The Devil Within 3
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Kapitel 10 – 14 (von 14)
Allein und gesucht
Hochhäuser, die eine weite Straße flankierten. Autos, die wie
glänzende Metallkäfer über den dunklen Fluss aus Teer krochen. Das
Licht ihrer Scheinwerfer gesellte sich zu dem der Straßenlaternen.
Reklametafeln blinkten in den unterschiedlichsten Farben. Schrill und
grell. Die Shift Avenue war eine der beliebtesten Einkaufsstraßen in
London und vor allem eines: überfüllt mit Menschen.
Ältere, knorrige Männer, welche mit Aktentaschen von der Arbeit
zurück kamen. Junge Frauen, die vor jedem Kleidergeschäft stehen
blieben und das Schaufenster genauestens musterten. Teenager, die
Musik hörten oder auf ihren I-Phones herum tippten. Kinder, die nach
Süßigkeiten schrien und ihre entnervten Müttern am Arm zerrten.
Tapp, tapp, tapp. Unter die vielen Schritte mischte sich auch die
eines Mädchens mit langem, braunem Haar, das wirbelnd ihren
energischen Bewegungen folgte. Sie trug eine zusammen geknöpfte,
braune Jacke. Immer wieder blickte sie argwöhnisch über die
Schulter. In ihren Augen lag der gehetzte Glanz des Gejagten.
Folgte ihr jemand? Hermine hoffte es nicht. Sie mochte zwar einen Ort
ausgewählt haben, der für einen Zauberer eher unpassend war –
welcher Magier würde schon durch die Shift Avenue gehen? -, aber
andererseits war es bekannt, dass sie Muggelgeborene war. War dann
nicht auch zu erwarten, dass sie sich dorthin begab, wo ihresgleichen
oder wenigstens ihre Eltern lebten?
Hermine war furchtbar angespannt. Jeder Schritt hinter ihr ließ sie
innerlich zusammen zucken. Jeder Schatten wirkte wie der eines
Auroren. Und ständig rechnete sie damit, dass jemand ‚Da ist sie!‘
schrie. Oder sie in eine Falle lief. So musste sich wohl eine Maus
fühlen, die durch das Haus schlich und wusste, dass hinter jeder Tür
die Katze lauern konnte, bereit ihr mit ausgefahrenen Krallen
entgegen zu springen und ihr das Genick zu brechen.
Jedes Plakat, das an einem Schaufenster klebte, verwandelte sich in
Hermines Augen in das Fahndungsplakat. Wanted, “für Mord,
Nutzung höchst giftiger Stoffe, Betreibung verbotener Künste. Sehr
gefährlich. Bitte nur mit äußerster Vorsicht nähren.“ Ihr rann
ein Schauder über den Rücken. Hermine war von der Jägerin zur
Gejagten geworden. Und mit diesem Wissen kamen die Angst, das
Misstrauen, die unglaubliche Vorsicht und der Verfolgungswahn.
Wie konnte man mit so einem Wissen noch klar denken? Was für eine
Zukunft gab es für Hermine jetzt noch? Die hinter Gitterstäben?
Momentan beherrschte nur ein einziger Gedanke Hermines Bewusstsein.
Lauf! Lauf um dein Leben und lass dich nicht fangen! Sie war
alleine. Vollkommen auf sich selbst gestellt.
Die Todesser mochten zwar Gesuchte sein und verachtet, aber sie waren
nicht alleine. Sie hatten einander. Wenn sie in Gefahr gerieten, so
konnten sie sich gegenseitig schützen. Doch sollte die Braunhaarige
von irgendwem entdeckt werden, so gäbe es für sie niemanden, der
ihr den Rücken frei hielt und sie beschützte. Für Hermine gab es
dann nur noch die Flucht. Sie war das einzige, was sie am Leben hielt
und voran trieb.
Das Mädchen bog um eine Ecke und blieb auf einmal stehen.
Nachdenklich musterte Hermine den langen, wollenen, simplen,
gradlinig geschnittenen, schwarzen Mantel. Er umhüllte einer Puppe
in einem Schaufenster den Leib und sonderbarerweise fiel ihre eigene
Spiegelung genau darauf.
Hermine überlegte. “Die Auroren wissen, wie ich aussehe. Sie
werden wohl auch annehmen können, wo ich mich vielleicht aufhalten
würde. Aber wenn ich anders aussehen würde…“ Nachdenklich fuhr
sie über den braunen Ärmel, griff sich in die langen Locken.
Zugegeben, der Gedanke hatte es in sich. Aber vielleicht war es für
Hermine die einzige Möglichkeit einer vorzeitigen Gefangennahme zu
entgehen. Oder zumindest sie vorauszuzögern.
Hermine griff in die Innenseite ihres Mantels. In einer der Taschen
dort lag ein kleiner Beutel aus lila-schwarz gestreiftem Stoff,
bestickt mit dunklen Perlen. Das Mädchen hatte das Täschchen schon
vor Tagen gepackt mit allem Notwendigen für den Fall, dass sie
schnell verschwinden musste. Während sie darin herumwühlte,
marschierte sie ruhig in den Kleiderladen herein. Nicht mehr eine
Fliehende, sondern ein Mädchen, das einen Einkaufsbummel machte.
Endlich zog Hermine ihr Portemonnaie raus. Zwar hatte sie dort nur
Sickel, Knuts und ein, zwei Gallonen drinnen, aber das war nicht
wichtig. Das Wichtige war die kleine, rote, schimmernde Plastikkarte.
Die Kreditkarte, die sie zu ihrem vierzehnten Geburtstag erhalten
hatte. Hoffentlich ist genug Geld drauf.
Das Mädchen entdeckte den Mantel aus dem Schaufenster an einem Bügel
neben mehreren weiteren Kleidern. Sie nahm ihn an sich. Hermine
strich über den Stoff. Von der Textur war er weicher als der Mantel,
den sie gerade trug, aber ansonsten sehr ähnlich. “Ich brauche
mehr als nur einen Mantel, um das Aussehen zu verändern.“
Nach fünf Minuten, in denen Hermine sich durch das Sortiment des
Kleiderladens gewühlt hatte, landete neben dem Mantel eine eng
anliegende, schwarze Hose, ein paar spitz zulaufende, glänzende,
dunkle Lederstiefel, ein grauer Pulli und eine Sonnenbrille auf der
Theke.
Freundlich lächelnd hielt Hermine der Kassiererin die Karte hin.
„Könnte ich hier wohl mit Karte bezahlen?“, fragte sie
sanft, „Geht das?“ Ihre IC-Karte wurde durch den Ableser
gezogen, dann tippte Hermine ihre Geheimnummer in die Tastatur. Wenig
später erschienen auf dem grünlichen Bildschirm die Worte “Zahlung
erfolgt“ und das Mädchen konnte die Karte wieder rausnehmen. Mit
einer vollen Plastiktüte verließ sie wenig später den Laden.
Hermine stand an der Shift Avenue und überlegte. Wo sollte sie nun
hingehen? Um den letzten Teil ihres momentanen Plans zu verwirklichen
brauchte sie einen Ort, wo sie alleine und ungestört war. Vielleicht
sollte sie einfach zu sich nach Hause gehen. Weit wäre es nicht,
wenn sie den Bus benutzte. Andererseits: Die Auroren könnten
annehmen, dass sie ihr Zuhause als erstes aufsuchen könnte.
Nein. Hermine brauchte einen Ort, der ihr Anonymität und
Privatsphäre versprach. Wo fand man so etwas? Nachdenklich ließ das
Mädchen sich vom Strom der Menschen mit treiben. “Ich brauche ein
gutes Versteck für die Nacht. Einen Platz zum Ausruhen, wo man mich
aber nicht so leicht findet.“ Kaum zu glauben! Sie dachte bereits
in der Sprache der Verfolgten. Wie weit würde dieser Wahn gehen? Wie
sehr würde sie sich verändern?
Hermine entdeckte ihren Rastplatz, als sie sich der Themse nährte.
Kurz vor der Waterloo Brücke bemerkte das Mädchen in einer
Nebengasse ein kleines B & B. Das Haus war zwar vor kurzem
gestrichen worden, trotzdem wirkte die weiße Farbe irgendwie
fahrlässig hingeklatscht. Einige Spritzer bedeckten die Treppe vor
der Tür oder die Fensterrahmen. Alles in allem ein leicht
vernachlässigter, aber doch gemütlicher Ort, der Flüchtende
geradezu zum Verweilen einlud. Perfekt.
Hermine stieg die Treppe hoch und trat in das Foyer. Außer einer
Theke, hinter der ein mies gelaunter Mann saß, gab es hier nichts
von Bedeutung. Auf einem Tisch stand ein halbvoller Zigarrenbecher,
daneben mehrere Pappgläser und eine fast leere Flasche
Sprudelwasser.
„Ja?“, grunzte der Mann, als Hermine auf ihn zutrat. „Ein
Zimmer für eine Nacht, bitte“, bat das Mädchen. „Mit
Frühstück oder ohne?“, hielt ihr Gegenüber dagegen, während
er die kleinen Augen auf einen Bildschirm richtete. Seine Hände
huschten über die Tastatur. „Mit“, antwortete Hermine.
Er kramte in einer Schublade rum und reichte der Braunhaarigen ein
Formular. Eine Ecke war abgeknickt. „Hier, unterschreiben.“
Sein hagerer Finger tippte auf die entsprechende Zeile. Der
Kugelschreiber schmierte. Hermine kritzelte den Namen Jean Hawkill
hin. Hawkill war der Mädchenname ihrer Mutter. Und dies wusste kaum
einer. Sicher ist sicher. Hermine wollte anonym bleiben.
Der Mann entriss ihr das Papier und drückte ihr einen kleinen, matt
glänzenden Schlüssel in die Hand. „Oberster Stock, dritte Tür
links“, sagte er, lehnte sich nach hinten und schien wieder mit
dem Dösen anzufangen. Seufzend steckte Hermine den Schlüssel in die
Tasche und begab sich zu ihrem Zimmer.
Dieses passte zu dem Hotel. Es war ziemlich klein und die Tapete
fleckig von Feuchtigkeit. Ein muffeliger Teppich erstreckte sich in
der Mitte. Das Bett besaß eine so dünne Matratze, dass Hermine sich
überhaupt nicht auf die Nacht freute. Irgendwelche Dekorationen gab
es in dem Raum nicht. Nur eine Glühbirne, welche wohl nicht mehr das
neuste Modell war, hing von der Decke und beschien kläglich den
Raum.
Eine Sache gab es aber und nur diese war für Hermine wichtig. An
einer Wand standen eine Kommode und ein Spiegel. Das Mädchen legte
die Tüte auf das Holzbrett und trat an den Spiegel ran. Sie beäugte
ihr Antlitz. Ein schmales, leicht ovales Gesicht. Dichte Wimpern, die
die dunkelbraunen Augen umrahmten und langes, gelocktes, wallendes,
kastanienfarbenes Haar.
„Tja, es wird wohl Zeit, dass du jemand anderes wirst, Hermine“,
flüsterte sie ihrem Spiegelbild beinah liebevoll zu. Dann legte das
Mädchen langsam ihren braunen Mantel ab, zog sich aus, bis auf die
Unterwäsche. Sogar die Turnschuhe trat sie sich von den Füßen.
Neben Hermine landete die Kleidung auf einem unordentlichen Haufen.
Noch schien es nicht so, dass sie sich verändert hatte. Trotzdem war
es der erste Schritt zur Wandlung. Hermine öffnete die Tüte und
holte die frisch gekaufte Kleidung heraus. Sie hatte keinen
vertrauten Geruch, nur den Duft von Putzmittel und Neuheit. Nichts,
was sie in Verbindung mit jemand anderem bringen konnte.
Hermine hielt sich den dunkelgrauen Pullover vor die Brust. Sie
musterte sich im Spiegel, versuchte sich vorzustellen, wie diese
Person wohl war, welche so etwas trug. Eher still. Schweigsam.
Vielleicht auch schüchtern. Das Mädchen zog sich den Pullover an.
Als nächstes die schwarze, eng anliegende Hose.
Erneut verharrte sie mit einem Blick in den Spiegel, versuchte aus
dem entstandenen Zusammenspiel aus schwarz und grau ein weiteres Bild
ihres neuen Charakters zu bekommen. Ja, jemand stillschweigendes, das
war sie nun. Aber zugleich auch mit einer Ruhe und Autorität. Die
Kleidung wirkte zwar nicht edel, aber Hermine hatte eine anmutige
Gestalt im Kopf. Anfangs noch weiß wie ein Papier, doch nun füllte
sich dieses Selbst mit Farben.
Ihr Körper war leicht vornüber gebeugt, während Hermine auf einem
Bein balancierte. Die Ferse ihres frei schwebenden Fußes berührte
ihre Wade, während die Hände flink wie Wiesel die schwarzen Stiefel
anlegten. Sie hatten keine Halterung, man schlupfte einfach in sie
hinein.
