GeisteskrankheitMittel

Liebste Justine – Adventskalender 2019

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Türchen 6

Autor: Thedarkflintstone

Liebste Justine

11. Dezember 1758

Liebste Justine,

ich schreibe Dir diese Zeilen, damit Du mich nicht vergißt und damit ich noch einigermaßen bei Verstand bleibe. Wir waren im Auftrag des Königs entsandt worden, um Handelsbeziehungen zu den Indianern jenseits von Saguenay zu knüpfen. Pferde hatten wir keine dabei, da diese vielleicht scheuen und somit mit unserem Proviant fortlaufen würden. Als wir jedoch nach einer Reise von drei Wochen in ein für uns unbekanntes Gebiet vordrangen, kamen der Jesuitenpater, die beiden Pelzhändler sowie unser indianischer Dolmetscher einer nach dem anderen nachts in unterschiedlichen Zeitabständen um.

Ich fürchte um mein Leben und das Einzige, das mir Halt gibt, ist, immerzu auf Dein Antlitz zu blicken. Immer wieder starre ich auf das rundliche, in Gold gerahmtes Portrait, sehe, wie Du dort sitzt, in Deinem gelben Kleid mit dem Buch in der Hand. Ich blicke auf Deine zu einem Knoten zusammengebundenen, dunkelbraunen Haare, auf Deine grünen Augen und auf Dein rosiges Gesicht. Dies zu sehen, gibt mir Muth, Hoffnung und Zuversicht.

Ich weiß, daß Tadoussac zu weit entfernt liegt, um es zu Fuß erreichen zu können. Allerdings liegt Chicoutimi etwa zwei Wochen entfernt und sofern das Wetter mitspielt und das Glück mir hold ist, werden wir uns bald wiedersehen.

In ewiger Liebe,

Dein Étienne

13. Dezember 1758

Liebste Justine,

das Wetter hat es die letzten drei Tage gut mit mir gemeint, und obwohl es einer Sünde gleichkommt, so möge mir der Herr vergeben, wenn ich meinen toten Begleitern einiges an Proviant abgenommen habe. Genau genommen waren es eine Flinte, etwas Schießpulver und fünf Kugeln. Hinzu kommt ein Bündel mit drei Scheiben Zwieback, eine Flasche Cognac, ein Beutel mit etwas Trinkwasser und natürlich das Buch des Paters und Tintendose mit Füller.

Da ich nur fünf Schuß habe, ist es wohl ratsam, Pulver und Kugeln aufzusparen und aufzuteilen. Jedoch bin ich mir unschlüssig, wie ich am besten damit vorgehen sollte. Drei Kugeln für die Jagd und zwei zur Verteidigung? Oder doch lieber das Gegenteil? Ich sitze nun vor einem warmen Feuer, während ich diese Zeilen schreibe. Tagsüber friert die Thinte teilweise ein, weswegen ich sie erst am Feuer auftauen muß.

Ich denke immerzu an Dich, sehe mir Dein Portrait hunderte, thausende Male an und jedes Mal setzt mein Herz einige Schläge dabei aus. So Gott will, werden wir uns zu Weihnachten endlich wiedersehen, woraufhin wir fortlaufen werden und ich Dich zu meiner Frau nehmen werde.

In ewiger Liebe,

Dein Étienne.

14. Dezember 1758

Liebste Justine,

heute hat das Wetter schlagartig eine Kehrtwende gemacht und den ganzen Tag lang war ich den erbarmungslosen Schneewehen ausgesetzt gewesen. Als wäre das nicht genug, tragen sich nun weitere, schreckliche Dinge zu. Immer wieder höre ich Geräusche im Wald um mich herum – Geräusche, die allem Anschein nach nicht von Thieren stammen! Ich bin mir sicher, irgendwer oder irgendwas hat mich gefunden und sich dazu entschlossen, mein schattenhafter Begleiter zu werden! Das Rascheln von Ästen, das Knacksen von Zweigen machten mich so wahnsinnig, daß ich beinahe dazu verleitet worden wäre, eine Kugel in Richtung besagten Geräusches abzufeuern. Zudem hat die Furcht vor meinem unsichtbaren Begleiter dazu geführt, daß ich das Lagerfeuer diese Nacht klein hielt. Das Einzige, das mich derzeit bei Verstand hält, ist mein Magen, welchem ich heute die erste Scheibe Zwieback zugemutet habe. Wie bereits erwähnt, habe ich, was das Jagen angeht, nur wenige Optionen, und daher halte ich es für rathsam, erst den eigenen Proviant zu verbrauchen.

