
Rakirs Albtraum
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Pokémon war seit meiner Kindheit ein Teil meines Lebens. Ich konnte kaum lesen, als ich mir zum Geburtstag meinen ersten Gameboy und Pokémon Rot wünschte, weil ich den Anime so cool fand. Schnell fesselten mich diese Spiele und ich kaufte aus jeder Generation eins, inklusive neuer Konsole. Zuletzt hatte ich Pokémon Y durchgespielt – die Kommentare darüber, dass ich kindisch sei und mich doch lieber mit „richtigen Spielen“ befassen solle, könnt Ihr Euch an dieser Stelle sparen. Ich weiß, inzwischen bin ich älter geworden, aber trotzdem haben mich keine Spiele so sehr in ihren Bann gezogen, wie Pokémon. Auf meinen ersten zwei Spielen – Pokémon Rot und Pokémon Gold – habe ich auch den Pokédex vervollständigt. Mit der 3. Generation wurde es jedoch zunehmend schwieriger – man denke nur an die ganzen Event-Pokémon –, weswegen ich mich ab dem Zeitpunkt mehr auf die Geschichte und das Trainieren meines Teams konzentrierte, als auf das Sammeln der Pokémon an sich.
An einem Abend – ich glaube, es war im März 2014 – saß ich an meinem Computer und suchte im Internet nach einer kostenlosen ROM von Pokémon Platin. Meine Diamant-Edition lag zwar in der Schublade, aber ich wollte neu anfangen und es wäre zu schade um den Spielstand gewesen. Relativ schnell fand ich eine Download-Seite, doch merkwürdiger Weise gab es, obwohl von den anderen Editionen verschiedene Sprachversionen zum Download angeboten wurden, nur eine ROM von Pokémon Platin – oder eher gesagt, „Pokémon Platirn“, wie es auf der Seite genannt wurde. Ich wunderte mich kurz und las sicherheitshalber die Bewertungen der ROM, um sicher zu gehen, dass es sich nicht um einen Hack oder sogar um einen Virus handelte.
13. Dezember 2013
Fünf Sterne von fünf
Von: DamianTheEmperor
Läuft super flüssig vielen dank!!!
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6. September 2013
Fünf Sterne von fünf
Von: sWeeTmaUs
vOlL qaAaaiL
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17. Februar 2014
Ein Stern von fünf
Von: bob
voll scheise was ist nur aus pokemons geworden
Ich beschloss, den beiden ersten Bewertungen Glauben zu schenken, und lud die ROM herunter. Nach einer Weile war der Download fertig, ich startete den Emulator und die ROM.
Zunächst blieben die Bildschirme für eine ganze Weile schwarz. Auch, als ich ihn anklickte oder das Fenster schließen wollte, passierte nichts. Über mein veraltetes Betriebssystem fluchend öffnete ich den Task-Manager und versuchte, den Emulator zu beenden. Als ich jedoch auf „Task beenden“ klickte, erschien merkwürdiger Weise auf dem Bildschirm die Frage: Möchten Sie den Ordner system32 wirklich unwiederbringlich löschen? Verwirrt runzelte ich die Stirn, klickte auf „Abbrechen“ und versuchte erneut, den Emulator zu beenden. Wieder die Meldung: Möchten Sie den Ordner system32 wirklich unwiederbringlich löschen? Da ich wusste, dass man diesen Ordner besser nicht löschte, schloss ich den Task-Manager und ging wieder auf den Emulator. Zu meiner Überraschung hatte sich etwas getan: auf dem oberen Bildschirm wurde der normale Titelbildschirm Pokémon Platin-Edition – Drücke Start angezeigt. Der untere Bildschirm hingegen blieb weiter leer.
