Lange

Persecuted – Kapitel 4

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Der nächste Tag verlief ganz ähnlich wie der vorherige. Ähnlich wie in Täglich grüßt das Murmeltier wiederholte sich der Ablauf, die Stimmen, Paul, Joyce, wenn auch in anderen Situationen. Beim Footballtraining saß Joyce auf der Tribüne und rief laut Keiths Namen, und Paul setzte sich im Englisch Unterricht neben ihn.

Diesmal klingelte sein Handy in der Mittagspause, und er machte sich nicht einmal mehr die Mühe auf das Display zu blicken.

Es war Lindsey. Ganz sicher.

Doch als er heute nach der letzten Stunde nach Hause rennen wollte, um sich wieder Schlaftabletten einzuwerfen – dieses Mal vielleicht nicht ganz so viele, denn er hatte bis kurz vor Schulbeginn durchgeschlafen – wurde er aufgehalten.

Nicht von einem Geist.

Sondern von Rebecca.

„Hey, warte mal kurz!“

Sie kam auf ihn zu gerannt, und heute sah sie nicht aufgewühlt aus wie am Sonntag, sondern so hübsch wie immer.

Keith blieb stehen und blickte die betont lässig an, darum bemüht, sich seine Angespanntheit und Nervosität nicht anmerken zu lassen. „Hm? Was gibt’s?“

Sie blieb stehen, senkte den Blick. Schien kurz nachzudenken, nach den richtigen Worten zu suchen, dann fragte sie: „Hast du heute schon was vor?“

Sie war rot geworden während sie sprach, und sie biss auf ihrer Unterlippe herum wie ein kleines Kind.

Auf eine seltsame Art und Weise beruhigte Keith dieser Anblick. Er war ein Stück Normalität. Ein vertrauter Anblick.

Scheinbar desinteressiert zuckte er mit den Schultern. „Eigentlich nicht. Warum?“

„Hast du vielleicht Lust…mit mir ins Café zu kommen?“

Selbst ihr Lächeln wirkte nervös. „Zuhause langweile ich mich nur…also dachte ich…“

„Warum nicht.“ Die Antwort war für Keiths Geschmack viel zu hastig gekommen, doch gefiel ihm der Gedanke, nicht nach Hause zu müssen, nicht allein zu sein…

Und er hatte das Gefühl, dass er in Rebeccas Anwesenheit weniger angespannt sein würde als in der seiner Freunde.

Nicht so sehr unter Druck. Rebecca kannte ihn schließlich längst nicht so gut.

„Schön.“ Ihr Lächeln verlor ein wenig an Nervosität, sie schien allgemein ein wenig ruhiger zu werden. „Dann…gehen wir?“

Ein Nicken war die Antwort. Vielleicht würden Joyce und Paul im Café und auf ihn warten, dich würden sie wohl nichts anderes tun, als ihn anzustarren, und daran hatte er sich mittlerweile beinahe schon gewöhnt. Und vielleicht würde ihm dort schon etwas einfallen, was er tun könnte. Hoffentlich.

Ihm fiel nichts ein. Zumindest nichts Neues. Dennoch verlief der Nachmittag nicht unangenehm. Vielleicht nicht ungestört von Geistererscheinungen – Joyce und Paul waren tatsächlich im Café, saßen auf der anderen Seite des Raumes und starrten ihn an, doch gelang es Keith, sie zu ignorieren, sogar immer wieder kurz zu vergessen, dass sie da waren.

Ja, der Nachmittag verlief angenehm. Dieser und der darauffolgende. Und der danach. Rebecca und er trafen sich jedes Mal nach der Schule, mal im Café, mal bei Keith zu Hause.

Und langsam begann er wirklich, sie ein wenig zu mögen. Nicht sich in sie zu verlieben; nein. Aber sie ging ihm nicht auf die Nerven so wie zum Beispiel Joyce es mit ihrem pausenlosen Gerede getan hatte, und das war schon mal etwas. Zumindest sah er das so.

Abends nahm er noch immer Schlaftabletten, denn die Stimmen redeten noch immer auf ihn ein, wenn er in seinem Bett lag, und manchmal spürte er die Berührung von kalten Leichenfingern auf seiner Haut.

So ging es weiter, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag.

Immer ein ähnlicher Ablauf.

