter wurde kurz darauf wach.
In der gleichen Nacht hörte ich meine Mutter, wie sie unruhig durch das Haus ging. Ihre Schritte waren schwer und unregelmäßig, als ob sie gegen einen unsichtbaren Widerstand kämpfte. Ich eilte nach unten und sah Sie durch die offene Haustür ins Feld gehen. „Mama!“, rief ich ihr nach, aber sie reagierte nicht auf meine Rufe. Sie war wie in Trance. Ich rannte ihr nach, doch der Duft nach Lavendel wurde so stark, dass mir schwindelig wurde. Bevor ich sie erreichen konnte, verschwand sie zwischen den Blumen. Ich rief nach ihr und versuchte, sie im Feld zu sehen, doch ich sah sie nie wieder.
Als ich weinend zum Haus zurückkam, stand mein Vater in der Tür und sein Gesicht war kreidebleich. Ich begann zu sprechen und mein Vater unterbrach mich, ohne überhaupt ein Wort zu mir zu sagen. Er zeigte mit seinem rechten Zeigefinger auf das Blumenfeld und schluckte schwer. Ich drehte mich um und sah, was er mir zeigen wollte.
Da stand sie direkt am Rand des Blumenfeldes. Die Gestalt im schwarzen Kleid. Ihr dürrer Körper wirkte zerbrechlich. Das Kleid und ihre dünnen schwarzen Haare flatterten im aufkommenden Wind. Doch was mir eine Heidenangst einjagte, war, dass dort, wo eigentlich Ihr Gesicht sein sollte, nur ein Totenschädel zu sehen war. Die leeren Augenhöhlen leuchteten lila. Die Hände, die unter dem Kleid herausragten, waren unnatürlich lang und dürr. Die Haut wirkte wie dünnes, vergilbtes Papier und man konnte die Knochen darunter erkennen. Sie bewegte sich langsam und schwankend von links nach rechts. Das Leuchten in den Augen nahm zu und ihr Unterkiefer klappte laut Knacken nach unten. Ein schrilles Lachen kam aus der Tiefe Ihres viel zu dünnen Körpers, und der Lavendelduft nahm an Intensität so stark zu, dass er uns ohnmächtig werden ließ.
Das Letzte, was ich noch sehen konnte, war, dass sie auf uns zeigte, bevor sie sich umdrehte und im Blumenfeld verschwand.
Ich kann bis heute nicht sagen, wie lange wir ohnmächtig waren. Es war bereits Morgengrauen und die ersten Vögel zwitscherten, als ich vor unserem Haus wieder wach wurde.
Ich hatte Mühe, meinen Vater aufzuwecken, doch es gelang mir. Wir gingen ins Haus und versuchten, das Gesehene zu verarbeiten. Mein Vater rief die Polizei und meldete meine Mutter als vermisst. Als die Polizei bei uns eintraf, erzählte ich Ihnen, dass meine Mutter mitten in der Nacht in das Blumenfeld gegangen ist und seitdem spurlos verschwunden war.
Auf Grund der Vorgeschichte wegen Lea begannen die Polizisten, das Blumenfeld zu durchsuchen. Doch das Einzige, was sie fanden, war ein Hausschuh, der meiner Mutter gehörte. Als die Polizei zurück zum Haus kam und meinem Vater den Hausschuh gab, bestätigte er, dass dieser meiner Mutter gehörte. Die Polizisten nahmen die Vermisstenanzeige auf und fuhren davon.
In den kommenden Tagen wurde mein Vater stiller, sein Gesicht war gezeichnet von Sorge und Verzweiflung. Er verbrachte die Nächte damit, durch das Feld zu gehen, um nach einem Hinweis auf den Verbleib von Lea und Mama zu suchen. Doch er fand nichts außer Blumen, die sich sanft im nächtlichen Wind wiegten. Tief im Inneren wusste ich es. Mein Vater war gebrochen. Zwei seiner Lieben waren verschwunden, und er konnte nichts tun. Er verbrachte seine Tage und Nächte damit, schweigend auf der Veranda zu sitzen, den Blick stur auf das Blumenfeld gerichtet.
Eines Nachts, als ich an meinem offenen Schlafzimmerfenster stand, hörte ich ihn, wie er leise mit sich selbst sprach. „Ich werde sie finden“, sagte er immer und immer wieder und seine Stimme wurde dabei immer lauter. Es klang fast so, als ob er sich selbst davon überzeugen wollte. Ich eilte die Treppe hinunter und sah durch die offenen Tür, dass das Blumenfeld lila zu leuchten begann, und meinen Vater, wie er von seinem Stuhl aufstand und die Treppe der Veranda hinabstieg. Er ging Richtung Blumenfeld. Dann verschwand auch er darin, und ich war allein.
