Tellerrand
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
In der Nacht rauchte S. gerne. Er stand auf den Betonfließen der kleinen Terasse seiner Wohnung zu später Stunde, da er immer sicher gehen wollte, es wäre auch spät genug, sodass niemand sonst ein Licht anhatte. Auch er machte, wenn er nach draußen ging, alle Lichter – zumindest hinter der Terassentür – aus, sodass, wenn keine Wolken am Himmel waren, der Nachthimmel am besten sichtbar war. Die Dunkelheit gab ihm ein gewisses Gefühl von Sicherheit, denn niemand konnte S. beobachten und über ihn richten. Er fühlte sich oft in der Öffentlichkeit beobachtet, und beobachtet zu werden bereitete S. oft Unwohlsein, oder zumindest den Gedanken daran. Hier konnte er sicher sein. Nun, möglicherweise könnte eine Person aus dem gegenüberliegenden Haus aus einem abgedunkelten Fenster herausschauen. Oder es versteckte sich jemand im Gebüsch, das nicht weit von der Terasse entfernt war. Er war nicht zwingend eine ängstliche Person, dachte jedoch jedes Mal wieder an solche Möglichkeiten. „Schwachsinn“, urteilte er über sich selbst, „Was soll mir schon jemand anhaben. Und wenn schon.“
S. dachte oft an den Tod, in welcher Form auch immer, und versuchte sich einzureden, dass er ihn niemals fürchten würde. Sein Leben sei sowieso sinnlos, nichts halte ihn in dieser Welt, der Glaube an höhere Mächte sei Zeitverschwendung. Der unendliche Nachthimmel mache ihm das oft klar, seine erdrückende Mittelmäßigkeit. Jeder ist für S. mittelmäßig, Individualität gar eine Illusion. Viele Menschen würden das größere Bild nicht sehen, nicht über ihren eigenen Tellerrand schauen können, nur sich selbst im Blick haben, aber im Grunde genommen seien doch alle gleich. Ferngesteuert durch andere Menschen und Medien, kontrolliert durch ihre eigenen Sinne und Emotionen, die sie nicht richtig einzuordnen wüssten. Gedankenlose Hüllen, eigentlich wie Insekten, völlig ohne Seele, nur existent um einen unbedeutenden Zweck zu erfüllen. S. sei anders, das behauptete er gerne zu sich selbst in seinen Gedanken. Kein Teil der großen Maschine, kein kleines Zahnrädchen. Natürlich habe auch er Probleme, er ist sich seiner Heuchlerei in dieser Sache durchaus bewusst, denn auch er wird schnell beeinflusst, wisse damit aber besser umzugehen und habe eine gewisse Durchsicht. Es sei sowieso durch und durch menschlisch, manipulierbar zu sein, niemand könne mit absoluter Objektivität die Dinge betrachten. Bereits im jungen Alter würde man geformt und programmiert ohne eigene Einwirkung, auch später im Leben habe man bei vielen Dingen keinen Einfluss. Manchmal sei man einfach zu müde um über alles nachzudenken, dann überlasse man ohnehin alles seinen Reflexen und Trieben.
S. atmete ein paar Mal tief ein um diese zähen Gedanken zu verschieben, bevor er sich eine Zigarette in den Mund steckte und mit seinen Lippen festhielt. Er öffnete sein Klappfeuerzeug und ließ durch das kleine Metallrädchen den bereits verkohlten Dorcht erneut in Flammen aufgehen. Es war sehr ruhig, so wie er es abends mochte. Man konnte sogar das leichte Knistern des verbrennenden Tabaks hören, wenn S. mal stärker zog. Es schien heute wirklich eine besonders ruhige Nacht zu sein. Kein Rascheln, kein Wind, keine Kraftfahrzeuge, nur sein eigenes Herzklopfen. Dafür musste es schon besonders still sein. Jeder Mensch und jedes Tier musste fest schlafen, wie durch ein starkes Anästhetikum betäubt, ohne jegliches Bewusstsein.
