Mrs. Yates hat einen schönen Garten
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Eigentlich hatte ich eine schöne Kindheit. Sie war in keinerlei Hinsicht außergewöhnlich oder besonders, jedenfalls kann ich mich an kein Ereignis erinnern, was mich irgendwie auf den Vorfall hätte vorbereiten können, von dem ich hier erzählen möchte. Mein Therapeut sagt immer, es würde helfen, über das Erlebte zu reden, aber ich habe weder ihm noch meiner Familie je die ganze Wahrheit gesagt. Darum möchte ich das heute nachholen. Ich möchte dir erzählen, warum ich in meiner ganzen Jugend von tiefen Depressionen geplagt war, auch wenn ich bezweifle, dass das hier irgendwer glaubt. Aber… ich möchte nicht gelebt haben, ohne die Welt gewarnt zu haben… vor Mrs. Yates und ihrem schönen Garten.
So weit ich mich erinnern kann wohnten wir, das heißt meine Eltern und ich, schon immer gegenüber von ihrem Haus. Das war nicht wirklich etwas schlimmes, immerhin war sie eine normale nette und auch irgendwie freundliche Nachbarin, die einmal in der Woche mit meiner Mutter und den anderen Frauen aus unserer Umgebung gemeinsam Kaffee trank. Allerdings war es so lange wie ich zurückdenken kann schon immer so, dass wir Kinder einen gewissen Respekt vor ihr hatten, oder… zumindest ein Misstrauen.
Manchmal, wenn wir sicher waren, dass sie nicht in der Nähe war, nannten wir sie „Mrs. Made“. Kreativ, nicht wahr? Tja, was soll ich sagen, wir waren nicht älter als acht und… in gewisser Weise hat der Name ja gepasst.
Sie war eine dürre, große Frau mittleren Alters mit zu großen Ohren und Augen, was ihr etwas insektenhaftes gab. Noch heute kann ich sie mir vorstellen, wenn ich die Augen schließe; die dreckigen grünen Handschuhe, die mit Grasflecken besudelte Schürze, die Knospen in ihren grauen, fettigen Haaren, die stets zum Pferdeschwanz geflochten waren. Und ihr Geruch. Jedes Mal, wenn wir ihr begegneten, bemerkten wir ihn. Diesen leichten erdigen Gestank, den sie durch die Haut auszustoßen schien und der sich niemals änderte. Eigentlich änderte sich nie irgendetwas an ihr; sie war einfach schon immer da gewesen und würde immer da bleiben, zeitlos und unbeugsam wie die uralten Bäume in ihrem Garten. Ihr Garten. Ich kriege immer noch eine Gänsehaut, wenn ich an ihn denke.
Mrs. Yates hatte einen wundervollen Garten, voll mit vielen herrlichen Blumen und Bäumen, die so hoch waren, dass man sie noch am anderen Ende der Straße sehen konnte. An seinem Ende war das Gelände beinahe verwildert und dazu auch noch riesengroß, so dass man sich leicht dort drin verlieren konnte. Wenn das wöchentliche Kaffeetreffen mal bei ihr stattfand und uns die Erwachsenen mitnahmen, erlaubte sie uns, auf ihrem Grundstück zu spielen, solange wir nur in Sichtweite der Terrasse blieben. Wir wussten niemals, womit wir uns die Zeit vertreiben sollten, so sehr hatten wir Angst vor dem ungezähmten, dunkelgrünen Stück Dschungel, das sich jenseits der ersten Bäume erstreckte. Natürlich konnte man sich die ersten zwei Minuten mit dem Bewundern der atemberaubend schönen Gewächse wie dem mannshohen Flieder und den Rosensträuchern vertreiben, aber auch das wurde immer langweiliger, je älter wir wurden. Und um ehrlich zu sein… manchmal hatte ich in den folgenden Nächten Albträume, wie die Bäume und Sträucher zum Leben erwachten und mich mit sich zerrten, tiefer in das Dickicht, weit weg von jeder Zivilisation. Ich hab den anderen nie davon erzählt.