Es gab ein weitaus lauteres Tap als normalerweise als Hermine sich
wieder normal hinstellte. Sie griff nach dem Mantel und legte ihn an,
zog ihn sehr zu. Nur ein kleiner, heller Halbmond des Pullovers
blitzte auf. Hermine besah sich im Spiegel. Selbst wenn sie nun die
Sonnenbrille aufsetzten würde, würde man sie an den
charaktertypisch langen, braunen Haaren erkennen.
Hermine seufzte. Der letzte Schritt gefiel ihr gar nicht. Langsam
wanderte eine Hand durch ihre Locken, fühlte die Struktur mit den
Fingern. Konnte sie das wirklich tun? Es wäre eine sehr drastische
Veränderung in ihrem Aussehen. Es würde eine neue Person aus ihr
machen. Aber es ist notwendig.
Die Schere war fast so lang wie ihre Hand und schimmerte silbrig und
scharf in dem dämmrigen Licht, als Hermine sie anhob. Ganz langsam
öffneten die Schneideblätter sich. Ritsch ratsch. Hermine hörte
das Auf- und Zuklappen der Schere unglaublich laut. Sie schien sogar
das Atmen zu vergessen. Büschelweise fiel ihr das dichte, braune
Haar aus.
Schließlich legte Hermine die Schere zur Seite. Nun hatte sie
weitaus kürzere Haare. Hatten sie früher ihre Schulterblätter
vollkommen bedeckt, so reichten sie gerade mal bis zum Ende ihres
Halses. Mit flinken Fingerbewegungen band Hermine die Mähne zu einem
Zopf, den sie obendrein noch leicht hochsteckte, sodass ein kurzer,
buschiger Pferdeschwanz ihren Hals kitzelte.
Dann schob Hermine sich die Sonnenbrille über die Augen. Sie stopfte
die Perlentasche in die Innenseite ihres Mantels und knöpfte ihn zu.
Als am nächsten Morgen das braunhaarige Mädchen, komplett in
schwarz gekleidet, auf die Straße trat, war nichts mehr von Hermine
an ihr zu sehen. Dieses Mädchen war tot. Sie hieß jetzt Jean
Hawkill.
Fremd und doch vertraut
Die Fahndungsplakate hingen überall. An den Hauswänden, an Bäumen,
an Schaufenstern. An jeder Straßenecke sah ihn Hermines Gesicht an.
“Haben Sie diese Hexe gesehen? Wanted für Mord, Nutzung
gefährlicher Stoffe, Betreibung verbotener Künste“. Die Worte
standen schwarz auf weiß, doch wenn Harry die Augen schloss, glaubte
er sie immer noch zu sehen.
Der Junge durchquerte Hogsmeade und sah sich um. Wo könnte Hermine
sich versteckt halten? Seine Augen streiften den Eberkopf, ein
düsterer Laden, welcher sich in den Schatten einer Nebengasse
drückte. Nachdenklich machte der Junge einen Schritt darauf zu. Das
Glas der Fenster war milchig und diese so winzig, dass man kaum
hinein sehen konnte. Das Haus hatte einen schlampigen Anstrich,
schwarze Farbe, die jemand unwirsch auf Holz geschmiert hatte. “Das
perfekte Versteck.“ Harry hoffte hier wenigstens eine Spur von
Hermine zu finden.
Die schwere Tür klemmte und er musste sich regelrecht gegen das Holz
lehnen. Knirschend gab das Holz nach. Harry betrat einen zugigen
Raum. Der Eberkopf bestand aus einem Schankraum, indem es so duster
war, dass die halb herunter gebrannten Kerzen allenfalls einen
Dämmerzustand in der Kneipe auslösen konnten.
Alles war verdreckt. Der Boden starrte von Schmutz, welcher ihm das
Aussehen von fest getretenem Lehm verlieh. Die Tische bestanden aus
fleckigem Holz und die Gläser, welche hinter der Theke auf einem
schiefen, eilig zusammen gezimmerten Regal standen, sahen so aus, als
wären sie kaum gespült worden. In der stickigen Luft mischte sich
der scharfe, unappetitliche Geruch nach Ziege.
Aberforth, der Wirt, stand an der Theke und taxierte die Decke
dermaßen, dass es schien, als beobachte er herunterrieselnde
Staubfussel. Außer ihm und Harry war niemand zu sehen. Der Junge
marschierte zwischen den fleckigen, staubigen Tischen umher, strich
im Vorbeigehen mit der Hand über die Stuhllehnen. Ob Hermine hier
wohl vor kurzem gesessen hatte?
„Suchst du jemanden, Junge?“ Die barsche Stimme des Wirtes
ließ ihn zusammenschrecken. Harry sah auf. „Ja“,
antwortete er, „Hermine. War sie hier?“ Der Mann mit den
schmutzig weißen Haaren kniff die Augen zusammen. Er sah Dumbledore
so unglaublich ähnlich. Dieselben Augen, derselbe Mund. Sogar das
Haar hatte eine ähnliche Färbung, nur war es bei Aberforth von grau
und Silber durchsetzt.
„Nein. Sie war nicht hier“, erwiderte Aberforth, „Suchst
du sie? Willst du deine eigene Freundin den Richtern übergeben?“
„Nein, natürlich nicht!“, rief Harry aus. Was war das denn
für eine Unterstellung! „Ich will herausfinden, warum sie getan
hat, was sie getan hat.“
Der alte Mann schüttelte mitfühlend den Kopf. „Du hast keine
Ahnung, warum man sie sucht, oder? Wie weit die Auroren bereits
sind?“, sagte er mehr zu sich selbst als zu ihm. „Nein“,
entgegnete Harry, „Das weiß ich nicht. Sollte ich es wissen?“
„Es kann dir nur zum Vorteil sein, Junge“, grummelte
Aberforth. Er schubste eine Ziege zurück, welche neugierig ihren
Kopf an seinen Beinen vorbei schob und zu Harry spähte. „Weg
da, Batsy!“
Der alte Mann wandte sich an Harry: „Wenn ich du wäre, würde
ich die Hauptstraße hochgehen und nach einem kleinen, braunen Haus
mit schwarzer Tür suchen. Dort haben die Auroren vorübergehend eine
Zentrale eingerichtet. Frag sie nach Hermine Grangers Akte. Die
werden sie gewiss haben.“
„Ich danke dir, Aberforth“, sagte Harry und nickte zum
Abschied. Der Wirt hob die Hand wie zum Wink. „Geh, Junge“,
murrte er und schubste erneut die Ziege in den Schatten. Harry
verließ den Pup Zum Eberkopf und bog erneut in die Hauptstraße ein.
Seine Füße hinterließen dunkle Spuren auf dem Schnee. Das Haus,
von dem Aberforth gesprochen hatte, war leicht zu finden. Es klebte
zwischen zwei größeren und duckte sich in deren Schatten. Das Dach
schien schief. An den Fenstern klebten noch mehr Fahndungsplakaten,
nicht nur von Hermine, sondern auch von Todessern, Banditen und
Verbrechern.
Harry schlüpfte in die Aurorenzentrale. Der Raum war sehr klein und
simpel eingerichtet. Einen Tisch, hinter dem ein Auror saß. Hinter
ihm ein Regal voller Akten. Fahndungsplakate pflasterten die Wände.
Der Mann sah erstaunt auf, als Harry auf ihn zutrat. „Mister
Potter“, grüßte er nach einem kurzen Blick auf die Stirnnarbe
des Jungen, „Was für eine Überraschung! Wie kann ich Ihnen
behilflich sein?“
Harry fragte: „Könnten Sie mir bitte die Akte von Hermine
Granger geben?“ Die Augen des Auroren blitzten. „Wozu?“,
wollte er wissen. Der Junge beantwortete die Frage nicht. Stattdessen
überging er sie, indem er sagte: „Ich möchte sie einfach
durchsehen. Bitte. Es ist wichtig.“
Der Stuhl quietschte an seinen Gelenken, als der Mann sich nach
hinten lehnte und mit den Fingern die Akten durchsuchte. „Carrow,
Crouch jr.“, murmelte er, „Goyle….ah, hier, Granger,
Hermine.“ Er zog einen hellbraunen, dünnen Aktenordner raus.
Diesen überreichte er Harry.
Der Junge setzte sich auf den kleinen Hocker, der an einer Wand
stand. Er stützte die Füße gegen dessen Beine. Das M des
Ministeriums prangte oben in der Mitte. Darunter stand in simplen
Druckbuchstaben . Harry runzelte kritisch die Stirn, während er
sie aufschlug.
Auf der allerersten Seite war eine Art Steckbrief von Hermine. Ihr
Vor- und Nachname, ihr Alter, ihr Blutstatus, ihre Familie, ihr
Wohnort, eine Beschreibung ihrer psychischen Erscheinung, das Jahr,
seitdem sie Hogwarts besuchte. Oben links in der Ecke klebte ein
Photo von Hermine, welches sie wie üblich beim lernen zeigte. Harry
musste bei diesem Anblick unwillkürlich lächeln. Das Photo war wohl
in ihrem zweiten Jahr aufgenommen worden.
Vorsichtig blätterte Harry um. Auf den nächsten Seiten wurde
ausführlich die Untersuchung der drei Toten beschrieben. Der Junge
überflog den Text und suchte nach den Stellen, wo es um Hermine
ging. “…lag schon länger mit ihm in Fehde. Auf der Brust der
Toten fand man ein langes, gekräuseltes, braunes Haar. An dem Apfel
waren Fingerabdrücke, die man Ms Granger zuweisen konnte.“ Die
ganze Erklärung ging noch viel länger weiter und manche Sachen
sagten Harry gar nichts.
Er entdeckte nach diesem Bericht noch weitere Beweisstücke für
Hermines Tat. Ein Büschel Haare, ein Fingerabdruck, welcher sich mit
schwarzer Tinte auf Papier drückte, eine Kopie einer Buchseite, wo
von einem Trank namens Wohlschmeckender Tod die Rede war.
Harry konnte es nicht glauben. Er ließ langsam die Akte sinken.
Dieser Bericht war regelrecht schockierend. Er verriet ihm, was
Hermine getan hatte und wie. Obwohl es sich bei dieser Sache
eindeutig um ein Verbrechen handelte, konnte er doch keinen Hass
empfinden. Eher Bestürzung, Sorge, einen Anflug von Angst, ja sogar
Mitleid.
Er fragte sich ständig, was mit Hermine geschehen war. Niemand wurde
von heute auf morgen zu einem Mörder. Es musste ein Wandel in der
Psyche vollzogen worden sein. Vor allem bei jemandem wie Hermine.
Harry konnte sich niemanden vorstellen, der mehr friedvoller war und
freundlicher. Was also war geschehen, dass sie ihre Freunde betrog,
belog und abschlachtete wie Vieh?
Harry wandte erstaunt den Kopf, als er ein dumpfes Geräusch nahe dem
Fenster vernahm. Es klang, als hätte sich jemand dagegen geworfen.
Was war das denn? Irritiert stand Harry auf und trat zu dem
Fenster. Er sah hinaus. Regen rann an dem Glas herab.
Dann warf sich ein orangenes, triefendes, unförmiges Bündel gegen
das Fenster. Harry stieß einen erschreckten Schrei aus und stolperte
leicht nach hinten. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er in der
Fellmaße Krummbein erkannte, der sich gegen das Glas drückte, mit
den Tatzen dagegen trommelte und leise Maunzlaute ausstieß.
„Ist das Ihre Katze?“, fragte der Auror. „Nein“,
erwiderte Harry und wandte sich halb um, „Sie gehört Hermine.“
„Sie sollten sie rein lassen, bevor das Tier sich da draußen
noch den Tod holt.“ Kaum hatte der Schwarzhaarige die Tür ein
Stück geöffnet, schoss Krummbein in den Raum.
Der Kater war durchnässt und schüttelte wieder und wieder sein
dichtes Fell, sodass die Tropfen durch die Gegend flogen. Harry
konnte sich nur verwundert fragen, was der Kniesel hier zu suchen
hatte. „Krummbein“, fragte er und kniete sich hin, hielt
jedoch Abstand von dem feuchten Pelzknäuel, „Was machst du denn
hier?“
Krummbein hörte auf sich zu schütteln und sah ihn an. Dann fing er
an zu würgen wie an einem großen Haarball. Der Kater lehnte sich
nach vorne, hustend und spuckend, während sein Leib erzitterte.
Seine Schnauze verzerrte sich und schließlich spie er mit einer
ordentlichen Ladung Speichel ein zusammen geknülltes, weißes
Bällchen auf den Boden.
„Gute Arbeit“, meinte Harry sarkastisch, während die
glühenden Katzenaugen ihn stolz ansahen, „Bist du jetzt
fertig?“ Krummbein gab ein jammerndes Maunzen von sich und
stupste sein Erbrochenes mit der Pfote an. „Ich will mir das
nicht ansehen“, erwiderte Harry angewidert und wandte sich ab.
Kreischender Protest war die Antwort. Der Kniesel beschnupperte das
weiße Etwas, bevor die breite Schnauze es in Harrys Richtung schob.
„Was soll das?“, fragte Harry aufgebracht. Wirklich, er
hatte jetzt keine Zeit für solche derben Katzenspiele. Der Junge
wollte aufstehen, aber Krummbein unterband dies, indem er sich schwer
auf Harrys Beine legte.
