KonversationenLangePsychologischer Horror

Schuldbekenntnis Wolkentief – Fünfter Akt

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

FÜNFTER AKT

ERSTE SZENE

Flure des Schlosses. Es laufen Adlige und Diener zu Friedrichs rechter und linker Seite.

Friedrich, Hermann, Diener, Adlige

FRIEDRICH:

(hüpft fröhlich über die Bühne) Ach welch Freude, was ein Glück! Reine Luft und helles Licht, strahlende Gesichter … wie ein Balsam für die Seele nach diesen letzten Schreckensstunden (tänzelt herum)

HERMANN:

(tritt von rechts auf die Bühne, tippt Friedrich verwundert an) He Friedrich, da bist du ja wieder! Mir deuchte schon, du seiest krank … nirgendwo warst du aufzufinden. Ich habe so gut es ging versucht, deine Pflichten in deinem Namen zu erfüllen … hoffentlich ist mir dabei kein Fehler unterlaufen.

FRIEDRICH:

(überrascht, fröhlich) Hermann, mein lieber Freund, wie schön, dich zu sehen! Und nein, krank war ich nicht … krank war nur der Ort, an dem ich die letzten Stunden zugebracht habe. Ich war im Auftrag des Barons unterwegs, und habe unterhalb des Schlosses etwas … unorthodoxere Pflichten erfüllt als die eines gewöhnlichen Dieners.

HERMANN:

Unterhalb des Schlosses liegen der Weinkeller, einige Lagerräume und der Kerker … wenn du die letzten Stunden alleine im Weinkeller zugebracht hättest, wärst du nicht in deiner jetzigen Verfassung, sondern angeheitert und berauscht. Die Lagerräume bieten nichts als Kisten voller Kerzen, Ölen, Gewürzen, Samen und dergleichen mehr, und bieten außerdem keine komfortable Unterkunft. Doch ebenso liegt der Kerker weit außerhalb der Pflichten eines Dieners, noch dazu einem deines Ranges … das verstehe ich nicht.

FRIEDRICH:

(atmet schwer durch) Hermann, kann ich dir vertrauen?

HERMANN:

(empört) Aber natürlich Friedrich. Seit Jahren kennen wir uns, arbeiten zusammen, und ein jeder kennt ein oder zwei schmutzige Geheimnisse des Anderen. Du kannst es mir erzählen … wenn du mir nicht vertrauen würdest, hättest du ohnehin nicht angemerkt, dass du die letzten Stunden unterhalb des Schlosses verbracht hast. Wahrscheinlich wärst du einfach an mir vorbeigelaufen, ohne überhaupt irgendetwas zu sagen.

FRIEDRICH:

In Ordnung. Aber frage mich nicht nach dem Sinn; denn dieser hat sich mir auch noch nicht ganz erschlossen. Vor einigen Stunden rief mich der Baron zu sich, und erteilte mir den Auftrag, dem Kerkermeister für eine zeitlang Assistent zu sein. Als ich ihn nach dem Sinn dieses Unterfangens fragte, sprach er nur, ich solle dafür sorgen, dass sich der Kerkermeister nicht vollkommen gehen lasse. Und so ging ich …

HERMANN:

Kavernen? Sind das nicht Höhlen, Friedrich? Ich dachte, du warst im Kerker …

FRIEDRICH:

Ja. Das war ich auch. Aber um was viele nicht wissen, ist die Existenz einer zweiten Ebene des Kerkers. Einem kalten und dunklen System von Tunnelgängen, das der Kerkermeister Kavernen nannte. Oh, beim Gedanken an ihn schüttelt es mich schon wieder … ein ekelhafter Mann, und noch so krank dazu … Agrippa Wartran, seines Zeichens Menschenquäler. Ich traf ihn im Kerker an, und er reichte mir in krankem Scherze einen Becher voll mit Wein und Kot, und ergötzte sich an meiner Übelkeit, bevor er mich mit sich nahm und durch dunkle Pfade in die Kavernen führte.

HERMANN:

Das klingt wahrlich nach keinem angenehmen Zeitgenossen … doch was erwartet man auch anderes von einem Folterknecht?

FRIEDRICH:

Damit magst du wohl Recht haben, doch macht es das um keinen Deut besser. Ein Biss von einem wilden Tier tut wirklich weh, auch wenn man damit rechnen sollte. Und jetzt lass mich doch erzählen, ohne ständig dazwischenzuhaken.

HERMANN:

(vollführt spöttisch eine Abwehrhaltung mit den Händen) In Ordnung, in Ordnung, so sprich, so sprich. Meine Lippen sind versiegelt.