Wir waren insgesamt sechs Kinder, die in der Straße wohnten. Meine genaue frühere Adresse möchte ich hier nicht nennen, hauptsächlich aus dem Grund, damit du nicht auf die Schnapsidee kommst, selbst nach dem Grundstück zu suchen. Die Stadt jedenfalls, in der besagte Straße stand, bzw. immer noch steht, liegt mitten in der Einöde und ist heute mehr verlassen als bewohnt; wenn’s hoch kommt hat sie vielleicht fünfzig Einwohner. Als ich ein Kind war, machte der Ort gerade eine schwere Depression durch, weswegen wir nie das Geld für einen wirklichen Urlaub hatten.
Um so interessanter fand ich deswegen die Geschichten, die Mrs. Yates uns manchmal erzählte, wenn die Erwachsenen zu ende gegessen hatten und wir nicht eines ihrer preisgekrönten Gewächse berührt hatten. War dies doch mal der Fall, taten wir gut daran, so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Ich weiß noch, wie Billy Rogers einmal in das rote Tulpenbeet getreten war und fast augenblicklich schrie die alte Frau nach ihm, als hätte sie den Tod der Blumen am eigenen Leib gespürt. Billy erzählte am nächsten Tag, dass seine Mutter in dafür grün und blau geschlagen hätte, aber dazu sei gesagt, dass er schon immer ein Talent für Übertreibungen hatte.
Wenn wir aber einmal in Mrs. Yates Gunst standen, gab es immer Geschichten von ihren Reisen, die die meisten von uns todlangweilig fanden, ich aber für ganz cool hielt, wie gesagt, ich kannte zu dem Zeitpunkt nicht viel von der Welt. In ihren jungen Jahren schien sie einige Zeit im Ausland verbracht zu haben, zuerst drei Jahre in Ägypten und dann noch zwei in Indien, sowie einige wenige Monate auf Madagaskar, den Philippinen und seltsamer Weise auch an der Westküste Grönlands. Da sie uns nie erzählen wollte, warum sie so lange auf Reisen war, stellten wir wilde Theorien zu dem Thema auf, wobei wir die Idee, dass Mrs. Yates einfach nur nach neuen Pflanzen Ausschau gehalten hat, für am wahrscheinlichsten hielten. Bis heute frag ich mich manchmal, ob das wirklich der einzige Grund war.
Mit der Zeit nahmen unsere Mütter uns immer seltener mit zu Mrs. Yates. Sie sagten uns, dass sie langsam zu alt wurde um sich auch noch um eine Schar Kinder zu kümmern, auch, wenn sie immer noch genau so aussah wie in dem Jahr meiner ersten Erinnerungen. Aber wir vermissten sie nicht besonders und so begannen wir immer weniger an unsere seltsame Nachbarin zu denken.
Erst… erst ein paar Jahre später sollte ich die Wahrheit erfahren. Ich war gerade dreizehn geworden und wir Kinder hatten einen neuen Trend gefunden: Mutproben. Nie etwas wirklich gefährliches, vielleicht Klingelstreiche machen und das Bestellen von Pizzen an Adressen, die nie existierten. Ja, ich weiß, es war dämlich, aber wir waren jung und naiv. An besagtem Tag trafen wir uns im Baumhaus von Kenny Doyle und losten aus, wer als nächstes dran war. Zu meinem Missfallen wurde mein Name gezogen. Die anderen grinsten schadenfroh, weil ich einer der ängstlichsten aus der Gruppe war.
„Ich wette mit dir“, schlug Kenny sofort vor, „dass du dich nicht traust, nachts auf das Grundstück der alten Yates zu schleichen und eine Pflanze vom hinteren Ende des Zauns mitgehen zu lassen.“ Billy kicherte. Er wusste besser als jeder andere, was passieren kann, wenn man sich zwischen Mrs. Yates und ihre Blumen stellte. Ich aber zuckte nur mit den Achseln.
„Okay“, versuche ich cool zu sagen, obwohl ich innerlich schon nach Ausreden suchte. Einen Zweig aus dem vorderen Bereich des Gartens zu stehlen kam nicht in Frage, dafür waren wir mit dem Gelände zu vertraut. Ich überlegte, ob ich noch schnell eine Pollenallergie erfinden konnte, aber das schien mir angesichts der Jahreszeit nicht besonders glaubwürdig. Also stand ich noch in derselben Nacht vor dem Zaun des Yates-Anwesen, nur bewaffnet mit meiner Taschenlampe und einer Gartenschere, die ich von Kenny bekommen hatte.
