ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Fenster. Wenigstens Fenster hätte die Wohnung haben sollen. Aber das
einzige Licht, dass seine Wohnküche erhellte, kam von den nackten
Glühbirnen an der Decke. Immerhin schienen sie einfach nicht auszugehen,
auch wenn sie schon seit unzähligen Tagen brannten. Es waren keine von
diesen modernen LED-Lampen. Nicht einmal Energiesparlampen oder
Halogenlampen. Es waren die guten alten Glühbirnen und damit richtige
Stromfresser, auch wenn das für Michael keine wirkliche Bedeutung hatte.
Er brauchte keine Stromrechnung mehr zu bezahlen.
Eigentlich wurden diese Glühlampen nicht mehr hergestellt. Das hatte
er über den Fernseher erfahren. Es war ein altes Gerät aus den frühen
achtziger Jahren. Schwer und mit schlechter Bildqualität. Aber immerhin
eine Stunde am Tag konnte er dort Nachrichten sehen. Es war seine
einzige Verbindung zur Außenwelt. Ein anderes Programm gab es nicht.
Das heißt: Manchmal doch. Hin und wieder sah er düstere
Schwarzweiss-Bilder wie von einer Überwachungskamera. Darauf waren
dürre, hässliche, lippenlose Wesen mit strähnigen Haaren zu sehen, die
vor schimmligen und verfallenen Wänden umherkrochen. Die Geräusche in
der Nacht hatten ihn zu dem Schluss gebracht, dass sie sich ganz in der
Nähe befinden mussten. Die Wesen taten dabei nichts besonderes. Außer
herumzukriechen und zu laufen und gelegentlich direkt in die Kamera zu
sehen. Das aber waren die grauenhaftesten Momente eines jeden seiner
Tage. An den Anblick der herumkriechenden Kreaturen hätte er sich
gewöhnen können – nicht sofort, aber 35 Jahre waren eine lange Zeit –
aber an diese Augen und diese Gesichter würde er sich nie gewöhnen.
Dieses Kunststück würde schlichtweg niemand fertig bringen. Sie sahen
fast aus wie Menschen, aber doch auch wieder nicht mit ihrer bleichen,
pergamentartigen Haut, den dunklen großen Augen und den spitzen, dürren
Gesichtern. Er wollte wegschauen, aber so schrecklich die Bilder auch
waren – sie waren besser als der ewig gleichen Anblick der kahlen,
dreckigen Wände seines Zimmers.
Jede Nacht, wenn er das Kratzen, Wispern und Röcheln von jenseits der
Wände hörte, hatte er Angst, dass sie irgendwann zu ihm kommen würden.
Dass er diese grauenhaften Gesichter aus nächster Nähe sehen und –
schlimmer noch – fühlen und riechen musste. Aus irgendeinem Grund war er
sich sicher, dass sie einen ekelhaften Geruch verbreiten würden. Sie
hatten etwas an sich, in ihren Bewegungen und ihren Gesichtern, dass ihm
beinah das Gefühl gab, ihre Ausdünstungen durch den Monitor hindurch
riechen zu können
So beängstigend dieser Gedanke auch war – noch schlimmer war das alte
Gesicht, das ihn jeden Morgen im Badezimmerspiegel erwartete. Er konnte
es immer noch nicht als sein eigenes akzeptieren. Er war erst zwanzig
Jahre alt gewesen als er diese Wohnung besichtigt hatte. Er war durch
eine Zeitungsanzeige darauf aufmerksam geworden und auch wenn sie sich
in einem recht heruntergekommenen Hochhaus befunden hatte, war sie dafür
ausgesprochen günstig gewesen und er hatte damals unbedingt von seinen
Eltern wegziehen wollen. Auf eigenen Füßen stehen. Eine eigene Zukunft
aufbauen.
Wie so oft in all den Jahren fragte er sich, was aus seinen Eltern
geworden war. Womöglich waren sie inzwischen tot. Mit Sicherheit aber
waren sie alt und er würde sie nicht mehr als die Personen erkennen, die
sie einst waren. Er war ihr einziges Kind gewesen, aber inzwischen
würden sie nur noch selten an ihn denken, wenn sie überhaupt noch
lebten. Seine Freunde von damals würden ihn dagegen sicher längst
vergessen haben. Sie hatten ihr Leben gelebt, hatten sich verliebt,
Karriere gemacht, Partys gefeiert, ihre Hobby gepflegt, Reisen
unternommen, Freundschaften geknüpft und all das gemacht, was ein
erfülltes Leben ausmachte. Er dagegen sah seine Jahre einsam und
ereignislos an sich vorüberziehen ohne das etwas passierte, was sich
nicht auf dem Bildschirm dieses verdammten Fernsehers abspielte.