FRIEDRICH:

Danke. Also dieser abartige Mann führte mich in Kavernen voller Schmerzen, in deren Zellen allein die ärmsten Folteropfer hausen. Ihre Blicke sind entleert, und ihre Stimmen kraftlos … doch gaben wir uns nicht mit denen ab, die schon seit Jahren hier ihr trostloses Dasein fristeten, nein … wir nahmen uns einem Gefangenentrio an, dass erst seit kurzem hier verweilte. Es bestand aus einem Soldaten, einem Priester und einem Lahmen, und nacheinander holten wir sie zur Bestrafung ab. Agrippa erklärte mir, welch Schandtaten sie vollbracht hatten, und vergolt diese Taten in theatralischer Quälerei. Den Lahmen, der viele Menschen wie Familien ermordet hatte, ließ er von einer überlebenden Tochter brutal zerschlitzen, und lachte dabei wie Kinder im Zirkus. Sie war vielleicht fünfzehn Jahre alt, und nahm sich nach der Ermordung des Lahmen selbst das Leben … weshalb sie dort unten geschunden wurde, ich weiß es nicht. Wahrscheinlich allein zu Agrippas Vergnügen. Ich versuchte ihn darauf zu konfrontieren, doch war er zu abweisend und ich, um ehrlich zu sein, auch zu ängstlich dafür. Außer ein paar Worten tat ich nichts im Angesicht dieser grausamen Ungerechtigkeit. (senkt den Kopf) Wahrscheinlich meinte der Baron genau das mit meinem dortigen Einsatz … ich hätte Agrippa wahrhaft konfrontieren sollen, ihn bremsen sollen, anstelle alles passiv mitzutragen und wie ein kleines Kind nur schnell nach Hause zu wollen. Oh weh mir, ich hoffe der Baron kann mich verstehen.

HERMANN:

(energisch) Das wird er bestimmt, du kennst ihn doch, aber jetzt erzähl schnell weiter, meine Neugier ist hell entflammt!

FRIEDRICH:

Nun gut, wie du willst. Der zweite Gefangene war ein alter Priester, der nicht wirklich Furcht vor uns hatte. Er hat viele Kinder missbraucht, und unter dem Mantel eines Gottesdieners seine grässlichen Taten vertuscht. Ein Phlegmatiker ohnegleichen … er fand wohl seinen Halt in seinem Glauben.Agrippa jedoch zerschmetterte diesen Halt mit einer tosenden Ansprache über die Ilusion des Glaubens und dessen Kraft, dass er nicht außer Handlungsunfähigkeit mit sich bringt … und um jenes zu verdeutlichen, schlug er dem alten Priester beide Unterarme ab und ließ ihn blutend im Wald zurück, nicht weit entfernt vom Schloss. Und der Dritte im Bunde war ein ehemaliger Soldat; er trug sogar noch eine zerschlissene blaue Uniform. Er hat jahrelang preußische Waffen und Güter gestohlen und an die Feinde unseres Reiches verkauft, und drei Männer brutal ermordet, als diese seine Diebestat bemerkten und ihn dafür stellen wollten. Ihn warf Agrippa in eine düstere Zelle ohne Licht, nur mit einem scharfen Säbel an der Wand, und sagte zu ihm, dass ein Ausweg aus dieser Zelle möglich. Er könne sich entweder mittels des Säbels das Leben nehmen, oder so lange ausharren, sich disziplinieren, bis Agrippa eines Tages erneut die Tür öffnen und ihn zurück in die Freiheit entlassen würde. Und darinnen steckt er bestimmt immer noch … es ist eine psychische Art der Folter, ein sehr grausames Verfahren … ich glaube nicht daran, dass Agrippa jemals wieder diese Tür öffnen wird.

HERMANN:

Lieber Himmel, welch Schrecken du durchlitten hast … sieh nur wie ich schaudere! Zum Glück ist es nun vorbei, und du wandelst wieder in den hellen Fluren des Schlosses und kannst nun dem Baron von der erfolgreichen Erfüllung deiner Pflichten berichten!

FRIEDRICH:

Ob ich erfolgreich war, weiß ich nicht … wahrscheinlich war ich es nicht. Ich vermochte es in keiner Situation, Agrippa, zu bremsen, und hörte ab einem gewissen Punkt einfach damit auf. Zu groß die Furcht vor weiteren Schlägen, zu groß die Feigheit in meinem Herzen … ich hoffe doch sehr der Baron versteht mich. (blickt auf) Entschuldige mich, Hermann, ich muss nun dem Baron Bericht erstatten … ich rede schon viel zu lange mit dir. (geht schnellen Schrittes von der Bühne ab)

HERMANN:

(alleingelassen) In Ordnung. Wir sehen uns dann später! (geht mit dem Kopf nach unten von der Bühne ab)

ZWEITE SZENE

Studierzimmer des Barons

Baron und Antonia

ANTONIA:

(steht vor dem Schreibtisch des Barons)

Also glaubst du nicht, dass plumpe Verlockungen für den Sieg unserer Sache sorgen können? Meinst du nicht, dass einfühlsame Worte von Verständnis, durchwoben von Auswegsperspektiven in den Armen unserer Herrin, Alejandra von unserem Anliegen überzeugen werden?

BARON:

(sitzt an seinem Schreibtisch)

Nein, das glaube ich wahrlich nicht. Ich habe zu lange über mein Land als Herr regiert und unter zwei Königen gedient als dass ich von der alleinigen Macht des wohlgewählten Wortes überzeugt sein könnte. Du kannst niemanden allein mit Worten dazu bewegen, sein ganzes Leben niederzuwerfen und sich ein vollkommen Neues umzulegen … dazu bedarf es weitaus gewiefterer Maßnahmen.

