
Großmutters Obstschale
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Schweigend saß ich am Wohnzimmertisch, nippte an einer Tasse Tee und ließ den Blick durch die Wohnung schweifen. Meine Mutter hatte gesagt, dass ich Großmutter mindestens einmal im Monat besuchen sollte, was ich aber nicht immer tat. Denn die alte Frau war nicht nur unheimlich, sondern besaß auch noch eine durch und durch böse Ader. Doch die zeigte sich immer nur dann, wenn ich mit ihr alleine war. Ich kannte einige Leute, die nicht gut mit ihren Großeltern auskamen, aber meine Großmutter war wahrlich die Definition von einem Biest. Ständig meckerte sie an mir herum, beschimpfte mich wüst oder versuchte, mich mit ihrem Gehstock zu prügeln.
Sie war schon über 90 und außerdem nicht mehr ganz richtig im Kopf, weshalb ich es auch kaum länger als eine halbe Stunde bei ihr aushielt. Naja, letztendlich war es mir egal. Noch eine Viertelstunde und ich würde aus diesem Haus, das schon mehr einer Gruft glich und zu meinem Leiden auch wie eine roch, verschwunden sein. Mit diesem halbtoten Fossil als Besitzerin wunderte es mich nicht, dass bereits der Gestank des Todes in das Gemäuer eingezogen war.
Großmutter saß vor mir in ihrem großen, dunklen Ledersessel und häkelte mal wieder irgendeinen nutzlosen Müll, den sie mir und Mutter dann als Weihnachtsgeschenk zu vermarkten versuchte. Ungeduldig tippelte ich mit den Füßen auf dem Boden herum und blieb mit dem Blick irgendwann auf den langsam vor sich hin tickenden Zeigern der großen Wanduhr kleben, die hinter Großmutter in der Ecke stand. Anscheinend hatte sie bemerkt, dass ich nicht viel Freude an ihrer Gesellschaft fand, denn sie hob den Kopf und sah mich mit funkelnden Augen an. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich nun dem Tod näher als sie es war.
Kaum hatte sie bemerkt, dass ich ihren Blick erwiderte, richtete sie ihre Augen auf die gefüllte Obstschale auf dem Tisch und deutete mir mit einer leichten Kopfbewegung, dass ich mich bedienen sollte. Meinen Blick immer noch auf ihr blasses und faltiges Gesicht gerichtet, nahm ich mir einen Apfel, biss hinein und nahm wieder einen großen Schluck aus meiner Teetasse. Meinen Blick wandte ich nicht von ihr ab. Wie ein Falke eine Feldmaus beäugte sie mich; so als wäre ich ihre hilflose Beute. In meinem Hals bildete sich ein Kloß – ein merkwürdiges Gefühl, wie ich fand.
,,Ich habe ihr geraten, dich abzutreiben“ sagte sie plötzlich.
Wow… seit ich vor einer halben Stunde ihr Haus betreten hatte, hatte sie kein einziges Wort von sich gegeben, und jetzt ließ sie auf einmal so eine Bombe platzen? Aber bei diesem einen Satz blieb es nicht – wie ich es von ihr gewohnt war, legte sie jetzt erst richtig los. Vorbereitet auf den kommenden Wortschwall, biss ich noch einmal ein großes Stück aus dem Apfel in meiner Hand und trank den letzten Schluck Tee aus meiner Tasse.
,,Sie war gerade dabei zu studieren. Sie wollte Ärztin werden, und dann kamst du ihr in die Quere und hast alles ruiniert. Statt kranken Menschen zu helfen, musste sie plötzlich deine Scheiße wegmachen – du bist eine Schande; hast deiner Mutter die Zukunft zerstört und bist dir dessen noch nicht einmal bewusst. Du solltest Vater und Mutter ehren, stattdessen nutzt du sie nur aus. Sieh dich nur an – 25 Jahre und du lebst immer noch bei ihr. Erbärmlich! Sie wird nie ein richtiges Leben führen können, solange sie dich an der Backe hat. Solange du dich wie ein König von ihr behandeln lässt, wird sie nie ihre eigenen Träume weiter verfolgen können. Damit ist jetzt Schluss!“
Großmutter hatte es wieder geschafft, meine Laune an den absoluten Tiefpunkt zu bringen. Ich stand auf und wollte gehen, als ich plötzlich so ein seltsames Kribbeln in meinem Rachen spürte. Ich hustete kurz – und sah plötzlich Blut auf meiner kreideweiß werdenden Handfläche! Voller Entsetzen ließ ich den Apfel fallen und sah hinüber zu Großmutter.
,,Du wirst ihr Leben nicht noch weiter ruinieren…“
Ich spürte, wie sich Blut in meinem Hals staute, sich in meinem Mund sammelte und aus meinem vor Schreck weit aufgerissenen Mund lief. Dann blieb mir auf einmal die Luft weg und ich versuchte verzweifelt, den lebensnotwendigen Sauerstoff in meine Lungen aufzunehmen, doch es war mir nicht möglich. Das Kribbeln in meinem Hals wurde stärker und mein Blick fiel auf die Schachtel Tabletten, die Großmutter in den Händen hielt und wieder zurück ins Regal stellte. Sie hatte mir irgendetwas in meinen Tee gemischt! Geschwächt und unfähig zu atmen begann ich zu taumeln, fiel zu Boden und stieß mit dem Kopf auf die harten Fliesen auf.
,,Shhh… jetzt ist alles gut.“
Großmutter kniete sich neben mich und hob den Apfel auf, den ich vorhin hatte fallen lassen.
Meine Augen weiteten sich.
,,Es ist gleich vorbei.“
Ich wusste, dass Großmutter mich nicht leiden konnte, mich dafür verantwortlich machte, dass Mutter nie erfolgreich in dem wurde, was sie liebte und ich war mir auch bewusst, dass sie mich hasste…
…aber ich hätte nie gedacht, dass sie mich so sehr verabscheute, dass sie Rasierklingen in meinem Essen verstecken würde.