Stimmen, Geister, Treffen mit Rebecca, Schlaftabletten.

Fast glaubte er, sich wirklich daran gewöhnen zu können.

Bis zum Freitagmittag.

Als er um kurz nach eins die Wohnungstür aufschloss hatte er bereits das Gefühl, dass sich irgendetwas verändert hatte. Er wusste nicht, was es war oder wie er überhaupt darauf kam…nur, dass es so war.

Er betrat den Flur, schloss die Tür. Rebecca würde erst in knapp einer Stunde hier sein, sie hatte noch einen Termin, also konnte er sich zuvor noch etwas zu essen machen. Eine der Tiefkühlpizzen vielleicht, oder…

Dann blieb er wie angewurzelt stehen. Mitten in der geöffneten Küchentür. Hätte beinah aufgeschrien, konnte das jedoch gerade noch verhindern.

„Wie…was machst du denn hier?“

„Ich wohne hier, falls du das vergessen haben solltest.“

Kelso hob nicht einmal den Blick, während er antwortete. Konzentrierte sich ganz auf die etwas angebrannte Pizza auf seinem Teller – kurz dachte Keith, es wäre eine SEINER Pizzen, bis er den Belag bemerkte, der absolut nicht seinem Geschmack entsprach – und schien allgemein vollkommen unbeeindruckt von Keiths Ankunft zu sein.

Der begann nun, versuchend, seine offensichtliche Überraschung zu verbergen, seinen Mitbewohner zu mustern, und das mit einem gewissen Argwohn.

Kelso sah noch bleicher aus als vor seinem Krankenhausaufenthalt, was Keith eigentlich kaum für möglich gehalten hätte, und er schien noch dürrer geworden zu sein, was Keith ebenfalls kaum für möglich gehalten hätte.

Man hätte ihn gut auch für einen weiteren Geist halten können. Oder für einen lebenden Toten.

„Hast du mich vergessen oder warum guckst du mich an wie einen Außerirdischen?“ Nun hob Kelso doch den Kopf – komischerweise erst nach dieser Aussage, als habe er Keiths Blicke gespürt statt gesehen – und nun war auch die lange, mit dunklen Fäden genähte Narbe auf seiner Stirn sichtbar. Auf der fast weißen Haut bildete sie einen deutlichen schwarzweiß-Kontrast, weswegen es recht schwierig war sie zu übersehen, auch wenn teilweise Haarsträhnen darüber fielen. Keith musste schlucken. Er hatte nicht erwartet, dass die Wunde so groß gewesen war. Klar, sie hatte stark geblutet, aber…

„Hallo! Redest du nicht mehr mit mir?“

„Ähm…“ Keith räusperte sich, versuchte, sich nicht mehr auf die Wunde zu konzentrieren. „Ich…na ja. Hab halt nicht erwartet, dass du wirklich wiederkommst! Dachte du suchst dir vielleicht ne andere Wohnung…“ Das hatte er nicht geglaubt, und das wusste sein Mitbewohner genauso gut wie er.

Kelso wohnte sicher nicht hier, weil es ihm so gut gefiel, sondern weil er es sich leisten konnte. Die Wohnung war nicht teuer, schon gar nicht, wenn man nur die Hälfte zahlen musste, lag in der Nähe der Innenstadt; eine eigentlich ziemlich ideale Lage.

Etwas Vergleichbares würde er für den Preis kaum finden, und besonders viel Geld hatte er nicht.

„Ja ja, genau.“, erwiderte Kelso. „Ich wollte nur kurz meine Sachen holen und dann ans andere Ende der Stadt in eine dieser Villen ziehen. Ich ess nur vorher noch auf.“

„Witzig.“ Keith merkte, wie bereits wieder Wut in ihm brodelte, vielleicht bald aufschäumen und hochkochen würde und dann Gnade Gott. Wie jemand, den er erst vor knapp einer Woche zusammengeschlagen hatte, jetzt seelenruhig in seiner Küche sitzen, Pizza essen und dumme Sprüche machen konnte, war ihm ein Rätsel.

Doch Nein. Er musste sich beherrschen. Nicht wieder ausrasten. Einfach tief durchatmen.

Er sah Paul hinter Kelso auf der Herdplatte sitzen, ihn angrinsend mit blutverschmierten Lippen und zerschmetterten Zähnen, doch bemühte sich, ihm keine Beachtung zu schenken.