Es war noch relativ warm für eine Nacht Anfang September. Ein Hauch des sterbenden Sommers lag noch in der Luft und einige Nachtfalter schwirrten um den Lichtkegel in meiner Hand, als ich über eine niedrige Stelle der Holzbarriere kletterte, bereit, jede Sekunde die Flucht zu ergreifen. Ein nüchternes Lächeln legte sich um meine Lippen, als ich einen Blick auf die Gewächse im Vorgarten warf. Nichts hatte sich in all den Jahren geändert, jeder einzelne Strauch und jedes Blatt stand noch an seinem Platz. „Typisch Mrs. Yates“, murmelte ich zu mir selbst.
Missmutig machte ich mich auf den Weg, lief immer weiter vom Haus entfernt, in dessen Fenstern seltsamer Weise kein Licht brannte. Die ersten Schritte ging es noch ganz leicht, auch wenn mir die Geräuschkulisse ein Schaudern bereitete. Gras und Blätter knirschten unter meinen Schuhen, eine Eule schrie von irgendwo außerhalb des Gartens und mein Atem ging flach. Als ich an einer großen alten Eiche ankam, die wir als Kinder als Grenze zur Wildnis bestimmt hatten, schluckte ich schwer. So weit war noch nie einer von uns in das Innere das Gartens vorgestoßen. Wenn ich weiter gehen würde, wären die Häuser der Straße komplett verschwunden und ich wäre allein. Aber von jugendlichem Ehrgeiz gefasst riss ich mich zusammen, schüttelte die Angst weg und ging auf zitternden Beinen an dem knorrigen Baum vorbei.
Natürlich konnte ich jetzt nicht einfach einen Ast von irgendeinem Strauch abschneiden; es musste schon ein sehr exotisches und ungewöhnliches Gewächs sein, sonst hätte ich es auch gleich lassen können. Immerhin musste ich jetzt keine Angst mehr davor haben, dass ich von Mrs. Yates selbst überrascht werden würde, die Umrisse ihres Haus waren komplett in den Schatten der Bäume verschwunden. Der Gedanke machte mir Mut und langsam begannen meine Muskeln sich zu entspannen. Eigentlich war es doch eine einfache Aufgabe. Es gab nichts, wovor ich mich zu fürchten brauchte. Es war nur ein großer, etwas schauriger Garten, mehr nicht! Meine Zuversicht löste sich in den nächsten Metern in Luft auf.
Es war ein kleines, fast schon unwichtiges Detail, was ich früher wahrscheinlich gar nicht bemerkt hätte, aber zu dem Zeitpunkt war ich zum Glück wohl alt oder aufmerksam genug, um es wahrzunehmen. Die Motten und Mücken, die mich die ganze Zeit begleitet hatten, flogen plötzlich aus dem Licht meiner Taschenlampe, nicht eine nach der anderen, sondern alle auf einmal, als würden sie die Flucht ergreifen. Fast im selben Moment hörte ich ein winzig kleines Geräusch, das entfernt nach einem menschlichen Wimmern klang, wenn auch so leise, dass selbst mein Atem es in einem anderen Moment übertönt hätte.
Auf einmal fühlte ich mich, als hätte jemand einen Eimer Eiswasser in meiner Brust ausgeschüttet. War ich allein? Wenn nicht, von wem stammte dann das Geräusch? War es möglich, dass Mrs. Yates noch um diese Uhrzeit ihren Garten pflegte? Neben der Furcht fühlte ich jetzt auf einmal Neugier in mir aufsteigen. Ich wollte wissen, was in Mrs. Yates Garten eigentlich vorging. Bis heute vergeht kein Tag, in dem ich die Entscheidung nicht bereue, tiefer in das Dickicht rein gegangen zu sein. Wäre ich nämlich einfach umgekehrt und hätte diesen Scheißort verlassen, hätte ich nie das gesehen, was mich seitdem in jeder Nacht verfolgt.
Ich war klug genug, das Licht meiner Taschenlampe zu dimmen, als ich mich dem Laut näherte. Mir fiel auf, dass meine Sicht dadurch kaum beeinträchtigt wurde, da ein leichter, anfangs fast unsichtbarer grüner Schein zwischen den Blättern hindurch fiel und der immer intensiver wurde, je näher ich kam. Zitternd erhob ich Kennys Schere, bereit mich zu verteidigen, egal was mich erwarten würde.
