ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Die Eingangshalle war am Tage noch überwältigender als bei Nacht. Allan staunte nicht schlecht, als er sah wie der gewaltige gläserne Kronleuchter im Licht der Sonne, welches durch die hohen Fenster viel, funkelte und den weißen Saal in ein buntes Spektakel aus Licht tauchte. „Wow“, machte er während er den Blick gedankenverloren durch den Raum schweifen ließ. Meine Aufmerksam galt dagegen weniger der Halle als der Doppeltür, welche sich zwischen den Fußenden der beiden Treppen befand. Ich wusste das die Schönheit, die sich uns im Augenblick bot, augenblicklich, wie eine welkende Rose, vergehen würde, sobald sich die Tür hinter uns schloss und der lange Korridor sich vor uns auftat. Dieser Gedanke bereitete mir Unbehagen und ich wandte meinen Blick zu Allan hinüber, der immer noch mit großen Augen den prunkvollen Saal bewunderte. „Mann, das ist ja unglaublich. Ich hätte gedacht dass wir nichts außer Staub und ein Paar heruntergekommene Möbel finden würden aber das…einfach unglaublich.“, wiederholte er melancholisch. Es war etwas seltsam Allan so ehrfürchtig zu sehen, wo er für gewöhnlich jemand war, den es nicht leicht zu beeindrucken galt und der nur eine Hand voll Dinge, wirklich ernst nahm. Doch dieser Saal schien auf ihn, die selbe magische Wirkung zu haben, wie auf mich beim letzten Mal. Schließlich schaffte er es jedoch, sich von dem fulminanten Anblick loszureißen und mich anzublicken.
„Okay Mann, ich geb zu, damit hast du mich überrascht. Die Halle ist ziemlich hübsch, aber ein Beweis, dass Edward Gein hier in diesem Haus noch immer lebt, oder jemals gelebt hat, ist das ja noch lange nicht. Bis jetzt wirkt das Haus ziemlich verlassen…“
Ich deutete hinunter zu der hölzernen Tür, zwischen den Stufen.
„Dein Beweis liegt dahinter“, antwortete ich knapp.
„Was, echt jetzt? Direkt hinter dieser Tür?“ Seine Augenbrauen wanderten nach oben.
„Naja wir müssen schon noch ein Stückchen gehen aber…du wirst sehen was ich meine…“
Allans Braune Augen blickten mich für einen Moment lang durchdringend an. Sein Blick war unergründlich. Dann sagte er schließlich: „Okay, dann… Ladys first.“ Er gestikulierte in Richtung der weißen Treppe, mit dem schwarzen, verzierten Geländer, die sich so zierlich nach unten schwang wie eine Seil- Akrobatin. Ich grinste und ging an Allan vorbei. Er folgte mir sogleich, doch sein Blick klebte wieder an dem Kronleuchter aus Glas. „Wahnsinn…“, hörte ich ihn hinter mir murmeln, während wir die abgetretenen Marmorstufen hinabstiegen. Als ich am Fuße der Treppe ankam, hörte ich plötzlich hinter mir ein kurzes Schlittern, dann ein lautes Klatschen und einen schmerzerfüllten Aufschrei. Ich zuckte zusammen und drehte mich erschrocken um. „Alter, Was ist passiert?“
Allan hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hand vor den Mund. Scheinbar war er auf der selben Stufe abgerutscht wie ich letzte Nacht.
„Schit alter, Isch hab mir auf die Schunge gebischen“ er spuckte auf den Boden der Halle. Rotes Blut. Marmorfliesen, weiß wie Schnee, und die Tür: schwarzes Ebenholz. Ich musste lächeln. Märchenhaft. Passte irgendwie zu diesem Ort.
„Alter wasch gibtsch da schu grinschen. Dasch tat schau weh!“
„Eh… Nichts, tut mir leid, ich hätte dich vor der Stufe warnen sollen. Mir ist letztes Mal das gleiche passiert. Pass auf deine Füße auf, die Halle zieht einen in den Bann aber auf diesen Treppen bricht man sich den Hals wenn man nicht aufpasst.“
„Na, dasch fällt dir ja früh ein…“ gab Allan verdrießlich zurück.
„Ich weiß. tut mir leid.“, sagte ich schuldbewusst. Ich war in diesem Moment mit meinen Gedanken, längst hinter dem dicken Eichenholz der Tür verschwunden.
Als Al die letzten Stufen hinab gestiegen war, blieb ich kurz an der Tür stehen. Meine Hand ruhte auf der glatten Politur.
„Okay wir sind jetzt ziemlich nah dran. Wenn du umdrehen willst, gehe ich heute noch zur Polizei und wir sind aus der Sache raus… hoffentlich, oder wir schauen nach was der Künstler dort unten treibt. Aber ich will dich vorwarnen. Es könnte gefährlich werden.“
„Ach Schwachsinn!“, gab Al beherzt zurück. „Ich will jetzt wissen was da unten vor sich geht, muss sich ja echt lohnen, wo du so hingerissen bist von diesem Ort.“ Er grinste. Seine Zähne waren rot, ebenso wie seine Lippen.
„Alter,“, sagte ich und zog die Brauen zusammen, „das sieht ja echt übel aus…“
„Ach, das ist gar nichts. Passiert mir beim Training ständig, halb so wild.“ gab Allan lässig zurück, winkte ab und spuckte erneut Blut auf den Marmor. Ich kramte eine Packung Taschentücher aus der Hinter Tasche meiner Hose hervor und reichte ihm eins.
„Danke.“ Er wischte sich den Mund ab und ging an mir vorbei.
„Wollen wir doch mal sehen was dein Gianni Versace dort unten verbirgt.“ Mit diesen Worten drückte er die Klinke hinunter und zog die schweren Türflügel auf. Es war, als hätte er die Pforte zur Unterwelt geöffnet. Der Korridor tat sich vor uns auf, wie ein gähnender Schlund aus Finsternis und wischte Allan sowohl sein selbstsicheres Grinsen, als auch etwas Farbe aus dem Gesicht. Der Strahl seiner Taschenlampe tastete die düsteren Teppiche und Gemälde ab, doch genau wie bei mir, reichte er nicht bis ans Ende des Flurs und der gelbe Lichtkegel, verlor sich in der Dunkelheit. Für eine Weile standen wir einfach nur nebeneinander da und blickten in das gähnenden Loch, das sich vor uns aufgetan hatte. Mir wurde flau im Magen und düstere Erinnerungen, an die vergangene Nacht, drängten sich in meinen Geist. Erinnerungen, die ich zu vergessen versuchte. „Und? Hab ich zu viel versprochen?“ fragte ich.