Na super! Ganz offensichtlich kam er hier erstmal nicht weg.
„Was willst du?“, fragte Harry theatralisch und sah in die
grünen Katzenaugen. Das orangene Tier streckte den Hals und
beschnupperte ausgiebig das weiße Ding, was er ausgewürgt hatte.
„Okay, überredet!“ Kapitulierend hob der Junge die Hände.
„Ich schau es mir an. Bist du dann zufrieden?“
Krummbein erwiderte nichts, stieg aber von ihm runter. Mit spitzen
Fingern und das Gesicht von Ekel verzogen hob Harry den merkwürdigen
Batzen auf. Moment mal…. Das war gar kein Gewölle oder
Fell. Das war ein Zettel. Zwar total zerknüllt und feucht, aber
eindeutig ein Stück Papier.
Behutsam entfaltete Harry es und strich das Pergament glatt. Das
Blatt war dünn und durchscheinend, die Schrift gerade so lesbar. Der
Junge runzelte die Stirn. Bei dem Bogen handelte es sich um eine
Quittung für ein Zugticket. „London“, wisperte Harry
leise. Er sah den Kniesel an, welcher zu schnurren anfing.
„Krummbein….“, stammelte der Schwarzhaarige begeistert,
„Du bist genial!“
Der Zug kroch davon. Harry beobachtete die scharlachrote Lok und die
lange, weiße Dampffahne, bis sie um die Ecke bog und in der Ferne
verschwand. Der Junge holte tief Luft, dann trat er durch die Sperre,
welche Gleiß 9 3/4 von der Muggelwelt trennte. Wie üblich herrschte
auf Kings Cross ein ziemliches Gedränge und Harry musste sich
zwischen den Passanten durchkämpfen. Das Rollen von Koffern mischte
sich mit den Lautsprecheransagen und den schrillen Pfiffen der
Zuglotsen.
Harry hatte ziemliches Glück gehabt. Es war nicht
selbstverständlich, dass der Hogwarts Express einen der Schüler
einfach so mitten im Schuljahr nach London zurück brachte. (Genau
genommen war Harry der einzige Gast während dieser Reise gewesen.)
Aber er hatte es trotzdem geschafft den Lokführer zu der gut
sechsstündigen Fahrt zu überreden.
Tja, wo ist jetzt Hermine? Der Junge blickte sich ziemlich
ratlos um. Er war so eben aus einer Unterführung raus gekommen und
stand jetzt an einer sehr belebten Straße. Wie üblich kam ihm die
nichtmagische Welt nach seiner Zeit in Hogwarts immer etwas
unwirklich vor. Harry ertappte sich dabei, dass er jeden McDonalds
anstarrte, jede Reklametafel und jedes kleine Kind mit einem
Luftballon, das seine Mutter am Arm zog und um Süßigkeiten
bettelte.
Wütend schüttelte der Junge den Kopf. Er musste sich konzentrieren.
Wer wusste denn, ob Hermine noch in London und nicht schon längst
weiter gezogen war? Harry setzte sich langsam in Bewegung. Mit den
Händen in den Jackentaschen schlängelte der Junge sich durch den
Menschenstrom, der ihn wie ein Stück Treibholz durch die Straßen
von London schwemmte.
Die Stadt war so groß und schien irgendwie überfüllt. Bisher hatte
Harry noch keine leere oder einigermaßen ruhige Gasse gesehen. Seine
Augen huschten umher auf der Suche nach einem roten Pullover, einem
Büschel brauner Haare, nach irgendetwas, was auf Hermine hinwies.
Aber hier waren nur für ihn fremde Gesichter. Manche sogar mit
Kapuzen im Gesicht und Sonnenbrillen. Und er war in all dieser Masse
und suchte ein einziges Mädchen.
Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Harry
kam sich vor wie Aschenputtel. Oder als wäre er auf der Suche nach
der Nadel im Heuhafen. Komm schon, Hermine. Wo bist du? Sie
konnte sich ja nicht in Luft aufgelöst haben. Außer wenn sie einen
Tarnumhang trug. Aber Harry hatte extra überprüft, ob sich seiner
wie sonst auch in den tiefsten Abgründen seines Koffers befand.
Hermine musste hier doch irgendwo sein!
Harry lief so energisch durch die Gegend, dass er einmal an seinem
Zielobjekt vorbei lief. Erst das dünne, braune Stück Holz, welches
leicht aus einer weiten Manteltasche ragte, ließ ihn innehalten. Der
Junge ging rückwärts zu dem Tisch zurück, der vor einer schäbigen
Eisdiele stand. An ihm saß eine junge Frau.
Harry erkannte Hermine kaum. Sie trug einen schwarzen Mantel, den sie
sich fast bis oben hoch geknöpft hatte, dunkle, eng anliegende Jeans
und spitz zulaufende Schuhe. Zudem verdeckte eine große Sonnenbrille
ihre Augen.
„Hermine?“ Harry wusste nicht, was ihn dazu verleitete, zu
flüstern. Vielleicht war es der Auftritt seiner Freundin. Sie wirkte
hier wie ein Geheimagent oder Spion. Langsam sah das Mädchen auf,
dessen Haare nun zu einem kurzen Zopf zusammen gebunden waren. Viel
kürzer als Harry es gewohnt war.
Sie starrten sich an. Der Junge konnte kaum Hermines Gesicht lesen.
Die Brille verdeckte das wichtigste Mitteilungsfenster, die Augen.
Seine Miene dagegen sprach Kummer und Bestürzung aus. „Ist das
wahr?“, fragte Harry leise, „Bist du der Mörder?“
Es geschah zu schnell. Hermines Hand fuhr zu ihrem Zauberstab, die
Spitze wies auf sein Gesicht, dann ertönte ein scharfer Knall und
grelles Licht blendete ihn. Harry schrie auf, stolperte zurück und
bedeckte das Gesicht mit den Händen. Er hörte, wie ein Stuhl
umgeworfen wurde, dann hastige Schritte. Als Harry sich von seinem
Schock erholt hatte, tauchte Hermine bereits in der Masse unter.
ES
Keine Abzweigung, keine Unterführung, keine Fluchtmöglichkeit außer
geradeaus. Hermine rauschte durch die überfüllten Straßen von
London. Rücksichtslos drängte sie sich zwischen den Menschen
hindurch, überhörte die entrüsteten Rufe. Das Blut rauschte in
ihren Ohren.
Harry hatte sie gefunden und erkannt. Wie bei Merlins Bart? Hermine
konnte es nicht begreifen. Anfangs war der Schwarzhaarige schließlich
fast an ihr vorbei gelaufen. Was hatte sie verraten? Das Mädchen
klopfte mit der Hand gegen ihre Manteltasche, in der der Zauberstab
tanzte wie ein Strohhalm in einem heftigen Luftzug. Ihre spitz
zulaufenden Schuhe trommelten über den Asphalt.
Hermine stieß einem Passanten rüde den Ellebogen in die Seite.
„He!“, schrie der Teenager, welcher zur Seite gestolpert
war und dabei fast sein Handy fallen gelassen hatte, „Kannst du
nicht aufpassen?“ „Sorry“, rief Hermine über ihre
Schulter zurück. Dabei sah sie, dass Harry ihr immer noch dicht auf
den Fersen war. Und er holte auf.
Das Mädchen erhaschte eine Lücke zwischen zwei Häusern und stürmte
darauf zu. Ein schmaler Weg, dunkel und schäbig. Die Luft roch nach
Putzmittel, trockenem Gips und Staub. Vor Hermine befand sich eine
lange Treppe mit engen, ausgetretenen Stufen. Ohne wirklich
nachzudenken sprang das Mädchen.
Mit einem gewaltigen Satz schoss sie über die Stufen, ruderte
reflexartig mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten und landete
vor der Treppe. Ihr Sprung war gut drei Meter weit gewesen und die
Höhe wohl vier. Ungewollte Zauberei. Hermine hatte davon
gelesen und auch selbst einige Erfahrungen gemacht. Vor allem als
kleines Kind.
Hinter ihr ertönte Harrys Stimme: „Warte!“ Hastige
Schritte trampelten die Stufen runter. Hermine wartete nicht, bis sie
unten angekommen waren. Sie rannte weiter. Woher hatte Harry gewusst,
wo sie war? Wer hatte ihn geschickt? Dumbledore? Gut möglich.
Immerhin konnte der weißhaarige Zauberer Harry zu allem bringen,
wenn er es nur geschickt anstellte.
Die Häuser in der Gasse waren sehr alt. Der Putz bröckelte von den
Wänden und die milchigen Fenster waren teilweise zertrümmert oder
zugenagelt. Türen saßen bombenfest an längst verrosteten Angeln
und Müll und Unrat bedeckte die Straße. Ratten huschten dazwischen
umher. Sie flohen durch einen Gully, als Hermine auf sie zu gerannt
kam.
Das Mädchen stürmte um ein Haus, an dem offenbar gerade gebaut
wurde. Bretter auf eisernen Stangen umrahmten die westliche Seite und
plötzlich hatte Hermine eine verzweifelte Idee. Ihr Zauberstab
peitschte durch die Luft, Licht blitzte auf. Dann erfolgte ein
ohrenbetäubendes Krachen und Bersten, als die gesamte Konstellation
in sich zusammenfiel und auf die Straße krachte.
Harry schrie auf. Hermine drehte sich nicht um. Sie hoffte, dass sie
ihn nicht zu sehr verletzt hatte und er nun umkehren würde. Aber
nach nur fünf Minuten ertönten wieder seine Schritte. Verzweifelt
blickte Hermine sich um wie ein Tier in der Falle. Sie wetzte in die
nächste Straßengasse und schrie auf.
Ihr Weg endete an einer soliden, glatten Wand, die bis weit über
ihren Kopf reichte. Hektisch sah Hermine sich um, ob es irgendetwas
gab, mit dem man dieses Hindernis überwinden könnte. Aber hier war
nichts, außer einem kleinen Drahtmülleimer. Zum Umkehren war es
bereits zu spät. Hermine hörte Harrys Schritte in die Gasse rennen.
Sie seufzte, dann drehte sich das Mädchen um, um sich seinem
Verfolger zu stellen.
Harry stürmte in die Gasse. Er hatte den Zauberstab gezogen, obwohl
ihm das Unbehagen ins Gesicht geschrieben stand. Sein Gesicht war
weiß, glänzte an einigen Stellen von Schweiß. Er atmete schwer.
Auch Hermine spürte eine leichte Nässe in ihrem Kragen und ein
dumpfes Stechen in der Seite.
Harry benagte eine Weile seine Lippen, bevor er eindringlich fragte:
„Hermine, was ist mit dir passiert?“ Die Braunhaarige sah
ihn nervös an. Ihre Stimme war ein Wispern, voller Scham: „Du
würdest das nicht verstehen.“ Sie wusste selbst nicht warum.
Aber ihre Motive…sie hatten etwas Privates, Persönliches – etwas,
vor dem sie selbst Angst hatte.
„Warum?“, fragte Harry und ließ den Stab sinken. Hermine
blickte ihn unsicher an. Sie starrte kurz zum Himmel. Ihr Hals war
rau und trocken. Ein Knoten schnürte ihre Brust zu. Es war, als
würde sie ein Geheimnis hüten wollen, aber dieses drängte gegen
eine unsichtbare Barriere, als könne es nicht erwarten diese zu
durchbrechen und ihre Lippen zu verlassen.
Und dann sprudelten die Worte aus Hermines Mund: „Seit längerem
spüre ich die ganze Zeit so einen Zorn in mir. Ich war es so leid,
Harry. Lavenders Geturtel mit Ron. Dracos Sticheleien. All der Spott
und der Hohn. Ich wollte mich von dieser Last befreien.“
Harry warf ihr einen verwirrten Blick zu. „Ron ist dein Freund“,
erwiderte er langsam, „Warum hast du ihn getötet? Nur wegen
Lavender? Das ist lächerlich. Ich meine, sogar ich habe gemerkt,
dass die Beziehung der beiden ohne Grund und Boden ist. Du hättest
nur etwas warten müssen, dann hätte Ron sich bestimmt losgerissen
und wäre zu dir zurück gekrochen.“
Hermine benagte zweifelnd den Nagel ihres Zeigefingers. “Meinst du
wirklich, Harry? Ich glaube das nicht. “Lavender hatte Ron doch
dermaßen im Griff gehabt, ihn umwunden wie eine klebrige
Kletterpflanze. Er hätte sich niemals aus eigener Kraft befreien
können. Es sei denn, jemand hätte zu einer Gartenschere gegriffen.
