Bizarro FictionGeisteskrankheitMittel

Sisyphus

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Das erste Photo, mit dem auch
gleichzeitig die größte Scheiße in meinem Leben begann, fand ich säuberlich
versiegelt in einem Umschlag zwischen den Rechnungen in meinem Briefkasten.

Ich wohnte in diesem kleinen Haus schon seit
einigen Jahren, ohne dass irgendwas passiert war, das man als merkwürdig
bezeichnen könnte. Es war genau so normal
und langweilig wie die anderen Häuser in der Straße. Ich habe es mir von
dem Erbe meiner Großtante kaufen können, einer Person, der ich nie lebend
begegnet bin. Warum sie gerade mir diese Unsummen von Geld gegeben hat, weiß
ich nicht, immerhin war ich nicht ihre letzte lebende Verwandte. Um
Missverständnissen und möglichen Fehlinterpretationen vorzubeugen: Nein, sie
ist es nicht gewesen, die mir diese Nachrichten vom Jenseits des Grabes
geschickt hat. Das weiß ich aus zwei Gründen. Erstens: Mein Vater, den ich
schon ewig nicht mehr gesehen habe, hat mir nach ihrem Tod viel von ihr
erzählt, was für eine Seele von Mensch sie war und dass sie nicht einmal
auf  einen Käfer treten konnte, ohne sich
schlecht zu fühlen. Ich glaube meinem Vater und ich denke nicht, dass er sich
in ihr getäuscht hat. Und zweitens: Das, was mich seit Monaten terrorisiert, muss
schon vor Jahrzehnten jedwede Menschlichkeit verloren haben.

Für die Dame des Heimes, war das
einzige, was auf dem Umschlag stand, in einer schönen alten Frauenhandschrift,
wie die aus dem Mittelalter oder so. War ich damit gemeint? Ich meine, ich bin
nicht gerade eine Person, die man als Dame bezeichnen könnte, aber ich war auch
die einzige Bewohnerin dieses Hauses. Stirnrunzelnd öffnete ich den Brief, um
festzustellen, dass es keiner war. Es war das schwarzweiße Photo einer
Hausfliege in Großaufnahme, so, dass mich ihre großen Facettenaugen    anstarrten. Verwirrt drehte ich das Bild
um. Auf der Rückseite war nur ein Zeile geschrieben, in der gleichen
Handschrift, wie auf dem Umschlag, wenn auch um einiges gehetzter. Wer
widersteht der Schönheit des Wahnsinns? König Sisyphus? Scharfe Klingen,
scharfe Klingen, scharfe Klingen.

Verdutzt entfernte ich mein Gesicht ein
Stück von dem Photo, wie als ob ich einen Sicherheitsabstand haben wollte. Was
zur Hölle hielt ich da in meinen Händen? Nach kurzem Überlegen kam ich zu dem
Schluss, dass es sich um den geschmacklosen Witz eines Neunjährigen handeln
musste und ging kopfschüttelnd wieder ins Haus. Hier passierte die erste Sache,
die… komisch war. Als ich die Schwelle passierte, fiel im gleichen Augenblick
ein Buch aus meinem Bücherregal und landete dumpf auf dem Teppichboden. Okay,
das war schon ein wenig unheimlich, aber ich hielt es für einen Zufall und warf
das Photo in den Müll. Ich fühlte mich bestätigt, denn den ganzen nächsten
Monat geschah nichts. Ich hatte echt keine Ahnung, dass es gerade erst
angefangen hatte.

Bis ich den zweiten Umschlag fand, genau
dreißig Tage nach dem ersten. Diesmal befand sich in ihm kein Photo und er lag
auch nicht in meinem Briefkasten. Ich fand ihn auf meiner Fensterbank, er war
etwas verbrannt an der linken Ecke. Entnervt riss ich ihn auf und blickte dem
gezeichneten Gesicht eines Affen entgegen, eines Gibbons, wie ich später durch
das Internet herausfand. Trotz meiner Wut bewunderte ich die realistische Arbeit,
jedes Haar war einzeln gemalt und das Tier wirkte irgendwie… traurig. Nicht
im Sinne wie ein Mensch traurig gucken würde, eher verängstigt, verwirrt.
Wieder eine Notiz in gehetzter Schrift auf der Rückseite. Die Äffin vermisst
ihre Kinder. Doch ihre Brut ist verloren. Gehäutet von meinen süßen Kleinen.
Abgekocht. Verdorrt. Zerkratzt bis auf das Mark. Du musst etwas für mich tun.

