Krealithikum – Kapitel 23: Thurisaz
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
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Kapitel 23: Thurisaz – Die Flammen des Riesengeschlechts
Einen panischen Atemzug lang beobachtete ich das Kabel, das an mir vorbeirauschte und durch die Luft fegte, kurz zitterte und dann straff gespannt erstarrte.
Aber bevor ich eine Entscheidung treffen konnte, wurde mein Geist von der gefürchteten, rauen Stimme überwältigt, deren Klang auf so schreckliche Weise an mahlende Felsen erinnerte.
Sie gab mir einen düsteren Befehl, und ich musste ihr folgen.
Mein Widerstand reichte nicht aus, mich aus ihrem grausamen Zwang zu befreien.
Ein wütender Schrei löste sich aus meiner Kehle, als meine Beine gegen meinen Willen auf den Steinkreis zusteuerten, aber ich umklammerte weiter eisern meine Infrarot-Lampe. Die flirrenden Ornamente und Muster bewegten sich auf das Licht zu, pulsierten und leuchteten heller, als ich mich den Menhiren näherte. Für die Dauer eines Herzschlags hoffte ich inständig, die unsichtbare Barriere würde mich zurückhalten, aber ich tauchte ohne Schwierigkeiten durch die Sprungschicht zwischen den Hinkelsteinen in die wogende Schwärze.
Jenseits der mystischen Grenze herrschte Chaos. Die Luft war erfüllt von Brausen und Wirbeln, schleimige Geräusche, die die Schatten verursachten, geronnen zu einer Art Chor, der in seiner überwältigenden Masse beinahe an Regen erinnerte. Unmittelbar vor mir stoben die Schatten mit wütendem Zischen davon, wenn der rote Schein meiner Lampe sie berührte. Doch die viskose Finsternis hatte eine neue Qualität angenommen, die den Lichtkegel trübte und mir kaum noch Sicht verschaffte. Meine Beine zwangen mich vorwärts. Panik überrollte mich. Mein Verlängerungskabel reichte nur noch für wenige Schritte. Danach wäre ich verloren in der Finsternis.
Der Adrenalinschub schwächte den fremden Zwang. Es gelang mir immerhin stehenzubleiben.
Schweiß sammelte sich auf meiner Stirn, das Herz schien mir aus der Brust springen zu wollen, als ich meine ganze Konzentration aufwandte, um den rechten Fuß zu heben und einen Schritt rückwärts zu gehen.
Als meine Aufmerksamkeit eine Winzigkeit nachließ, wuchs der fremde Einfluss sofort wieder und ich geriet ins Taumeln, fand mich im nächsten Moment auf Händen und Knien wieder.
Die Lampe lag neben mir, brannte aber noch.
Verzweiflung wallte in mir hoch. Ich ballte die Hände zu Fäusten und kämpfte gegen den Zwang, tiefer in die Dunkelheit zu kriechen.
Auf einmal wurde die Lampe heller. Nein, die Schatten zogen sich zurück. Vor mir öffnete sich ein Tunnel, der sich in ein Oval verwandelte und schließlich eine kreisrunde Form annahm. Der Zwang ließ nach, sodass ich mich keuchend auf die Beine stemmen konnte. Ich griff nach der Lampe und schickte einen rötlichen Lichtkegel in den Bereich vor mir, aber ich ahnte bereits, was ich sehen würde.
Das Götzenbildnis thronte einige Schritte vor mir in all seiner Abscheulichkeit.
Ich schrie, ohne zu begreifen, was der Grund dafür war, denn mein Verstand arbeitete zu langsam, sodass der Körper sich auf seine Instinkte und Reflexe verlassen musste.
Ich hatte den vagen Eindruck, neben mir zu stehen und das ganze Geschehen aus sicherer Entfernung zu betrachten.
Mein Blick klebte an der Statue, die sich schattenhaft vor mir am äußersten Rand des Streulichtkegels meiner Lampe erhob.
Und dann erkannte ich endlich, was mich so in Schrecken versetzte.
Die steinerne Figur war nicht länger nur Fels und Stein. Sie lebte.
Beim Himmel, sie bewegte sich, langsam und stetig. Die widerlich dürren Arme mit den nach oben gerichteten Handflächen schwebten nacheinander vor und zurück, nach rechts und links, wie der Archetyp einer indischen Gottheit!
Das war zu viel für mich. Meine Konzentration bekam Risse, und im nächsten Moment kauerte ich am Fuße des Sockels, mit einem blutigen Messer in der einen Hand, während ich mit der anderen versuchte, die Jacke auszuziehen.
Im letzten Moment ließ ich die Waffe fallen. Verzweifelt rang ich um die Kontrolle meines Körpers, schrie, fluchte und schimpfte.
Ein Beben ging durch die Kuppelgrotte und die Schatten zogen ihren Ring enger.
Das Licht der Infrarot-Lampe trübte sich etwas und neue Panik kroch in mir hoch.
Dann ergriff die Stimme das Wort und zum ersten Mal verstand ich klar und deutlich, was sie sagte: „Lichtbringer“, donnerte sie so laut, dass es in den Ohren schmerzte, „Worauf wartest du? Wirke deinen Zauber oder ergib dich!“
„Was?“, keuchte ich verwirrt. Der gedankenzersetzende Zwang war plötzlich verwunden.
