Taufe

Taufe

“Entschuldigung!”
Mike hatte sich schon seit über Fünf Minuten gemeldet, aber der Lehrer hatte ihn ignoriert. Nun drehte er genervt den Kopf in Mike’s Richtung, und zog fragen seine Augenbrauen hoch. “Ich geh pissen.” Leises Lachen war in der Klasse zu hören. “Herr Schmitt!”, der Lehrer funkelte ihn düster an. “Achten Sie auf Ihre Ausdrucksweise wenn Sie mit einer Respektsperson reden! Wollen Sie nochmal vor den Schulleiter treten?” Das Gelächter erstarb, keiner wollte den, aufgrund Mikes respektlosem Verhalten aufgebrannten Zorn des Lehrers abbekommen. “Jawohl, Sir!” Mike war aufgestanden, und hätte salutiert, wenn Kyle seinen Arm nicht festgehalten hätte. Er zog Mike ein Stück zu sich herunter. “Hast du schon mit dem Neuen geredet?” Kyle zischte die Frage leise, aber Mike verstand ihn. “Ne, der sieht aus wie ein Vollspast.” Kyle lachte.
Mike stand vor dem Pissuar und endledigte sich seines Ballastes. Er hatte es leise plätschern hören, noch bevor er seinen Gürtel geöffnet hatte. Als er fertig war, und sich die Hände gewaschen hatte, hörte er es immer noch. “Hallo?” So lange konnte keiner pissen. Er ging zurück in den Toilettenraum. Das Plätschern kam eindeutig von einer der Kabinen. Er lief langsam die Reihe entlang, bis er an der Kabine stehen blieb, bei der das Geräusch am lautesten war. Sie war offen. Er drückte behutsam die Klinke runter, und ließ die Tür aufschwingen. Er atmete erleichtert auf. Zum Glück war die Kabine leer. Wie peinlich wäre es denn bitte gewesen, wenn da jetzt einer drinnen gehockt wäre? Er ging einen Schritt hinein, und beugte sich über die Toilette. Sie war bis zur Hälfte gefüllt, da sie ganze Zeit etwas Wasser nach floss. Er drückte gegen die Oberseite der Spültaste. Sie musste etwas ausgeleiert sein, denn sobald sie in ihre Ausgangsstellung kam, hörte das Wasser auf nach zufließen.
“Setzen sie sich bitte wieder an ihren Platz.” Mike schaute kurz zum Lehrer, nickte dann nochmal kurz dem Neuen zu. Er hatte Mike, gerade als er zur Tür hereinkam, angesprochen. “Kannst du das Thema in Mathe gut? Vielleicht kannst du es mir ja erklären, wäre cool.” Mike war so verblüfft, dass er nichts sagte. Er nickte, und als der Neue ihn dankend an lächelte, lächelte Mike auch. “Wir weihen morgen den Neuen ein.” Kyle lachte leise, und stieß Mike in die Seite.
Mike nickte nur. “Das wird lustig man!” Mike schaute Kyle ins Gesicht. Er war vielleicht ganz cool drauf, allerdings auch manchmal ein echtes Arschloch. “Aber übertreibt es nicht, er ist glaub ganz nett.” Kyle runzelte die Stirn. “Du machst natürlich mit, Alter.”

Mike saß auf einer der Bänke, die auf dem Pausenhof standen. Aus den Augenwinkeln erkannte er, dass eine Person auf ihn zukam. Anders als erwartet war es jedoch nicht seine Schwester, sondern der Neue. Kyle hielt ihm die Faust hin, und der Neue schlug ein. “Was geht?” Der Neue blieb etwas unsicher vor der Bank stehen. “Alles klar, ich wollte dich fragen, wann du mal Zeit hättest, mir Mathe zu erklären.” Mike nickte und zog an seiner Zigarette. “Stimmt ja. Morgen nach der Schule?” Der Neue nickte, und ging. Mike achte auf den Pausenhof, und stand schnell auf um zu gehen, bevor er wieder Ärger bekam.