ANTONIA:

(genervt) Ebenso skeptisch und pessimistisch wie eh und je … (seufzend) das ist die Art, die ich an dir am wenigsten leiden kann. Hast du etwa kein Vertrauen in die Macht der Sprache, die Magie meiner Zunge? (schelmisch) Insbesondere an letzterer hast doch gerade du dir einen Narren gefressen …

BARON:

(tonlos) Ich sage nicht, dass Sprache keine Macht in sich trägt; das Gegenteil ist der Fall. Es gibt nichts Mächtigeres in dieser Welt als das Wort und die Feder. Allerdings muss man die Grenzen erkennen, die sich einer Mission wie der unsrigen in den Weg stellen, und klug um sie herumdenken. Für Alejandra sind wir beide Fremde, und um ihr Vertrauen zu erlangen, brauchen wir Zeit. Und, ich spüre es in meinen Knochen, die haben wir dafür nicht. Deine Reise zurück in die Heimat wird eine lange Zeit andauern … so ungewiss wie die Zukunft mit Visionen ist würde ich keine unnötige Zeit vertrödeln. Wir brauchen eine ausgeklügelte Strategie, die Alejandra im Handumdrehen zu unserer devoten Anhängerin und willigen Schwester macht. Maximal in ein paar Tagen, länger darf es nicht dauern.

ANTONIA:

(genervt) Sehr hohe Ansprüche hattest du schon immer. Hast du auch nur irgendeine Vorstellung davon, wie wir deinen utopischen Forderungen entsprechen können? Wenn du hektisch und voller Eile an unsere Sache herantreten willst, bitte. Doch dann zerschneide mich nicht mit deinen zahllosen Vorbehalten, sondern gib mir eine Lösung.

BARON:

(grinsend) Wie schön, dass du fragst. Wie es das Schicksal geplant haben sich meine jüngsten Forschungen insbesondere mit dem Verstand beschäftigt; wie man ihn beeinflussen, verformen und nach seinem Willen beugen kann. Soll ich dir meine Aufzeichnungen dazu präsentieren? Du wirst es schnell verstehen, glaub mir. (kramt emsig in seinem Schreibtisch)

ANTONIA:

(verblüfft) Trotz deines Alters bleibst du unberechenbar. Ja natürlich, so zeig mir deine Forschungen!

BARON:

(kramt seine Aufzeichnungen heraus) Soll ich sie dir kurz vorlesen? Keine Angst, es ist kein langer Text, doch tiefgreifend in seinen Bedeutungen …

ANTONIA:

Ja bitte, ich lausche mit gespannten Ohren.

BARON:

Das freut mich sehr meine Liebe. Wirklich sehr.

Über die Natur des Menschengeschlechtes

Die Natur des Menschen ist schlichtweg diejenige, die nicht in Ewigkeitsklauseln festgehalten oder in eiserne Gesetze gegossen werden kann. Sie ist unbeständig, nicht an allzeit gültige Prinzipien wie das Himmelreich, die Vernunft oder den Tieren inhärente Triebe gebunden … sie hat keine feste Gestalt, sondern gerade ist es ihre Gestalt, sich allen äußeren Einflüssen anzupassen, so wie sich die Suppe in der Schüssel rundet, das Metall in der Gussform zum Schwerte wird oder das Fleisch im Kopftopf die Röte verliert. Die Natur schafft sich selbst, indem sie sich den äußeren Bedingungen anpasst. Die Tochter einer Dirne kann nichts als eine Dirne werden; sind ihr doch alle anderen Wege durch ihre Herkunft versperrt, ungeachtet dessen, wie vernünftig sie doch sein möge. Diese Anpassung menschlicher Natur, des menschlichen Bewusstseins, ist die Grundlage für unser Überleben; denn es ermöglichte dem Menschengeschlecht, alle Situationen, alle kommenden Gefahren zu überwinden, ohne unverändert vom Zahn der Zeit zernagt zu werden. Einige sehr geistreiche Franzosen des vergangenen Jahrhunderts bezeichneten diese Art des Denkens als Materialismus.

Ich als Gelehrter stehe in Gänze auf der Seite dieser Herren. Meine Forschungen innerhalb dieses Feldes werden durch Experimente unterstützt, die ich persönlich mit Probanden durchführe. Ich untersuche dabei den Anpassungsgrad menschlichen Bewusstseins auf individueller Ebene im Kontext einer für den Probanden vollkommen ungewissen Situation.

Dabei greife ich auf Techniken zurück, die andere Gelehrte als unorthodox bezeichnen würden. Doch, so sage ich: Was ist schon ein Beweis, wenn keiner vom Versuche weiß? Um logisch zu forschen, ist es erforderlich, die Erkenntnisse nicht allein aus dem Verstand, sondern ebenfalls und noch viel mehr aus der Umwelt selbst herzuleiten, Schließlich wird auch kein Romanleser durch die Magie des Lesens zum standhaften Soldaten. Wie die Humanisten der Rennaissance Leichen sezierten, um über den Bau des menschlichen Körpers zu lernen, arbeitete ich mit lebendigen Probanden und erforschte die Anpassungsfähigkeiten ihres Geistes, um über die Natur des Menschengeschlechtes zu lernen. Die Experimente eines klassischen Naturforschers.