Ohne großartig darüber nachzudenken, drückte ich Start. Jedoch wurde der Bildschirm nur wieder schwarz und ein merkwürdiges Rauschen kam aus meinen Boxen, als würde man in einem Auto fahren, dass mit hoher Geschwindigkeit eine leere Straße entlang rauschte. Nach einer Weile hörte das Geräusch abrupt auf und auf dem Bildschirm wurde das Innere eines Lastwagens dargestellt, ähnlich dem, in dem man am Anfang von Pokémon Rubin saß. In der Mitte des Wagens stand die Figur eines Jungen mit blonden Haaren und schwarzer Kleidung. Ich bewegte die Figur einen Schritt Richtung Ausgang, er folgte. Doch als ich versuchte, noch einen Schritt zu machen, wurde der Bildschirm plötzlich wieder schwarz und ein Geräusch ertönte, als würde die Attacke Donner eingesetzt. Kurze Zeit später sah man wieder den Lastwagen, nur stand meine Figur diesmal wieder am Ausgangspunkt. „Was zum Teufel?!“, flüsterte ich und versuchte dieses Mal, zwei Schritte in die andere Richtung zu gehen. Wieder das gleiche Spiel: der Bildschirm wurde schwarz und das Geräusch ertönte. Auch seitwärts konnte ich die Figur nur einen Schritt bewegen. Als jedoch zum vierten Mal das Bild schwarz geworden war, wurde ein Text eingeblendet:
„W—a—r—u—m?“
„Warum was?!“ Natürlich gab der PC mir keine Antwort darauf. Da keine andere Taste als die Pfeiltasten reagierten, starrte ich untätig auf den Bildschirm und wartete darauf, dass irgendetwas passieren würde. Dabei fiel mir auf, dass zwei schwarze Linien von meinem Charakter links und rechts bis zum Bildschirmrand führten – ein Grafikfehler, wie ich dachte. Nach einigen Minuten ertönte plötzlich das Geräusch einer sich öffnenden Tür und Professor Eibe betrat mit Lucia, dem weiblichen Protagonisten aus Diamant und Perl, den Lastwagen. Wieder öffnete sich eine Textbox: „Endlich hast Du aufgehört, Dich zu wehren. Ich dachte schon, wir müssten Dich wieder ruhig stellen. Man hatte mir ja gesagt, Du seist ein Kämpfer, aber mit so viel Widerstand hatte ich nicht gerechnet.“ Er umkreiste einmal meine Figur. „Gut, ich verstehe. Lucia, mein Koffer.“ Lucia drehte sich kurz zum Professor, anschließend ging dieser auf die Figur zu. „Ich habe heute gute Laune. Du darfst Dir eins aussuchen.“
Der Koffer, aus dem man normalerweise sein erstes Pokémon auswählte, erschien auf dem oberen Bildschirm, allerdings lagen in ihm nur zwei Pokébälle. „Was ist das für eine kranke…?“, fragte ich mich und versuchte, meinen PC herunterzufahren. Warum hatte ich überhaupt so weit gespielt? Ich konnte Hacks nicht ausstehen – vor allem nicht derartig unheimliche. Als ich jedoch den Herunterfahren-Button betätigte, öffnete sich wieder das Fenster: Möchten Sie den Ordner system32 wirklich unwiederbringlich löschen? „Nein, nein, nein!“, schrie ich den Bildschirm an. „Ich möchte diesen Scheiß beenden. Ich hab keinen Bock, Pokémon leiden zu sehen oder zu töten oder was auch immer sich dieser kranke Entwickler ausgedacht hat!!!“ Da jedoch meine Dateien – vor allem die Sachen für mein Studium – alle auf dem PC gespeichert waren, gab es keinen anderen Ausweg – oder? Zögernd öffnete ich wieder den Emulator und sah mir den Inhalt des ersten Pokéballs an. „Möchtest Du Cresselia, das Lunar-Pokémon?“ Nicht verwunderlich, dass demnach beim zweiten Pokéball die Frage erschien: „Möchtest Du Darkrai, das Dunkelnacht-Pokémon?“
Auch wenn mich dieses Spiel immer noch wütend machte, hüpfte mein Herz ein wenig, als ich Darkrai sah. Ich hatte damals die Event-Verteilung verpasst und bekam jetzt die Chance, mit ihm als Starter durch Sinnoh zu streifen? Das Spiel mochte zwar krank sein, aber ich hatte sowieso keine Wahl. Mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen drückte ich Ja.
