Giganten
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Langsam streckte die Sonne ihre Fühler über den
Horizont. Die ersten Hügel hatte sie
schon in ihr goldenes warmes Licht getaucht. Doch bei ihm war es noch kalt. Die
Finsternis war auf dem Rückzug, doch sie würde wiederkommen. Wozu sollte er
sich also auf das Licht freuen? Er war schon seit ein paar Stunden wach.
Jedenfalls körperlich. Innerlich befand er sich in einer Art Trance. Seine
ehemals tiefbraunen Augen waren abgestumpft und matt. Sein Haar lag fettig
auf seinem Kopf. Wie lange hatte er kein Wasser mehr gesehen? Er wusste es
nicht, doch seine kratzende Kehle erinnerte ihn wieder daran. Sie schmerzte und
schrie aus Leibeskräften. Gern hätte er ihre quälende Stimme ertränkt, doch er
konnte es nicht. Als ob es hier nicht schlimm genug wäre. Langsam erhob er sich
von seiner morschen Pritsche. Sie ächzte, als er sie von seinem Gewicht
befreite. Jede Nacht hatte er Angst gehabt, sie würde zerbrechen, doch sie
hatte ihm treu gedient. Nun konnte sie in Frieden sterben. Er streckte sich,
dann verließ er seinen Unterschlupf.
Draußen erschlug ihn die Hitze förmlich. Obwohl es erst
morgens war, versengte sie seine Haut schon jetzt. Er musste sich beeilen. Am
Mittag würde er vertrocknen. Kein besonders schöner Tod. Er stand auf einer
Straße. Schon seit Jahren waren hier keine Autos mehr gefahren und langsam
wurde der Asphalt unter Sand begraben. Alles, was diesen Ort hätte verlassen
können, war gegangen. Nur er war geblieben. Warum wusste er auch nicht mehr. Es
erinnerte ihn hier alles an Macht und die Größe, die er selbst einst
hatte. Er bahnte sich seinen Weg die
Straße entlang. Schon von weitem konnte er sie sehen. Überall an diesem Ort
standen sterbende Giganten. Einst strahlten sie nur so von Pracht und Stärke,
doch nun kämpften sie ihren letzten Kampf. Und den konnten sie nicht gewinnen.
Tagsüber hörte man sie im ganzen Gebiet, nachts hörte er ihre Schreie. Sie
hielten ihn wach und bescherten ihm die schlimmsten Träume. Er ging zu ihnen.
Er wusste selbst nicht wieso, doch irgendwie spendeten sie ihm Trost. Dank
ihnen hatte er Gewissheit, dass nicht nur er gescheitert war. Er lief vorbei an
Ruinen, die einst ihre Bewohner mit Stolz erfüllt hatten, er kam vorbei an
Pyramiden, an Palästen und an ganzen kleinen Städten. Alle waren sie verlassen
und im Verfall begriffen. Dann erreichte er die Giganten. Noch standen sie,
geschwächt, aber noch immer furchteinflößend. Der Verfall hatte sie tief
gezeichnet, doch sie waren nicht gefallen. Noch nicht. Heute war ein besonderer
Tag. Heute würde er den Höchsten von ihnen erklimmen.
Einst muss dies unmöglich gewesen sein, in einer Zeit, in
der hier noch Menschen lebten. Er wusste nicht wie lang das her war. Auch hatte
er keine Ahnung, wo er hier eigentlich gestrandet war. Aufgewachsen war er am
Meer. Wasser. Wie er es jetzt vermisste. Wie er es brauchte. Er wusste, dass
dieser Aufstieg seine letzten Kräfte fordern würde. Dass er sich tagelang nicht
bewegen können würde. Doch er musste es wissen. Er musste wissen, wo er war. Und
wie er hierhergekommen war. Was war nur mit seinen Erinnerungen geschehen?
Immer wieder geisterte ein Begriff in seinem Kopf umher. Olympus. Was ihm das sagen sollte wusste er aber nicht. Vor einiger
Zeit hatte er etwas gefunden. Es war ein altes vergilbtes Buch gewesen, voll
mit Erzählungen aus einem Ort, den er nicht kannte. Auch dort kam Olympus vor. Er hatte es nicht ganz
verstanden, aber es schien eine Art Schloss im Himmel zu sein. Ein Ort der
Glückseligkeit. Seit Wochen dachte er daran. War dies seine Bestimmung? Diesen
sagenhaften Ort zu finden? Er hoffte es.