Setzte sich stattdessen einfach auf den freien Stuhl, wandte seinen Blick dem kleinen Fernsehgerät neben der Mikrowelle zu und versuchte, sich zumindest halbwegs auf die Worte der blonden Moderatorin zu konzentrieren, die dort gerade die Nachrichten verlas.

Beiläufig sagte er dabei: „Sorry übrigens wegen Samstag. Tut mir leid.“

„Verarschen kann ich mich alleine.“ Das klang nicht wie ein Vorwurf, bloß wie eine Feststellung. Eine Feststellung, die durchaus der Wahrheit entsprach. Es tat ihm nicht leid. Und eigentlich wusste er nicht einmal, weshalb er sich entschuldigt hatte.

Also zuckte er bloß mit den Schultern, widmete seine Aufmerksamkeit weiterhin dem Fernseher; am Rande bekam er mit wie Kelso Aufstand um irgendetwas zu holen, doch richtig registrieren tat er dies erst, als sein Mitbewohner neben ihm stand und ihm etwas hinhielt.

Es war ein Briefumschlag. Keiner, wie er ihn normalerweise bekam; mit Rechnungen darin oder Werbung oder was auch immer; nein. Die Adresse war von Hand geschrieben; verschlungene Buchstaben blauer Tinte, eine Schrift, die ihm irgendwoher bekannt vorkam.

Ein ungutes Gefühl durchfuhr ihn, doch bloß für einen kurzen Augenblick, dann riss er Kelso den Umschlag aus der Hand und öffnete ihn.

Ein rosafarbener Briefbogen fiel ihm entgegen, beschrieben in derselben Schrift wie der Umschlag, und dieses ungute Gefühl kehrte zurück, würde stärker, während er die ersten Zeilen las, obwohl in diesen noch nicht die geringste Ungewöhnlichkeit festzustellen war.

„Lieber Keith.

Wie geht es dir? wir haben uns ja mittlerweile ziemlich lange nicht mehr gesehen. Schade, ich dachte, unsere Verabredungen hätten dir genauso gefallen wie mir…aber da habe ich mich wohl getäuscht. Wie geht es Lindsey? Seid ihr glücklich zusammen? Oder hast du sie genauso verarscht wie mich? Mir das gleiche angetan? Ihr würde ich es sogar gönnen, dieser Schlampe!

Tut mir leid, aber ich bin sehr nachtragend.

Du hast mein Leben zerstört, Keith. Und ich hasse dich dafür. Hasse dich so sehr. Und glaub mir, du wirst dafür bezahlen!

In „Liebe“ Deine bezaubernde Freundin

Cindy.“

Er ließ den Brief sinken. Starrte blicklos vor sich hin, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Sein Atem beschleunigte sich wieder. Ohne es zu merken krallen seine Finger sich in das Papier; an einigen Stellen bekam es sogar Risse, doch das kümmerte ihn nicht.

Was er soeben gelesen hatte, konnte er nicht wirklich begreifen.

Cindy.

Natürlich, das war ihre Schrift, ganz eindeutig. Doch was…

„Du siehst das hier, oder?“ Keiths Stimme überschlug sich beinah; er sprang von seinem Stuhl auf, knallte den Briefbogen auf den Tisch neben Kelsos Teller und hatte wieder einmal das Bedürfnis, seinen Mitbewohner zu erwürgen.

„Guck hin, verdammt! Siehst du das?“

„Den Brief?“, erwiderte Kelso, vollkommen unbeeindruckt. „Den hab ich dir doch vor zwei Minuten gegeben. Wieso sollte ich…“

„Du siehst ihn also?“

„Das hab ich doch gerade…“

„Was steht da?“

Aufgebracht deutete Keith auf die letzten Zeilen, hätte am liebsten darauf geschlagen. „Was steht da, verdammt?“

„Hast du jetzt auch noch das Lesen verlernt?“, erwiderte Kelso mit unverhohlenem Sarkasmus, beantwortete die Frage dann jedoch trotzdem.