Immer wieder hatte er sich gewünscht an diesem Tag nicht zu dieser
verfluchten Wohnungsbesichtigung gegangen zu sein. Aber so etwas wie
eine Zeitmaschine gab es leider nicht und so ließ sich auch nichts
daran ändern, dass ihn seine Füße an diesem sonnigen Augusttag vor 35
Jahren in sein künftiges Gefängnis geführt hatten. Der Mann, der ihm die
Wohnung gezeigt hatte war ein hässlicher, unysmpathischer Kerl gewesen,
der auch ein wenig verrückt gewirkt hatte. Aber dennoch hatte Michael
die Bruchbude inspiziert. Nachdem er sich das fleckige, angeschimmelte
Sofa, das dreckige Badezimmer und die unhygienische Küche angesehen
hatte, hatte er angewidert verschwinden und sich nach etwas anderem
umsehen wollen.
Als er sich aber umgedreht hatte, war der Mann verschwunden und die
Tür war verschlossen gewesen. Zuerst hatte er nach ihm gerufen, dann
geschrien. Aber selbst nach mehreren Stunden hatte niemand auf seine
Rufe reagiert. Auch seine Versuche, die Tür zu zerstören waren zwecklos
gewesen. Er hatte es zwar geschafft sie zu beschädigen, aber alle
Schäden die er angerichtet hatte, waren kurz darauf wieder verschwunden.
Irgendwann war er erschöpft eingeschlafen, bis er in der Nacht vom
Flackern des Fernsehers geweckt worden war. In dieser Nacht hatte er zum
ersten Mal diese grauenerregenden Wesen gesehen.
Am nächsten Morgen war er nicht nur schweißgebadet, sondern auch
durstig und hungrig erwacht. Da er ohne Nahrung und Wasser nicht die
Kraft gehabt hätte, sich weiter an der Tür zu versuchen oder über eine
andere Möglichkeit zur Flucht nachzudenken, hatte er den Kühlschrank,
jeden einzelnen Vorratsschrank, jede Schublade und jeden anderen Winkel
der kleinen Wohnung nach etwas Essbaren oder Trinkbaren durchsucht. Aber
der Kühlschrank war defekt und leer gewesen und auch in den Schränken
hatte er nichts außer Staub und Schmutz gefunden.
Als er den Wasserhahn in der Küche aufgedreht hatte, hatte sich rein
gar nichts geregt. Erst als er sein Glück im Badezimmer versucht hatte,
hatte er Erfolg gehabt. Allerdings war kein Wasser aus dem Hahn
gekommen. Nicht im klassischen Sinne. Statt der erhofften kristallklaren
Flüssigkeit, platschte eine dickflüssige, stinkende Brühe aus dem Hahn,
die auch dann nicht sauberer wurde als er den Wasserhahn mehre Minuten
lang aufgedreht hatte. Angewiedert hatte er sich damals von diesem
Gebräu abgewandt. So etwas würde er nie im Leben anrühren, hatter er
sich geschworen.
Als aber Hunger und Durst mit der Zeit immer schlimmer geworden
waren, sein Magen zu schmerzen begonnen und seine Kehle sich wie
Sandpapier angefühlt hatte, hatte er seine Meinung geändert. Eines
Morgens hatte er seine Lippen direkt an den stinkenden, rostigen
Wasserhahn gesetzt, ihn aufgedreht und die verfaulte Brühe in seine
Kehle sickern lassen als wäre es köstlichster Nektar. Sie hatte sich zäh
und pelzig angefühlt und ganz wie erwartet, bitter, faulig und ganz und
gar widerlich geschmeckt. Aber dennoch hatte er mehr und mehr davon
getrunken.
Eigentlich hatte er erwartet, dass ihn die ekelhafte Flüssigkeit
krank machen würde. Aber das Gegenteil war der Fall gewesen. Er hatte
sich stärker und ausgeruhter gefühlt. Allerdings nicht stark und
ausgeruht genug, um in den folgenden Tagen einen Ausweg aus der Wohnung
zu finden oder laut genug zu schreien, um von Irgendjemandem gehört zu
werden. Falls überhaupt etwas menschliches in diesem Haus war, dass ihn
hören konnte. Und wenn doch: Wer sagte ihm dann, dass nicht jede
einzelne der vielen Wohnungen in diesem Hochhaus von einem anderen
Verzweifelten bewohnt war, der sein Gefängnis nicht verlassen konnte?
Neben dem fauligen Geschmack hatte die Flüssigkeit noch eine andere
Eigenart. Sie führte zu schrecklichen Albträumen in denen ihm die
grauenhaftesten Dinge passierten und die abscheulichsten Kreaturen
begegneten. Aber das Erwachen war stets das schlimmste an jedem Traum.
In den Träumen passierte wenigstens etwas.
Nachdem er endlich eingesehen hatte, dass kein Retter kommen würde
und das eine Flucht unmöglich war, hatte er versucht, sich umzubringen.