„Und wegen Malfoy“, fuhr Harry fort, „Da stellst du
dich genauso an. Du weißt genau, dass er alles und jeden beleidigt,
der ihm in die Quere kommt. Er ist nur froh, wenn er was zum meckern
hat. Solche Typen gibt es immer. Egal, ob sie reinblütig sind oder
nicht.“
Hermine machte eine abwehrende, wegwerfende Handbewegung. „Du
irrst dich gewaltig, Harry“, entgegnete das braunhaarige Mädchen
verbittert, „Genau darum geht es. Ron und du, ihr habt das nicht
gemerkt. Gewiss, ihr seid auch gemobbt worden, aber nicht so stark
wie ich. Ron ist wegen seinen Status als Reinblüter geschützt, du,
weil du eine berühmte Persönlichkeit bist. Ich habe diesen Schutz
nicht.“
„Hermine“, erwiderte Harry, „Das ist doch gar nicht
das Thema. Du willst nur nicht zugeben, dass du von Neid und Hass
zerfressen bist.“ In ihren Augen leuchtete es bedrohlich auf und
die nächsten Worte schien jemand anderes sprechen: „Oh, das ist
aber noch nicht alles.“
Ihr Zauberstab peitschte durch die Luft und weißes Licht blitzte
auf. „Crucio!“, rief Hermine. Der Fluch riss Harry den
Boden unter den Füßen weg. Doch anstatt zu stürzen wie das
normalerweise der Fall wäre, sank er wie ein sterbendes Tier auf den
Grund. Sein Körper zuckte und krampfte. Hermine hörte seinen Atem,
laut, schnell und kratzend. Hin und wieder krümmte Harry sich zu
einer Kugel zusammen, ein Schrei entrang sich seiner Kehle und der
Kopf wurde hoch gerissen.
Hermine selbst stand da und starrte auf Harry herab. Den Zauberstab
hielt sie locker in der Hand. Die Spitze glühte dumpf und weiß,
pulsierte wie ein Herzschlag. Das Gesicht der Braunhaarigen war
glatt, kühl und ohne jegliche Emotionen. Es strahlte eine tödliche
Ruhe aus.
Endlich begann sie zu sprechen: „Wer hat dafür gesorgt, dass du
durch die Feuerwand konntest? Wer hat das Rätsel dafür geknackt und
dir den richtigen Trank geben können? Das war ich! Wer hat den
Vielsafttrank gebraut, mit dem ihr Malfoy ausspionieren konntet? Das
war ich! Wer hat als Erster herausgefunden, dass das Monster in der
Kammer des Schreckens ein Basilisk war? Das war ich! Wer hatte den
Zeitumkehrer, sodass du Sirius retten konntest? Das war ich! Wer hat
dir während des ganzen Trimagischen Turniers geholfen, dir immer zur
Seite gestanden? Das war ich! Wer hatte die Idee mit Dumbledores
Armee? Das war ich!“
Hermine hatte sich in Rage geredet, doch nur an dem Lauterwerden
ihrer Stimme konnte man dies erkennen. „Wer hat ständig die
Arbeit gemacht, damit du weiter kommen konntest? Egal, womit. Wer hat
die Hauptarbeit geleistet? Das war ich! Ohne mich hättest du niemals
all dies schaffen können! Du warst immer der Held und ich war deine
Helferin, die dir das Fundament gebaut hat. Habe ich für all das,
was ich getan habe, jemals Anerkennung bekommen? Nur im ersten Jahr!
Ansonsten wurdest immer du als der Held gefeiert, als der Retter, als
der Auserwählte! Und ich, ich stand in deinem Schatten, genauso wie
Ron. Aber Ron war unfähig. Er hatte niemals die Chance selber zu
glänzen. Er konnte keine Anerkennung erlangen. Ich dagegen schon!“
„Hermine, du spinnst!“, rief Harry und krümmte sich
zusammen. Er biss die Zähne zusammen. Schweiß sammelte sich auf
seiner Stirn, nahm den Schmutz vom Boden auf. „Du spinnst total!
Du bist nicht mehr du selbst. Du bist wie von Sinnen. Hör auf!“
„Nein!“ Hermines klare Stimme durchschnitt die Luft wie ein
Dolch aus Klang. Ihr Stab peitschte auf und nieder und der Junge
wurde von einer weiteren Welle des Schmerzes in die Knie gezwungen.
Aus dem Augenwinkel nahm Hermine wahr, wie sich Rauch neben ihr
sammelte und kräuselnd aufstieg. Eigenartig. Sie hatte nicht
gesehen, dass irgendwer ein Feuer angezündet hatte. Woher kam dieser
Dunst dann? Hermine hätte sich vielleicht gewundert, aber
seltsamerweise spürte sie, dass dafür kein Anlass war.
Der Rauch verdichtete sich, wurde silbrig weiß und fest. Eine
Gestalt entstand. Hoch gewachsen, schlank, mit blasser Haut und
dunklen Augen. Das schwarze Haar tanzte spinnwebfein im Wind. Das
Wesen war nackt, Hermine konnte die Brüste sehen. Der Bereich
zwischen den Beinen wurde glücklicherweise von dem Dunst verdeckt.
Wer ist das? Sie hatte das Gefühl, die Antwort bereits zu
kennen, tief in ihr drin.
Spätestens als das Wesen mit samtener, melodischer, weicher, aber
doch kühler Stimme zu sprechen begann, die von Heimtücke nur so
trotzte, erkannte Hermine es. „Du versuchst sie zu retten,
Harry“, schnurrte ihr dunkles Spiegelbild und die Worte
verhallten, „Aber es ist zu spät…zu spät.“
Die Worte wurden von den Wänden zurückgeworfen, sodass es schien,
als hätten hunderte Hermine-Spiegelbilder sie umkreist, die mit
leiser verhallender Stimme flüsterten: „Zu spät…zu spät…zu
spät…zu spät…zu spät.“ Hermine selbst war in ein
merkwürdiges Schweigen verfallen, als wäre sie betäubt.
Harry setzte sich auf, obwohl er gewiss starke Schmerzen hatte. Der
Junge biss die Zähne zusammen. In seinen Augen funkelte der
Kämpfergeist. Er war so, wie ein Held sein sollte. ““Harry
Potter fürchtet sich vor nichts. Um einen Freund zu retten würde er
sich selbst opfern.““
„Nein, es ist nicht zu spät.“ Harrys Stimme bebte und er
taxierte erst den Boden, „Ich werde das nicht zulassen.“
Jetzt sah der Junge das Wesen wirklich an. Seine Stimme wurde zu
einem Schrei aus Wut und Trotz: „Und wer zum Henker bist du?!“
Das Wesen lachte leise und boshaft. Es schlich um Hermine herum,
schmiegte sich an sie, glitt an ihrem Rücken herunter und ihren
Bauch wieder hinauf. Die Luft fühlte sich schwül an und das Mädchen
spürte Triebe in sich aufkochen, eigenartige Triebe, animalisch und
abstoßend, aber zugleich so verführerisch.
„Ich bin alles, was die Menschen hassen. Alle Gelüste, alle
Triebe, bar jeglicher Moral. Simpel gestrickt, aber davor habt ihr
Angst. Vor meiner Hemmungslosigkeit und meiner Gier. Ich bin in jedem
von euch und doch nur in einem.“ Die Augen glühten und das
Wesen benannte sich mit den Worten: „Ich bin Hermines ES.“
In Untersuchungshaft
Harry konnte kaum noch klar denken. Die Schmerzen erschütterten
seinen Leib, brachten seine Haut zum Brennen und seine Knochen zum
Schlottern. Die Muskeln wanden sich wie kleine Schlangen und er hatte
das unangenehme Gefühl, seine Organe würden alle am falschen Platz
liegen.
Es kostete den Jungen eine enorme Kraftaufwendung nicht pausenlos zu
schreien. Doch diesen Triumph würde er Hermine – dem ES korrigierte
er sich – nicht gönnen. Es schmiegte sich immer noch an das
braunhaarige Mädchen, welches ihn aus kühlen Augen ansah. Irgendwie
machte sein Blick Harry Angst. Er hatte schon mehrmals gesehen, wie
der Cruciatus an jemandem oder ihm selbst angewandt wurde und da
hatten die jeweiligen Personen immer hämisch gelacht und sich
deutlich an den Schmerzen geweidet.
Hermine jedoch zeigte keine Regung. Keine Spur von Vergnügung, keine
Spur von Mitleid. Dies tat alles das ES. Harry hatte das skurrile
Gefühl, dieses Wesen würde die Fäden ziehen, Hermine wie eine
Marionette steuern. Es machte ihm Angst. Enorme Angst.
Plötzlich ertönte hastige, eilige Schritte, die fast im
Gleichschritt ertönten. Eine Stimme rief: „Expelliarmus!“
Kaum hatte der rote Lichtblitz Hermine den Stab aus der Hand
gerissen, hörte der Cruciatus auf. Harrys Körper seufzte auf und
sackte vor Erleichterung zusammen. Er fühlte sich, als hätte er
gerade sämtliche Knochen verloren. „Danke“, flüsterte
Harry.
Der Junge kam mühsam auf die Beine. Mehrere Männer rannten an ihm
vorbei und stürzten sich wie Rugbyspieler auf Hermine. Harry hörte
sie aufschreien, als sie zu Boden ging. „Nein!“, rief er,
„Hört auf! Tut ihr nicht weh!“
Er wollte zu ihr rennen und die Männer wegzerren, doch eine dunkle
Hand fasste ihn sanft aber bestimmt an der Schulter. „Harry,
beruhig dich“, ertönte Kingsleys Stimme an seinem Ohr, „Sie
werden ihr nichts antun.“ Der Junge drehte den Kopf. Der
dunkelhäutige Auror und Tonks standen neben ihm.
Die rosahaarige Frau rief: „Hört auf. Ich glaube, Hermine ist
unbewaffnet.“ Die übrigen Auroren lösten sich. Harry sah
Hermine zwischen ihnen. Schmutz und Schweiß klebten ihr auf der Haut
und das Haar hing wirr und strähnig ihre Schultern runter. Der Zopf
hatte sich gelöst und die Kleidung war teilweise gerissen. Die
Sonnenbrille lag zerschlagen auf dem Boden.
Hermines Gesicht war weiß wie Kreide und vor Angst geweitet. Sie
atmete schwer. Harry konnte ihr ES nirgends sehen. Es schien sich in
Hermines Körper zurück gezogen haben, als die Auroren aufgetaucht
waren. Die Justiz, die Moral und die Normen der Gesellschaft
unterdrückten es, zwangen es in die Knie.
„Harry, geht es dir gut?“, fragte Kingsley ernst. Der Junge
nickte stumm, obwohl das eine Lüge war. Bei seinem Sturz hatte er
sich die Knie aufgeschürft und auch die Handballen schmerzten. Er
hatte eine Schramme über dem Auge und blaue Flecken. Unruhig die
Hände knetend, sah er zu Hermine.
Kingsleys Stimme klang merkwürdig sachlich, als er verkündete:
„Miss Hermine Jean Granger, ich muss Ihnen hiermit mitteilen,
dass Sie verhaftet worden sind. Wegen nachweisbarem Mord sitzen Sie
in Untersuchungshaft bis zu Ihrem Gerichtstermin.“
Tonks lief zu Hermine. „Ganz ruhig“, flüsterte sie der
Verängstigten zu, „Wir werden dich nicht foltern oder ein
Geständnis von dir fordern. Das ist nicht unsere Aufgabe.“
Während die Rosahaarige dem Mädchen die Hände auf den Rücken
legte und mit einer glühenden Handschelle zusammenband, fuhr
Kingsley fort: „Sie haben das Recht zu schweigen. Jedes Wort,
was Sie sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden.“
Jetzt klang er ein klein wenig freundlicher: „Alles klar?“
Hermine nickte stumm und hastig, zu entsetzt, um zu sprechen. „Dann
Abmarsch.“ Die Auroren nahmen die Braunhaarige in ihre Mitte,
als sei sie eine Gefangene. Schweigend marschierte die Truppe davon.
Ihre Schritte wurden gleichmäßig von den Wänden zurück geworfen
und sie liefen die Hauptstraße entlang. Harry und Tonks bildeten die
Nachhut.
„Woher habt ihr gewusst, wo wir waren?“, fragte Harry Tonks
leise, während sie dahin gingen. Ihm fiel auf, dass die Auroren
Uniformen trugen, die denen der Polizei verdächtig ähnlich sahen.
Ein cleverer Schachzug, um nicht den Argwohn der Muggel zu erregen.
Tonks strich sich durch das Haar, welches sie beim Anblick der
Hauptstraße blond gefärbt hatte. Sie antwortete: „Dumbledore
hat damit gerechnet, dass du nach Hermine suchen würdest, sobald du
wüsstest, dass sie der Mörder ist. Er hat dich einfach gehen lassen
und dann uns alarmiert. Wir sind dir gefolgt. Forest, den wir in
Hogsmeade stationiert hatten, hat uns per Eule mitgeteilt, dass du
auf dem Weg nach London bist. Also sind wir ebenfalls hinterher
gegangen, um im Extremfall eingreifen zu können.“
Harry starrte geradeaus. “Na großartig! Dumbledore hat dich
benutzt wie einen abgerichteten Hund.“ Hatte er von Anfang an
gewusst, dass Hermine der Täter war? Und ihm einfach nichts gesagt,
weil er wusste, dass Harry eh losziehen würde, treu und gehorsam wie
der Jagdhund, der die Jäger zur Beute führte. Es war genau das
passiert, was Harry nicht gewollt hatte. Er hatte Hermine den Auroren
ausgeliefert.