Zu Beginn meiner Forschungen drehten sich diese um bewusst-veränderten Verstand. Dabei beobachtete ich Schauspieler, sprach mit ihnen und experimentierte dahingehend, wie weit die gespielte Rolle sowie deren Glaubwürdigkeit von der tatsächlichen Persönlichkeit des Darstellers abdriften konnte. Dabei kam ich zu dem Ergebnis, dass eine wirkliche Glaubhaftigkeit der gespielten Rolle erst dann entsteht, wenn sich der Darbietende im Entferntesten damit identifizieren kann. Beispielsweise vermochte es ein brennender Verächter des Judentumes nicht, einen überzeugenden Shylock in Shakespeares Kaufmann darzustellen; es verschwamm lediglich zu einer grotesken Karikatur, selbst nach mehreren Hinweisen von mir. Ein badischer älterer Herr verweigerte sich mit den Worten „Keine Huldigung dem Feinde!“ sogar dem Hineinschlüpfen in die Rolle Napoleon Bonapartes.

Der Grund für die Unfähigkeit des Verstandes dieser Menschen, sich in jedweder Rolle authentisch und glaubwürdig einzufinden, ist dementsprechend ihr Verstand selbst, oder besser gesagt: ihre Persönlichkeit. Und was ist die Grundlage jedweder Persönlichkeit? Erfahrung. Und wo werden Erfahrungen gelagert? Im Gedächtnis. Daher meine These: Ohne Gedächtnis kann eine Person jedwede Rolle annehmen, selbst, wenn sie gar kein Schauspieler ist. Wichtig ist nur, dass sie ihrer Rolle Glauben schenkt, und wirklich davon überzeugt ist, die Rolle zu sein. Sie überschreitet dabei den Rahmen des Spielens, eines bewusst-veränderten Verstandes, und tritt dabei über ins Reich des passiv-veränderten Verstandes. Dieser ist passiv, da er allein durch äußere Reize erzeugt wie geformt wird und dabei keine bewusste Anpassung wie beim Schauspiel stattfindet.

Nun werden wohl die feinen Herren, wohlgeschult in Gottesfurcht und Ethikfragen, nach der Antwort darauf dursten, inwiefern solches Wissen nützlich ist; welchem Sinn es folgt, einen Menschen vollkommener Fremdbestimmung zu unterwerfen, derer er sich selbst nicht bewusst ist. Um darauf zu antworten, bedarf es Mut, denn nicht jeder ist Mann genug um zuzugeben, welcherlei Absichten man damit verfolgen könnte. Ich persönlich denke dabei an Marionettenspielereien im Sinne des Macchiavellismus. Machen wir Könige zu unseren Sklaven, machen wir die Welt zu unserer Welt. Frei von Krieg und Blutvergießen würden wir fortan für unsere Interessen kämpfen … kein preußischer König muss jemals alle deutschen Lande erobern, wenn sie sich ihm alle unterordnen. Kein Soldat muss im Kriege sein liebes Leben lassen … französische Kaiser werden unsere blanken Sohlen küssen, und liebreizende Mädel unsere Arne füllen. Hinfortgeküsst die Prüderie, ohne jemals Lippe auf Lippe legen zu müssen … ach wie mächtig jener, der den Verstand so gut studiert wie ich. Meine Werkzeuge sind unsichtbar, doch verändern sie Verstand wie Seele einem Künstler gleich, der mit Hammer und Meißel aus Marmor Leben schlägt. Bewusst, einem Plan folgend, stets das Rechte nur im Sinn … eine neue Ära der Diplomatie und Machtpolitik. Nicht der Heilige Gral der Königskunst, doch an Macht nicht zu unterschätzen.

ANTONIA:

Also … sollen wir sie entführen, ihr Gedächtnis löschen, sie mit Informationen füttern und dadurch aktiv zu einer Streiterin für unsere Sache machen?

BARON:

Ganz genau meine Liebe, ganz genau. Falls dir meine Worte zu trocken und womöglich zu hochtrabend waren, kann ich es dir auch gerne in der Praxis vorführen. Einer meiner treuesten Diener, Agrippa Wartran, experimentierte mittels dieser Methode an drei Gefangenen, und seine Berichte darüber werden sehr aufschlussreich sein.

ANTONIA:

Interessant … doch Moment, wer tritt da ein?

DRITTE SZENE

Studierzimmer des Barons

Friedrich, Baron, Antonia und Wachen (später)

FRIEDRICH:

(tritt fröhlich tänzelnd auf die Bühne) Mein Herr, mein Herr! Wie schön, Hochwohlgeboren endlich wiederzusehen! Und das sogar in einer augenschmeichelnden Zweisamkeit … guten Tag meine Dame, Friedrich Granthelm zu euren Diensten. (verbeugt sich vor Antonia)

BARON:

(etwas verblüfft) Oh Friedrich, Ihr seid ja schon zurück.

FRIEDRICH:

Jawohl Hochwohlgeboren. Keine Minute länger hätte ich es in diesen schrecklichen dunklen Gängen ausgehalten, in der Gesellschaft eines solchen Folterknechtes … und bereits im Voraus muss ich bei Euch gnädigst um Entschuldigung bitten (senkt respektvoll den Kopf) denn ich vermochte es nicht, Agrippas Treiben zu zügeln geschweige denn ihm irgendetwas anderes als das bloße Wort entgegenzusetzen. Er verfuhr mit den Gefangenen nach persönlichem Gusto, an Grausamkeit und Leidenssucht kaum zu überbieten. Den Ersten ließ er von einem unschuldigen gefolterten Mädchen erstechen, dem Zweiten schlug er beide Arme ab und den Dritten schloss er mit einem Säbel ein, niemandem sonst als dem Wahnsinn überlassen. Ich vermochte nicht, ihn auszubremsen … bitte verzeiht mir Hochwohlgeboren, ich habe versagt.