   Dieses
Mal behielt ich die Nachricht, ich wollte etwas der Polizei zeigen,
falls sich diese Briefe häufen würden.

Noch am selben Abend geschah es. Ich hatte
mir gerade etwas zu essen gemacht und wollte zurück ins Wohnzimmer gehen, um
einen Film zu sehen, der bereits angefangen hatte. Ich schwöre dir, ich habe
noch nie in meinem Leben so laut geschrien wie in diesem Moment, als ich die
Wand sah, die mit schwarzen öligen Buchstaben beschmiert war, die zu sehr
verlaufen waren, als dass ich sie hätte lesen können. Der Gedanke, dass die
Person, die mir diese Bilder geschickt hat in meinem Haus war, und dass sie
geschickt genug war, um so etwas in wenigen Sekunden zu machen, löste eine
Welle von Panik und Ekel in meinem Körper aus. Ich wählte den Notruf, noch
während ich aus dem Haus rannte und schilderte ihnen so gut wie möglich meine
Situation. Draußen erbrach ich mich, so geschockt war ich von meiner eigenen
Unaufmerksamkeit. Zitternd wartete ich auf den Streifenwagen.

Als die Polizei schließlich kam,
durchsuchten einige das Haus, während ein anderer meine Aussage aufnahm. Ich
konnte nicht viel sagen, ich hatte ja kaum auf die Wand gesehen, ehe mich mein
Instinkt aus dem Raum scheuchte. Ein Beamter kam aus meinem Haus, sein
Gesichtsausdruck war neutral, vielleicht etwas mürrisch. „Wir haben keinen
Eindringling in ihrem Haus gefunden.“, sagte er, „Ebensowenig eine Nachricht an
der Wand.“

Was? Das konnte nicht sein. Die Farbe war zu
dunkel, um keine Spuren an der weißen Tapete zu hinterlassen. Mir wurde klar,
in welcher Situation ich mich befand, als ich den Blick sah, den die Polizisten
für einen Moment wechselten. Von allen Dingen, die ich erlebt habe, brannte
sich dieser Blick besonders in mein Gedächtnis, denn es war mehr als nur ein
Augenkontakt. Es war eine Frage. Ein Zweifeln. An meinem Verstand.

Der Rest des Abends war sehr peinlich.
Irgendwie musste ich ja erklären, warum ich 110 gewählt hatte, während ich
barfuß im Februar nach draußen rannte, um dort zu kotzen. Mir kam der Gedanke,
ihnen das Affenbild zu zeigen, aber ich konnte mich nicht genau erinnern, wo
ich es hingelegt hatte und wenn ich es nicht hätte finden können, würde sich
das noch schlechter auf meine Lage auswirken. Sie beließen es bei einer
Verwarnung und gingen nach ein paar Stunden. Ich schlief erschöpft auf der
Bettdecke ein, nachdem ich mich versichert hatte, dass die Tür verschlossen
war. Ich möchte noch einmal hervorheben, dass sie wirklich zu war und dass ich
keine großen Fenster in meinem Schlafzimmer habe. Und als ich aufwachte, da…
nun, was mit dem Bild einer Fliege angefangen hatte und sich zu einem traurigen
Affen entwickelte wurde zu einem Haufen Zähne. Menschlicher Zähne. Große
von Kaffee und Rauch gefärbte Kalkklumpen, die an den Wurzeln noch blutig
waren. Sie waren im Muster eines achtzackigen Sterns angeordnet, in deren
Zentrum ein Zettel lag. Ich schrie, wenn auch nicht so laut wie bei der Wand
und sprang aus dem Bett. Als ich merkte, dass meine Tür abgeschlossen war und
dass mein Schlüssel nicht passte, begann ich an ihr zu kratzen, ich schlug auf
sie brüllend ein, bis meine Hände blutig waren. Ich hab keine Ahnung, wie lange
das gedauert hat, vielleicht nur
Minuten, die mir wie Stunden vorkamen, oder Stunden, die eine Ewigkeit
waren. Irgendwann merkte ich, dass es zwecklos war. Das hier war kein Traum,
dafür war der Schmerz zu echt. Man würde mich nicht raus lassen, bis ich das
tat, was von mir erwartet wurde. Ich brauchte einen Moment, ehe ich mich genug
gesammelt hatte, um den Zettel zu lesen. Er war am sorgfältigsten geschrieben,
jedenfalls sauberer, als die beiden anderen.                 