Wieder wurde der Bildschirm schwarz und das Geräusch von der Attacke Donner erklang, diesmal jedoch für mehrere Minuten. Zuerst dachte ich, das Spiel hätte sich aufgehängt, aber dann erklang neben dem Donner die Musik, die sonst beim Tausch ertönte, und der Ruf von Darkrai. Eigentlich klang es so wie immer; trotzdem hatte ich das Gefühl, es würde leiden – das schob ich allerdings auf meine Übermüdung und dass dieses Spiel mich zur Weißglut brachte. Warum mussten solche Leute wie der Entwickler dieses Hacks nur immer wieder die kindliche Unschuld von Pokémon zerstören? Waren ihnen ihre Horrorgeschichten nicht genug? Mussten sie auch noch ein Programm dazu entwickeln, um aller Welt zu zeigen, was sie doch für kranke Gehirne waren?! Und mussten sie damit auch noch die Leute, die normal spielen wollen, belästigen? Ich konnte so etwas einfach nicht verstehen, aber ehrlich gesagt wollte ich es auch nicht. Ich wollte nur noch dieses Spiel beenden und nie wieder auch nur daran denken müssen.
Als die Geräusche wieder aufhörten, fand ich meine Figur in Professor Eibes Labor wieder. Eben jener stand auch vor meiner Figur, Lucia hingegen rechts von mir, beide mich anstarrend. Zuerst sprach ich den Professor an. „Willkommen in der Welt der Pokémon.“ Nach allem, was vorher passiert war, klang dieser Satz ziemlich gehässig. Kopfschüttelnd drehte ich mich zu Lucia und sprach sie an. „Dein Name ist ab sofort Rakir. Bevor wir Dich allerdings losschicken, ist es noch Zeit für einen Übungskampf.“
Die typische Kampfsequenz wurde eingespielt, allerdings waren sowohl Lucias, als auch mein Sprite verändert worden: Lucias schwarzes Haar war zu einem strengen Dutt gebunden, sie trug einen Laborkittel und blickte herablassend auf mich nieder. Mein Sprite hingegen war der eines Jungen mit wirren, blonden Haaren und komplett schwarzer Kleidung. Sein Rücken war gebeugt und der Blick aus seinen roten Augen wirkte müde, gleichzeitig aber auch irgendwie flehend. „Forscherin Lucia möchte mit Dir kämpfen!“ Lucia schickte ein Panferno Level 80 in den Kampf, doch anstatt dass mein Trainer das gleiche mit seinem Darkrai tat, erschien eine KP-Anzeige, die Textbox „Was soll Rakir tun?“ und vier Optionen: Kampf, Beutel, Wandler und Fliehen. Mit einem Blick auf die Statusleiste stellte ich fest, dass mein… Pokémon… Trainer… was auch immer… gerade mal Level 5 war – keine gute Idee, ihn in den Kampf zu schicken. In Ermangelung von Alternativen versuchte ich, zu flüchten. Anstatt des normalen Textes erschien jedoch: „Wenn Du fliehst, werden wir Dir wieder wehtun. Willst Du es wirklich versuchen?“ Ich schluckte schwer, wählte im Auswahlfeld Nein und versuchte es mit den anderen Optionen. Sowohl der Beutel, als auch die Attackenliste waren leer, also musste ich Wandler auswählen. Rakirs Sprite krümmte sich noch mehr zusammen und mitten auf dem Bildschirm erschien ein Textfeld. „Warum?“ Gleichzeitig sanken seine KP auf die Hälfte herunter, bevor schließlich die Animation der Attacke Wandler gespielt wurde und nach einer Sekunde anstelle von Rakir – Darkrai vor mir stand.