„Okay, vergiss es. Da geh ich auf gar keinen Fall lang. Willst du mir erzählen, dass du da gestern echt durchgegangen bist? Allein?“ Allan sah mich an als wäre ich vollkommen irre geworden.
„Naja, nicht direkt… Sekunde.“ Ich ging hinüber zum Lichtschalter und verrenkte mir beinahe die Finger, als ich ihn drehte. Altmodisches Teil. Die verzierten Deckenleuchten, tauchten den Korridor in ein mattes Licht und Al öffnete verblüfft den Mund, schloss ihn, und öffnete ihn wieder.
„Was? Eh, Wie kann denn das sein? Hier unten dürfte es doch längst keinen Strom mehr geben. Hast du da irgendwas gemacht?“, fragte er dann und sah mich mit einem Gesichtsausdruck an, als suche er Bestätigung für seine Annahme. Ich erkannte, dass auch Allan die Sache allmählich unheimlich wurde. Am liebsten hätte ich in diesem Moment beruhigende Worte für ihn übrig gehabt, doch ich konnte mir die Tatsache, dass die Lampen, welche sich im Zwei-meter-abstand aneinanderreihten, wieder jeglicher Logik funktionierten, ebenfalls nicht erklären, also blieb ich bei der Wahrheit und sagte:
„Ich war mindestens genau so überrascht wie du.“
„Verdammt, das wird ja immer besser.“ Allan schüttelte resigniert den Kopf.
„Naja, Immerhin haben wir jetzt schon mal Licht, oder?“ sagte ich und zuckte aufmunternd mit den Schultern.
„Das stimmt allerdings… na gut. Aber du gehst vor.“, sagte Allan und schob mich betont, vor sich, in den Flur hinein.
„Nanu? wo ist denn deine berühmte Selbstsicherheit auf einmal hin? Scheint ja nicht gerade langanhaltend zu sein, dein Enthusiasmus.“ bemerkte ich. Allan knirschte unüberhörbar mit den Zähnen, „Ach, fick dich!“ Ich lächelte. Dann viel mir etwas ein.
„Hey, du erinnerst dich vielleicht noch daran, was ich dir erzählt habe, dass diese Tür beim letzten Mal hinter mir abgeschlossen wurde?“
Allan wandte sich um. „Echt? diese Tür?“ Er blickte missmutig drein. Dann drückte er die Klinke hinunter und öffnete sie einen Spalt weit. Ein schmaler Streifen aus Licht drang in den Korridor. Unsere letzte Chance umzukehren. „Sieht ziemlich offen aus.“
„Jetzt noch. bei mir hat es auch eine Weile gedauert. ich war schon durch den ganzen Korridor und wieder zurück gelaufen. als ich es bemerkt habe.“
„Oh mann,“ gab Allan zurück und besah sich das polierte Holz mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„sollen wir – ich weiß nicht – etwas dazwischen legen?“, fragte er schließlich, „Ich muss gestehen, dass ich alles andere als scharf darauf bin, hier eingesperrt zu sein…“
„Geht mir ähnlich“, gab ich zurück, „gar keine schlechte Idee, wenn es irgend einen Mechanismus gibt, der dafür sorgt, dass sich die Tür von selbst abschließt, würden wir ihn damit vermutlich außer kraft setzen.“
Ich wühlte in meinen Taschen, und zog erneut die Packung Taschentücher hervor. „wir wärs damit?“
„perfekt“, Allan streckte theatralisch die Hand aus und ich reichte ihm die Packung. Er bückte sich und stopfte sie grob in den Türspalt.
„Das dürfte genügen.“ sagte er schließlich, als er sich aufrichtete.
Ich Atmete tief durch und wandte mich um. „Also. Bereit?“
„Bereit wenn du es bist,“ antwortete Al, etwas zögernd und so begann den langen Marsch durch den Korridor. Allan folgte mir, doch ging er etwas langsamer als ich, da er immer wieder stehen blieb, um die finsteren Gemälde an den, dunkelgrün tapezieren Wänden zu begutachten.
„Scheiße, sind die gruselig.“, sagte er beklommen, doch ich glaubte zu hören, wie eine leichte Faszination in seinen Worten mitschwang.
„Ja finde ich auch, vor allem dieses hier.“ Ich deutete auf das Bild, mit dem Ehepaar, dessen Augen zerkratzt und gänzlich zerstört worden waren.
„Auch du heilige scheiße, was ist denn mit denen passiert?“ flüsterte Allan. Beide Personen auf dem Bild stierten uns wütend an. Seltsam… hatten- hatten die beiden beim letzten Mal nicht noch gelächelt? Diesmal waren ihre Mundwinkel unnatürlich tief nach unten gezogen und zwischen den zerfetzten Augen, zeichneten sich Zornesfalten ab. Unbehagen regte sich in mir und mit einem Mal musste ich an die Worte des Künstlers denken und ein Schauer lief mir den Rücken hinab.
Ich warne sie eindringlich, von einem erneuten Vorhaben dieser Art, in Zukunft abzulassen.
Er hat mich gewarnt, wieder her zu kommen und trotzdem war ich wieder hier. Warum? Warum war ich hier? Und warum zog ich Allan in diese ganze Scheiße mit rein? Gut, zugegeben… es war seine Idee gewesen, doch ich wurde das ungute Gefühl nicht los, dass es ein großer Fehler gewesen war, erneut in das Anwesen von Edward Gein zurückzukehren. Doch… sie hatten gelächelt… ganz sicher.
„Elija?“ Als Stimme durchbrach meine Gedanken.
„Eh- ja?“, antwortete ich, etwas zerstreut.
„Was ist los?“
„I-Ich.. gar nichts. Lass uns weiter gehen.“ Ich riss mich von dem Pärchen los und wir schritten weiter den Flur entlang.
Am Ende angekommen, stieß ich, ohne ein Wort zu verlieren, die zweite Tür auf. Die Treppe dahinter mündete genau wie beim letzten Mal in ein gähnendes Loch aus Schwärze.
„Sag bloß hier unten gibt es keinen Lichtschalter…“ Allan klang etwas verlegen. Er wollte nicht zeigen dass ihm zunehmend unwohl wurde, doch mir ging es nicht anders.
„Leider nicht.“ Zweifelnd sah ich Allan an. Dieser besah sich die Treppe.
„Vergiss es!“, sagte er schließlich mit Nachdruck und drehte sich bestimmt auf dem Absatz um. Ich sah ihn an, etwas verwirrt, aber gleichzeitig, konnte ich ihn gut verstehen. Ich hätte mich beim letzten Mal auch am liebsten sofort aus dem Staub gemacht. Trotzdem hakte ich nach: „Du willst wirklich abbrechen?“
„Ja. Das alles hier ist scheiße gruselig und total hirnrissig. Wir gehen jetzt zurück und morgen können wir von mir aus versuchen, der Poli-“ *Knall*
Ich hatte Allans Aufschrei nicht gebraucht um zu begreifen was passiert war. Ich fuhr herum. Die Tür war verschlossen und meine Packung Taschentücher lag mitten im Flur.
