GeisteskrankheitMordSehr Lang

The Devil Within 2

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Kapitel 5 – 9 (von 14)

Den Plan zu planen ist der halbe Spaß

In den nächsten paar Tagen war Hermine mies drauf. Seit der Feier
nach Rons Sieg und seinem Kuss mit Lavender, den sie mit ansehen
musste, spürte die Braunhaarige, wie etwas in ihr zerbrach. Nein,
nicht einfach zerbrach. Sich befreite würde es viel besser
beschreiben. Hermine hatte das Gefühl, irgendetwas hätte bei dem
Anblick des Liebespaares seine Ketten gesprengt.

Und dieses Etwas freundete sich nur zu gut mit dem grünäugigen
Monster an, welches ihren Körper schon seit längerem fest im Griff
hatte. Ihn zermahlte und zerrieb in Gefühlen, die bitter in ihrem
Mund schmeckten: Neid, Hass, Wut, Empörung und verletzter Stolz. All
das vereinte sich zu einem Schmerz, der sich tief in ihre Psyche grub
wie eine frische Wunde.

Aber es gab einen Weg diesen Schmerz zu mildern. Hermine dachte
schaudernd an das Gefühl, was sie empfunden hatte, als sie Ron mit
den Vögeln attackiert hatte. Es hatte sich so befreiend,
befriedigend, gut angefühlt. Eine grimmige Genugtuung war über sie
gekommen, zusammen mit einem wilden, unbezähmbaren Trieb, von dem
sie gar nicht gewusst hatte, dass er existierte. Hermine hatte Ron
leiden lassen. Zwar nur kurz, aber es hatte einen wohligen Schauer
über ihren Rücken gesandt. Dieses Mal hatte sie am längeren Hebel
gesessen und hatte ihn verletzt. Oh süße Qual…was würde ich
dafür geben, dies erneut zu erleben?

Doch das Gefühl des Triumphes und der Genugtuung war nur von kurzer
Dauer gewesen. Schließlich liebte Ron Lavender. Diese widerliche,
rose Barbie-Puppe! Sie himmelte ihn an und er ließ sie gewähren.
Lavender knutschte Ron dermaßen oft ab, dass man meinen könnte, sie
könne ihren Libido nicht genug ausleben. Und Ron hatte bei der Feier
zum ersten Mal mitgemacht.

Er hatte sie geküsst! Vor ihren Augen! Hermine spürte, wie sie
schon bei dem Gedanken am liebsten wieder weinen wollte. Oh, wie
sehr ich sie hasse! Alle beide! Das Mädchen dachte an die
Stimme, die sie gehört hatte. Wären beide oder auch nur einer von
ihnen tot, dann wäre ihr Herz befreit. Befreit von all dem Schmerz
und der Neid. Das grünäugige Monster wäre weg.

Hermines schlechte Laune ließ sie wirklich an allem und jedem aus.
Das Mädchen schnauzte jeden an, der sie auf irgendetwas ansprach,
lief mit leicht geschlossenen Augen und in die Luft gereckter Nase
durch die Gänge und ihre Hand umklammerte den Zauberstab so sehr,
als müsse sie ihn Lavender in den Hals rammen, um sich
abzureagieren.

Die einzige Person, die Hermine an sich ran ließ, ohne sofort wie
eine gereizte Katze ihr die Augen auszukratzen, war Harry. Der
Schwarzhaarige hatte gemerkt, dass sie litt, war zu ihr gekommen,
damit sie sich nicht alleine fühlte. Harry hatte ihr zugehört, wie
sie ihm berichtet hatte, wie sie sich fühlte. Wie sehr sie von ihren
Gefühlen zerrissen wurde. Liebe. Das schlimmste aller Gifte. Vor
allem, wenn es in der falschen Dosis und im falschen Moment
verabreicht wurde.

Die junge Gryffindor marschierte gemeinsam mit Harry durch die Gänge.
Durch die hohen Fenster fiel das Sonnenlicht und Hermine konnte den
Schnee erkennen, welcher in seiner ganzen Pracht funkelnd auf dem
Rasen verstreut lag. Die Braunhaarige sog die kalte Luft ein, welche
hereinwehte und sich angenehm mit der warmen Raumtemperatur mischte.

Hermine wurde langsamer und ihre Augen verengten sich hasserfüllt,
als sie Ron und Lavender erblickten, die auf einem Fenstersims saßen.
Das Mädchen mit den schmutzig braunblonden Haaren hatte wie üblich
seine eine Hand mit ihren Fingern umklammert und schmiegte sich an
ihn. „Ach, das ist mein Won-Won.“ Die widerliche, hohe
Mädchenstimme drang an Hermines Ohr und ihre Hände ballten sich zu
Fäusten. Oh, wie ich sie hasse! Ich hasse sie mehr als das Leiden
der Hölle. Sie ist meine Hölle auf Erden.

„Komm“, wandte Hermine sich hastig an Harry und zog an
seinem Arm, „Ich muss hier raus.“ Der Schwarzhaarige nickte
und folgte ihr. Das braunhaarige Mädchen stürmte an Ron vorbei,
nicht ohne ihm einen bitterbösen Blick zuzuwerfen. Selbst aus dieser
Entfernung konnte sie die winzigen Kratzer sehen, welche die Vögel
in seiner Haut hinterlassen hatten. Es tat so gut sich diesen Moment
in Erinnerung zu rufen. Diese grimmige Genugtuung erneut zu spüren.
Doch zugleich ahnte Hermine, dass dies ihren Hass nur noch mehr
schüren würde, wachsen lassen würde wie eine lodernde Flamme, in
die der Wind bläst.

Harry und Hermine stiegen die kleine Steintreppe herab, welche auf
den Hang führte. Überall lag Schnee. Er bedeckte weich und flockig
den Boden, lag schwer auf den Ästen und malte weiße Tupfen auf die
Granitfelsen. Zwischen die Tannen sah Hermine den See aufblitzen.
Eine schillernde, hellweiße Fläche. Die Luft war kühl und eine
leichte Brise zerzauste ihr Haar.

„Komm, ich will sehen, ob der See gefroren ist“, wandte
Hermine sich an Harry. Es war eine sinnlose Beschäftigung und sie
diente einzig und allein der Ablenkung. Der Schwarzhaarige klapperte
mit den Zähnen und verschränkte die Hände unter den Achseln. „Bei
der Kälte“, stieß er schlotternd hervor, „Garantiert. Ich
glaub, das ist bisher der kälteste Tag in diesem Jahr.“ „Sei
nicht albern, Harry“, tadelte ihn die Braunhaarige liebevoll,
„Ich erinnere mich an einige Winter, wo die Tage kälter waren.“

Ihre Stiefel knirschten im Schnee, als die beiden den Hang
hinunterstiefelten. Als sie sich den Granitfelsen nährten, ertönte
auf einmal eine aalglatte, höhnische Stimme: „Na so etwas,
Granger, willst du dich aus Liebeskummer im See ertränken?“
Was? Das darf ja wohl nicht wahr sein. Mit vor Wut gesenkten
Brauen blieb Hermine einige Schritte vor den Granitfelsen stehen und
starrte zu der Person, die davor stand.

Es war ein Junge, flankiert von zwei weiteren. Diese waren so groß
und stämmig, dass sie wie die Bodyguards des Schlanken wirkten. Ihre
dumpfen, stumpfen Gesichter zeichneten schwache Züge von
grobschlächtiger Grausamkeit ab und sie ballten die fleischigen
Fäuste.

Der Junge in der Mitte hatte ein spitz zulaufendes, blasses Gesicht
und helle, weißlich blonde Haare. Seine hellen Brauen passten sich
elegant der Form seiner silbrig grauen Augen an, welche verächtlich
funkelten. Er trug einen edel geschnittenen Mantel aus schwarzem Samt
und sein Haupt bedeckte eine Mütze aus Dachsfell. Hermine hatte
sogar den Verdacht, dass Dracos Handschuhe aus Hermelinfell gefertigt
waren. Diese Familie ist so…..unmenschlich, gemein….
Entrüstet knirschte das braunhaarige Mädchen bei dem Gedanken mit
den Zähnen.

„Wisst ihr“, fuhr Draco Malfoy hämisch fort, „wenn
ich es genau nehme, so muss ich Weaselbee jetzt mal loben. Endlich
hat er mal eine richtige Entscheidung gefällt. Gewiss, Brown ist
eine nervtötende Tratschtante, aber immerhin ist sie reinblütig.
Etwas, was man von dir ja nicht behaupten kann. Wahrlich, wer würde
ein Schlammblut wie dich lieben?“

Die Wut schoss durch Hermines Wirbelsäule in ihren Kopf wie der
Schmerz, wenn man auf einen Dorn getreten war und dieser sich tiefer
in die Haut bohrte. Das Mädchen beschleunigte seine Schritte. Ihre
braunen Haare flogen bei der schnellen, ruckartigen Bewegung.
Hermines Augen blitzten und sie stürmte wie ein aggressiver Panther
auf Malfoy zu.

Crabbe und Goyle hoben die Stäbe. Na wartet, so nicht!
Hermine war schneller. „Furunkulus!“, rief die Braunhaarige
aus und wies mit ihrem Stab auf die Gesichter der beiden. Sofort
quollen unzählige, hässliche, rote, eitrige Pickel aus der Haut und
bedeckten die Antlitze der beiden fetten Jungen wie ein widerlicher
Ausschlag.

Malfoy warf einen raschen Blick auf seine beiden Beschützer, welche
wimmerten und sich krümmten. Sein blasses Gesicht wurde noch heller.
Er entschied sich für den Rückzug. Draco versuchte an Crabbe und
Goyle vorbei den Hang hoch zulaufen, doch er hatte den Schnee nicht
in seine Überlegung mit einbezogen: Der hellhaarige Junge rutschte
auf dem schlurfigen Weiß aus und fiel auf seinen Rücken.

„Du! Du verachtenswerte, kleine, widerliche Kakerlake!“,
spie Hermine aus. Schon war sie über dem Blondhaarigen, beugte sich
vor und packte seinen Schal. Während das Mädchen diesen brutal
anzog, sodass Malfoys Kopf etwas angehoben wurde, richtete sie ihren
Zauberstab auf sein Gesicht und sagte: „Nimm zurück, was du da
eben gesagt hast! Nimm es zurück!“

„Sonst was?“ Dracos Stimme klang ungewöhnlich laut,
hastig, übertrieben überzeugend, er versuchte tatsächlich von
seiner Situation und der damit verbundenen Angst abzulenken, „Was
wirst du dann machen? Mich so lächerlich verhexen wie die da? Ich
wette, du kannst noch nicht einmal einen schwarzmagischen Zauber,
Granger.“

Hermine bebte. Ihr Zauberstab zitterte in ihrer Hand. Das Haar tanzte
bei ihren raschen Atemzügen. Dieser arrogante, dreiste,
eingebildete, verlogene…. Dass er sich das traute! Und doch,
sie konnte erkennen, dass Draco Angst hatte. Er gab es nur nicht zu.
Er versteckte seine Furcht hinter diesem lächerlich
wichtigtuerischen Gehabe.

„Du niederträchtiger, kleiner Bastard“, stieß Hermine
hervor. Bedrohlich langsam ließ sie seine Krawatte los und richtete
sich auf. Draco atmete auf. Offenbar schien er noch mal davon zu
kommen. Das glaubst aber auch nur du.

Die Braunhaarige wandte sich etwas ab, holte aus und schlug zu. Ein
scharfes Rumsen, begleitet von einem gepeinigten Aufschrei ertönte.
Hermine stand auf und ging einen Schritt nach hinten. Draco kam
mühevoll auf die Beine. Sein Gesicht war verzogen vor Schmerz. Aus
seiner Nase tropfte Blut.

Draco stolperte zu Crabbe und Goyle, die wimmernd ihre Pickel
befühlten. Er schien irgendeine Beleidigung zu suchen, die er
Hermine zurufen konnte, um das letzte Wort in diesem Streit zu haben,
aber da ihm offenbar nichts einfiel, ließ er es bleiben und rannte
davon. „Malfoy, warte!“, brüllten seine beiden dicken
Kameraden und rannten ungelenkig hinterher.

Hermine sah ihnen nach. Gut…. Es hatte sich so unglaublich
gut angefühlt, Malfoy zu verprügeln. Gewiss, schon in der dritten
Klasse hatte sie ihn damals ziemlich umgehauen. Aber das…das fühlte
sich viel befreiender an. Immerhin hatte Draco sie sehr gekonnt
beleidigt. Indem er ihre größte Schwäche ausgenutzt hatte. Ihre
Zuneigung zu Ron, der sie ohnehin nicht mehr sah. Nur noch seine
blöde Barbietussi. Ich hasse sie. Ich hasse sie alle drei.

Harry stand etwas oberhalb des Hanges. Hermine konnte nur seine Seite
sehen, da er den Blick von ihr abgewandt hatte und ebenfalls Malfoy,
Crabbe und Goyle nachsah. Dann wandte der schwarzhaarige Junge sich
um. Zu Hermines Überraschung lächelte er fast schon ein bisschen
schadenfroh.

„Das war stark“, meinte Harry anerkennend, „Wirklich.“
Hermine nickte dankbar. Stimmt. Es war nicht nur stark
gewesen, es hatte sich auch sehr, sehr gut angefühlt. Berauschend.
Erneut hatte sie Malfoy dominiert. Nur für einen kurzen Moment. Wie
er geschaut hatte. Wie ein verschreckter Junge. Herrlich.
Genauso wie der verstörte Gesichtsausdruck von Ron, welchem das Blut
aus den Kratzwunden ins Auge gelaufen war, sodass er blinzeln musste.

Macht. Berauschend wie guter Wein. Die Freude daran, andere leiden zu
sehen. Erquickend wie frisches Gift. Beides zusammen eine gefährliche
Mischung. Und doch genoss Hermine diese Mischung. Dieses Böse,
Animalische, Wilde, was so frei von den Grenzen der Schule und des
Zaubereiministeriums war.

Eine kalte Hand legte sich ihr zwischen die Schulterblätter. Hermine
spürte einen kühlen Atem, der ihre Ohrmuschel liebkoste. Die
Stimme, samtig, weich und leise, hauchte: Töten, töten…Zeit
zum töten. Das braunhaarige Mädchen wollte sich umdrehen, um
dem Sprecher ins Gesicht zu blicken, doch dies klappte nicht. Also
beschränkte sie sich nur darauf Luftzuholen und zu fragen: Wirklich?
Jaaa!, war die gewisperte Antwort.

Das Licht des Mondes malte fahlen, perlmuttartigen Glanz auf die
Säulen der Gänge, den Spiegelglatten Boden und ließ Schatten über
die hübsch verzierten Wände huschen. Diese wurden noch stärker und
die gesamte Umgebung grauer und dunkler, wenn sich hin und wieder
einzelne Wolken vor das weiße Auge schoben, welches am dunklen
Himmel prangerte. In der Ferne schrie eine Eule.

Tap, tap, tap. Die leisen Schritte waren kaum zu hören. Der Urheber
schlich durch den Gang, lautlos und geschwind wie ein Schatten.
Selbst die scharfen Augen Mrs Norris, der mageren, räudigen,
staubgrauen Katze des Hausmeisters Argus Filch, würden nichts
Verdächtiges bemerken.

Hermine fühlte den Umhang kaum, welcher ihren Leib bedeckte. Der
Stoff war fein wie Seide, weich wie Samt und leichter als Luft. Er
glitt ihr durch die Finger wie Wasser. Die Braunhaarige wusste,
sollte Harry jemals herausfinden, dass sie seinen unsichtbar
machenden Tarnumhang entwendet hatte, würde er vor Zorn die Wände
hoch gehen. Der Mantel bedeutete ihm alles, war er doch ein Geschenk
seines Vaters gewesen. Aber das, was Hermine vorhatte, erforderte die
Möglichkeit, unsichtbar zu sein.

Die Bücherei war in der Dunkelheit ein ganz neuer Ort. Die Regale
schienen entweder mit den Wänden zu verschmelzen oder selbst zu
Wänden zu werden, die Hermine einengten. Die Seiten der Bücher
raschelten empört, als wüssten sie, dass jemand unbefugt hier
eingedrungen war.

Hermine legte den Tarnumhang nicht ab. Noch bestand die Möglichkeit,
dass Filch bei einem seiner Kontrollgänge sie entdecken würde. Oder
Mrs Norris würde hinein platzen. Diese skelettdürre Gestalt hatte
die Angewohnheit wie aus dem Boden gewachsen vor einem zu stehen, den
Schüler anklagend aus ihren großen, unheimlich leuchtenden,
lampenartigen, gelben Augen anzustarren und dann mit einem
schauerlichen Miauen Flich herbei zu rufen.

Hermines Ziel lag im tiefsten Winkel der Bücherei. Kaum zu finden
zwischen den dunklen Regalen befand sich ein abgetrennter Bereich.
Dunkles Glas, durchzogen von Facetten und metallenen Adern verbarg
den Einblick ins Innere. Über einer dunklen Tür, die mit einem
schweren Riegel verschlossen war, stand in goldenen Buchstaben
‚Verbotene Abteilung‘.

Argwöhnisch spähte Hermine, immer noch verborgen unter dem
Tarnumhang, hinter sich. Es wäre wahrlich ungünstig, wenn sie jetzt
den Mantel ablegen und Filch sie dabei beobachten würde, wie sie
die Verbotene Abteilung betrat. Dieser Bereich war nicht umsonst den
Schülern nicht zugänglich. Die Bücher behandelten schwarz-magische
Themen, welche in Hogwarts nicht gelehrt wurden.

Aber niemand war gerade anwesend. Weder der unheimliche Hausmeister,
noch seine skelettdürre Gruselkatze. Hermine holte tief Luft und
legte den Tarnumhang ab. Sie faltete den schimmernden Stoff
sorgfältig zusammen und legte ihn in eine kleine beutelartige Tasche
aus lila Stoff, durchzogen von hellvioletten Streifen. Das Mädchen
zurrte den Beutel zusammen und steckte ihn in ihre Hosentasche.

Ihre Finger umschlossen den Riegel, zogen ihn zur Seite und sie
drückte die Tür auf. Die Atmosphäre hier war ganz anders als in
dem Bereich der Bibliothek, der der Öffentlichkeit zugänglich war.
Die Luft fühlte sich viel feuchter an und schmeckte fahl und bitter
auf Hermines Zunge. Staub kitzelte in ihrer Nase und Moder betäubte
sie, zusammen mit dem Duft von abgegriffenen Leder.

Und doch war da noch etwas anderes. Etwas, das Hermine nicht benennen
konnte. Es fühlte sich dunkel an, bedrohlich und kalt. Als würden
Schatten aus den Ritzen im Holz und den Buchstaben fließen und ihre
Finger nach ihr ausstrecken. Stimmen flüsterten ihr Verführungen
ins Ohr.

Hermine zog ihren Zauberstab. Sie war froh, dass Harry ihr damals im
ersten Jahr von seinen Erfahrungen in der Verbotenen Abteilung
erzählt hatte. Eine hastig umgestoßene, erloschene Lampe hatte ihn
damals verraten. Hermine wollte nicht denselben Fehler machen.

„Lumos.“ Um die schmale Spitze erstrahlte ein weißer
Lichtpunkt. In seinem Schein konnte Hermine die Verbotene Abteilung
zum ersten Mal besser betrachten. Mehrere dunkle Regale standen
hintereinander. Der Abstand zwischen ihnen war so schmal, dass man
gerade so hindurch passte. Die Bücher, welche in den Regalen
standen, waren alle sehr dick, sehr schwer, uralt und in abgenutztes
Leder geschlagen. Manche Titel waren mit sonderbaren Zeichen
bedruckt, die noch älter zu sein schienen als die Runen, welche
Hermine dank ihres Wahlfaches sehr gut beherrschte.

Langsam wie ein schweigender Schatten lief Hermine an den Regalen
entlang. Ihre Füße knarrten leise über die Dielen. Doch ansonsten
wurden alle Geräusche von der beängstigenden Stille verschlungen,
die hier herrschte. Flüche und Gegenflüche, las Hermine,
Magier des neunzehnten Jahrhunderts, Foltermethoden – Von der
Antike bis zur Neuzeit, Die dunkelsten Geheimnisse der Schwarzen
Magie.