„In „Liebe“ Deine bezaubernde Freundin

Cindy.“. Das klingt ein bisschen, als wäre die Dame ein wenig angepisst.“ Er zuckte mit den Schultern. „Und?“

„Kennst du Cindy?“ Wieder stand Keith kurz davor, die Beherrschung zu verlieren, alles kurz und klein zu schlagen, doch das durfte er jetzt nicht. „Cindy Marshall! Schon mal gehört?“

„Marshall?“, wiederholte Kelso, Keith einen Blick zu werfend, als hätte der nicht mehr alle Latten am Zaun. „Mit Cindy Marshall war ich in einem Biologie-Kurs…“

„Und weißt du auch, was mit ihr passiert ist?“

„Ja. Sie ist vom Dach des Hochhauses gesprungen, in dem ihre Familie gewohnt hat. Sie…ist tot.“

„Genau!“ Mittlerweile glich Keiths Stimme der eines Wahnsinnigen, der gerade im Begriff war, seine gesamte Familie abzuschlachten; schrill und absolut irre. „Sie ist tot! Und trotzdem ist dieser Brief von ihr hier!“

„Na ja…“ Langsam wirkte Kelso nun doch ein wenig beunruhigt, überflog den gesamten Inhalt des Briefes, zuckte dann wieder mit den Schultern. „Theoretisch kann der Brief auch älter sein und irgendwer hat ihn jetzt aus irgendeinem Grund abgeschickt, oder…“

„Oh nein! Du verstehst das nicht!“ Mit zusammengebissenen Zähnen griff Keith nach Kelsos Arm, wollte ihn packen, doch machte sein Mitbewohner rechtzeitig ein paar Schritte zurück, bis zur Küchenzeile. Stand nun genau neben Paul, der ein lautes, gurgelndes Lachen ausstieß.

„Cindy hat diesen Brief geschrieben und sie hat ihn auch abgeschickt!“, brüllte Keith, und er wusste, dass er gleich wieder in Rage verfallen würde, und er wollte sich nicht mehr beherrschen; Kelso nahm ihn nicht ernst, verstand ihn einfach nicht…

„Sie war es! Glaubst du mir etwa nicht? Scheiße, ich bin nicht irre!“

„Ich hab doch nicht gesagt, dass du irre…“

„Du siehst einfach nicht, was ich sehe! Aber den Scheiss Brief, den siehst du doch! Also hör auf so einen Mist zu reden!“

„Ich hab doch nur gemeint…“

„Halt die Fresse!“

Nun war er fast bei ihm, und Kelso hatte keine Möglichkeit, irgendwie wegzukommen; konnte nur zusehen, wir Keith die Hände ausstreckte, um ihn zu packen, und diesmal wusste dieser; es würde nicht unbedingt bei einer leichten Kopfverletzung bleiben; nein, diesmal würde er sich nicht zurücknehmen, oh nein, er würde… dann sah er die Klinge.

15 Zentimeter glänzender Stahl; dünn und scharf wie ein Skalpell.

Ein japanisches Kochmesser, mit den sich Fleisch wie Butter zerschneiden ließ.   

Keith starrte darauf, wie es in Kelsos Hand lag, auf seine Kehle gerichtet, dabei kein bisschen zitternd, und er hielt inne, machte sogar einen Schritt zurück, einem unterbewussten Gefühl gehorchend, das ihm dazu riet.

Er löste seinen Blick von der Klinge, und die Überraschung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

„Was zum…“

„Hör zu, setz dich einfach wieder hin!“ Kelsos Stimme zitterte genau so wenig wie seine Hand, und sein Blick war kalt wie Eis. „Ich hab keine Lust, noch mal ins Krankenhaus zu müssen, also geh weg von mir!“

„Leg das Messer weg…“

„Tu ich, sobald du dich mal wieder abregst!“

Einen Moment lang noch zögerte Keith. Überlegte, einfach auf Kelso zuzustürzen, ihm das Messer abzunehmen…doch Nein. Zu riskant, das war ihm selbst trotz seiner Wut klar, die ihn doch nur allzu oft vollkommen blendete und impulsiv handeln ließ.

Und so ließ er die zu Fäusten geballten Hände sinken, machte einen Schritt zurück, biss die Zähne zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust.