„Alter! Da war jemand an der Tür!“, Allans Augen waren vor Schreck geweitet.
„Hey! Wir sind hier noch drin!“ schrie er dann und sprintete zurück den Gang entlang, doch natürlich blieb die Tür fest verschlossen.
Ich selbst war an Ort und Stelle geblieben und sah Allan zu, wie er wütend gegen das polierte Holz trat und hämmerte, doch innerlich wusste ich, dass dies völlig vergebens war. Kein Mechanismus, hatte die Tür verriegelt. Es war ein Mensch. Ein Mensch oder etwas Anderes. Doch was auch immer es war, es würde uns nicht gehen lassen. Nicht bevor wir dort unten waren. Warum, wusste ich nicht, doch ich hoffte es eines Tages herauszufinden. Früher oder später. Nach geschlagenen Minuten, tauchte Allan erschöpft wieder neben mir auf.
„Scheiße, da ist nichts zu machen.“ keuchte er und stützte sich mit den Händen auf seinen Knien ab.
„Jemand will dass wir dort hinunter gehen.“
„Na toll. Dann bleibt uns wohl kaum eine andere Wahl, was?“ gab Allan keuchend zurück und gab ein heiseres Kichern von sich.
„Was meintest du mit, da war jemand an der Tür? Wie sah er aus?“ fragte ich.
„Seltsam. Er war recht groß. bestimmt größer als wir und total dünn… Er hatte eine Glatze, zumindest sah es so aus… aber viel konnte ich echt nicht erkennen, dafür ging es einfach zu schnell. Er hat die Tür geöffnet, die Taschentücher in den Gang getreten und sie dann, geschlossen. Ach übrigens, hier.“ er hielt mir die Packung entgegen. „Du kannst sie behalten.“, erwiderte ich, „Für deinen Mund. Du siehst schon wieder aus wie Graf Drakula, persönlich.“
Allan nickte und wischte sich erneut die Lippen ab.
Ich erinnerte mich, wie ich bei meinem ersten Besuch, ebenfalls den Eindruck gehabt hatte, einen Kahlköpfigen Mann zu sehen, draußen, zwischen den Hohen Hecken, die das Türchen umgaben und ein flaues Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Wir waren tatsächlich, nicht allein.
Als ich das Unbehagen in Allans Augen sah, fühlte mich schuldig.
„Hör mal, tut mir leid… dass ich dich in diese ganze Scheiße mit reingezogen hab.“
„Machst du Witze?“, Allan sah mich bestürzt an.
„Du hattest die letzten Jahre schon genug Ärger wegen mir und jetzt-“
„Jetzt hör mal zu,“ unterbrach mich Allan schroff, „du bist mein bester Freund… mehr noch. Du bist für mich wie ein Bruder und das weißt du. Wenn du Hilfe brauchst bin ich immer für dich da, du würdest schließlich das gleiche für mich tun. Also reiß dich zusammen!“
Die Heftigkeit seiner Reaktion überraschte mich. Doch gleichzeitig war ich ihm dankbar für seine Worte.
„Tut mir leid… Ich wollte nur… Danke.“ stammelte ich vor mich hin und blickte auf meine Füße.
Als ich mich schließlich abwenden wollte, sagte Allan:
„Hey Mann“
„Ja?“
„Ich will so etwas nie wieder von dir hören. Ist das klar?“ Ich lächelte, und wandte mich um.
„ist klar.“ Dann knipste ich meine Taschenlampe an und wir stiegen gemeinsam hinab und die Dunkelheit verschlang uns, wie ein hungriges Tier.
Nach etlichen Minuten, die sich wie Stunden anfühlten, in denen keiner von uns ein Wort sagte, standen wir schließlich in dem Raum, mit den drei Türen. Und der angelaufene Neonröhre, die die grauen Betonwände, in ihr blasses Licht tauchte. Ich fühlte mich in diesem Moment, als wäre ich direkt in meinem schlimmsten Albtraum gelandet. Ich kniff mir in den Unterarm und als ich nicht schweißgebadet in meinem Bett erwachte, hätte ich Al am liebsten in dem dunklen Keller stehen lassen und wäre davon gerannt. In diesem Moment, merkte ich, dass ich Angst hatte. Todesangst. Draußen hatte ich den Mut gehabt das Anwesen erneut zu betreten weil es Tag gewesen war, doch hier unten in diesem Keller war die Tageszeit völlig einerlei. Hier unten war es immer dunkel. Dunkel, feucht und verdammt unheimlich. Mein Verstand überschüttete mich mit Erinnerungen an die vergangene Nacht und ich stand einfach nur still da, und lauschte und versuchte ein Geräusch auszumachen, dass klang, als würde jemand einen metallischen Gegenstand über den Boden schleifen, gefolgt von schweren schritten, die über den harten Betonboden donnerten. Doch alles was ich hörte, war mein eigener Herzschlag, und Allans Stimme, die meine finsteren Gedanken durchbohrte: „E.G. Archiv“
Er stand vor der Tür, welche zu dem Raum mit den Schaufensterpuppen führte und beleuchtete, mit dem Strahl seiner Taschenlampe die kleine Messing-Platte, die in der Mitte der Tür angebracht war, da das Licht, welches die Neonröhre warf, bei weitem nicht ausrichte, um erkennen zu lassen was dort stand. Ich trat an seine Seite. Meine Schritte knirschten auf dem Betonboden und hallten von den Wänden wieder, ebenso wie Allans Worte. „E.G.“, flüsterte er erneut, „Edward… Gein? Mann, du verarschst mich doch.“ Er schüttelte ungläubig den Kopf.
„Was habe ich dir gesagt? Ed Gein hat hier wirklich gelebt.“
„Voll krass“, gab Allan zurück, während er mit der Hand über die Messing-Platte fuhr, in welche Edward Geins Initialen, in geschwungenen Buchstaben eingraviert waren. Eine dünne Staubschicht, löste sich davon ab und das goldene Metall glänzte im Schein seiner Taschenlampe. „Aber dass er hier gelebt hat, ist noch lange kein Beweis dafür, dass er hier immer noch lebt, oder?“
Bevor ich ihn vorwarnen konnte, griff er nach der silbernen Klinke und versuchte die schwere Tür zu öffnen, doch sie war fest verschlossen. Er rüttelte daran, doch sie gab um keinen Millimeter nach. Verdammt dachte ich. Wenn das selbe für die anderen Türen galt, wäre ich nie im Stande Allan, geschweige denn der Polizei, einen vernünftigen Beweis zu liefern. Dennoch begann ich, in meiner Jackentasche herum zu wühlen und beförderte einen kleinen schwarzen Fotoapparat ans Licht. Ich hatte ihn noch am heutigen Morgen in der Stadt gekauft, bevor ich mich auf den Weg zum Spukschloss gemacht hatte. Es war ein billiges Teil gewesen, doch es funktionierte und würde für heute, sicher ausreichen.