Schließlich konnte ich die Lampe komplett ausschalten, so sehr erleuchtete dieses unheimliche Zwielicht den Weg. Ab diesem Zeitpunkt kamen auch die Insekten wieder, auch, wenn es keine gewöhnlichen Nachtschwärmer mehr waren. Solche Viecher hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen, nicht einmal etwas Vergleichbares. Sie waren pechschwarz, etwa so lang wie mein Zeigefinger und wirkten ein bisschen wie geflügelte Tausendfüßler, obwohl ich nicht sagen kann, auf welcher Seite ihr Kopf lag. Sie flogen auf das grüne Licht zu, kratzten dabei meine Haut und hinterließen übelriechenden Schleim auf meinem Gesicht. Ab dem Zeitpunkt weiß ich nicht mehr, ob ich ihnen noch aus freiem Willen folgte oder von einer unsichtbaren Kraft in dieselbe Richtung gezogen wurde. Jedenfalls hatte ich eine Scheißangst, aber ich konnte… ich wollte nicht umkehren, wollte wissen, was sich auf der andren Seite von Yates Garten befand. Wie in Trance stolperte ich immer weiter auf das Licht zu, das nun auch von einem leichten Trommeln begleitet wurde, dumpf, monoton, wie der Herzschlag eines Schlafenden. Schließlich erreichte ich den Rand einer kleinen Lichtung, von der aus ich mich hinter einem alten Baum versteckte. Ab da… begann der wirkliche Horror.
Die Quelle des Lichts war ein großes, ekelhaft gefärbtes Feuer, was vor den Füßen eines riesigen, schwarzen Gebildes brannte, welches ich erst nicht erkannte. Als sich meine Augen schließlich an die seltsamen Flammen gewöhnt hatten, merkte ich, dass es ein Monolith aus Speckstein mit merkwürdigen eingeritzten Runen und Bildern war, mindestens vier oder fünf Meter hoch. Verwirrt blinzelte ich, als ich begann, Bewegungen vor den Flammen auszumachen. Es brauchte einen Momente, ehe ich es komplett erkennen konnte. Was ich sah, ließ den Schweiß auf meiner Haut gefrieren.
Vor dem Schrein tanzten im Takt der Trommeln ein halbes Dutzend humanoide Gestalten, die in seltsamen Stoffen aus Seide gekleidet waren, an ihren schlanken Armen und Hälsen trugen sie lange Ketten aus Blüten und in ihren Gesichtern rote Masken aus Holz. Die Bewegungen, die sie machten, waren teilweise so komplex und… mechanisch, dass sich ein normaler Mensch wohl jeden Knochen gebrochen hätte. Ab und zu zischten sie sich groteske Wörter in fremden Sprachen über das Feuer zu oder stimmten zuckende Gesänge an. Angewidert versuchte ich mich von ihnen abzuwenden und erkannte stattdessen, dass jemand zwischen den Flammen und dem Stein stand und die ganze Szenerie beobachtete. Obwohl ihr Gesicht im Schatten einer Kapuze stand, erkannte ich die Frau, ich kannte sie nur zu gut, auch wenn sie zum ersten Mal etwas anderes trug als Handschuhe und eine Schürze. Irgendwie war ich noch nicht einmal überrascht.
Mrs. Yates war in eine weite dunkelgrüne Kutte gehüllt und hatte ihre Arme weit von sich gestreckt, als würde sie zu jemanden oder etwas beten. Sie wirkte größer als sonst, dominanter, fast so, als schwebte sie. Ich bemerkte, dass diese seltsamen Insekten auf sie zu flogen, getrieben von einem unstillbaren Drang, auch, wenn es ihr Leben kostete. Teilweise verbrannten sie im Feuer, aber einige landeten auf der schmierigen Oberfläche des Steins und krochen in das Innere der Runen. Nun mischte sich neben den Trommeln ein leises Flötenspiel zu diesen Klängen, auch wenn ich nirgendwo Instrumente sehen konnte. Die Musik schien aus dem Stein selbst zu kommen. Mir fiel auch auf, dass mehrere Sachen vor den Flammen lagen, viele Blumen und Äste, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, aber auch einige Knochen, noch bedeckt mit blutigen Fasern von Fleisch. Plötzlich fuhr Mrs. Yates Kopf mit einem knackenden Geräusch zum Himmel und sie begann mit lauter, krächzender Stimme zu sprechen. Ich werde ihre Worte nie vergessen.
