KreaturenLange

Kuss des Mondes

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Der Angriff

Ich liebe die Nacht. Die Dunkelheit, die abgekühlte frische Luft, die Stille – das alles wirkt entspannend, beruhigend auf mich. Jeden Tag gehe ich ungefähr um 23:00 Uhr raus und jogge eine große Runde aus der Stadt raus und ein gutes Stück durch den Wald. Um diese Zeit begegne ich keiner Menschenseele. Genau das, was ich brauche. Ich arbeite als Kassierer in einem Supermarkt und habe dementsprechend viel mit Leuten zu tun. Versteht mich nicht falsch, ich mag den Umgang mit Menschen, aber irgendwann im Laufe des Tages, meistens kurz vor Feierabend, habe ich einen Punkt erreicht an dem ich es bevorzuge allein zu sein.

Auch heute ist wieder so ein Tag, ich bin genervt und brauche dringend ein wenig Bewegung um den Kopf frei zu bekommen. Kurz vor 23 Uhr schlüpfe ich in eine Jogginghose und eine dünne Jacke, ehe ich mir im Flur Turnschuhe anziehe. Hinter mir höre ich ein Maunzen. Ich drehe mich um und sehe meinen roten Kater Simba, der mich fragend ansieht. „Du kennst das Prozedere doch, Kleiner. In spätestens zwei Stunden bin ich wieder da.“ Wieder ein Maunzen. Dann dreht der Kater sich um und stolziert ins Wohnzimmer. Ich sehe ihm kopfschüttelnd nach, bevor ich die Wohnung verlasse und die Tür hinter mir abschließe.

Eine Nacht wie aus dem Bilderbuch. Klarer Himmel, unzählige Sterne und ein leuchtender Vollmond. Alles, was mein nachtaktives Herz begehrt. Unwillkürlich muss ich grinsen und jogge los. Es dauert knapp 20 Minuten, bis ich aus der Stadt raus komme und endlich wirklich allein bin. Denn selbst nachts ist hier noch Betrieb. Autos rauschen an mir vorbei, Betrunkene torkeln durch die Dunkelheit, Jugendliche kommen mir lachend entgegen, hin und wieder sehe ich sogar Leute, die um diese Zeit noch ihre Hunde Gassi führen. Mir soll es recht sein. Bisher hat mich noch nie jemand aufgehalten, darum kümmere ich mich auch gar nicht weiter um meine Mitmenschen.

Trotzdem bin ich beinahe schon erleichtert, als ich die letzte Straße überquere, die mich aus der Stadt hinaus bringt und an einen Feldweg angrenzt. Auf der linken Seite wächst Mais, der mittlerweile höher gewachsen ist als ich groß bin, während auf der rechten Seite nur Gras wächst. Es hat heute Nachmittag eine Weile geregnet und der Geruch von nasser Erde und Gras liegt immer noch in der Luft. Ich liebe diesen Duft. Etwa zehn Minuten brauche ich, bis der Weg sich gabelt. Die eigentliche Strecke verläuft nach links und beschreibt einen Bogen um die Grenze des Maisfeldes, während geradeaus ein kaum sichtbarer Trampelpfad direkt in den Wald hinein führt. Ich jogge direkt in die Dunkelheit hinein, die zwischen den Bäumen lauert und atme tief durch. Auch hier kann ich die feuchte Erd- und Pflanzenwelt riechen. Die Luft ist ein wenig wärmer als draußen auf der offenen Fläche, aber immer noch angenehm kühl und ich genieße die Stille, die um mich herum herrscht.

Da ich diesen Weg jede Nacht entlang laufe muss ich mich nicht mehr konzentrieren und darauf achten wohin meine Beine mich tragen. Eine ganze Weile laufe ich, meinen Gedanken nachhängend, weiter. Es dauert fast eine Viertelstunde bis mir auffällt wie still es tatsächlich ist. Auch wenn es inzwischen fast Mitternacht ist, für gewöhnlich kann man hier immer irgendwelche Tierchen herumwuseln hören. Aber heute herrscht eine Stille, die mir einen kalten Schauer über Rücken jagt. Das einzige was ich hören kann ist mein eigener Atem. Ansonsten nichts. Der Wald wirkt wie ausgestorben. Unheimlich. Ein ungutes Gefühl breitet sich in mir aus. Irgendetwas stimmt hier nicht.

Unsinn, du siehst nur wieder Geister, wo keine sind, rede ich mir ein und laufe weiter. Umkehren will ich noch nicht, allerdings beschleunige ich mein Tempo ein wenig.

Plötzlich durchfährt ein Frösteln meinen Körper. Die Härchen in meinem Nacken stellen sich auf. Ich fühle mich beobachtet. Unwillkürlich sehe ich über die Schulter nach hinten, kann aber nichts entdecken. Das Gefühl bleibt.  Es verstärkt sich sogar noch.

Wahrscheinlich nur eine Eule, versuche ich mich zu beruhigen. Trotzdem bleibe ich, aus einem Impuls heraus, stehen und sehe mich um. Mit rasendem Herzen versuche ich in der Dunkelheit etwas auszumachen, aber natürlich kann ich nichts entdecken.

Als ich mich schon wieder umdrehen und weiterjoggen will, nehme ich plötzlich aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung wahr. Ich sehe nochmal genauer hin.

Und entdecke plötzlich ein Paar bernsteingelb glühende Augen. Sie starren mich an.

Starren ohne zu blinzeln. Ich kann förmlich spüren wie dieser Blick mich durchbohrt.

Alle Alarmglocken in meinem Inneren schrillen, wollen mich dazu bewegen wegzulaufen, aber ich kann mich nicht rühren. Eine Mischung aus Faszination und Angst lähmt meinen Körper.

Faszination wegen diesen glühenden, raubtierhaften Augen.

Angst wegen dem Schatten, dem diese Augen gehören. Eine Silhouette, über zwei Meter hoch, menschenähnlich, aber viel zu muskulös für einen Mann und in etwa sieben Metern Entfernung. Trotz der Distanz glaube ich zu erkennen, dass der ganze Körper ziemlich stark behaart ist. Es sieht beinahe aus … wie Fell.

Ein tiefes, animalisches Knurren erfüllt die Luft und lässt mich zusammenzucken. In dem Moment wird mir klar, dass das kein Mensch sein kann.

Die Kreatur bewegt sich einen Schritt nach vorne. Schlagartig stößt mein Körper Adrenalin aus und ich wirble so schnell herum, dass ich beinahe stolpere, bevor ich losrenne. Es dauert keine zwei Sekunden bis ich Schritte hinter mir hören kann. Schnell, aber trotzdem beinahe lautlos. Ich werfe einen Blick über die Schulter – und bereue es sofort wieder. Was auch immer mich da verfolgt, es rennt jetzt auf vier Beinen, nicht mehr auf zwei. Und es kommt näher.

Ich bin geliefert.

Ich renne so schnell ich kann, aber ich weiß, dass diese Kreatur mich bald einholen wird. Auch wenn ich weiß, dass ich damit nicht wirklich geschützt bin, ich hole trotzdem das Klappmesser aus meiner Hosentasche, das ich stets bei mir trage. Die Chance, mich damit verteidigen zu können, ist zwar mehr als gering, aber ich werde es trotzdem versuchen. Ich will mich nicht einfach so ergeben.

Obwohl ich so schnell renne wie meine Beine mich tragen können, spüre ich, wie mein Verfolger näher kommt. Ich höre Äste unter seinen Füßen knacken, höre ein leichtes Hecheln und kann schon förmlich seinen Atem in meinem Nacken fühlen. Unwillkürlich umklammere ich das Messer in meiner Hand noch fester.