„Oh gut, dass du daran gedacht hast.“, warf Allan ein, während ich eine leere Filmrolle in die Kamera steckte. „Nicht wahr?“
„Hätte ich nicht bis zehn gepennt, wäre ich sicher auch noch auf die Idee gekommen.“
„Tja, der frühe Vogel fängt eben den Wurm, was?“ gab ich zurück, hob die Kamera vor die Augen, drückte den Auslöser und schoss ein Foto von dem Messing-Schild. Ein Blitz erhellte den Raum und die Kamera klickte. Mist. Wäre ich doch nur nicht so geizig gewesen, und hätte mir eine Polaroidkamera gekauft. Dann hätte ich wenigstens sehen können was ich fotografiert hatte. Ich lief durch den Raum, hinüber zur Tür, welche gegenüber der Treppe lag. und besah mir das Schild. E.G. Kontor, stand dort in geschwungenen Lettern. Sein Büro? Ich rüttelte an der Klinke und versuchte die Tür zu öffnen. Verschlossen. Resigniert drehte ich mich zu Allan um und blickte ins grelle Licht seiner Taschenlampe. Ich blinzelte und hielt mir den Arm vor die Augen.
„Alter halt das Ding woanders hin.“, keifte ich und Allan tat wie ihm geheißen.
„Sorry, Mann. Ist der Raum offen?“
„Nein.“, gab ich, mit einem missmutigen Blick auf das Schild, zurück. Ich hob die Kamera und schoss auch davon ein Foto.
„Bleibt wohl nur noch eine.“ sagte Allan.
Wir schritten gemeinsam durch den Raum und blieben vor der Tür, zur linken der Treppe stehen. E.G. Atelier. Ich atmete tief durch. Einerseits hoffte ich dass sich die Tür öffnen würde, andererseits hatte ich Angst vor dem was dahinter liegen mochte. Was würde das Atelier eines Mannes verbergen, der Kleider aus Haut nähte? Mein Herz begann, merklich schneller zu Klopfen als ich die Hand langsam auf die Klinke legte. Das Metall war etwas rostig und fühlte sich rau an, unter meinen Fingern. Auch Allan neben mir wirkte auf einmal angespannt. Ich drückte die Klinke hinunter. Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf völlige Finsternis frei. Schon wieder nichts als Finsternis.
Kein Geräusch drang heraus, dafür stieg uns, mit einem mal ein furchtbarer Geruch in die Nase. „Alter was ist denn das für ein Gestank? das ist ja widerlich“, bemerkte Allan und hielt sich die Kapuze, des Hoodies, den er unter seiner Jacke trug vor die Nase. Ich tat es ihm gleich und musste einen Würgereflex unterdrücken. „Puh, riecht ja fast wie bei Wendys.“, bemerkte ich und erntete einen Schlag auf die Schulter. „Wendys ist ein Heiligtum.“, zischte er, „über heilige Dinge scherzt man nicht.“ Obwohl es unsere missliche Situation kaum erlaubte, musste ich lachen. Humor, half gegen die Angst und das wussten wir beide. Doch mein Lachen erstarb, als ich hörte wie es aus allen Richtungen des Raumes widerhallte und mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte. „Saal“ wäre ein passenderer Begriff gewesen für das was vor uns lag. Ich knipste meine Taschenlampe an und ließ den Strahl, die Dunkelheit erhellen. Viel war nicht zu erkennen, doch die Mitte des Raumes zierte ein gewaltiger stählerner Tisch. Es war ein massiver Silberner Block mit vier kurzen, kräftigen Beinen, die das schwere Metall, knapp über der Erde schweben ließen. Langsam und ein wenig neugierig, trat ich in die Dunkelheit ein. „Alter wir sollten nicht einfach…“, hörte ich Allan etwas nervös sagen, doch er brach den Satz ab. Nach einigem zögern folgte er mir, erst langsam, beschleunigte dann aber seinen Schritt und trat schließlich an meine Seite. „Mann, was ist denn das für ein Tisch? Sieht aus wie so ein Operationstisch. Oder ein Altar… mit viel Fantasie“ Allans Stimme hallte von den Wänden wieder, als liefen wir durch den Saal einer Kirche. „Gute frage.“ flüsterte ich beklommen. „Ich denke mal, wir werden es gleich sehen. Der Strahl meiner Taschenlampe Spiegelte sich im silbernen Metall des schweren Tisches und als wir ihn schließlich erreichten und fast zeitgleich die raue Platte aus gebürstetem Stahl beleuchteten, stockte uns augenblicklich der Atem und ich wich erschrocken zurück. Allan drehte sich zur Seite und gab ein ersticktes würgen von sich. „Ach… du heilige Scheiße.“, stieß er hervor während ich völlig entsetzt auf das Schauspiel starrte, welches sich uns bot. Die gesamte Tischplatte, war voller Blut.