“Was geht man?” Mike gab Kyle die hingehaltene Faust. “Was ging gestern so?” Mike hob seinen Rucksack auf, als er antwortete. “Nicht viel, eine Runde Basketball. Bei dir?” Kyle lachte blöde. “Wirst du Musterschüler oder was? Mit Alex und OG gedübelt.” Kyle nickte. Er kannte die beiden. Genau so Absturz wie Kyle und, -eigentlich ja er auch. Als die Tür geöffnet wurde, kam der Neue in Mike’s Blickfeld. Er sah zu ihm herüber, und nickte ihm zu. “Was wollt ihr denn mit ihm machen?”, fragte Mike, als er sich mit Kyle hingesetzt hatte. Kyle spähte hinüber zum Neuen, und grinste. “Mumie oder Taufe, bin noch nich sicher.” Mike atmete erleichtert auf. Das war ja harmlos, wenn man bedachte, was Kyle bei neuen Schülern schon abgezogen hatte. Vor allem Mumie. Das bedeutete nur, dass sie ihn in Klopapier einrollten. Mike wurde abrupt aus seinen Gedanken gerissen. “Machst du jetzt mit oder nicht?!” Mike überlegte schnell. Bisher hatte er bei allem mitgemacht. Aber der Neue wirkte wirklich nett. “Wann macht ihr das denn?”, fragte Mike zurück. “Nach der Schule.” Mike wollte dieses mal nicht wirklich mitmachen, außerdem meinte die Schulleitung, er würde bei weiteren Auffälligkeiten von der Schule fliegen. “Ne man, darf nicht nochmal Scheiße bauen, außerdem muss ich Kathy nach Hause bringen.” Kyle lachte verächtlich. “Du scheiß Pussi. Aber ok dann mach halt nicht mit.”
Mike nervte Kyle’s herablassende Art, doch so war er nunmal. “Eins noch.”, Kyle sah ihm direkt in die Augen, “Du hast ja mal mit dem geredet. Rede später nochmal mit ihm, und sag, dass ich ihn kennen lernen möchte. Er soll nach der Schule in die Aula kommen.” Es war keine Bitte, sondern ein Kommando, das Kyle ihm gab. Als Mike nicht antwortete, schaute Kyle ihm erneut ins Gesicht. “Hast du mich verstanden?” Er klang etwas bedrohlich. Mike bejahte.
Er saß wieder auf der Bank, die Schule war seit einer viertel Stunde vorbei, dennoch hatte er schon zwei Kippen geraucht, und zog nun die dritte aus der Packung. Er sah den Neuen in seine Richtung kommen. Noch bevor dieser etwas gesagt hatte, begann Mike zu reden. “Ich kann dir heute leider nicht in Mathe helfen man. Ich muss meine Schwester nach Hause bringen, und hab auch noch was vor. Sorry.” Der neue winkte ab. “Alles gut. Weißt du vielleicht wo Kyle ist?” Mike stutzte kurz, doch dann viel ihm Kyle’s Plan wieder ein. Hinter dem neuen sah er einige Mitschüler seiner kleinen Schwester aus dem Schulhaus kommen. Er musste sich beeilen. “Ja,”, er schnippte die Zigarette auf den Boden, und hob seinen Rucksack auf. “In der Aula, da will er sich mit dir treffen.” Er sah seine Schwester aus der Schule treten. “Danke man.” Er gab dem Neuen die Faust.
Mike nahm Kathy’s Schulranzen, und Schulterte ihn selbst. “Wie war die Schule?” Kathy lachte. “Schrecklich! Es war so langweilig, das kannst du dir gar nicht vorstellen.” Mike lachte. “Glaub mir, das kann ich, heute war ein ganz gutes Beispiel.” Eigentlich stimmte es nicht, er hatte die ganze Zeit an Kyle und den Neuen denken müssen. Nun fiel es ihm wieder siedent heiß ein. Es war nicht an der Zeit sich darüber Gedanken zu machen, er brachte jetzt seine kleine Schwester nach Hause. Trotzdem, etwas flau im Magen war ihm schon. Andererseits, Kyle hatte von Mumie geredet. Etwas Klopapier schadete keinem, er musste sich also gar keine Sorgen machen. Er klickte beim Laufen einen auf dem Gehweg liegenden Stein weg. Kathy machte ein böses Gesicht. “Man Mike, der hat auch Gefühle.” Mike schaute verwirrt, und das war auch das was sie erreichen wollte. Ihr helles Lachen steckte Mike an.