Plötzlich durchzuckt ein gleißender Schmerz meine Schulter. Krallen bohren sich in meine Haut und reißen das Fleisch auf. Die Wucht des Schlages wirft mich mehrere Meter durch die Luft. Hart pralle ich wieder auf dem Boden auf, spüre wie mehrere Knochen bei dem Aufprall beunruhigend knacken und wie mir die Luft aus den Lungen gepresst wird. Allerdings habe ich nicht die Zeit zu verschnaufen, denn im nächsten Moment ist die Kreatur direkt über mir. Wieder ist mein Körper vor Angst wie gelähmt. Glühende Augen starren mir ins Gesicht.

Werwolf, ist das erste was mir zur Beschreibung dieses Wesen durch den Kopf geht. Es sieht einem Wolf sehr ähnlich, von der Statur her aber eher einem Menschen. Wenn man außer Acht lässt, dass es über zwei Meter groß und breiter als ein Bodybuilder ist. Auch wenn es mir widerstrebt, ich kann nichts anderes tun, als den Kopf anzustarren der nicht mal einen halben Meter über meinem schwebt. Der Kopf ist wesentlich größer als meiner und wirkt auch dementsprechend wuchtig. Die Gesichtszüge erinnern entfernt an die eines Menschen, aber die Augen sind eindeutig die eines Raubtieres. Dazu kommt noch die längliche Schnauze, ähnlich der eines Wolfes. Die langen, spitz zulaufenden Ohren der Kreatur zucken, als würde sie nur darauf warten, dass ich eine falsche Bewegung mache. Dann zieht sie die Lefzen hoch und zeigt ihre messerscharfen Zähne, wobei die Eckzähne nochmal deutlich länger und bedrohlicher wirken als die anderen. Wieder dieses tiefe Knurren, das die Luft zum Vibrieren bringt. Ich sehe etwas in den Augen dieser Bestie aufblitzen und reiße instinktiv einen Arm nach oben, halte ihn schützend vor meinen Kopf. Gerade rechtzeitig, denn im nächsten Augenblick bohren sich scharfe Zähne in meinen Unterarm und entlocken mir einen schmerzerfüllten Schrei. Als die Kreatur dann auch noch anfängt ihren Kopf zu schütteln habe ich das Gefühl, dass mir gleich der Arm abreißt.

Mein Messer, schießt es mir durch den Kopf. Zum Glück hat das Biest den anderen Arm im Maul. Ich klappe die Klinge aus, umklammere den Griff noch fester als zuvor und hole aus.

Ein Jaulen zerreißt die Stille. Mein Arm wird endlich losgelassen und fällt kraftlos auf meine Brust. Ich habe die Kreatur am Hals erwischt. Und da ich das Messer wieder aus der Wunde gezogen habe, kann ich jetzt auch sehen wie das Vieh blutet. Es versucht mit einer krallenbesetzten Pfote zwar die Blutung zu stoppen, aber selbst im Dunkeln kann ich sehen, dass das nicht funktioniert. Ich muss die Halsschlagader getroffen haben, denn die Wunde hört gar nicht mehr auf zu bluten. Das Wesen jault und knurrt, während ich mich in eine sitzende Position aufrapple. Ich kann eigentlich nur hoffen, dass ich es schwer genug verletzt habe, damit es nicht auf die Idee kommt, mich nochmal anzugreifen.

Quälend lange Minuten dauert es, bis das Wesen schließlich kraftlos zu Boden sinkt und dort liegen bleibt. Mühsam rapple ich mich auf und brauche einen Augenblick, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren als ich auf den Beinen stehe. Vorsichtig nähere ich mich der Kreatur, die zwei Meter von mir entfernt bewegungslos auf dem Boden liegt. Lediglich der mächtige Brustkorb hebt und senkt sich in unregelmäßigen Abständen. Die Augen glühen nicht mehr, wirken stumpf und ich höre ein leises Gurgeln, jedes Mal wenn es ein- oder ausatmet.

Mein Herz rast immer noch, ich zittere am ganzen Körper und presse den verletzten Arm an meine Brust. Aber bevor ich mir nicht sicher bin, dass das Vieh tot ist, will ich ihm nicht den Rücken kehren. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit bis das Wesen endlich aufhört zu atmen. Vorsichtig tippe ich mit der Fußspitze gegen seinen Bauch. Keine Reaktion. Es ist wirklich tot.

Erleichtert atme ich durch und kann gerade noch so ein hysterisches Lachen unterdrücken.

Nur einen Wimpernschlag später springe ich mit einem Aufschrei einen Schritt zurück. Der Körper hat sich bewegt! Gebannt starre ich auf das Wesen vor mir und kann beobachten wie sich der Körper immer mehr verändert. Ich sehe wie sich unter der Haut und dem schwarzen Fell Knochen bewegen, kann hören wie sie sich verformen. Unfähig auch nur einen Finger zu rühren stehe ich einfach nur da und sehe zu wie aus diesem wolfsähnlichen Wesen ein Mensch wird.

Spielen mir meine Augen gerade einen Streich?

Ich blinzle mehrere Male, aber es ändert nichts an der Situation. Diese Kreatur hat sich grade in einen Menschen verwandelt! Aber wie kann das sein, sie war doch tot?! Wobei auch der Mann, der nun vor mir liegt nicht wirklich lebendig aussieht. Ein nackter, schmächtiger Kerl mit hellen Haaren und noch hellerer Haut. Er atmet nicht und Blut fließt aus einer Wunde am Hals.

Wie kann das sein?

Bevor ich aber weiter über diese Sache nachgrübeln kann, passiert etwas noch seltsameres. Ein leises Zischen verdrängt die Stille. Es dauert einen Moment bis mir klar wird, dass das von dem Mann vor mir ausgeht. Bei näherer Betrachtung fällt mir auch auf, dass seine Haut zu dampfen scheint. Dann fängt der Körper an sich zu zersetzen. Die Haut wird dunkel und löst sich langsam komplett auf. Dasselbe passiert mit den Muskeln, Nerven, Organen und schließlich mit den Knochen. Eine Minute später ist von dem Mann nichts mehr übrig. Wirklich nichts. Kein Blut, keine Haut und kein Knochen ist zurückgeblieben.

Das ist doch völlig unmöglich!

Aber es ist passiert – ich habe es gerade mit eigenen Augen gesehen.

Wie kann das sein?

Mach dich lieber aus dem Staub, anstatt dir darüber den Kopf zu zerbrechen!

Zum zweiten Mal in dieser Nacht wirble ich herum und renne, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter mir her.

So schnell bin ich noch nie nach Hause gekommen. Mit zitternden Händen sperre ich meine Wohnung auf, knalle die Tür hinter mir zu und lehne mich mit dem Rücken gegen das Holz. Mehrere Male atme ich tief durch und versuche meinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Es dauert einige Minuten bis ich endlich aufhöre zu zittern. Ich kann immer noch nicht fassen was da eben passiert ist.