BARON:

(steht auf und stellt sich vor Friedrich) Nein, dass hast du nicht. Agrippa zu bremsen ist unmöglich; er weiß besser als wir alle, wie er seinen Willen am besten durchsetzen kann. Mir deucht, Ihr habt das bereits am eigenen Leib erfahren? (deutet auf die Schnittwunde in Friedrichs Gesicht und die durch Schläge gerötete Haut)

FRIEDRICH:

(peinlich berührt) Ja, Hochwohlgeboren, das habe ich. Doch, verzeiht meine Direktheit, wenn Ihr schon so apodiktisch vom Wesen und Handeln Agrippas sprecht und wisst … wieso schicktet Ihr mich dann zu ihm hinunter, mit dem unmöglichen Auftrag, sein Quälertemperament zu zügeln?

BARON:

Nun Friedrich, das ist ganz einfach. Ihr müsst wissen, dass ich Euch ein wenig belogen habe. Meine Intention bestand nicht darin, Agrippa durch eure Anwesenheit zu bremsen, nein. Das war nur ein kleiner Vorwand, um Euch auf das Angebot vorzubereiten, das ich Euch gleich machen werde.

FRIEDRICH:

(euphorisch) Ich wusste es! Ihr habt Höheres für mich im Sinn gehabt! Ich danke Euch bereits im Voraus! Tausend Dank, Hochwohlgeboren, schönere Worte als diese hättet Ihr mir nicht sagen können.

BARON:

Ein Quäntchen Wahrheit steckte allerdings doch in meinen Instruktionen an Euch vor eurem Absteig in die Kavernen. Ich sagte zu Euch, dass Agrippa brutaler und grobschlächtiger als die meisten Menschen ist und ich gerne eine Stimme der Vernunft an seiner Seite wüsste. Mir war klar, dass Ihr es nicht vermögen würdet, diese Stimme zu sein, doch viel wichtiger war es mir, Euch das zu zeigen, wohin solch ein schreckliches Verhalten führen kann. Ihr habt Angst in diesen Kavernen bekommen, nicht wahr Friedrich?

FRIEDRICH:

(etwas irritiert) Ja … ja Herr, Angst hatte ich dort sehr oft. Angst vor der Dunkelheit, vor den alten Wänden, den vergeblichen Schreien … und insbesondere vor dem Meister dieser Dunkelheit. Die Minuten wurden länger, je mehr Zeit verstrich, und umso größer wurde mein Wunsch zur Heimkehr nach oben, zu Euch. Doch warum sollte ich Erfahrungen im Umgang mit einem sadistischen Folterknecht sammeln? Warum sollte ich lernen, in welch ungeahnte Tiefen menschliche Triebe schlagen können?

BARON:

Weil es Teil meines Angebots ist, Friedrich. Ihr werdet es gleich verstehen.

FRIEDRICH:

Nun denn, so präsentiert mir euer Angebot. Ich warte gebannt darauf.

BARON:

Ich hätte Euch gern an meiner Seite. Nicht als Thronerben oder dergleichen, sondern als meinen Assistenten in meinen Forschungen. Wie Ihr ja wisst, strebe ich nach dem Wissen über das Wesen der menschlichen Natur, der mannigfaltigen Erscheinungen der Seele, des Geistes, versuche stetig die Wurzeln des Verstandes auszugraben … seit einiger Zeit arbeite ich dabei mit Probanden, und ich würde eine Zusammenarbeit zwischen mir und Euch sehr begrüßen.

FRIEDRICH:

(berührt) Ich? Als … als euer Forschungsassistent? Vielen Dank mein Herr, mit Freuden will Euch bei der Erlangung neuen Wissens tatkräftig unterstützen! Wie damals, als Ihr ganze Schauspielerarmeen in euer Schloss einludet und Euch wochenlang nur deren Inszenierungen angesehen habt. Ihr sagtet immer: „Keine Zeit für Besucher Friedrich, wimmelt sie ab. Ich erforsche das Wesen des Schauspiels“, wenn ich Euch über anklopfende Besucher unterrichtete. Und ich darf ein Teil davon sein? Sehr gern Hochwohlgeboren, sehr gern, mit Freuden sogar! Doch was soll ich tun?

BARON:

Etwas, das mit euren jüngsten Erfahrungen zu tun hat. Und mit meinen jetzigen Assistenten, den Ihr vor gar nicht allzu langer Zeit kennengelernt habt …

FRIEDRICH:

(vorahnend) Nein nein nein … was meint Ihr damit?

BARON:

Ich möchte Euch anstelle von Agrippa sehen. Er hat mir lange Jahre gut gedient, doch ich bin der Ansicht, dass seine Vernunft mittlerweile von reinem Wahnsinn besiegt wurde. Einer effektiven Forschung steht solch schlechte Eigenschaft im Weg; Agrippa ist viel zu emotional und fanatisch, zu obzessiv; er macht meine Forschungen zu einer Theaterbühne seiner morbiden Phantasie. Und das kann ich nicht länger dulden. Ihr hingegen seid rational, geistig vollkommen gesund und mental unverbraucht. Ihr seid loyal und tut nur das, was ich von Euch verlange. Ihr strebt nach keiner sinnlosen Ästhetik wie Agrippa, Ihr seid pragmatisch. Genau deshalb will ich Euch an seiner Stelle sehen. Ich möchte Euch zu meinem neuen Kerkermeister machen. Und ich möchte Euch zu meinem persönlichen Assistenten ernennen, Euch zu großen Ehren emporheben, sobald meine Forschungen und Visionen Ihre Wahrheit der ganzen Welt entfalten.