Kelso musterte ihn, schien abzuschätzen, ob noch irgendeine Gefahr von ihm ausging – was momentan tatsächlich nicht der Fall war – dann ließ er das Messer sinken. Schien sich sogar ein wenig zu entspannen. „Ok. Und jetzt erklär mir mal, wen oder was du eigentlich siehst!“

„…Was?“ Perplex starrte Keith seinen Mitbewohner an, sein Gesichtsausdruck glich dem eines Mannes, der gerade ein Alien in seinem Gartenhaus gefunden hatte. „Wie…wie meinst du…“

„Komm schon, ich bin doch nicht blöd!“ Kelso verdrehte die Augen, dann steckte er das Messer zurück in den dafür vorgesehenen Block. „Zumindest nicht vollkommen! Samstag hast du dich doch darüber beschwert, dass ich es nicht sehen würde! Du bist total Paranoid, und starrst ständig in die Ecke, als würde dort irgendjemand stehen!“ Wie zur Bestätigung stieß Paul ein hustendes Lachen aus und hob die Hand zu einem Winken.

„Erschlag mich nicht dafür, aber du hast Angst. Bloß wovor genau? Oder vor wem?“

Keith sah ihn an. Überlegte. Versuchte, herauszufinden, ob Kelso sich womöglich insgeheim über ihn lustig machte, ihn verspottete, doch schien dies nicht der Fall zu sein.

Und vielleicht hätte er ihm wirklich erzählt, was ihn so…beunruhigte (er hatte keine Angst!), hätte ihm erklärt, wer ihn verfolgte, einfach, um mit irgendjemandem darüber zu reden, auch wenn er diesen Jemand kurz zuvor noch hatte umbringen wollen.

Ja. Vielleicht hätte er das getan.

Hätte es in diesem Augenblick nicht an der Tür geklingelt.

Aufgebracht stapfte Keith kurz vor zwei Uhr nachts die Straßen entlang um endlich nach Hause zu gelangen und diesen Tag einfach nur enden zu lassen. Er war allein, er war mies gelaunt und nun suchte er auch noch leise fluchend seinen Schlüssel. Missmutig betrat Keith die Wohnung und machte sich auf den Weg zu seinem Zimmer.

Dabei hatte der Tag doch eigentlich so super begonnen. Wäre alles so gelaufen, wie eigentlich geplant, wäre er jetzt auch nicht so allein und Rebecca würde beim ihm übernachten. Schließlich hatten sie es so abgemacht, als sie gemeinsam durch die Stadt gegangen waren, aber diese verdammte kleine… Als wäre Keith ihr dabei total egal, hatte sie einfach beschlossen, dass sie nicht mehr wollte.

„Du bist wirklich immer noch genauso widerlich wie damals“, hörte er Lindseys Stimme, gerade als er bei seinem Zimmer angekommen war, doch er ignorierte sie einfach und betrat sein Zimmer. Nachdem die Tür etwas lauter als vermutlich nötig zugeknallt wurde, schmiss er sich auf sein Bett. Er hatte einfach mal so absolut keinen Bock mehr… Als er allerdings blind etwas auf dem Nachttisch herumgriff und einfach nicht die bekannte Form der Tablettenschachtel fühlen konnte… Das Leben musste ihn wohl echt hassen! Ein frustriertes Seufzen entwich seiner Kehle, nachdem er auch nach dem Aufsetzten und Umblicken keine Schlaftabletten mehr entdecken konnte.

Mittlerweile war dieser Tag einfach nur noch eine absolute Katastrophe… und das alles vollkommen grundlos! Er war doch mit Rebecca in die Stadt gegangen, sie hatten, gegessen, geredet, gelacht, wie es nun mal jedes normale Pärchen immerzu tat! Aber, achja, er vergaß, sie waren offiziell ja noch gar kein Pärchen. Diese Tatsache sollte sich heute zwar eigentlich ändern, aber… wie soll man es sagen… diese dumme Schlampe musste ja einfach alles kaputt machen!

Was ist denn bitteschön so schlimm an einem kleinen Kuss? Er wollte sie doch nur einmal küssen und ihre zarten Lippen auf seinen spüren… Doch sie… sie wollte das scheinbar nicht! Sie hatte ihn weggeschubst! Ihn! Sie meinte, sie wolle das noch nicht. Noch nicht jetzt. Und vermutlich in zwanzig Jahren auch nicht oder was?