Aber erstmal sollte ich meine Wunden versorgen. Leicht wankenden Schrittes stapfe ich in mein Badezimmer, haue auf den Lichtschalter und schäle mich aus meiner Jacke. An der Schulter und am Arm wurde sie von den Krallen und Zähnen zerfetzt, daher kann ich sie eh nur noch in den Müll schmeißen. Die Bewegungen verursachen ein Ziehen an den Wunden und ich beiße die Zähne zusammen. Mein T-Shirt sieht auch nicht viel besser aus als meine Jacke. Ich ziehe mir auch dieses Kleidungsstück aus und werfe es zu der Jacke dazu. Dann sehe ich in den Spiegel und mir wird einen kurzen Moment lang übel. Meine Schulter sieht nicht unbedingt gut aus. Die Krallen haben vier tiefe Spuren hinterlassen, die inzwischen aber wenigstens aufgehört haben zu bluten. Ich greife nach einem Lappen, schalte das Wasser an und lasse es kurz laufen, bis es auch warm wird. Nachdem ich den Lappen kurz darunter gehalten und dann ausgewrungen habe, säubere ich die Wunde. Unter zusammengebissenen Zähnen und gezischten Flüchen wasche ich die Kratzspuren aus. Es brennt höllisch und ich bin mir sicher, dass es ewig dauern wird, bis das wieder verheilt ist. Fluchend mache ich meinen Medizinschrank auf, fische in Desinfektionsmittel und einen Verband heraus. Es ist zwar unbequem, aber meine Schulter ist schnell versorgt. Mehr Sorgen macht mir mein Arm, der sieht mehr als mitgenommen aus. Das Fleisch an meinem ganzen Unterarm ist zerfetzt. Vereinzelt muss ich noch Stoffreste aus der Wunde zupfen. Erneut befeuchte ich den Lappen und wasche vorsichtig das Blut ab. Diesmal fluche ich deutlich lauter. Brennender Schmerz durchzuckt meinen Körper und mein Kiefer ist schon nahe dran zu verkrampfen, so fest beiße ich die Zähne zusammen. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit bis ich die Wunde gesäubert habe. Aber das schlimmste kommt erst noch. Ich nehme meine Zahnbürste, klemme sie mir zwischen die Zähne und greife dann nach dem Desinfektionsmittel. Der darauffolgende Schmerz treibt mir Tränen in die Augen und mein Kiefer verkrampft. Laut fluchend spucke ich die Zahnbürste wieder aus und verbinde dann die Wunde.

Erleichtert und erschöpft atme ich schließlich durch und verräume die Utensilien wieder. Jetzt will ich nur noch ins Bett. Müde schlurfe ich ins Schlafzimmer, schlüpfe noch aus meiner Hose und lasse mich dann auf die Matratze fallen. Es dauert keine Minute bis ich einschlafe.

Noch 30 Tage bis zum nächsten Vollmond

Ich fühle mich, als hätte mich ein Bus überrollt. Mein Schädel brummt, meine Glieder schmerzen und ich habe absolut keine Lust aufzustehen. Auf der Arbeit habe ich schon angerufen und mich ein paar Tage krank gemeldet. Zum einen um mich wirklich auszukurieren und zum anderen um das zu verdauen, was gestern passiert ist. Den Großteil des Tages bleibe ich im Bett liegen und schlafe dabei auch immer wieder ein. Zwischendurch schlurfe ich auch mal auf die Toilette oder in die Küche um mir was zu essen zu holen und Simba zu füttern. Der Kater hat sich allerdings irgendwo verkrochen, ich sehe ihn den ganzen Tag über nicht. Das ist zwar etwas ungewöhnlich, normalerweise wuselt er immer in meiner Nähe herum, aber ich schiebe es darauf zurück, dass er wahrscheinlich spüren kann wie mies ich mich fühle.

Am Abend gehe ich dann nochmal ins Bad um die Wunden zu desinfizieren und einen neuen Verband umzulegen. Nachdem ich den alten abgenommen habe staune ich aber einen Moment lang. Sowohl die Kratzer als auch die Bissspuren sehen schon um einiges besser aus als gestern. Die Wunden tun zwar immer noch höllisch weh als ich sie wasche und desinfiziere, aber es beginnt sich schon Schorf zu bilden. Das überrascht mich zwar ein wenig, aber ich will mich gerade nicht damit befassen. Stattdessen tappe ich wieder zurück ins Schlafzimmer und lege mich hin.

Noch 27 Tage bis zum nächsten Vollmond

Langsam fühle ich mich wieder besser. Die letzten Tage haben mich Kopfschmerzen im Bett gehalten, aber mittlerweile gehe ich auch wieder arbeiten. Meine Wunden sind überraschend schnell verheilt. Innerhalb der letzten drei Tage hat sich erst Schorf darüber gebildet und gestern war dieser wieder abgegangen. Die Haut ist zwar noch gereizt und empfindlich, aber so gut wie verheilt. Das hätte ich beim besten Willen nicht erwartet.

Was ich allerdings viel komischer finde ist, dass mein Kater mir immer noch aus dem Weg zu gehen scheint. Er kommt nicht, wenn ich nach ihm rufe und läuft weg, wenn ich ihn hochheben möchte. So hat er sich noch nie verhalten. Aber wahrscheinlich ist das nur eine Phase. Er wird sich schon wieder beruhigen.

Auch wenn mein Schädel immer noch ein wenig brummt und ich die Ereignisse keineswegs vergessen habe, macht mir die Arbeit trotzdem Spaß. Es ist schön wieder unter Menschen zu sein. Zwar würde ich gerne mit irgendjemandem über das, was passiert ist reden, aber das würde mir ja sowieso niemand glauben. Kein Wunder, wenn ich es nicht erlebt hätte, würde ich es selbst nicht glauben.

Noch 23 Tage bis zum nächsten Vollmond

Es war kein leichter Schritt für mich, aber ich gehe wieder joggen. Nicht mehr die gleiche Strecke wie zuvor, allerdings auch ein Stück weit am Waldrand entlang. Bisher ist nicht nochmal irgendetwas Ungewöhnliches passiert. Zum Glück. Mittlerweile habe ich die Ereignisse schon fast vollständig verdrängt. Ich denke nur noch daran, wenn ich nach den Wunden sehe. Inzwischen sind sie komplett abgeheilt. An meiner Schulter ist nichts mehr von den Krallenspuren zu sehen. Lediglich ein paar kleine Narben sind auf meinem Arm zurückgeblieben. Ich hätte nie gedacht, dass diese Blessuren innerhalb einer Woche verheilen würden. Aber sie haben es gemacht. Wobei ich ja auch ziemlich erleichtert darüber bin.

Allerdings habe ich eine Veränderung bemerkt, die mich ein wenig verwirrt. Meine Sinne scheinen stärker geworden zu sein. Ich kann meine Kollegen fünf Regalreihen entfernt arbeiten hören, kann den Geruch von den Leuten wahrnehmen die noch am Anfang der Kasse stehen und nachts wesentlich besser sehen als ich es vorher gekonnt habe. Das verwundert mich, aber ich nehme es einfach hin. Ich will mir darüber keine weiteren Gedanken machen. Zumal ich die Ereignisse schon so gut wie verdrängt habe. Ich will mich nicht mit eigenartigen Veränderungen meiner Sinne befassen. Ich will wieder in meinen geregelten Alltag zurückkehren. Mein Leben so weiterleben, wie ich es bisher getan habe.

Das kann doch wohl kaum zu viel verlangt sein?!

Noch 19 Tage bis zum nächsten Vollmond

Tatsächlich habe ich mein Leben soweit wieder unter Kontrolle. Zumindest ist es genauso herrlich langweilig wie zuvor. Ich arbeite den ganzen Tag und gehe abend joggen. Direkt in den Wald hinein gehe ich zwar nicht mehr – wer weiß, was da sonst noch so lauert – aber das stört mich nicht weiter. Mittlerweile treffe ich mich auch manchmal wieder mit Freunden. Davon habe ich nicht unbedingt viele, aber die wenigen, die ich habe sind mir dann doch ziemlich wichtig. Jedenfalls geht alles wieder seinem gewohnten Ablauf nach.

Das einzige, das mich stutzig macht ist, dass mein Kater mir immer noch aus dem Weg geht. Seit dem Vorfall im Wald läuft er vor mir weg. Sein Futter frisst er nur noch, wenn ich nicht in der Nähe bin und ergreift die Flucht, wenn ich mich ihm nähere. Ich verstehe nicht, wieso er sich so eigenartig verhält. Aber ich lasse ihn. Simba wird sich schon wieder beruhigen. Davon bin ich überzeugt.

