„Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht.“ Marie sang mit ihrer älteren Schwester zusammen das Weihnachtslied und sie fühlte sich einem Engel gleich, wie sie da stand mit ihrem langen lockigen blonden Haar und dem weißen Kleid, das Mutter ihr nur zu besonderen Anlässen zu tragen erlaubte. Dies war ein besonderer Anlass, es war der Heilige Abend und die ganze Familie hatte sich daheim unter dem riesigen Christbaum versammelt. Papa und Caroline hatten den ganzen Morgen damit verbracht ihn festlich zu schmücken, die Kerzen zu verteilen und das ganze Haus in weihnachtliches Lametta zu hüllen. Überall brannten kleine Lichter und der Duft von Keksen lag in der Luft, im Ofen brutzelte der Braten und unter dem Christbaum stand die Krippe, in der das Jesuskind bereits geboren und geborgen lag.
Alles war perfekt und stolz sangen die Mädchen alle drei Strophen von Stille Nacht, über das sich besonders ihre Urgroßmutter Gerda freute. Es war einem Wunder glei...
„Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht.“ Marie sang mit ihrer älteren Schwester zusammen das Weihnachtslied und sie fühlte sich einem Engel gleich, wie sie da stand mit ihrem langen lockigen blonden Haar und dem weißen Kleid, das Mutter ihr nur zu besonderen Anlässen zu tragen erlaubte. Dies war ein besonderer Anlass, es war der Heilige Abend und die ganze Familie hatte sich daheim unter dem riesigen Christbaum versammelt. Papa und Caroline hatten den ganzen Morgen damit verbracht ihn festlich zu schmücken, die Kerzen zu verteilen und das ganze Haus in weihnachtliches Lametta zu hüllen. Überall brannten kleine Lichter und der Duft von Keksen lag in der Luft, im Ofen brutzelte der Braten und unter dem Christbaum stand die Krippe, in der das Jesuskind bereits geboren und geborgen lag.
Alles war perfekt und stolz sangen die Mädchen alle drei Strophen von Stille Nacht, über das sich besonders ihre Urgroßmutter Gerda freute. Es war einem Wunder gleich, dass sie das Weihnachtsfest noch mit ihnen feiern konnte, war sie doch nun schon fast 100 Jahre alt und sehr gebrechlich. Doch sie hatte die Kraft gefunden heute Abend noch bei ihnen sein zu können und die ganze Familie war anwesend und glücklich.
Nach dem Gesang und einem selbst geschriebenem Gedicht von Cousine Magdalena
wurde das Weihnachtsmahl aufgetischt. Es gab ganz traditionell einen Gänsebraten, dazu Kartoffelknödel und Rotkraut mit Apfelmus, Tradition wurde in dieser Familie sehr groß geschrieben.
Nach dem Essen verschwanden die Kinder aus dem Wohnzimmer, steckten in Carolines Zimmer die Köpfe zusammen und warteten gespannt darauf, dass das Glöckchen aus dem Wohnzimmer erklang. Wenn sein Klingen das Haus erfüllen würde, so wussten die Mädchen, würden sich unter dem großen Tannenbaum in gold und silber verpackt die Geschenke stapeln.
Bescherung!
Caroline freute sich wie ein Honigkuchenpferd über die Schreibmaschine, die sie sich so sehr vom Christkind gewünscht hatte, liebte sie es doch, ihre Gedanken zu Papier zu bringen und wunderschöne Geschichten zu schreiben. Auch Marie war sehr glücklich über ihre Geschenke, ein echtes Mensch-ärgere-dich-nicht Spiel, ein großer Stoffhund von Steiff, den sie Bernd getauft hatte und ein großer Teller voll mit ihrem geliebten Nougat. Nur über das Geschenk ihrer Urgroßmutter Gerda konnte sie sich nicht so richtig freuen. Aus ihrem Paket kam eine alte Puppe zum Vorschein, eine von diesen, die aussahen wie echte Kleinkinder, nur mit dünneren Gliedmaßen und den Frisuren ihrer Großmütter. Sie war aus Porzellan und hatte das gleiche goldblonde Haar wie Marie selbst. Dazu trug sie ein weißes Kleid mit Spitze. „Handgemacht“, hatte Gerda stolz verkündet und daraufhin so stark gehustet, dass Mutter sie zu Bett gebracht hatte.
Alles in allem kein schönes Geschenk für ein Kind in Maries Alter. Sie fand sie eher gruselig und schob sie weit unter den Tannenbaum. Dieses Ding würde sie bestimmt nicht mit ins Bett nehmen. Stattdessen widmete sie sich lieber ihrem neuen Stoffhündchen Bernd, aß all das Nougat von ihrem Weihnachtsteller und sah ihrer Schwester beim eifrigen Tippen über die Schulter, und weil sie selbst noch nicht lesen konnte, bat sie Caroline, ihr die geschriebenen Wörter vorzulesen. Es war eine Weihnachtsgeschichte. In der Geschichte fiel Schnee am Weihnachtsabend. „Hoffentlich bekommen wir auch noch Schnee!“, verkündete Marie gähnend, als es zu Bett ging. „Ganz bestimmt“, lächelte ihre Mutter, zog ihr die Decke bis zum Hals hoch und deckte auch Bernd sorgfältig zu, dann löschte sie das Licht, „Schlaf gut mein kleiner Weihnachtsengel.“
Und sie schlief bald ein.