Schwarzes Wasser. Heiß. Ätzend. Ein Löffel rote Galle, nicht mehr, nicht weniger. Knochen von ungezogenen Kindern. Drei Schädel von allwissenden Krähen. Rattengift. Eine halbe Stunde köcheln lassen. Geruch geht durch die Nase, in den Schlund, bis zum Herzen, in die Fingernägel. Knisterndes Feuer, gieriges Feuer. Zwei Münzen von den Augen eines Toten. Haut einer verwaisten Viper. Haut? Schneller, Schneller! Fett einer alten Jungfer, Fett, Fett, Fett! Dampf steigt auf. Lieder erklingen. Das Auge eines blinden Kraken. Salz für einen guten Geschmack.

Als ich den letzten Satz beendet hatte, öffnete sich die Tür von allein.

Seit dieser Nacht ist mein Leben die Hölle.
Die Christen haben unrecht. Die Hölle ist kein Ort des Feuers und der
körperlichen Qualen. Sie ist auch keine Leere oder eine allumfassende
Dunkelheit. Sie ist die Willkür. Das Chaos, das mich als Spielball benutzt.
Eine sinnlose Folter meines zerbrechlichen Verstandes. Weißt du, wie es sich
anfühlt, wenn der Boden unter deinen Füßen sie in rohes Fleisch verwandelt?
Wenn eine unsichtbare Person nicht aufhören will, in dein linkes Ohr zu lachen?
Ich bin mir seit dem Vorfall mit den Möbeln sicher, dass meine Peinigerin das
macht, weil es ihr Spaß macht. Ja, ich glaube, dass es eine Frau ist, etwas,
was sich als weiblich ausgibt. Manchmal sah ich sie in meinen Augenwinkeln, als
ich noch zur Arbeit gehen konnte, mal als uralte Bettlerin, umhüllt in teurer
Kleidung, an der sich die Maden gütlich tun, mal eine blonde Schönheit mit
Vogelkrallen statt Händen. In meinem Haus nimmt sie keine Gestalt an, das wäre
eine überflüssige Machtdemonstration. Was zur Hölle ist sie nur? Vielleicht ja
der Teufel selbst. Oder ein Geist, möglicherweise auch ein Dämon oder so ’ne
Scheiß. Ich kenn‘ mich damit nicht aus. Der Begriff Hexe trifft es wohl
am besten.

Wenn andere mein Haus betreten, verschwindet
alles wieder. Für mich und für sie. Damit scheidet jeder Versuch, die
Gesundheit meines Verstands zu beweisen, von vorneherein aus. Die vielen
Klebezettel zum Beispiel, die sich über Nacht in meinem Flur gebildet hatten,
waren weg, als der Postbote an meiner Tür klopfte, um mir eine Zeitschrift voll
mit hautlosen Models zu bringen, die aus ihren Augenhöhlen schwarze Pampe
ausbluteten. Kaum, dass er gegangen war, hingen sie wieder an allen Wänden, auf
jedem stand das Wort Ekel in einer unterschiedlichen Sprache. Ich habe
mir nicht die Mühe gemacht sie abzunehmen, es sind einfach zu viele und sie
hängen teilweise zu hoch. Sie hängen immer noch da.

Jeden Morgen wache ich neben diesem Brief
auf, auf dem das Rezept steht, was in der ersten Nacht erschienen ist. Die
Türen in meinem Haus lassen sich erst öffnen, wenn ich es laut vorgelesen habe,
andernfalls sind sie verschlossen oder ganz weg. Ich kann es mittlerweile
auswendig. Schwarzes Wasser, heiß, ätzend, und so weiter.