Nun standen wieder die Optionen zur Verfügung, als würde Rakirs… Verwandlung nicht zum eigentlichen Zug gehören. Zögerlich wählte ich Kampf aus und stellte fest, dass Darkrai vier Attacken beherrschte, die allesamt nur einen AP hatten: Fluch, Verzweifler, Schlummerort und Verfolgung. Dass Verzweifler eigentlich keine richtige Attacke war, schockte mich von alledem noch am wenigsten. Zögerlich klickte ich auf Schlummerort, doch anstatt die Attacke auszuführen, kam nur eine weitere Textbox: „Darkrai möchte das nicht!“, außerdem die Auswahlmöglichkeit zwischen Ja und Nein. „Verdammt, ich will doch nur aus diesem Albtraum raus, mir ist egal, was Du willst!“, schrie ich den Bildschirm an und drückte aus Reflex Nein. Aus den Lautsprechern kam das Geräusch von Donner und der Darkrai-Sprite zitterte ein wenig. „Darkrai möchte das nicht!“ Nein! Donner. Der Sprite sank ein wenig zu Boden. „Darkrai möchte das nicht!!!“ Nein!!! Donner. Das Darkrai schüttelte sich vor Schmerz. „RAKIR KANN NICHT MEHR!“ NEIN!!! Ich las mir die Textbox nicht mehr durch, da ich dachte, dass eh wieder nur das Gleiche wie vorher kommen würde. Das Geräusch des Donners hielt diesmal viel länger an und auch als es verstummt war, zuckte das Darkrai ein wenig und seine KP-Anzeige pulsierte rot. Einige quälende Sekunden lang blieb die Textbox leer, bevor ein gräuliches „W—w—a—r…“ erschien. Ich schnaufte vor Wut und wischte mir den Schweiß von der Stirn. „Darkrai setzt Schlummerort ein. Es hat keine Wirkung auf Panferno…“ Das gegnerische Pokémon setzte Armstoß ein und bei jedem Schlag leuchtete die KP-Anzeige blutrot auf und Darkrai sank ein wenig mehr in sich zusammen. Jeder Schlag hörte sich erschreckend realistisch an, es klang sogar zwischendurch, als würden Knochen brechen. Doch obwohl Panferno im Level deutlich über Darkrai und die Attacke sehr effektiv war, richtete es kaum Schaden an. Nach fünf Schlägen war die Attacke endlich zu Ende und ich war wieder am Zug. Mit steinerner Miene umklammerte ich mit einer Hand die Tastatur und wählte Kampf und Fluch. Inzwischen spürte ich keine Wut mehr, sondern wollte nur noch diesen Kampf gewinnen. Darkrai gab diesmal keine Wiederworte von sich, auch, als die Nadel seinen Sprite durchstieß, blieb es still – vermutlich konnte es auch nicht noch mehr zusammensacken. Seine KP-Anzeige geriet in den roten Bereich und pulsierte nun ununterbrochen weiß.
Das Panferno griff mit Surfer an – inzwischen überraschte mich in diesem Kampf gar nichts mehr –, ein gurgelndes Geräusch kam aus den Lautsprechern und die KP meines Pokémon sanken bis auf eins runter, während die Wirkung von Fluch dem gegnerischen Pokémon nicht mal einen Kratzer zufügten. „Rakir bettelt um Erlösung! Bitte bring es zu Ende!“ Ich ignorierte die Botschaft, wählte Kampf aus und wollte Verfolgung auswählen. „BRING ES ZU ENDE!“ „Nein.“, antwortete ich mit monotoner Stimme und wählte erneut Verfolgung an. Eine Weile lang bewegte sich nichts mehr auf dem Bildschirm, ich konnte nicht einmal mehr die Maus bewegen. Inzwischen kannte ich das Spiel aber zu gut, um zu denken, dass es abgestürzt war. Und tatsächlich, nach ein paar Minuten erschien in der Textbox: „Rakir bringt es zu Ende. Rakir setzt Verzweifler ein!“ Wie zu erwarten, richtete die Attacke bei Panferno kaum Schaden an, während Darkrai seinen letzten KP verlor und der Sprite vom Bildschirm verschwand. „Rakirs Lebenswille wurde gebrochen.