Abgesehen davon habe ich nach wie vor das Gefühl, dass meine Sinne sich stetig verstärken. Selbst nachts kann ich in meiner Wohnung ohne Licht herumlaufen und muss mir keine Sorgen machen mich irgendwo anzustoßen. Natürlich finde ich das seltsam, aber ich will es auch weiterhin einfach als gegeben hinnehmen. Genauso wie die Tatsache, dass ich nachts noch länger wach bin, als bisher. Ich schlafe nur noch 2-3 Stunden an einem Tag, bin aber trotzdem hellwach. Wobei mich das relativ wenig stört, immerhin habe ich so mehr Zeit in einem guten Buch zu versinken oder anderen Tätigkeiten nachzugehen.

Noch 15 Tage bis zum nächsten Vollmond

Es sind noch ziemlich genau zwei Wochen bis der Mond das nächste Mal seine volle Pracht entfaltet und mich beschleicht vereinzelt das Gefühl, dass in besagter Nacht etwas passieren wird. Etwas, das mir ganz und gar nicht gefallen wird. Natürlich habe ich bereits das Internet durchforstet und alles gelesen, was ich im Bezug auf Werwölfe finden konnte. Wobei nicht wirklich etwas Brauchbares dabei gewesen ist. Nur diese typischen klischeehaften Behauptungen, dass ein Werwolf kein Silber anfassen kann ohne sich die Haut zu verbrennen und dementsprechend nur mit einer Waffe aus Silber getötet werden kann. Trifft in meinem Fall nicht zu. Mein Besteck ist aus Silber, ebenso eine Halskette, die meine Mutter mir mal geschenkt hat. Beides kann ich berühren, ohne dass etwas passiert. Und irgendwie sagt mir auch mein Gefühl, dass das was mich angegriffen hat kein Werwolf war. Es sah zwar ähnlich aus, aber es war irgendetwas anderes. Ich habe keine Ahnung was, aber es ist mir auch nicht wirklich wichtig. Es gibt im Moment andere Dinge, die mir durch den Kopf schwirren.

Zum Beispiel, dass ich es mittlerweile hören kann wie Simba sich durch die Wohnung bewegt. Was eigentlich völlig unmöglich ist. Allerdings habe ich das auch über Monster gedacht. Bis mich eins angegriffen und ich es getötet habe. Welch Ironie.

Mir ist allerdings noch etwas anderes aufgefallen: meine Nase wird immer wieder von unserer Wursttheke angezogen. Sobald ich höre wie eine der Mitarbeiterinnen Wurst aufschneidet und mir dessen Geruch in die Nase steigt kann ich kaum das Bedürfnis unterdrücken rüber zu gehen und mir aufgeschnittene Wurst zu holen. Generell hat sich mein Konsum von Fleisch deutlich gesteigert. Beinahe jeden Abend mache ich mir ein Schnitzel, Steak oder sonstiges in der Art. Ich habe kaum auf etwas anderes Appetit. Das ist zwar ungewöhnlich, aber ich mache mir keine weiteren Gedanken darüber. Ist wahrscheinlich eh nur eine Phase.

Noch 10 Tage bis zum nächsten Vollmond

Heute ist etwas Komisches passiert. Während der Arbeit ist mir plötzlich ein unglaublich süßer, wohlriechender Duft in die Nase gestiegen. Ich konnte nicht anders, ich musste dem Geruch folgen und meine Nase führte mich direkt zur Wursttheke. Eine Mitarbeiterin hat sich in den Finger geschnitten und es war ihr Blut, das ich gerochen habe. Es löste einen solchen Heißhunger in mir aus, dass es mir unheimlich wurde. Ich bin sofort wieder gegangen. Den restlichen Tag habe ich mich krank gemeldet. Zuhause angekommen habe ich mir ein Stück Fleisch gebraten und es vertilgt. Danach habe ich mich so elendig gefühlt, dass ich schnurstracks ins Bett gegangen bin. Ich liege nun schon seit Stunden hier, starre an die Decke und habe das Bedürfnis mich zu übergeben. Irgendetwas stimmt doch nicht mit mir. Warum passiert ausgerechnet mir sowas? Ich hab in meinem Leben doch nie etwas verbrochen. Wenn ich könnte würde ich diese Bestie liebend gern nochmal umbringen. Denn ich habe keinen Zweifel, dass sie daran schuld ist, was mit mir geschieht. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass das erst der Anfang ist.

Hunger.

Verwirrt blinzle ich. Was war das denn grade? Es hat sich angehört wie ein heiseres Flüstern direkt neben meinem linken Ohr. Kehlig, aber verständlich.

Hunger.

Da ist es wieder. Was soll das? Ich setze mich auf, aber natürlich bin ich allein. Außer mir ist nichts im Zimmer. Plötzlich höre ich ein leises Knurren. Das Geräusch erschreckt mich, bevor mir bewusst wird, dass es nur mein Magen ist. Aber warum habe ich schon wieder Hunger? Ich habe doch vor ein paar Stunden erst gegessen. Dennoch überrollt mich ein solcher Heißhunger, dass ich gar nicht anders kann, als in die Küche zu schlurfen und mir ein Stück Fleisch aus dem Kühlschrank zu nehmen. Mein Magen grummelt erneut, ich habe nicht mehr die Geduld, es mir zu braten. Stattdessen beiße ich von dem rohen Rindfleisch ab. Es schmeckt herrlich! Ich schlucke es hinunter und beiße ein weiteres Stück ab. Das schmeckt zu köstlich! Ich kann mich kaum beherrschen, der Hunger nagt so sehr an mir, dass ich das Fleisch am liebsten in einem Stück verschlingen würde. Dementsprechend dauert es auch nicht lange bis ich das Rind vertilgt habe. Der Heißhunger ist verschwunden, wenn auch der Hunger noch nicht ganz gestillt ist. Allerdings wird mir nun erst langsam bewusst, was ich gerade gemacht habe. Dass ich ein rohes Stück Fleisch gegessen habe. Was stimmt bloß nicht mit mir?

Bei dem Gedanken daran wird mir schlecht, ich fühle mich genauso elendig wie vorhin, als ich nach Hause gekommen bin. Mit einem flauen Gefühl im Magen schlurfe ich wieder in mein Schlafzimmer, lasse mich ins Bett fallen und versuche zu schlafen.

Noch 7 Tage bis zum nächsten Vollmond

Es dauert nur noch eine Woche bis der nächste Vollmond den Nachthimmel erhellt und das ungute Gefühl in mir verstärkt sich immer mehr. Irgendetwas wird passieren, da bin ich mir absolut sicher. Die Frage ist nur, was es sein wird. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich die Antwort auf diese Frage wirklich hören will. Was ich aber weiß ist, dass ich mich immer mehr verändere. Und das beunruhigt mich am meisten.

Nicht nur, dass meine Sinne denen eines Raubtieres ähneln, mittlerweile hat auch meine Kraft und Ausdauer deutlich zugenommen. Es ist unheimlich wie mühelos ich plötzlich einen Schrank verschieben oder Bierkästen durch die Gegend tragen kann. Außerdem esse ich fast nur noch rohes Fleisch. Ich will es nicht, aber der Heißhunger zwingt mich dazu. Ich kann nicht anders. Und dieses Flüstern … ich höre es immer öfter. Meistens flüstert es „Hunger“, aber manchmal glaube ich auch etwas wie „Gib nach“ zu hören. Was irgendwie völlig absurd ist, schließlich gebe ich dem Bedürfnis Fleisch zu essen, mindestens drei Mal am Tag nach. Natürlich empfinde ich es als unheimlich dieses Flüstern immer wieder zu hören, aber wenn ich dem Drang nachgebe – quasi tue was die Stimme verlangt – verschwindet sie wieder. Das ist vielleicht nicht die optimale Lösung, aber besser als nichts.