Der Junge entdeckte in der Ferne die rote Telefonzelle. Er rechnete
damit, dass die Auroren darauf zu gehen und das Ministerium betreten
würden, doch stattdessen schwenkte die ganze Gruppe nach links ab
und lief in eine weitere Seitenstraße.
„Wir gehen nicht in die Aurorenzentrale?“, fragte Harry
irritiert. Tonks schüttelte den Kopf und erwiderte: „Dort
finden nicht die ersten Verhöre statt. Dort sammeln wir nur
Informationen.“ Der Junge blinzelte. Jetzt war Harry irgendwie
aufgeregt. Wo würden sie dann hingehen? Welcher geheime Ort barg das
Zentrum für die ausführende Gewalt, welche die Zaubereigesellschaft
vor den Schwarzmagiern schützte?
Er blickte sich um, rechnete damit ein großes, edles Gebäude zu
sehen, aber die gesamte Truppe blieb vor einem kleinen, schäbig
wirkenden Haus stehen. Das Schaufenster war beschlagen und um die Tür
sammelten sich mehrere Gargoylestaturen, Drachen und Panther, welche
gruselige Fratzen schnitten. Das ist eine leerstehende Apotheke,
dachte Harry missmutig, rief sich dann jedoch in Erinnerung, dass
viele bezaubernde Orte, wie etwa die Winkelgasse, von der Muggelwelt
geschickt geheim gehalten wurden, indem sie hinter schäbigen Orten
getarnt wurden.
„Welcher war es noch mal?“, fragte Kingsley, der den Kopf
in den Nacken legte und zu den steinernen Drachen herauf spähte.
„Oh, ich glaube, es war der rechte“, meinte Tonks. Der
dunkelhäutige Mann sah sie ernst an. „Bist du dir sicher? Als
du das letzte Mal gesagt hast, es wäre der und der hat uns unser
eigener Abwehrmechanismus den Hintern versohlt.“ Vor Trotz
verfärbte sich Tonks Haar kurzzeitig rot. „Natürlich bin ich
mir sicher“, stellte sie patzig fest.
Kingsley zog seinen Zauberstab. Fasziniert beobachtete Harry, wie der
Auror einen Strahl auf einen Drachen mit bulligem Kopf und gewundenen
Hörnern warf. Das steinerne Monster schnaubte, ruckte mit dem
Schädel, dann öffnete sich eine verborgene Tür, direkt vor ihren
Füßen.
Die Auroren stiegen eine gerade, dunkle Treppe herunter. Fackeln
erhellten den Gang. Harry konnte Hermine leise und angespannt atmen
hören. Es war unglaublich, wie gut sie sich hielt. Der Junge wäre
bei so einer Gefangennahme tausend Tode gestorben. Auch jetzt
verspürte er ein leichtes Kribbeln von Angst, Panik und Sorge. Diese
Sorge um Hermine wurde hin und wieder so stark, dass sie ihm
Bauchschmerzen verursachte.
Was habe ich da nur angerichtet? Harry war sich bewusst, dass
nun ein Gerichtsverfahren gegen Hermine eingeleitet werden würde.
Der Junge hatte ebenfalls einmal vor Gericht gestanden. Er selbst war
nur mit viel Glück davon gekommen. Eigentlich hatte Dumbledore sehr
dazu beigetragen. Wobei wenn man bedachte, so war er wegen etwas
geradezu lächerlichem angeklagt worden: Harry hatte im fünften
Schuljahr seinen Cousin Dudley vor einem Dementor gerettet, indem er
einen Patronus herauf beschworen hatte.
Dabei hatte Harry gegen zwei wichtige Regeln verstoßen: Erstens, das
Zaubern vor Muggeln war streng verboten und zweitens, kein
Minderjähriger durfte außerhalb der Schule zaubern. Allerdings war
das Gesetz auf Harrys Seite gewesen: Selbst Minderjährige durften in
Gefahrensituationen Magie gebrauchen. Und ein Dementorangriff zählte
definitiv dazu.
Trotzdem war Hermines Aktion eine ganz andere Nummer. Niemand – auch
Harry selbst – konnte bestreiten, dass dies tief in die schwarze
Magie ging. Die Gryffindor hatte vorsätzlich gemordet und dabei
Mittel und Wege genutzt, die verboten gehörten. Dadurch war die
Chance, dass sie frei gesprochen wurde, gleich null. Harry flehte
innerlich, dass ihr wenigstens der Trip nach Askaban erspart blieb.
Ein solches Schicksal hatte sie nicht verdient.
Inzwischen waren sie in einem großen Raum angekommen, der tief unter
der Erde lag. Doch davon sah man an sich nichts. Das Zimmer war
verputzt und gestrichen. Es war in zwei Bereiche eingeteilt. Der eine
besaß einen Schreibtisch, eine Bank und mehrere Regale, in denen die
Ordner überquollen. Der zweite Bereich wurde von dem ersten durch
eine dunkle Glaswand getrennt, sodass die dortigen Möbel und wohl
auch Personen nur Schatten waren.
In diesen Raum gingen Hermine und Kingsley. Harry ließ sich
ungelenkig auf die eine Holzbank fallen. Sie knirschte unter seinem
Gewicht. Der Junge bemerkte, dass überall an den Wänden
Fahndungsplakate und Landkarten hingen. Einige Karten waren
durchlöchert von kleinen Sticknadeln und Fähnchen.
Tonks lief zu einem kleinen Herd und setzte eine Kanne auf. „Tee,
Harry?“, fragte sie ruhig. Der Junge starrte angestrengt durch
die verdunkelte Glasscheibe. Bisher konnte er nicht wirklich viel
sehen, außer dass sich Kingsley und Hermine gegenüber saßen.
Zwischen ihnen befand sich etwas, was Harry mit einiger Mühe als
Tisch identifizieren konnte.
Tonks schepperte etwas laut mit der Kanne und schaffte es beinah ihre
Tasse zu zerdeppern. „Ja, gerne“, beantwortete Harry ihre
Frage, welche erst jetzt an sein Bewusstsein gedrungen war. Die
Rosahaarige goss dampfenden Pfefferminztee in zwei Tassen und reichte
ihm eine davon. Er nahm einen Schluck. Der Tee schmeckte widerlich
bitter.
„Was passiert da gerade?“, fragte Harry und sah zu dem
dunklen Fenster. Die Gestalten von Hermine und Kingsley hatten sich
immer noch nicht gerührt. Unverständliches Gemurmel drang an sein
Ohr. Tonks folgte seinem Blick und antwortete: „Shacklebolt
fragt Hermine aus. Eigentlich will er nur überprüfen, ob die
Schlussfolgerungen, die die Auroren gezogen haben, richtig sind.
Wohlmöglich wird er Hermine auch nach dem Grund für ihr Handeln
fragen. Aber ich bezweifle, dass sie antwortet.“ Die Aurorin
nahm einen Schluck.
Harry klopfte behutsam mit den Fingerspitzen gegen das Porzellan,
während er nachdachte. Wenn er sich an das Gespräch zurück
erinnerte, so hatte ihm Hermine ihre Gründe genannt. Nein, nicht die
Gründe. Ihre Motive hatte sie Preis gegeben. Aber war das in ihrem
Fall nicht ein und dasselbe?
„Was wird mit Hermine geschehen?“, fragte er. Tonks fuhr
sich mit der Hand durchs Haar, welches jetzt wieder ihre
Lieblingsfarbe, bonbonrosa, hatte. Sie antwortete: „Nachdem
Kingsley Hermine befragt hat, wird er wohl ihre Akte
vervollständigen. Auch glaube ich, dass Hermine zwei Profilbilder
von sich abgeben muss. Kingsley wird danach wohl die Abteilung für
Magische Strafverfolgung kontaktieren, um einen Gerichtstermin
auszumachen.“
Harry nickte, obwohl in seinem Bauch sich ein neuer Knoten gebildet
hatte. Er hatte immer davon geträumt, Auror zu werden, doch er
wusste nicht, wie er wohl gehandelt hätte, wenn er jemanden in
Gewahrsam nehmen musste, den er seinen Freund nannte. Kingsley und
Tonks gingen ziemlich milde mit Hermine um. Vor allem Tonks. Die
jüngere Aurorin konnte sich vielleicht besser in die Schülerin
hinein versetzen.
In dem dunklen Nebenzimmer stand Hermine nun gerade an einer Wand.
Harry sah mehrere Lichtblitze aufflammen. Offenbar nahm Kingsley
gerade die Photos auf. Eines frontal und eines im Profil. Dann
nährten sich die beiden der Tür. Harry sprang auf, um Hermine
entgegen zu laufen.
„Sie dürfen Ihren Zauberstab mitnehmen. Eine Eule wird Ihnen
den Gerichtstermin schicken. Finden Sie sich nicht zum angegebenen
Zeitpunkt am angegebenen Ort ein, so müssen Sie mit ernsthaften
Konsequenzen rechnen“, erklärte Kingsley in seinem sachlichen
Tonfall. Dann wurde er freundlicher. „Keine Sorge, Hermine. Die
Tatsache, dass du noch minderjährig bist, wird dafür sorgen, dass
die Strafe nicht zu schlimm sein wird.“
Hermine nickte schwach. „Verstehe, Kingsley“, sagte sie,
„Und machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde zu der Verhandlung
kommen.“ Kurz sah sie Harry an und er glaubte so etwas wie Reue
in ihrem Blick zu erkennen. „Immerhin habe ich etwas verbrochen
und muss nun dafür grade stehen.“
Harry war noch nie bei Hermine zuhause gewesen. Sie hatte ihm einen
Brief geschickt, in dem sich neben einem kühlen Gruß nur eine
Wegbeschreibung befand. Neben diesem Brief hatte der Junge noch einen
weiteren vom Ministerium erhalten. Darin stand:
Sehr geehrter Mister Harry Potter,
“wir bitten Sie am 25. 8., um 8 Uhr zu dem Gerichtstermin von Miss
Hermine Jean Granger, angeklagt wegen mehrfachen Mordes und einer
Folter, in den Gerichtssaal 10 zu kommen und dort als Zeuge
vorzusprechen.“
“Mit freundlichen Grüßen, Susan Bones, Leiterin der Abteilung für
Magische Strafverfolgung “
Harry hatte beschlossen Hermine zu dem Gerichtssaal zu begleiten. Da
er ja ohnehin vorsprechen musste, würde dies keine große Sache
sein. Nun war es sechs Uhr in der Frühe und der Junge stand vor dem
Haus in dem kleinen Vorort von London. Es war ein kleines, schmuckes
Haus mit braunem Putz, einem dunklen Dach. Mehrere Fenster
schimmerten wie erstarrtes Eis in der Fassade. Der Garten, in dem
Harry nun stand, war voller Bäume und Büsche.
Harry drückte auf die kleine Klingel. Nachdem ein melodisches Ring
Ring verhallen war, wurde die Tür geöffnet. Die Frau, die vor ihm
stand, konnte nur Hermines Mutter sein. Sie hatte dieselben
Gesichtszüge ihrer Tochter, das gleiche, lange, pelzartige, braune
Haar. Nur ihre Augen unterschieden sich von denen von Hermine. Sie
hatten die Farbe von Weizen.
„Guten Tag, Mrs Granger“, sagte Harry höflich, „Ich
bin Harry. Harry Potter. Ich bin ein Freund von Hermine.“ Mrs
Granger lächelte und offenbarte dabei leicht große Schneidezähne.
“Okay, jetzt weiß ich, wo Hermine ihre ehemals großen Beißer
herhat.“ „Hallo, Harry“, grüßte die Frau ihn, „Ich
bin Jean. Hermine hat uns schon einiges von dir erzählt. Komm rein.“
Sie öffnete die Tür etwas weiter.
Harry trat in einen eher kurzen Gang, welcher in mehrere Räume
abzweigte und in einer Treppe nach oben endete. Jean Granger schloss
die Tür hinter ihm. Helles Holz schmiegte sich an seine Füße und
auf einem Regal zum Schuheabstellen stand eine Vase mit Tulpen.
Ansonsten erhaschte der Junge den flüchtigen Blick in ein
gemütliches Wohnzimmer.
Während Mrs Granger auf das Wohnzimmer zuging, fragte Harry: „Wissen
Sie, was passiert ist?“ Hermines Mutter wandte sich um. Ihr
freundliches Lächeln verblasste leicht und sie wirkte ernst und
traurig. „Ja. Aber egal, was mein Mädchen verbrochen hat, ich
werde trotzdem zu ihm halten.“ Harry war von dieser Loyalität
und Nähe beeindruckt, war es doch etwas, was er niemals gekannt
habe. Aber andererseits: Es war nur zu natürlich.
„Hermine befindet sich in ihrem Zimmer, wenn du sie suchst“,
sagte Jean, bevor sie im Wohnzimmer verschwand, „Geh einfach die
Treppe hoch und dann nach links. Du kannst den Ort nicht verfehlen.“
Harry nickte höflich und folgte der Anweisung. Im ersten Stock
befanden sich zwei Türen. Als der Junge auf die Linke zuging, stieß
er sich den Knöchel an einem Stapel Bücher. Natürlich. In
diesem Haus musste es zumindest in Hermines Bereich von Büchern
wimmeln.