…
…
Spieler erhält 1000.zip.“
Auf dem Bildschirm erschien noch einmal Professor Eibes Labor. Rakirs Sprite war verschwunden und der Professor und Lucia standen sich gegenüber, genau neben dem Fleck, wo vorhin noch Rakir gestanden hatte.
„Professor… Ist das Experiment jetzt gescheitert?“
„Es verlief… unerwartet. Aber als gescheitert würde ich es jetzt nicht bezeichnen.“ Professor Eibe ging einige Schritte zum Fenster und blickte hinaus. „Sicherlich, die Fusion zwischen Mensch und Pokémon muss in Zukunft anders von Statten gehen. Zuerst muss der Wille komplett gebrochen werden, sonst kommt es zu Komplikationen. Aber wir haben ja jetzt jemanden, der sich damit auskennt.“ Er drehte sich nochmal um und sah nicht Lucia – nein, er sah mich durch den Bildschirm an. „Spieler… Das war eine großartige Zusammenarbeit. Auf Wiedersehen.“
Ich hatte den letzten Satz gerade zu Ende gelesen, als der Emulator sich automatisch schloss. Als ich wieder in der Wirklichkeit angekommen war, lief mir ein eiskalter Schauder über den Rücken. Was war da gerade geschehen? Hatte… hatte ich gerade wirklich in dem Spiel den Willen eines Menschen gebrochen? Mir wurde bei dem Gedanken schlecht. Nein. Ich… ich hatte nichts falsch gemacht. Es ist nur ein Spiel, nichts, was man ernst nehmen sollte! Nichts, was ich im wirklichen Leben machen würde… Nachdem ich mich mit diesen Gedanken halbwegs beruhigt hatte, wollte ich den PC ausschalten und nur noch ins Bett kriechen – hielt aber inne, als ich die neue Datei auf meinem Desktop bemerkte. 1000.zip. Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit und ich versuchte, die Datei in den Papierkorb zu packen. Möchten Sie den Ordner system32 wirklich unwiederbringlich löschen? Ach Du Scheiße, der Spuk hatte immer noch kein Ende?!
Das Beste wäre vermutlich gewesen, den PC einfach aus- und nie wieder anzuschalten, Studienkram hin oder her. Doch meine Neugier siegte noch einmal über meine Erschöpfung und ich entpackte die Datei. Obwohl dieser Vorgang eine gefühlte Ewigkeit dauerte, waren in der Datei nur sechs Bilder: Donner.jpg, Schlummerort.jpg, Armstoß.jpg, Fluch.jpg, Surfer.jpg und Verzweifler.jpg. Aus irgendeinem Grund zwang ich mich, die Bilder anzusehen:
Alle sechs Bilder waren entweder extrem realistische Zeichnungen oder mit einer guten Kamera gemachte Fotos. Es war bei jedem fast so, als hätte sich der Künstler oder der Fotograf Zeit genommen, alles perfekt einzustellen, um die Abscheulichkeit seines Motivs zu betonen. Auf jedem Bild sah man einen Jugendlichen, vielleicht vier- oder fünfzehn Jahre alt, mit wirren, blonden Haaren und braunen, fast schon roten Augen. Seine Haut war totenbleich, sodass seine tiefen Augenringe hervortraten. Während seine Haut nahezu klinisch rein wirkte, war seine Kleidung so schmutzig, dass man sie fast für schwarz halten konnte.