Aber all das ist nicht mehr schlimm. Es ist
nicht schlimm, dass ich jeden Tag Bilder von entstellten Tieren und Menschen
bekomme. Es ist nicht weiter schlimm, dass ich nicht mehr nach draußen gehen
kann ohne zu sehen, wie alle Gebäude in meiner Umgebung in Flammen aufgehen,
während riesige Geier das brennende Fleisch der Menschen aus der Asche fischen.
Es ist nicht einmal schlimm, dass ihre kleinen Helfer durch mein Mauerwerk
huschen und jeden meiner Schritte beobachteten. Erst dachte ich, es wären
gewöhnliche Ratten, bis ich eines Tages ihre Fußabdrücke im Staub sah. Ratten
haben nur vier Beine.

Nein. Das Schlimmste, was ich durchmachen
muss, sind die Veränderungen an meinem Körper. Erst waren es nur Kleinigkeiten.
Mein linker Daumennagel fiel mir aus, als ich den allmorgendlichen Brief aus
Frust zerriss. Das war nichts weiter als eine Warnung. Wenn ich sie wirklich
wütend mache, passieren andere Dinge. Einmal bin ich aufgewacht, mitten in der
Nacht und fühlte einen leichten Juckreiz am rechten Unterarm, der nicht
weggehen wollte. Ich ging ins Badezimmer, um es mir genauer anzusehen, und als
ich das Licht anmachte… Kannst du dir vorstellen, wie es ist, wenn du merkst,
dass Federn auf deiner Haut wachsen. Nicht viele, vielleicht fünf, sechs
schneeweiße Daunen, die sich nicht ausreißen lassen. Ich begann zu weinen, als
ich die Wörter sah, die mit Lippenstift quer über den Spiegel geschrieben
standen. Nichts hätte mich in diesem Moment mehr zur Verzweiflung bringen
können als „Vogel im Topf“.

Ich habe zwei Erklärungen, warum mir das
alles passiert. Was heißt Erklärungen, es sind viel mehr Ansätze. Entweder ich
habe ein Psychose, eine richtig schlimme, etwas, woran ich bald sterben werde.
Das ist die realistische Variante. Hoffentlich hab ich damit recht. Oder… ich
habe eben keine Psychose. Diese Vorstellung ist so viel unerträglicher.

Ich wüsste nicht, wie ich mich noch retten
könnte. Ich bin schon zwei Mal umgezogen, aber sie hat mich verfolgt, mich zur
Bewusstlosigkeit getrieben und ich bin wieder in meinem alten Bett aufgewacht.
Soziale Kontakte habe ich auch seit ein paar Wochen nicht mehr, meine Eltern
glauben wahrscheinlich, ich sei jetzt ein Junkie oder so. Die einzige lebende
Verbindung, die mir geblieben ist, ist dieses… Ding! Dieses beschissene Vieh,
was mich aus purer Lust foltert, mich quält, mich verändert. Ich glaube, ich
weiß schon länger, dass ich verloren bin.

Heute Morgen bin ich von der Kälte
aufgewacht. Das Glas Wasser, was auf meinem Nachttisch stand, war komplett
gefroren. Von draußen kann es nicht kommen, ich habe die Fenster seit langem
verriegelt. Vielleicht werd‘ ich paranoid. Ich war überrascht, weil sich kein
Brief in meinem Zimmer befand und die Tür ließ sich auch normal öffnen. Muss
wohl ein neuer Trick sein. Desinteressiert an allem ging ich ins Wohnzimmer.
Durch die Glastür zur Terrasse, die mein einziger Blick zur Außenwelt und
Notfallfluchtweg zugleich ist, beobachtete ich, wie ein Schwarm Heuschrecken
die Stadt auffraß und große Atompilze in den Himmel stießen. Das ist nicht
echt, versuchte ich mir einzureden, Nicht echt! Ihre Spione gaben keine Ruhe,
also warf ich ihnen das letztes Steak aus meiner Kühltruhe hin. Morgen muss ich
einkaufen. Bald wird das Geld knapp werden. Zum ersten Mal seit langer Zeit zog
es mich zum Computer. Seit einem Monat funktioniert weder er noch der
Fernseher. Unterhaltung könnte mich ja ablenken. Auch diesmal war er aus und
ich konnte mein Spiegelbild im Display erkennen.