Er erhob seinen Kopf und schaute in die schwarze Düsternis. Nur wenige Gestirne waren sichtbar, auf jeden Fall in deutlich geringerer Anzahl als sonst, der Rest musste wohl von Wolken verdeckt sein. Durch das Mondlicht hätte S. jedoch jede Wolke eindeutig vom Himmel unterscheiden können. Es konnten auch unmöglich sehr hoch gelegene Wolken sein, denn diese sind meistens von sehr dünner Gestalt und würden das Sternenlicht durchlassen. Es musste der heutige Vollmond sein, welcher thronend in der Mitte des Himmelszelts sein kaltes Schimmern auf die Erde warf. Er blendete S. dann doch zu sehr, und er richtete seinen Blick auf das gegenüberliegende Gebäude, dessen Fenster ein Teil des Mondlichts in die Finsternis zurückwarf. Einige letzte Blicke in den Himmel enthüllten die fehlenden Sterne nicht, einige Flecken blieben einfach schwarz. Auch mit größter Anstrengung und Konzentration waren für S. hier und da keine Sterne sichtbar. Er erkannte darin kein Muster, war sich aber sicher, dass am morgigen Tag die Sterne zurück wären, denn verschwinden können Sterne ja nicht. Es mussten wohl doch die Wolken sein.
S. war nicht ungebildet, eher im Gegenteil, er war eigentlich recht belesen. Deshalb ist ihm ebenfalls aufgefallen, dass auch einige Planeten nicht sichtbar waren, welche – vom Mond abgesehen – sonst zu fast jeder Jahreszeit am Himmel am hellsten strahlen und leicht zu identifizieren sind. Es mussten wohl doch die Wolken sein, denn auch Planeten könnten offensichtlich nicht einfach verschwinden.
Den letzten Abend vergessen, wanderte S. mit einem alten Freund am nächsten Tag durch einen Wald um Pilze zu suchen, denn in den vergangenen Wochen herrschte ein regnerisches Herbstwetter, und beide hatten über die Begeisterung des Pilzesammelns des jeweils Anderen gelernt. Es war ein Wald verschiedener Nadelhölzer, der um die eigentlich kalte Jahreszeit noch recht grün war. Die Waldluft tat S. sehr gut und er merkte, wie sein Körper beim Gedanken an das bevorstehende Pilzgericht von einem warmen Entspannungsgefühl durchströmt wurde. Er fragte sich dabei, ob er nicht endlich mit dem Rauchen aufhören sollte, obwohl er dies freilich nur selten zu Genusszwecken ausübte.
S. war oft reserviert und wortkarg, und sprach auch dieses Mal mit dem alten Freund sehr wenig. Es war überhaupt das erste Mal, dass dieser Freund mit ihm eine Unternehmung machte. Er kannte ihn zwar aus Kindheitstagen, und auch beim sonstigen Treffen der anderen Freunde ist dieser immer mit dabei. S. hatte aber trotzdem immer den Eindruck für diese Person austauschbar zu sein. Diesen bitteren Beigeschmack hatte S. generell immer wenn er sich unter Bekannten befand, selbst mit seiner Familie. Sich selbst und die Anderen Freunde zu nennen fand S. sowieso eher befremdlich. Es schien ihm immer so, als wäre er im Freundeskreis bloß geduldet und würde keinen großen Wert für die Gruppe haben. Dabei war ihm trotzdem klar, dass Ihn einige von ihnen durchaus mochten. S. war stets hilfsbereit und keineswegs vor sozialem Kontakt abgeneigt. Es fiel ihm jedoch äußerst schwer, sich in einer großen Gruppe zu behaupten und zu öffnen. Zudem stand er in letzter Zeit häufig neben sich, die neue Berufung brachte eine ungewohnte Routine in sein Leben, oft vergaß er um die Wochentage oder Besorgungen, wenn man jeden Tag das gleiche tat, verschwimmen die Dinge eben irgentwann. Dieses beklemmende Gefühl, welches S. manchmal wie einen massigen Umhang niederdrückte, hatte er im Moment nicht, obwohl er wenig sprach. Natürlich hätte auch der Freund ein Gespräch anfangen können, wieso sollte S. immer den Anfang machen, er konzentrierte sich schließlich auf das Finden der Pilze und den zudem sehr angenehmen Herbstwald, der ihn mit seinen Reizen stetig aus seinen Überlegungen in die Realität zurückholte.
Mit vollem Pilzkorb und zufrieden mit der Ausbeute ging S. vorran in die ursprüngliche Richtung. Am Waldrand angekommen wurde S. mehr und mehr von der dämmernden Sonne geblendet, welche die öligen Wolken in ein rostiges Tuch hüllte. Dem Sonnenstand zu urteilen musste es sicherlich in wenigen Minuten dunkel werden. Es war ein lauer Abend und die letzten Sonnenstrahlen prickelten S. im Gesicht, das vorher durch den kühlen Wald ein wenig steif geworden war. Schon bald erreichte er und der Freund den alten Forstweg, welcher aus dem Wald hinausführte, an der Schranke vorbei, welche die Zufahrt verhinderte. Der Weg ließ den graugrünen Forst hinter sich und mündete in eine weite Ebene, von welcher die Rückkehr angetreten werden sollte. Auf beiden Seiten des Weges erstreckten sich abgeerntete Felder, vom Weg nur durch einen improvisierten Holzzaun abgetrennt und ab und zu Sträucher und Gehölze, und direkt in Richtung des endlos scheinenden Pfades die fast blutrote Sonne, deren Schein S. in einen wärmenden Schleier wickelte, der ihm ein fast überwältigendes Gefühl von narkotisierender Unbeschwinglichkeit verlieh.
