Schuldbekenntnis Wolkentief – Erster Akt
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
PERSONEN
Johann Werlher, Erster Gefangener
August Rippak, Zweiter Gefangener
Wilhelm Entze, Dritter Gefangener
Friedrich Granthelm, Diener des Barons
Agrippa Wartran, Kerkermeister
Randolf von Wolkentief, Baron des Schlosses
Antonia, Kultistin
Hedwig, Folteropfer
Hermann Sievart, Faktotum
Gefangene, Folteropfer, Diener, Adlige, Wachen, Folterknechte
Ort der Handlung: Im Schloss von Wolkentief im östlichen Preußen
Zeit: Um 1835
ERSTER AKT
Eine karge unterirdische und einsame Kerkerzelle. Links zur Mitte hin drei vermodernde Betten, rechts ein Holztisch mit drei Stühlen und einer Kerze, ganz rechts eine Gitterwand. Im Hintergrund nasse Steinziegel und schimmelndes Stroh.
ERSTE SZENE
Johann
Die drei Männer liegen, sichtlich in schlimmen Träumen, auf ihren Betten. Johann erwacht impulsartig und steht kerzengerade in seinem Bett, sich mit hilflosen Augen nach einer Antwort auf die Fragen seines erinnerungslosen Verstandes umsehend.
JOHANN:
(rennt zum Gitter, hämmert in einem adrenalinberauschten Moment dagegen und beginnt laut zu rufen) Heda, wo bin ich? Lasst mich heraus! Was ist das für ein Ort? Hallo? Hört mich jemand? Lasst mich raus! Wer ist da? Wer hat mich und die anderen beiden hier eingesperrt? Zeig dich! Zeig dich! Zeige dich und sag mir wo ich bin! (hämmert immer langsamer, bis ihn die Energie verlässt und er müde und resigniert auf sein Bett herabsinkt)
(zu sich) Wo bin ich denn nur hier erwacht? Aus Träumen wilder als des Meeres Wellen auf Betten wie aus Moos gezimmert … und wie ekelhaft erst dieses stechende Odeur! Wie ein kleiner Käfer krabbelt es mir durch die Nase und speit all sein groteskes Übel den Drachen gleich wie Feuer aus! Die Luft hier ist so schwer und dicht, jeder Atemzug fühlt sich wie ein Schlucken an. Mein Kopf, er dröhnt wie Kriegsfanfaren … als würden in meinem Kopfe massive Schlachten zu Pferde bestritten werden. Ein stechender Schmerz, wie hunderte von Degenstichen; sie stechen ins Nichts, sind aber dennoch schmerzhaft. Nichts mehr ist in meinem Kopf, mein Verstand ist wie leergesaugt; an nichts als die Kunst des Sprechens und Denkens vermag ich mich zu erinnern. Weder meinen Namen, meine Vergangenheit, meinen Beruf, meine Familie ja weder mein Leben kann ich mir ins Gedächtnis rufen. Ein verhallendes Flehen in einer voluminösen Halle, ein klägliches Lamentieren in den Wind des Vergessens hinein … und bei jedem einzelnen Gedanken, bei jedem Wort, dass mein geistiger Mund nur formt, durchfährt meinen Kopf diese brennende Pein, eine glühende Nadel hinein in meine Seele, und martert mich inbrünstig. (versenkt den Kopf in seinen Händen und verweilt einige Sekunden in bedrückter Stille)
Wer nun bin ich? Ein Edelmann von blaublütiger Abstammung? Mit einem eigenen Schloss, in der Nähe eines majestätischen Kiefernwaldes womöglich? Mit einer Krone daheim, besetzt mit leuchtenden Gemmen, Edelsteinen, gefasst in schillerndstes Gold … ein hübscher blaudurchwirkter Mantel, oder vielleicht sogar ein prächtiges Zepter? Hermeline ohnegleichen, feinste Stoffe für meine Haut … das erlesenste Essen, die Köche lesen mir die Wünsche von den Augen ab. (redet vor sich vor sich hin, mustert seine Kleidung und tastet sie ab. Ein zerschlissenes preußisches Soldatenkleid, mit ausgefranstem Waffenrock und schmierigen Manschetten. Ein weißer Schultergürtel mit ausgewaschen goldener Schnalle.)
Doch nun ist dies wahrlich nicht das Gewand eines göttlichen Herrschers und irdisch reichen Menschens … dies wohl eher ist die Kluft eines geschundenen Mannes, eines Kriegsverlierers, eines verwundeten und vergessenen Soldaten. Die Narben des Krieges scheinen sich wie Maden langsam durch den blauen Stoff gefressen zu haben, und nehmen der Uniform jeglichen Glanz; lediglich matte und schönheitsentleerte Fetzen von zerschlissenem Stoff bleiben zurück, und zeugen von einer schweren Vergangenheit. Ist diese Vergangenheit wohl der Grund für meinen Aufenthalt in diesem kargen Verlies, in dem alles Rufen zu Hall und Staub zerfällt? Wo scheinbar jeder schreiende Wunsch nach Erklärung, jedes Verlangen nach Wissen von der Dunkelheit verschluckt und auf immer verwehrt wird? War ich selbst ein Soldat? Wo kämpfte ich? Und wann? Und gegen wen? (rückt näher zur Kerze auf dem Holztisch rechts und untersucht seine Kleidung in deren spärlichem Licht genauer)
Im Lichte wirkt sie noch versehrter und zerrissener … doch was ist das? (kramt einen zusammengeknüllten Zettel aus seiner ansonsten leeren Gürteltasche) Ein kleines Zettelchen, verknüllt offenbar in eiligster Hast … der Geruch der dick aufgetragenen Tinte schneidet durch die hiesige dicke Luft wie Sahne; eine willkommene Abwechslung zu dem schimmligen Odeur dieser kleinen Kerkerzelle. Doch was steht dort geschrieben? Zwei kleine Worte, in Großbuchstaben: JOHANN WERLHER. Ist das mein Name? Er fühlt sich richtig an, und doch ist er so fremd. Oder ist das der Name eines meiner Mitgefangenen? Kennen wir uns alle vielleicht, ohne es zu wissen und uns daran erinnern zu können? Hat sich ein gemeinsames Unglück womöglich in diesen unglücklichen Kerkeraufenthalt hineingesteigert? Vielleicht weiß einer dieser beiden unruhigen Träumer, was hier vor sich geht. (zu August) Heda, wach auf! (rüttelt an August herum, bis dieser langsam seine Augen öffnet und ebenso ungläubig und mit Angst auf die fremde Situation reagiert wie Johann. Er weicht vor Johann zurück, und kauert sich vor Schreck in die linke Ecke der Zelle)
ZWEITE SZENE
Johann und August
AUGUST:
(angespannt und kauernd) Wer … wer seid Ihr, und was wollt Ihr von mir?