Wieder rollte ein Beben durch die Grotte. Es klang wie eine Lawine, die ins Tal donnert, und ich begriff, dass das Wesen lachte.
„Er weiß die Worte nicht“, höhnte die Stimme dröhnend, „Er kann den Zauber nicht wirken.“
„Was?“, mehr brachte ich nicht hervor, Verzweiflung schnürte mir die Kehle zu.
„Ich könnte es dir sagen, falls du lange genug durchhältst. Ich könnte dir erzählen, wie deine Ahnen mich zu töten versuchten und dabei scheiterten, Lichtbringer.“
Wieder rollte das donnernde Lachen durch die Grotte. Ich musste mir die Ohren zuhalten und krümmte mich vor Schmerzen zu Füßen des steinernen Sockels.
Eine Frage blitzte in meinen Gedanken auf. Das lebende Götzenbildnis antwortete: „Weil du das Feuer entzündet hast, um meine Diener zu vertreiben. Der Einzige, der das Feuer entzündet, ist der Lichtbringer“, dann wurde die Stimme kalt und spöttisch, „Aber wenn du nicht einmal das weißt, bist du es wohl doch nicht. Wer ist es? Warum kannst du das Feuer entzünden?“, forderte sie.
Ich versuchte, nicht zu antworten. Kalter Zwang schlich sich in meine Gedanken, grub mit eisigen Klauen in meinen Erinnerungen, bis ein klares Bild von Streichhölzern und Kerzen an die Oberfläche trat. „Erstaunlich“, kommentierte die Wesenheit herablassend, wühlte weiter in meinen Erinnerungen, förderte alltägliche Bilder zutage, ein Telefonat mit meinem Vorgesetzten, Stau auf dem Westhofener Kreuz, Musik in der Kneipe, Feierabendbier, eine abendliche Dusche vor dem Zubettgehen, die Prügelei mit Volker auf dem Parkplatz vor dem Hotel. „Nein!“, brüllte ich und drängte die Klauen aus meinen Gedanken, „Was hast du mit ihm gemacht?“
Die Grotte erbebte unter einem tiefen Rumpeln. Ich hatte die Wesenheit verärgert.
„Er hat sich geopfert, so wie sich auch deine beiden Freunde geopfert haben und wie auch du dich opfern wirst, wenn du lang genug für diesen Frevel gelitten hast“, dröhnte die zornige Antwort durch meinen Geist.
„Du sollt es wissen, damit du dich daran erinnern kannst, wenn du ein Teil von mir geworden bist:
Sieh mich an. Die Menschen fürchten und verehren mich, denn ich erfülle ihre dummen, kleinen Wünsche. Gute Jagd, starker Nachwuchs, fruchtbare Heimat.“
Sie zwang mich den Blick zu heben. Erst jetzt, aus der Nähe, erkannte ich die Veränderungen, die die Statue erfahren hatte.
Das was ich nach Gefühl für den Oberkörper hielt, bestand nun aus einer fahlen, durchsichtigen Haut, wie bei einer Made. Wenn sich die Wesenheit bewegte, verschoben sich ganze Bereiche, überlappten einander, und ich verstand, dass sie von einer Art Insektenpanzer geschützt wurde.
Der Unterleib mit den ekligen Wölbungen, die Volker einst als Brüste bezeichnet hatte, lag teilweise frei, und die Auswüchse waren nun als gedrungene Dornen zu erkennen, aus denen ein gelbes, giftig wirkendes Sekret sickerte.
Aber der meiste Teil des fleischigen Madenschwanzes steckte noch in der rostbraunen Sinterschicht, die im trüben Schein der Infrarot-Lampe fast schwarz aussah.
Sie zwang mich, den Blick höher zu heben, ich wehrte mich erfolglos.
So musste ich auch das abscheuliche, nichtmenschliche Antlitz betrachten. In dem runden, insektenartigen Kopf ohne Knochenpartie, der dem Schädel Charakter verliehen hätte, klaffte ein asymmetrisches Loch, wie das Maul einer Schnecke oder eines Plattwurms.
Keine Nase, zu weit auseinanderstehende Augen, die tief in den Höhlen lagen, mit einer dreifach geschlitzten Pupille, sodass der Eindruck entstand, in reflektierende Sterne zu schauen.
Von Grauen geschüttelt schrie ich wieder auf, denn die Abscheulichkeit streckte ihre dürren, gespaltetenen Ärmchen vor und offenbarte mir deren Inhalt: Drei Handflächen waren verschmolzen mit dem Fleisch von Herzen. Aber das Schlimmste war nicht die widernatürliche Verschmelzung, sondern die Tatsache, dass alle drei Herzen noch schlugen und unter der fahlen Haut deutlich sichtbar eine dunkle Flüssigkeit aus den ehemals menschlichen Organen gepumpt wurde.
Die vierte Hand war leer.
Bei ihrem Anblick wusste ich mit Gewissheit, welches Schicksal mir blühte.
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