Dieses Verhalten war einfach dermaßen eingebildet… als hätte er sich so etwas gefallen lassen müssen! Natürlich hatten sie sich deswegen gestritten und das nicht gerade leise. Mitten in der Öffentlichkeit. Am Ende ließ sie ihn dann einfach so stehen und war noch total aufgewühlt davongerannt. Nein… viel eher weggerannt. Vor ihm!

Eigentlich könnte ihm das alles auch total egal sein… schließlich konnte er jede haben und brauchte sie somit nicht, um sich irgendwas zu beweisen oder so. Nein… es ging ihm viel eher darum, wie sie ihn behandelt hatte. Das würde er ganz sicherlich nicht einfach so hinnehmen und auf sich beruhen lassen!

Sie hatte sich so aufgeführt, als wäre sie besser als er! Oh, sie würde schon noch sehen, was sie von so einem Verhalten letztlich hat…

Er merkte gerade, dass die Schlaftabletten weg waren, war gar nicht so schlimm, wie vor kurzem noch gedacht. Keith wollte sie heute gar nicht nehmen, nein, er wollte nachdenken.

Und bald, nachdem die Stimmen der Geister allmählich schwächer wurden und sie mit ihrem Spott, ihren Anschuldigungen, ihren hohlen Beleidigungen aufhörten, ja, da konnte er dann auch nachdenken…

Außerhalb der Stadt, inmitten eines kleinen Wäldchens, das eine Art Grenze zum nächstgelegenen Dorf bildete, befand sich ein altes, verwahrlostes, unheimlich anmutendes Gebäude, schon so lange unbewohnt, dass selbst der älteste Bewohner der Umgebung nicht mehr zu sagen vermochte, wem es einst gehört hatte.

Noch vor einigen Jahren war es ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche gewesen, die ein wenig Nervenkitzel erleben wollten, doch mit der Zeit war das Interesse daran verblasst und nun kam kaum mehr jemand hier her.

Und so gab es auch niemanden, der beobachten konnte, wie Keith Lewis am Abend des nächsten Tages die schwere Holztür des Hauses öffnete und das Innere betrat.

Es roch vermodert und staubig, nach Schimmel und irgendeinem vor sich hinrottenden Tierkadaver…widerlich.

Nervös blickte er sich um. Doch niemand war zu sehen, kein Mensch und auch kein Geist.

Letztere hatte er heute den ganzen Tag noch nicht gesehen. Er hatte keine Ahnung, warum, doch nachdem sie in den frühen Morgenstunden schließlich verstummt waren, waren sie nicht zurückgekehrt… Was ihn auf eine paradoxe Art und Weise beinahe noch mehr beunruhigte, als ihre Anwesenheit. Erst jetzt, in diesem dunklen verwahrlosten Haus, das man gut als Kulisse für einen Horrorfilm hätte nutzen können, war er wirklich froh darüber, dass sie nicht da waren. Auch wenn er den Verdacht hatte, dass sie gleich hinter irgendeiner Ecke hervorspringen würden, um ihn zu Tode zu erschrecken…

„Schwachsinn!“, murmelte er, während er die Eingangshalle durchquerte, den Blick starr geradeaus geheftet, dorthin, wo sich die große Treppe befand, die nach oben in den ersten Stock führte.

Er war lange nicht mehr hier gewesen, zuletzt vor gut zwei Jahren mit einigen Freunden, dennoch erinnerte er sich gut an die Struktur des Gebäudes, an die Anordnung der Zimmer und ähnliches.

Er wusste, dass er nach oben gehen musste, und dann nach rechts, den Gang entlang, bis zum hintersten Zimmer, in dem zumindest bei seinem letzten Aufenthalt hier noch ein großer alter Flügel gestanden hatte; bestimmt einst sehr wertvoll, doch mit der Zeit nahezu auseinandergefallen und unbrauchbar geworden.

Und dort würde er sie treffen. Sie sollte schon da sein, auf ihn warten.

Eigentlich hatte er nicht wirklich damit gerechnet, dass sie zusagen würde; schließlich klang das ein wenig wie der Beginn einer Horrorgeschichte.

Und das würde es auch werden für sie.

Ein Grinsen zog sich über ein Gesicht, während er die Treppenstufen nach oben ging; das beunruhigende Knacken ignorierend, ganz darauf konzentriert, was er als nächstes tun würde.