JOHANN:
(sanft und ruhig) Beruhigt euch, alter Mann. Ich bin nicht hier um Euch zu schaden. Meinen Namen jedoch kann ich Euch nicht mit voller Gewissheit sagen, denn ich habe ihn vergessen. Doch in meiner Gürteltasche fand ich einen kleinen Zettel mit dem Namen Johann Werlher darauf gekritzelt … und mein Gefühl scheint sich an diesen Namen zu erinnern, obgleich es mein Verstand nicht tut. Ihr könnt mich also Johann nennen. Und was ich von euch will ist simpel; denn es ist dasselbe, dass ich auch von meinem eigenen Verstand verlange: sich zu erinnern und zu erklären, wo wir sind und weshalb wir es sind.
AUGUST:
(ruhiger werdend, steht aus seiner Kauerstellung auf und geht gekrümmt auf Johann zu) Nun, ich fürchte ich kann dabei ebensowenig dienen wie euer eigenes Gedächtnis. Auch mein Verstand ist nichts als ein stiller Ozean des Schweigen … und dumpfe Hammerschläge dröhnen durch meinen Kopf. Ebenfalls kann ich Euch meinen Namen nicht mit Gewissheit nennen. Oder meinen Beruf … oder meine Geschichte … oder über mich selbst … (massiert sich sichtlich unter Kopfschmerzen die Schläfen und lässt sich auf Johanns Bett sinken)
JOHANN:
(unruhig) Das ist beängstigend … ebenso wie diese uns umschließenden kalten Kerkermauern, und das Dunkel hinter den eisernen Gitterstäben. In uns selbst wie in unserer Umgebung regiert die Unklarheit mit eiserner Faust, und peinigt unsere Gefühle.
AUGUST:
(bedrückt, versuchend optimistisch zu sein) Nun, immerhin spendet uns die kleine Kerze dort auf dem Tisch etwas Licht der Klarheit in dieser undurchdringlichen Dunkelheit. Ohne jetzt gerade euer Gesicht zu sehen, wenn auch nur im Zwielicht, ohne das Erkennen eurer Züge und eures ebenso zerrütteten Verstandes, ohne dieses kleine Licht in euren Augen, würde ich vermutlich um das Zehnfache verängstigter sein als ich es gerade bin. In den Momenten größter Verlorenheit kann ein kleines Lichtlein und ein freundliches Gesicht Wunder wirken. Erst die Einsamkeit würde auch den kleinen Schutz des winzigen Lichtleins vergehen lassen (lächelt matt Johann an)
JOHANN:
(ernst) Auch ich freue mich sehr darüber, es nicht allein in diesen kargen Mauern zubringen zu müssen und nicht an der Einsamkeit zu nagen habe wie Wölfe an Knochen. Doch nur und einzig einkehrende Ruhe wird uns in dieser Situation nicht weiterhelfen … wir müssen versuchen, tiefer nach dem Sinn zu schürfen. Doch wahrlich schwer ist es mit einem Kopf aus hohlem Blei den Schlüssel zu einem Rätsel zu finden …
AUGUST:
(nachdenklich, bedrückt) Wahre Worte sprecht Ihr Johann. Eingesperrt zwischen Stein und Eisen, mit dem Verstand gleich einer ausgehöhlten Frucht, ist ein sehr schweres Los. Vielleicht könnte man auch von Bestrafung sprechen? Sind wir vielleicht Kriminelle? Diebe? Vergewaltiger? Mörder sogar? Vielleicht alles zusammen, und wir wissen es nur nicht mehr … ob dies hier wohl der Vorhof zum Fegefeuer ist? Die letzte Station vor dem ewigen Feuer … ob wir wohl vor Petrus traten und er uns den Weg nach unten wies? Vielleicht sind wir tot, und wissen es nur noch nicht … und die Ungewissheit ist dabei der erste Teil der Bestrafung.
JOHANN:
(resigniert) Ihr sprecht wie ein weiser Prediger, mein werter Leidensgefährte. In einsamer Dunkelheit erwarten wir unruhig das ewige Licht der glühenden Hölle und endlose Marter … warten darauf, dass ein grässlicher Dämon uns die Türen öffne und unsere Seelen hinab in den Abgrund stöße. Seine glimmenden Hörner und ledrigen Flügel wären das Letzte, was wir vor unseren ewigen Qualen sähen, bevor wir in das scheußliche Antlitz Beelzebubs blicken und vergehen würden … (sarkastisch) eine sehr traurige Aussicht auf unsere Zukunft.