Das Mädchen blieb vor dem Regal mit dem betreffenden Buch stehen.
Sie leckte sich nachdenklich über die Lippen. Ja, das könnte das
richtige sein. Vorsichtig zog Hermine den dunklen Wälzer vom
Regal. Am liebsten wollte sie es jetzt gleich an Ort und Stelle
aufschlagen, doch rief sie sich Harrys zweiten Fehler ins Gedächtnis:
Als dieser ein Buch in der Verbotenen Abteilung aufgeschlagen hatte,
hatte es geschrien.

Vielleicht hört der Zauber auf, wenn man die Abteilung verlässt.
Hermine wühlte in ihrer Hosentasche und zog den Stoffbeutel hervor.
Sie stopfte das Buch hinein. Dann schulterte das Mädchen seinen Fund
über der Schulter und marschierte so leise und schnell wie sie
gekommen war nach draußen. Tapp, tapp, tapp. Ihre nahezu lautlosen
Schritte entfernten sich von der Bibliothek und verschwanden in dem
Gewirr der Schlossgänge.

Hermine lief in den Kerker, in genau den Raum, in welchem der Spiegel
Nerhegeb stand. Hier hatte sie ihrem Bösen das erste Mal ins Gesicht
geblickt und hier sollte auch der nächste, große Schritt vollzogen
werden.

Das Mädchen griff in ihre Tasche und holte das Buch heraus. Es war
in nachtschwarzes, sehr hartes, straff gespanntes Leder gebunden, die
Ecken waren mit Silber verstärkt worden. Mit matt glänzenden
Buchstaben prangerte der Titel in der Mitte des Covers. Dieses glich
einem verstaubten Fenster in der Kirche, von silbrigen Adern
durchzogen. Schön. Es sieht richtig schön aus. Aber auch
gruselig.

Hoffentlich wirkte der Zauber nicht mehr. Hermine nahm all ihren Mut
zusammen und schlug das Buch auf. Kein ohrenbetäubender Schrei, der
sie zurück schrecken ließ. Kein heran eilender Filch. Keine
glühenden Katzenaugen, die aus dem Nichts auftauchten. Meine
Annahme hat gestimmt. Wenn die anderen Schüler dies gewusst
hätten, so wäre es ihnen viel leichter gefallen, Bücher aus der
Verbotenen Abteilung zu entwenden.

Hermine setzte sich im Schneidersitz auf die kalten Fliesen und
durchblätterte das Buch. Die Seiten waren vergilbt und gebleicht von
dem Mangel an Sonnenlicht und mit einer feinen, körnigen
Staubschicht überzogen. Die Schrift, welche elegant geschwungen über
das Papier lief, war so rot wie Blut.

Ob es wohl echtes Blut ist? Hermine wusste es nicht. Aber sie
nahm eh an, dass der Macher des Buches einen besonders schaurigen
Eindruck auf den Leser haben wollte. Geschichten, Legenden, Mythen
machten solch schwarzmagischen Objekte doch noch viel gruseliger als
sie ohnehin schon waren.

Die Seiten in dem Wälzer waren alle exakt gleich aufgebaut. Die
Überschrift, umrahmt von Verschnörkelungen stand in der Mitte oben
auf der Seite. Dann folgte der Text. Und dieser behandelte ganz
unterschiedliche Dinge. Mal war es eine Erklärung zu einem Phänomen,
dann die Anleitung für einen Trank oder die Beschreibung der Wirkung
eines Spruches. Manche Dinge waren so grauenvoll, dass Hermine sie
sich lieber nicht zu detailliert ausmalte.

Aber sie suchte ja auch nicht etwas, womit man jemanden möglichst
qualvoll und auffällig umbrachte. Nein, ein schneller, leiser, aber
doch schmerzhafter Tod war der Braunhaarigen viel lieber. Immerhin
durfte das Mädchen kein Aufsehen erregen. Aber sie war fest
entschlossen, sich zu rächen. Und wenn sie über Leichen gehen
würde.

Hermine blätterte um und wurde endlich fündig. Der
wohlschmeckende Tod. Was das wohl war? Es hörte sich auf jeden
Fall interessant und viel versprechend an. Die Braunhaarige steckte
die Nase tief in das Buch und begann zu lesen. Das ist der
komplizierteste Trank, von dem ich je gelesen habe. Er ist sogar noch
schwerer als der Vielsafttrank. Ein einziger Fehler könnte meinen
Tod bedeuten. Und die Zutaten. Also Flussgras und Faultiergehirn, das
finde ich im Schrank für die Schüler. Aber Peruanisches
Viperzahngift, Klapperschlangenhaut und Hornschwanzstacheln, die
finde ich nur in den privaten Schränken der Lehrer. Mal ganz zu
schweigen von den Gerätschaften, die ich brauchen werde…. Es
sah ganz danach aus, als ob eine Menge Arbeit auf sie zukommen.

In den nächsten paar Tagen bereitete sich Hermine still, heimlich
und zielstrebig darauf vor, den Trank zu brauen. Das Mädchen achtete
genau darauf, dass weder Harry, noch Ron, noch eine Lehrkraft etwas
davon mitbekam. Dass sie die Regeln brach, war ihr bewusst. Und
doch…manchmal gab es Momente, Situationen, Zustände, da galten die
gewöhnlichen Regeln nicht mehr.

Hermine konnte die meisten Zutaten während des
Zaubertrankunterrichtes auflesen. Ein paar Halme Flussgras hier,
einige Gramm Faultiergehirn da. Die winzigen Brocken landeten alle
regelmäßig in ihrer Perlentasche, welche die Braunhaarige gut
versteckt in ihrer Kleidung mit sich trug. Doch nicht alle Dinge
konnte sie so heimlich während des Unterrichtes verschwinden lassen.

Für manche Dinge, wie dem Gift und den benötigten Utensilien,
musste Hermine zu extremeren Methoden greifen. Also gab sie Neville
mit blanker Absicht einen falschen Rat. Das Ergebnis: Der plumpe
Junge vermasselte den Trank und löste dabei eine Pestilenz aus, die
bei nahezu allen einen schweren, juckenden, roten Ausschlag auf der
Haut auslöste. Slughorn musste die jammernden, sich kratzenden
Schüler in den Krankenflügel bringen. Hermine nutzte die allgemeine
Verwirrung, um sich in Slughorns und früher auch Snapes Hinterzimmer
zu schleichen und die gebrauchten Substanzen und Gegenstände zu
entwenden.

Vier Tage waren vergangen, seitdem Hermine das Buch aus der
Verbotenen Abteilung entwendet hatte. Nun hatte das Mädchen in
mühevoller Kleinarbeit alle Zutaten und Utensilien besorgt, die sie
würde brauchen müssen. Sie hatte den Abend abgewartet und sich nach
dem Essen geradewegs in den bereits ihr vertrauten Kerkerraum
geschlichen.

Vor dem Spiegel standen auf dem Boden nun ein bauchiger Kupferkessel,
einige Petrischalen und in Stoff eingewickelte Messer, Mörser und
lange Nadeln. Zudem eine große Kiste, die mehrere kleine Fächer
enthielt, in die Hermine jede einzelne Zutat hinein gelegt hatte.
Außerdem hatte das Mädchen sich aus der Küche eine große Kanne
Kaffee besorgt. Laut dem Autor war man in der Lage den
Wohlschmeckenden Tod innerhalb einer Nacht fertig zu brauen.
Und Hermine war sich sicher: Wenn sie verhindern wollte, dass sie im
Stehen umkippte, würde sie einen starken Kaffee brauchen, um wach zu
bleiben.

Hermine holte vorsichtig Die dunkelsten Geheimnisse der Schwarzen
Magie aus ihrer Tasche. Behutsam schlug sie das Buch auf. Sie war
noch nicht weit gekommen, als ein tiefes, anklagendes Miauen sie
aufsehen ließ. Glühende Augen taxierten das Mädchen. Erschreckt
ließ Hermine das Buch fallen. Scheiße, war ihr erster
Gedanke, Ich bin doch nicht etwa geschnappt worden.

Sie rechnete damit, dass Filch jeden Augenblick um die Ecke kam, ihre
Gerätschaften und das Buch entdecken, und ihr dann mit bösem
Grinsen eine kleine Standpauke halten würde, bevor er sie zu einem
der Lehrer bringen würde, welcher sie dann hochkant von der Schule
verwies.

Doch dann trat der Urheber der leuchtenden Augen ins Licht. Hermine
stieß den Atem aus vor Erleichterung und hob langsam das herunter
gefallene Buch wieder auf. „Verdammt, Krummbein, hast du mich
erschreckt!“, rief sie aus, „Ich dachte, du wärst Mrs
Norris.“ Der Kater trat ins Licht. Er war sehr kräftig und
muskulös, hatte langes, dichtes, leicht filziges, orangerot
getigertes Fell und ein eingedrücktes Gesicht, was ihm den Eindruck
verlieh, als wäre er vor kurzem gegen eine Mauer gerannt.

Krummbein stakste zu dem Kessel und beschnüffelte diesen, sowie die
verschiedenen Geräte und Zutaten sorgfältig. Dann drehte der Kater
sich zu Hermine um. Obwohl es der Braunhaarigen immer noch etwas
schwer fiel, in dem Gesicht ihres Haustieres zu lesen, konnte sie den
Blick erkennen, welchen sie selbst hatte, wenn jemand eine Regel
brach.

Hermine zischte: „Ich weiß, dass du dies nicht billigst,
Krummbein, und ich die Regeln breche. Aber das ist mir egal. Du hast
die Wahl: Entweder, du bleibst hier und siehst zu oder ich jage dich
raus.“ Sie war noch nie rüde zu der Katze gewesen. Krummbein
schien das ebenfalls zu merken, denn er nieste entrüstet. Doch dann
setzte sich das orangerote Tier genau neben den Spiegel, hoheitsvoll
wie ein Löwe, und beobachtete seine Besitzerin aus klugen, grünen
Augen.

Schön, dass dies geklärt ist. Ich hoffe, ich kann jetzt weiter
machen. Hermine richtete die entschlossen blitzenden Augen auf
den Text. Zuerst musste die Basis gefertigt werden. Sie war in der
Lage die eigentliche Gabe des Trankes aufzunehmen und bestand aus
sehr simplen Zutaten.

Hermine lief zu der Truhe mit den Fächern und holte das
Faultiergehirn und das Flussgras heraus. Das Mädchen nahm ein
kleines Messer, schichtete die Halme zu einem Haufen und begann sie
zu zerschneiden. Das Gras war faserig und die Stücke, die heraus
kamen, ähnelten am entferntesten zerkleinerter Petersilie.

Die Braunhaarige gab den grünen Haufen in den Kessel. Dann schnitt
sie das Faultiergehirn auf und ließ das Blut hinterher fließen.
Sicherheitshalber drückte das Mädchen auf dem Organ herum, damit
auch der letzte Rest des roten Saftes im Topf landete. Iihhh, das
fühlt sich so ekelig an. Das Hirn war sehr weich und plump,
seine Konsistenz ähnelte ein wenig Matsch oder nassem Teig. Die
Reste klebten ihr an den Fingern, welche sie vorsichtig säuberte.

Das Mädchen entzündete den Reisig und beobachtete, wie die Flammen
unter dem Kessel leise hervorzüngelten. Hermine richtete den Blick
auf den Inhalt. Eine matschige, undefinierbare Pampe, der sie jetzt
noch weitere Zutaten beigab, unter anderem Blutegel und
Einhornschweifhaar.

Dann wartete Hermine. Das Mädchen richtete den Blick auf das Buch.
Die Basis musste jetzt eine gute halbe Stunde vor sich hin köcheln
und regelmäßig umgerührt werden, damit sie nicht anbrannte. In
der Zwischenzeit kann ich ja schon mal das Elixier zubereiten.
Dieses war das eigentlich wichtige an dem Zaubertrank. Eine
Kombination aus höchst toxischen Stoffen.

Hermine holte aus ihrer Kiste einen kleinen Glasbehälter, zwei
Flaschen, sowie drei dreißig Zentimeter lange, scharfe,
elfenbeinfarbene Stacheln. Außerdem legte sie noch eine
Kristallschale und einen Mörser hinzu.

Hermine rührte probeweise in der leise blubbernden Flüssigkeit
herum, welche nun die Konsistenz von Sirup erhalten und die Farbe von
Teer bekommen hatte. Das wird wohl noch dauern. Seufzend besah
sich das Mädchen der Anleitung. Keine Klümpchen dürften vorhanden
sein. Die Basis sollte einer geschmeidigen, dunklen Masse gleichen.
Davon war sie aber noch weit entfernt.

Hermine richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Flaschen. Sie
entkorkte die erste und goss den Inhalt in den Glasbehälter.
Salamanderblut. Von den drei Gegenständen der einzige Stoff, der
kein Gift enthielt. Wie Hermine wusste, produzierte der
Feuersalamander sein Gift auf der schwarz gelb gemusterten Haut.
Nein, sein Blut hatte nur die Aufgabe das Elixier mit der Basis zu
binden.

Das eigentliche Herz des Wohlschmeckenden Todes befand sich in
der zweiten Flasche. Gift des Peruanischen Vipernzahns. Eine
Drachenart, die bevorzugt Jagd auf Menschen machte, weshalb ihr Gift
auch aus Stoffen bestand, die dafür ausgelegt waren, den Kreislauf
und die Nervenbahnen möglichst schnell lahm zu legen.

Nachdem Hermine auch diese Zutat in den Glasbehälter geschüttet
hatte, begann sie damit die Schwanzstacheln des Hornschwanzes mit dem
Mörser zu Pulver zu verarbeiten. Obwohl es nur zwei oder drei waren,
musste das Mädchen viel Kraft aufwenden um das harte,
elfenbeinfarbene Material zu zerkleinern. Das Mädchen drehte den
Kolben im Kreis, den haltenden Arm voll ausgestreckt und die Augen
konzentriert verengt. Endlich sammelte sich in der kleinen Schale ein
reinweißes, grobkörniges Pulver.

Dieses gab Hermine erst in den Glasbehälter und dessen Inhalt dann
in den Topf, wo die Basis inzwischen eine glatte, nachtschwarze Masse
geworden war. Ein zischendes Geräusch ertönte, als die beiden
Flüssigkeiten aufeinander trafen. Sofort begannen sie sich
miteinander zu vermengen wie zwei lebende Tiere, die um die
Vorherrschaft in dem sehr begrenzten Gebiet kämpften.

Die Braunhaarige trat von dem Kessel zurück. Sie wusste, dass der
Trank nun selbst arbeiten musste. Jegliches Eingreifen von
Menschenhand könnte das Gebräu verunreinigen und dies wollte
Hermine vermeiden. Das Mädchen lief zu dem Spiegel und setzte sich
auf den Boden. Sie zog ein wenig die Beine an.

Krummbein stand von seinem Posten auf und kletterte schwer auf ihren
Schoß. Der orangerote Kater machte es sich bequem und rollte sich zu
einer großen Kugel zusammen, das dichte Fell und der buschige
Schweif hingen etwas über ihre Beine. „Vorsicht“, rief
Hermine, die nun ihre Glieder bewegte, um in eine angenehmere
Position zu kommen.

Das Mädchen hob eine Hand und kraulte Krummbein sachte hinter den
Ohren, während sie wartete. In der Anleitung hatte gestanden, dass
dieser erste Wandlungsprozess mehrere Stunden dauerte. Seufzend
beschwor Hermine sich eine Tasse herauf und beförderte die
Kaffeekanne zu sich. Sie goss das schwarze Getränk in den kleinen
Behälter und nippte daran.

Nachdenklich musterte das Mädchen den Kessel. Ob der Trank wohl
gelingen würde? Theoretisch gesehen wäre er jetzt in der Lage zu
töten. Allerdings fehlte noch die letzte Zutat, der letzte Schliff,
welcher den Wohlschmeckenden Tod wahrhaft perfekt machte. Doch
vor dieser Zutat grauste es Hermine. Sie würde sie besorgen müssen.
Und sie musste frisch sein. Gerade erst abgezapft.

Überhaupt wäre das Mädchen in der Lage so einen Schritt zu gehen?
Konnte sie wirklich jemanden töten? Hermine senkte den Kopf und sah
in Krummbeins grüne Augen. Der Kater starrte sie groß an, fast als
wolle er sie anflehen, nicht weiter zu machen. Sein Blick ähnelte
einem bettelnden Welpen. Falscher Gedanke, Hermine! Dies
drängte ihr nur wieder brutal Lavender ins Gedächtnis.

Bilder blitzten vor ihrem inneren Auge auf. Lavender, welche erneut
ihre kitschige, kleine Liebesbekennung auf das Glas hauchte. Die mit
Ron rumknutschte und auf sie herabsah. Hermine und Lavender hatten
sich schon immer nicht gut verstanden. Lavender bemängelte Hermines
angeblich fehlende Emotionen, während das Mädchen selbst
kritisierte, dass die andere nicht rational genug dachte und an
albernen Kitsch wie Wahrsagerei glaubte. Lavender war, seitdem sie
als Rons Freundin durch die Schule stolzierte, noch herablassender
und verächtlicher geworden als ohnehin schon. Sie schien zu glauben,
dass allein die Tatsache, dass sie mit Ron herumknutschte, ihr das
Recht gab, auf Hermine herab zu blicken.

Allein diese wenigen Gedanken ließen die Wut sich in ihrem Körper
ansammeln wie Wasser hinter einem Staudamm. Hermine sprang so schnell
auf, dass Krummbein sich kurz an ihrer Jeans festkrallte, um nicht
herunter zu fallen. Seine Krallen pieksten in ihre Haut. Das Mädchen
verzog das Gesicht. „Runter von mir, Kleiner“, stieß sie
gepresst hervor. Der Kater jaulte erschreckt auf, als sie ihn
wegstieß.

Hermine trat zu dem Kessel. Sie sah hinein. Das Gebräu war nun
glatt, dünnflüssig und ebenmäßig. Es glich tiefschwarzer Tinte.
Eine Zutat noch. Ihre braunen Augen schlossen sich und sie
stieß den Atem aus. Vor der letzten Zutat graute es ihr, schon seit
sie das Rezept gelesen hatte. Es war furchtbar so etwas von einem
Menschen zu verlangen.

Hass, direkt aus dem Herzen. Dies war die allerletzte Zutat.
Sie würde dem Trank die Fähigkeit geben, unnachweisbar zu sein.
Kein Geruch, kein Geschmack, keine verräterischen Spuren. Die
perfekte Mordwaffe. Aber zu was für einem Preis?

„Ich kann euch lehren, wie ihr Ruhm in Flaschen zieht, Glanz
und Ansehen zusammen braut, ja sogar wie man den Tod verkorkt –
vorausgesetzt ihr seid nicht so ein großer Haufen einfältiger
Stümper wie ich sie sonst in meiner Klasse habe.“ Das waren
Snapes Worte gewesen. Und zwar gleich in ihrer ersten Stunde. Hermine
hatte nun deutlich verstanden, dass ein Zauberer sogar in der Lage
war, Gefühle aus einem Körper zu ziehen. Nur gab es ein Problem:
Das Mädchen hatte dies noch nie gemacht. Mit Slughorn waren sie noch
nicht so weit.

Seufzend blätterte Hermine in Die dunkelsten Geheimnisse der
schwarzen Magie, bis sie auf die Seite stieß, wo sehr genau
erklärt wurde, wie man den Hass aus dem Herzen einer Person zog.
Theoretisch gesehen ähnelte der gesamte Ablauf einer Blutabnahme,
nur mit dem Unterschied, dass dies erstens im Inneren des Körpers
stattfand und zweitens viel gefährlicher war.

Hermine wickelte das Bündel auseinander. Auf dem mattgrauen Stoff
lagen eine sehr lange, rasiermesserscharfe Nadel, eine Kanüle und
ein langer, elastischer Schlauch. Das Mädchen schluckte schwach.
Allein bei dem Gedanken, was es nun tun musste, wurde ihr schlecht.
Der Hass musste aus dem Herzen gezapft werden, was bedeutete, dass
sie dieses Instrument durch den Rachen in ihre Brust einführen
musste. Manchmal machte man es auch, indem man unter die Rippe an der
Brust stach. Egal, welche Variante man wählte, die Chance eine
tödliche Verletzung zu erleiden, wer enorm hoch.

Hermine entschied sich für die zweite Möglichkeit. Dort war für
sie die Kontrolle einfacher. Das Mädchen zog sich erst die schwarze
Uniformjacke, dann die hellgraue Weste aus. Zuletzt schob sie ihr
Unterhemd nach oben, um ihren Brustbereich sehen zu können.

