ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Der Tod eines Genossen ist hier an der Tagesordnung. Der Weg ist beschwerlich, die Mittel knapp und die Anstrengung enorm. Die Haut wird wund und ledern und fühlt sich nur noch elend an, wenn man mit ihr den Lauf des Gewehrs umgreift. Oftmals haben wir kein Salz mehr, um die Wunden mehr oder minder zu desinfizieren, und es wachsen sehr grausige Entzündungen und Eiterquellen daraus empor. Vielen hier schaut man in die Augen und will ihnen noch helfen, doch verfängt sich dabei nur in tiefgreifender Trauer, weil man weiß, dass diesen Menschen nicht mehr zu helfen ist.
Es ist, als würde man auf den Grund ihrer Seele schauen und erkennen, dass dort ihr Tod schon längst eingemeißelt, die Dauer ihrer Qualen nur noch eine Frage der Zeit ist. Es ist, als betrachtete man mit Fesseln an Händen und Füßen einen armen Bauern, der von seinem Landherren grausam geprügelt und verletzt wird, und man selbst kann nichts dagegen tun. Man kann sich mit aller Macht gegen die Fesseln zu wehren versuchen, doch auch der stärkste Eifer wird sie nicht brechen können. Man hört die stummen Schreie und möchte sie verschwinden lassen, mit aller Kraft versucht man es. Doch sie bleiben so lange, bis die Seele ins Jenseits gewandert und der Körper leblos erstarrt ist.
Zu viele gute Männer und Frauen sah ich schon auf diesem Wege verdorren. Der Kummer nimmt nicht mehr zu, das kommt durch die Gewohnheit, doch ein tiefsitzender, drückender Schmerz in meiner Seele wollte nicht nachlassen. Das würde er erst, wenn unser Marsch vollendet sein wird und das Elend armer Menschen, durch die widrigen Umstände gepresst, nicht mehr alltäglich ist.
Die größte und seltsamste Begebenheit dieses Marsches begann allerdings damit, als mein alter Freund und Kampfgefährte zu mir kam und mir beiläufig mitteilte, dass sein rechter Arm begonnen hätte zu faulen. Sein Name war Wang Xianyu, und er hatte sich bei einem Gefecht mit den reaktionären Nationalisten eine große Verletzung am Arm zugezogen. Diese begann sich extrem zu entzünden und hatte in ihrem Verlauf zu faulen angefangen. Und als ich mir die Wunde genauer ansah, musste ich mir mit großer Mühe das Erbrechen unterdrücken. Denn es waren seltsame, kleine Käfer im Inneren seines Gewebes, die man mit bloßem Auge sehen konnte. Ich wagte es nicht, einen Schnitt zu machen und hineinzusehen, das hätte es nur noch schlimmer machen können.
Was ich allerdings nicht verstand, war, dass Xiangyu keinerlei Ausdruck von Schmerz oder Unwohlsein auf seinem Gesicht trug. Sein Arm war voller Insekten, die sich immer weiter vorfraßen, und schimmelte vor sich hin, doch Xiangyu sah so aus wie immer. Ein fröhliches Lächeln, wie eine aufgehende Sonne, mit seinen so hübsch mandelförmigen Augen, aus denen stets Ruhe und Entspannung schimmerten. Dazu das kurzgeschnittene Haar und der Geisterzahn über dem linken Eckzahn, der immer so niedlich hervorragte, wenn er über etwas lauthals lachte. Mit einem solchen Lachen war er auch an mich herangetreten und hatte mir von seinem Befall berichtet, als wäre es ein einziger Witz. Diese Reaktion war so irrational, dass ich zuerst annahm, dass es aus Schock geschehen sein musste, doch dieser Zustand blieb auch über die nächsten Tage gleich, obwohl sich die Insekten immer weiter vorannagten.
Ich konnte ihm nichts verschreiben außer Amputation, doch diese lehnte er mit aller Macht ab, als würde er nicht wollen, dass ich das Insektennest an seinem Körper abtrennte. Er wollte nur von mir wissen, wie lange es dauerte, bis das faulige Fleisch vom Arm abfallen würde, für mehr wollte er meine Dienste nicht in Anspruch nehmen. Ich hatte ihn zu gern, um ihm zwanghaft etwas zu entfernen oder seinem Willen zuwiderzuhandeln, daher beließ ich es dabei und prognostizierte ihm, dass es spätestens in einigen Tagen abgefallen sei. Ich verfiel dem Aberglauben, dass es sich bestimmt irgendwie schon einrenken würde, Xiangyu hatte ja nicht einmal irgendwelche Beschwerden. Daraufhin lächelte er nur fröhlich, bedankte sich bei mir und zog wieder von dannen.