Er keuchte. Natürlich war Kathy erst beim Essen eingefallen, dass sie ihr Buch in der Schule hatte liegen lassen, und nicht auf dem nachhauseWeg. Er kam schwer atmend am Schulgebäude an. Es war zum Glück noch offen. Freitags hatte keine Klasse Mittagsschule, weshalb dann oft auch schon früher abgeschlossen wurde. Doch dem war nicht so, und Tim ging durch die Tür in das Menschenleere Gebäude in die Mensa. Wie Kathy beschrieben hatte, lag es auf einer der hinteren Bänke, auf denen sie immer mit ihren Freundinnen aß. Er war am Vormittag nicht aufs Klo gegangen, und nun spürte er den Druck. Das Buch steckte er in seine hintere Hosentasche, schließlich brauchte er die Hände noch. Als er in den gefliesten Raum trat, begrüßte ihn ein leises plätschern. Er stellte sich genervt vor ein Pissuar, und erleichterte sich. Er wollte einfach nach Hause, vielleicht noch einen Dübeln oder auf eine Party gehen, aber bestimmt nicht Freitagnachmittag in der Schule sein. Er schloss die Tür, und Schritt durch die Aula, in Richtung Ausgang. Als er am Sekretariat vorbei ging hörte er eine aufgeregte Frauenstimme, die er nicht kannte, aufgeregt auf die Sekretärin einreden. Er verlangsamte seine Geschwindigkeit, blieb allerdings erst stehen, als er den Namen “Manuel” aufachnappte. Hieß so nicht der Neue? “Er hatte vor mehr als einer Stunde aus, und er ist weder Zuhause, noch hat er angerufen!” “Beruhigen sie sich, er wird nur die Zeit vergessen haben.” “Das kann gar nicht sein! Er wollte mit einem ‘Mike’ Mathe lernen, hat mir dann aber geschrieben, dass das nichts werden würde.” “Mike? Warten sie, ich schaue nach.” “Nicht nötig.” Mike stand in der Tür, neben der, fast schon hysterischen Frau. “Was meinst du? Bist du Mike?” Sie schrie schon fast, und blickte Mike aus weit aufgerissenen Augen an. “Ja, aber-” sie unterbrach ihn laut. “Wo ist er?! Wo ist mein Sohn?” Mike hob beschwichtigend die Hände. “Ich weiß es nicht!” Die Frau drehte sich von ihm weg, und brüllte weiter auf die Sekretärin ein. Er war unwichtig für Manuel’s Mutter wenn er nichts wusste. Er schritt aus dem Sekretariat. Erst jetzt begriff er was ihm gerade vermittelt wurde. Manuel war nicht nach Hause gekommen. Er war nach der Schule nicht nach Hause gekommen. Er war nach Kyle’s Einweihung nicht nach Hause gekommen. Mike’s Kopf begann zu hämmern. Eine dunkle, und böse Vorahnung packte ihn, und machte ihm das Denken schwer. Es war, als fülle sich sein Kopf mit schwarzem Rauch, durch den er seine Gedanken kaum erkannte. Es zuckte ihm immer wieder schmerzhaft durch den Kopf.
Manuel war nicht nach Hause gekommen.
Er versuchte sich zu erinnern, was Kyle gesagt hatte. Er hatte ihn gefragt, ob er mitmache.
Manuel war nicht nach Hause gekommen.
Er war sich unsicher gewesen. Manuel war schließlich wirklich nett. Er hatte Kyle etwas gefragt, aber was?
Manuel war nicht nach Hause gekommen.
Er hatte gefragt, was sie vorhatten!
Manuel war nicht nach Hause gekommen.
Kyle hatte zu Manuel geschaut, und gelächelt. Manuel war nicht nach Hause gekommen.
Er hatte gesagt, Mumie oder-
Manuel war nicht nach Hause gekommen.
Oder… Es fiel ihm nicht ein.
Manuel war nicht nach Hause gekommen.
Er versuchte sich an andere zu erinnern, die sie eingeweiht hatten. Was hatten sie da gemacht?
Manuel war nicht nach Hause gekommen.
Immer den gleichen Schritt zuerst, sie hatten die neuen geschnappt und, gefesselt.
Manuel war nicht nach Hause gekommen.
Danach hatten sie sie eigentliche Einweihung gemacht, die war immer verschieden.
Manuel war nicht nach Hause gekommen.
Taufe! Das bedeutete, –
Manuel war nicht nach Hause gekommen.
Sie hatten ihn gefesselt, so wie sie es immer Taten. Daraufhin hatten sie ihn getauft.
Mike stieß die Tür auf. Sie hatte so viel Schwung, dass sie, als sie gegen die Wand schlug, eine der Fliesen zerschlug.
Manuel war nicht nach Hause gekommen.
Sie hatten alles so gemacht wie sonst auch. Mike schlug das Herz bis zum Hals. Er lief an der Reihe entlang, bis er an der Kabine ankam, bei der das plätschern am lautesten war. Er stieß die Tür auf.
Manuel war nicht nach Hause gekommen.
Sie hatten es gemacht wie sonst auch, Hände auf den Rücken gebunden, Füße zusammen und das Seil ein paar Mal um den restlichen Körper gewickelt. Nach der Taufe abgehauen, dass der Neue um Hilfe schrie. Nur, dass die Toiletten normalerweise nach dem spülen wieder leer liefen, und das Wasser nicht bis zur Hälfte darin stand, weil es nachfloss.
Manuel war nicht nach Hause gekommen, und das würde er auch nie wieder.