Krummbein drückte sich auf den Boden. Er fauchte und sein Nackenfell
sträubte sich. Die Schwanzspitze zuckte hin und her. Hermine sah die
Katze an. Grüne, zusammen gekniffene Augen erwiderten ihren Blick
und Lefzen entblößten fauchend spitze Zähne. Tu es nicht!,
schien die Geste zu sagen.

Hermine seufzte. „Zu spät, Krummbein“, wisperte sie, „Viel
zu spät.“ Das Mädchen ergriff die lange Nadel, welche sie
inzwischen mit dem Schlauch und der Kanüle verbunden hatte. Sie
tastete mit den Fingern über ihre Brust, erfühlte die Rippen. Dann
richtete sie die rasiermesserscharfe Nadel auf sich. Bevor Hermine
irgendwie zögern konnte oder sie die Angst erneut überkam, stach
sie die Waffe zwischen die Rippen hindurch, geradewegs in Richtung
Herz.

Ihren Lippen entrang sich ein hoher Schmerzensschrei. Die Brust
krampfte. Den Stich hatte sie mit einer solchen Intensität gespürt
wie ein noch lebender Schmetterling, den man auf den Boden mit einer
Reißzwecke pinnt. Verdammt! Warum tue ich mir so etwas an?
Eine lähmende Taubheit breitete sich auf ihrer Haut aus und das Herz
machte ein paar Extraschläge.

Krummbein jaulte hysterisch auf, als er seine Besitzerin schwanken
sah. Hermine griff sich an die Brust, taumelte wie das Opfer eines
Schusses. Ihr Atem kam schnell und vor ihren Augen verschwamm alles.
Ihr Herz kämpfte so sehr, als würde jeder Schlag der letzte sein.
Atme, Hermine! Na los! Aber es war, als hätte sie einen
Kiesel verschluckt, der in ihrer Kehle stecken geblieben war.

Etwas Weiches streifte ihre Beine, als sie nach hinten stolperte. Ihr
Fall wurde schlagartig gemindert. Sachte berührte ihr Rücken die
Wand, als sie nach unten glitt. Hermine landete ungelenkig auf dem
Hosenboden. Die Finger umklammerten immer noch die Nadel. Ihre
Muskeln wanden sich unter ihrer Haut und Schwärze kroch in ihr
Blickfeld.

Ängstlich schloss Hermine die Augen. Ihre Lippen zitterten. Ihre
Gedanken schienen irgendwie zu verrückt zu spielen, denn anstatt
Schwärze rauschte ein Blitzfeuerwerk an Bildern an ihr vorbei.

Draco Malfoy, dieser arrogante Blödmann, der sie verhöhnte und
verspottete. Lavender, welche Ron während der Siegesfeier küsste.
Ron, welcher unsicher fragte, was die Vögel da über ihrem Kopf
sollten. Der über ihre Klugheit lästerte. Als könne er ihre
Schmerzen nicht sehen. Dieser taktlose Vollidiot! Harry, welcher
immer den ganzen Ruhm abbekam, obwohl sie es war, die die ganze
Arbeit machte. Und Dumbledore, der ständig versuchte Harry zu
beschützen, aber den Jungen doch immer wieder in Gefahr brachte.
Pansy Parkinson, die über ihr Aussehen ablästerte.

Es war, als würde Hermine all jene sehen, auf die sie eine Wut
hegte. Bei manchen war ihr das klar gewesen, aber andere, wie etwa
Dumbledore, den sie doch sonst in den höchsten Tönen lobte,
überraschten sie. Waren das wirklich ihre Gedanken? Überhaupt, was
geschah hier mit ihr? Hermine fühlte sich benebelt, abgeschottet,
wie in Trance.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie aus ihrem Anfall erwachte. Ihr
Kopf wummerte, ihr Atem kam leicht stoßweise und Schweiß verklebte
die Haare an ihrer Stirn. Hektisch sah Hermine sich um. Krummbein
stand neben ihrer Schulter. Als eine Art Begrüßung knallte er ihr
den rundlichen Schädel gegen den Hals und brummelte entrüstet. Mach
so einen Mist nie wieder! Es war nicht schwer diese Geste zu
deuten.

Hat es geklappt? Hermine sah an sich herab. Eine dunkelgrüne,
von lila Schattierungen durchzogen Flüssigkeit sickerte aus der
Kanüle in den Schlauch. Hass, genau aus dem Herzen gezogen.
Sprachlos sah das Mädchen die Lymphe an. Wie eigenartig sie aussah!
Und gruselig. Sonderbarerweise spürte Hermine nicht, dass sie
weniger Hass auf Ron, Lavender und Draco empfand. Dieser schien eher
gleich geblieben zu sein.

Hermine stand auf, nahm den Schlauch und lief zu dem Kessel.
Vorsichtig ließ sie den flüssigen Hass in den unfertigen Trank
rinnen. Interessiert beobachtete sie die Reaktion, als beide
Flüssigkeiten aufeinander trafen. Der Wohlschmeckende Tod
wurde durchsichtig und klar wie Wasser. Er roch nach nichts.

Zufrieden holte Hermine mehrere Phiolen aus ihrer Kiste und zog das
giftige Elixier hinein. Sie steckte die Gläser in ihre Perlentasche.
Ihre Augen flackerten düster. Jetzt hatte sie etwas in der Hand, was
geeignet war, ihren Feinden ein Geschenk zu geben, das sie nie
vergessen würden: den Tod.

Wie man mit Stil mordet

Es war kaum zu glauben, dass der Frühling vor der Tür stand, wenn
Hermine die kalte Luft um sich herum spürte. Der stetige Windhauch
war noch relativ kühl, aber immerhin sprossen bereits zaghaft die
ersten Blätter der Eichen, der Schnee und Frost, welcher den Boden
hart gemacht hatten, waren größtenteils verschwunden und durch
kurzes Gras ersetzt worden.

Hermine saß auf einer hölzernen Bank der Zuschauertribüne des
Quidditchfeldes. Diese war so hoch gelegen, dass man einen guten
Blick auf die Umgebung hatte. Das Mädchen hatte die Hände auf dem
Schoss gebettet. Ihr grauer Wintermantel war bis zum Kragen hoch
zugeknöpft.

Harry stand mit seinem Team auf dem Rasen. Einige Meter hinter ihm
befanden sich mehrere Ringe, welche auf hohen Stangen standen. Die
Tore. Die Spieler bildeten um ihren Mannschaftskapitän einen
Halbkreis und wartete, was dieser zu sagen hatte. „Zunächst
einmal“, begann Harry, „möchte ich euch alle loben. Die
Wintersaison lief spitze bei uns. Ich glaub, wir sind noch nie in so
kurzer Zeit auf den ersten Platz der Tabelle gerückt. Gut gemacht.“

Alle jubelten und grinsten. Hände klopften lobend auf die Schultern
ihrer Kameraden. Wortfetzen wie „Im letzten Spiel warst du
unglaublich.“, „Wie du den Ball gehalten hast, war der
Wahnsinn.“ und „Ohne euch zwei hätte dieser Klatscher mich
glatt erwischt.“ machten die Runde.

Harry hob die Stimme an und die Anwesenden wandten ihm wieder die
Aufmerksamkeit zu. „Das Jahr hat jedoch gerade erst angefangen.
Ihr wisst, wir bekommen den Quidditch-Pokal erst, wenn wir auch die
Sommersaison hinter uns bringen. Das wird ein steiniger Weg. Vor
allem da Slytherin Tabellenzweitbester ist und garantiert alles
versuchen wird, um uns von unserem Platz zu drängen.“

„Deswegen werden wir jetzt einige Foulsituationen üben
beziehungsweise nachstellen, damit wir wissen, wie wir damit
umzugehen haben. Ron ist wieder der Hüter. Ihr anderen teilt euch in
zwei Gruppen auf. Eine ist unser Team und eine die Gegner. Alles
klar? Dann los!“

Und die Spieler stiegen auf ihre Besen, stießen sich ab und schossen
in die Luft. Ihre roten Roben flatterten im Wind. Hermine
beobachtete, wie Ron seinen Platz zwischen den Ringen einnahm. Sie
musste an das Trainingsspiel denken, in welchem Harry die Hüter
ausgelost hatte. Da hatte Ron verspannt und aufgeregt gewirkt, jetzt
saß er ganz gelassen auf seinem Besen und musterte die Umgebung
wachsam. Harrys kleiner Trick hat bei ihm wahre Wunder bewirkt.

Die Spieler schossen über den Platz. Ginny Weasly ganz vorne. Rons
jüngere Schwester war von den anderen Mannschaftsmitgliedern zur
Torschützenkönigin gekürt worden. Hermine konnte verstehen warum.
Das Mädchen mit den langen, roten Haaren fühlte sich in der Luft
fast so zu Hause wie Harry. Sie flog Schlangenlinien, Loopings und
andere rasante Manöver, bei denen Hermine schwindelig vom Zugucken
wurde.

Ginny übernahm bei dieser Trainingseinheit einen der Gegner. Sie
baute in ihre ganzen Flugkünste noch eine Menge Fouls ein: Rammte
Mitspieler, sodass diese einige Meter zur Seite geschleudert wurden,
zog Leuten am Besen und warf auf so brutale Art und Weise den Ball,
als wolle sie Rons Magengrube treffen. Der Rothaarige musste sich
ziemlich anstrengen, um diese fiesen Aufschläge zu halten. Hermine
hörte ihn manchmal leise keuchen.

Lavender Brown saß etwas vor ihr. Die großen, blauen Augen waren
unverwandt auf Ron gerichtet. Ihre Hände knautschten den kurzen,
geblümten Rock, den sie trug, und ihre Lippen murmelten leise Worte.
Hoffnungen und Bangen. Es war klar, dass die Braunhaarige
mitfieberte. Wenn Ron einen besonders schweren Wurf hielt, sprang
Lavender mädchenhaft kreischend auf, klatschte und pfiff so schrill,
dass es Hermine in den Ohren schmerzte.

Unbehaglich wandte sie den Kopf. Ihre Brauen wanderten etwas umher
und sie befeuchtete die Lippen. Oh, wie sehr sie diese Barbie hasste!
Geduld, Hermine, Geduld. Wenn alles nach Plan lief, würde sie
das lächerliche Puppengesicht schon bald für immer los sein.

Hermines braune Augen spähten unauffällig umher. Sie behielt einen
besorgten Gesichtsausdruck bei, als würde sie ebenfalls mit Ron
mitfiebern. Doch in Wahrheit scannte sie die Umgebung nach
neugierigen Blicken oder Personen, die zufällig in ihre Richtung
sahen. Niemand beachtete sie.

Jetzt! Hermine hielt sich die Hand vor den Mund. Sie wandte
sich etwas ab, wie jemand, der hustet und aus Höflichkeit nicht
will, dass dies jemand mitbekommt. Doch ihren Lippen entrang sich
kein Niesen oder ein anderer Laut einer Krankheit. „Confundus“,
wisperte Hermine kaum hörbar.

Rons Besen scherte nach links aus. Er knallte mitten zwischen die
Ringe. Knirschend brach das Holz. Ron vollführte einen Überschlag,
bevor er von dem Stiel glitt und zu Boden stürzte. Dumpf schlug er
auf dem Grund auf, Arme und Beine von sich gestreckt, das Gesicht auf
dem Boden.

Entsetzensschreie wurden laut. „Stopp!“, brüllte Harry,
obwohl es unnötig war, das Training zu unterbrechen. Alle hatten den
Unfall mitgekriegt und ihre aktuelle Tätigkeit eingestellt. Hermine
stand auf. Lavender reckte hysterisch den Hals. „Mein
Won-Won…“, fragte sie angespannt.

Harry rauschte nach unten. Er landete, warf den Besen an Ort und
Stelle auf den Boden und stürzte zu Ron. „Ron“, rief er
und kniete sich neben ihn, „Steh auf, bitte steh auf!“ Die
Spieler des Teams hatten sich inzwischen um den Jungen mit der feinen
Blitznarbe auf der Stirn gescharrt. Besorgte Augenpaare ruhten auf
Rons Körper. Hermine lief etwas langsamer zu der Gruppe, während
Lavender schluchzend versuchte zu Ron zu gelangen. Allerdings ließ
sie keiner durch. „Ich hole Professor McGonagall“, sagte
Ginny ernst.

Im Krankenflügel war es warm und der Raum von dem Licht aus den
großen Fenstern erhellt. Das marmorne Gestein schimmerte. In langen
Reihen standen mehrere Betten mit kupferfarbenem Gestell, weichen,
weißen Bezügen und links von ihnen jeweils ein Nachttisch. Die Luft
roch trotz allem etwas steril und nach Medikamenten.

Hermine saß an dem Bett, in welches man Ron gelegt hatte. Sie konnte
den Rothaarigen gerade nicht so gut sehen, denn Madam Pomfrey, die
Ärztin, hatte sich über ihn gebeugt und tastete vorsichtig seinen
Brustkorb ab. Ginny, Harry und McGonagall standen auf der anderen
Seite.

„Nun Poppy?“, fragte Minerva. Die grauhaarige Lehrerin
richtete besorgt den Blick auf die kleine, schlanke Frau, als diese
sich aufrichtet. „Rippen gebrochen“, antwortete diese auf
die unausgesprochene Frage, „Mindestens drei.“ Erschrecktes
Luftholen seitens Ginny und Harry. „Keine Sorge. Sie sind so
glatt gebrochen, dass man sie leicht wieder zusammenwachsen lassen
kann.“

„Ms Weasly und Mr Potter, was genau ist passiert?“, fragte
McGonagall, „Sie haben erwähnt, Mr Ronald Weasly wäre von
seinem Besen gefallen. Haben Sie da etwas Genaueres beobachtet?“
Harry schüttelte den Kopf und Ginny meinte: „Nicht viel. Sein
Besen hat einfach einen Sprung zur Seite gemacht, ist gegen das Tor
geknallt und dann entzwei gebrochen.“

Die Lehrerin kniff die Augen zusammen. Besorgt sah sie zu Ron,
welcher da lag. Seine Augen waren ermattet geschlossen, das Gesicht
vor Schmerz verzerrt. Die roten Haare klebten eigenartig an seiner
Stirn. „Denken Sie, er wird wieder gesund?“, fragte
McGonagall die Heilerin. „Gewiss“, meinte Madam Pomfrey
ruhig, „Ich habe schon schlimmeres gesehen als gebrochene
Rippen. Etwas Ruhe, eine harte Bandage sowie ein
Knochenstärkungstrank werden dafür sorgen, dass er bald wieder auf
den Beinen ist.“

Während sie sprach, stellte die Heilerin ein Glas auf den Tisch,
daneben eine Flasche, welche mit Knochenornamenten und einem
Totenkopf verziert war. „Sie können jetzt gehen“, meinte
sie ruhig. Professor McGonagall entfernte sich rasch. Harry und Ginny
wechselten unsichere Blicke. Hermine blieb, wo sie war.

„Ich möchte ein wenig auf ihn aufpassen, falls euch das nicht
stört“, erklärte die Braunhaarige, als fragende Blicke auf sie
gerichtet wurden. Madam Pomfrey meinte: „Nun, dann können Sie
ihm ja sagen, dass er seine Medizin einnehmen soll, wenn er wach
ist.“ Und sie entfernte sich. Hermine senkte hastig den Kopf, um
ihr Lächeln zu verbergen. Keine Sorge. Ich werde wahrlich darauf
achten, dass er seine Medizin bekommt.

Harry sagte: „Wenn du hier bleiben willst, dann werden wir dich
nicht weiter stören.“ Ginny fasste nach seiner Schulter. „Komm
Harry“, wisperte sie sanft, „Wir sollte den anderen
Teammitgliedern Bescheid sagen, dass sich Ron erholen wird. Die sind
bestimmt alle krank vor Sorge.“ Bildete sich Hermine das ein
oder huschte bei der Berührung der Rothaarigen tatsächlich eine
leichte Röte über Harrys Gesicht?

Der schwarzhaarige Junge nickte hastig. „Ja, gute Idee, Ginny“,
meinte er schnell, „Bis später, Hermine.“ Die Braunhaarige
knetete vorsichtig die Hände, während sie den sich entfernenden
Schritten lauschte. Liebe. Ein so wunderschönes Gefühl, was einen
zum Narren hielt. Ein Luxus, der einem zweischneidigen Schwert glich.
Hell und wunderschön, doch schmerzhaft, wenn es sich gegen einen
richtete.

Es dauerte keine fünf Minuten, bis Lavender Brown in den
Krankenflügel stürmte. Ihre schmutzig braunen Haare flogen. „Wo
ist mein Won-Won?“, fragte sie besorgt und bremste schliddernd
bei dem Bett ab, in welchem der Rothaarige lag, „Hat er schon
nach mir gefragt?“ Ihre Stimme an sich klang schon widerlich,
aber nun war es das allerletzte. So kitschig, mädchenhaft,
welpengleich……verabscheuungswürdig, wie Hermine fand.

Lavender brauchte offenbar etwas, bis sie Hermine bemerkte. „Was
macht die denn hier?“, wollte sie entrüstet wissen. Die
Braunhaarige stand von dem Hocker auf. „Ich könnte dieselbe
Frage stellen!“, rief sie aufgebracht. Lavender machte einen
angriffslustigen Schritt nach vorne. „Entschuldigung, aber ich
bin seine Freundin!“

Das ist doch…! Diese dreiste, arrogante Schnepfe! Dass sie
sich das traute! Hermine erwiderte: „Nun, ich bin seine….“
Sie suchte nach dem richtigen Wort. „beste Freundin.“
Ihre Stimme war nur ein leises Flüstern. Das Mädchen senkte leicht
den Kopf. Es atmete schnell und leise. Nicht nur vor Wut, sondern
auch vor Aufregung. Sie nährte sich ihrem ersten Ziel. Es war das
Gefühl beim Marathonlauf, wenn man das Zielband in der Ferne
erblickt und noch mal einen Extraspurt hinlegt, um sicher zu sein,
dass man das Ziel erreicht.

„Ach, ja?“, erwiderte Lavender höhnisch, „Dass ich
nicht lache! Ihr habt seit Wochen nicht mehr miteinander gesprochen.
Und jetzt, wo er interessant geworden ist, da beachtest du ihn
wieder!“ Hermine sog die Luft ein. Ihre Brauen stachen zu einem
spitzen V zusammen. „Er ist von seinem Besen gestürzt und hat
sich die Rippen gebrochen, du dumme Kuh!“, rief sie entrüstet
aus, „Außerdem fand ich ihn schon immer interessant.“ Aber
ich bin doch bereit ihn zu töten. Ich könnte es nicht ertragen,
Lavenders Küsse auf seinen Lippen zu finden.

„Was ist mit dir los?“, fragte Lavender empört und
verschränkte die Arme vor der Brust. Sie reckte das Kinn. „Du
scheinst doch ganz gewiss ein Problem zu haben!“ „Was mein
Problem ist?“ Hermines Stimme klang hell, klar, überschlug sich
leicht und ähnelte fatal einer Irren. Sie lachte kurz auf. „Du
bist mein Problem! Du nimmst dir etwas, das mir gehört.“

„Das dir gehört“, äffte Lavender Hermine nach. Sie
meinte: „Also wirklich. Du willst es einfach nicht akzeptieren,
dass er mich mehr mag als dich.“ Das Mädchen schaffte es gerade
so nicht zusammen zu zucken. Messer, welche sich treffsicher in ihr
Herz gruben. Der Schmerz über diese unerwiderte Zuneigung war tief
wie eine frische Wunde.

Die Atmosphäre in dem Krankenflügel schien sich zu verschlechtern.
Die Ruhe vor dem Sturm. Hermine spürte mit jeder Faser ihres
Körpers, dass der Moment sich nährte, auf welchen sie die letzten
paar Wochen hingearbeitet hatte. Es würde so gut sein, ihrem Hass
endlich ein Ventil zu geben.

Hermine stieß hervor: „Sei still! Ein Wort noch und….“
„Und was?“, höhnte Lavender. Es war offensichtlich, dass
sie keine Ahnung von der Wut in Hermines Bauch hatte. „Was
willst du dann tun? Mich schlagen wie Draco?“ Ihre Stimme wurde
zu einer kitschig weinerlichen, hilflosen Mädchenstimme. „Ich
hab ja sooo ’ne Angst! Huuuuuhhh!“ Das ist auch berechtigt!