Ich beobachtete ihn innerhalb der nächsten Tage und mir fiel auf, das sich diese seltsamen Insekten immer weiter ausbreiteten, ich konnte sie auf seinem Oberkröper unter der Haut und an seinem Arm auf der Haut krabbeln sehen. Es waren seltsame Wesen. Kleine Tausendfüßler, doch rund wie ein Echsenauge, mit kräftigen Beinen und vier unglaublich starken Mandibeln an ihrem Kopf. Eingehüllt in einem beweglichen Chitinpanzer waren sie, als hätte man sie mit einer weiten Decke zugedeckt. Sie hatten kleine Facettenaugen, die silbrig glimmten, und ihr ganzer Körper hatte einen grün-schwarzen Schimmer an sich. Des Nachts reflektierte ihr Panzer das Mondlicht, und im Dunkeln sah es dann so aus, als würden Sterne auf seinem Körper tanzen, mit jeder Nacht mehr.
Ich geriet mehr und mehr in Sorge um meinen lieben Freund, doch er verweigerte nach wie vor jeden Eingriff, und mittlerweile wäre es auch schon viel zu spät gewesen. Die Reste seines Armes wurden nur noch durch irgendein Kunststück dieser seltsamen Insekten am Körper gehalten, und sein ganzer Oberkörper war nun schon von diesen Wesen besiedelt worden. Es war mir ein Rätsel, was ihn am Leben hielt. Ob es etwa diese Wesen waren? Ob sie ihm für seinen Dienst als Wirt irgendwelche speziellen Stoffe in die Blutbahn pumpten oder genau wussten, was sie nicht beschädigen durften, um ihn am Leben zu erhalten? Es war so morbide und ekelhaft, doch zeitgleich auf eine bizarre Weise faszinierend. Ich begann damit, diese Wesen im Leibe meines Freundes weiter zu beobachten. Vielleicht hatte ich auch aus unterdrückter Verzweiflung die Ansicht entwickelt, dass mein lieber Xiangyu nicht sterben würde, wenn diese kleinen Insekten weiterhin seinen Leib bevölkerten. Eine seltsame Ansicht, ich weiß, doch in diesem Moment war es mir alles recht. Diese Wesen hatten auf eine seltsame Weise Schmerz und körperliche Einschränkungen von ihm ferngehalten, obwohl sein Körper langsam zerfressen und schon des Öfteren von außen beschädigt worden war.
Nach einigen Tagen allerdings veränderte sich dieser Zustand unglaublich schnell, und zwar zum Schlechteren. Xiangyu bekam plötzlich hohes Fieber, und das vorher von der Insektenkolonie zusammengehaltene Fleisch fiel plötzlich haltlos herab. Er begann vor Schmerzen zu schreien, und nirgendwo auf seinem Körper erblickte ich mehr diese kleinen Wesen. Ich fiel aus allen blödsinnigen Illusionen zur Rettung meines Freundes und hasste mich von Minute zu Minute mehr, die ich verzweifelt versuchte, meinem sich in Todesqualen windenden Freund zu helfen. Ich gab ihm Opium in Massen, alles an Betäubungsmitteln, das ich finden konnte, doch es half alles nichts. Ich selbst nahm auch etwas davon, doch nichts änderte sich an meinen Gefühlen. Als wäre meine Trauer und Verzweiflung ein so großer Berg geworden, dass die Wirkung des Opiums nicht mehr an ihm vorbeizukommen vermochte.
Eine Stunde lang versuchte ich vergeblich, meinem Freund zu helfen oder zumindest seine Schmerzen zu lindern, doch das einzige Ergebnis dieses Unterfangens war eine Lache aus geronnenem Blut und meinen Tränen, die in dieser Zeit auf dem Boden entstanden war. Mittlerweile hatte ich aufgegeben und streichelte wehmütig über das heiße, verkrampfte Gesicht von Xiangyu und murmelte ihm leise Liebesbekundungen zu, bis auf einmal etwas Seltsames geschah. Ein kleiner Schwarm dieser morbiden Käfer war auf den Tisch gekrabbelt und fraß sich mit einer enormen Geschwindigkeit in den Schädel meines Freundes ein. Noch einmal bäumte ich mich wütend auf und versuchte diese Wesen totzuschlagen, bevor sie noch mehr Schaden anrichten konnten, doch sie widerstanden all meinen Schlägen mit dem Gewehrlauf, als wären ihre Panzer aus Stahl. Also sah ich nach kurzer Zeit einfach nur noch zu, wie diese schimmernden Insekten in den Kopf meines Freundes eindrangen und sich durch sein Hirn fraßen.