AUGUST:
(bekümmert) Es muss aber auch gar keine so göttliche Macht hinter unserer Gefangenschaft stecken. Vielleicht sind wir auch nur Gefangene einer anderen Art … normale Gefangene. Lebendig, bei Bewusstsein und noch immer gebunden an die Wiurzeln unserer irdischen Welt. Kriegsgefangene womöglich. Oder einfach nur simple Räuber oder Mörder … doch was sind schon die gestaltlosen Ideen eines alten Greises ohne Erinnerung außer Schall und Rauch? Nichts als Phantastereien, die darin versagen, die beängstigende Dunkelheit durch Klarheit zu vertreiben …
JOHANN:
(Sein Blick schweift zum schwitzenden und leise murmelnden dritten Gefangenen auf dem Bett, der noch immer unruhig schläft) Ob nun himmlische Bestrafung, irdische Bestrafung oder etwas vollkommen Anderes … nichts ist mir gewiss außer meinem absoluten Nichtwissen. Doch womöglich hat dieser Mann, der sich dort in schlimmen Träumen krümmt und das Gesicht verzieht, etwas mehr dazu zu sagen als wir beide. Und wenn wir Glück haben, besitzt er womgölich noch einen Fetzen seines Erinnerungsvermögens.
AUGUST:
Eine gute Idee. Auf geht es, erwecken wir ihn aus seinem stürmischen Schlaf! (beginnt mit Johann damit, Wilhelm wachzurütteln und mit Worten zum Aufstehen zu bewegen)
DRITTE SZENE
Johann, August und Wilhelm
WILHELM:
(fällt aus dem Bett und zieht sich allein mit seinen Händen an dem Bett hoch, und mustert verwundert und etwas schockiert Johann und August) Wo bin ich hier? Und wer seid ihr?
JOHANN:
(sarkastisch herablassend) Wenn wir das wüssten, hätten wir Euch nicht aufgeweckt, um dich ebendanach zu fragen. Wir beide sind uns weder unserer Namen, noch unserer Vergangenheit bewusst, und haben keinerlei Idee, weshalb wir hier zwischen Stein und Moos in die Dunkelheit gesperrt wurden, mit nichts als einer Kerze und stechenden Kopfschmerzen bewaffnet.
AUGUST:
(Johann zur Seite schiebend) Seid versichert, wir wollen Euch kein Leid zufügen … denn aller Wahrscheinlichkeit nach teilen wir alle drei das gleiche Schicksal. Ohne Erinnerungen eingesperrt und ahnungslos zu sein scheint unser aller Los zu sein.
JOHANN:
(forsch) Es sei denn, Ihr könnt Euch an etwas erinnern, und sei es auch noch so ein kleines Detail … erzählt uns davon, sofort!
WILHELM:
(schaut sich irritiert und angespannt um und gibt keinen Ton von sich)
JOHANN:
(ungeduldig) Redet mit mir, sofort! Ja oder nein? Ist euer Kopf so leer wie die Mägen hungernder Kinder oder quillt er gar über, wie ein Füllhorn von Erinnerungen? Alles kann uns jetzt hier helfen!
WILHELM:
(wendet sich eingeschüchtert Johann zu und schaut ihn direkt an) Ich … erinnere mich kaum an etwas … kaum an irgendetwas … der Versuch ist schmerzhaft, eine quälende Pein … ich erinnere mich gerade nur an das, was ich in den letzten Sekunden meines Traumes hörte …
JOHANN:
(weiterhin beharrlich und ungeduldig) Ja, das klingt gut! Erzählt uns davon, umso schneller desto besser! Erzählt uns alles aus euren Träumen, los los!
AUGUST:
(sich zwischen die beiden stellend) Johann, so haltet doch ein mit eurer plötzlich so polternden Art … gebt dem werten Mann doch in Gottes Namen etwas Zeit! Mit einer solchen Vorgehensweise werden wir niemals irgendetwas herausfinden, sondern uns nur gegenseitig noch fremder machen als wir es ohnehin schon sind! Anspannung und unüberlegte Hektik streuen nur Salz in unsere Wunde, anstelle sie zu heilen.
JOHANN:
(atmet kräftig durch und wendet sich zu Wilhelm) Nun gut, dann sprecht bitte in aller Ruhe. Er hat ja Recht, mit Nervosität schaben wir uns nur selbst und gegenseitig die Gemüter auf. Erzählt uns von euren Erinnerungen.
WILHELM:
(nun ruhiger, mit etwas mehr Gelassenheit) Ich erinnere mich nur vage an diesen schrecklichen Traum, den ich hatte. Ich stand auf einer großen Wiese, mit einem geflochtenen Korb in der Hand … als hielte ich Ausschau nach Kräutern und Blumen. Aus der Ferne hörte ich jemanden bedeckt, doch stimmhaft „Wilhelm!“ rufen, so als wollte man mich vor etwas warnen. Zuerst ignorierte ich es, und betrachtete die Schönheit der Natur dieser Wiese, und atmete ihren Odem ein. Doch irgendwann verstummte die warnende Stimme, als sei sie ruckartig geflohen … ich bemerkte kurz darauf, dass sich der Horizont zusammenzuziehen begann, wie ein obskurer Mahlstrom drehte er sich im Kreis und verschlang die Bäume in der Ferne, die Sonne am Himmel und die weichen Wolken, dabei immer und immer größer werdend. Wie der Schlund tat er sich vor mir auf, und obgleich er keine Augen hatte, durchdrang mich panische Furcht und ich spürte einen direkten Blickkontakt mit etwas absolut Finsterem, etwas von Grund auf Bösem … und so begann ich zu rennen.
AUGUST:
Und was geschah danach?