„Nein.“ Hermines Stimme klang kalt wie Eis. Die braunen
Haare tanzten schwach bei ihren Atemzügen. Tief und schnell
zugleich. Hermine stand kerzengerade da und ihre Augen waren genau
auf Lavender gerichtet. Pure Entschlossenheit und ein gefährlicher
Wille strahlten von ihr aus. Es sprach von dem Töten einer anderen
Person ohne zu zögern.

Dann in einer schnellen, verschwimmenden Bewegung riss Hermine den
Zauberstab hoch und richtete ihn auf Lavender. „Avada
Kedavra!“ Ihre Stimme klang wütend, laut, aber zugleich so
samtig und kühl, als würde der Hass und Zorn sie abkühlen. Das
hübsche Stück Holz in ihrer Hand vibrierte leicht von der
aufgestauten Energie, bevor der grüne Blitz aus seiner Spitze brach.

Der Fluch traf Lavender an der Brust. Ihr wurde der Boden unter den
Füßen weggerissen und sie flog durch die Luft. Der Körper
vollführte mehrere Drehungen, bevor er gut zwei Meter von dem
Krankenbett entfernt auf dem Boden aufschlug, die Arme steif von sich
gestreckt, die Augen starr und blicklos.

Hermine atmete langsam die Luft aus. Ihr war nicht bewusst gewesen,
dass sie die ganze Zeit den Atem angehalten hatte. Ihre Beine
knickten um und sie setzte sich auf den Hocker. Das Mädchen griff
sich an die Brust. Sie zitterte am ganzen Körper.

Vollbracht. Sie hatte getötet. Einen anderen Menschen
ermordet. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Hermine war sich nicht
sicher, was sie fühlen sollte. Ein Teil von ihr war schockiert,
entsetzt, wie gelähmt. Aber zugleich fühlte sie sich befreit,
erleichtert, glücklich. Das grünäugige Monster schien etwas
kleiner geworden zu sein. Was für eine Erlösung. Hermine
lächelte dünn und sah kurz zu der Leiche.

Einer erledigt, fehlen nur noch zwei. Die Stimme ertönte in
ihrem Kopf. Leise, lockend, sanft, verführend. Hermine atmete
langsam aus. Wer auch immer mit ihr sprach und sie lenkte, er hatte
ja Recht. Ihr Rachefeldzug war noch nicht beendet. Es mussten noch
zwei Personen ausgeschaltet werden, welche sie aus tiefstem Herzen
verabscheute. Und eine von ihnen befand sich gerade mit ihr in diesem
Raum.

„Hermine…“ Die Stimme klang wie ein heiseres Krächzen.
Das Mädchen wandte den Kopf. Ron blickte sie an. Seine Augen wirkten
eingesunken in seinem Gesicht und er sah furchtbar geschwächt aus.
Weiß, zerbrechlich, ermattet, müde. „Ja, Ron?“ Liebevoll
umschlossen ihre Finger seine Hand.

„Was ist passiert?“, fragte der Rothaarige. Hermine
antwortete: „Du bist von deinem Besen gestürzt und dann
ohnmächtig geworden.“ Ron nickte langsam. „Ja, daran
erinnere ich mich auch noch“, murmelte er mehr zu sich selbst
als zu ihr.

„Wie fühlst du dich?“, wollte das Mädchen wissen.
„Miserabel“, war die Antwort, „Mein Kopf brummt
bestialisch, meine Brust tut weh, wenn ich atme und mein Hals ist
furchtbar rau.“ Hermine seufzte. „Das hört sich schlimm
an“, flüsterte sie. Ron nickte und gab ein leise krächzendes
Husten von sich. „Es ist schlimm“, würgte er.

Hermine griff behutsam in ihre Manteltasche und zog einen Apfel
heraus. Seine Schale war von dunkler Zartbitterschokolade umhüllt.
Das Mädchen erklärte: „Ich habe nach deinem Sturz in aller Eile ein Schmerzmittel zubereitet.“ „War ich so lange bewusstlos, dass du dies zubereiten konntest?“, fragte Ron erstaunt. Hermine nickte. „Du hast keine Ahnung, wie lange.“

Das Mädchen hielt dem Rothaarigen den Apfel hin. „Hier“,
sagte sie, „Das Schmerzmittel schmeckt scheußlich, aber ich
habe es etwas versüßt. Hoffe mal, du magst Bitterschokolade.“
Ron nickte hastig und stützte sich auf den Arm. Er griff den Apfel
und biss hinein. Ein lautes Knacken ertönte dabei.

Ron fiel zurück aufs Bett. Sein Atem kam schnell und abgehackt. Die
Augen rollten in ihren Höhlen. Sein Körper zuckte unruhig. Die
Muskeln am Hals bebten. Der Apfel fiel aus seiner verkrampften Hand
und rollte unter das Bett. Hermine stand auf und starrte auf den im
Todeskampf liegenden Jungen herab. Ron öffnete den Mund, als wolle er schreien, doch aus seiner Kehle drang nur ein heiseres Röcheln. Endlich nach qualvollen fünf Minuten verstummten die letzten paar Anzeichen von Leben. Ron lag auf der Matratze, den Kopf nach hinten gekippt, seine Augen starrten glanzlos zur Decke. Blaue, gläserne Murmeln. Hermine hob eine Hand und bettete zwei Finger auf seinen Lidern. Sachte schloss sie ihm die Augen.

Hermine wandte nachdenklich das Haupt und blickte sich auf der nun
bedrückend stillen Krankenstation um. Seltsamerweise fühlte sie
erneut keine Trauer oder andere Schuldgefühle. Irgendetwas blendete
dies gerade vollkommen aus. Doch sie würden zurück kommen. Später.
Zwei erledigt, fehlt nur noch einer. Hermine lief um das Bett
herum. Mit schnellen, entschlossenen, ausgreifenden Schritten verließ
sie die Krankenstation.

Reines Blut

Es war später Abend, als Harry das Quidditchtraining endlich für
beendet erklärte. Alle Spieler liefen müde, aber doch ziemlich
zufrieden in die Umkleidekabine. Dort zogen sie die mit Staub und
grobkörnigem Schmutz bedeckten Umhänge aus, falteten die
scharlachroten Stoffe zusammen und legten sie sorgsam auf die
Ablagen.

Als Harry seine ledernen Handschuhe auf seine Uniform gelegt hatte,
wandte er sich noch einmal an seine Mannschaft. Er rief: „Ich
bin sehr zufrieden mit euch allen. Ihr habt unser spezielles
Foultraining sehr gut gemeistert. Ich denke, nun wird es für
Slytherin noch schwerer einen Treffer zu landen. Wirklich, ich bin
froh, euch als Team zu haben.“ Alle jubelten und strahlten.

Dann liefen die Schüler wieder zurück zum Schloss. Harry und Ginny
liefen nebeneinander. Unter ihren Füßen knirschte der Raureif. Die
kalte Abendluft ließ die roten Haare des Mädchens flattern. Sie
trug einen saphirblauen Pullover und eine schwarze Jeans. Ihre
braunen Schuhe wurden feucht von dem schmelzenden Schneeüberzug, der
unter ihren Sohlen brach.

Harry wusste nicht, woher dieses Gefühl kam, aber seit längerem
fühlte er sich immer etwas unsicher in ihrer Gegenwart. Er ertappte
sich dabei, wie er öfter als nötig zu ihr rüberschielte und immer,
wenn sie seinen Blick erwiderte, wurde er für den Bruchteil einer
Sekunde rot. Auch schien es ihm manchmal schwer zu fallen einen
anständigen Satz zu bilden oder auf eine einfache Frage zu
antworten. Was machte die Rothaarige nur mit ihm? Hör auf, Harry!
Sie ist Rons Schwester. Sie ist tabu. Aber dieses Sehnen wollte
einfach nicht aufhören. Genauso wie die Verlegenheit.

„Du warst heute wirklich großartig“, sagte Harry leise.
Inzwischen standen die beiden in einem der überdachten, weiten Gänge
in Hogwarts. Mondlicht fiel durch die Lücken in den Bögen, die die
Außenwand schmückten, auf den marmornen Boden. Ginny blieb stehen.
Genauso wie der Schwarzhaarige. Sie standen sich gegenüber und sahen
sich einfach nur an. Er glaubte in ihren wunderschönen, braunen
Augen zu ertrinken. Als einziges von Molly Weaslys Kindern hatte
Ginny ihre Augenfarbe geerbt. Das machte sie zu etwas besonderem,
heraus stechendem.

„Danke“, meinte Ginny. Auch ihre Stimme war nur ein Hauch,
getragen vom Wind. „Du aber auch. Ich finde, du bist ein sehr
guter Trainer, Harry.“ „Wirklich?“, fragte er erfreut
und überrascht. „Ja“, war ihre Antwort, „Du hast
genau gewusst, welche fiesen Tricks die Slytherins benutzen und
konntest daraus ein Trainingsprogramm entwerfen, sodass wir für das
nächste Spiel gegen sie vorbereitet sind.“

Unauffällig machte Ginny einen Schritt nach vorne. Sie standen so
nah beieinander, dass gerade Mal ein Blatt zwischen sie gepasst
hätte. Harry spürte ihren Atem auf seiner Haut. Sein Herz klopfte.
Was geschah hier nur? Ginny wisperte: „Was ich vor allem wichtig
finde, ist, dass du an uns glaubst.“ Harry schluckte. Irgendwie
war sein Hals ganz rau. „Danke….“, brachte er hervor.

Ginny spähte an ihm vorbei. „Harry, wir werden beobachtet.“
Er wandte den Kopf. Auf dem Fenstersims hockte. groß, orange und
schwer, Krummbein. Der Kater hatte ihnen den Rücken zugekehrt, doch
seine glühenden, grünen Augen taxierten sie. Der Schweif bewegte
sich langsam hin und her. Das Nackenhaar war leicht gesträubt.

„Er sieht irgendwie sauer aus“, meinte Ginny. Harry fragte
sich: „Denkst du, Hermine hat vergessen ihn zu füttern?“
Er musste loslachen, denn irgendwie klang dieser Satz eher so, als
würde Ron ihn sagen. Der dachte schließlich ständig ans Essen. Die
Rothaarige schüttelte den Kopf. „Das bezweifle ich“, sagte
sie.

Krummbein gab ein grummelndes Geräusch von sich, es klang wie ein
Niesen, spannte die kräftigen Läufer an und hüpfte den Fenstersims
runter. Er verschwand auf dem Schulgelände, ein kleiner, orangener
Fleck in der Dunkelheit. Ginny meinte: „Ich würde bei dem
kalten Wetter nicht gerne im Dunklen spazieren gehen.“ „Ich
auch nicht“, meinte Harry. Sie sahen dem Kater nach, bis er
verschwunden war.

„Also wirklich, das wurde aber auch höchste Zeit! Was macht ihr
auch noch so spät in den Gängen?“ Mit diesen Worten begrüßte
sie die Fette Dame, als sie durch den Gang auf das Portrait zu
gerannt kamen. Sie hatte ihre Hände in die Hüften gestemmt. Das
rosa Kleid bauschte sich. Harry glaubte sogar in dem teigigen,
rosewangigen Gesicht so etwas wie Unmut zu erkennen.

„Entschuldigung“, sagte Harry, „Wir haben trainiert
und die Zeit vergessen.“ „Aha“, stellte die Fette Dame
fest, „Dann guckt das nächste Mal auf die Uhr. Ich meine, wozu
habt ihr so was? Wegen euch verpasse ich jetzt das Treffen mit
Hildegard von Mythenmetz und Rodrigo Domingo. Und der ist so ein gut
aussehender und poetischer Bursche….“

Ohne auf das Passwort zu warten, klappte das Gemälde zur Seite.
Harry und Ginny beschlossen die korpulente Frau nicht noch mehr zu
stören und stiegen kurzerhand durch das Loch. Hinter ihnen ertönte
ein dumpfer Knall, als das Portrait wieder in den Rahmen fiel. Ganz
offensichtlich würde jetzt niemand mehr reinkommen.

„Seit wann hat sie einen Sinn für das Poetische?“, fragte
Ginny irritiert. „Keine Ahnung“, meinte Harry, „Ich
hoffe, dass sie nicht versucht zu dichten. Erinnerst du dich daran,
wie sie mal versucht hat ein Glas zu zersingen und daran gescheitert
ist?“ Die Rothaarige nickte schadenfroh grinsend. Sie hatten
beide noch gut in Erinnerung, wie die Fette Dame ihnen damals den Weg
versperrt hatte und dann mit ziemlichem Gekreische versucht hatte,
ein Weinglas zu zersingen. Sie hatte es letzten Endes dann einfach
zerbrochen, indem sie gegen den Rahmen ihres Bildes damit geschlagen
und skandalös behauptet hatte, ihre Stimme wäre ein Wunder. Was
natürlich komplett falsch war!

Ginny gähnte mit vorgehaltener Hand. „Ich bin todmüde. Ich geh
schlafen. Gute Nacht.“ „Nacht, Ginny.“ Harry sah ihr
nach, wie sie die Stufen hinaufstieg, welche zu den
Mädchenschlafsälen führte. Ihr rotes Haar wirkte dunkel, wenn kein
Licht da war. Aber auch dann hatte es etwas Schönes.

Der Junge drehte den Kopf. Vor dem Kamin saß in einem der Sessel
Hermine. Ihre Hände lagen auf ihrem Schoss. Harry lief über den
weichen Teppich und setzte sich in den Sessel neben ihrem. Das
Mädchen sah auf. Sie lächelte matt. Die Flammen malten weiche
Lichtflecke auf ihr Gesicht.

„Wie war das Training?“, begrüßte Hermine ihn, „Ihr
wart ja richtig lange weg.“ „Ganz gut“, erwiderte
Harry, „Alle haben es geschafft, trotz unserer absichtlichen
Fouls, mehrere Tore zu machen. Ich glaube, beim nächsten Match hat
Slytherin keine Chance gegen uns.“ „Das freut mich“,
erwiderte die Braunhaarige milde. Sie rieb die Hände aneinander.

Harry fragte: „Wie geht es, Ron? Du hast ja auf ihn aufgepasst.
Hat er seine Medizin genommen?“ „Ja.“ Hermine strich
sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und fuhr fort: „Ja, er
hat sie genommen. Jetzt schläft er. Und es geht ihm schon viel
besser.“ Erleichtert stieß der Junge den Atem aus. „Danke,
Hermine.“

Eine Weile schwiegen beide. Nur das leiste Knistern der Flammen war
zu hören, das Knacken von brennendem Holz. Funken stoben zum Rand
des Kamins, wenn ein Holzscheit durchbrannte und auseinander fiel.
Harry beobachtete die sonderbaren Formen, die das Feuer hatte. Es
veränderte sich, bewies, dass alles vergänglich war.

Irgendwie erinnerte seine Farbe ihn an Ginnys Haare. Aber auch, wie
sich die züngelnden Flammen bewegten. Auch dann war das Feuer ein
Ebenbild ihrer wunderschönen, glatten Mähne, welche so perfekt zu
ihrem schmalen Gesicht passte. Seine Mutter hatte rote Haare gehabt.
Harry wusste dies von Fotos. War dies vielleicht auch ein Grund,
warum er Ginny nahe sein wollte? Weil sie ihn irgendwie an seine
Mutter erinnerte?

Hermine brach das Schweigen: „Du hast echt Glück.“ Harry
blickte sie irritiert an. „Mit was?“, fragte er. „Mit
Ginny“, war ihre Antwort, „Du hast sie gern und sie hat
dich gern. Ihr könnt zusammen sein, ohne, dass jemand drittes euch
im Weg ist.“ „Und was ist mit Dean?“, erwiderte Harry,
„Mit ihm war Ginny Anfang dieses Jahres zusammen.“ „Bist
du deswegen neidisch?“, fragte das Mädchen. „Nein“,
entgegnete Harry rasch, überlegte dann jedoch und meinte:
„Vielleicht ein bisschen. Aber ich glaube, Ginny findet Dean
inzwischen auch nicht mehr so interessant. Und selbst wenn, ich
denke, ich bin gegenüber so etwas sehr tolerant.“ Hermines
Brauen wanderten kritisch nach oben. Harry runzelte irritiert die
Stirn. Warum fragte sie ihn denn jetzt so etwas?

Doch bevor er etwas sagen konnte, wurden sie durch das sich
knirschend öffnende Portraitloch unterbrochen. Irritiert wandte
Harry den Kopf. Die Fette Dame ist doch ausgegangen. Hier dürfte
eigentlich niemand hinein kommen. Auch Hermine stand auf und
drehte sich um. Seite an Seite beobachteten sie die Gestalt, die den
Gryffindorgemeinschaftsraum betrat.

Es war Professor McGonagall. Die grauhaarige Lehrerin wirkte ernst
und besorgt, während sie auf die beiden Schüler zukam. „Gut,
dass Sie noch wach sind, Mr Potter und Mrs Granger“, sagte sie
mit leicht bebender Stimme, „Ich habe schlechte Neuigkeiten für
Sie. Bitte kommen Sie mal eben mit.“

Harry und Hermine wechselten schnelle Blicke. Was hatte dies zu
bedeuten? Langsam liefen die beiden hinter Minerva her. Als Harry
begriff, dass sie sich dem Krankenflügel nährten, machte sein Herz
mehrere Sprünge, bevor es in einem schnellen Tempo weiter klopfte.
Auf einmal wurde dem Jungen bewusst, dass er schwitzte und auch sein
Atem kam schneller. Nervosität ließ seine Haut kribbeln, als wären
tausende Ameisen darunter.

Professor McGonagall hatte so besorgt gewirkt und sie nährten sich
dem Krankenflügel. Bitte lass es nicht etwas mit Ron sein. Bitte
lass es nicht etwas mit Ron sein. Harry wiederholte die Worte
wieder und wieder, als könnten sie ihm helfen, ein schreckliches
Unglück abzuwenden. Wie eine Beschwörungsformel oder ein
Schutzzauber. Doch eine Vorahnung nagte an ihm. Die Tatsache, dass
Minerva so besorgt war, ließ theoretisch gesehen nur eine logische
Schlussfolgerung zu…. Nein! Denk das bloß nicht.

„Ich warne Sie vor:“, sagte die grauhaarige Lehrerin und
sie betraten den Krankenflügel, „Das wird wohlmöglich ein
Schock für Sie.“ Harry wartete nicht ab, bis sie ihn und
Hermine zu Rons Bett geführt hatte. Er lief selbst zu dem eisernen
Gestell. Dort blieb er stehen und starrte fassungslos auf seinen
besten Freund.

Ron lag in dem Bett, weiß, die Augen geschlossen, das Gesicht vor
Schmerz verzerrt. Er sah so kalt aus. So leer und leblos.
Schockierend und entsetzlich. Um Rons Nase war die Haut bereits
leicht blau geworden. Harry keuchte entsetzt auf. Er hatte noch nie
einen Leichnam gesehen.

Dann stürzte Harry wie von Sinnen vor dem Bett auf den Boden. Nein!
Nein! Nein! Das darf nicht wahr sein! Die Gedanken tanzten in
seinem Kopf und schließlich machten sie sich frei, verließen seinen
Mund als grässliche, traurige, klagende Schreie. „Ron! Nein!
Nein! Oh, bitte, nein! Ron! Warum? Warum? Rooooonnnnnnn!“ Der
Junge trommelte schluchzend mit den Fäusten auf dem Boden. Tränen
rannen aus seinen Augenwinkeln.

Das kam ihm alles so surreal vor. Als würde er träumen. Als wäre
er geradewegs in einen Albtraum gefallen. Warum? Warum passiert
das immer ausgerechnet mir? Es war, als wäre er verflucht. Seine
Eltern, Sirius und nun Ron. Mehrere Male musste er jemanden sterben
sehen. Und mehr als einmal war es jemand gewesen, der ihm nahe
gestanden hatte. Mutter, Vater, Pate, Freund…warum wurden sie ihm
genommen?

Eine Hand legte sich zärtlich auf seine Schulter. „Harry…“,
drang Hermines Stimme an sein Ohr. Er sah auf. Die Braunhaarige stand
hinter ihm. Unendliches Leid und Trauer spiegelten sich in ihrem
Gesicht wieder, die Tränen glitzerten in ihren Augenwinkeln. Doch
sie blieb tapfer stehen. Zerbrach nicht so wie er.