Noch vor wenigen Stunden hatte er daran gezweifelt, ob das wirklich eine gute Idee war. Hatte an die Geister gedacht, daran, wie sie ihn verfolgten…war es also wirklich eine gute Idee, das zu tun? Ausgerechnet jetzt? Sollte er nicht lieber abwarten, bis sich alles normalisiert hatte?

Doch dann hatte es sich im Grunde normalisiert. Die Geister waren nicht mehr da. Er fühlte sich gut, besser als in der ganzen letzten Woche.

Vielleicht würde es ihn sogar guttun, das hier zu tun.

Vielleicht war das einfach etwas, das mit der Zeit ein Teil seines Lebens geworden war.

So etwas wie eine Droge für ihn.

Vielleicht würde es ihm helfen.

Sein Grinsen wurde breiter, nun hatte er das Ende der Treppe erreicht, und er wandte sich nach rechts, ging den Gang entlang, auf die alte vermoderte Tür zu, die bloß angelehnt war…

Drückte sie auf und zuckte bei dem lauten Quietschen leicht zusammen.

Er brauchte nicht lange nach ihr zu suchen.

Sie stand am Fenster; ihre dunkle Silhouette war nicht zu übersehen, der fast volle Mond spendete genug Licht um das wesentliche erkennen zu können; sie sah ihn an, hatte ihn erwartet, stand einfach da und hatte die Arme vor der Brust verschränkt…nur ihr Gesichtsausdruck war nicht genau auszumachen.

Keith unterdrückte ein Kichern. Griff in seine Tasche und tastete darin herum.

“Hey, Rebecca! Schön, dass du gekommen bist!“

“Hey.“ Ihre Stimme klang kühl. Distanziert. Und irgendwie…er vermochte es nicht genau zu sagen. Seltsam.

Doch was machte das schon.

Vielleicht war sie noch sauer auf ihn; doch spielte das keine Rolle mehr; nichts spielte nun noch eine Rolle, was sie betraf.

Er zog die Hand aus seiner Tasche. Lächelte kalt. Der Gegenstand zwischen seinen Fingern funkelte silbern im Mondlicht; ein wunderschöner Anblick, auf seltsame Art und Weise…

Ja. Wunderschön. Und tödlich.

Auch Rebecca starrte darauf. Bestimmt glich ihr Gesicht nun einer verzerrten Maske des Entsetzens; oder vielleicht begriff sie gar nicht, was es war; unmöglich, das in dieser Dunkelheit festzustellen…

„Weißt du“, begann Keith, während er langsam auf sie zuging, erwartend, dass sie zurückweichen würde, doch das tat sie nicht. Anscheinend war sie vor Angst wie gelähmt.

“Ich glaube, ich hätte dich wirklich mögen können. Mehr als die anderen Mädchen vor dir. Weil du irgendwie anders warst. Aber… wenn ich eins hasse, dann wenn man mir widerspricht!“ Er lachte, ein kurzes, trockenes Lachen. „Oder mich zurückweist! Das ist dumm, so was zu tun! Und genau das hast du getan!“

Er streckte einen Arm aus, um sie festzuhalten; sie bewegte sich noch immer nicht, und nun konnte er auch die Konturen ihres Gesichts ausmachen. Zu seiner Überraschung sah er kein bisschen Furcht darin. Eher eine seltsame Art von…Triumph.

War das der Schock?

Ein wenig verwirrt schüttelte er den Kopf, darum bemüht, einfach unbeirrt weiterzusprechen.

„Jetzt muss ich dir leider eine Lektion erteilen…Es tut mir irgendwie leid, wie gesagt, ich mochte dich irgendwie…aber Strafe muss sein…“

Sie antwortete nicht. Blickte ihn einfach an…nein. Das tat sie nicht. Sie sah an ihm vorbei.

In diesem Moment wurde ihm klar, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Er merkte, wie sein Herz begann schneller zu schlagen, wie Panik in ihm herauf kroch, wollte sich umdrehen, um zu sehen, was…

Doch dazu kam er nicht mehr. Ein kräftiger Schlag traf seinen Hinterkopf; grauenhafter, stechender Schmerz durchzuckte ihn, und ihm wurde schwarz vor Augen, hektisch versuchte er noch, sich zusammenzureißen, doch es dauerte keine zwei Sekunden, bis er das Bewusstsein verlor.

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