Dickes schwarzes, dünnes rotes und altes braunes Blut sickerte in die Rillen und Abflüsse, welche um die Platte herum in den Stahl eingelassen waren und verströmte einen widerwärtigen faulig-Metallischen Geruch. In einer verzierten Messingschale lagen verschiedenste Operationswerkzeuge, undblitzten gefährlich. Neben der Schale, stand eine altmodische Lampe. Der Schirm war Mottenzerfressen und die Glühbirne staubig und am unteren Ende angelaufen. Mir wurde ebenfalls schlecht und mein Magen rumorte heftig. Ich zog an der Kupferkette, die unten aus dem Lampenschirm heraus hing. Es klickte und ein Teil des Raums, sowie der Blutverschmierte Tisch wurde in ein düsteres, gelbliches Licht getaucht. Langsam, mit bebenden Fingern hob ich die Kamera und fotografierte das groteske Chaos. „Scheiße! Scheiße!! Was zur Hölle geht denn hier ab?“, zischte Allan. Ich antwortete nicht. Wie im Trance, ließ ich die Kamera wieder sinken und erst als Al sich wieder aufrichtete und mich am Arm packte, blickte ich ihn an. „Alter, lass uns von hier versch-“ er hielt inne und wir beide starrten auf den tiefroten Tropfen, der soeben mit einem leisen *Platsch* auf Allans Ärmel gelandet war und nun seitlich an dem weißen Kunstleder hinab lief. Langsam wandten wir unsere Blicke gen Decke und als wir sahen was über uns war, stieß Allan einen spitzen Schrei aus. Ich stolperte rückwärts und viel zu Boden. Doch obwohl mein Steißbein, bei dem Aufprall schmerzte, konnte ich den Blick nicht abwenden. Es war als hätten wir direkt in die Hölle geblickt. Leichen. Dutzende Leichen hingen, dicht an dicht Kopfüber von der Decke. Ihre gehäuteten Fratzen, zu stummen schreien verzerrt, ihre knochigen Hände nach uns ausgestreckt, als würden sie uns um Hilfe anflehen. Doch jede Hilfe, kam längst zu spät. Ich musste kämpfen um meinen Mageninhalt, bei mir zu behalten. Ein Kampf, den Allan, dem Geräusch nach zu urteilen, soeben verloren hatte. Was zum Teufel passierte hier? Das war doch alles völlig Surreal. Ich musste träumen. Ich musste aufwachen. Einfach nur aufwachen! Das hier, das war kein Atelier. Es war ein Schlachthaus. Langsam, mit Fingern, die vor Schock und Furcht bebten, hob ich die Kamera, richtete sie auf die toten Gesichter, die mich aus ihren leeren Höhlen vorwurfsvoll anstarrten und nie wieder Tageslicht sehen würden und schoss ein Foto.
Und Plötzlich, ohne Vorwarnung, durchfuhr mich ein Schmerz. Ein Schmerz wie ich ihn noch nie gespürt habe. Die Kamera glitt mir aus den Fingern und viel zu Boden. Ich griff mir mit beiden Händen an den Kopf und begann vor zu schreien.
Ich war hier. Hier in diesem Saal. Blut, überall war Blut. Ich hatte solche Angst. Schreie. Gequälte, markerschütternde Schreie. Vertraute stimmen. Tränen der Verzweiflung, die mein Gesicht hinab liefen. Er stand vor mir. Er war so groß. So viel größer als ich und so finster wie der Tod selbst. Warum? Warum war ich nur so klein? So wehrlos. Edward Gein streckte seine langen Finger nach mir aus. Panisch schlug ich seine Hand zur Seite und krabbelte auf allen Vieren rückwärts, bis mein Rücken an das kalte Metall des gewaltigen Tisches stieß. Mit zwei großen Schritten kam der Künstler auf mich zu. Packte mich und zog mich mit gewaltiger Kraft auf die Beine. Meine Augen starrten zum ersten mal, direkt in die Seinen. Und ich erkannte den Wahnsinn darin. Keine Reue, keine Vernunft, Nur blanken Wahnsinn. Das war das Ende. Röchelnd füllte er seine kranken Lungen mit Luft. Blut spritze mir ins Gesicht als er Schrie und mich schüttelte.
„Elija!! Elija komm zu dir, wir müssen hier weg!“
Ich keuchte und zitterte am ganzen Körper, als ich in Allans Augen blickte. Allans Augen. Nicht die von Ed Gein. Er hatte mich an den Schultern gepackt und sah mich mit einem bestürzten Gesichtsausdruck an. Ich war völlig am Ende. „Elija. Was zum Teufel ist denn bloß los mit dir?“
Ich versuchte zu sprechen: „A-Allan ich ha-hab ihn gesehen.“, stammelte ich.
„Wen hast du gesehen?“
„Edward Gein. Er- er war hier.“
„Wo hier?“
„Hier unten. Aber ich war nicht i-ich war nicht ganz ich…zumindest nicht richtig…“
„Was meinst du damit, du warst nicht ganz du?“ Allan sah mich an als hätte ich den verstand Verloren. Und ich konnte es ihm nicht verdenken.
„Ich weiß es nicht vielleicht…jünger?“, schloss ich meine wirre Erklärung und sah in Allans verständnisloses Gesicht. Allan seufzte nervös. „Hey, Mann, wie auch immer, wir müssen jetzt dringend hier raus. Du musst zu einem Arzt und wir müssen zur Polizei. Komm!“ er packte mich am Handgelenk und zog mich grob hinter sich her, durch den Raum, während er mit der Taschenlampe den Weg zur Tür beleuchtete. Als wir bei ihr waren, stieß Allan sie ohne zu zögern auf, doch bevor er mich überstürzt hinaus zerren konnte, viel mir etwas ein.
„Warte! Jetzt warte doch mal!“ Ich blieb stehen und sträubte mich gegen seinen Griff.
„Was ist denn jetzt noch? Ich will endlich hier raus!“ Zischte er verärgert, ließ mich aber dennoch los.
„Meine Kamera, sie ist mir dahinten aus den Händen gefallen, als ich diesen… Anfall? Naja was auch immer, hatte.“
„Na super…“ Ungeduld lag in Allans Stimme.
„Wo hast du sie denn verloren?“
„Da drüben, vor dem großen Tisch.“
Der blasse Schein der altmodischen Lampe, leuchtete den Bereich um den Tisch herum einigermaßen gut aus, reichte aber nicht bis in den hinteren Teil des Saals. Die Kamera lag nur ein Paar Fuß von dem Tisch entfernt. Ich lief hinüber und als ich in die Hocke ging um sie aufzuheben, merkte ich, dass sie deutlich leichter war als zuvor. Ich drehte sie in den Händen und besah sie mir von allen Seiten.
„Was ist los?“, fragte Allan und trat an meine Seite.
„Der Film fehlt. Er muss raus geflogen sein als sie mir herunter gefallen ist.“ sagte ich, richtete mich auf und leuchtete suchend den Boden der Halle ab.
„Findest du ihn?“
„Nein, vielleicht ist er an eine der Wände gerollt. Ich- ah, da hinten ist er.“
Der Film lag, ein paar Fuß entfernt, auf der Seite, dort, wo ihn das Licht der Lampe, welche auf dem Tisch stand, nicht mehr erreichen konnte. Scheinbar war er unter dem Tisch hindurch, Richtung Wand gerollt. Langsam ging ich auf ihn zu. Allan folgte mir, etwas zögernd. Es hatte etwas befremdliches, wie die kleine schwarze Rolle, dort so einsam und allein auf dem grauen Beton lag. Sie wirkte beinahe wie ein Köder. Wie eine Falle, in die wir schnurstracks hineintappten. Doch schließlich stand ich direkt über der Rolle. Sie lag zu meinen Füßen, inmitten eines Kreises aus Licht. Ich bückte mich langsam und streckte die Hand nach ihr aus. Dann packte ich sie mit einem schnellen Griff, hob sie auf und ließ sie in der Kamera verschwinden. Gerade wollte ich mich zu Allan umdrehen, als jemand direkt vor mir einen langen, röchelnden Atemzug tat.