FRIEDRICH:

(schockiert) Nein, unter keinen Umständen will ich euer Folterknecht sein! War das, was ich heute erlebt habe, auch Teil eurer Forschungen? Was für eine kranke Ausführung, ich glaube euren Worten nicht … nein, ich will nie wieder in diese schmutzigen Katakomben hinab. Ich stieg einmal unter dem Bett hindurch hinein und wieder heraus, und das reicht für mein gesamtes restliches Leben.Mit Verlaub, Hochwohlgeboren, doch dafür werdet Ihr Euch jemand anderen suchen müssen.

BARON:

Seid Ihr Euch sicher? Mit meinem Angebot meine ich nicht, Euch Agrippa unterzuordnen, sodass er Euch herumschubsen kann, nein. Ich mpöchte Agrippa aus diesen Kavernen entfernen und Euch an seine Stelle setzen. Ihr könnt verfahren wie Ihr wollt, solange Ihr mit mir im Einklang steht. Ihr habt erfahren, wie man seine Gefangenen nicht zu behandeln hat … es hat Euch fertiggemacht. Doch nun biete ich Euch die Chance dazu, das Leben all dieser Gefangenen dort unten nach eurem Gusto zu verändern.

FRIEDRICH:

(schockiert) Nein Herr, unter keinen Umständen werde ich dies für Euch tun. Ich bin euer ergebenster Diener, aber kein Folterknecht.

BARON:

Nun gut, nun gut. Wie wäre es mit einer kleinen Erfrischung? Ihr müsst wirklich ausgetrocknet sein dort unten … und bei einem Kelch vol Wein spricht es sich angenehmer. Möchtet Ihr einen? Dabei können wir über alles reden, und Ihr könnt nochmal genau darüber nachdenken.

FRIEDRICH:

(hin- und hergerissen) Ja, in Ordnung, ich verdurste bald. Ein Kelch voll Wein ist eine nette Geste, doch ich muss nicht länger überlegen. Ich übernehme Agrippas Aufgaben nicht, niemals!

BARON:

(winkt einen Diener heran)

DIENER:

(betritt die Bühne mit einem Tablett mit zwei Kelchen voll Wein; hinter Friedrichs Rücken träufelt er eine dubiose leuchtende Flüssigkeit in einen Kelch)

BARON:

Nun gut Friedrich, ich kann Euch nicht zwingen. Doch wisst Ihr, was ich kann? Mit Euch auf gute Gesundheit trinken! (nimmt sich einen Kelch mit Wein)

FRIEDRICH:

(erleichtert) Vielen Dank mein Herr! (nimmt sich den mit Flüssigkeit versehenen Kelch) Auf eure Gesundheit!

BARON:

Und auf die eurige! (trinkt einen großen Schluck aus seinem Wein)

DIENER:

(tritt von der Bühne ab)

FRIEDRICH:

(trinkt einen Schluck aus seinem Wein, schaut sich plötzlich panisch um, bis er nach einigen Sekunden leblos nach hinten sackt und ohnmächtig zu Boden fällt)

BARON:

Wachen!

WACHEN:

(treten ein) Hochwohlgeboren, Ihr habt gerufen?

BARON:

Ja. Bitte geleiten sie diesen Herren hier in den Kerker des Schlosses. Übergeben sie ihn einer Wache dort und sagen sie Ihr, dass dieser Mann für die Obhut von Agrippa Wartran bestimmt ist. Und sagt der Wache, sie möge Agrippa ausrichten, dass ich morgen eine Audienz mit ihm wünsche. Wir haben einiges zu bereden.

WACHEN:

Jawohl mein Herr. (heben den bewusstlosen Friedrich hoch und verlassen mit ihm die Bühne nach links)

VIERTE SZENE

Studierzimmer des Barons

Baron und Antonia

ANTONIA:

(süffisant) Wer war denn dieser junge Herr? Friedrich Granthelm, dein treuester Diener … euer Angebot hat ihm wohl nicht sonderlich gefallen. Selten fallen Männer durch Worte bewusstlos zu Boden … du bist wahrlich ein Meister darin.

BARON:

Sei nicht so süffisant. Er ist nicht aus eigenem Antriebe heraus zu Boden gefallen; ich habe meinem Diener ein Zeichen gegeben, seinem Weinkelch eine spezielle Zutat beizumengen. Eine gute Dosis davon, damit sie auch ihren Zweck erfüllt. Und wie ich es sehe, wird sie das vorzüglich tun. Was du gerade gesehen hast, ist der erste Schritt meiner Strategie, den ich dir vorhin so tiefgreifend erörtert habe. Beigemengt wurden dem Wein ein starkes Betäubungsmittel und eine hauseigene Kreation, von mir selbst entwickelt: ein Nervengift, dass einem tosenden Flusse gleich die Erinnerungen durchspült und nichts als Sprache und Bewusstsein zurücklässt. Ich nenne es Nobuprofundum, wie mein Schloss: Wolkentief. Selbst den stärksten Willen vernichtet meine Kreation, und lässt nur eine reine Masse zurück, die nach Belieben geformt und verändert werden kann.