WILHELM:
Soweit ich mich noch erinnere, verschlang dieser klaffende Abgrund am Horizont alles, selbst den Boden unter meinen rasenden Füßen. Ob er mich auch verzehrt hat, weiß ich nicht … doch mein Kopf fühlt sich genau so an, als hätte dieser Strom meine Erinnerung und somit auch mich mit Haut und Haar verschlungen. Außer meinem wahrscheinlichen Namen Wilhelm ist mein Kopf ein leeres Ödland, ohne Leben oder Licht.
AUGUST:
Schwer und schmerzhaft sind eure Beschreibungen, doch an Wahrheit nicht zu übertreffen. In eurem Traum verschlang eine düstere Macht alles um Euch herum wie stürmische Wellen den verlorenen Schiffbrüchigen, und ich glaube, vor meinem Erwachen einen ähnlichen Traum gehabt zu haben, an den ich mich jedoch nur sehr schemenhaft erinnern kann. Erst eure Erzählung hat diesem losen Fetzen einen Teil ihrer Bedeutung zurückgebracht … Johann, war auch euer Schlaf von derartigen Träumen gepflagt?
JOHANN:
Das weiß ich nicht. An nichts erinnere ich mich von meinem Traum … nur ein unbehagliches Gefühl beim Gedanken daran lässt mich glauben, dass es ein Traum der schlimmen Sorte war.
WILHELM:
(resigniert) Dann scheint es so zu sein wie Ihr sagtet, und wir drei teilen wahrlich ein gleiches Schicksal … ein Schicksal der Bestrafung. Wir träumten von einer allverschlingenden Bestie, einer Midgardschlange ohne physischen Körper, und erwachten mit nichts weiter als unseren grundlegendsten Fertigkeiten, beraubt jeglicher Erinnerung. Ob es vielleicht gar kein Traum war, sondern unser Weg an ebendiesen Ort? Wir wurden verschlungen, aus der Welt hinausgesogen, und sitzen nun bei kümmerlichem Kerzenschein in schwerer Dunkelheit … ist dies wohl der Tod? Ein Sog, ein Maul, ein stummer Schrei, eine letzte Rast im Kerker fernab des Lebens, bevor der Tod zu Gange ruft?
AUGUST:
(tonlos, doch voller Bedrücktheit) Diese Befürchtung teile auch ich … entweder erwartet uns Gevatter Tod, um uns zur letzten Ruhe zu geleiten, oder wir warten hier auf die Stunde, in der man unsere sündhaften Seelen zur ewigen Marter in das Fegefeuer hinunterschleudern wird. Oder, welcher Gedanke mich noch mehr ängstigt: Weder wartet jemand auf uns, noch erwarten wir jemanden … dies hier ist das letzte Ende. Weder Himmelreich noch Fegefeuer folgen auf den Tod; sondern allein Stille. Tiefe, bedrückende und von stetiger Angst geschwängerte Stille.
(Die drei Männer senken resigniert ihren Blick und starren ziellos in die Dunkelheit)
VIERTE SZENE
Arbeitszimmer des Barons. Er sitzt an mittig einem breiten Schreibtisch, um ihn herum stehen volle Bücherregale und helle Kerzenständer. Ganz links befindet sich eine begehbare Tür zu seinem Büro. Zwischendrin hängt ein Banner mit dem Zeichen des Ordens des Schwarzen Adlers.
—
Der Baron
BARON:
(ruhig am Schreibtisch sitzend schreibt er mit einer Feder einen Brief) Meine teuerste Antonia, sehr erfreut war ich über euren freundlichen Brief, der mich nach so langer Zeit der Kontaktlosigkeit doch ziemlich überrascht hat. Ein wahrhaftig großes Glück, eurer enreut habhaft geworden zu sein.
Ich hoffe doch sehr, dass mich meine Adelspflichten nicht zu sehr einnehmen und es mir ermöglichen werden, einen regelmäßigen Briefverkehr mit Euch zu garantieren. Denn unsere Zeit naht. Ich sah es in den Flammen … sah eine feuertrunkene Tänzerin zu Fuße einer lodernden Kirche, begleitet vom stumpfen Ostinato des Gesangs eines Flammenträgers. Ihr Gesicht war makellos, und ihre Arbeit filigran; sie verrichtete ihr Werk mit einer ungeahnten Leidenschaft, einer den Menschen gewöhnlicherweise verwehrten fanatischen Passion. Und da bemerkte ich, dass es Liebe war, die sie antrieb. Eine unbändige und unermesslich mächtige Liebe … nicht nach Mann oder der Göttlichkeit, sondern nach einer anderen Frau. Sie ward genannt „Mein Flammenmeer“, und wurde öfter angerufen als die Göttlichkeit höchstselbst. Es schien, als würde nicht allein die Göttlichkeit, sondern noch dazu eine Geliebte mit vollster Inbrunst angebetet werden … eine immense Verstärkung der Kräfte des Rituals. So als schmierte man Gift auf die Klinge seines Schwertes, um den Gegner schneller und effizienter in das dunkle Totenreich hinunterjagen zu können.
Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Vision die Erkenntnis enthielt, die wir zur Perfektionierung unseres Anliegens benötigen, würde dies Unterfangen allerdings gern persönlich mit euch besprechen und lade Euch aufs Herzlichste in meine Residenz ein, das romantisch gelegene Schloss Wolkentief, zwischen schweigenden Eichen und raunenden Bergen. Kommt doch bitte so schnell ihr könnt; ich alter Narr habe nicht mehr so viel zu leben übrig wie Ihr, und würde es begrüßen, das Ziel unserer kleinen Gruppe noch zu meinen Lebzeiten zu vervollkommnen.