Der Schreck fuhr mir so unerwartet in die Glieder, dass ich die Kamera beinahe erneut fallengelassen hätte. Panisch leuchtete ich vor mir in die Dunkelheit und direkt in das Gesicht einer ausgemergelten Frau. Mit einem erstickten Schrei, stolperte ich Rückwärts. Allan kam sofort hinzu geeilt. Der Strahl seiner Taschenlampe tanzte ebenfalls um die dürre Gestalt, vor mir, welche augenscheinlich mit kräftigen Lederriemen an einem stählernen Kreuz festgezurrt war, und lange, gequälte Atemzüge von sich gab. Die Frau schien mittleren Alters zu sein. Sie trug nichts außer einem dünnen Tuch, das ihre Hüfte bedeckte. Sie war so ausgezehrt, dass ihre Rippen unter der dünnen, blassen Haut deutlich hervor stachen. Mit wackligen Knien blickte ich hinüber zu Allan. Dieser Stand einfach nur da, wie angewurzelt. Mit offenem Mund hielt er die Taschenlampe auf die Frau, die langsam ihren Kopf hob und müde blinzelte. Tiefe Augenringe zerfurchten ihr eingefallenes Gesicht. Keiner von uns sagte ein Wort, bis ich als erstes meine Stimme wiederfand:
„Wer hat ihnen das angetan?“
Zur Antwort kam nur ein einziges Wort.
„Er“ ihre Stimme war ein trockenes Krächzen.
„Wer ist er?“
Es dauerte eine Weile bis sie wieder zu sprechen begann.
„Der Künstler.“
„Edward Gein? Aber Edward Gein ist ein Mensch.“
„Nicht hier unten. Hier unten ist er kein Mensch. Hier ist er ein Schneider. Ein Künstler.“
Dann viel ihr Kopf auf ihre Brust und sie blieb reglos. War sie tot? Nein, sie atmete. Schwach, aber immerhin atmete sie. Ein Schneider, ein Künstler. Was hatte das alles zu bedeuten?
„Hey! Hey, hören sie mich?“
Langsam hob sie erneut den Kopf. Eine Bewegung, die ihr scheinbar Unmengen an Kraft abverlangte.
„Wir hohlen sie hier raus, hören sie? wir bringen sie in ein Krankenhaus. Es wird ihnen bald wieder gut gehen. Allan ich bin sofort zurück.“ Allan rührte sich nicht. Er stand einfach nur da. Wie erfroren in seiner Schockstarre. Ich ließ ihn stehen, eilte geradewegs durch den Raum zurück zu dem großen Tisch und klaubte mit nervösen Fingern, zwei Skalpelle, aus der verzierten Silberschale. Dann lief ich zurück und drückte Allan eines der Messer in die Hand.
„Hier. Hilf mir die Gurte loszuschneiden.“
Endlich erwachte Allan aus seiner Starre und machte sich an die Arbeit. Das Leder war robust und es erwies sich als äußerst schwierig, die dicken Riemen durchzuschneiden, die die Arme, Beine und den Torso der Frau an den kalten Stahl fesselten. Doch schließlich, nach Minuten, die sich wie Stunden anfühlten, hatte ich den letzten Faden durchtrennt. Der dürre Arm der Frau, viel schlaff an ihrer Seite herab und Ich sah hinüber zu Allan. Dieser arbeitete ebenfalls Emsig an den letzten Fäden und als auch diese zertrennt waren, viel ihr anderer Arm herab und ihr Oberkörper sackte nach vorne in sich zusammen. „Zwei Arme haben wir schon. Sehen sie, sie sind gleich frei. Es wird alles gut.“ Ich versuchte so beruhigend und aufheiternd zu klingen wie nur möglich, doch ich konnte die Angst in meiner eigenen Stimme kaum verbergen und gerade als ich mich an dem Gurt zu schaffen machen wollte, der die magere Taille der Frau umschlang, hörten wir es. Ein schleifen. Ein Kratzen. Als würde jemand etwas schweres über den Boden ziehen. Etwas, aus Metall. Und dann Schritte. Schwere Schritte. Zu schwer für einen Hund, zu laut für einen Menschen. Ich kannte diese Schritte und blanke Panik flammte in mir auf.
„Was ist das??“, hörte ich Allan erstickt flüstern. Seine ängstliche Stimme hallte gespenstisch von den steinernen Wänden wieder, während ich in die Dunkelheit blickte und der Angstschweiß auf meiner Stirn ausbrach. Doch nicht ich, antwortete ihm. „Er kommt. Ihr müsst jetzt gehen.“
„Nein!“ Ich fuhr herum und machte mich mit nervösen Bewegungen erneut an dem Gurt zu schaffen „Ich lasse sie nicht hier.“ Mein Messer glitt träge durch das dicke Leder. Viel zu träge. Viel zu langsam. Ich schnitt mir in den Finger, als ich das Messer mit fahrigen Händen herauszog. Und erneut hineinstieß. Blut lief über meine Hand doch ich hörte nicht auf. Ich schnitt weiter und weiter, während die Schritte immer lauter wurden. Ich konnte sie doch nicht hier lassen. Ich konnte sie doch nicht sterben lassen!
„Er wird euch töten.“ hörte ich die Stimme der Frau über mir. „Geht. Bitte geht!“
„Scheiße Mann sie hat recht.“ Allans Stimme war zittrig, „komm schon du kannst nichts mehr tun. Wir müssen hier Weg!“
„Wir können sie doch nicht hier lassen!“, rief ich Verzweifelt.
„Wir müssen. Komm jetzt.“
Und dann packten mich zwei kräftige Hände unter den Armen und zogen mich von ihr weg. Ich sträubte mich anfänglich doch dann ließ ich es geschehen. Ich wusste, dass sie Recht hatten. Ich wusste welcher Schrecken sich in der Dunkelheit näherte. Ich konnte nichts mehr tun. Bevor Allan mit lauten Schritten zur Tür rennen wollte, war ich es, der ihn an der Schulter Packte und zum anhalten zwang. Es mochte dumm und unvorsichtig erscheinen doch ich hielt es für das richtige.