In geringem Abstand neben der Sonne bemerkte S. plötzlich eine leichte Verzerrung im Himmel. Es war für S. schwer zu beschreiben was er sah, er musste sicherlich öfters hinsehen und blinzelte einige Male angestrengt. Die Wolken am Himmel wurden wie durch eine Glaslinse kreisförmig gebrochen und in sich selbst gespiegelt. Es war auch keine besonders große Fläche, man musste wirklich genau hinsehen, nur durch die verschiedenen Farbtöne und Konturen der Wolken war es möglich, diesen Defekt zu erkennen. Seinem ersten Eindruck nicht trauend machte S. verschiedene Grimassen und versuchte auch sonst vorsichtig seinen Blickwinkel mehrmals zu ändern, um nicht den Freund zu verschrecken, der das als unangenehme Eigenart von S. interpretieren könnte. Er musste sicher sein, dass das Gesehene keine Einbildung oder ein Lichtspiel der Sonne war. Für naiv gehalten zu werden, konnte er nicht riskieren. Es konnte ja nur eine Illusion sein, durch einen vorschnellen Blick vorgegaukelt, wie es schon so oft passierte, und wenn man dann ein zweites oder drittes Mal hinsah, offenbarte sich die nüchterne Realität. S. war sich nun jedoch sicher, dass zumindest auch nach erneutem Testen seiner äußeren Sinne sich seine ursprüngliche Wahrnehmung nicht änderte.
S. versuchte schnell mehrere Möglichkeiten und Gründe für das Gesehene zu berücksichtigen, und beim Gedanken daran, dass er einige Pilze gekostet hatte, nur um sicher zu gehen, dass es sich um keine ungenießbaren Exemplare handelte, fühlte er sich unmittelbar benommen. Ein milchig grauer Nebel beschränkte seine Sicht auf den Pfad vor seinen Füßen. Er hatte doch darauf geachtet, nur solche Pilze zu nehmen, die eindeutig bestimmbar sind und welche er sonst auch durch seine Erfahrung kannte. Außerdem hatte er die Kostprobe immer ausgespuckt, um keine größeren Mengen aufzunehmen. Er erinnerte sich, dass bereits Kostproben einiger Pilze bleibende Organschäden verursachen könnten. Hatte er sich ausversehen vergiftet und war das, was er nun sah, Teil einer Vergiftungserscheinung? S. versuchte diesem Gedankenstrang durch Willenskraft zu entfliehen und sich einzureden, dass er gewiss sein könne, alle gesammelten Pilze wären verzehrbar. Der Freund musste inzwischen bemerkt haben, dass mit S. etwas nicht stimmte, denn obwohl S. versuchte, so unauffällig wie möglich zu sein, war es gerade diese Anstrengung, die ihn dazu zwang, schwer zu schlucken und jede Bewegung mit einer zitternden Angespanntheit auszuführen, bei welcher er sich niemals sicher war, ob diese auch für Andere sichtbar war oder nur seiner Gefühlswelt entsprang.
„Siehst du das?“, zu seiner Erleichterung blieb der Freund stehen und erhob seinen Zeigefinger in Richtung der Verzerrung. „Ja“, erwiderte S. zaghaft, aber doch froh, dass seine eindringenden Gedanken durch die Stimme des Freundes unterbrochen wurden. Der Freund versuchte seine Augen zusammenzudrücken, um möglichst viele Feinheiten des Phänomens erfassen zu können, und schützte sich mit einer Hand vor der Sonne, „Was zur Hölle is‘ das“ murmelte er vor sich hin. „Keine Ahnung, ich hab’s vorhin schon gesehen und dachte ich krieg‘ Halluzinationen von den Pilzen“. Der Freund brachte ein gekünsteltes Lachen hervor, merklich eingeschüchtert von der Erscheinung. Er blieb kurz stehen, für S. schien es beinahe als würde er wanken, und kurz vor einer plötzlichen Ohnmacht stehen. „Lass‘ mal hingehen“, drängte der Freund S. nun überraschend forsch, worauf – wie von diesen Worten beschworen – S. dem Freund nur mit wenigen Schritten Abstand hinterherlief.