Ich sehne mich nach Dir. Nach Deinem Lächeln, nach Deiner Stimme, nach Deinem jungen, sinnlichen Körper. Jeder Gedanke an Dich gibt mir Kraft, Hoffnung und den Muth weiterzumachen.

In ewiger Liebe,

Dein Étienne

15. Dezember 1758

Liebste Justine,

unerbittlich peitschte der Wind heute gegen mein Gesicht. Mein Marsch in Richtung Zivilisation wird zunehmend zur Tortur. Jeder Atemzug, welcher meinem Mund entflieht, wird durch den Wind und die mit ihm gereiste Kälte zu einem schwierigen Unterfangen. Das Feuermachen wird zu einer einzigen Geduldsprobe und zusammen mit meiner Kleidung können sie nur so viel thun, ehe mir die bereits zufrierenden Zehen und Finger genommen werden.

Immer öfter denke ich nun an den Cognac, den ich bei mir trage. Vor allem in dieser unsäglichen Einöde und erbarmungslosen Kälte scheint er mir wie ein willkommenes Geschenk zu sein, alle Sorgen zu vergessen. Doch weiß ich, daß dies keine gute Idee wäre, wenn man bedenkt, daß ich wahrscheinlich immer noch von dieser Person oder irgendeiner infernalischen Kreatur begleitet werde!

Ich ahne bereits, daß mir diese Nacht, wie auch die kommenden Nächte, keinen guten Schlaf bereiten wird. Im spärlichen Licht meines kleinen Feuers schaue ich in Deine grünen Augen und frage mich, wie es Dir gerade ergeht. Dann stelle ich mir vor, wie wir zusammen vor dem Kamin in Vaters Haus liegen, Arm in Arm.

In ewiger Liebe,

Dein Étienne

16. Dezember 1758

Liebste Justine,

jeder Schritt ist eine Qual, jeder Gedanke eine Folter an sich. Erneut höre ich Geräusche im Dickicht. Tagsüber ist es herabfallender Schnee von einem Ast, oder ein erneutes Rascheln im Dickicht. Nachts ist es fast so, als könnte ich das Geräusch von Trommeln und indianischem Kriegsgeschrei vernehmen, die weit in der Ferne wie ein bedrohlicher Vorbote auf mich lauern.

Mein Magen quält mich nun in kürzeren und kürzeren Abständen, weswegen ich mich endlich genötigt sah, die zweite Scheibe Zwieback hinunterzuschlingen. Wie auch das Atmen, so wird jeder Bissen in dieses harte Zeug zu einer Folter, einem unbändigen Kraftakt, den ich jedes Mal erbringen muß, nachdem ich den harten Fraß zu meinem Mund schiebe. Desweiteren ist mein Wasserbeutel nun leer und ohne Topf war ich heute zum ersten Mal gezwungen, wider besseres Wissen den kalten, jeden Schritt zu einer Qual machenden Schnee zu essen. Ich weiß, daß ich dadurch vielleicht erfrieren werde, jedoch will ich den Cognac nicht anrühren.

Angesichts meiner derzeitigen Situation habe ich die Hoffnung aufgegeben, Chicoutimi noch zu erreichen. Mein neues Ziel ist daher die Jesuitenmission des toten Paters am Lac Saint Jean. Möge der Herr meinen Weg führen und mir ein Licht in der Dunkelheit sein! So Gott will, werde ich zu Weihnachten wieder bei Dir in Tadoussac sein. Bis dahin versuche ich, meinem Los mit Träumen von unserem Haus in Saint-Félicien und einem ertragreichen Geschäft als Kartograph zu entgehen.

In ewiger Liebe

Dein Étienne

18. Dezember 1758

Liebste Justine,

die letzte Scheibe Zwieback ist gegessen und heute ist mir der mittlere Zeh des rechten Fußes abgefroren. Das Gehen wird nun zu einer noch größeren Qual, vor allem, da ich langsam das Gefühl verspüre, immer nur im Kreis zu laufen. Jeder Baum, jeder Strauch, jeder Stein und jeder Ast gleicht dem Anderen, zumal es keinerlei Bäche in der Region gibt, die mir Orientierung bieten könnten.