Außerdem kann ich schon seit ein paar Nächten noch weniger schlafen als ohnehin schon, weil ich das Gefühl habe, dass zu viel überschüssige Energie in mir brodelt. Ich bin schon fast drei Stunden lang joggen gewesen, aber es hat kaum geholfen. Es ist zum Durchdrehen … aber trotz des wenigen Schlafes, bin ich topfit. Es ist schon ziemlich unheimlich.

Noch 5 Tage bis zum nächsten Vollmond

Ich halte es auf der Arbeit kaum noch aus. Fantasien schwirren mir durch den Kopf, für die mich jeder Arzt in eine psychiatrische Anstalt einsperren würde. Jeder Kunde, der seine Einkäufe bei mir an der Kasse zahlt betört mich mit seinem Geruch. Ich kann hören wie das Blut durch seine Adern fließt, wie sein Herz klopft und seine Muskeln arbeiten. Das alles bewirkt, dass mein Puls in die Höhe schnellt und ich mir vorstelle wie es wäre einmal von diesem Fleisch zu kosten. Von etwas lebendigem. Das ich erst eigenhändig töten muss, bevor ich von dessen Körper naschen kann. Jedes Mal, wenn diese Fantasien in meinem Kopf Gestalt annehmen, höre ich wieder das Flüstern. Meistens glaube ich zu hören, dass es „Gib nach!“ sagt. Manchmal kommt es mir aber auch so vor, als würde ich ein „Greif an!“ oder „Beiß zu!“ wahrnehmen. Und jedes Mal wenn das passiert, muss ich für ein paar Minuten in die Toilette flüchten um mich wieder zu beruhigen. Diese Reaktion auf andere Menschen zeigt sich aber nicht nur auf der Arbeit, sondern auch wenn ich nur die Straße entlang laufe. Es passiert bei jeder Person, die nicht weiter als drei Meter von mir entfernt ist. Aus diesem Grund habe ich mich für eine Woche krankschreiben lassen. Dann habe ich etwas Zeit um meine Lage wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ich hoffe nur, dass das auch so funktioniert, wie ich mir das vorstelle.

Zuhause angekommen atme ich erleichtert durch und schließe die Tür hinter mir ab. Müde schlurfe ich in die Küche und bleibe überrascht stehen, als ich Simba entdecke, der aus seinem Napf Wasser trinkt. Der Kater sieht auf als er mich wahrnimmt und starrt mich einen Moment lang nur an. „Hey, Kleiner“ murmele ich und gehe in die Knie. Seine grünen Augen blitzen unsicher, er scheint sich nicht ganz sicher zu sein, was er tun soll. Aber als ich dann die Hand ausstrecke, springt er auf, macht einen Buckel und faucht mich an. Ich lasse die Hand sinken. Das hat er noch nie gemacht. Ich habe Simba schon seit er klein ist – mittlerweile ist er fast zehn Jahre alt – und er hat mich noch nie angefaucht. „Hey, ganz ruhig. Ich tu dir ja nichts“ murmle ich und strecke die Hand erneut aus. Wieder faucht der Kater mich an, aber als ich trotzdem näher rücke, fährt er die Krallen aus und schlägt sie in meinen Handrücken. Fluchend ziehe ich den Arm zurück und sehe zu wie Simba aus der Küche flüchtet. Verdammt, was war das denn grade? Dank dieser Aktion habe ich jetzt vier Krallenspuren auf dem Handrücken. Sie sind zwar nicht tief, brennen aber trotzdem ziemlich. Immer noch fluchend gehe ich ins Bad und lasse lauwarmes Wasser über die Wunden laufen. Ich desinfiziere sie dann noch, verzichte aber auf einen Verband. Danach gehe ich ohne weitere Umwege ins Bett. Was für ein furchtbarer Tag.

Noch 4 Tage bis zum nächsten Vollmond

Obwohl – oder gerade weil – ich mich schlecht fühle kann ich kaum schlafen. Stattdessen liege ich hellwach im Bett und starre an die Decke, grüble. Als ich vorhin im Bad gewesen bin, habe ich gesehen, dass sie Kratzspuren von Simba verschwunden sind. Scheinbar sind sie innerhalb der letzten Nacht verheilt. Auch wenn die Kratzer nicht tief waren, so schnell sollten die Wunden nicht verheilt sein. Aber trotzdem sind sie es. Den Großteil des Vormittages verbringe ich so – grübelnd was ich nun machen soll. Bis ich irgendwann das Gefühl habe, dass ich etwas tun muss. Ich habe viel zu viel aufgestaute Energie und die muss ich irgendwie loswerden. Also rapple ich mich widerwillig auf, schlüpfe in eine Jogginghose und ein T-Shirt, ziehe mir noch eine Jacke und meine Turnschuhe an und gehe dann nach draußen. Im Moment verfluche ich die Tatsache, dass ich in einer Stadt lebe, denn auf dem Weg in eine ländlichere Gegend begegne ich einem ganzen Haufen von Menschen. Das bewirkt, dass eine Welle an Eindrücken über mir zusammenbrechen. Allein die ganzen Gerüche bringen mich schon sehr nah an die Grenze meiner Belastbarkeit. Den Duft dieser Leute einzuatmen, zu hören wie ihr Herz ihr süßes Blut durch ihre Adern pumpt löst einen beinahe schon vertrauten Heißhunger in mir aus. Und mit dem knurrenden Magen kehrt auch das Flüstern zurück.

Gib nach, haucht es mir ins Ohr. Es kostet mich meine ganze Selbstbeherrschung diesem Verlangen nicht nachzugeben. Denn das wäre falsch. Ich darf keinen Menschen töten. Dennoch machen sich in meinem Kopf Bilder davon breit, wie ich einen Körper zermalme und mich in dessen Blut bade.

Ich beiße mir auf die Zunge, der Schmerz lenkt mich ein wenig ab und hilft mir zumindest diese Bilder wieder zu verdrängen. Nun jogge ich nicht mehr, inzwischen renne ich. Raus aus der Stadt, wo mir nicht mehr so viele Menschen begegnen.

Es dauert vier Stunden bis ich wieder Zuhause bin, völlig außer Atem und erschöpft, aber zumindest wieder bei halbwegs klarem Verstand. Jedenfalls fühle ich mich schon wesentlich besser als vorher. Allerdings nagt immer noch Hunger an mir, mein Magen grummelt schon die ganze Zeit. Daher gehe ich in die Küche, nehme mir ein großes Stück Schweinefleisch aus dem Kühlschrank und verschlinge es in wenigen Bissen. Es stillt den Hunger zwar nicht vollkommen, aber es hat geholfen. Jetzt brauche ich nur noch eine kalte Dusche.

Das eiskalte Wasser hilft noch zusätzlich dabei meine Gedanken wieder zu ordnen und ich fühle mich besser als ich wieder aus der Dusche steige. Rasch schlüpfe ich in bequeme Sachen und will mich eigentlich gerade ins Bett legen, als es an meiner Tür klingelt. Im ersten Moment bleibe ich wie erstarrt stehen. Wer kann das denn jetzt sein? Ich erwarte keinen Besuch und um diese Zeit kommt normalerweise niemand vorbei. Leise schleiche ich zur Tür und schaue durch den Spion. Eine kleine, zierliche Frau steht auf dem Flur. Sie hat lange braune Haare und grüne Augen, ihr Blick ist erwartungsvoll auf den Spion gerichtet. Emma. Sie arbeitet seit einem Jahr im selben Supermarkt wie ich und ist für die Lagerverwaltung zuständig. Ich habe mich in sie verknallt, als ich sie das erste Mal gesehen habe.