Er musste doch erkennen, was S. schon längst erkannte; die Verzerrung schien nicht näher zu kommen, sie blieb starr wie ein Fixpunkt im Himmel stecken, als wäre sie immer dort gewesen. Wie ist der Freund überhaupt auf die Idee gekommen, man könne näher an dieses vermeintliche Objekt herantreten? Es schien auf den Freund eine anziehende Wirkung auszuüben, welcher seine Gehgeschwindigkeit stetig erhöhte und sich nicht einmal um S. kümmerte, als dieser über einen festgesessenen Stein auf dem Weg stolperte. S. eilte hinterher und traute sich nicht einzugreifen, er wollte sich nicht unbeliebt machen, der Freund war scheinbar nur neugierig, was offensichtlich der Grund für die Erforschung war. Beide liefen ohne ein Wort zu wechseln weiter, was sich für S. wie mindestens eine Stunde anfühlte. Die Gabelung zum Heimweg wurde bereits hinter sich gelassen, der Freund hatte einige Pilze durch seinen schnellen Gang aus dem Korb verloren, welche S. ohne Kommentar für ihn einsammelte und hinterhertrug. Er überlegte lang dem Freund mitzuteilen, dass es sich möglicherweise nur um ein Naturschausspiel handeln müsse, und wie er es ihm beibringen solle, dass beide längst den Heimweg verpasst hätten, es schien doch nichts zu bringen, in die Unendlichkeit laufen zu wollen.
S. wurde aus seinen Gedanken gerissen als er bemerkte, dass sich die Reflektionen und Lichtbeugungen des nun klar zu erkennenden kreisförmigen Objektes in Abhängigkeit der Umgebung änderten; sie mussten tatsächlich näher kommen. Der Freund verringerte seine Geschwindigkeit, blieb fast stehen und drehte sich zu S. um, „Da is‘ es, Mann, was is‘ das!“, S. folgte nun ebenfalls langsam, ihm war die Strecke nun doch zu unbehaglich geworden, wollte vorerst protestieren, war dann aber doch von seiner Neugierde übermannt. Auf einem umgeackerten Feld stand der Freund bereits unter dem Objekt und schaute empor. S. tat es ihm gleich, beide liefen hin und her, drehten Kreise um irgentwie Kenntnisse zu gewinnen, versuchten von jeder Seite zu untersuchen, um was es sich bei der Verzerrung im Himmel handelte. Ab und zu schauten sie sich mit nachdenklich angestrengtem Blick und leicht offenem Mund an, um sich gegenseitig die Unwirklichkeit der Sache zu bescheinigen, sagten aber nichts.
Das Objekt schien nicht sehr hoch über dem Boden, S. schätze vier bis fünf Meter, jedenfalls unerreichbar für einen Sprung. Es musste eine kugelige Geometrie haben, aus jedem Betrachtungswinkel schien das Objekt die Umgebung zu verzerren und zu reflektieren, so als würde der Raum selbst gebogen und gekrümmt werden. Wenn S. komplett still stand, froren auch die Lichtmanipulationen des Objekts ein, wie ein Spiegelbild lebte es absolut lautlos in der Luft ohne die geringste Bewegung. S. bemerkte langsam, dass überhaupt die einzigen Geräusche seine eigenen Schritte und das Aneinanderreiben seiner Kleider beim Fortbewegen auf dem leicht feuchten Ackerboden waren, er konnte wieder wie am Vorabend sein eigenes Herzklopfen hören. Ebenfalls waren keine kreisenden Vögel auf der Suche nach Kleintieren über den Feldern sichtbar, und schon gar keine Flugzeuge, deren Kondensstreifen überall und eigentlich jeden Tag und jede Stunde zu sehen sind. Auch die Wälder am Horizont wiegten sich nicht mehr im Wind, die Wolken hingen schwer und überwältigend im Himmel, gelähmt in der Zeit wie ein Bergmassiv, sie erschienen wie in einem Gemälde fixiert, vergoldet durch die Abendsonne.