Möget Ihr durch Flammen tanzen
Auch wenn ein jeder Lanzen streckt
Und sich die Welt vor Licht versteckt
Krabbelnd wie die kleinen Wanzen
Flammende Liebe, so grell und heiß,
All unsere Ketten reißt entzwei
Elysisch die Sonne zieht vorbei
Tränkt unsere Augen himmlisch weiß.
Euer ergebenster Baron Randolf von Wolkentief (setzt die Feder ab und lehnt sich in seinem Stuhl zurück)
FÜNFTE SZENE
Der Baron und Friedrich
FRIEDRICH:
(betritt hektisch durch die linke Tür das Büro und somit die Bühne) Mein Herr, mein Herr, etwas Seltsames geht in euren Kerkern vor! Im Gefängnis, im Gefängnis …. die schwatzenden Dienstmädchen erzählen davon, mehrere Stimmen aus dem Boden gehört zu haben, als sie den Gefangenen im ersten Flur das Essen brachten. Sie erzählten von trostlosen Selbstgesprächen, und immer mehr dazukommenden Stimmen, deren Worte immer wieder die gleichen waren. Ihre Unterhaltungen kreisten ständig um ihr verlorenenes Gedächtnis, ihre Ungewissheit und sie sprachen wohl ständig über Bestrafungen und Höllenreich …
BARON:
(schaut belustig zu Friedrich auf und lacht sinister) Tatsächlich? Dann ist Agrippa wohl zu schlampig bei seinen Berechnungen vorgegangen, und hat zu wenig der konzentrierten Kräuter in den Trank gemischt! Doch na ja, wozu sich über ein paar Stunden grämen … ich bin mittlerweile etwas zu alt dazu, allzu penibel und philisterhaft zu sein. Ja, dies sind spezielle Gefangene, mein werter Friedrich. Für sie habe ich ganz besondere Pläne, schon seit längerem bis ins kleinste Detail durchdacht und ausgeklügelt. Eigentlich wollte ich sie persönlich ausführen, doch gestatten es mir weder mein straffer Baronalltag noch die neueste Gicht in meinem Fuß, mich ihrer anzunehmen. Daher muss ich jemand Anderes mit der Ausführung dieser Aufgabe betrauen, und es gibt niemand Anderen in diesem Schloss dem ich ein solches Vertrauen entgegenbringe wie dir, mein werter Friedrich.
FRIEDRICH:
(verwirrt und eingeschüchtert) Herr entschuldigt, doch was genau verlangt ihr von mir? Ich bin nur euer bescheidener Leibesdiener, wie ihr selbst zu sagen pflegt, und verstehe nicht, was ihr euch von mir wünscht. Ich wusste bisher nicht einmal, dass das Schloss unterhalb des Kerkers einen weiteren Kerker beherbergt!
BARON:
Nun, jetzt wisst Ihr es. Neben Agrippa und mir seid Ihr dabei der Dritte im Bunde, niemand sonst weiß von den Kavernen unterhalb meiner offiziellen Gefängnisse. Ihr könnt dort hineingelangen, indem ihr in der zweiten Zelle des ersten Flures das Bett an die Wand lehnt und den Fellteppich zur Seite zieht. Dort werdet ihr ein Loch mit angelehnter Leiter finden. Steigt dort hinab, ich empfehle mit einer Laterne, und nehmt die Herrschaften dort unten in Empfang.
FRIEDRICH:
(verunsichert) Aber mein Herr, selbst mit einer Wegbeschreibung ist mir der Inhalt meines Auftrages noch nicht klar. Wer sind diese Gefangenen, und was soll ich mit ihnen anfangen? Wahrlich, ich bin doch kein Henker oder Folterknecht … ich bin euer persönlicher Diener!
BARON:
(beharrlich) Nun, aber als mein persönlicher Diener seid Ihr mir in jeglicher Hinsicht zur Treue verpflichtet, Friedrich Granthelm. Ich sorge für eure Versorgung, bezahle euch fürstlich und bürge für euch bei den höheren Adligen, dafür fordere ich nun auch etwas zurück. Das Umsorgen meiner Krankheiten reicht dafür allerdings nicht.
FRIEDRICH:
(schaut bedröppelt zu Boden) Nun, mein Herr, wenn es euer Wunsch ist, werde ich versuchen, ihm bestmöglichst zu entsprechen. Doch was soll ich denn für euch tun? Erzählt es mir doch!
BARON:
Ihr sollt in meinen unterirdischen Kerker gehen, die drei dort eingesperrten Herrschaften in Ketten aus ihrer Zelle holen und etwas herumführen, bis ihr sie schlussendlich zu mir bringen könnt. Des Weiteren habe ich Agrippa, den alten Kerkermeister, bereits im Voraus angewiesen, euch zu unterstützen. Er kennt meine Pläne, und weiß, was zu tun ist.
FRIEDRICH:
(irritiert) Wieso kann denn dann nicht einfach Agrippa diese ganze Aktion übernehmen? Ich bin doch nichts als ein einfacher Diener, und kein professioneller Gefangenenführer. Agrippa hingegen schon; das Geschäft mit Eingesperrten ist sein täglich Brot …
BARON:
(gereizt) Agrippa ist ein sehr guter Kerkermeister, ich kenne ihn nun schon sehr lange. Vielleicht etwas zu lange. Er beherrscht sein Handwerk wie kein Anderer, doch habe ich immer etwas Bedenken dabei, ihm eine Aufgabe aufzutragen, bei der er komplett allein ist und freie Hand haben würde. Er ist, sagen wir … etwas gröber und gewalttätiger als die meisten Menschen, die Ihr so kennt und zu beeindrucken wünscht, Friedrich. Er braucht eine Stimme der Vernunft an seiner Seite, die ihn in die richtige Bahn lenkt, wenn er mal wieder über die Stränge zu schlagen droht … in der Vergangenheit war das meistens ich, doch in der Gegenwart ist es mir unmöglich geworden, dieser Funktion nachzukommen. Daher werdet Ihr, mein werter Friedrich, diesen Platz einnehmen müssen. Ansonsten könnten alle meine Pläne von nun auf gleich durchkreuzt, alle getane Planung vergeblich werden!