„Blutherr!“, schrie sie und die tanzenden Geschöpfe hielten inne, „Höre unseren Ruf und folge unseren Worten. Groß und allmächtig seist du, oh, Herr des Blutes mit eintausend Augen und zehntausend Fingern. So sei auch deine Tochter groß, die rote Hure ohne Gesicht von jenseits der Sterne. Und auch dein Sohn, oh Herr, der tote Pharao, der unter Hierakonpolis träumt. Nimm unser fünftes Opfer an, Herr des Blutes, und zeige uns eines deiner vielen Gesichter!“ Mit diesen Worten hob sie einen zusammengerollten, in Tüchern verhüllten Körper hoch und streckte das Bündel über ihren Kopf.
Ich bete jeden Tag dafür, dass das, was daraufhin folgte, einfach nur ein Produkt meiner kindlichen Einbildung war. Während sich der erdige Gestank von Mrs. Yates ausbreitete, begann sich etwas über dem Schrein zu materialisieren. Erst hielt ich es für eine Wolke, aber dann merkte ich, dass ein feuriger roter Glanz von der transparenten Erscheinung ausging. Was anfangs nicht von einem Nebel zu unterscheiden war, wurde immer fester, größer und organischer. Schleimige Tentakeln und pechschwarze Krallen formten sich aus dem Schleier, zusammen mit unzähligen unterschiedlich große Augen, einige waren klein wie Äpfel und milchig blind, andere so groß wie mein Kopf und so rot wie das Feuer der Hölle. Diese Augen… es war, als würden sie mir direkt in die Seele schauen, um meine Gedanken zu sezieren und sich an meinem Verstand gütlich zu tun. Auch wenn Yates und ihre Häscher mich nicht bemerkt hatten, dieses Ding hörte und beobachtete mich, studierte mich, ohne ein einziges Mal zu blinzeln. Vielleicht hat es nie damit aufgehört.
Gelähmt von der Furcht musste ich mit ansehen, wie diese Kreatur einen dünnen knochigen Arm nach Mrs. Yates ausstreckte, während es ein unmenschliches Gewirr von hunderten dämonischen Stimmen von sich gab, in Sprachen, die nicht einmal seine grüne Priesterin verstand. Das Bündel in ihren Händen begann zu zappeln und zu schreien, als es der Entität immer näher kam. Schließlich gelang es ihm, das Tuch um seinen Kopf loszuwerden, kurz, bevor es in den Nebel des Monsters verschwand. Ich musste mir eine Hand auf den Mund halten, um nicht zu weinen, als ich erkannte, wer dort in die Dunkelheit gezogen wurde. Eingewickelt in blutige Lumpen sah ich das heulende Gesicht von Billy Rogers, verzerrt von unendlicher Panik. Das letzte, was ich hörte, bevor er komplett verschwand, war, wie er mit kindlicher Stimme nach seiner Mutter schrie.
Die tanzenden Wesen begannen zu lachen. Ich bemerkte, dass sie die Stimmen von Frauen hatten.
Die Erkenntnis traf mich plötzlich und so schmerzhaft wie ein Schuss ins Herz. Obwohl sich mein Gehirn weigerte, es zu glauben, schossen mir die unterschiedlichsten Tatsachen gleichzeitig durch den Kopf, jede bestärkte die gleiche Wahrheit. Wir waren sechs Kinder. Unsere Mütter nahmen uns einmal in der Woche zu Mrs. Yates mit, die uns über Jahre von der Terrasse aus beobachtet hatte. Später durften wir nicht mehr mit, wenn sie sich trafen. Sechs Frauen lachten gerade über den Tod von Billy Rogers, der das fünfte Opfer war. Eine Stimme hörte ich unter den anderen heraus. Ich kannte sie, seit dem Tag, an dem ich geboren wurde. Sie hatte mich in den Schlaf gesungen und Märchen vorgelesen und jetzt… lachte sie.
In mir zerbrach etwas, als ich wegrannte, die Augen voll mit Tränen. Warum? Warum hatte sie das getan? Ich versuchte all die Erinnerungen, die ich jemals an meine Mutter hatte, zu unterdrücken, wollte mich nur aufs Rennen konzentrieren, wollte weg, einfach nur weg von diesem Ort! Die unsichtbaren Trommeln und Flöten wurden leiser, auch wenn sie vor ein paar Sekunden ohrenbetäubend laut gedröhnt hatten. Ich ignorierte die Dornen, die meine Wangen zerkratzten und diese verdammten Mistviecher, die immer noch in Scharen zum Feuer flogen. Als ich endlich über den Zaun des Yates-Gartens sprang, fühlte ich mich um eine Tonne leichter.