„Was ist los??“
„Zur Tür ist es zu weit. Es wird uns einholen. Es kann uns nur hören und riechen. Nicht sehen. Unter den Tisch, schnell. Der Blutgeruch, verwischt unsere eigenen!“
Allan folgte meinem Rat und wir quetschten uns, möglichst darauf bedacht kein Geräusch zu machen, unter den tiefen Stahl, gerade als der Schneider oder Künstler, oder was auch immer diese Abscheulichkeit nun sein mochte, ins blasse Licht meiner Taschenlampe trat und sein Anblick uns mit blankem grauen erfüllte. Allan gab neben mir ein ersticktes Keuchen von sich und schlug sich die Hand vor den Mund. Mein Herz klopfte wie wild und ich bekam kaum Luft. Bäuchlings lagen wir dicht an dicht und hielten den Atem an. Die Frau begann zu wimmern. Schwerfällig, schleppte sich der Künstler hinüber zu dem stählernen Kreuz, an dem die bedauernswerte Gestalt erschöpft zusammengesunken war. Sein Kopf zuckte dabei mit einem unangenehm lauten knacken hin und her. Die Keule lag diesmal nicht auf seiner Schulter, dafür trug es in seiner gesunden Hand, ein großes gebogenes Messer. Bei seinem Anblick wurde mir schlecht. Er war so groß. So furchteinflößend. „Was zur Hölle ist das nur?“, hörte ich Allan neben mir mit erstickter Stimme flüstern.
„Das ist Edward Theodore Gein.“, antwortete ich und bei seinem Namen, lief mir ein Schauer über den Rücken. Mit schlurfenden, schweren Schritten schob sich das Monster, vor die Silhouette der Frau, und wir sahen nun nichts als seinen gewaltigen Buckel und den dürren Arm der seitlich dran herab hing und dessen Hand, über den Boden schliff. Langsam verschwand das mörderisch blitzende Messer hinter dem Rücken des Ungetüms. Der Künstler begann sein blutiges Handwerk und der Saal füllte sich mit Schreien.
Es dauerte etliche Augenblicke, in denen wir beide nur den Atem anhielten und ihr beim sterben zuhörten, bis ihre markerschütternden Schreie, schließlich in ein ersticktes gurgeln übergingen und es endlich still war. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Allans Finger hatten sich vor Anspannung in meinen Arm gekrallt. Langsam drehte ich meinen Kopf zur Seite und sah ihn an. Er blickte zurück und es war als würde ich in den dunklen Spiegel meiner Vergangenheit blicken. Dies waren nicht Allans Augen. Dies war, nicht Allans Gesicht. Es war das Gesicht eines Mannes, der zum ersten mal in seinem Leben einen Menschen sterben sah. Und ich wusste bereits jetzt, dass dieses Gesicht, nie mehr verschwinden würde.
Zeitgleich sahen wir wieder zurück zu dem Ungetüm, das soeben den Blick auf die grauenhaft zugerichtete Gestalt frei gab. Ein Anblick, an den ich mich nicht erinnern will, und den ich an dieser Stelle, daher auch nicht weiter beschreiben werde. Der Schneider stand nun neben der Toten. und überragte sie um gut fünf Fuß. Er war so groß. Viel zu groß und so schrecklich. Aus dem Augenwinkel, sah ich wie Allan mit bebenden Fingern die Kamera vor die Augen hob und, bevor ich ihn aufhalten konnte, ein letztes Foto schoss.
Ein Fehler. Nach all der Vorsicht. Und er würde uns das Leben kosten.
Das Klicken der Kamera hallte fast so laut durch den Raum, wie die Todesschreie der Frau, deren Namen ich nie erfahren würde. Der Kopf des Ungetüms fuhr Augenblicklich herum. Es riss seinen Mund auf, weit -viel zu weit- und stieß ein Geschrei aus, das uns die Haare zu berge stehen ließ und dann begann er zu rennen.
„Fuck!“, hörte ich Allan flüstern. „Scheiße, raus hier, sofort raus!“, schrie ich und schob ihn grob von mir weg. So schnell wir konnten robbten wir unter dem mächtigen Tisch hervor, doch bevor wir uns aufrappeln konnten, war Ed Gein bereits bei uns und stieß den Tisch mit einem kräftigen Schlag um. Allan tat einen Hechtsprung und ich rollte mich gerade noch zur Seite, bevor ich unter Tonnen aus Stahl und Metall zerquetscht wurde, wie eine Ameise unter dem Finger eines Sadistischen Kindes. Der Tisch donnerte mit einem ohrenbetäubenden Lärm zu Boden. Ein großer Schwall aus Blut und Wasser schwappte von der Platte, sowie aus dem Behälter darunter und ergoss sich über den grauen Beton. Ich kam so schnell ich konnte wieder auf die Beine. Allan rappelte sich gerade auf, als der Schneider mit dem Messer nach ihm hieb. Ich konnte ihn gerade noch weg ziehen, bevor Gein ihm den Arm abschlagen konnte, stattdessen hinterließ das scharfe Metall einen langen Schlitz in dem weißen Kunststoff seiner Jacke. „Zur Tür. Zur Tür!“, schrie ich und wir rannten wie von der Tarantel gestochen auf den rettenden Ausgang zu. Als wir hindurch stürzten, schlugen wir die Tür hinter uns zu und lehnten uns dagegen. „Das wird ihn nicht aufhalten.“, keuchte ich, während der Schneider, wie wild von der anderen Seite gegen das schwere Holz hämmerte. Schließlich ebbte das Hämmern ab und für einen Moment herrschte Stille. Doch dann, ohne Vorwarnung, tat er einen gewaltigen Schlag gegen die Tür. Dann noch einen. Das Holz splitterte und schließlich brach die Tür aus den massiven Angeln und schwang mit solch einer Wucht auf, dass Allan und ich in den Raum geschleudert wurden. Wir rappelten uns auf so schnell wir konnten, während der Künstler seine Langen Arme durch die Öffnung schob und sich langsam hindurch zwängte. „Los, die Treppe hoch!“ hörte ich Allan schreien und gemeinsam stolperten wir die Teppich-bezogenen Stufen hinauf. Als wir ungefähr auf der Hälfte der Treppe waren, hörten wir, wie das Monster, ebenfalls die ersten Stufen hinauf rannte und zwar in einem deutlich hören Tempo als wir an den Tag legten.