ANTONIA:

Also ist dieser Trank der Schlüssel zu deiner Strategie? Interessant … für meine Rückkehr sollte ich mich damit eindecken, einen großen Vorrat mit in meine Heimat nehmen. Nebst dem Rezept dafür, versteht sich. Doch wieso hatte dein Diener es direkt so griffbereit? Gehört es zu seinen Pflichten, im Notfall Weine mit deinem Nobuprofundum zu vergiften?

BARON:

(lachend) Nein, natürlich nicht. Mir war nicht ganz klar, wie Friedrich auf mein Angebot reagieren würde, und um sicher zu gehen, habe ich Vorsorgen getroffen. Will er nicht der Jäger sein, mache ich ihn eben zum Gejagten. Sein Wissen um die Vorgänge tief unter meinem Schloss ist viel zu gefährlich als dass es diese Mauern jemals wieder verlassen kann … du verstehst bestimmt, weshalb ich mich dabei absichern musste. Eigentlich ist es eine Tragödie; ich mag Friedrich, und hätte es begrüßt, ihn an meiner Seite zu wissen. Doch immerhin wird er mir auf eine andere Art und Weise assistieren; dir im Übrigen ebenfalls.

ANTONIA:

Mir auch? Was habe ich denn mit deinem in Ungnade gefallenen Diener zu tun?

BARON:

Nun, für die Durchführung der von mir erarbeiteten Strategie bedarf es nicht allein theoretischen Wissens, sondern auch praktischer Erfahrung damit. Wie sagte schon Immanuel Kant? „Theorie ohne Praxis ist leer, Praxis ohne Theorie ist blind“. Dementsprechend musst du erst einmal meine Methoden mit der eigenen Hand erproben, bevor du sie in Saberón an Alejandra anwenden kannst. Die Gelegenheit, die sich uns beiden gerade bietet, ist schicksalsgewoben; Friedrich ist der perfekte Übungsgegenstand dafür.

ANTONIA:

Also sagst du mir, ich soll alleine in deine finsteren Kerker niedersteigen und das mit dem Mann tun, was dieser nur beobachtet hat? Nach rosigen Aussichten klingt das wahrlich nicht … doch zur Realisierung unserer Visionen werde ich alles Nötige tun; und wenn ich dafür eine Ratte gebären müsste.

BARON:

Gut gut, ich weiß um deine Hingabe, und begrüße sie sehr. Es gibt keinen Grund für so … lebhaften Sprachgebrauch. Und hab keine Angst; auf diesem Erfahrungsweg werde ich dich begleiten; du bist mir viel zu wichtig als dass irgendeiner der Wachen oder Folterknechte auch nur die Möglichkeit dazu erhalten, Hand an deinen schönen Körper zu legen und dir Leid zuzufügen. Du hast gesehen, wie geschunden mein Diener Friedrich war … und ich mag mir nicht vorstellen, was sie dort unten mit den Frauen machen.

ANTONIA:

Ich würde ja sagen, dass ich nicht die Unterstützung eines gichtkranken alten Mannes brauche und mir in Stärke viele nicht das Wasser reichen können. Allerdings ist deine Gesellschaft immer ein Genuss, und wer wäre ich, das Angebot eines Barons abzulehnen, mich zu eskortieren?

BARON:

Töricht wärst du dann. Du kennst meine Folterknechte nicht, noch weniger ihr Oberhaupt. Es wundert mich tatsächlich, dass Agrippa Friedrich nichts Schlimmeres angetan hat … wahrscheinlich hat Friedrichs direkter Draht zu mir seine Leidenslust in Grenzen gehalten.

ANTONIA:

Ja ja, ich verstehe dich. Wann beginnen wir? Heute noch?

BARON:

Nein meine Liebe. Friedrich wird mindestens bis zum morgigen Abend ausschlafen, und wird etwas Zeit brauchen, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Ohne Gedächtnis ist ein jähes Erwachen furchterregender als man glauben würde; gerade in der dunklen Einsamkeit der Kavernen unter uns. Das bedeutet, wir werden nicht vor Übermorgen den Weg nach dort unten antreten. Bs dahin haben wir ausreichend Zeit, die Theorie zu vertiefen, in Erinnerungen zu schwelgen … und der alten uns so lieblich vertrauten Nabelmagie zu widmen.

ANTONIA:

(kokett) Lassen wir diese Formalitäten und Forschungen … konzentrieren wir uns auf unsere Leidenschaften. (küsst ihn)

FÜNFTE SZENE

Kerkerzelle der Gefangenen. An der Wand außerhalb der Zelle lehnt eine Gitarre.