Ihre Hand schloss sich um seine. Die warmen Finger drückten seinen
Ballen sachte, dann zogen sie ihn bestimmt wieder nach oben. „Es
tut mir Leid…“, flüsterte Hermine. Sie schmiegte sich an ihn
und bettete den Kopf an seiner Schulter. Harry zitterte. Er hörte
sie leise weinen. Und auch er konnte nicht anders. Die Tränen rannen
aus seinen Augen, tropften ihm die Nasenspitze herab.

Professor McGonagall räusperte sich. „Es tut mir wirklich Leid,
was mit Mr Weasley passiert ist“, sagte sie betreten, „Aber
leider ist er nicht der einzige Tote. Würden Sie sich bitte
umdrehen?“ Harry wandte den Kopf, genauso wie Hermine. Auf einem
anderen Bett lag Lavender, die Augen aufgerissen, blanker Terror im
Gesicht und den Kopf nach hinten geworfen, sodass die Kehle entblößt
war.

„Man fand sie zwei Meter von Rons Bett entfernt. Tot“,
erklärte Minerva. Harry fragte bitter: „Haben Sie eine Theorie,
wer den Mord verursacht hat oder wie es dazu kommen konnte?“
„Nein“, erwiderte die grauhaarige Lehrerin und schüttelte
den Kopf, „Wir tappen völlig im Dunklen. Wir haben die Tatorte
auch bisher noch nicht genau untersucht. Doch ich fand, dass Sie es
bereits erfahren sollten. Sie haben ein Recht dazu es zu erfahren.
Genauso wie die Familien der Betroffenen.“

Harry und Hermine liefen schweigend und bedrückt zurück zum
Gryffindorturm. Professor McGonagall hatte ihnen eine kurze,
schriftliche Erklärung mitgegeben, welche ihnen Straffreiheit
während der Nachtstunden gab. Unter der Bedingung, dass sie sofort
und ohne irgendwelche Umwege zum Gemeinschaftsraum gingen.

Die beiden nährten sich gerade dem Portrait, als die Fette Dame
zurück kehrte. Sie wollte gerade zu einer Schimpftirade ansetzen,
doch ein Blick auf die ernsten Mienen ließ sie verstummen. Hermine
murmelte: „Goldregen“ und das Gemälde schwang auf. Hermine
lief sofort in ihren Schlafsaal.

Harry folgte weitaus langsamer. Der Junge lag, selbst nachdem er
umgezogen war, noch lange wach und sah zur Decke. Er hatte niemals
damit gerechnet, dass jemand Ron einfach so aus seinem Leben reißen
würde. Der Rothaarige war immer bei ihm gewesen. Er war sein bester
Freund. Und nun war er fort. Wer könnte ihn getötet haben? „Es
war Malfoy“, flüsterte Harry bestimmt in die Dunkelheit, „Ich
weiß es.“

Am nächsten Morgen berichtete Harry Ginny möglichst schonend über
die Ereignisse in letzter Nacht. Soweit er sie verstanden hatte. Der
Schwarzhaarige saß mit der Jüngeren und Hermine in der Großen
Halle beim Frühstück. Brötchen, welche halb aufgegessen waren,
lagen erwartungsvoll auf ihren Tellern.

Harry redete dermaßen umständlich, dass Ginny irgendwann meinte:
„Harry, hör auf mit mir zu reden, als wäre ich noch das kleine
Mädchen aus der zweiten Klasse. Ich bin inzwischen in der fünften.
Ich kann mit schlechten Neuigkeiten umgehen.“ Trotzend sah sie
ihn an. Harry seufzte. Sie war erwachsen geworden in den letzten paar
Jahren, gereift, ohne, dass er es bemerkt hatte. Und doch sah der
Schwarzhaarige in manchen Albträumen immer noch sie auf dem glatten,
nassen Boden in der Kammer des Schreckens liegen, blass und klein.
Verletzlich. Und nun war sie so groß geworden, so willensstark.

Unsicher sah Harry zu Hermine. Ginnys Reaktion überforderte ihn
irgendwie. Die Braunhaarige piekste gerade ein Stück Pfannkuchen mit
ihrer Gabel auf. Sie erwiderte seinen Blick. Hermine erwiderte: „Wird
dir das erst jetzt klar, dass sie auf ihren eigenen Füßen stehen
kann, Harry? Ginny ist groß genug, um zu wissen, was passiert ist.
Und du kannst es ihr ruhig sagen.“ Und sie schob sich ihre
Mahlzeit in den Mund und kaute darauf herum.

Ginny lächelte. „Siehst du?“, meinte sie triumphierend,
„Sogar Hermine sagt es. Du sollst mich nicht wie ein kleines
Mädchen behandeln. Jetzt sag mir endlich, was passiert ist.“
Harry starrte sie an. Es zerriss ihm das Herz, zu wissen, dass seine
nächsten Worte dieses bezaubernde Lächeln aus ihrem Gesicht wischen
würden. Und zugleich wunderte sich ein kleiner Teil von ihm darüber,
dass er so stark fühlte.

Harry sagte: „Ron…ist tot.“ Das
Lächeln verschwand aus Ginnys Gesicht, als hätte er es weg
gewischt. „Nein!“, keuchte sie leise und wurde schlohweiß
im Gesicht. Ihre Augen weiteten sich. Harry sah Tränen an ihren
Wimpern zittern.

„Es tut mir Leid.“ Auch in seiner Stimme schwangen jetzt
die Tränen mit. Er streckte eine Hand aus, um die ihre zu ergriffen,
doch Ginny sprang auf, lief um die Tischecke herum, an der sie saßen,
und fiel ihm um den Hals. Weinend vergrub sie das Gesicht an seiner
Brust. Ihre Schultern bebten leicht. Harry umarmte sie ebenfalls. Er
versuchte gefasst zu wirken, damit sie sich nicht so allein fühlte,
aber das war schwer. Ron… Seine ganze Trauer schien ihn
einzuholen.

„Ach, Harry“, flüsterte Hermine leise. Sie hatte ihre
Mahlzeit beendet. Kummervoll blickte sie den Jungen an. Dann, noch
ehe Harry wusste, wer angefangen hatten, hielten sie sich alle
gegenseitig im Arm, weinend und zitternd. Harry wäre das vielleicht
peinlich gewesen, aber jetzt brauchte er es gerade. Diesen Halt. Es
war ihm sogar egal, dass die Slytherins ihn vielleicht so sehen
könnten.

Ihre Trauer wurde dadurch unterbrochen, dass mit einem lauten Knall
die beiden Hallentorflügel gegen die Wand krachten. „Aaaaahhhhhh!


Crabbe und Goyle rasten, kreischend wie zwei Mädchen, durch den
schmalen Streif zwischen den Tischen, welcher zu dem Lehrertisch
führten. Sie liefen auf der für Dicken typische Art: schnell,
angestrengt, schnaufend und mit verzweifelter Konzentration. Hinzu
kam noch, dass sie mit den Armen schlenkerten, was vor allem bei
Crabbe auffiel, der seine Arme normalerweise eher steif hielt.

Alle Augen waren auf die beiden Schüler gerichtet. Harry, Hermine
und Ginny waren einem Reflex folgend aus ihrer Kuschelposition
gewichen. Die Rothaarige wischte sich vorsichtig die letzten paar
Tränen aus den Augenwinkeln. Harry vergaß aufgrund der angespannten
Atmosphäre, dass er immer noch leicht weinte. Hermine dagegen trug
den Blick auf dem Gesicht, wenn sie einem Lehrer die volle
Aufmerksamkeit schenkte, mit dem kleinen Unterschied, dass ihre
Lippen geöffnet waren.

Dumbledore erhob sich langsam. „Was ist los, Mr Crabbe und Mr
Goyle?“, fragte er mit einer Ruhe in der Stimme, die Harry schon
im ersten Jahr beeindruckt hatte. Crabbe und Goyle kamen vor dem
Lehrertisch zum stehen, schlitternd und verschwitzt. Beide sammelten
genug Atem, um fast gleichzeitig zu verkünden: „Draco wurde mit
aufgeschlitztem Bauch im Jungenklo gefunden.“

Es dauerte einige Sekunden, bis alle Schüler das Gehörte in ihren
Köpfen in Bilder übersetzen konnten. Harry konnte die Veränderung
regelrecht in den Gesichtern seiner Mitschüler ablesen. Erst
Verwirrung, dann Schock, dann Terror. Schreie wurden laut, alle
ließen ihre Speisen fallen, sprangen von den Tischen auf, die
Erstklässler rannen hektisch hin und her. Es herrschte ein
ziemliches Durcheinander, so laut und unübersichtlich, dass
Dumbledore drei explodierende Funken von seinem Zauberstab
losschicken musste, um für Ruhe zu sorgen.

Der Zauberer mit seinem langen, weißen Bart ließ den Stab sinken.
Er strich über sein rotes Gewand und wartete, bis alle Schüler
ihren Schock in Aufmerksamkeit umgewandelt und diese auf ihn
gerichtet hatten. „Verfallt jetzt bitte nicht in Panik“,
bat er eindringlich.

Von Dumbledores Stimme ging eine Ruhe aus, welche seine folgenden
Anweisungen einprägsam an alle Schüler weiter gab: „Die
Vertrauensschüler führen ihre Häuser in die Gemeinschaftsräume,
wo sie bleiben werden. Die Lehrer gehen mit mir in den fünften
Stock, um Mr Malfoy entweder zu helfen oder seinen Leichnam zu
bergen.“

Kaum hatte der weißhaarige Zauberer diese Worte gesagt, erhoben sich
alle Lehrer und marschierten nach draußen. Auch die
Vertrauensschüler begannen ihre Häuser zusammen zu treiben, allen
voran die verängstigten Erstklässler. Harry beobachtete das ganze
Treiben so lange, bis Hermines warme, aber autoritäre Stimme an sein
Ohr drang: „Alle Schüler bilden Zweierreihen und folgen mir.
Harry, du bildest die Nachhut.“

„Was?“, fragte der Schwarzhaarige. Die Gryffindors bildeten
eine lange Schlange und Harry blieb nichts anderes übrig als sich
hinten anzustellen. Er wusste, wie ernst Hermine Aufgaben nahm,
welche mit Verantwortung verbunden waren, und erneut wurde er Zeuge
von der Autorität und Kontrolle, welche in ihrer Handlung lag.

Hermine führte alle Gryffindorschüler sicher durch die Gänge des
Schlosses. Harry hörte die Erstklässler nervös tuscheln. Sie
hatten Angst und waren beunruhigt. Kein Wunder. Der schwarzhaarige
Junge bezweifelte, dass Malfoy noch am Leben war, wenn die Lehrer ihn
fanden. Crabbe und Goyle hatten ziemlich panisch und entsetzt
gewirkt, als sie von ihrem Fund berichtet hatten, also musste die
Wunde schon gravierend sein.

Die Fette Dame staunte nicht schlecht, als alle Schüler nach so
kurzer Zeit sich vor ihrem Portrait versammelten. „Was ist
passiert?“, fragte sie besorgt. Hermine erwiderte darauf nur:
„Goldregen.“ Harry konnte sogar von seinem entfernten
Posten aus erkennen, dass die Frau in dem rosa Samtkleid ziemlich
widerstrebend ihr Portrait zur Seite klappen ließ.

Alle Schüler stiegen zügig durch die Öffnung. Harry konnte
Hermines Stimme etwas erklären hören. Er zischte den Schülern vor
sich zu, sie sollten sich etwas beeilen. Endlich war auch der letzte
Schüler durch das Portraitloch gestiegen. Harry hörte das dumpfe
Knirschen, als das Gemälde wieder in seine ursprüngliche Position
fiel.

Der Junge hatte den Gemeinschaftsraum noch nie so voll gesehen. Alle
Schüler standen um den Kamin rum. Manche saßen auf dem Sofa oder
Sesseln. Leises Getuschel und Gemurmel war zu hören. Angespannte und
nervöse Blicke wurden gewechselt. Harry spürte die Angst im ganzen
Raum. Ihm war es, als wäre die Luft stickig.

Hermine erklärte: „Ich bitte euch alle ruhig zu bleiben und den
Raum nicht zu verlassen. Wir wissen nicht, was genau mit Draco Malfoy
passiert ist, aber ich nehme an, dass Dumbledore ihn gerade
untersucht. Euch kann hier nichts passieren. Ihr wisst, unser Raum
wird durch ein Passwort gesichert. Somit wird jedem Fremden der
Zutritt verweigert…“

Harry hörte nicht mehr wirklich zu. Wenn Dumbledore den Toten
untersuchte, dann würde er auch Ron und Lavender untersuchen.
Vielleicht würde er zu Erkenntnissen kommen, die Professor
McGonagall noch nicht hatte. Vielleicht tappten sie dann nicht mehr
im Dunkeln.

Harry drehte sich um und schob sich an den Schülern vorbei.
„Entschuldigung, darf ich mal?“, fragte er bei den
überraschten Rufen. „Harry!“, hörte er Ginny hinter sich
rufen, dann ertönte hastige Schritte. Der schwarzhaarige Junge fegte
aus dem Raum und stürmte den Gang entlang. „Harry!“
„Harry, bleib stehen!“ Die Stimmen von Hermine und Ginny
ließen ihn etwas langsamer werden.

Endlich holten die beiden den Jungen ein. Japsend fragte Ginny: „Wo
willst du hin?“ „Zum Krankenflügel“, erwiderte Harry,
welcher zügig weiter lief, „Dumbledore wird bestimmt jetzt die
drei Toten untersuchen. Ich muss wissen, was er herausfindet.
Vielleicht kommen wir dem Täter dann so auf die Spur.“ Er
blinzelte seine aufkommenden Tränen weg und blickte erst Ginny, dann
Hermine an. „Ich meine, ihr wollt das doch auch, oder?“

„Natürlich“, erwiderte Ginny, „Was unterstellst du
da, Harry? Natürlich will ich wissen, wer meinen Bruder ermordet
hat.“ Hermine schwieg nur. Es war schwer ihr Gesicht zu lesen.
Harry wusste nicht, was da in ihrem Blick lag. Er war so glatt wie
eine ruhige Wasseroberfläche.

Die drei erreichten den Krankenflügel. Harry winkte hektisch Hermine
und Ginny zu. Die Jugendlichen verbargen sich hinter einer großen
Säule, welche mit ihrer Zwillingsschwester den Eingang säumte. Ganz
langsam linste erst Harry, dann Hermine, dann Ginny um die Ecke in
den Krankenflügel. Sie hielten den Atem an, als könne allein schon
dieses Geräusch sie verraten. Hoffentlich sieht man uns nicht.

Im Krankenflügel standen Professor McGonagall und Dumbledore vor
Rons Bett. Harry sah sich suchend um und musste sich regelrecht die
Hand auf den Mund pressen, um nicht aufzuschreien, als er Dracos
Leichnam erblickte. Die Brust des Jungen war aufgeschlitzt wie bei
einem Kaninchen. Blut durchtränkte seine weiße Weste und kleine
Rinnsaale liefen seinen Hals hinab. Ein dunkler Fleck hatte sich um
die Wunde gebildet, welcher so groß war, dass es klar war, dass
Malfoy diese Attacke nicht überlebt hatte.

„Drei Tote, innerhalb von vielleicht nur einem Tag“,
flüsterte Minerva gerade. Schaudernd schüttelte die grauhaarige
Lehrerin den Kopf. „Das geht nicht mit rechten Dingen zu, Albus.
Wir haben die Toten untersucht und das hier unter Rons Bett
gefunden.“ Sie reichte ihm einen angebissenen, von dunkler
Schokolade umhüllten Apfel. „Sagt dir das irgendetwas?“

Albus Dumbledore hielt sich den Apfel an die lange, zweifach
gebrochene Nase und roch daran. „Vielleicht. Hier wird ein
schmutziges Spiel mit uns getrieben, meine Liebe. Und ein schwer zu
lösendes noch dazu. Was ich auf jeden Fall sagen kann, Minerva, ist,
dass dieser Täter hier sehr eigenartige Motive haben muss, Motive,
die nur er selbst kennt. Wären Mr Weasley, Mr Malfoy und Ms Brown
Muggelgeborene oder Halbblüter, so könnte ich den Grund für diese
Tat auf das Denken eines reinblütigen Fanatikers zurück führen.
Aber so…“

Nachdenklich warf Dumbledore kurz den Apfel in die Luft, beobachtete,
wie er sich im Flug drehte, das Licht beschien die Bissstelle sanft.
Der Direktor fing die Speise wieder auf. „Es scheint, als würde
sich mein eigenes Gedankenbild gegen mich richten. Als stehe alles
Kopf, Minerva.“ Seine blauen Augen wandten sich wie Zufall in
die Richtung, wo Harry, Ginny und Hermine verborgen waren. „Aufwärts
strömen die Flüsse. Es wendet sich das Recht. Alles kehrt sich um.“

Falsche Freundin

Spätestens innerhalb der nächsten vier Tage wusste jeder in
Hogwarts, dass Ronald Weasley, Lavender Brown und Draco Malfoy
ermordet worden waren. Die meisten Schüler liefen jetzt in mehr oder
weniger großen Gruppen und führten tuschelnd Diskussionen, wer der
Mörder sein könnte. Vor allem die Reinblüter begannen sich und
alle anderen misstrauisch zu beäugen, fast als wollten sie jeden
dazu provozieren, sie irgendwie anzugreifen.

Hermine hatte es schon immer gemerkt: Im Haus der Schlangen waren
alle auf der ‚falschen Freunde‘-Ebene. Keine Freundschaft wurde da
eingegangen, wenn sie nicht irgendeinem Zweck diente oder den
Beteiligten einen Vorteil versprach. Alle Slytherins hatten nur das
Nutzen-Denken im Kopf. Und das Konkurrenz Denken. Nirgendwo sonst
wurden so viele Höflichkeitsfloskeln, Unterwerfungsgesten und
scheinheiliges Lächeln getauscht wie unter den Schülern mit der
Schlange auf dem grünen Grund als Wappen auf den Uniformen.

Trotzdem bemerkte Hermine, dass nicht nur die Schüler besorgt waren.
Auch die Lehrer teilten die angespannte, misstrauische, besorgte
Atmosphäre. Denn eines war allen klar: Der Täter befand sich in den
eigenen Reihen, lebte in diesem Schloss, aß in der Großen Halle,
lernte oder lehrte in den Klassenräumen und schlief unter ihrem
Dach. Hermine fragte sich, ob Tom Riddle, der nun unter dem Namen
Voldemort bekannt war, dieselbe Atmosphäre gekannt hatte, als er in
Hogwarts war. Diese Atmosphäre aus Misstrauen, Wachsamkeit und
Vorsicht.

Dumbledore schien sich sogar damit einverstanden erklärt zu haben,
dass in und um Hogwarts herum Auroren patrouillierten. Das hatte er
zwar schon seit Anfang des sechsten Schuljahres, da allgemein bekannt
war, dass Voldemort auf freiem Fuß war, aber dieses Mal sollten die
Auroren alles melden, was irgendwie eigenartig war. Sei es von
Schüler- oder von Lehrerseite.

Hermine achtete darauf, sich so zu verhalten wie die anderen auch.
Sie wollte nicht irgendwie auffallen, indem sie zufrieden durch die
Gänge lief oder auf irgendeine andere Art und Weise ihre Freude über
den Tod der drei ausdrückte. Stattdessen blieb Hermine viel bei
Harry und Ginny und grübelte mit ihnen darüber nach, wer wohl der
Mörder war. Da Harry seit längerem ohnehin mit seiner
Ich-bin-der-grüblerische-Weltenretter-Miene durch die Gegend lief
und Ginny mit ihren Freunden zusammen war, kam es auch öfter mal
vor, dass Hermine alleine war.

In dieser Zeit war sie meistens in der Bücherei. Hier fühlte
Hermine sich wohl. Bücher waren etwas Wundervolles. Und sie konnten
so viele verschiedene Rollen einnehmen. Mal waren es Schatztruhen, in
denen die unterschiedlichsten Schätze waren, lang verborgenes
Wissen. Manchmal waren es gute Komödianten, die einen mit lustigen
Geschichten unterhielten. Dann wieder Märchenerzähler, deren Sinn
für Horror einem eine Gänsehaut den Rücken herab sandte. Doch
öfter waren Bücher auch wie gute Freunde, denen Geheimnisse
anvertraut werden konnte und bei denen man sich gewiss war, dass sie
nichts verraten würden.