Habe heute einen Hirschbullen zu Gesicht bekommen. Wie ein Zeichen Gottes kam er mir vor die Augen und ich zückte und lud sofort das Gewehr. Ich wollte ihn von der Anhöhe, auf der ich stand, zu Fall bringen, doch ich rutschte aus, wobei ich den Abzug betätigte und der Hirsch verschwand. Mit nun nicht mehr als vier Kugeln wird die Entscheidung, welche für welchen Zweck zu verwenden sei, nur noch schwerer.

Erneut höre ich das Rascheln von Büschen und das Knacksen von Ästen um mich herum. Nun weiß ich, daß ich verfolgt werde und daß mir irgendjemand oder irgendetwas auf den Fersen ist! Meine Vermuthungen reichen von Engländern über Indianer bis hin zu Teufeln und Dämonen. Sollten es letztere sein, so werden sie wohl warten, bis ich am Ende meiner Kräfte angelangt bin, um mich fort in ihr höllisches Reich zu holen!

Das Einzige, was mir in diesen Zeiten Kraft gibt, ist Dein Portrait, welches ich mir um den Hals gebunden habe. Ich muss durchhalten! Zwei oder drei Tage werde ich noch brauchen, bis ich die Mission erreicht habe und wieder zu Kräften gekommen bin! Dann, so Gott will, werden wir uns zu Weihnachten wiedersehen. Ich träume von uns, von unserem Haus und von unseren Kindern, welche du von mir empfangen wirst. Ich hoffe auf ein paar gesunde Jungs.

Somit verbleibe ich in ewiger Liebe zu Dir

Dein Étienne

19. Dezember 1758

Liebste Justine,

ich werde immer schwächer, und es ist so kalt! Am heutigen Tage ist mir der Zeigefinger der rechten Hand abgefroren, und sollten es an dieser Hand mehr werden, werde ich kaum noch richtig, wenn überhaupt, weiterschreiben können!

Wie es schien, hat der Herr heute meine Gebete erhört, da er mich zu einem verlassenen Dorf geführt hat. Der Großteil dessen ist abgebrannt und nur eine Steinkirche sowie zwei Häuser waren von den Flammen verschont geblieben. Endlich ein Ort, an dem ich vor der Kälte Schutz suchen kann. Endlich ein Ort, an dem die eisigen Winde und meine Verfolger mich nicht erreichen oder finden werden!

Nachdem ich ein Feuer in einem der noch intakten Häuser entfacht habe, habe ich mich etwas umgesehen. Wie es scheint, wurde das Dorf angegriffen und danach in Brand gesteckt. Hin und wieder bin ich auf indianische Trophäen und Waffen gestoßen, was keinen Zweifel zulässt, wer die Angreifer waren! Zudem fand ich zahlreiche Leichen, teils verkohlt, teils erfroren, von denen ein Großteil Männer sind. Frauen und Kinder fand ich so gut wie ich keine und ich will mir nicht vorstellen, was die Wilden nach ihrem Raubzug mit den Verbliebenen gemacht haben! Gott, hab Erbarmen mit ihren unsterblichen Seelen!

Jedoch boten diese toten Leiber eine ungeahnte, grausige Möglichkeit für mich. Ich weiß, daß es wider jegliche Natur und wider das Empfinden eines jeden zivilisierten Mannes ist, aber ich mußte es thun! Mit Werkzeugen, welche ich im Dorf fand, ging ich also dazu über, zwei der Leichen zu zerteilen, zuzubereiten, zu kochen und zu essen!

Du wirst wahrscheinlich voller Ekel auf mich herabblicken, doch du sollst wissen, daß ich es nur gethan habe, um wieder einigermaßen bei Kräften zu sein. Ich will wieder zu Kräften kommen. Ich will die Mission so schnell wie möglich erreichen! Ich will, daß ich Dir zu Weihnachten in die Augen sehen und Dir sagen kann, wie sehr ich Dich liebe!

Dies alles thue ich nur für Dich, meine liebste Justine,

Dein Dich ewig liebender Étienne

20. Dezember 1758

Liebste Justine,

ich schreibe Dir ein letztes Mal, da ich weiß, daß ich heute oder morgen nicht mehr auf dieser Welt verweilen werde. Die Leichen zu essen war ein großer Fehler gewesen, nicht nur moralisch und ethisch. Am Morgen des heutigen Tages wachte ich mit höllischen Magenschmerzen auf, welche sich im Laufe des Tages in einem Wechsel von Durchfall und Erbrechen entluden. Die Krankheit hat mir jegliche Kraftreserven geraubt, die ich noch besaß, und ohne weitere essbare Vorräte scheint es nun, als wird dieses abgebrannte Dorf auch mein Grab werden.