Agrippa, Folterknechte und Friedrich (bewusstlos)

FRIEDRICH:

(liegt bewusstlos in der Zelle auf einem der drei Betten)

FOLTERKNECHTE:

(stehen vor der Kerkerzelle und warten auf Agrippa)

AGRIPPA:

(kommt nach einiger Zeit von recht auf die Bühne und ergötzt sich sichtlich am Anblick des bewusstlosen Friedrich)

Haha, und so schnell ist der Bückling wieder unter meine Fittiche geraten! Wie ich es mir dachte, wie ich es mir dachte … er hat sich bestimmt geweigert, dem Baron einen grotesken Gefallen zu tun, und wurde mir zur Bestrafung überlassen … (schmutziges Gelächter) Wie ich es vorhergesehen, wie mir meine Knochen die Zukunft schon verraten haben … oh mein werter Friedrich, mit Euch werde ich viele Späße treiben, oh ja ja … kein so schnelles Ende wie bei unseren drei heutigen Ehrengästen, sondern eine langsame und sich dehnende Bestrafung … wofür ich Euch bestrafe, überlege ich mir noch. Wach werde ich in meiner Koje liegen, und mir ausmalen, mit welchen schönen Methoden ich Euch vollkommen brechen kann … wie weit ich Euch dehnen kann, zu was ich euch formen kann … oh ja, euer Erwachen wird ein Schreckliches sein … genießt nur euren Flutenschlaf, der eure ganzen Erinnerungen und Gedanken hinfortspülen wird … es wird die letzte Ruhe sein, die Ihr hier unten jemals erleben werdet (finsteres Gelächter)

FOLTERKNECHT 1:

Meister, wie lange wird es dauern, bis er erwachen wird?

AGRIPPA:

Viel länger als einen Tag. Rechnet nicht vor Übermorgen damit.

FOLTERKNECHT 1:

Nun gut.

FOLTERKNECHT 2:

Meister, all unsere Pflichten sind erledigt. Die täglichen Folterungen der regulären Folteropfer sind durchgeführt, Nahrung wurde ausgeteilt, ebenso wie etwas Wasser, die Instrumente sind gereinigt, das Lampenöl erneuert, die Fackeln ebenfalls, und die Abfälle eures heutigen Schaffens wurden ebenfalls entfernt. Die Arme liegen dort hinten, falls Ihr noch etwas mit ihnen vorhaben solltet.

AGRIPPA:

Sehr gut Knechte. Ihr könnt Euch nun ausruhen und etwas essen. Morgen werden wir viel vorbereiten müssen … sehr viel.

FOLTERKNECHT 3:

Aber Meister, Ihr habt versprochen, wieder etwas mit uns zu singen und ein Fass Wein nach hier unten bringen zu lassen. Ihr sagtet: „Am Tage des Herrn, wenn der Abend naht, singen und trinken wir auf unsere Gesundheit und die Qualen unserer Opfer“, oder habt Ihr das bereits vergessen?

AGRIPPA:

(schelmisch grinsend) Nein, natürlich nicht. Was wäre ich denn für ein Meister, wenn ich nicht für meine Knechte sorgen würde? (geht kurz hinter die Bühne und kehrt mit einem großen Weinfass wieder) Hier ist euer Wein (geht zur Wand und nimmt die Gitarre in die Hand). Und singen können wir auch; zum Singen hat man immer Zeit. Obgleich ich das Gefühl nicht loswerden kann, dass wir unter uns viel öfter singen, seitdem mir der Baron vor einiger Zeit diese Gitarre hier schenkte. Ein Geschenk seiner spanischen Liebhaberin … mit einem wundervollen Klang, der es vermag, selbst diese düsteren Hallen mit Freude zu versehen. Zumindest Freude in uns Folterknechten.

FOLTERKNECHTE:

(jubeln, zücken ihre Becher, nehmen dem Fass den Deckel ab und tauchen ihre Becher hinein) Sodenn lasst uns singen und trinken Brüder!

FOLTERKNECHT 2:

Wie wäre es mit „Fridericus Rex“?

FOLTERKNECHT 1:

Nein, das ist zu langweilig … vielleicht „O König von Preußen“?

FOLTERKNECHT 3:

Nein nein, dies sind Lieder für später. Lasst uns mit unserem eigenen Lied beginnen, „In Kavernen voller Schmerzen“!

FOLTERKNECHT 1:

Oh ja, fabelhafte Idee!

FOLTERKNECHT 2:

Sehe ich auch so … ein besseres Lied gibts auf Erden nicht! (trinkt einen großen Schluck Wein)

AGRIPPA:

(setzt sich mit der Gitarre auf den Boden und macht einige testweise Anschläge) Wollen wir?

AGRIPPA:

(fängt an zu spielen)

AGRIPPA UND FOLTERKNECHTE:

(zur Melodie von „In das Dorf auf bunten Wagen“)

In Kavernen voller Schmerzen zieht gefang’nes Volk hinein

/: Folterknechte fröhlich singen, todgeweihte Männer schrei’n /:

Männer und auch schöne Frauen, Folteropfer leiden jäh,

/: Blut’ge Waffen blitzen fröhlich, Menschenfleisch ist wirklich zäh /:

Schreie, die man nie mehr vergisst dehnen sich gar quälend lang

/: Tiefe Stimmen närrisch flehen, summen einen schönen Klang /:

Frauen, die zu Jesus beten, reißen wir den Busen raus

/: In die Suppe, Salz und Pfeffer, ist ein feiner Zungenschmaus /:

Alte Mauern singen leise, singen leis‘ von Tod und Leid

/: Kehlen ächzen Todeswünsche, unter Füßen brennt ein Scheit /:

Lange Nächte, schwärze Lüfte, langsam kriecht der Tod hinein

/: Scharfes Messer, tote Glieder, martern wir die Seelen klein /:

Aus den Fläschchen Dämpfe tropfen, schweres Nervengift zuhauf

/: Leere Schädel ohne Wissen füllen wir mit Lügen auf /:

ENDE DES FÜNFTEN AKTES

ENDE DES DRAMAS

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