Hermine nutzte die letztere Funktion, was Bücher sein konnten, jetzt
immer mehr. Sie saß häufig in einer Ecke, ein kleines, dunkles
Notizheft auf ihrem Schoss. In der Hand hielt sie einen Bleistift.
Hermine stützte den Kopf in die Hand, zwischen deren Zeige und
Mittelfinger der Stift steckte. Sie biss sich nachdenklich auf die
Lippen.

Seit den drei Morden fühlte Hermine sich nicht nur befreit; sie war
auch wie gespalten. Eine Seite von ihr glorifizierte an den
Tötungsakten, berauschte sich in Gedanken an der Tat, frohlockte an
dem Leiden, welches es sich wieder und wieder vor Augen führte. Der
andere Teil jedoch fühlte sich miserabel. Erst jetzt wurde Hermine
das Grauen ihrer Tat voll bewusst. Sie hatte getötet. Sie hatte drei
Menschen ermordet. Auf grauenvolle Art und Weise. Und sie hatte es
genossen. Was ist aus mir geworden? Wie unmenschlich kann man
werden? Überhaupt, ab wann gilt man als unmenschlich? Sie hatte
die Unverzeihlichen angewandt. Hermine konnte das irgendwie selbst
kaum glauben. Es kam ihr so surreal vor. Als wäre all das nur ein
Traum. Ein Albtraum.

Aber es war kein Traum. All diese neuen Sicherheitsvorkehrungen, die
ganzen Auroren, die waren nur wegen ihr da. Wegen einer Mörderin,
deren Motiv selbst Dumbledore nicht ergründen konnte. Oder wusste er
es, aber tat so, als tappe er im Dunkeln? Doch warum sollte er dies
tun? Um sie zu schützen? Schwachsinn. Er müsste ja reichlich
bekloppt sein, wenn er einen Mörder schützen wolle. Um Harry
davor zu bewahren, ihr Geheimnis aufzudecken? Das ergab Sinn. Falls
er denn von ihm wusste.

Hermine seufzte. Immer noch fragte sie sich, woher diese Stimme kam,
die ihr Handeln kommentiert hatte. Hatte sie sie sich vielleicht nur
eingebildet? Nein. Woher sonst war das Gefühl gekommen, von einem
anderen berührt worden zu sein?

Schaudernd rief Hermine sich noch einmal das Bild des Spiegels
Nerhegeb ins Gedächtnis. Dort hatte ihr dunkles Ebenbild Draco, Ron
und eine undefinierbare Person, bei der es sich, wie die Braunhaarige
nun erkannte, um Lavender gehandelt haben musste, erschlagen. Das
Mädchen musste sich arg zusammen reißen, um nicht zusammen zu
schrecken. Nein, der Spiegel kann einfach nicht die Zukunft
gezeigt haben. Aber trotz allem hatte sich das darin abgebildete
bewahrheitet. Doch Hermine bezweifelte, dass es die Zukunft war.
Harry hatte ihr einmal erzählt, dass er diesen Spiegel selbst
gesehen hatte. Und dass er darin das gesehen hatte, wonach er sich am
meisten gesehnt hatte: seine Eltern.

Hermine kratzte sich mit der Hand am Nacken. Warum aber hatte der
Spiegel ihr dann diese Mordszene gezeigt? Vor allem, woher hatte er
so genau wissen können, wie sie sich gefühlt hatte? Sie seufzte. So
viele ungelöste Fragen.

Hermine richtete ihren Blick wieder auf den Notizblock. Sie beschloss
wenigstens einen Teil ihrer Gefühle in Worte zu fassen. Das Mädchen
ergriff den Bleistift und begann zu schreiben: I feel it deep
within. It’s just beneath the skin. I must
confess, that I feel like a monster. I hate what I’ve become. The
nightmare’s just begun. I must confess, that I feel like a monster.
I, I feel like a monster. I, I feel like a monster.

Schritte nährten sich ihr und Hermine klappte eilends das Buch zu.
Sie steckte es in die Tasche. Das Mädchen beobachtete, wie Harry auf
sie zukam. „Hermine“, fragte er, während die Braunhaarige
aufstand, „Kann ich mit dir kurz reden?“ „Natürlich“,
versicherte Hermine und drückte das Buch an ihre Brust, „Was
ist Harry?“

„Hast du irgendeine Ahnung, wer der Mörder von Ron, Draco und
Lavender ist?“ Hermine schaffte es gerade so nicht nach Luft zu
schnappen. Ihre braunen Augen spähten nachdenklich umher. Natürlich!
Es war klar gewesen, dass Harry auch sie irgendwann fragen würde, ob
sie jemanden im Verdacht hatte. Ruhig bleiben, Hermine. Ganz
ruhig. Mach keine überhastigen Bewegungen oder irgendetwas, was dich
verraten könnte.

Hermine sah Harry an. Auf ihrem Gesicht entstand ein bedrückter
Ausdruck. „Ich hab keine Ahnung, Harry“, antwortete sie
bestürzt, „Wirklich.“ Dass sie lügen konnte, ohne rot zu
werden! Aber es gab nun mal ein Geheimnis, nach welchem man eine Lüge
aufbauen konnte, ohne sie zu verraten. So viel wie möglich und so
wenig wie nötig. Und meist war es auch gut nah an der Wahrheit zu
bleiben.

Zwar hielt sich Hermine nicht an dieses Gebot, aber ihre Aussage war
so schwammig, dass sie niemanden in Gefahr brachte. Trotzdem war es
eine Antwort, die man durchaus bei dieser Sache sagen konnte. Harry
jedenfalls schien ihre Lüge nicht durchschaut zu haben. Er biss sich
auf die Lippen. Seine Augen huschten nun ebenfalls umher, während er
nachdachte. „Großartig“, brummelte Harry, „Wirklich
hilfreich.“ Er lachte auf einmal. „Vielleicht ist der
Mörder ja aber auch direkt vor unserer Nase und wir sehen ihn
nicht.“

Lass den Quatsch! Energisch knallte Hermine ihm ihr
Notizheftchen ins Gesicht. „Das ist nicht witzig, Harry!“,
rief sie. Der schwarzhaarige Junge wandte etwas den Kopf ab. „Sorry“,
murmelte er, „Das sollte ein Scherz sein.“ „Über so
etwas macht man keine Witze“, tadelte die Braunhaarige
entrüstet, Krokodilstränen rannen ihre Wangen herab und sie meinte
leise: „Denkst du etwa, ich finde es toll, dass Ron tot ist.
Oder Lavender. Oder Draco. Man sollte sich nicht über den Tod einer
anderen Person freuen. Diese Form der Schadenfreude ist die größte
Verachtung der Menschheit.“

Harry erwiderte: „Verzeih, Hermine. Ich habe nicht so wirken
wollen. Ich bin mindestens genauso aufgelöst wie du.“ Das
Mädchen nickte. Die beiden stapften durch die Schulbibliothek und
machten sich auf den Weg sie zu verlassen. Sie wichen einem Auror
aus, welcher gerade an ihnen vorbei lief. An seiner dunklen Haut
erkannte Hermine Kingsley Shacklebolt. Einen Mann, dessen Ruhe selbst
nicht in den gefährlichsten Situationen schwankte.

Kurz trafen sich ihre Blicke. Hermine zog leicht die Schultern an.
Sie bemühte sich um einen sorgenvollen Blick. Irgendetwas war in
Kingsleys Augen, was ihr Sorgen bereitete. Dieses Glitzern. Fast als
wäre ihm etwas klar. Hör auf! Du bildest dir das nur ein.
Hermine wandte den Blick ab und starrte in eine andere Richtung.

Harry verlangsamte seine Schritte. Er hatte Kingsley bisher
nachgesehen. Jetzt wandte der Junge sich zu Hermine um. „Ist
alles in Ordnung mit dir?“, fragte er sie. Das braunhaarige
Mädchen biss sich auf die Lippen. Na großartig! Jetzt hatte
sie durch unbedachtes Handeln sich selbst in eine eher ungünstige
Lage gebracht.

Hermine überlegte gerade eine möglichst simple Antwort, mit welcher
sie sich aus dem Schneider ziehen konnte, als Schritte ertönten und
Ginny um die Ecke gebogen kam. Die Rothaarige blieb vor ihnen stehen.
Ihre Augen strahlten und sie platzte offensichtlich vor Neuigkeiten.

„Ginny, was ist los?“, fragte Harry. Sie antwortete
schnell: „Harry, Hermine, Professor Dumbledore und Professor
McGonnagal haben darüber beraten, ob die Schüler trotz der
Vorkommnisse nach Hogsmeade dürfen. Ihr wisst ja, Minerva hat den
Verdacht geäußert, dass der Täter die Abwesenheit eines Lehrers
ausnutzen und die Schüler attackieren könnte. Dumbledore hat jedoch
dagegen gehalten, dass der Täter gewiss nicht auf offener Straße
ein Massaker veranstalten würde, das würde ihn ja sofort verraten.
Er meint, solange wir in Dreiergruppen oder zu mehreren unterwegs
sind, wird uns nichts passieren können. Zudem hat er einige Auroren
gebeten uns zu begleiten.“

Ginny schwieg und wartete offenbar auf eine Reaktion seitens Harry
und Hermine. Diese ließ leider etwas auf sich warten. Hermine war
bei den Worten der Rothaarigen nämlich erstmal etwas perplex
gewesen. Hoffentlich ahnt er nichts. Endlich rang sie sich ein
Lächeln ab und meinte: „Das ist toll, Ginny.“ Harry nickte
ebenfalls. Ihr Gegenüber bekam wieder dieses Strahlen im Gesicht.

„Dann kommt“, meinte Ginny, „Wir kommen sonst zu spät.
Im Verwandlungshof sammeln sich bereits die Schüler.“
Tatsächlich erblickte Hermine, als sie, Harry und Ginny durch das
halbrunde Tor gingen, eine große Gruppe von Schülern. Sie alle
tuschelten miteinander und dieses Mal ging es um wesentlich
fröhlichere Themen, wie man an den Tonlagen erkennen konnte.

Professor McGonagall stand vor den Schülern. Bei dem Klang der
Schritte der drei drehte sie sich um. „Ah, Mr Potter und Ms
Granger“, begrüßte sie sie, „Ms Weasley hat erwähnt,
dass sie Sie holen wird. Reihen Sie sich doch bitte ein.“
Hermine nickte hastig. Die drei Schüler stellten sich an den Rand
der Gruppe. Sämtliche Augenpaare richteten sich auf Minerva, welche
eine Pergamentrolle auseinander zog.

Sie las vor: „Nach reiflicher Überlegung haben der Schulleiter,
Professor Albus Dumbledore, und die Stellvertretende Schulleiterin,
Professor Minerva McGonagall, entschieden, dass das heutige
Hogsmeadewochenende stattfindet, trotz der schauerlichen Ereignisse
zuvor.“ Die Lehrerin wurde von dem allgemeinen Jubeln
unterbrochen. Geduldig wartete sie, bis es wieder ruhig wurde, dann
fuhr Minerva fort: „Die Schüler haben sich jedoch an die
folgenden Regeln zu halten: Erstens, alle Schüler bewegen sich in
Gruppen von mindestens drei Personen. Zweitens, alle Schüler bleiben
auf den Hauptstraßen oder in deren unmittelbarer Nähe. Drittens,
der gesamte Ausflug wird von mehreren Auroren begleitet, welche die
Aufsichtspflicht haben. Alle Schüler müssen sich an ihre
Anweisungen halten.“

McGonagall rollte den Bogen zusammen. „Da das ja nun geklärt
ist, können sie….“ Minerva wurde unterbrochen, denn auf
einmal ertönten eilige Schritte. Hermine sah Professor Dumbledore
durch das Portal treten. Mit schnellen Schritten, bei denen seine
Schnabelschuhe unter dem weinroten Mantel aufblitzten, marschierte er
zu Minerva, wo er stehen blieb und verkündete: „Mr Harry Potter
ist die Teilnahme an dem Hogsmeadewochenende untersagt.“

Hermine stutzte. „Was?“, hörte sie Harry irritiert
murmeln. Das braunhaarige Mädchen wechselte erstaunte Blicke mit
Ginny. Was hat das denn zu bedeuten? Was war mit Dumbledore
los? Warum verbot er Harry plötzlich etwas einfach so? Harry hob die
Hand. „Professor“, rief er, „Warum darf ich nicht
mitkommen?“ „Die Gründe werde ich jetzt nicht erläutern,
Harry“, entgegnete Dumbledore in einem Ton, der keine Diskussion
zuließ, „Sie bleiben hier. Das ist mein letztes Wort.“ Und
er wandte sich um und ging.

Kurz herrschte eine unbehagliche, verwirrte Stille. Alle fragten sich
offenbar, was dieser komische Auftritt gesollt hatte. Professor
McGonagall machte ein bestürztes, mitfühlendes Gesicht. Sie
kräuselte etwas die Nase. „Mr Potter…“

Hermine sah Harry traurig. „Tut mir echt Leid, dass du nicht
mitdarfst“, stellte sie fest, „Bist du dir wirklich sicher,
dass wir nicht auch hier bleiben sollen?“ Der Junge biss sich
auf die Lippen. Er schaute sich kurz um, offenbar rang ein Teil von
ihm mit sich. Dann erwiderte Harry kurz angebunden: „Nein, ihr
könnt ruhig gehen. Ich kann mich auch ohne euch amüsieren. Viel
Spaß in Hogsmeade.“

Nachdenklich sah Hermine Harry nach, welcher ins Innere des Schlosses
zurück ging. Eine Brise spielte mit ihrem braunen Haar. Warum
darf Harry nicht mit? Dumbledore trifft solche Entscheidungen nicht
zum Spaß so wie Snape. Es muss einen triftigen Grund dafür geben.
„Hermine.“ Ginnys Stimme drang an ihr Ohr und sie wandte
den Kopf. Die Rothaarige stand schräg hinter ihr. „Kommst du?“
„Klar“, meinte das Mädchen und stapfte hinter der anderen
her. Unter ihren Füßen knirschte das Gras.

Hogsmeade schmiegte sich an eine Talsenkung im Hochland. Von Hogwarts
wurde es durch den Schwarzen See getrennt, der wie eine dunkle,
große, ovale Träne im Moos ruhte. Um es herum reihten sich in der
Ferne zerklüftete Berge, welche voller Höhlen waren. Die Häuser
mit ihren Schindeldächern lagen verstreut und durchzogen von Gassen
nahe einem Tannenwald.

Aus der Ferne wirkte das Dorf fast schon idyllisch und ruhig. Gras
spross am Wegesrand, Hunde durchstöberten die Abfälle in der Nähe
der Metzgerei nach Essbarem und in den Drei Besen, einem sehr gerne
besuchten Gasthaus, brannte Licht. Die meisten Schülergruppen liefen
unverzüglich zum Honigtopf, einem kleinen, hübschen Haus, aus
welchem es herrlich nach Zimt und Lebkuchen roch.

Hermine und Ginny standen einfach auf der Hauptstraße und grübelten
darüber nach, wo sie hingehen sollten. Ein warmes, cremiges
Butterbier in den Drei Besen trinken oder doch lieber etwas zum
Naschen besorgen wie die riesigen Tafeln Schokolade im Honigtopf. Das
Mädchen biss sich plötzlich schuldbewusst auf die Lippen. Mann,
bist du egoistisch, Hermine! Harry durfte nicht mitkommen und sie
überlegte, was sie gerne haben wollte.

Ginny schien ihr den Gedanken angesehen zu haben, denn sie meinte:
„Mach dir keine Schuldgefühle, Hermine. Dumbledore wird seine
Gründe haben, dass Harry in Hogwarts bleiben muss. Und außerdem,
wer hat gesagt, dass wir ihm nichts mitbringen dürfen?“ Diese
Aussage zauberte dann doch ein schüchternes Lächeln auf Hermines
Gesicht. Wie hast du daran nicht denken können? Sie war
manchmal sehr unsicher, was ihr Sozialleben betraf. So etwas konnte
man nämlich nicht aus Büchern lernen. Gefühle waren das
Unberechenbarste, was sie sich vorstellen konnte, und der Umgang
damit manchmal ganz schön schwer.

„Ihr könntet Harry etwas aus dem Honigtopf schenken“,
ertönte eine verträumte, rauchige Stimme hinter ihnen. Hermine und
Ginny drehten sich um. Luna blickte sie aus ihren großen, klaren,
blauen Augen liebenswürdig an. „Hallo ihr beiden“, setzte
sie als eine verspätete Begrüßung hinzu. Das Mädchen trug einen
sehr farbenfrohen Pullover, welcher aussah, als hätte eine
sprießende Frühlingswiese den Macher inspiriert. Dazu einen kurzen
Rock, Strumpfhosen und schmale, schwarze Schuhe. Hermine entdeckte
sogar beim genaueren Hinsehen die Radieschen, welche die Hellhaarige
als Ohrringe trug, und eine Kette mit einem sonderbaren, gelben
Bernstein als Anhänger.

„Hallo Luna“, sagte Ginny und fragte: „Meinst du
wirklich?“ „Ja“, erwiderte Luna, „So etwas ist
leichter zu transportieren als etwas zu trinken. Da ist die Chance
ziemlich groß, dass man etwas verschüttet. Daddy hat im letzten
Klitterer über den Wettlauf der Kellner berichtet. Die mussten mit
Tabletts und einer Sektflasche durch die Gegend rennen. Da ist echt
eine Menge verschüttet.“

Hermine und Ginny tauschten Blicke mit hochgezogenen Brauen. Ein
Kellnerwettrennen? Wer kam denn auf so eine verrückte Idee? Das
Mädchen wusste es nicht. Allerdings wusste sie, dass es viele
verrückte Bräuche gab. In England etwa gab es ein Wettrennen, bei
dem die Läufer mit Pfannen zum Ziel liefen und dabei den
Pfannekuchen in der Luft wenden mussten. Und da Lunas Vater eh etwas
verrückt war, war es nicht verwunderlich, dass er über so etwas
berichtete.

Hermine meinte: „Die Idee etwas Süßes für Harry zu kaufen,
ist doch ganz gut. Und der Honigtopf liegt praktisch um die Ecke.“
Tatsächlich stand das Süßwarengeschäft an der nächst gelegenen
Straßenkreuzung, ihm gegenüber die Post und auf der anderen Seite
die Drei Besen.

Hermine, Ginny und Luna liefen zum Honigtopf. Dieses Gebäude war
hellbraun, hatte ein großes, gläsernes Schaufenster, in welchem
Lebkuchen, große, rote Lutscher, Lakritzzauberstäbe, Kaubonbons,
welche mit Brause gefüllt waren, und sündhaft süße Fruchtshakes
standen. Aus der Tür wehte eine Brise, die nach Kuchen, Zucker und
Gebäck roch, gewürzt mit dem Duft von Zimt und Muskatnuss.

„Boah“, meinte Hermine grinsend, „Ich kann verstehen,
warum hier alle reingehen wollen. Man muss echt einen starken Willen
haben, um bei der Versuchung nicht nachzugeben.“ Ginny nickte.
Sie wirkte wie ein kleines Kind, welches sich auf die bunte
Lutscherstange freut, und taxierte die Süßwaren wie ein Raubtier.
Selbst Lunas sonst so verträumte und schläfrige Augen strahlten nun
einen leichten Appetit aus.

Drinnen war der Geruch nach Süßwaren so stark, dass es einem
regelrecht den Atem nehmen konnte. Überall standen Regale, auf den
Brettern reihten sich Gläser voller Gummischlangen (die wirklich
zischten), Nougatschokolade mit Nüssen, Eismäuse (davon zitterte
man und fing an zu fiepen), Schokofrösche, Pfefferkobolde (Vorsicht,
scharf!), Zucker-Federhalter und Kürbispasteten.

An der Theke reichte die Kellnerin einem Mädchen eine große
Kürbispastete. „Guten Appetit“, sagte sie. Hermine blickte
Ginny an. „Ich würde sagen, wir schauen uns um und suchen für
uns und für Harry etwas aus“, schlug sie vor. Die Rothaarige
nickte. Luna selbst schlurfte bereits zu einem Regal, um sich
Brausebonbons anzusehen.