FRIEDRICH:
(verängstigt) Nun gut Herr … aber ich glaube nicht, dass ich in der Lage dazu bin, das starke Gemüt eines Agrippa zu besänftigen … denn ich …
BARON:
(aufbrausend, jähzornig) Friedrich, es gibt hier kein Verhandeln oder Entschuldigen auf Wolkentief, dass müsstet Ihr eigentlich schon längst gelernt haben! Ihr werdet meinen Worten Gehorsam leisten, denn sie sind ein Befehl von dem Mann, dem ihr noch für längere Zeit verpflichtet seid. Und solltet ihr euch weigern, wird Agrippa mit euch ganz andere Dinge anstellen, als ihr euch gerade vorstellt ihr elender Feigling!
FRIEDRICH:
(verängstigt und stark eingeschüchtert) Jawohl mein Herr. Ich werde eurem Befehl Folge leisten, komme was wolle.
BARON:
Gut! So nehmt dieses kleine Büchlein mit … darinnen findet ihr alle nötigen Informationen, die ihr zur richtigen Behandlung dieser besonderen Gefangenen benötigt! (reicht Friedrich ein kleines Notizbuch)
FRIEDRICH:
(nimmt das Buch an sich, dreht sich wortlos um, geht schnell zur Tür hindurch und verschwindet von der Bühne)
BARON:
(finsteres Lachen) Wie schnell eine gehobene Stimme und ein paar wohlplatzierte Worte doch einen Unterschied bei der Überzeugung von schwachen Menschen machen … wie gespannt ich doch darauf bin, wie er seine Aufgabe meistern wird … und wie er zurückkehren wird ... meine Pläne mit den Gefangenen sind nicht gerade ein Plausch mit dem König von Preußen! (stumpfes Gelächter über seinen eigenen Witz; nimmt sich ein Buch von seinem Schreibtisch und beginnt darin zu lesen, während er in sich hineingrinst)
SECHSTE SZENE
Flure des Schlosses und später des Kerkers. Je nach Umgebung laufen Adlige und Diener oder stehen Gefangene zu Friedrichs rechter und linker Seite.
Friedrich, Diener, Adlige, Gefangene, Wachposten
FRIEDRICH:
(läuft auf der Bühne hin und her, er läuft orienterungslos durch das Schloss. ) Oh weh mir, auf was für einen Loyalitätsbeweis ist der Baron bloß wieder aus … meinen Magen zieht eine Flunsche, ihm gefällt das alles nicht. Ebenso dröhnt mein Kopf, er hegt kein Interesse an der kommenden Ungewissheit. (geht weiter hin und her, beginnt dabei, das Büchlein des Barons zu lesen, bis er in einen hochnäsigen Adligen stolpert und sie beide fast zu Boden fallen)
ADLIGER:
(reibt seine Kleidung mit den Händen ab, als sei er gerade in Matsch gefallen) So passt doch auf, ihr ungeschickter Wurm!
FRIEDRICH:
(aus seinen Gedanken gerissen) Entschuldigt mein Herr, ich werde in Zukunft besser auf meine Umgebung achten. Mein neuester Auftrag macht mir schwer zu schaffen, und ich verliere mich in Gedanken darüber, anstelle meine Augen auf die Realität um mich herum zu richten. Verzeiht mein Missgeschick, gnädiger Herr.
ADLIGER:
Wenn Ihr euch bei so simplen Themen wie dem Decken von Tischen, Machen von Betten und Bedienen der Gäste so in Gedanken darüber verliert, muss euer Leben wahrhaftig fade und minderwertig sein. Und nun macht doch Platz, ich muss hinfort! (stößt Friedrich prüde zur Seite und geht nach rechts von der Bühne ab)
FRIEDRICH:
(zu sich selbst) Die typischen Anfeindungen und beinahe schon tobsüchtigen Gemeinheiten der höheren Herrschaften machen mir nichts aus, ich habe damit ja täglich zu tun. Doch trotzdem macht mir die ungewisse Natur meines Auftrages eine Heidenangst; gerade der Gedanke an den durch Hörensagen blutbekannten Agrippa Wartran lässt mich schaudern. So manches Gerücht über seine Grausamkeit sickert bis in die obersten Ebenen, und wird dort mit stummen Schrecken empfangen … oh weh mir, und nun soll ich diesen dunklen Schatten zähmen, wenn er kurz vor der Verwandlung zum Berserker steht … wie soll ich armer Tropf denn nur solche Tat vollbringen?
(Friedrich geht weiterhin gehetzt und geistig ungeordnet auf der Bühne hin und her, während zuerst um ihn einige Adlige und Diener herumlaufen und teilweise mit abwertenden Blicken streifen. Nacheinander gehen die Adligen und Diener ab, bis er an zwei Wachposten vorübertritt. Daraufhin befinden sich sitzende, liegende und stehende Gefangene im Hintergrund, die Friedrich stumm mit ihren Blicken mustern, während dieser nach Agrippa sucht)
SIEBENTE SZENE
Kerker des Schlosses. Ein Hintergrund mit bewachsenen Steinziegeln, in der Mitte ein großer Stützbalken mit daran befestigten Fackeln. Vor der Mitte ein hölzerner Eimer. Ein kleiner Tisch mit zwei Holzkrügen darauf. Eine Reihe aus Gefangenen bildet den Hintergrund. Zwei Wachposten stehen am rechten und linken Rande Wache.