Bis er dann auf einmal plötzlich den Kopf zu mir drehte und meinen Namen flüsterte: “Shixin …” Von seltsam widersprüchlichen Gefühlen erfüllt raste ich zum Sterbebett meines Freundes und schaute ihn direkt an und fragte ihn inbrünstig und mit Tränen in den Augen, wissend, dass dies wahrscheinlich seine letzten Worte sein würden: “Ja, was möchtest du mir sagen?”
Seine Stimme klang anders, seltsam verzerrt, aber trotzdem sanft und lieblich, und er flüsterte leise: “Ich sehe es… wir werden sie alle besiegen… die Nationalisten… später die Japaner… später die Reaktionäre… wir werden immer siegreich sein, das ist die Wahrheit! Ich sehe es… vor meinem inneren Auge… die Schildkrötenpanzer haben es mir gezeigt… sie meinen es gut mit mir. Ich wäre schon längst an den Kugeln gestorben… ohne diese Wesen… sie haben meinen Tod hinausgezögert, damit wir noch etwas Zeit zusammen verbringen können, weil sie wissen… dass du mich liebst …”, hauchte er noch, bevor alles Licht sein Auge verließ und seine Seele die Reise ins Jenseits antrat.
Mindestens eine Stunde verharrte ich regungslos an seinem Sterbebett und keine Gedanken, sondern nur eine große Leere der Perplexität und gemischter Emotion durchfluteten meinen Verstand. Ich weiß nicht, wie lange ich wirklich in Abwesenheit meines Geistes ohnmächtig war, doch als ich ihn wiedergefunden hatte, war der Leichnam meines Freundes verschwunden. Ich suchte ihn im ganzen Lager und fragte jeden Genossen in der Nähe, doch keiner hatte eine Ahnung oder irgendetwas gesehen. Ich suchte bis zum Morgengrauen, dann mussten wir weiterziehen. Ich bin mittlerweile der Ansicht, dass diese seltsamen Käfer, von denen er wie von seinen Rettern sprach, seinen Leichnam mitgenommen haben mussten. Ich weiß nicht wie noch kann ich erklären warum, aber ich weiß es, tief in meinem Inneren, es ist so ein Gefühl, das mich nicht mehr loslassen wird.
Wir sind mittlerweile in Zunyi angelangt, und die Konferenz zum Thema des Scheiterns des Jiangxi-Sowjets ist im vollen Gange. Genosse Mao prangert die Genossen Braun und Bo Gu an, sie seien Stiefellecker der Komintern und wären nichts als Ausgeburten des Opportunismus, andere verteidigen sie und beschimpfen Mao und seine Verbündeten, doch ich war noch sie so losgelöst vom politischen Kampfgeschehen wie gerade jetzt, da ich bei Kerzenschein in einer kleinen Kammer sitze, einen heißen Tee trinke und diese Zeilen schreibe, die den morbiden Tod meines geliebten Freundes beschreiben. Ich muss zugeben, mehrere Tränen vergossen zu haben, und ich hoffe, dass es der Tinte keinen Schaden tun wird. Ich habe mir besonders viel Mühe mit den Zeichen gegeben.
Ob das hier für die Nachwelt oder nur für mich ist, für irgendwelche Forschungsunterlagen oder als Verarbeitungsmaßnahme meines Verstandes, ich habe keine Ahnung. Ich für meinen Teil werde bald zurückkehren und näher ergründen, was es mit diesen seltsamen Insekten auf sich hat, die Xiangyu “Schildkrötenpanzer” genannt und als “Lebensverlängerer” bezeichnet hat. Wer weiß, vielleicht finde ich auf diesem Weg zu meinem lieben Freund zurück? Denn, wie geht noch gleich das alte Sprichwort?
Liebe für jemanden schließt auch den Raben auf seinem Hausdach ein. Wer jemanden liebt, liebt alles an ihm. Wer mich liebt, liebt auch meinen Hund.
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Feng Shixin, 16. Januar 1935 in Zunyi, Provinz Guizhou, China
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