Hermine lief zu der Theke, während Ginny ein Regal neben der Tür
ansteuerte. Auf der Theke stand ein Glas, gefüllt mit kleinen,
einzeln verpackten Sirupbonbons. An der Kante des dunklen Holzes war
ein Gitterregal angebracht, wo diverse, kleine Leckereien wie
Schokofrösche, Zahnseide-Pfefferminzlakritze, Lakritzschnapper (die
Packung zuckte sonderbar und auf dem Etikett stand: Achtung, bissig)
und Berrtiebotts-Bohnen-in-sämtlichen-Geschmacksrichtungen lagen.

Bei dem Anblick der Bohnen schoss Hermine ein Gedanke durch den Kopf.
Die isst Ron doch so gerne. Kurz wandte sie sich um, in der
Erwartung sein freudiges, versonnenes Gesicht zu sehen, doch dann
fiel es ihr wieder ein: Ron war nicht da. Er würde niemals mehr bei
ihnen sein. Die Erkenntnis rutschte wie ein schwerer Stein ihre Kehle
herab und plumpste in ihren Magen.

Seufzend sah Hermine sich wieder die Theke mit den Süßigkeiten an.
Was sollte sie für Harry wählen? Das Mädchen entschied sich für
eine Packung Bertiebott’s Bohnen. Da konnte man eigentlich keinen
Fehler machen. Dieses Geschmackserlebnis bot für jeden etwas. Sogar
eher exotische Geschmäcker wie Mango oder Litschi.

Als Hermine in ihrem Portemonnaie nach dem notwendigen Kleingeld
kramte, nahm sie aus dem Augenwinkel wahr, dass es begonnen hatte zu
regnen. Das Wasser rann an der großen Fensterscheibe herab. Ein
feiner Nieselregen zerstäubte die Luft, ließ alles diesig werden.
Na super. Das Wetter wollte auch wirklich nicht bei diesem
Ausflug mitspielen.

Genervt schüttelte das Mädchen den Kopf. Die Verkäuferin hatte
inzwischen ihr Geld überprüft und reichte ihr nun eine Tüte.
Hermine bedankte sich höflich und steckte die Tüte ein. Sie drehte
sich um und sah, dass auch Ginny und Luna ihre Entscheidung getroffen
hatten. Zu Hermines Bohnen wanderten noch eine Packung Schokofrösche
und Zischende Säuredrops.

„Mann, das Wetter will uns auch nur auf den Arm nehmen, oder?“,
fragte Ginny und spähte zornig aus dem Fenster, als könne sie die
Regenwolken so verjagen. Luna murmelte: „Vielleicht hilft ein
Regentanz. In Lateinamerika soll es Völker geben, die im Urwald
leben und durch Rituale das Wetter beeinflussen können. Vielleicht
sollte ich das auch probieren.“ „Oh nein, Luna“,
meinte Hermine und schüttelte den Kopf, „Das lässt du mal
lieber bleiben. Die Leute werden dich für verrückt erklären und
außerdem würdest du dich erkälten. Probier lieber mal was anderes:
Zum Beispiel etwas Warmes trinken. Das hebt bei Regen ungemein die
Laune.“

Ginny zog sich gerade ihre Jacke bis über die Ohren. „Dann
steht wohl fest, wo wir als nächstes hingehen. Zu den Drei Besen, um
dort ein Butterbier zu trinken.“ Hermine nickte zustimmend. Dies
war wohl die beste Lösung. Sie zog ihre Kapuze über den Kopf. Luna
dagegen schien nichts dabei zu haben, um sich vor dem Regen zu
schützen.

„Dürfte ich mir den hier wohl ausleihen?“, fragte die
Blondhaarige die Verkäuferin und wies auf einen großen, blumig
gemusterten Regenschirm. „Sicherlich“, erwiderte diese,
nachdem sie einen kurzen Blick aus dem Fenster geworfen hatte.
„Dankeschön, Madam“, meinte Luna und nahm den Schirm an
sich.

Derart gerüstet machten die drei Mädchen sich auf den Weg zu den
Drei Besen. Das Lokal lag zwar auf der gegenüberliegenden
Straßenseite, aber der Regen platschte nun munter in die Pfützen
und rann als winzige Bäche zwischen den Kopfsteinpflastersteinen
hindurch. Somit waren Hermine, Luna und Ginny am Ende der kurzen
Strecke nass bis auf die Knochen.

„Bäh“, grummelte Ginny, während sie im Vorraum ihre
Regenjacke auszog. Der hellbraune Mantel war dunkel vom Wasser und
tropfte stetig. Hermine versuchte ebenfalls vorsichtig ihre nasse
Kleidung abzulegen. Die Ärmel klebten ihr auf der Haut. Luna sorgte
zusätzlich dafür, dass alle noch mal nass wurden, als sie den
Regenschirm ausschüttete.

Der Vorraum war klein und unterteilt durch die Eingangstür und eine
Tür, welche in den eigentlichen Pub führte. Ein dunkelbrauner,
kompliziert verschnörkelter Ständer für Jacken und Hüte stand in
einer Ecke. Daneben ein gusseisernes, hohes, schmales Rohr, in
welches Luna ihren Regenschirm steckte.

Der Pub selbst war sehr gemütlich und großräumig. Mindestens zwölf
Tische standen verteilt in dem dämmrig erhellten Raum. Ihr Holz war
befleckt von Getränkespritzern und Essensresten. An den vier
Fenstern an den Wänden lief das Regenwasser herab. In der Mitte
führte eine Treppe neben der Theke in ein oberes Geschoss.

Hermine, Ginny und Luna steuerten einen freien Tisch am Fenster an.
Alle drei setzten sich auf die Bänke. Das braunhaarige Mädchen sah
sich um. Wegen des heftigen Nieselregens waren die Drei Besen gut
besucht worden. Fast alle Tische waren besetzt, sogar die Drehhocker
an der Theke. Hermine entdeckte einige vertraute Gesichter. Ihre
Klassenkameraden Dean, Seamus und die Zwillinge Parvati und Padma
sowie die Slytherins Pansy Parkinson, Blaise Zabini und Crabbe und
Goyle.

Rosmerta, die Wirtin, kam mit einem Notizblock und einem Bleistift zu
ihnen. Sie war eine drahtige, kleine Frau mit einer spitzen Nase und
staubblondem, spinnwebfeinem Haar. „Was darf es sein?“,
fragte sie. „Drei Butterbiere“, erwiderte Hermine matt und
konnte an dem Nicken ihrer Freunde erkennen, dass sie mit der
Bestellung einverstanden waren, „Meins mit etwas Ingwer.“

Der Stift kritzelte eifrig über das Papier, dann entfernte Rosmerta
sich. Hermine stützte seufzend den Kopf in die Hände und spähte
nach draußen. Irgendwie sorgte der Regen dafür, dass sie ziemlich
müde und auch etwas trübselig drauf war. Ginny und Luna schienen
von einer ähnlichen Mattheit befallen zu sein. Genau genommen der
gesamte Pub.

Wenig später kam ihre Bestellung. Drei große Hupen, gefüllt mit
einer orangenen Flüssigkeit mit einer hellen, großzügigen
Schaumkrone. Über Hermines eigener sammelten sich kleine, gelbe
Ingwerstücke. Das Mädchen ergriff das Glas. Es war noch warm von
dem Getränk. „Zum Wohl“, murmelte Hermine und die anderen
folgten ihrem Beispiel. Sie stießen kurz und knapp an.

Dann setzte die Braunhaarige den Behälter an die Lippen und nahm
einen großen Schluck. „Hermine, du hast da etwas“, meinte
Ginny, als das Glas wieder auf der Platte landete und wies auf ihre
Oberlippe. Oh. Hermine wischte hastig mit ihrem Ärmel
darüber. „Ist es weg?“ Die beiden nickten.

Während das Mädchen sich den Schaum von den Lippen gewischt hatte,
war ihr Blick durch eine Bewegung zum Fenster geglitten. Irritiert
sah Hermine hinaus. Durch den strömenden Regen liefen mehrere
Personen, welche Papierbögen unter ihrem Arm geklemmt hatten. Was
hat das zu bedeuten? Ihre Braue wanderte leicht nach oben und sie
runzelte die Stirn. Hermine legte den Kopf an die Fensterscheibe und
kniff die Augen zusammen. Es waren fünf Personen. Allesamt trugen
lange Regenmäntel aus rotem Leder, sodass sie wie uniformiert
aussahen. Einer von ihnen hatte eine dunkle Hautfarbe. Der Regen rann
an seiner Glatze herab und an dem linken Ohr blitzte ein kleiner,
goldener Ring. Das ist doch Kingsley! Hermine weiteten sich
erstaunt die Augen. Jetzt entdeckte sie auch Tonks. Die jüngere
Aurorin lief hinter ihrem älteren Kollegen, das pinke Haar feucht
und dunkel vom Regen.

Das kann doch nicht wahr sein. Entsetzt saß Hermine da. Sie
starrte immer noch wie gebannt aus dem Fenster, selbst nachdem die
Auroren schon längst verschwunden waren. Was machten die denn hier?
Ihr Herz begann zu rasen, denn dem Mädchen fiel nur eine mögliche
Erklärung ein: Das Ministerium hatte den Täter gefunden. Aber warum
hatte sie dann noch niemand verhaftet? Vielleicht wussten die Auroren
gar nicht, dass sie hier war. Vielleicht hatte das Auftreten der
Truppe aber auch gar nichts mit ihr zu tun. Immerhin gab es eine
Menge Zettel, die das Ministerium in letzter Zeit aufhängte.

Trotzdem. Wilde Spekulationen würden ihr jetzt nicht weiter helfen.
Hermine musste sich Gewissheit verschaffen. Am besten alleine. Aber
wie

sollte sie den Raum verlassen, ohne Ginny und Luna zwangsläufig
ebenfalls auf den Plan zu rufen?

Die Lösung war so simpel, dass sie fast schon dämlich war. „Ich
müsste mal eben ans stille Örtchen“, wandte Hermine sich an
ihre Freunde und trat dabei etwas auf der Stelle, um noch eine Spur
authentischer zu wirken. „Okay“, meinte Ginny, „Geh
nur. Wir würden dann für dich bezahlen.“ „Danke“,
presste das Mädchen hervor und rannte los wie jemand, der wirklich
dringend mal musste.

Hinter ihr flog die Tür zum Hauptpub zu. Hermine ergriff ihre
Regenjacke. Es mochte jetzt nur noch leicht nieseln, aber sie wollte
trotz allem nicht nass werden. Wenig später öffnete sich die Tür
der Drei Besen und eine vermummte Gestalt trat hinaus auf die
Hauptstraße. Mit zügigen Schritten folgte Hermine dem Weg, den die
Auroren gegangen waren. Die Tropfen platschten in die Pfützen,
welche sich auf dem Kopfsteinpflaster sammelten.

Ihr Weg führte das braunhaarige Mädchen aus der kleinen
Einkaufsgasse raus und zu einer Ansammlung von schmucken, kleinen
Wohnhäusern geworden. Vor jedem weiß beputzten Gebäude befand sich
ein Garten und am Wegesrand standen Linden. Hier entdeckte Hermine
auch Tonks, Kingsley und die anderen Auroren.

Die Truppe stand vor einer Hauswand und war offenbar dabei ein Plakat
an dieser zu montieren. Hermine, welche hinter einer Tanne in Deckung
gegangen war, hob eine Hand und bog einen Zweig nach unten. Was
ist das nur? Ihre braunen Augen funkelten interessiert, während
sie versuchte etwas zu erkennen. Der Trieb knackte leicht.

Tonks drehte sich um. Rasend schnell wich Hermine zurück und presste
den Rücken gegen den nassen Stamm, der gerade mal so breit war, dass
er sie verbarg. Angespannt wartete das Mädchen. Hoffentlich hatte
die Rosahaarige sie nicht gesehen! Bitte, bitte, bitte….
„Was ist?“, hörte sie Kingsley sagen. „Ich dachte, da
wäre…“, begann Tonks unsicher, meinte dann jedoch rasch, „ist
unwichtig. Kommt. Wir müssen noch mehr Fahndungsplakate aufhängen.“
Ihre Schritte entfernten sich.

Hermine kauerte noch eine ganze Weile in ihrem Versteck. Sie wagte es
nicht, sich zu zeigen. Erstens, weil sie befürchtete, dass
vielleicht einer der Auroren sie sehen könnte. Zweitens, weil sie
sich vor dem letzten Wort fürchtete. Fahndungsplakat. Nun gab es
zwei Möglichkeiten: Entweder das Plakat zeigte einen der gesuchten
Todesser oder aber es hatte etwas mit ihr zu tun.

Los jetzt, Hermine! Es nützt nichts, wenn du hinter dem Baum
versteckt bleibst wie eine verschreckte Maus. Sie zwang sich
regelrecht dazu aufzustehen. Hermine lief um den Baum herum und
dorthin, wo die Auroren gewesen waren.

Das Plakat klebte an der Wand, feucht vom Regen. Es zeigte eine junge
Frau mit leicht ovalem Gesicht. Das lange, dunkelbraune Haar hing
verwuschelt und in buschigen, dichten Locken um ihren Hals und die
Schultern. Einige Strähnen wischten über die Stirn und die Augen,
welche von dichten Wimpern umrahmt wurden. Deren Farbe war
dunkelbraun, durchsetzt von einem wilden Glitzern.

Das Mädchen trug eine schwarze Weste, darunter ein schwarz-weiß
gestreiftes Hemd. Der Schnitt wies etwas kantiges, höchst
Unelegantes auf. Am Rand nahe dem Reissverschluss war eine Bande aus
roten, über Kreuz verlaufenden Stickereien.

Unter dem Bild des Mädchens standen die folgenden Worte:

GRANGER, HERMIONE

Belohnung: 42,000 Gallonen

letzter bekannter Aufenthaltsort: Muggel London

Muggelgeborene Wanted, für Mord, Nutzung höchst giftiger
Stoffe, Betreibung verbotener Künste

Für weitere Informationen schauen Sie sich bitte die Akte an.
Jegliche Sichtung oder Information, die zur Gefangennahme dieser
Person führt, soll sofort dem Ministerium oder Aurorenbüro
mitgeteilt werden.

Sehr gefährlich! Bitte nur mit äußerster Vorsicht nähren.

Hermine stolperte bei dem Anblick zurück. Nein, nein. Das darf
einfach nicht wahr sein! Es war, als wäre sie in einen Albtraum
gestürzt, ohne die Chance aufzuwachen. Obwohl das Mädchen innerlich
damit gerechnet hatte, war es trotzdem immer noch wie ein Schlag
gegen den Kopf. Betäubend, hart, lähmend.

Nervös zwirbelte Hermine an dem Rand ihres Hemdes herum. Unbehaglich
musterte sie das Plakat. Jetzt habe ich ein Problem. Wie
hatten die Auroren herausgefunden, dass sie der Täter war? Hatte sie
vielleicht unbeabsichtigt irgendwelche Spuren hinterlassen? Und was
würde geschehen, falls man sie fasste? Würden die Auroren sie
direkt in Askaban einsperren? Oder hätte sie die Chance auf einen
Gerichtsprozess? Auf jeden Fall konnte Hermine nicht mehr nach
Hogwarts. Sie würde wohl fliehen müssen. Denn eines stand fest: Mir
droht Gefahr. Äußerste Gefahr.

Verschwunden

Harry wusste nicht, wie lange er hier gestanden hatte. Hinter seinem
Rücken ertönte das dumpfe Gong, Gong des Glockenturmes. Die grünen
Augen des Jungen waren auf den kleinen Torbogen gerichtet, durch den
eine Ausfahrt nach draußen führte. Flatternde Flügelschläge
ließen ihn kurz gedankenversunken den Kopf heben. Wie eine
schimmernde Sternschnuppe rauschte Hedwig, seine Schneeeule, über
seinen Kopf und verschwand im nah gelegnen Wald, um zu jagen. Alle
Eulen konnten die Eulerei verlassen, wann immer sie wollten.

Harry sah ihr nach. Er hatte das eigenartige Gefühl, er wäre in der
Zeit zurück versetzt worden. Statt eines Sechzehnjährigen stand
plötzlich ein dreizehnjähriger Junge auf dem Menschenleeren Hof und
hatte die Hände in den Manteltaschen vergraben, während er auf
seinen Lippen kaute. Im dritten Schuljahr war es Harry schon einmal
verboten gewesen nach Hogsmeade zu gehen. Damals hatte er das
Einverständnisfomular nicht ausfüllen lassen. Okay, Vernon hat
sich geweigert, aber das Ergebnis war ja wohl dasselbe. Aufgrund
der fehlenden Unterschrift hatte er nicht mitkommen dürfen.

Diese Regelung war für Harry sogar verständlich gewesen. Er hatte
etwas nicht vorzeigen können, deshalb hatte er nicht mitkommen
dürfen. Aber das hier? Es ergab für Harry überhaupt keinen Sinn.
Warum sollte Dumbledore ihm plötzlich verbieten nach Hogsmeade zu
gehen? Vor allen Dinge ohne einen triftigen Grund zu nennen.

Eigentlich sollte Harry sonderbares Verhalten von Dumbledore gewohnt
sein. Der weißhaarige Zauberer sprach des Öfteren in Rätseln und
ließ ihn die Dinge selber herausfinden. Seine Stärken erproben.

Trotzdem dieses Ereignis passt irgendwie nicht ins Schema. Mit
den Händen in den Taschen schlenderte Harry über den Schulhof. Eine
kühle Brise wehte, zeugte von kommendem Regen. Dunkle Wolken zogen
in die Richtung von Hogsmeade. Das sah sehr nach einem Gewitter aus.
Überhaupt war eine Feuchtigkeit in der Luft, die fast schon etwas
ekeliges, Erdiges an sich. Selbst das herab gefallene Herbstlaub war
dunkel.

Vielleicht hatte es auch etwas mit den Morden zu tun. Dumbledore war
besorgt. Genauso wie alle anderen Lehrer. Harry selbst fühlte sich
wie der Selbstkritiker. Malfoy, denjenigen, den er verdächtigt
hatte, war ebenfalls ermordet worden. Als Harry an den Leichnam
dachte, schauderte ihm. Draco war aufgeschlitzt worden wie ein
Kaninchen.

Das ganze Blut hatte der Tat etwas furchtbar grausames und
barbarisches verliehen. Harry hatte innerhalb der sechs Jahre schon
viele Morde mitbekommen. Doch die hatten alle weniger gewalttätig
und grausam gewirkt. Die Leichen waren nicht irgendwie verstümmelt
worden. Auch kein Blut war geflossen. Alle Tode, die er mitgekriegt
hatte, waren durch den Todesfluch ausgelöst worden. Ein Blitzen aus
grünem Licht, ein furchtbar sirrendes Geräusch wie eine Sense, die
gleich auf nackte Haut trifft, und dann schlagartig Stille.

Seit Harry wusste, dass Voldemort seine Eltern ermordet hatte, hatte
er sich versucht ihre letzten Momente vorzustellen. Aufgrund von
vielen Erlebnissen und Erinnerungen hatte er den Verlauf des Grauens
rekonstruieren können: Voldemort hatte zuerst seinen Vater James
getötet. Dann hatte er auch Harry töten wollen. Aber Lily hatte ihn
angefleht, den Jungen zu verschonen, sich sogar vor das Bett
gestellt. Voldemort hatte die rothaarige Frau aufgefordert zur Seite
zu gehen, aber sie hatte sich widersetzt, weshalb der weißhäutige
Zauberer auch sie getötet hatte. Und dann hatte er versucht Harry zu
töten. Und war an diesem Akt zusammen gebrochen.

Remus Lupin, ein ehemaliger Lehrer von Hogwarts für Verteidigung
gegen die Dunklen Künste, hatte Harry gesagt, dass er furchtbares
Grauen durchlebt hatte. Grauen, das sich seine Mitschüler noch nicht
einmal ausmalen konnten. Doch nun fragte sich Harry, ob dies wirklich
stimmte. Waren Ron und Draco nicht auf eine so viel grauenvollere Art
und Weise umgekommen?

Überhaupt, wer käme noch als Täter in Frage? Snape? Harry war sich
da nicht so sicher. Er hatte schon einmal den schwarzhaarigen Lehrer
für etwas verdächtigt, aber dann hatte es sich doch herausgestellt,
dass er sich geirrt hatte. Vielleicht machte er diesen Fehler noch
einmal. Aber ihm fiel einfach keine weitere Person ein, die den Mord
noch begangen haben konnte. Es musste einfach Snape sein!