Das Mädchen schreckte hoch aus tiefem Schlaf, es kam ihr so vor, als hätte sie die Augen gerade erst geschlossen, da riss sie sie wieder auf und blickte verschlafen und mit erwachendem Entsetzen in das Gesicht der Porzellanpuppe, die sie so arglos unter dem Tannenbaum hatte liegen lassen. Wieso war sie hier, in ihrem Bett?
Gänsehaut erfasste das Mädchen und in ihr stieg Angst empor. Die Puppe sah sie direkt an, aber wie konnte eine Puppe, ein lebloses Ding sie so ansehen?
„Warum liebst du mich nicht?“ Der Mund der Puppe bewegte sich nicht, doch die Stimme kam eindeutig von ihr, aus ihr heraus, hallte noch in ihrem hohlen Körper nach.
Die Augen des Spielzeugs füllten sich mit absurd wirklichen Tränen und Hass. Hass stach aus ihnen heraus, genau in das Herz des Mädchens. „Warum liebst du mich nicht?“
Das Kind schrie, schrie so laut, dass ihre Schwester im Nachbarzimmer erwachte und herüber gerannt kam.
Sie schlug die Tür auf und wollte nach ihrer Schwester sehen die aufrecht in ihrem Bett saß, in den Armen die alte Porzellanpuppe von Uroma Gerda, die am heiligen Abend das noch so ungeliebte Geschenk gewesen war.
„Ich… Ich…“, stammelte das Mädchen in ihrem Bett und blickte zur Tür, sah ihre Schwester und sprang auf. Dabei warf sie die Puppe weit von sich und sie landete am Fußende ihres Bettes zwischen den Kuscheltieren.
„Hilf mir. Die, die Puppe. Sie sagt ich soll sie lieben.“ Das junge Mädchen warf ihre Arme um die Taille ihrer älteren Schwester, die einen Seufzer vernehmen ließ und die jüngere an sich nahm.
„Du hast schlecht geträumt Marie“, sie nahm sie hoch und brachte sie zurück in ihr Bett, deckte sie zu, „Das liegt an den ganzen Süßigkeiten, die du gegessen hast. Da schläft man manchmal schlecht. Jetzt mach die Augen wieder zu, ich bin hier und passe auf dich auf, versprochen.“
Marie nickte verunsichert, sie war sich so sicher, dass die Puppe wirklich mit ihr gesprochen hatte, ihre Stimme hatte so grausam wirklich geklungen in ihrem Kopf.
Aber jetzt war vom Fußende des Bettes nichts mehr zu hören und die Erklärung von Caroline klang doch plausibel. Sie hatte wirklich viel zu viel von dem guten Nougat gegessen, am Ende war ihr richtig schlecht geworden.
Sie schloss die Augen und ließ sich von ihrer Schwester übers Haar streicheln und bald lullte Schlaf ihren Körper wieder ein und sie ließ sich von ihm in die Traumwelt treiben.
„Stille Nacht, heilige Nacht. Alles schläft, einsam wacht…“, sang eine Stimme in ihr Ohr, als Marie ihre blauen Kinderaugen wieder öffnete. Licht durchflutete den Raum, die Sonne war bereits aufgegangen und reflektierte den Schnee, der vor ihrem Fenster den Rasen im Garten bedeckte.
„Oh“, entwich dem Mädchen und es setzte sich auf, erfreut über den Anblick der weißen Pracht draußen vor ihrem Fenster. Jemand hatte die Vorhänge beiseite gezogen, damit sie es sehen konnte, das weiß, dass die Bäume, Büsche und das Gras bedeckte.
Sie streckte sich und schwang die Beine aus dem Bett, tapste mit nackten Füßen über den Holzfußboden, übersah dabei die blutroten Tropfen auf ihrem Weg hin zum Fenster und presste das Gesicht gegen die Scheibe. Ihr Atem beschlug das Glas und ihr Blick wanderte über die
glitzernde weiße Landschaft. Die Scheibe war eiskalt an ihrem heißen Gesicht, auf ihrer heißen, lebendigen Haut.
„Nur das traute hochheilige Paar. Tote Schwester mit lockigem Haar“, säuselte die Stimme hinter ihr weiter, es war die Stimme, die sie auch aus dem Schlaf geweckt hatte, mit dem Weihnachtslied, dass sie am Abend zusammen mit ihrer Schwester unter dem Baum für die Verwandschaft gesungen hatte.
Doch es war nicht die Stimme ihrer Schwester, die da sang. Maries Glieder versteiften sich und sie drehte langsam den Kopf zu ihrem Bett. Dort auf ihrem Kopfkissen mit dem hübschen Rosenmuster saß die Porzellanpuppe, die fröhlich mit dem Kopf wackelte.
Ein erstickter Schrei brach aus ihrer Kehle hervor und Übelkeit breitete sich in ihr aus. Sie war wieder da.
„Schlaf in himmlischer Ruh, schlaf in himmlischer Ruh…“, endete die Puppe, ihre Augen fixierten Marie, ließen sie nicht entkommen, diese leeren stechenden Glasaugen. Das vormals weiße Kleid der sorgfältig verarbeiteten Porzellanpuppe hatte einen dunkelroten Saum und kleine Tropfen von etwas, das wie Blut hätte aussehen können bedeckte ihre kalte weiße Haut aus Porzellan.
„Du liebst mich doch oder Marie?“, sie legte den Kopf schief und streckte die Arme aus als wollte sie kuscheln, „Du liebst mich doch oder? Jetzt, wo niemand anders mehr da ist, den du lieben kannst. Haha, haa.“
Fuchs [ghostread]