Abgesehen davon haben meine Verfolger mich endlich eingeholt. Als ich nach erneutem Erbrechen wieder in meinem Refugium Schutz suchte, hörte ich Schritte im Schnee stapfen und Leute reden. Ich verstand einen Großteil ihrer Konversation nicht, allerdings horchte ich auf, als sie unsere Namen sowie die Worte „verurteilt“, „fortgeschickt“ und „tot“ erwähnten. Sofort wurde mein Verstand von einer Vielzahl angsteinflößender Gedanken heimgesucht und ich hoffe in diesen letzten Stunden, daß dir nichts Schlimmes widerfahren ist! Jedoch konnte ich nicht zulassen, gefunden zu werden, und mußte handeln! Ich ergriff sofort mein Gewehr und schlich aus dem Haus, ehe ich um die Trümmer des Ortes herumschlich und in unregelmäßigen Abständen drei Schüsse abgab, um meine Verfolger zu erschrecken und zu verwirren. Dabei war ich sehr bedacht, diesen nicht unter die Augen zu treten, und ich hoffte nach dieser Demonstration meiner Entschlossenheit inständig, daß sie mich ebenfalls nicht bemerkt hatten! Allerdings bin ich nun zu schwach, um weiterzulaufen, geschweige denn, mit der einen mir noch verbliebenen Kugel auf die Jagd zu gehen. Daher habe ich mich entschlossen, das Buch und die Schreibutensilien in die steinerne Kirche zu nehmen.

So sitze ich nun in einem der drei letzten Gebäude dieses gottverlassenen Ortes und sehe mich um. Ich starre auf die steinernen Mauern des Gotteshauses, von Ruß geschwärzt. So auch die Statuen der wenigen Heiligen, und der Ruß lässt deren ehemals helle Haut wie die eines Mohren aussehen. Ein tiefer Schrecken überkam mich, als ich sah, was diese Wilden mit diesem heiligen Ort gemacht hatten. Die Scheiben aus Buntglas hatten sie eingeworfen, den Priester hatten sie ans Kreuz genagelt und die Jesusstatue, welche an seiner statt dort hing, hatten sie auf den Boden geworfen und in Theile gehackt. Auf dem leergeräumten Altar befand sich ein großer Fleck getrockneten Blutes und ich will mir nicht ausmalen, welche garstigen, abscheulichen und gotteslästerlichen Rituale diese Wilden hier zelebriert haben!

Ich weiß nun und bedauere zutiefst, daß ich die kommende Weihnacht nicht mehr erleben werde. Nie wieder werde ich Dein wunderschönes Gesicht sehen, Deine zarten Lippen küssen, Deinen sinnlichen Körper erforschen können. Die Zeit, so kurz sie auch war, die ich mit Dir verbringen durfte, bildet nun den Hauptteil meiner Erinnerungen, während mein Körper immer schwächer wird, bis der Hunger und die Kälte schlussendlich ihren Tribut fordern werden.

So schreibe ich Dir ein letztes Mal in der Hoffnung, daß jemand meine Worte finden und sie Dir überreichen wird.

In ewiger Liebe und Zuneigung,

Dein Étienne

Epilog

Aus den Aufzeichnungen des Guy de Montalbain, Maréchaussée von Chicoutimi vom 27. Dezember 1758

Kalt, bleich und erfroren fanden meine Männer und ich die Leiche des Étienne Soltaire in der verlassenen Kirche von Saint Auguste des Bois, zusammen mit einem kleinen Buch auf dem Altar. Laut dem Gouverneur sollte der Trupp, mit welchem er gereist war, vor drei Tagen wieder in Chicoutimi angekommen sein, doch nachdem man nichts von ihnen gehört oder gesehen hatte, wurde ich in die Wildnis entsandt, um nach ihnen zu suchen.