Flatternde Flügelschläge ertönten und wie ein weißer Blitz
rauschte Hedwig auf ihn zu. Harry winkelte den Arm an, damit die Eule
eine Landemöglichkeit hatte. Scharfe Krallen versenkten sich in
seinem Ärmel. Hedwig putzte sich die gebänderten Flügel und
klackerte mit dem Schnabel. Die Eule war etwas schwer, aber Harry
konnte inzwischen ihr Gewicht gut halten.

Sachte streichelte er dem Vogel über das gepflegte, weiche Gefieder.
„Na, immerhin hast du mich nicht verlassen“, meinte Harry.
Die Eule war seine Gefährtin und in seiner Zeit bei den Dursleys
seine einzige Verbindung zur magischen Welt. Er mochte sie sehr und
manchmal unterhielt Harry sich mit ihr. Im Gegensatz zu Ron und
Hermine kritisierte Hedwig ihn nicht sofort, sondern hörte nur ruhig
zu. Und manchmal tat es gut sich die Seele aus dem Leib zu reden.

Harry marschierte mit der Eule zurück zum Schloss. Er ließ sie
zurück zur Eulerei fliegen. In einem der Gänge huschte ihm
Krummbein über den Weg. Der orangene Kater wirkte etwas schlanker,
das lange Fell fiel in Wirbeln um seine Glieder. Harry konnte nicht
genau sagen, wohin Krummbein rannte. Vielleicht jagte er einem
regennassen Blatt oder einem großen Staubfussel hinterher.

Während er den buschigen Schweif des Kniesels um eine Ecke
verschwinden sah, kehrten Harrys Gedanken zu Hermine zurück. Sie war
seit längerer Zeit ziemlich still und schweigsam, hielt sich eher
abseits. Das Mädchen wirkte verschlossen und seine Augen schienen an
Glanz eingebüsst zu haben. Das Haar, ehemals voll und glänzend,
wirkte ebenfalls etwas schäbiger. Als hätte die Erkenntnis, dass
Ron, Lavender und Draco tot waren, sich auch auf Hermines Körper
ausgewirkt und ihn irgendwie verändert.

Sie sprach auch kaum noch. Gewiss war sie genauso von der Trauer
zerfressen und gelähmt wie Harry. Vielleicht sogar etwas mehr. Dem
schwarzhaarigen Jungen tat sie leid. Obwohl Hermine nach außen immer
noch kraftvolle Stärke und wilde Entschlossenheit ausstrahlte,
merkte Harry doch eine Kühle und Kälte, die sich wie ein Schleier
über sie legte und ihr das Herz einfror. Sie muss wirklich
traumatisiert sein.

Am Abend kamen seine Freunde endlich aus Hogsmeade zurück. Es war
Zeit fürs Abendessen und alle Schüler waren in die Große Halle
gegangen, wo die Tische bereits mit Broten, Wurst, Käse und leichter
Rohkost gedeckt waren. Harry saß am Gryffindortisch, vor sich ein
Toast mit einem Salatblatt, einer Scheibe Käse und Wurst und ein
Stück Tomate. In seinem goldenen Becher befand sich Apfelsaft.

Harry blickte zum Portal, durch das die Schüler geströmt kamen. So
viele vertraute Gesichter. Der schwarzhaarige Junge hielt Ausschau
nach einer langen, flammenfarbenen Mähne. Endlich entdeckte er
Ginny. Diese stand neben Luna Lovegood und plauderte mit dieser.
Harry winkte und braune Augen trafen auf seinen grünen Blick. Sie
brachten ihn kurzzeitig zum Schmelzen.

Ginny verabschiedete sich lächelnd von Luna. Dann lief sie zum
Gryffindortisch. Harry sah Lunas klare, blaue Augen auf ihm ruhen,
dann lief sie ebenfalls zu ihren Hausgenossen. „Mann, hätte es
nicht geregnet, dann wäre dieser Ausflug richtig schön gewesen“,
meinte Ginny und ließ sich auf den Stuhl fallen. „Mhm“,
machte Harry zerknirscht. Es gefiel ihm immer noch nicht, dass er
nicht hatte mitkommen dürfen.

Ginny hob eine Braue. „Schau nicht so mürrisch, Harry“,
meinte sie fast schon tadelnd und durchwühlte ihre Tasche, „Wir
waren so nett und haben dir etwas mitgebracht. Hier.“ Sie
reichte ihm eine Packung Bertie Botts Bohnen in sämtlichen
Geschmacksrichtungen, Zischende Wisbies und ein Päckchen
Schokofrösche.

Bei dem Anblick der Süßigkeiten verschwand Harrys miese Laune und
wich sogar einer gewissen Scham. Er hatte sich tierisch über
Dumbledores Entscheidung aufgeregt und seine schlechte Stimmung
einfach an Ginny ausgelassen. Dabei hatte diese und wohl auch Hermine
ihm etwas aus Hogsmeade mitgebracht.

„Danke“, meinte Harry und nahm die Sachen an sich. Zu
seiner Schamröte kam noch eine weitere Farbe. Wieso nur stellte er
sich in Ginnys Gegenwart immer so an? Hatte solche Schwierigkeiten
damit einen guten Satz zu bilden. „Das ist sehr nett von euch.“

Irritiert sah er sich um. Der schwarzhaarige Junge hatte damit
gerechnet, dass Hermine spätestens jetzt aufgetaucht war. Rasch
vergewisserte Harry sich: „Hermine ist doch mit euch zurück
gekommen, oder?“ „Ja“, erwiderte Ginny ruhig und
bestrich sich ein Brot mit Butter, auf welches sie dann Ziegenkäse
legte, „Mach dir keine Sorgen. Vielleicht hat sie grade einfach
keinen Hunger. Passiert ja mal öfter.“

Harry wollte gerade zustimmend nicken, als Schritte ertönten und
Pansy Parkinson auf ihn zukam. Die Slytherin Schülerin mit den
langen, glatten, rabenschwarzen Haaren und dem harten Gesicht hatte
die grünen Augen zornig auf ihn gerichtet. Oha, was für eine
Laus ist denn der über die Leber gelaufen?

Bevor Harry irgendetwas sagen oder tun konnte, packte Pansy ihn am
Arm und zerrte ihn grob aus dem Raum. „Hey,
Parkinson, lass das!“ Fluchend versuchte Harry sich
loszureißen, stolperte auf dem Weg aber beinah über seine eigenen
Beine. Pansy war stärker als man es auf dem ersten Blick meinen
könnte.

„Draco ist gestorben und sie hat ihren eigenen Liebhaber
getötet. Warum lebst du immer noch? Warum hat dieses Luder dich
nicht auch abgeschlachtet?“, knurrte Pansy und pinnte ihn gegen
die Wand. Harry war komplett durcheinander. Jetzt versteh ich gar
nichts mehr! Wer war dieses Luder? Was wusste Pansy? Spielte sie
auf den Mörder an? Kannte sie etwa den Täter? Oder wollte sie
einfach nur ihre schlechte Laune an ihm auslassen?

Harry schaffte es endlich seinen Schock aufgrund der plötzlichen und
groben Behandlung zu überwinden. „Wovon redest du?“ Sie
lehnte sich grimmig nach vorne, die Hände auf seiner Kehle. „Von
deiner dreckigen, besserwisserischen Schlammblutsfreundin.“

Was? Hermine? Das stimmt niemals! Harry knurrte: „Nenn
Hermine nicht Schlammblut und hör auf mich zu verarschen, Parkinson.
Für deine derben Scherze habe ich keine Zeit.“ Ihm fiel ein,
dass Hermine öfter Pansys Gesicht mit dem eines Pferdes verglichen
hatte. Nun wirkte ihre Miene jedoch eher wie das einer beißwütigen
Bulldogge. Dann jedoch entspannten ihre Züge sich wieder und sie
trat von ihm zurück.

„Du denkst, ich scherze, Potter?“, fragte Pansy und griff
an die Brusttasche ihrer Uniform. „Dann lies dir das mal durch.“
Mit boshaftem Grinsen und hämisch funkelnden Augen zog sie ein
zusammen gefaltetes Papier heraus und reichte es ihm. Misstrauisch
entfaltete Harry es.

Hermines Gesicht starrte ihn an. Sie lächelte nicht, aber trotzdem
atmete sie ruhig und gleichmäßig. Ein gefährliches Glitzern lag in
ihrem Blick. Über ihrem Kopf stand groß und fett Wanted. Unter der
Fotographie stand Hermione Granger, gesucht wegen Mord, Nutzung
gefährlicher Stoffe und der Betreibung verbotener Künste.

Harry wusste nicht, wie lange er das Bild angestarrt hatte. Ihm war,
als würde er den Boden unter den Füßen verlieren. Hatte sich die
Welt gerade ein paar Mal extra gedreht? Nein, nein, das kann nicht
sein! Pansy will mich nur irgendwie reinlegen. Aber es war schwer
etwas zu erwidern, wenn Harry doch sehr genau das Zeichen des
Ministeriums in der linken Ecke des Papiers sehen konnte. Stand etwas
einmal schwarz auf weiß hatte es ein viel größeres Gewicht, wirkte
irgendwie unanfechtbar.

Harry wusste nicht, was er fühlen sollte. Ihm war, als fühlte er
alles. Entsetzen, Schock, Unglauben, Wut, Zorn, Frustration,
Verwirrung, Angst, Trauer, Zweifel…. Er war vollkommen
orientierungslos. Diese Situation überforderte ihn regelrecht. Er
versuchte verzweifelt irgendetwas zu finden, was diese Botschaft auf
dem Plakat widerlegen konnte. Er wünschte, er könnte Pansy ins
Gesicht grinsen und sagen „Du irrst dich. So etwas würde
Hermine niemals tun.“

Aber konnte er das? Die feixende Miene seines Gegenübers war so
siegessicher. Also musste es wahr sein. Nein, nein, nein…das
darf es einfach nicht! Hermine ist meine beste Freundin. Sie würde
doch niemals so etwas wagen. Überhaupt, wie käme sie dazu? Was
würde sie so weit bringen? Harry wünschte sich, er könnte
diese Fragen nicht beantworten. Doch nachdem er seinen ersten Schock
überwunden hatte, konnte er seine Gedanken weitaus besser sortieren.

Und zu seinem Schrecken entdeckte er unzählige Anhaltspunkte, welche
dafür sprachen, dass Hermine der Täter war. Ihr hasserfüllter
Blick, wenn sie Ron und Lavender gesehen hatte. Die Schärfe, mit der
sie die Bücher ins Regal sortiert hatte…als wolle sie jemanden
erschlagen. Ihr Gespräch über die Sagengestalt Medea. Hermines
Auftreten, bevor sie Ron die Vögel auf den Hals gehetzt hatte. Die
Aggressivität, mit der sie Malfoy verprügelt hatte. Und die Kälte,
welche sie seit neuerem ausstrahlte. All diese Hinweise waren wie
stumme Hilfeschreie gewesen. Verdammt! Wie hatte er nur so
blind sein können? Warum hatte er nicht gesehen, was genau vor
seinen Augen ablief?

Pansy grinste ihn bösartig und rachsüchtig an. „Na,
geschockt?“ Ihre Stimme hatte einen grimmigen, fast schon
gekränkten Unterton. Harry starrte sie an. Die Lippen leicht
geöffnet, sprachlos. Irgendwie konnte er es immer noch nicht
verstehen. Es war so surreal. Immer noch kam es ihm vor, als wäre er
in einen Traum gestürzt.

Warum? Die Frage kam in sein Bewusstsein wie ein Wasserstrahl,
welcher durch Ritzen im Erdboden an die Oberfläche sickert. Warum
hatte Hermine das gemacht? Jeder Mörder, sofern er nicht irgendwie
gestört oder betrunken war, hatte ein Motiv für seine Tat. Was war
ihres?

Pansy wirkte irgendwie gekränkt, dass er sich nicht mit dieser Sache
für sie erkennbar auseinander setzte. „Hey, sei nicht so
teilnahmslos, Potter!“, fuhr sie ihn an. Harry blinzelte. Die
Slytherin bleckte die Zähne, während sie feixte: „Tja, ich
hatte schon immer einen Grund, Hermine zu hassen. Nun wird es mir
eine wahre Freude bereiten, einen Brief an Dolores Umbridge zu
schicken und ihr mitzuteilen, wo man das Schlammblut am besten
gefangen nehmen kann. Ich persönlich hätte es besser gefunden, sie
hätte dich oder diese Blutsverräterin getötet, anstatt Draco. Aber
man bekommt im Leben eben nichts geschenkt.“

Diese Worte waren wie ein Schlag in den Magen. War Harry anfangs noch
wie betäubt von dieser Neuigkeit gewesen, wurde er jetzt richtig
wütend. Der schwarzhaarige Junge ballte die Fäuste. Dieses
verschlagene, hinterlistige, falschzüngige Pack! Parkinson und
Malfoy sind wirklich der Abschaum pur. Harry presste hervor:
„Dass du dich traust so etwas zu sagen! Dass du es wagst, so
etwas überhaupt zu denken! Wie kannst du dir nur wünschen, dass ich
oder Ginny von Hermine getötet werden? Das ist unmenschlich!“
Parkinson lehnte sich angriffslustig nach vorne. Die beiden starrten
einander an wie Mungo und Klapperschlange, wenn diese aufeinander
trafen.

„Ach, und die Granger soll also nicht unmenschlich sein. Du hast
die Leichen gesehen. Da war keine Spur von Gnade enthalten!“,
schnappte Pansy und Harry wurde schmerzlich bewusst, wie sehr sie
wenigstens einer der Morde treffen musste. Nämlich der an Draco.
„Sie hat ihn aufgeschlitzt wie ein Karnickel. Ist das
unmenschlich oder nicht?“ Pansy machte eine Miene aus
verzweifelter Wut, ungeheurem Schmerz und Verletzlichkeit. Irgendwie
würde es Harry nicht wundern, wenn sie nun auf ihn losgegangen wäre.

Der schwarzhaarige Junge versuchte sie zu beruhigen. „Hör zu“,
erwiderte er, „Ich bezweifele nicht, was sie getan hat. Auch an
dem moralischen Fakt ist nichts zu leugnen. Trotz allem verdrehst du
alles. Warum sollte Hermine mich oder Ginny töten?“ Pansy
schoss zurück: „Warum hat sie dann den Blutsverräter getötet,
mit welchem sie doch so gut befreundet war? Ach, ich vergaß, der war
ja nur mit der Brown Tante beschäftigt.“ Und sie fuhr herum und
stiefelte davon.

Harry selbst stand da und starrte immer noch das Fahndungsplakat in
seiner Hand an. Sein Kopf fühlte sich eigenartig leer an oder als
wäre er mit Watte gefüllt und alle Geräusche erschienen merkwürdig
gedämpft. Der Schock über die Erkenntnis, dass Hermine der Mörder
war, hatte einer viel drängenden Frage Platz gemacht. Einer Frage,
die viel entscheidender war. Warum?

Warum hatte Hermine die Morde begannen? Was hatte sie zu so einer Tat
bewogen? Wie konnte sie in so einen Zustand gelangen, der sie
skrupellos und grausam töten ließ? Welche Motive lagen dahinter?
Überhaupt: Was war mit ihr passiert?

Harry musterte immer noch Hermines Gesicht auf dem Bogen Papier. Es
dauerte eine ganze Weile, bis die sich nährenden Schritte an sein
Ohr drangen. Der Junge sah auf. Ginny Weasley kam auf ihn zu
gelaufen. Ihr Gesicht wirkte besorgt, erschreckt und kummervoll.
„Harry, was wollte Parkinson von dir?“, fragte sie.

Harry erwiderte nur: „Wusstest du das?“ Er reichte ihr das
Plakat. Ginny betrachtete es und las. Er konnte sehen, wie ihre
Lippen den Namen ‚Hermine‘ formten. Schockiert weiteten sich ihre
Augen. Ginny sah ihn an, Tränen schimmerten auf ihrer Iris wie
Wassertropfen.

„Ach, Harry“, hauchte sie, „Ich habe es gewusst, aber
ich wollte es dir nicht verraten. Zu deinem Schutz. Ich hatte Angst.
Ich habe nicht gewusst, wie ich damit umgehen sollte.“ „Wo
ist Hermine jetzt?“, fragte Harry eindringlich. Er packte die
Rothaarige an den Schultern, sodass sie einander ansehen mussten. „Du
hast gesagt, sie wäre nicht mit in die Große Halle gekommen. Wo ist
sie jetzt?“ „Ich weiß es nicht.“

Dann müssen wir sie finden. Harry ließ Ginny los.
Entschlossen marschierte er den Gang entlang. Schritte zeugten davon,
dass die Weasley Tochter zu ihm aufgeschlossen war. „Was hast du
vor?“, fragte sie. „Hermine suchen“, war Harrys kurze
Antwort. Er beschloss zuerst all die Orte abzusuchen, wo sie am
ehesten hingehen würde, wenn sie allein sein wollte. „Ich helfe
dir“, antwortete Ginny und die beiden bogen am Ende des Ganges
in je zwei verschiedene Richtungen.

Keine halbe Stunde später preschte Harry zum Gryffindor
Gemeinschaftsraum. Verdammt, verdammt, verdammt! Die Fette
Dame hob erschreckt den Kopf, als er auf sie zugeprescht kam.
„Datteln!“, rief Harry das aktuelle Passwort und das
Portrait schwang zur Seite. Das kann einfach nicht wahr sein!

Der Junge stürzte in den Gemeinschaftsraum. Ginny tigerte die ganze
Zeit vor dem brennenden Kamin auf und ab. Das Feuer warf unruhige
Schatten auf ihr Gesicht. Glühende Augen lagen im Schatten. Nur die
orangeroten Pfoten, die aus der Finsternis neben dem Sessel hervor
lugten, zeugten davon, dass Krummbein ebenfalls anwesend war.

Ginny hörte sofort auf herum zu laufen, als Harry zu ihr kam. Er war
verschwitzt, aufgekratzt und unruhig. Seine Haut war hell und die
grünen Augen blitzten voller Sorge. „Und?“, fragte die
Rothaarige nervös. Harry hielt sich die Seite und versuchte zu Atem
zu kommen. „Nichts“, rief er, „Ich war in der
Bücherei. Ich habe jeden verdammten Winkel durchsucht. Sie war nicht
da. Sie war auch nicht im Raum der Wünsche oder in den
Vertrauensschülerbüros.“

Ginny erwiderte: „Ich habe bei der Eiche nachgesehen, die am
schwarzen See wächst. Außerdem war ich in der Heulenden Hütte und
in den Kerkern. Da war Hermine auch nicht.“ Krummbein gab ein
grummelndes, tiefes Miauen von sich. Harry fuhr den Kater an: „Sei
still, Krummbein! Wir müssen nachdenken.“ Der Kniesel nieste
missbilligend und schüttelte den breiten Kopf.

Dann fiel Harry etwas auf. Da lag das Problem. Er und Ginny hatten
nur Orte aufgesucht, die in Hogwarts lagen. Wie bescheuert sind
wir eigentlich? Kein Mörder würde sich an dem Ort aufhalten, an
dem man ihn am ehesten erwarten würde. So dumm wäre Hermine
nicht. Wenn sie ebenfalls weiß, dass sie des Mordes beschuldigt
wird, dann wird sie sich nicht in Hogwarts aufhalten. Aber wo
dann?

Harry kratzte sich nervös am Hinterkopf. „Ich muss Hermine
finden“, flüsterte er eindringlich, mehr zu sich selbst als zu
Ginny, „Ich muss sie finden, bevor es die Auroren oder noch
schlimmer Voldemort tun. Er hat von dieser Sache gewiss schon gehört.
Aber er darf sie nicht in die Finger kriegen. Und die Auroren auch
nicht.“

Harry wandte sich um und lief zum Portraitloch. „Harry, wo
willst du hin?“, rief Ginny ihm nach. Er drehte sich halb im
Gehen um. Seine Freundin stand vor dem Kamin. Krummbein war etwas aus
den Schatten gekommen. Grüne Augen in dem eingedellten Gesicht
musterten ihn. Doch Harry sah in Ginnys sorgenvolle Miene, als er
sprach: „Nach Hogsmeade. Ich meine, irgendwo muss ich anfangen.“

Plötzlich überbrückte Ginny hastig die Strecke zwischen ihnen und
fiel ihm um den Hals. Ihre Tränen nässten seine Wange. „Harry,
sei vorsichtig“, flüsterte sie und trat von ihm zurück, „Du
weißt nicht, in welcher psychischen Verfassung Hermine gerade ist.“‚

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