Ohne nachzudenken öffne ich die Tür und werde von einem umwerfenden Lächeln empfangen. „Hallo Lewis. Ich hoffe, ich störe nicht.“

„Nein, überhaupt nicht“, antworte ich wie aus der Pistole geschossen und entlocke ihr damit ein weiteres Lächeln. Allerdings habe ich nicht daran gedacht, dass ich die Gesellschaft anderer im Moment eher meiden sollte. Sofort nehme ich ihren Duft wahr – eine Mischung aus wilder Rose und Pfirsich –, kann hören wie ihr Herz schlägt und das Blut durch ihre Adern fließt. Erneut wallt Hunger in mir auf. Diesmal noch wesentlich stärker als sonst.

„Okay. Wie geht’s dir denn? Ich hab gehört, dass du wieder krankgeschrieben bist.“ Ich muss mich stark konzentrieren um ihren Worten folgen zu können. Und noch mehr um ihr zu antworten.

„Es geht schon … etwas besser, aber ich brauche noch ein paar Tage … Ruhe“ meine Stimme klingt selbst in meinen Ohren beunruhigend kehlig.

Schnapp sie dir. Beiß zu. Koste von ihr, flüstert mir die mittlerweile vertraute Stimme ins Ohr.

Aber die Stimme wird immer drängender, fordernder. Verlangen brennt in meinem Körper. Ich will der Stimme nachgeben, sie zum Schweigen bringen, allerdings meldet sich dann mein Verstand wieder zu Wort. Ich kann Emma nicht töten. Ich kann und ich will nicht.

Meine Hände ballen sich zu Fäusten. „Verschwinde“, presse ich hervor. Emma hat in der Zwischenzeit weitergesprochen – ich habe davon nichts mitbekommen – und verstummt nun, sieht mich fragend an.

„Bitte geh.“ Auch wenn es mich alles kostet was ich noch an Selbstbeherrschung aufbringen kann, ich flehe sie schon beinahe an. Ich will ihr nichts tun. Aber sie bewegt sich immer noch nicht. Starrt mich nur verwirrt an.

„Hau ab!“ Diesmal blaffe ich sie an und kann sehen, wie sie zusammenzuckt. Es dauert noch einen Moment, dann dreht sie sich um und rennt. Ich muss die Tür zutreten um nicht in Versuchung zu kommen ihr hinterher zu laufen.

Fluchend drehe ich mich von der Tür weg und versuche meine Beherrschung wieder zu erlangen. Aber mein Hunger wandelt sich nun in Wut um. Und die sollte ich besser schnell wieder abkühlen lassen. Aber wie? In Ermangelung einer besseren Idee hole ich mit der Faust aus und dresche sie mit voller Wucht gegen die nächstgelegene Wand. Das hat gut getan. Allerdings habe ich in meiner Kalkulation vergessen zu berücksichtigen, dass ich stärker bin als noch vor einem Monat. Deshalb habe ich jetzt auch ein klaffendes Loch in der Wand. Grummelnd sehe ich zu wie Putz auf meinen Boden rieselt und stapfe dann in mein Schlafzimmer. Ich werfe mich aufs Bett und frage mich wie lange ich diesem Flüstern noch widerstehen kann.

Noch 3 Tage bis zum nächsten Vollmond

Ich habe höchstens zwei Stunden geschlafen. Die Zeit zieht sich und ich frage mich, wie lange ich diese Langeweile gepaart mit aufgestauter Energie noch aushalte. Das Loch in der Wand habe ich bereits provisorisch abgedeckt, die ganze Wohnung erst aufgeräumt und dann geputzt. Das hat mich zwar ein wenig abgelenkt, aber nun weiß ich wieder nicht, was ich mit mir anfangen soll. Nach draußen gehen will ich nicht, weil ich Angst habe, dass ich irgendjemanden verletze. So nah, wie ich gestern bereits dran war Emma anzugreifen … Es ist für alle das Beste, wenn ich mich in meiner Wohnung bleibe. Hier kann ich am wenigsten Schaden anrichten.

Das Problem ist nur: mein Magen knurrt. Mittlerweile unaufhörlich. Aber ich habe nichts Essbares mehr im Kühlschrank. Meine letzten Fleischreserven habe ich bereits heute morgen aufgebraucht. Mittags habe ich zwar noch eine Dose Ravioli gefunden und gegessen, allerdings war mir danach so schlecht, dass ich mich übergeben musste. Seitdem habe ich Hunger.

Aber ich traue mich nicht vor die Tür. Ich will niemanden verletzen. Dennoch weiß ich nicht, wie lange ich dem Flüstern noch widerstehen kann. Es klingt so verlockend … Zur Sicherheit verriegle ich alle Türen und Fenster, damit ich nicht in einem Anfall von Hunger nach draußen renne.

Nun probiere ich mich an ein paar Meditationsübungen, die mir meine Mutter mal gezeigt hat. Es hilft auch ein wenig, zumindest kann ich mich kurzfristig entspannen. Doch dann wird mir plötzlich entsetzlich heiß. Es fühlt sich an, als würde ich innerlich verbrennen. Im nächsten Moment krümme ich mich unter Schmerzen zusammen, sinke auf den Boden und bleibe auf der Seite liegen. Jeder einzelne Muskel ist angespannt, ich fühle mich als würde mir jemand die Haut abziehen. Gleichzeitig fühlt es sich so an, als würden meine Knochen sich verschieben und verformen. Zumindest lässt das das Knacken vermuten, das ich hören kann. Ich kann kaum atmen, muss mich ja schon dazu zwingen die Augen wieder zu öffnen. Als mein Blick auf meine Hände fällt, hätte ich beinahe aufgeschrien. Meine Finger sind länger geworden, die Nägel haben sich zu Krallen verformt. Meine Hände sind dicker, wuchtiger und sehen aus wie Pfoten. Was passiert hier?! Erneut durchfährt eine Welle aus Schmerz meinen Körper. Ich krümme mich zusammen, spüre wie meine Hände sich verkrampfen.

Und dann ist es vorbei. Genauso plötzlich wie diese Schmerzen aufgetaucht sind, verschwinden sie auch wieder. Erleichtert atme ich durch und bleibe noch so lange erschöpft liegen, bis sich mein flatternder Herzschlag wieder beruhigt. Schließlich öffne ich die Augen, setze mich auf und sehe auf meine Hände. Sie sehen normal aus. Als wäre nichts geschehen. Was zum Teufel war das grade?!

Langsam rapple ich mich auf und brauche einen Moment um mein Gleichgewicht zu behalten. Meine Muskeln schmerzen als wäre ich einen Marathon gelaufen und mein Kopf brummt ein wenig. Ich habe keine Ahnung, was das eben war, aber es hat Hunger in mir aufkeimen lassen. Diesmal noch schlimmer als vorher. Mein Magen zieht sich zusammen und knurrt so laut, dass es mir einen Augenblick lang Angst einjagt. Besonders, weil ich weiß, dass ich nichts Essbares hier habe. Und die Wohnung zu verlassen ist auch keine Option.

Aber ich habe solchen Hunger …

Noch 2 Tage bis zum nächsten Vollmond

Blinzelnd werde ich langsam wach und es dauert eine Weile bis mein Sichtfeld sich klärt. Wo bin ich? Erst als ich den Kopf heben will, fällt mir auf, dass ich bäuchlings auf dem Boden liege. Was ist passiert? Verwirrt und ein wenig benommen richte ich mich langsam auf, bis ich eine sitzende Position erreicht habe. Meine Muskeln schmerzen immer noch ein wenig und ich habe einen eigenartigen Geschmack im Mund. Metallisch und ähnlich dem von rohem Fleisch. Aber so sehr ich es auch versuche, ich kann mich nicht erinnern, was gestern passiert ist. Ich weiß noch, dass Hunger mich übermannt hat, dann ist alles weg.