Was ich sah, brachte mich nicht zum Schreien,
lediglich ein kurzer verwirrter Laut entkam meiner Kehle. Zum einen stand stand
Ungezogen auf der Tür hinter mir, in Spiegelschrift verfasst, so dass
ich nicht umdenken musste, um es zu lesen. Zum andren… ich weiß nicht recht,
wie ich es beschreiben soll. Aus meinem Kopf wuchsen so etwas wie Stacheln,
lange weiße Dornen, die wie die Spitzen einer Krone aussahen. Sie brachten
meine Haut zum Kribbeln. Ich musste sie nicht anfassen um zu erkennen, dass sie
aus Zahnschmelz waren. Ein kurzes Abtasten meines Mundraums mit meiner Zunge
bestätigte das. Wir originell! Ich spürte, dass ich weinte, aber ich war nicht
traurig, nicht verzweifelt. Ich war einfach leer, hatte in den letzten Tagen so
oft geflent, dass es zu einem Reflex wurde.

Da saß ich also und dachte: „Du dumme
Schlampe! Glaubst du, davon wird es besser?“ Mein Computer schaltete sich von
allein an. Mir doch egal. Soll sie mich ruhig töten, quälen kann sie mich ja
nicht mehr. Gelangweilt beobachtete ich, wie sich ein Name immer und immer
wieder von allein schrieb, ohne dass meine Finger auch nur in der Nähe der
Tastatur waren.

Sisyphus.

Ich weiß, was sie damit meint. Sie hat es
mir ja förmlich eingeprügelt. Ich bin Sisyphus geworden, oder war es seit dem
Photo von der Fliege. Ich versuche jeden Tag, sie zu ignorieren und jeden Abend
schafft sie es, mich ein Stück mehr zu brechen. Eine unlösbare Aufgabe.
Obwohl… natürlich gäbe es da ja noch diesen einen Ausgang.

Ich habe dir nie erzählt, was ich sehe, wenn
ich schlafe, oder? Eigentlich nicht viel, aber ich höre dann ihre Stimme, die
normal mit mir spricht. Sie erzählt mir Geschichten von ihren Reisen in die
sechste Dimension und wie sie den Kontinent Pangäa aufbrach. Fast schon
freundlich fragt sie mich dann, wie lange wir dieses Spiel noch spielen müssten
und ob ihre Bedingungen nicht klar genug wären. Ich verstehe sie, schon vor
einer Ewigkeit habe ich verstanden. Ich glaube, ich habe dich angelogen. Sie
tut es nicht aus Spaß. Ihr Körper ist zu alt und zu verstreut, um noch einen
Kochlöffel in die Hand nehmen zu können. Und dieses letzte Lied muss erklingen!
Vor einer Woche fand ich im Keller diesen Kessel, ein hässliches altes Ding,
das von zyklopischen Onyxsäulen bewacht wird. In ihm schwimmt eine seltsame
Flüssigkeit, die aussieht wie Teer. Sie ist heiß. Ätzend. Ich schätze, den Rest
der Zutaten muss ich selbst suchen.

Ich könnte es tun, weißt du? Ungezogene
Kinder und alte Jungfern jagen. Dann wäre ich frei. Man kann vieles über sie
sagen, aber ich halte sie für ehrlich. Ich könnte diese Chance nutzen. Ich
könnte der Hölle der Willkür entkommen. Ich könnte.

Aber solange ich noch etwas geistige
Gesundheit besitze, werde ich dieses Haus nicht mehr verlassen. Zu groß ist die
Gefahr, dass ich einen Menschen töten könnte und das wäre egoistisch, nicht
wahr? Nein. Ich bleibe hier. Eigentlich… ist mein Leben im Moment ganz in
Ordnung. Sie hat nur Kontrolle über mich, also geht es meiner Familie gut. Und
ich habe alles gesehen, womit man einen Menschen seelisch foltern kann. Mir
kann sie nicht mehr weh tun. Irgendwie ist es ja ganz unterhaltsam. Vielleicht
wird es ja eines Tages sogar erträglich. Vielleicht…

Die Heuschrecken müssen einen Weg ins Haus
gefunden haben, die Luft ist voll mit ihren schwirrenden gierigen Körpern. Ich
reagiere nicht, als die Dornen weiter aus meinem Schädel hervor wachsen. Wenn
meine Zunge nicht so schlapp und verwest aus meinem Mund hängen würde, ich
würde lachen. Ihre kleinen Mäuler kitzeln ein wenig.

Was gibt es noch, was ich sagen könnte? Ich
bin König Sisyphus. Und jetzt bin ich gekrönt.

Bewertung: 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Überprüfen Sie auch
Schließen
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"