„Scheiße, er kommt!“ rief Allan panisch. „Wie lang ist diese verfluchte Treppe??“
Der Künstler stieß einen gellenden Schrei aus und innerlich schickte ich ein Stoßgebet zu Gott, dass die Tür am Ende des Korridors, bitte offen sein mochte. Ich wollte hier nicht sterben. Dann endlich kam der rettende Ausgang in Sicht. Wir stürzten hindurch in den Korridor und im nächsten Moment, Kam der Schneider mit alarmierender Geschwindigkeit hinter uns her. Die Tür war zu klein für ihn. Seine gewaltigen Schultern brachen durch den hölzernen Türrahmen und rissen einen Teil der verkleideten Wand ab. Ölgemälde stürzten krachend zu Boden und Glas splitterte. Meine Lunge protestierte heftig und mein Atem rasselte wie eine alte Kettensäge, doch wir rannten weiter, immer weiter, so schnell wir konnten. Im rennen drehte ich mich um. Der Künstler war nur noch wenige Fuß entfernt. Seine massige Gestalt, füllte den gesamten Korridor aus und er war so verflucht schnell. Da war die Tür! Bitte, Bitte sei nicht verschlossen! Bitte!! Gerade als ich das surren der mörderischen Klinge hinter mir hörte, bekam Allan die geschwungene Klinke zu fassen und die Tür schwang zu beiden Seien auf. Hals überkopf stürzten wir hindurch. Ich stolperte, stürzte, rutschte über den glatten Marmorboden der weißen Halle. Sofort drehte ich mich auf den Rücken, stützte mich mit den Armen ab und erwartete zu sehen wie das Monster aus dem Korridor heraussprang und mir den kalten Stahl in die Eingeweide rammte. Ich bereitete mich auf mein Ende vor, doch da war Nichts. Nichts als die Tür aus Holz, deren Politur im goldenen Licht der Nachmittagssonne glänzte. So glatt, glänzend und sauber wie eh und je. Als wäre nichts passiert.
Ich keuchte und meine Arme zitterten vor Erschöpfung. Für einige Augenblicke, die sich wie Stunden anfühlten, saß ich einfach so da und starrte die Tür an. Dann ließ ich mich langsam auf den Rücken sinken. Mein Hinterkopf viel sanft auf die kühlen fliesen und ich blickte an die verzierte Decke. Ich Verstand absolut nicht was vor sich ging, doch für einen Moment blieb ich einfach dort liegen und Atmete und freute mich, am Leben zu sein. Ich lebte verdammt! Schließlich ließ ich den Blick zur Seite wandern. In einiger Entfernung rappelte sich Allan mühsam auf. Er schwankte etwas, als er zu mir herüber kam. Seine Schritte quietschten auf den glatten Fliesen. Obwohl mir nur nach Schreien oder Weinen zumute war, entfuhr mir ein seltsam überdrehtes Lachen. Scheiße nochmal wir lebten!
„Sind wir tot?“ fragte ich die Decke über mir.
„Ich… weiß es nicht.“ antwortete Allan etwas Tonlos.
Als er über mir stand, streckte er eine zitternde Hand aus. Ich ergriff sie und er zog mich auf die Füße.
„Wo zum Teufel ist er hin?“ fragte ich.
„Ich weiß es nicht.“ wiederholte Allan.
Seine Stimme war matt. Er klang erschöpft. Doch ich wusste dass diese Erschöpfung nicht rein körperlicher Natur war. Langsam ging ich hinüber zur Tür, hinter der wir gerade beinahe gestorben waren, und legte die Hand auf das bronzene Metall der Klinke. Langsam drückte ich sie hinunter. Doch sie regte sich. Die Tür war verschlossen. Im nächsten Moment, drang ein lautes knarren durch den Saal. Wir fuhren erschrocken herum und sahen, wie sich das große Portal aus schwerem Ebenholz langsam öffnete. Warmes Sonnenlicht glitt durch einen schmalen Spalt, der immer breiter wurde und blendete uns. Wir hoben beide schützend die Arme vor die Augen und als die gewaltige Pforte offen stand und uns das Sonnenlicht freundlich und warm ins Gesicht schien, verstand ich. Man ließ uns gehen. Man ließ uns einfach gehen. Aber warum?
Als wir ins Sonnenlicht traten empfing uns Vogelgezwitscher. Es war, als würden wir einen bösen Traum hinter uns lassen. Keiner von uns sagte ein Wort. Mit Knien, weich wie Knetmasse, zitternden Händen, und völlig fertig, liefen wir über das Grundstück, hinab zu dem schmiedeeisernen Tor, über das ich nie hätte klettern dürfen. Übermut tut selten gut, Mr. Davis.
Als wir in der Nähe des Tors waren, fasste ich Allan bei der Schulter. Mechanisch blieb dieser stehen und drehte sich zu mir um. Ich blickte ihm tief in die Augen. Er sah zurück, doch ich wusste, dass er fort war. Weit fort. Tief unten in dem Keller. Immer noch bei dem Monster. Immer noch bei der Frau, deren Name wir nie erfahren würden. Ich schüttelte ihn sanft.
„Hey Al, ist alles in Ordnung?“ Sein Blick fixierte meinen. Dann versuchte er es mit einem trägen Lächeln, das so gar nicht nach Allan aussah.
„J-ja sicher. Alles in Ordnung. Warum sollte nicht alles in Ordnu-ng sei…“ mit dem letzten Wort brach seine Stimme schließlich. Das Lächeln entglitt ihm und als ich sah wie sich Tränen in seinen Augen sammelten, packe ich ihn, ohne ein weiteres Wort und schloss ihn in eine feste Umarmung. „Sie ist tot Mann! Sie ist tot verdammte scheiße!!“ schluchzte er in meine Schulter, währen ihm die Tränen ungehindert die Wangen hinab rollten. Ich strich ihm beruhigend über den Rücken.
„Wir hätten nichts mehr tun können. Es war zu spät.“ Auch ich musste schlucken. Und spürte, wie meine Augen nass wurden. Der Schrecken saß uns beiden tief in den Gliedern. So tief. Und es dauerte eine Weile, bis wir uns wieder einigermaßen gefangen hatten. Schließlich lösten wir die Umarmung. „Hätte ich dich nicht zurück gehalten, vielleicht…“ Sofort packte ich Allan bei den Schultern. „Hättest du mich nicht zurück gehalten, wären wir jetzt alle drei tot! Du hast das richtige getan. Gib dir auf keinen Fall die Schuld… für irgendwas!“ Ich legte so viel Nachdruck in den letzten Satz wie nur möglich und hoffte, dass meine Worte zu ihm durchdrangen. zur Antwort ließ Allan ein schniefen hören und als er sich mit dem Ärmel seiner Jacke übers Gesicht wischte, viel mir etwas auf: „Hey. Dein Ärmel… hatte das Monster ihn dir nicht zerschnitten?“ Allan besah sich den Ärmel seiner Jacke. Er war völlig Makellos. „Verdammt du hast recht.“ bemerkte er verblüfft, während er das Kunstleder inspizierte. Dann blickten wir beide zurück zu dem großen Anwesen, das dort grau und verlassen auf der grünen Lichtung zwischen den tiefgrünen Nadelbäumen stand, die sich sanft im Wind wiegten. Ich schüttelte langsam den Kopf. „Was ist das nur für ein Ort?“ Und eine Stimme, irgendwo in den Untiefen meiner wirren Gedanken, Antwortete mir:
Es ist das Haus, eines Künstlers.