Die Tür war nicht verschlossen. Harry trat in ein kleines, behaglich
wirkendes Schlafzimmer. Licht flutete durch das Fenster, wurde milde
gedämpft durch die rot gemusterten, leicht durchscheinenden
Vorhänge. Die himmelblaue Tapete wurde durch einige Bilder in weißem
Rahmen unterbrochen. Ein kleines Bücherregal neben Hermines Bett.
Ein Größeres an der gegenüberliegenden Wand. Wenn Harry die Augen
zusammen kniff, konnte er in den Büchern kleine Zettel sehen, die
aus den Seiten ragten und so etwas wie Trennwände.
Eine Pinnwand war voll von Zetteln, die mit Sticknadeln zusammen
gehalten wurden. Angefangene Ideen, Skizzen, Notizen, Karten, Photos.
Harry lächelte, als er eine Collage mit Photos von ihm, Ron und ihr
selbst sah, die Hermine direkt über dem Bett befestigt hatte. “Das
ist süß von ihr.“
Ihre Schulsachen stapelten sich auf dem Schreibtisch. Bücher und
Federkiele, alle sorgfältig gereinigt. Daneben dunkle Tintenfässer.
Auf der Platte lag lang ausgestreckt Krummbein. Der Kater hatte den
breiten Kopf auf den Tatzen gebettet und spähte in seine Richtung.
„Danke“, flüsterte Harry ihm zu, „Ohne dich hätte
ich das nicht geschafft.“ Krummbein schnurrte leise und zuckte
mit dem Ohr. Fast schien es, als zwinkere ein geheimer Partner Harry
zu.
Hermine selbst stand vor einem kleinen, hohen Spiegel. Harry
räusperte sich, bevor er ganz ins Zimmer trat. „Hallo Harry“,
grüßte sie ihn. Kritisch beäugte die Braunhaarige sich. Sie trug
einen langen, hellgrauen Pullover, der ihr bis zu den Knien reichte.
Ihre Beine waren komplett von einer eng anliegenden, wollenen
Strumpfhose bedeckt, ebenfalls in weißgrau. Unter dem Pullover
guckte an ihrem Hals der türkise Kragen eines dünneren Hemdes
hervor.
Ihre Schuhe waren aus Leder und reichten gerade mal bis zum Knöchel.
Die Schnürsenkel hatte Hermine stramm zugebunden. Ein langer,
wollener, hellschwarzer Mantel rundete ihr Outfit ab. Das braune Haar
war auch wieder länger geworden. Hermine hatte es als Zopf
zusammengebunden und so glatt gekämmt, dass nichts mehr an die
pelzartige Struktur erinnerte.
„Sieht das so gut aus?“, fragte Hermine unsicher und sah
Harry an. „Na ja“, meinte der Junge und ließ den Blick
über ihre Klamotten wandern, „Wenn du als pessimistische
Studenten auftreten willst, würde ich sagen, dass es passt.“
Sie erwiderte: „Lass den Quatsch, Harry.“ Energisch
marschierte sie durch das Zimmer wie um sicherzugehen, dass sie
nichts vergessen hatte. „Du weißt genau, was für eine Strafe
mir drohen könnte.“
Hier verlor ihr Gesicht für den Bruchteil einer Sekunde den
gefassten Ausdruck und sie wirkte verletzlich und schwach. Harry
schnürte es die Kehle zu. Sie wussten beide, wovon sie sprach. „Du
packst das schon, Hermine“, versuchte er sie zu beruhigen,
„Vergiss nicht. Du bist noch minderjährig. Die dürfen die
Strafe nicht zu hart ausfallen lassen.“
Hermine nickte seufzend. Sie fingerte an ihrem Mantel rum. Krummbein
sprang mit einem Satz von dem Tisch herab und schmiegte sich
schnurrend an ihre Beine. Kurz wurde ihr Blick weich. Sie ging in die
Knie und strich dem Kater über das Fell. „Es tut mir Leid, mein
kleiner Löwe“, flüsterte die Braunhaarige, „aber du
kannst nicht mitkommen. Ich komme zurück. Ich verspreche es.“
Hermine richtete sich auf. Krummbein sah sie verzweifelt an, bevor er
mit mahnendem Knurren Harry ansah. „Ich pass auf sie auf“,
versprach der Schwarzhaarige, „Ehrenwort.“ Das Mädchen
griff nach seiner Hand. „Lass uns gehen“, sagte Hermine und
zog ihn aus dem Zimmer raus. Hinter ihnen schlug die Tür zu.
Vor Gericht
“
bear‘
Vor der Wohnungstür wartete Arthur Weasly in seinem besten Frack und
einer leider etwas bunten Krawatte. Er trug wie üblich den Stoffhut,
dessen Spitze leicht nach hinten wies. Das rote Haar, an einigen
Stellen schon grau, war sorgfältig gekämmt worden. „Harry,
Hermine“, begrüßte er sie, „Kingsley hat entschieden,
dass ich euch beide zum Ministerium bringen werde. Wir wollen nicht
zu viel Aufmerksamkeit erregen. Dein Fall hat für einen riesigen
Wirbel gesorgt, das kannst du dir nicht vorstellen.“
Hermine nickte matt. Behutsam schob sie sich eine neue Sonnenbrille
auf die Nase. Genauso schwarz und schmal wie die Erste. „Wir
können gehen“, adressierte sie Mr Weasly. Der Mann klopfte
gegen seinen Mantel und verzog kurz angespannt das Gesicht. „Gut“,
meinte er und die kleine Gruppe brach auf.
Hermine, Harry und Arthur Weasly wählten den Weg, der durch halb
Muggellondon führte. Dabei kamen sie manchmal nur sehr langsam
voran, denn der ältere Zauberer hatte die Angewohnheit auf Plakate,
Straßenbahnen, Busse und Straßenlampen zu zeigen und mit freudig
glänzenden Augen zu flüstern: „Unglaublich. Diese Muggel sind
wahrlich brillant. Was für Tricks und Kniffe sie sich überlegt
haben, um in einer Welt ohne Zauberei zu bestehen. Aber die Not macht
ja bekanntlich erfinderisch.“
Hermine musste Mr Weasly seine Karte für die U-Bahn kaufen, da er
mit Muggelgeld und diesen Automaten, wie er es nannte, nicht umgehen
konnte. Während der ganzen Fahrt saß das braunhaarige Mädchen
neben Harry und sah stur und ausdruckslos gerade aus, während Arthur
Weasly die Haltestellen zählte und flüsterte: „Noch drei
Haltestellen, ihr beiden. Nun nur noch zwei. Jetzt ist es schon nur
eine einzige.“
Sie stiegen aus und schlängelten sich durch die Massen von Muggeln,
welche mit Aktenkoffern zu den großen Banken und Firmengebäuden
liefen. Ihr Ziel war die kleine, rote Telefonzelle, die Harry schon
kannte. Der Besuchereingang zum Ministerium. Das Haus, vor dem sie
lag, war so klein und schäbig, wie ein räudiger Hund duckte es sich
zwischen Banken, sodass jeder es übersehen würde.
„Das gibt es doch nicht!“, flüsterte Harry. Hermine sog
die Luft ein. “Man denkt, hier würde gleich ein Star
einmarschieren.“ Um die Telefonzelle gruppierten sich mehrere
Journalisten und Fotographen. Jede Zeitung der Zaubererwelt hatte
mindestens einen Vertreter geschickt. Hermines Fall hatte wohl für
einen ziemlichen Wirbel gesorgt. Das Mädchen versuchte sich die
Schlagzeile vorzustellen: “FREUNDIN DES BERÜHMTEN
JUNGEN-DER-ÜBERLEBTE WURDE ZUR MÖRDERIN! – Das grausige Geheimnis
der Hermine Granger“.
Am liebsten wollten sie sich vor Ekel schütteln. Harry and Arthur
Weasley sahen sie besorgt an. „Alles okay, Hermine?“,
fragte der Schwarzhaarige. Das Mädchen sah ihn ernst an. Sie schob
sich die Sonnenbrille mit den großen, braunen Gläsern über die
Augen. „Ja.“ Hermine wandte den Kopf. Entschlossen lief sie
auf die Fotographen zu wie ein Kapitän, der sein Schiff auf einen
Sturm zulenkt, selbst wenn er dabei untergehen könnte.
Die ganzen Fotographen und Journalisten stürzten sich auf die
Braunhaarige wie Geier auf den lang ersehnten Kadaver. Lichter
blitzten auf, grell, weiß und kurz. Stimmen riefen: „Hermine,
schau mal hier rüber!“ „Hermine, schau mal in die Kamera.“
„Hermine, lächele mal.“
„Hermine, nur eine kurze Frage.“ Das Mädchen drehte sich
nur um, weil es die Stimme erkannt hatte. Eine Frau mit wilden,
blonden Locken, die gebleicht waren von Chlor, stand hinter ihr. Sie
hatte grüne Augen mit helleren Sprenkeln und eine juwelenbesetzte
Brille auf ihrer spitze Nase sitzen. Ihre mit rotem Lippenstift
bestrichenen Lippen verzogen sich zu einem gewinnenden Lächeln, bei
dem drei Goldzähne aufblitzten.
„Rita Kimmkorn“, stellte Harry fest und verengte die Augen.
Er legte Hermine schützend den Arm um die Schulter und versuchte sie
an der Journalistin vorbei zu drängen, welche dafür bekannt war,
rufschädigende, heischerische Artikel zu verfassen. Doch so schnell
gab sich Rita nicht geschlagen. Flugs trat sie Harry in den Weg.
„Harry“, strahlte sie, „Was für eine Freude und
Überraschung dich wieder zu sehen! Und wie reizend diese Geste ist.
Es scheint fast, als wolltest du Hermine beschützen. Hast du sie
etwa nicht verraten, nachdem du doch erfahren musstest, dass sie
deinen besten Freund umgebracht hat? Und wie hast du darauf reagiert?
Empört? Wütend? Verletzt? Besorgt?“ Bei jedem lockenden Wort
wiegte sie das Haupt, während sie in ihrer Krokodilledertasche nach
einem Block suchte und einer grünen Feder, die Artikel von selbst
schreiben konnte.
Harry fuhr sie an: „Vergessen Sie es! Ich werde Ihnen keine
Frage beantworten.“ Die Reporterin zog einen Schmollmund. „Oh,
das ist schade“, meinte sie, bevor sie sich schließlich mit
ihrem Krokodilslächeln an Hermine wandte, „Aber deine hübsche
Freundin wird mir doch garantiert einige Fragen beantworten.“
Oh nein, das mache ich garantiert nicht! Hinter dem dunklen
Glas der Brille weiteten sich die Augen des Mädchens. Hermine
öffnete den Mund, doch Rita kam ihr zuvor. Die Fragen prasselten so
schnell auf sie nieder, dass es schien, als wolle man sie steinigen:
„Wann hast du dich dazu entschieden, jemanden umzubringen? Und
wie hast du dies angestellt? Was hat dich überhaupt dazu bewogen?
Und jetzt, wenn du so an deine Taten zurück denkst, was empfindest
du da? Ekel? Erstaunen? Schock? Entsetzten? Oder gar Befriedigung? Du
hast ja jetzt gleich den Gerichtstermin vor dir. Was hältst du
davon? Hast du Angst? Fürchtest du eine mögliche Inhaftierung nach
Askaban? Wie, denkst du, stehen die Chancen für dich frei gesprochen
zu werden?“
„Ich würde nicht antworten, Hermine“, fiel Harry ihr ins
Wort. Die Braunhaarige holte tief Luft. „Bleib ruhig, Harry“,
flüsterte sie, „Ich habe ein ziemlich gutes Statement zu dieser
Sache abzugeben und dies kann sie nicht verdrehen.“ Ritas Augen
weiteten sich wie die eines gierigen Raubvogels und die Feder
zitterte in ihren Händen mit den fünf Zentimeter langen, rot
lackierten Fingernägeln.
„Nun, Hermine, dann fahr mal fort“, meinte die
Blondhaarige, „Ich wette, alle Leser werden beeindruckt sein.
Wann darf man schon mit einem Mörder sprechen? Oh, das ist ja so
aufregend.“ Jetzt klang sie eher wie ein zwölfjähriges
Mädchen.
Hermione schöpfte erneut Atem. Ernst sah sie Rita Kimmkorn an. “Mach
jetzt bloß keinen Fehler.“ Als sie sprach, klang ihre Stimme
erstaunlich ruhig: „Ich denke, diese Situation wurde von meinem
Leben angezogen. Damit ich an ihr reifen und wachsen konnte. Ich
denke, ich habe viel über die Natur des Menschen gelernt. Auch über
seine Schattenseiten. Die letzten paar Tage waren sehr anstrengend.