Er machte den ersten Schritt. Der Riese stöhnte. Es schien ihm nicht zu
gefallen. Doch er hatte keine andere Wahl. Schon lange hatte er kein richtiges
Leben mehr. Er hatte keinen Namen, keine Erinnerungen, alles was einen Menschen
ausmachte, hatte man ihm genommen. Keuchend machte er den nächsten Schritt. Dann
noch einen. Plötzlich überkam ihn etwas. Ein Gefühl, das er längst vergessen
hatte. Wille. Und er würde sich nicht brechen lassen.
Der Aufstieg dauerte eine Ewigkeit. Er wusste nicht, wie
lang er schon ging, doch es fühlte sich an wie Jahre. Mittlerweile hatte die
Sonne den Zenit schon wieder überschritten, doch noch immer brannten ihre
Strahlen auf seinem Rücken und fraßen sich in seine Haut. Je weiter er
vorangekommen war, desto lauter und durchdringender ließ der Gigant seinen
Sterbensgesang verhallen und er spürte den modrigen Odem des Anderen, der ihn
beinahe in die Tiefe gerissen hatte. Doch nun war er dem stolzen Haupt schon
ganz nah. Eine neue Welle Euphorie durchfloss ihn und plötzlich fühlte er sich wie
neugeboren. Als wäre er ein junges Reh bezwang er die letzten Meter. Doch oben
wurde er überrascht.
Er hatte sich dort
eine Art in den Himmel vorgestellt, einen Weg zu diesem geheimnisvollen Olympus. Doch hier war nichts. Mitten in
den Wolken erstreckte sich hier eine kleine Ebene aus einem merkwürdigen,
grauen Boden. Giganten waren schon
merkwürdige Wesen. Aber immerhin hatte er von hier einen wunderbaren Blick über
die Region. Er sah noch dutzende dieser mächtigen Wesen, alle im Todeskampf begriffen.
Zwischen ihnen erstreckten sich dunkle Straßen, zwischen manchen auch einst
grüne Wiesen. Umgeben aber war alles mit diesem gelben Sand, der im Begriff
war, alles wieder für die Natur zurückzuerobern. Dort, am Rande dieser
Ansammlung, sah er ein anderes merkwürdiges Gebilde. Es war das ausgebrannte Wrack
irgendeines Dings, doch er wusste nicht, was das ein sollte. Es schien auf
jeden Fall schon eine ganze Weile dort zu liegen. Langsam verließen ihn all die
positiven Gefühle wieder und es blieb nur eine düstere Ernüchterung. Was hatte
das alles gebracht? Nichts, und doch hatte er all seine Reserven daran
verschwendet. Und doch hatte er nichts erreicht. Um ihn herum war diese
höllische Wüste, die sich langsam wieder ausbreitete und den Boden überwucherte.
Auch von den Giganten würde bald jede Spur verschwunden sein, der Sand würde
sich sein Reich erobern. Und ihn mit in den Tod reißen. Wollte er wirklich auf
diese Art die Welt verlassen? Auf einmal kam ihm der Rand dieser Ebene ziemlich
verlockend vor. Wäre es nicht eine Ehre, zusammen mit diesen Riesen zu sterben?
Würde er so nicht wenigstens den Rest seiner Würde bewahren? Langsam näherte er
sich dem Abgrund. Irgendwo in seinem Kopf kam etwas, das er schon einmal
gehört hatte: „Bloß nicht nach unten schauen.“ Er trat an den Rand
und ließ seinen Blick über diese Wüste des Untergangs schweifen. Dann sprang
er.
Sein Blut färbte die Straße rot und sickerte durch die dünne
Sandschicht, die sich dort schon gebildet hatte. Sein ganzer Körper war völlig
entstellt, kaum ein Knochen saß noch an der richtigen Stelle. Es würde noch
Jahre dauern, bis man seine von der Wüste konservierte Leiche finden würde.
Eine kleine Gruppe Abenteurer würde diese gottverlassene Gegend durchstreifen
und dabei seine leere Hülle entdecken. So unrühmlich war der Kampfpilot Ryan
McArthur gestorben. Den ersten Absturz mit seinem Flieger hatte er überlebt,
den zweiten hier aber nicht. Aber immerhin war er so aus der Welt geschieden,
wie er es immer gewollt hatte. Im Fall. Einige Zeit später war dann auch der
Gigant, den er damals erklommen hatte, zusammengebrochen. Und so fiel dann auch
das Symbol seiner Hoffnung, das Olympus.
Lange vorher, lange vor dem Zusammenbruch dieser Gegend, verursacht durch die
hemmungslose Ausbeutung der Natur, war es schon mal ein Zeichen für Glück und
Erwartung gewesen. Damals noch als Wahrzeichen dieser Stadt. Als Wahrzeichen
von Las Vegas.