—
Friedrich, Agrippa, Gefangene und Wachposten
FRIEDRICH:
(sich fragend umsehend) Wo ist denn nun dieser Agrippa? Nichts erkenne ich hier als eiserne Gitterstäbe und verzerrte Gesichter in der feuchten Dunkelheit … dort bestimmt ein Mörder, dort ein Ketzer, und weiter hinten noch ein ganzer Haufen Räubergesocks … und ihr Meister, ihr Herr, der lederverschlungene Verlieskönig Agrippa, jener verbirgt sich irgendwo hinter all diesen Gestalten. (sucht mit dem Finger die Umgebung ab)
GEFANGENE:
(mustern Friedrich und werfen ihm abgeneigte Blicke zu, murmelndes Tuscheln untereinander)
FRIEDRICH:
(wendet sich ignorierend von den Kerkerzellen ab und tritt zum Publikum) Doch nun wo lauert hier dieser alte Kerkermeister?
AGRIPPA:
(steht nicht sichtbar am linken Bühnenrand; spöttisch) Haben Ihro Gnaden etwa nach meiner Gegenwart verlangt?
GEFANGENE:
Der Meister! Der Meister!
GEFANGENER EINS:
Schell, verbergt euch, verbergt euch in den Schatten! In der Ferne höre ich schon die Peitsche knallen!
GEFANGENER ZWEI:
Oh graus, ich höre seinen Foltergürtel! Zurück mit euch, zurück mit euch! Das Klackern des Metalls, das Schaben der Klingen … die grässliche Melodie, sie wird erneut gesungen! Verbergt euch, verbergt euch schnellen Schrittes!
GEFANGENE:
Der Meister! Der Meister! (weichen einige Schritte zurück und ängstigen sich vor Agrippa)
AGRIPPA:
(betritt die Bühne und stolziert wie ein ranghoher Soldat auf Friedrich zu, welcher sich daraufhin in seine Richtung dreht) Seid willkommen hier in den Verliesen von Schloss Wolkentief, Bediensteter Friedrich Granthelm! Unser Herr hat mich bereits über euer Kommen in Kenntnis gesetzt. Ich hoffe doch sehr, Ihr hattet keine zu großen Mühen dabei, zu mir hinabzusteigen, fort von den lichtbefluteten Zimmern und Kemenaten des oberirdischen Schlosses … solcherlei Weltwechsel erschöpft Geist und Körper. Verlangt es Euch vielleicht nach einem Getränk? (hält Friedrich einen hölzernen Krug entgegen)
FRIEDRICH:
(etwas irritiert) Nun … gerne nehme ich euer Angebot an und danke euch für den doch recht herzlichen Empfang. Ich hatte mit anderem gerechnet. (nimmt den Krug an sich)
AGRIPPA:
Was müsst ihr nur von uns hier unten dort oben halten … die typische Arroganz der feineren und sauberen Herrschaften, droben in den glänzenden Zimmern, fernab der Kälte und Nässe der Verliese … wie die Bauern auf ihre Schweine blicken sie auf uns herab … doch nun, genug des Selbstmitleids. Trinkt einen Schluck mit mir! (erhebt seinen eigenen Krug und stößt mit Friedrich an)
FRIEDRICH:
(beginnt zu trinken, spuckt den Inhalt des Kruges danach angewidert auf den Boden) Igitt, wie scheußlich der Geschmack! Ist es etwa ein Wein aus Moos und Pilzen, den Ihr mir hier zum Trunk gereichet habt? Beißend widerwärtig auf der Zunge, und ein krustiger Belag bleibt drauf zurück …
AGRIPPA:
(lautstarkes und spottendes Lachen) Euren Toast kann ich wohl erwidern. In beiden Krügen schwimmt ein herrlich süßer Wein, nicht minder schlecht als jener, den sie oben in Silberkrügen servieren. Mir schmeckt er wirklich gut, und ich spüre nun schon das Verlangen, mehr davon zu trinken … Ihr wahrscheinlich nicht, oder?
FRIEDRICH:
(spuckend) Nein, selbstverständlich nicht! Dieser Sud aus Spuck und Schlacke hat wahrlich nichts gemein mit den deliziösen Getränken, die ich normalerweise dem Baron serviere … bei solchem Trunk von Pestilenz würde er sich ja aus Ekel auf dem Boden wälzen und die roten Banner an den Wänden mit seiner Zunge bearbeiten, um diesen wirklich grässlichen Geschmack aus seinem Rachen zu verbannen!
AGRIPPA:
(süffisant monoton) Nun, wahrscheinlich urteilt ihr so harsch über den Wein, weil ich den Eurigen zu zwei Dritteln mit dem Inhalt des Notdurfteimers eines Gefangenen vermengt und verrührt habe. Schätzt ihr meine Braukünste etwa nicht?
WACHPOSTEN:
(spöttisches kehliges Gelächter)
FRIEDRICH:
Pfui, Ihr Widerling! Weshalb denn tut ihr so etwas Ekelhaftes an? (wirft den Holzbecher quer über die Bühne und erbricht sich in einen nahegelegenen Eimer)
AGRIPPA:
(Spöttisches Gelächter) Ach, das ist durchaus nichts Persönliches. Ich liebe es nur, mit allem und jedem meinen Jux zu treiben, insbesondere mit solch kleinen Menschlein wie ihr einer seid Friedrich (weiteres Gelächter) Nun kommt, ihr Made, wir beide haben einen Auftrag vom Baron zu erfüllen! Erhebt euch von eurem nun besudelten Eimer und reiht Euch hinter mir ein!