Für mich, meine Familie und Freunde. Ich weiß, was ich getan habe,
ist unentschuldbar. Das will ich gar nicht leugnen. Aber nun freue
ich mich auf die Gerichtsverhandlung. Ich fürchte mich vor keiner
Strafe.“
Rita rief aus: „Das klingt ja fest heroisch. “MÖRDERIN ODER
MATYRIN? – Aus der Psyche der grausigen Hermine Granger“. Oh ja,
das klingt wirklich gut.“ Ihre grüne Feder huschte eilends über
das Papier. Hermine erwiderte eisig: „Mir wäre es lieber, wenn
Sie das ‚Grausig‘ wegstreichen würden. Denn dies enthält eine
Wertung und eine Zeitung sollte eigentlich neutral sein.“
Die Journalisten konterte, während sie mit der Feder gegen ihren
Notizblock schlug: „Dann interessiert es aber nicht mehr die
Leser.“ In Hermines Augen blitzte es auf und sie wollte am
liebsten zum Zauberstab greifen, um die Spitze Rita in die Kehle zu
stoßen. Nicht, dass ihr das was genützt hätte. Aber diese Frau
schaffte es mühelos einen auf Hundertachtzig zu bringen.
Harry fasste Hermine sanft an der Schulter. „Das reicht“,
flüsterte er, „Lass uns gehen.“ Die Braunhaarige sah sich
nach dem Jungen und Arthur um. Der Vater seines ermordeten Sohnes
stand ruhig da und wartete. Harrys grasgrüne Augen huschten voller
Misstrauen zwischen ihr und Rita hin und her. „Ja, du hast
Recht“, meinte Hermine und wandte sich ab.
Arthur führte sie in die rote Telefonzelle, in welche sie drei
bequem rein passten. Auch wenn dies bereits sehr an die Grenze griff.
Der Rothaarige fragte: „Wie ging das noch mal? Ach, ja.“ Mr
Weasley kramte etwas Kleingeld hervor und warf es in den Spalt. Dann
drückte er die Tasten 62443.
Eigentlich hätte nichts passieren dürfen, denn das Telefon war
kaputt, doch zu Hermines Erstaunen ertönte eine angenehme
Frauenstimme: „Guten Tag. Besucher des Zaubereiministeriums,
bitte nennen Sie mir Ihren Namen und Ihr Anliegen.“ Mr
Weasley sagte: „Arthur Weasley, Harry Potter und Hermine
Granger. Wir kommen zur Gerichtsverhandlung der letzteren.“
Es gab eine kurze Pause. Dann sagte die Stimme: „Vielen Dank.
Werte Besucher, man wird Sie bitten an der Anmeldestation sich einer
Kontrolle zu unterziehen. Bitte seien Sie darauf hingewiesen, dass
keine Substanzen, scharfe Gegenstände und Waffen mit ins Ministerium
genommen dürfen.“ “Und wie wollen die das bitte
kontrollieren? Dass man dies nicht tut?“
Hermine atmete erstaunt aus, als die Telefonzelle leicht zu beben
begann und nach unten absackte. Was passiert denn jetzt? Es
war, als wäre sie in einen Aufzug gestiegen und hätte das
Untergeschoss ausgewählt. Eintöniges schwarz und braun zog an ihrem
Blick vorbei. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die
Telefonzelle ruckelnd zum Stehen blieb. Die Frauenstimme verkündete:
„Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“
Langsam trat Hermine nach draußen und folgte Arthur und Harry,
welche zielsicher voraus liefen. Das Mädchen kam wesentlich
langsamer voran. Die Eingangshalle war gewaltig. Grünes Gestein und
dunkelgrüne Bogen, die die Decke stützten. Überall glänzte Gold.
An den Türklinken, den Säulen und den Kaminen an den Seitenwänden,
aus denen von Zeit zu Zeit grüne Flammen aufloderten und Zauberer
oder Hexen traten. Hermine fiel auf, dass sie ebenfalls aus so einem
Kamin gekommen waren.
„Wann genau beginnt die Gerichtsverhandlung?“, fragte
Hermine, die zu Arthur Weasley und Harry aufschloss, welche in einer
langen Schlange standen. „Um acht Uhr dreißig“, antwortete
der Rothaarige, „In einem der alten Gerichtsräume.“ Er
schauderte und Hermine warf Harry einen fragenden Blick zu. Die
grünen Augen glitzerten voller Besorgnis und Angst. “Das klingt
nicht gut.“
Inzwischen waren sie bei einem Schalter angekommen, hinter dem ein
untersetzter Zauberer saß. Mr Weasley zeigte ein glänzendes, grünes
Kärtchen vor, ähnlich einem Ausweis. Der Beamte warf einen kurzen
Blick darauf und nickte dann knapp. Als nächstes mussten Hermine und
Harry ihm ihre Stäbe geben.
„Einen Moment…“ Nacheinander wurden die braunen Stöcke
auf ein Gestell gelegt, was Ähnlichkeiten mit einer Waage hatte. Ein
Geräusch ertönte wie das Surren eines Kassenautomats und der
Zauberer riss einen länglichen Zettel ab. „Stechpalme,
Phönixfeder, sechs Jahre im Gebrauch“, wandte er sich an Harry,
„Ist das richtig?“ Der Junge nickte. Der Mann piekste den
Zettel auf eine Nadel und reichte den Stab an Harry zurück.
Dieselbe Prozedur wurde auch an Hermines Zauberstab vorgenommen.
„Weinstockholz, Drachenherzfaser, sechs Jahre im Gebrauch“,
las er den Zettel vor, „Ist das richtig?“ „Ja“,
wisperte Hermine und erhielt ihren Stab zurück. Arthur warf einen
raschen Blick auf seine Uhr. Ihr Ziffernblatt enthielt bronzene
Zeiger, keine Zahlen, sonderbare Symbole, doch dem Zauber sagte dies
offenbar etwas, denn er meinte: „Wir sollten uns beeilen. Es ist
gleich halb Acht.“
Arthur Weasley führte sie zu einem Aufzug, dessen goldenes Gitter
aufsprang, kaum, dass sie darauf zutraten. Langsam gingen die drei
hinein. In dem Aufzug stand bereits ein Mann, der einen Karton im Arm
trug, aus dem merkwürdige, beharrte Arme mit langen Klauen kamen und
an der Pappe kratzten.
„Was ist das, Bob?“, fragte Mr Weasley. „Ein
durchgedrehter Javrey. Er hat in einem Gemüsebeet großen Schaden
angerichtet, nachdem er einen merkwürdig glühenden Gnom gefressen
hat.“ „War das wieder Hopkins und seine verrückte
Pflanzenzucht?“ „Gut, möglich.“
Inzwischen war der Aufzug in einem dunklen, dämmrigen Stockwerk
angekommen. Schwarze Türen und keine Fenster. Goldene Messingknaufe.
Ansonsten gab es überhaupt keine Verzierung. Die Luft war
entsprechend kühl und Hermine fröstelte. “Das gefällt mir so gar
nicht.“ Es war, als würde sie in einen Kerker herab steigen.
Selbst der Ort, an dem Kingsley sie vor verhört hatte, war nicht so
unheimlich gewesen.
„Wir sind gleich da“, erklärte Arthur leise und die Gruppe
setzte sich in Bewegung. Ihre Schritte hallten durch die schmalen
Gänge. Vom Hauptgang zwängten unzählige weitere ab, sodass Hermine
sich wie in einem Labyrinth vorkam. “Das Labyrinth des Minotaurus.
“Nur dass ihr Minotaurus kein stierköpfiger Mensch war, der
brüllend nach Menschenfleisch gierte. “Man sagt, dass
Menschenfresser ausgerottet worden seien, aber es gibt sie noch. Nur
in anderer Form.“
Vor einer schmucklosen, dunklen Tür hielten sie an. Hermine drehte
sich zu Arthur Weasley um. Dieser knetete nervös die Hände. Ihm
schien es mehr zu frösteln als ihr. „Ich kann leider nicht
mitkommen, ihr beiden. Hermine, ich wünsche dir alles gute.“
Das Mädchen nickte. Die Angst war ihr wieder in den Rücken
gesprungen und fraß sich ihr durchs Fleisch. So sicher wie sie vor
Rita aufgetreten war, war sie in ihrem Herzen nicht.
Finger tasteten nach ihrer Hand und umschlossen sie. Hermine sah zu
Harry, der ihre Hand fest drückte. “Ich bin bei dir und lasse dich
nicht im Stich.“ Er musste es nicht sagen. Die Geste war genug.
Das Mädchen holte tief Luft, dann traten sie und der Schwarzhaarige
in den Gerichtssaal.
Hermine riss den Mund auf. Sie konnte nicht anders als zu staunen.
Der Raum war groß und kerkerartig. Schwarzes Gestein bedeckte Boden,
Wände und Decke. Unzählige Sitzreihen befanden sich an den Seiten
und Hermine gegenüber. Dort saßen auf einem erhöhten Podest die
Richter. Sie trugen alle magentarote Roben. Klein und verloren stand
in der Mitte der Stuhl für den Angeklagten.
Großartig. In Hermines Magen bildete sich ein Knoten und ihr
wurde die Kehle eng. Ihr kam dieser Ort nicht wie ein Gerichtssaal
vor, sondern wie der Schauplatz eines grausigen Spektakels. Harry
schien sich ebenfalls nicht wohl zu fühlen, denn er war schlohweiß
im Gesicht. Seine Hand drückte ihre, als wolle er nicht nur ihr,
sondern auch sich selbst Mut zusprechen.
Cornelius Fudge sah auf. „Ah, Ms Granger und Mr Potter“,
meinte er mit einer Stimme, die klang, als würde etwas ihm die Nase
zudrücken, „Sie sind ja vorbildlich pünktlich gekommen. Nehmen
Sie Platz, damit wir beginnen können. Harry, der Stuhl für die
Zeugen ist dort.“ Er wies auf eine Bank neben der Tür.
Ein letztes Mal drückte Harry Hermines Hand, so sehr, dass es
schmerzte. Er schluckte schwach, bevor sich sein Griff von ihr löste
und er langsam zu der Bank ging. Auch wenn die Strecke nicht sehr
weit war, hatte das Mädchen das Gefühl ihr würde der sichere Hafen
entrissen werden. Sie hatte solche Angst. Harry war der Einzige
gewesen, der diese abgemildert hatte. Wie sehr wurde ihr erst jetzt
klar!
Hermine setzte sich mit langsamen, schlurfenden Schritten in
Bewegung. Sie überquerte den großen Raum und hielt auf den Stuhl
zu. Alles war still geworden. Nur das Echo ihrer Schritte dröhnte
durch den Raum. Bedrohlich und unheilvoll. Ihr Blick wurde starr, als
die Augen auf den Anklägerstuhl fielen.
Es war ein schmuckloser, dunkler, schwerer Holzstuhl, an dessen
Armlehnen rußgeschwärzte Ketten herunter baumelten. “Nun, mach
schon Hermine!“ Das Mädchen schloss die Augen und setzte sich auf
den Stuhl. Ein leises Klirren ertönte, aber kein Metall schlang sich
ihr um die Unterarme.
Hermine öffnete wieder die Augen und sah zu den Richtern. Es waren
ziemlich viele. Die einzige Person, die dem Mädchen was sagte, war
Cornelius Fudge. Der untersetzte, leicht kahlköpfige Mann in dem
Nadelstreifenanzug lehnte sich nach vorne. „Sind Sie bereit?“
Ihr Nicken war hastig und knapp. „Mafalda Hopfkirch“,
richtete Cornelius das Wort an eine kleine, blondhaarige Dame,
„Fangen Sie bitte an zu protokollieren.“ Die Frau griff
nach einem Block und einer Feder.
Fudge richtete sich auf und sagte: „Verhör am 25. 8., um 8 Uhr,
im Gerichtssaal 10. Angeklagte ist Hermine Jean Granger,
Muggelstämmig, wohnhaft in London, Schülerin von Hogwarts, die vor
dieses Gericht belangt wurde aufgrund des Verstoßes gegen § 2 zum
Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit und § 222, Artikel
7a wegen Nutzung verbotener, giftiger Substanzen. Das Verhör wird
geleitet von Cornelius Fudge, Zaubereiminister, Amelia Bones,
Leiterin der Abteilung zur Magischen Strafverfolgung und
protokolliert von Mafalda Hopfkirch. Zeuge zur Verteidigung der
Angeklagten ist Harry James Potter.“
Es erfolgte eine kurze Pause, in welcher man nur das Kratzen der
Feder hören konnte. Hermine feuchtete nervös ihre Lippen an. “Jetzt
geht es los.“ Sie war aufgeregt gewiss. Doch hatte sie keine
Schweißausbrüche, ihre Hände zitterten auch nicht, sondern eine
merkwürdige Ruhe war auf sie getropft, als hätte sie innerlich
gewusst, dass sie in Wahrheit auf diesen Moment hingearbeitet hatte.
Der Zaubereiminister ergriff erneut das Wort: „Sie sind Miss
Hermine Jean Granger?“ „Ja.“ Ihre Stimme klang so fest wie
schon lange nicht mehr. „Wohnhaft in London, Muggelstämmige und
Schülerin an der Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei?“ „Ja“,
beteuerte Hermine, „Ja, das stimmt.“
Sie spürte Harrys Blick in ihrem Nacken und die Versuchung, sich zu
ihm umzudrehen, war groß, doch das Mädchen riss sich zusammen.
Harry war jetzt nicht wichtig. Den Richtern gebührte ihre
Aufmerksamkeit. Unerschrocken blickte sie zu dem Podest hoch, wo
Fudge gerade ein paar Blätter sortierte. Sie fürchtete sich nicht.