Alarmiert sehe ich mich um, allerdings stelle ich schnell fest, dass ich in meiner Wohnung bin. Erleichtert fahre ich mir mit einer Hand durchs Haar und will mich gerade auf die Beine hieven, als ich mit einem Aufschrei zur Seite weiche. Neben mir, in einer Lache aus Blut, liegt mein Kater – oder eher das was von ihm übrig ist.

Sein Maul ist weit aufgerissen, genauso wie seine Augen, die blicklos nach vorne starren. Der Hals sieht aus, als wäre er herausgerissen worden und man sieht bis zum Knochen der Wirbelsäule. Sein restlicher Körper sieht noch schlimmer aus. Simbas linke Vorderpfote ist nicht mehr vorhanden, sein Brustkorb und Bauchraum ist aufgerissen und, so wie es aussieht, ausgehöhlt. Vereinzelt fehlen kleinere und größere Stücke Fleisch aus seinem Körper. Dieser Anblick ist zu viel für mich. Ich springe auf, renne ins Badezimmer und schaffe es gerade noch die Kloschüssel zu erreichen, bevor ich mich übergebe. Mehrmals verkrampft sich mein Magen, bis ich schließlich nach Atem ringe. Der Anblick ist fast noch schlimmer, als der meines armen Katers. Das was ich ausgekotzt habe, sieht aus wie eine Mischung aus Blut, halbverdautem Fleisch und … Fell. Rotes Fell. Mir wird schon wieder schlecht und ich muss mich doch sehr zusammen reißen um nicht nochmal zu kotzen.

Ich kann es nicht glauben.

Ich habe meinen Kater so zugerichtet.

Das darf doch nicht wahr sein.

Wie konnte das nur passieren?!

Warum erinnere ich mich an nichts?

Was soll ich jetzt nur tun?

Ich bleibe noch eine Weile kraftlos sitzen, bevor ich die Spülung betätige, aufstehe und dann noch meinen Mund ausspüle. Der eklige Geschmack aber bleibt. Langsam schlurfe ich wieder ins Wohnzimmer und überlege, wohin ich Simba bringen soll.

Zwei Stunden später habe ich den Kadaver, in Ermangelung einer besseren Idee, in eine Papiertüte gestopft und das Wohnzimmer sauber gemacht. Die Tüte würde ich wegbringen, sobald ich mich wieder unter Menschen begeben kann ohne durchzudrehen. Ich wasche mir gründlich die Hände, bevor ich ins Schlafzimmer gehe und meine Schubladen durchsuche. Es dauert ein wenig, aber schließlich finde ich ein Paar Handschellen. Diese sind mit Plüsch überzogen und stammen von einer ehemaligen Freundin. Rasch reiße ich den Plüsch ab und setze mich aufs Bett, ehe ich mein Handgelenk an der Eisenstange über dem Bett fessle. So will ich vermeiden, dass nochmal so etwas passiert, wie das mit meinem Kater. Völlig egal, wie unbequem diese Haltung ist, ich will für niemanden eine Gefahr darstellen.

Noch 1 Tag bis zum nächsten Vollmond

Die Handfessel hat nichts gebracht. Ich habe mich in einem Anfall von Heißhunger beinahe ohne Probleme befreien können. Wenigstens habe ich sonst nichts angestellt … nun ist zwar noch ein weiteres Loch in meiner Wand, aber das kann ich verkraften. Solange ich sonst niemandem etwas getan habe, ist das okay. Aber dieser Hunger treibt mich an die Grenze meiner Belastbarkeit. Es macht mich wahnsinnig. Und dazu noch dieses Flüstern … je öfter ich es höre, desto verlockender wird der Gedanke ihr nachzugeben. Ich weiß nicht, wie lange ich ihr noch widerstehen kann. Ich will doch eigentlich nur, dass es aufhört.

Wieder einmal laufe ich in meiner Wohnung auf und ab, finde keine Ruhe und versuche dieses nagende Hungergefühl zu ignorieren. Ich bin ganz kurz davor mir einen Finger abzubeißen. Plötzlich durchfährt gleißender Schmerz meinen Körper. Es fühlt sich an als würden mir tausende glühende Nadeln ins Fleisch gestochen und dann samt der Haut wieder herausgerissen. Ich krümme mich zusammen und gehe zu Boden, kann nicht mehr tun als zu schreien. Es kommt mir vor, als würden meine Organe von innen heraus zerfetzt und meine Knochen zertrümmert werden. Meine Schreie verstummen, ich kann kaum atmen. Aber ich schaffe es die Augen zu öffnen und erschrecke, als ich meine Hände sehe. Sie haben sich zu krallenbesetzten Pfoten verformt, genau wie vorgestern. Jetzt fällt mir auch noch auf, dass meine Sicht sich verändert hat. Meine Umgebung besteht nur noch aus Grautönen. Hellere und dunklere Schattierungen, aber keine Farbe.

Was soll das?

Und genau wie vorgestern verschwindet der Schmerz genauso plötzlich wie er gekommen ist. Ich atme mehrmals tief durch, warte bis mein flatternder Herzschlag sich beruhigt hat und setze mich dann langsam auf. Mit einem langgezogenen Seufzen vergrabe ich das Gesicht in meinen Händen.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wie lange ich diese Prozedur noch ertragen kann.

Wie lange ich noch hier drin bleiben kann, ohne den Verstand zu verlieren.

Wenn das nicht schon längst passiert ist.

Warum sollst hätte ich meinen Kater zerfleischen sollen?

Ich muss doch schon völlig verrückt sein.

Wahrscheinlich sollte ich mich einweisen lassen, am besten in eine geschlossene Psychiatrie, aber ich habe Angst davor, was passieren wird, wenn ich mich unter Menschen begebe.

Dieses Risiko kann ich nicht eingehen. Da schließe ich mich lieber noch länger in meiner Wohnung ein. Das ist nicht die optimale Lösung, aber besser als nichts.

Und sowas wie einen Ersatzplan gibt es nicht.

Es sind nur noch wenige Stunden, bis die Nacht herein bricht.

Nur noch wenige Stunden, bis der der Vollmond in seiner ganzen Pracht den Nachthimmel erhellen wird.

Nur noch wenige Stunden, bis sich mein Schicksal – wie auch immer es aussehen mag – besiegeln wird.

Die Bestie

Ich sitze auf dem Boden vor dem Fenster und starre in die Nacht hinaus. Es dauert nicht mehr lange. In wenigen Minuten wird der Mond aufgehen. Ich kann meinen Blick nicht mehr abwenden, sitze wie erstarrt da und warte.

Warte, bis sich die helle Scheibe des Mondes sich langsam über den Horizont schiebt. Warte, bis er seine volle Pracht entfaltet und die Nacht erhellt. Meine Erwartungen werden sogar noch übertroffen. Der Anblick ist einfach nur wunderschön. Doch lange kann ich den Moment nicht genießen.

Ich spüre, wie meine Sicht sich verändert. Trotz der Dunkelheit merke ich, dass meine Umgebung an Farbe verliert. Im nächsten Augenblick durchfährt ein gleißender Schmerz meinen Körper und bringt mich dazu aufzuschreien. Diesmal ist es noch schlimmer als die letzten beiden Male. Ich kann es kaum in Worte fassen. Es fühlt sich an, als würde mir jeder Knochen im Leib einzeln gebrochen werden. Als würde meine Haut in Brand gesteckt und dann Stück für Stück, ganz langsam, abgezogen werden. Als würden meine Innereien sich von einem Schraubstock zusammengepresst werden, so lange bis sie einfach zerplatzen. Ich kann spüren, dass mein Körper sich verändert, wie meine Knochen sich verschieben und verformen, wie meine Muskeln sich strecken oder an anderen Stellen welche entstehen. Und während dieser Folter höre ich wieder dieses Flüstern.