FRIEDRICH:
(erhebt sich langsam von dem Eimer, sucht Halt an einer Wand und stellt sich hinter Friedrich) Nun denn … gehen wir …
AGRIPPA:
(erheitert) Mein wertester Friedrich, so macht doch nun kein Drama aus meinem kleinen Scherzelein. Glaubt mir, wenn ich Euch sage, dass ihr noch einer harmlosen meinerseitigen Mokanz anheimgefallen seid … und im Übrigen könnt ihr mir ruhig etwas dankbar sein. Dieser Kerker und gerade die Kavernen, zu denen wir uns nun begeben, sind eine wahre Pestilenzküche von Widerwärtigkeiten; vielleicht härtet Euch mein kleiner Spaß ja etwas dagegen ab?
(Agrippa und Friedrich gehen zur rechten Seite ab; Friedrich angeekelt und mit sichtlicher Übelkeit, Agrippa mit einem selbstgefälligen Gang und Grinsen.
GEFANGENER EINS:
Gegangen ist er, nun ist er fort! Heraus heraus, die Gefahr itzo vorüber!
GEFANGENER ZWEI:
Das Klirren und Scheppern tönt nun in so weiter Ferne, ich vermag es nicht mehr zu hören! Hervor hervor, er ist verschwunden! (erleichtert)
GEFANGENE:
(euphorisch, erleichtert) Vorbei, vorbei, itzt ist die Gefahr gebannt!
(Daraufhin verlassen auch die Gefangenen und die Wachposten die Bühne)
ACHTE SZENE
Agrippa und Friedrich
AGRIPPA:
(mokant) Nun reißt euch doch bitte etwas zusammen, ihr schwächlicher Wurm! Auf mich macht ihr keinen sonderlich guten Eindruck, und die drei Gefangenen werden euch ebensowenig als besonders admirabel erachten, wenn ihr so blümerant durch die Korridore schlurft und jegliches vis-á-vis tunlichst vermeidet.
FRIEDRICH:
(zorneshöflich) Es geht mir bereits besser, gebt mir doch noch etwas Zeit. Läge es euch so sehr an meinem Auftreten, hätte es wahre Wunder gewirkt, mir keinen fäkaliendurchwirkten Trunk zu reichen, ihr Widerling!
AGRIPPA:
(arrogant) Ihr missversteht mich, mir ist nichts an der Art eures Auftritts gelegen. Sei er schlecht, sei er gut … fürchten Euch die Gefangenen, oder fürchten sie Euch nicht … mir ist es einerlei. Mir ist auch nicht bekannt, aus welchen Gründen der Baron gerade Euch, so ein höfisches Madenwürmchen, zu mir hinuntergeschickt hat um die Kavernenwände zu besprengen. Es wird sie geben, doch mir sind sie fremd. Ich folge meinem Herrn, und nehme euch an die Hand … doch bedeutet dies nicht, dass mir dabei das Späßchentreiben mit eurer mickrigen Existenz verboten wäre. Und wenn ihr dabei allein wie ein durch Zauberei beflügelter Mehlsack herumtorkelt, macht das keinen wirklichen Spaß (zieht eine spöttische Flunsch)
FRIEDRICH:
(seufzend) Ihr hört mit eurer Triezerei wohl nicht mehr auf. Ich werde mich wohl vor euren üblen Scherzen hüten müssen.
AGRIPPA:
Ach, das schafft ihr nicht. Ich triefe nur so vor Erfahrung mit solcherlei Spielereien, und kenne alle Tricks und Vermeidungstaktiken. Ich erkenne es schon allein am Augenglanz, am seichten Blitzen in der der Iris, wenn mein Gegenüber meinen Händen zu entrinnen sucht. Das werdet ihr in nächster Zeit nicht allein am eignen Leib erfahren … (dunkles Kichern)
FRIEDRICH:
(irritiert) Was meint Ihr damit? Nicht allein am eigenen Leib erfahren?
AGRIPPA:
Ich sagte doch, dass ich Euch etwas an die Hand nehmen werde … und was glaubt Ihr, bei welcher Art von Tätigkeit ein Kerkermeister einem Neuling kann die Hand zur Hilfe reichen? Knochen knacken, Seelen brechen, Arme schneiden, Fleisch verbrennen oder vielleicht auch einfach klassisch malträtieren … mein tägliches Brot im Umgang mit den Gefangenen. Doch damit beginne ich erst dann, wenn sie hinabgesunken sind. Sie sinken hinab, von Gefangenen zu Folteropfern und vom Kerker in die Kavernen … dort unten lauern Zwielicht und Verzweiflung … ohne einen kundigen Schäfer wie mich würdet ihr mickriges Schäflein dort unten gefressen und vergessen werden.
FRIEDRICH:
(erregt und verängstigt) Wie meinen? Ihr sprecht von quälender Marter … bin ich denn etwa ein Folterknecht? Ich pro-
AGRIPPA:
(unterbricht lautstark Friedrich) Noch nicht. Und für den ganzen Weg, der noch vor uns liegt, habt Ihr ja noch mich, den guten alten Agrippa. Nun schweigt still, ich öffne die Kavernen … wir wollen doch nicht etwa Unerwünschtes aus den Schatten locken? (grinst süffisant, nimmt einen Schlüssel von seinem Gürtel, schließt eine Tür am linken Bühnenrand auf und geht hindurch)
FRIEDRICH:
O weh mir … wie inbrünstig hoffe ich darauf, dass die Dunkelheit dieses Ortes mir gegenüber wohl gesonnen ist … o graus, in welchen Abgrund werde ich wohl noch fallen? (unruhiges Seufzen) Allein der Schritt in die kalte Umarmung der Finsternis vermag es, mir darauf eine Antwort zu geben. (tritt in die Tür, schaut sich noch einmal verängstigt um, und tritt daraufhin von der Bühne ab)
– ENDE DES ERSTEN AKTES –
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