Mein Vater war noch wach, als ich an unsere Haustür hämmerte. Sein schockiertes, schneeweißes Gesicht ist eines der vielen Sachen aus dieser Nacht, die ich nie vergessen werde. Mit schwacher Stimme fragte er mich, was passiert wäre, immerhin dachte er, ich würde bei Kenny schlafen. Kenny, der jetzt tot war.
Unter Tränen versuchte ich ihm zu erklären, was geschehen war, erzählte etwas von Hexen und das die anderen alle tot waren. Ich erwartete, dass er mir nicht glauben würde, dass er anfangen würde zu schreien oder gar zu lachen. Er lachte nicht, sondern nahm meine Hand, ging wortlos zum Waffenschrank, wo er seinen Revolver holte, und zerrte mich zum Auto. Er wartete, bis ich mich angeschnallt hatte, fuhr dann aber sofort los. Mit einer Hand am Lenker wählte er die Nummer des Streifenwagens und warnte sie vor diesem Einsatz, während er an roten Ampeln vorbei raste. Ich glaube, ich habe irgendwann dann auf dem Beifahrersitz das Bewusstsein verloren.
Was danach passiert ist, habe ich erst einzeln über viele Jahre erfahren. Mein Dad war Cop und hatte einige Wochen zuvor in einem Fall von dem gewaltsamen Diebstahl mehrerer Hunde ermittelt, vermutlich das Werk einer Sekte. Das war auch der Grund, warum er mir sofort glaubte und wusste, wie gefährlich die Sache war. Ich denke, er wusste die ganze Zeit, dass meine Mutter etwas damit zu tun hatte.
Als die Polizei ankam, war Mrs. Yates bereits verschwunden, nur ihre Anhängerinnen tanzten noch um die Asche eines erloschenen Feuers. Man hat nie die sterblichen Überreste der Kinder entdeckt, dafür fanden sie die Hunde oder das, was von ihnen übrig war.
Für die Presse war das alles natürlich ein gefundenes Fressen. Nachbarschaft des Grauens, lautete die Schlagzeile am nächsten Morgen, satanischer Hexenkult opfert seine eigenen Kinder. Wobei das letzte nicht ganz stimmt. Auf den Scherben des Monolith, der wohl irgendwie durch die Hitze des Feuers zersprungen war, fand man Symbole, die zu keiner bekannten Religion der Welt passten. Die Frauen, die man in dieser Nacht gefangen nahm, sagten ebenfalls nichts zu dem Ritual aus. Die meisten Psychologen waren überrascht, wie gut sie trotz des fortgeschrittenen Wahnsinns ihre Aktivitäten vor ihren Freunden und sogar vor ihren Kindern verheimlichen konnten. Das einzige, was sie immer und immer wieder behaupteten, war, dass es noch nicht vollendet wurde und dass der Herr seine Schuld einfordert. Die letzte von ihnen starb vor zwei Jahren in einer Nervenheilanstalt an einem Schlaganfall. Es war die Frau, die mich geboren hatte. Aber… auch hier endet mein Trauma nicht.
Während ich das hier schreibe, sitze ich in meinem Auto, das in der Einfahrt meines Elternhauses steht. Durch die Frontscheibe beobachte ich den komplett verwilderten Garten von Mrs. Yates, die nie geschnappt worden war. Sechs Kinder sind vor ein paar Wochen verschwunden. Zwischen den uralten Bäumen sehe ich ein grünliches Licht, das mehrere seltsame Insekten anlockt und ich höre das monotone Schlagen von Trommeln. Ich blicke auf das Gewehr in meiner Hand und den Benzinkanister auf dem Sitz neben mir. Meine Finger zittern, während ich weiter tippe. Dieses Mal werde ich sicher gehen, dass sie nicht entkommt. Ich weiß nicht, ob ich zurückkommen werde, noch nicht einmal, ob ich es aufhalten kann. Aber, wenn ich noch eine Sache zu sagen habe, dann, dass ich meine obengenannte Aussage ändern möchte.
Mrs. Yates hat keinen schönen Garten.
Mrs. Yates hat einen schönen Friedhof.