Gib nach, haucht es mir ins Ohr. Hör auf dich zu wehren, dann hören auch die Schmerzen auf.

Verflucht, dieses Angebot klingt einfach zu verlockend. Ich würde alles dafür geben, wenn nur dieser Schmerz endlich aufhören würde. Ich kann nicht mehr klar denken, kann kaum noch atmen. Ich will nur, dass es aufhört. Darum höre ich auf die Stimme. Ich gebe meinen Widerstand auf.

Einen quälend langen Moment wird der Schmerz sogar noch schlimmer, auch wenn ich das nicht für möglich gehalten hätte. Meine Wirbelsäule scheint plötzlich meinen Körper verlassen zu wollen und mein Gesicht brennt, als würde mich jemand in glühende Kohlen tauchen.

Und plötzlich ist es vorbei. Genauso unerwartet wie es gekommen ist.

Benommen blinzle ich und hebe dann den Kopf. Alles fühlt sich irgendwie seltsam an. Als wäre ich jemand anders. Ich sehe an mir hinunter und erkenne dann auch den Grund dafür.

Ich habe mich in das verwandelt, was mich vor einem Monat angegriffen hat.

Mein Körper ist größer, muskulöser, gefährlicher und in schwarzem Fell verpackt.

Ich bin zu einem Monster geworden.

Und es gefällt mir.

Langsam richte ich mich auf, versuche meine Bewegungen zu koordinieren, was nicht ganz leicht ist, wenn man plötzlich auf vier Beinen, statt auf zwei läuft. Unbändige Kraft durchströmt meinen Körper. Ich fühle mich unbezwingbar.

Und ich habe Hunger.

Mein Blick fällt wieder auf das Fenster und ich überlege nicht mehr länger. Mit einem freudigen Knurren nehme ich Anlauf und springe nach draußen. Ein unglaublich lautes Klirren begleitet meinen Sprung, aber die Scherben können mir nichts anhaben. Sie hinterlassen gerade mal ein paar mickrige Kratzer auf meiner Haut. Nur wenig später lande ich unversehrt auf den Pfoten, sehe mich einen Moment um und ziehe mich dann in den Schatten der Häuser zurück. Die unterschiedlichsten Gerüche strömen mir in die Nase, allerdings interessiert mich nur ein einziger. Eine Mischung aus wilder Rose und Pfirsich.

Emma, schießt es mir durch den Kopf. Mein Magen grummelt voller Vorfreude. Ich muss sie aufspüren.

Allerdings halte ich mich im Schatten, schließlich will ich mich von niemandem bei meinem Plan stören lassen. Es kommen alle noch früh genug dran.

Sie muss vor kurzem erst hier lang gelaufen sein, ich kann ihren Geruch nahezu überdeutlich wahrnehmen, daher fällt es mir auch nicht schwer ihm zu folgen. Es dauert auch nicht allzu lange, bis ich ihre zierliche Gestalt ausmache und ihr lautlos folge. Sie läuft in Richtung des Parks.

Perfekt. Um diese Zeit würden sich nur noch Jugendliche oder Besoffene dort herumtreiben. Die würden meine Nachspeise abgeben. Volle Vorfreude lecke ich mir über die Schnauze.

Kurz frage ich mich, wo Emma eigentlich hin will, aber dann verdränge ich den Gedanken. Es ist auch völlig egal, schließlich wird sie ihr Ziel sowieso nie erreichen. Im Park angekommen ist keine Menschenseele zu sehen. Wie vorteilhaft. Dann kann ich ihr auch noch ein wenig Angst einjagen, ohne andere – potentielle Beute – aufzuschrecken.

Ich halte mich nach wie vor im Schatten, lasse aber nun ein tiefes, hungriges Knurren verlauten. Augenblicklich kann ich beobachten, wie sie zusammenzuckt. Verschreckt und ängstlich sieht sie sich um, kann mich aber natürlich nicht entdecken. Ich verziehe die Lefzen zu einem grotesken Grinsen. Gerade als sie sich umgedreht hat und weiterläuft, knurre ich erneut. Aber diesmal dreht sie sich nicht um. Stattdessen rennt sie los. Ich lasse ihr einen kurzen Vorsprung, dann renne ich ebenfalls los. Ihre Angst hinterlässt einen süßen Duft, der mich beinahe meine Geduld vergessen lässt. Es kostet mich meine ganze Selbstbeherrschung mich nicht sofort auf sie zu stürzen. Ich kann mich aber doch noch unter Kontrolle bringen und laufe in mehreren Metern Abstand, seitlich an ihr vorbei. Es dauert nicht lange bis ich sie überholt habe. Dann renne ich wieder direkt auf sie zu und versperre ihr gleichzeitig den Weg.

Zwei Sekunden später legt die junge Frau eine schlitternde Vollbremsung vor mir hin und starrt mich mit weit aufgerissenen Augen an. Der Geruch ihrer Angst hüllt mich ein und ich lasse ein hungriges Knurren verlauten. Emma zuckt zusammen, kann sich aber nicht bewegen. Ich kann hören wie schnell ihr Herz schlägt und wie das Blut durch ihre Adern fließt.

Ich kann nicht mehr warten.

Mit einem mächtigen Satz springe ich sie an, reiße sie zu Boden und nagle sie mit meinem Gewicht auf die Erde. Sie kann mir nicht mehr entkommen und das weiß sie auch. Zwar hat sie kurz geschrien, als meine Krallen sich in ihre Schultern gebohrt haben, aber nun wimmert sie nur noch leise. Ich kann sehen, wie Tränen ihre Wangen hinunter laufen. Mit der Zunge lecke ich die salzige Flüssigkeit von ihrer Haut und kann spüren wie sie gleichzeitig den Atem anhält. Sie zittert und fleht.

Fleht um ihr Leben.

Wie süß.

Beiß zu.

Ich gebe dem Flüstern nach. Ohne Vorwarnung schnappe ich nach ihrer Schulter, zermalme die Knoche mit den Zähnen und reiße ein Stück Fleisch heraus. Sie schreit.

Emma schmeckt so gut.

In einem Bissen verschlinge ich das Stück und will sofort mehr.

Aber sie hört nicht auf zu schreien.

Sie muss still sein, sonst verschreckt sie noch potentielle Beute.

Diesmal verbeiße ich mich in ihrem Hals und reiße Haut und Muskeln davon ab, ehe ich ihr zartes Fleisch verschlinge. Ich höre ihr Gurgeln, wie sie versucht nach Luft zu schnappen und spüre, wie ihr Körper zuckt. Blut strömt aus der klaffenden Wunde und bleibt auch in meinem Fell hängen.

Sie schmeckt so köstlich!

Und endlich ist sie still. So kann ich in Ruhe fressen.

Egal wo ich abbeiße, jedes Stück Fleisch schmeckt besser, als das davor.

Unglaublich.

Ich will mehr.

Doch an Emma gibt es keine Stelle mehr, die ich noch nicht angeknabbert habe.

Ihr Blut ist inzwischen kalt geworden und schmeckt nicht mehr so gut.

Dieses Festmahl ist beendet.

Mein Hunger ein wenig gestillt.

Aber ich will mehr von diesem süßen Fleisch, das ich erst jagen muss, bevor ich etwas zwischen die Zähne bekomme.

Zufrieden lecke ich mir über die Schnauze, bevor ich von Emmas Überresten ablasse und in den Himmel blicke. Der Vollmond erleuchtet den Nachthimmel und ich bade mich in seinem Schein. Dann gebe ich dem Bedürfnis nach, lege den Kopf in den Nacken und heule den Mond an.

Irgendwo in meiner Nähe höre ich Stimmen und hektische Schritte.

Erneut ziehe ich die Lefzen zu einem grotesken Grinsen nach oben.

Die Jagd kann beginnen.

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