„Es bewegt sich!“ zeigte der Freund aufgeregt auf das Objekt, und da S. immernoch still stand, konnte er im Vergleich mit dem Himmel klar erkennen, dass tatsächlich eine Bewegung stattfand. Es schwebte nicht besonders schnell, denn es war S. und dem Freund möglich, in Schrittgeschwindigkeit zu folgen. Eine kurze Distanz weiter hielt es an und verschwand abrupt und restlos. S. versuchte durch Ändern seiner Position das Objekt erneut ausfindig zu machen, „Is‘ weg“, bestätige S., „Was zur verdammten HÖLLE war das?!“, entgegnete der Freund in höchstmöglicher Empörung, beinahe übertrieben hysterisch, und fasste sich dabei mit beiden Händen an den Kopf. „Keine Ahnung, Mann, ich hab‘ überhaupt KEINE Ahnung.“
Sie starrten sich eine kurze Weile an, als plötzlich nicht ortbare mechanische Geräusche zu hören waren. Wie in einem Uhrwerk klang es, so wie wenn ein kleines Getriebe in Gang gesetzt werden würde, als würden mehrere Zahnrädchen klicken und klackern, und Metallteilchen aneinandergerieben. An der scheinbar selben Stelle des Verschwindens erschien nach und nach eine kleine perfekte Kugel, sie baute sich wie ein Puzzle nacheinander zusammen. Die Kugel sprudelte schlagartig in einem lauten Knistern langsam von unten nach oben auseinander und ergoss sich in hunderten gelblich glasigen Würmern, kabeldünn und kurz wie eine Fingerspitze, welche zum Erdboden fielen. S. erschrak bei diesem Anblick und wich zurück, da ebenfalls einige auf ihm landeten. Die Würmer verschlangen sofort den umliegenden Boden und vermehrten sich gleichwegs, sodass sich schnell ein recht großes Loch bildete. S. versuchte instinktiv die Würmer loszuwerden und zu zertreten, was ihm gelang; er drehte sich zum Freund um, der anteilslos und mit apathischer Miene daneben stand und S. beobachtete. „Da sind noch welche“, sagte er in einem ruhigen Ton, und S. trat in seiner Aufregung auch diese Würmer zu Tode, welche er scheinbar im Loch übersehen hatte. S. drehte sich erneut um, ängstlich bittend, dass der Freund ihm helfen solle, jeden Wurm von seinen Kleidern zu entfernen. Neben dem Freund stand nun eine weitere Person, welche die selbe Kleidung wie der Freund anhatte. S. erkannte indessen, dass sich das selbe Gesicht wie das des Freundes hinter dem Jackenkragen verbarg. Er starrte kurz, musterte die beiden Personen, sein Gehirn versuchte die Situation krampfhaft in irgentwelche Muster einzuordnen, bis einer von beiden hinter S. zeigte und im selben ruhigen Ton sagte, als würde er die Sinnhaftigkeit der Taten von S. in Frage stellen: „Da sind noch welche“. S. drehte sich von einer Gedankenflut überwältigt um, nur noch triebhaft handelnd, und fand, dass die Würmer bereits in Massen an ihm klebten. Er spürte einen unvergleichlichen Ekel, versuchte sich hin und her zu winden, sich gegen den Boden zu werfen, aber es nützte nichts, er merkte, wie die Würmer schon unter seine Kleidung drangen, kratzend auf seiner nackten Haut krochen und sich durch die Schläfen in seinen Kopf bis ins Gehirn bohrten. Er sah zu, wie sich die Würmer mit einem ohrenbetäubenden Rauschen – seine eigene schreiende Stimme völlig übermalend – in irrealer Geschwindigkeit den ganzen Acker einverleibten, jedes Stückchen Boden verschwand spurlos so weit er sehen konnte, explosionsartig pflanzte sich die vernichtende Welle bis in den weiten Horizont fort. Er fiel schließlich in den sich unter ihm auftuenden Abgrund, welcher S. wie ein ausgehungerter Schlund in einen trüben Sturm zog.
S. wachte in der Nacht auf, wütende Kopfschmerzen pochten auf ihn ein, er versuchte sich ein wenig die Schläfen zu massieren. Jede Bewegung fühlte sich wie ein Hammerschlag auf die Schädeldecke an. Er musste sich wohl am Vorabend im Wald verkühlt haben, die Übergangszeiten seien immer gefährlich für Erkältungen, man wisse ja nie, welche Art von Kleidung man tragen solle, wenn es am Morgen kalt und am Nachmittag wieder warm wurde. Und um die letzten Sonnenstrahlen im Herbst einzufangen, legte S. gerne mal seine Jacke ab. Er wollte nur etwas zum Trinken, vielleicht eine Tablette gegen die Schmerzen aus der Küche holen, und ein wenig Luft schnappen, sich dann aber gleich wieder schlafen legen. Morgen hatte er schließlich eine weitere Verabredung zur Pilzsuche mit seinem alten Freund. Mit einem warmen Glas Leitungswasser stellte er sich auf die kühle Terasse, schaute in den Nachthimmel und beobachtete die Sterne, auch die Planeten.
„Mussten doch die Wolken sein“, flüsterte er zu sich, während er seinen bleiernen Kopf mit einem Arm stützte.