Er hatte sich mit einem rostigen Küchenmesser die Pulsadern
aufgeschnitten, hatte versucht sich mit einer alten Plastiktüte zu
ersticken und sogar sich selbst den Kopf zu zertrümmern. Aber nichts
davon hatte geholfen. Es war so als wäre er in diesem Zimmer genauso
unsterblich, wie auch alle dort vorhandenen Gegenstände unzerstörbar
waren.
Also blieb ihm nichts anderes übrig als sich Tag zu Tag beim Altern
zuzusehen, die stinkenden Brühe aus dem Wasserhahn zu konsumieren und
jede Nacht die Albträume und die Bilder und Geräusche zu ertragen, die
von diesen schrecklichen Kreaturen stammten.
Doch wie bereits erwähnt: Das Schlimmste war der Spiegel, den er zwar
schon mehrmals zerstört hatte, der sich aber immer wieder auf Neue
zusammengefügte. Denn darin sah er nicht nur wie er sich über die Jahre
von einem hübschen jungen Mann in ein verbittertes, altes Wrack
verwandelte – er sah auch Veränderungen, die nichts mit dem natürlichen
Alterungsprozess zu tun hatten und nicht einmal mit dem nie endenden
Schrecken und Stumpfsinn seiner Tage zu erklären waren. Seine Haut wurde
langsam wächsern und pergamentartig, seine Haare strähnig und auch
sonst ähnelte er den Kreaturen auf dem Bildschirm in letzter Zeit mehr
und mehr. Noch war die Ähnlichkeit nicht zu offensichtlich und würde
einem Außenstehenden sicher nicht unbedingt auffallen. Aber wer wie er
die meiste Zeit mit sich selbst allein war, der bemerkte auch die
kleinsten Veränderungen.
Doch so trostlos und schrecklich seine Existenz in diesem tristen
Gefängnis auch sein mochte – eine kleine Hoffnung gab es. Sie war erst
kürzlich in Form eines Tablets erschienen, dass eines Morgens auf seinem
Nachttisch gelegen hatte. Dank der tägliche Nachrichten hatte er
zumindest grob gewusst, worum es sich dabei handelte und hatte die
Funktionsweise bald begriffen. Das Gerät besaß sogar einen
Internetzugang, doch die einzigen Seiten, die er aufrufen konnte, waren
Immobilienportale. Alles andere blieb ihm verwehrt. Dabei wurde ihm
schnell klar, welche Botschaft ihm die Wesen hinter den Mauern senden
wollten. Sie boten ihm damit einen Ausweg an. Es war ein schrecklicher
Ausweg, aber nach all den Jahren war er nicht wählerisch. Also setzte er
seine Inserate auf, schilderte die Wohnung in den schillerndsten Farben
und bot sie zu einem regelrechten Spottpreis an. Er konnte alles
versprechen, da er diese Versprechen nie würde einlösen müssen. Bilder
von der Wohnung konnte und wollte er nicht machen. Das hätte nichts
genutzt, sondern eher geschadet. Aber auch so gestattet er sich ein
wenig Hoffnung. Eine andere Chance hatte er ohnehin nicht.
Und tatsächlich hatte sich diese Hoffnung heute erfüllt. Es zwar ein
junger Mann um die Zwanzig, der an seiner Tür geklingelt und der sie zum
ersten mal seit 35 Jahren geöffnet hatte. Im Laufe der
Wohnungsbesichtigung war dem jungen Mann die Enttäuschung anzusehen
gewesen, aber dennoch hatte er die Wohnung genau inspiziert. Günstiger
Wohnraum war schwer zu finden. Als der Mann sich das Bad ansah, nutzte
er die Gelegenheit. Sein empörtes Klopfen und Schreien störte Michael
nicht weiter. Es war an der Zeit, dass jemand anders übernahm.
Spätestens in einigen Tagen würde der Mann einsehen, dass es für ihn
kein Entkommen gab und dann würde sich der Kreislauf erneut ereignen.
Für viele Jahre. Denn Michael hatte gesehen, wie das Tablet sich in
nichts aufgelöst hatte, kurz bevor der Mann geklopft hatte. Manche Dinge
musste man sich verdienen.
Kurz überlegte Michael nach Draußen zu gehen. Die Sonne auf der Haut
zu spüren, den Regen auf dem Asphalt prasseln zu hören, zu sehen ob
seine Mutter, sein Vater oder jemand anders, den er gekannt hatte sich
noch an ihn erinnerte. Aber jetzt wo er die Möglichkeit dazu hatte,
hatte er kein Interesse mehr daran. Er interessierte sich vielmehr für
den Ort von dem die Geräusche stammten und wo die fremdartigen Wesen
unablässig umherkrochen und die unfreiwilligen Bewohner quälten.
Es war eine aufregende Vorstellung sie mit eigenen Augen zu sehen und
sich den Wesen anzuschließen. Wie albern, dass er sich vor ihnen so
viele Jahre gefürchtet hatte. Denn irgendwie hatte er das Gefühl, dass
er dort in bester Gesellschaft wäre.
Dann hätte seine jahrelange Einsamkeit endlich ein Ende.
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