Auf Donner.jpg stand der Junge in einem kleinen Metallraum, Augen und Mund weit aufgerissen und mitten in einer zuckenden Bewegung eingefangen. An seinen Handgelenken waren zwei Kabel festgeklebt und in der Ecke stand ein Stromgenerator mit einem Spannungsmessgerät, welches 120 Volt anzeigte.
Der Schauplatz von Schlummerort.jpg und der folgenden Bilder hingegen war ein weiß gefliestes Laboratorium mit kaltem Neonröhrenlicht. Der Junge hockte in einer Ecke, presste die Hände auf die Ohren und kniff die Augen zusammen, während irgendein lautes Geräusch die Tische im Labor offenbar zum Zittern brachte.
Das erste Bild, welches andere Menschen zeigte, war Armstoß.jpg. Man sah den Jugendlichen auf der Seite liegen, die Arme schützend vor den Bauch gepresst und die Knie angewinkelt, während ein stark behaarter Mann mit geballten Fäusten vor ihm stand und offensichtlich gerade wieder zum Schlag ausholte.
Fluch.jpg brachte mich fast zum Erbrechen, denn es zeigte die mit Nadeln und Nägeln gespickten Arme und Beine des Jungen. Aus den Wunden floss das Blut in Strömen, während er versuchte, einen weiteren rostigen Nagel mit einem Hammer durch seine Schlagader am Handgelenk zu treiben. Dabei starrte er mit seinen großen, tränenefüllten Augen in die Kamera und setzte gerade an, etwas zu sagen. Sein Blick war so voller Schmerz und Verzweiflung, dass ich fast überlegte, mir die Bilder nicht mehr anzusehen, nur, um ihn nicht noch weiter leiden sehen zu müssen.
Dennoch öffnete ich Surfer.jpg. Hier lag der Junge gefesselt auf einem schrägen Tisch, sodass sein Kopf weiter unten war als der Rest vom Körper. Ein Lappen lag auf seinem Gesicht und zwei Männer übergossen es mit zwei Eimern Wasser. Der Junge hatte mit seinen Fingern so stark über die Tischplatte gekratzt, dass blutige Spuren darauf zu erkennen waren.
Ich brauchte ein paar Sekunden Zeit, um meinen Magen zu beruhigen, bevor ich das letzte Bild öffnete. Doch auch die kurze Pause bereitete mich nicht auf das vor, was mich mit Verzweifler.jpg erwartete: Auf dem Bild sah man den Jungen tot an einem Strick von der Zimmerdecke baumeln, die starren Augen direkt durch die Kameralinse auf mich gerichtet. Unter den Füßen des Jungen war mit einem Bildbearbeitungsprogramm in großen, weißen Buchstaben ein Wort eingefügt worden: Warum?!
Totenblass schloss ich die Bilder wieder und verschob sie in den Papierkorb, was wider Erwarten ohne irgendwelche Störungen funktionierte, genau so wie das Herunterfahren des PCs. Ich stand auf und taumelte ins Schlafzimmer, wo ich mich direkt ins Bett fallen ließ und mich unter der Bettdecke zusammenrollte. War… war ich verantwortlich für seinen Tod? Hatte ich diese Folter, ohne es zu wissen, möglich gemacht? Oder war es am Ende doch nur ein sehr makabrer Scherz irgendwelcher Programmierer und Grafiker, die den Menschen irgendeine Moral näher bringen wollten? Nach diesen Bildern konnte ich das allerdings nicht mehr wirklich glauben… Vielleicht war es das beste, wenn ich die Bilder morgen doch wieder ausdrucken und an die Polizei übergeben würde. Ich könnte ja sagen, dass sie über einen Virus oder irgendwie so etwas auf meinen PC gekommen waren… Ja, so ungefähr würde ich es machen…
Kurz bevor ich in das Land Darkrais wanderte, hörte ich noch eine leise Stimme an meinem Ohr flüstern: „Rakir setzt Verfolgung ein.“