Ich habe das – nennen wir es mal – Tagebuch des Soltaire gelesen, und es ist erstaunlich, wie sehr sich ein Mensch etwas einbilden kann, wenn die Elemente und der Verstand gegen einen arbeiten! In Wahrheit war Soltaire ein verurteilter Mörder und Vergewaltiger gewesen, welcher einen anderen Mann im Streit erschlagen hatte. Doch da Soltaire ein begabter Zeichner gewesen war, hatte der zuständige Richter ihn dazu verurtheilt, an dieser Expedition in unbekanntes Gebiet theilzunehmen und alles zu dokumentieren, was sie sahen. Ich weiß nicht, was er sich dabei gedacht hatte, aber rückblickend scheint es mir so, als wurde hinter den Kulissen ein abgekartetes Spiel gespielt.

Was Étienne Soltaire angeht, so kann man mit Gewißheit sagen, daß dieser Mann ein elender Lügner war oder sich das Meiste, von welchem er schrieb, selbst einbildete! Ich weiß nicht, wie er es geschafft hatte, seine Taten zu verheimlichen, doch als wir den Rest seiner Truppe fanden, wurde meinen Männern und mir schnell klar, daß er alle Mitglieder nacheinander ermordete, indem er sie mit ihren Kissen und Pelzen erstickte.

Zudem steht außer Frage, dass Justine Belleblanc auf keinen Fall seine Geliebte war! Aus den zahlreichen Schriftstücken, welche er an sie geschrieben hatte, geht eindeutige hervor, daß er das arme Mädchen kontinuierlich bedrängt und ihr nachgestellt hatte. Uns sind zahlreiche Dokumente erhalten, in denen er zutiefst obszöne Äußerungen ihr gegenüber macht, und es gruselt einen stets, wie er immer und immer wieder seine Liebe zu ihr betheuert, während er sie schlimmer als ein Thier behandelte!

Irgendwann hatte er sie dann entführt, einsperrt und sich unzählige Male an ihr vergangen. Auch hierüber hat er Buch geführt und es stellen sich einem alle Haare zu Berge, wenn man seine wahnhaften Berichte mit den schändlichen Thaten abgleicht, welche das bedauernswerte Mädchen nach seiner Freilassung schilderte. Nackt hatte er sie an einen Pfahl gebunden, sie ihn ihrem Unrat über Stunden ausharren lassen, ehe er diesen beseitigte oder sie theilweise sogar damit beschmierte, als er sich zu jeder erdenklichen Tages- und Nachtzeit an ihr verging. Als man sie fand, war sie kaum noch am Leben, und Gott verfluche diesen Richter, der ihn so einfach hat gehen lassen! Wäre es nach mir gegangen, wäre Soltaire noch an Ort und Stelle hingerichtet worden!

Der Mann, den er erschlug, war ihr Bruder gewesen, der versucht hatte, sie aus den Fängen dieses Monstrums zu befreien. Als Wachtmeister darf ich mir eigentlich kein persönliches Urtheil bilden, doch als Vater einer Tochter in ihrem Alter schmerzt es mich zutiefst zu wissen, daß kein ehrbarer Mann sie nach ihren Erlebnissen mehr ehelichen wollen wird.

Was Soltaires Schilderung von Saint Auguste des Bois angeht, so hat dieses Thier im Großen und Ganzen die Wahrheit gesagt. An diesem Ort hatte sich tatsächlich ein Angriff der Cree ereignet, bei dem ein Großteil der Bewohner abgeschlachtet worden waren – dies ist allerdings bereits fünf Jahre her! Die Schilderung der Kirche entstammen daher Soltaires eigenen, krankhaften Wahnvorstellungen. Die Kirche ist nie entweiht worden und der Priester nie, wie von ihm beschrieben, auf diese grausige Weise umgekommen. Mir war schon von meinen Landsleuten wie den einheimischen Indianern zugetragen worden, daß, wenn man lange genug in der Wildnis verweilt und die Elemente Herr über einen werden lässt, man irgendwann anfängt, Dinge zu sehen und zu hören, sich Dinge einzubilden, die nicht existieren.

Allerdings gibt mir seine Vermuthung bezüglich der Engländer vor allem in den letzten Tagen zu denken. Wir befinden uns zurzeit im Krieg mit ihnen und es ist durchaus möglich, daß sie einige Späher ausgesandt haben, um das Gebiet auszukundschaften. Angesichts dieser Möglichkeit beschleicht mich daher immer wieder das Gefühl, daß uns unser geliebtes Neufrankreich bald im Kugelfeuer und Kanonendonner geraubt werden wird.

PS: Der Cognac, welchen Soltaire mit sich führte und welchen wir zur Begrüßung seines Thodes tranken, war exquisit.

Bewertung: 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Überprüfen Sie auch
Schließen
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"