Ich verriegelte sofort die Tür und zog alle Vorhänge im Haus zu.
Nachts begann ich, schattenhafte Gestalten aus den Augenwinkeln wahrzunehmen, die sich durch das Feld und vor dem Haus bewegten: flüchtige Bewegungen, die verschwanden, wenn ich direkt hinblickte. Doch genau diese Nächte waren die schlimmsten. Der Lavendelduft war nun Tag ein, Tag aus allgegenwärtig. Das ganze Haus roch ununterbrochen danach. Das Wispern war unaufhörlich. Die Stimmen meiner Eltern und von Lea mischten sich immer öfter unter das Flüstern, waren aber nicht verständlich. Doch ich hörte, dass es ihre Stimmen waren.
Ich wusste, dass ich dieses Haus verlassen musste, aber etwas hielt mich zurück. Eine unsichtbare Kraft, die mich darin gefangen hielt.
Ich besuchte die Schule nicht mehr. Meine Großeltern versuchten, mich aus dem Haus zu bekommen, doch ich öffnete ihnen nicht einmal die Türe. Eines Morgens klingelte die Polizei bei mir und überbrachte mir die Nachricht, dass meine Großeltern bei einem Raubüberfall ermordet wurden. Nun war ich vollends alleine.
Die Beerdigung der beiden fand ohne mich statt, da ich es nicht schaffte, das Haus zu verlassen. Nun war ich die Einzige, die noch von meiner Familie übrig war. Ein Notar kam vorbei und überbrachte mir das Testament meiner Großeltern. Ich war alleiniger Erbe der beiden Häuser und Ihres Geldes sowie Besitztümer. Allerdings: Was nützt mir all das, wenn ich keine Familie mehr habe?
So beschloss ich, das Haus meiner Großeltern zu verkaufen.
Ich begann damit, unser Haus zu durchforsten, und fand unter dem Dielenboden 2 Tagebücher. Eilig holte ich Sie heraus und begann darin zu lesen. Die vorherigen Bewohner hatten ähnliche Erfahrungen gemacht. Sie schrieben von einem Wesen, das zwischen den Blumen lebte, von einer Gestalt im schwarzen Kleid und ohne Gesicht, die Seelen in die Tiefe des Feldes zog. Es war keine Legende, sondern bittere Realität, wie ich schmerzhaft am eigenen Laib erfahren musste.
In der kommenden Nacht, als der Duft des Lavendel fast wieder erstickend war, sah ich sie. Die Gestalten, die sich zwischen den Blumen bewegten. Es waren nicht nur meine Familie, sondern auch die Schatten der vorherigen Hausbesitzer. Sie riefen nach mir in einer Sprache, die ich nicht verstand, aber deren Bedeutung mir klar war: „Komm zu uns!“
Ich wusste, dass ich von hier weg gehen musste. Doch wohin? Ich entschloss mich, im Haus zu bleiben und der Versuchung zu widerstehen. Mittlerweile höre ich die Stimmen jede Nacht lauter und lauter flüstern. Manchmal klopft es an der Haustür, und wenn ich nachschaue, steht niemand davor. Gelegentlich sehe ich das Gesicht der unheimlichen Gestalt, wie es durch ein Fenster in das Haus hineinschaut. Ihre leeren Augenhöhlen leuchten dabei bedrohlich lila und der Lavendelduft zwingt mich jedes Mal in die Knie bis in die Bewusstlosigkeit. Ich weiß nicht, wie lange ich der Versuchung noch standhalten kann.
So habe ich beschlossen, das Tagebuch weiterzuführen. Ich schreibe diese Zeilen als Warnung. Neben einem Blumenfeld zu leben mag zwar wunderschön erscheinen, aber es birgt auch ein dunkles Geheimnis.
Ich werde gefangen gehalten von einem Wesen jenseits deiner Vorstellungskraft, das nach Seelen hungert und sie in die Dunkelheit des Blumenfeldes zieht. Ich bin die Letzte meiner Familie, die überlebt hat, und ich trage die Last dieses Wissens.
Wenn du jemals den Duft von Lavendel riechst, wo keiner wächst, laufe. Laufe, so weit weg du nur kannst, bevor sie dich und deine Familie auch in das Blumenfeld locken kann.
Ende