Seit langem konnte sie wieder klar denken und sie war froh, wenn all
dies vorbei war.
„Miss Granger, Sie werden angeklagt, Draco Malfoy, Lavender Brown
und Ronald Weasley ermordet zu haben“, stellte Fudge fest, „Dies
verstößt gegen das Grundgesetz § 2 zum Schutz von Leben und
körperlicher Unversehrtheit.“ Ein schmieriges, unhöfliches
Lächeln teilte seine Lippen. „Wollen Sie dies bestreiten? Wir
haben genügend Beweise vorliegen.“ „Nein“, meinte Hermine mit
einem Schulterzucken, „Das tue ich nicht.“ Fudges teigiges
Gesicht verzog sich vor Erstaunen, ihm klappte der Mund auf und er
stammelte: „Ich bin sprachlos.“
Amelia Bones‘ dröhnende Stimmer ertönte, nachdem ihre hinter
einem Monokel verborgenen Augen auf einen Bogen Papier gestarrt
hatten: „Hier steht, dass Sie den schwarzmagischen Trank
Wohlschmeckender Tod bei einem ihrer Opfer angewandt haben.
Stimmt das?“ „Ja“, antwortete Hermine schlicht, „Ich hatte
das Rezept aus einem Buch.“ „Und Sie haben es geschafft den
kompletten Trank ohne Hilfe zu brauen. Sie hatten Zugriff auf die
notwendige Zutaten?“ „Ja, ich meine, das Ergebnis sehen Sie doch
an dem Apfel, in den Ron gebissen hat.“
„Unglaublich!“ Lag da ein Hauch von Respekt in der dröhnenden,
harten Stimme? Neugierig horchte Hermine auf. Fudge wandte sich mit
vor Wut rotem Gesicht an Amelia Bones. „Sie loben sie doch nicht
etwa für diese Tat?!?“, stieß er hervor. Die Leiterin erwiderte
ungerührt: „Ja und nein. Ich finde es jedoch beeindruckend, dass
ein Schüler es geschafft diesen gefährlichen und schwierig zu
brauenden Trank herzustellen. Das heißt aber nicht, dass ich ihre
Tat gutheißte.“
Fudge knurrte irgendetwas Unverständliches und wandte sich ab. Mrs
Bones beachtete ihn nicht weiter und fragte stattdessen: „Haben Sie
irgendetwas zu Ihrer Verteidigung zu sagen?“ Hermine holte tief
Luft. Die nächsten Worte wählte sie sorgfältig, trotzdem waren sie
für alle wohl ein Rätsel: „Ich wusste nicht, was ich da tue. Ich
dachte, das wären meine Freunde. Es liegt doch am Ende alles an
schlechten Entscheidungen und wen man zu seinen Freunden zählt. Aber
ich weiß, die Wahrheit kommt ans Licht.“
Fudge schnaubte durch die Nase. „Die Wahrheit“, höhnte er, „Ihre
Verteidigung ist ja reichlich seltsam. Was ist denn bitte Ihre
Wahrheit?“ „Herr Zaubereiminister“, fragte Harry und klang
ungewöhnlich höflich, „Dürfte ich etwas sagen?“ „Natürlich“,
antwortete Mrs Bones, „Sprechen Sie nur.“
Hermine drehte sich um. Harry war aufgestanden. Jetzt knetete er kurz
nervös die Hände, bevor er sagte: „Ich möchte einwerfen, dass
Hermines Psyche sich seit den Ereignissen sehr gewandelt hat.“ „Wie
meinen Sie das?“, verlangte Amelia Bones zu wissen. „Dass Hermine
psychisch krank ist“, fuhr Harry fort und jedes seiner Worte ließ
Hermines Herz höher schlagen. Sie ahnte, worauf er hinauswollte.
„Hermine konnte ihre Mordakte nur begehen, weil sie eine
Persönlichkeitsstörung besitzt.“
„Wollen Sie etwa behaupten, Hermine Granger hätte so etwas wie
eine böse Doppelgängerin. Einen Klon, oder wie?“, unterbrach
Fudge ihn und sah so aus, als müsse er mit einem Lachanfall kämpfen.
Abscheu machte sich auf dem Antlitz der Braunhaarigen breit. Sie
konnte diesen Mann mehr und mehr nicht ausstehen. Harry sah
mindestens genauso abgeneigt aus, blieb jedoch ruhig.
„In gewisser Weise meine ich genau das“, erwiderte Harry und er
umschloss die Brüstung, welche seine Sitzbank von den anderen
trennte, mit den Händen, „Hermine weist eine zweite Persönlichkeit
auf, jedoch keinen Klon, wie Sie annehmen Nein, vielmehr steckt diese
Person in ihr drin und Hermine kann quasi zwischen der einen
Persönlichkeit und der anderen hin und her wechseln. Und wenn es
sein muss, geht dies sogar rasend schnell.“
Cornelius konnte nicht mehr. Er lachte laut und prustend. „Mr
Potter“, tadelte er den Jungen mit funkelnden Augen, „Sie
belieben zu lügen und zu scherzen. Dies ist lächerlich. Eine zweite
Person im Inneren eines Körpers. Was haben Sie nur für Fantasien?“
Harry beugte sich wütend nach vorne. „Ich habe es aber gesehen!“,
stieß er hervor. „Ach, wirklich“, spottete Fudge, „Huhu,
zweite Ms Granger, kommen Sie doch mal raus!“
Hermine starrte in sein lachendes Gesicht und ballte die Fäuste. “Das
kann ja wohl nicht wahr sein! “Dieser Minister war eine Witzfigur.
Wer nahm ihn bitte ernst? Keiner! Das Mädchen konnte den anderen
Richtern von der Stirn ablesen, dass sie ihn belächelten,
bemitleideten. Auf jeden Fall hatte niemand Respekt oder auch nur
einen Ansatz davon.
„Hören Sie auf mit dem Blödsinn, Mr Fudge“, wies ihn Amelie
Bones zurecht und ihrer harte, autoritäre Stimme ließ den
Zaubereiminister verstummen, „Ich kenne das Phänomen, von welchem
Mr Harry James Potter gesprochen hat. Wenn es wirklich wahr ist, so
leidet Mrs Granger ganz offensichtlich an einer dissoziativen
Identitätsstörung oder multiple Persönlichkeitsstörung. So etwas
tritt meist bei einem traumatischen Ereignis auf. Gab es bei Mrs
Granger so etwas?“
„Ich bitte Sie!“, brauste Fudge auf, „Wir können doch jetzt
nicht über so einen Firlefanz reden! Ms Granger muss verurteilt
werden.“ „Irrtum, Cornelius“, erwiderte Amelie Bones und klang
nun sogar etwas scharf, „Wir müssen darüber reden, denn dieser
Zustand hat gewiss Ms Grangers Handeln beeinflusst.“
Die klaren Augen hinter dem Monokel richteten sich auf das Mädchen.
Hermine holte tief Luft. Sie war sich nicht ganz so sicher, was sie
von Amelie Bones halten sollte, aber eines konnte sie mit Sicherheit
sagen: Diese Frau wusste definitiv, wovon sie sprach. Sie kannte sich
aus. Nicht nur mit den Gesetzen, sondern auch mit psychologischen
Erkrankungen.
„Ich weiß nicht, ob ich ein wirklich traumatisches Ereignis erlebt
habe“, gestand Hermine und hob hilflos die Schultern, „Ich hatte
hin und wieder Probleme in der Schule. Nicht mit dem Stundenplan oder
den Leistungsanforderungen, sondern mit einigen meiner Mitschüler.“
Ihre Hände wanderten durch die Luft wie lebende Tiere, um ihre
nächsten Worte zu unterstreichen. „Sie wissen ja, dass ich
Muggelgeborene bin und viele Reinblüter begegnen meinesgleichen mit
Abscheu, Spott und Häme.“
„So wie ihr Klassenkamerad Draco Malfoy“, flüsterte die Leiterin
und nickte schwach, als wäre ihr etwas klar geworden, „Deshalb war
er wohl unter den Toten. Was ist mit Mr Ronald Weasly und Ms Lavender
Brown?“ Hermine wurde pink im Gesicht. „Das ist etwas privates“,
stammelte sie. Beschämt wandte das Mädchen den Blick ab. “Dass
sie überhaupt danach fragt, ist schon schockierend.“ Hermine
wollte nicht mehr an ihre unerwiderte Liebe erinnert werden.
Bones Augen weiteten sich mitfühlend hinter ihrem Monokel. „Diese
Person ist psychisch labil“, wisperte sie, „Sie muss behandelt
werden.“ „Was?!?“, fauchte Fudge, der offenbar endlich wieder
seine Zunge gefunden hatte, „Wir sollen eine Mörderin ins St.
Mungo bringen! Sind Sie verrückt?“
„Diese Person gehört nach Askaban“, blaffte Fudge hitzig und
schlug mit einer Faust auf den Tisch, „Und zwar auf der Stelle!“
Nein! Schockiert sah Hermine die anderen Richter an. Würden
sie es wirklich wagen, eine Teenagerin, eine Schülerin, nach Askaban
zu schicken? Die Hexen und Zauberer in den roten Gewändern
wechselten angespannte Blicke. Hände wurden gehoben. Manche zögernd,
andere jedoch schnell und voller Genugtuung. Es wurden immer mehr.
Ganz offensichtlich zeigte dieses Gericht keine Gnade. “Von wegen
eine abgemilderte Strafe!, dachte Hermine bitter, Arthur
wollte mich nur trösten.“
„Einspruch“, erklang in diesem Moment Amelie Bones Stimme. Sie
hatte die Hand nicht erhoben. Stattdessen saß die Leiterin zurück
gelehnt in ihrem Stuhl und hatte das Monokel abgenommen. Sie drehte
den Stab in der Hand. „Da die Angeklagte minderjährig ist, ist es
laut § 4 zum Schutz der Jugend und Gewährleistung der geistigen
Entwicklung Artikel 3a verboten, sie sofort dem gefährlichen
Einfluss der Dementoren auszuliefern.“
Hermine sog die Luft ein. Konnte es wirklich sein, dass ihr die
Gefängnisstrafe erspart blieb? Dass sie sich niemals auf einen
Horrortrip ohne Wiederkehr nach Askaban begeben musste? “Oh, bitte,
bitte, bitte….“ Hermine drückte fest die Daumen und flehte zu
allem, was ihr heilig war. Das wäre zu gut, um wahr zu sein!
„Mrs Granger, wie alt sind Sie?“, fragte Amelie Bones. „Sechzehn
Jahre“, antwortete Hermine. Die Leiterin schloss die Augen, als
würde sie ihre nächsten Worte schon jetzt bereuen. „Dann
verurteile ich Sie hiermit zur lebenslangen Haft in Askaban, mit der
Einschränkung, dass Ihnen bis zur Vollendung Ihres Einundzwanzigsten
Lebensjahr ein menschlicher Wärter an die Seite gestellt werden
soll. Dementoren dürfen ihren Aufseherpflichten erst dann nachgehen,
wenn Sie einundzwanzig Jahre und einen Tag alt sind.“
Nein! Die Hoffnung hier doch noch rauszukommen wurde so
schnell zerschlagen wie sie gekommen war. Hermine stöhnte auf und
schieres Grauen machte sich auf ihrem Gesicht breit. “Nein, nein,
nein! Das darf einfach nicht wahr sein!“ Man hatte wirklich vor
sie nach Askaban zu bringen. Und die vielen erhobenen Hände
bewiesen, dass es kein Zurück mehr gab. Wie alt würde sie werden?
Fünfundzwanzig? Vielleicht dreißig, bevor der Wahnsinn sie in den
Suizid treiben würde? “Nein, nein, nein! Das kann ich einfach
nicht glauben. Das will ich einfach nicht glauben.“
Tränen verschleierten ihr die Sicht, brannten unter den Lidern. Doch
noch verließen sie nicht ihre Höhlen. Hermine würgte das
Schluchzen runter. Nicht hier, nicht jetzt! Für Verzweiflung
würde später genug Zeit sein. Mrs Bones sah sie fast mitfühlend
an. „Es tut mir leid, aber dies ist mein letztes Wort.“ Die
Richter verließen schweigend die Bänke. Cornelius feixte.
Hermine sah ihn nicht an. Sie sah niemanden an. Schweigend wandte sie
sich ab, wollte ebenfalls gehen und verschwinden. In der Dunkelheit
ihrer Zelle und Vergessen. Erst die hastigen Schritte ließen sie
aufblicken. Harry stand vor ihr. Sprachloses Entsetzen und Mitgefühl
malten sich auf sein blasses Gesicht. „Nein“, hauchte er mit
derselben Fassungslosigkeit, die sie auch fühlte, „Arme Hermine.
Arme, arme Hermine.“
Das Brennen unter ihren Lidern wurde zu einem unerträglichen Jucken.
Wie aufquellende Samen platzten ihre Tränensäcke auf und
durchscheinende Kristalle flossen ihr die Wange herab. Hermine weinte
auf, wimmerte und schluchzte. Pure Verzweiflung strahlte wie in
Wellen von ihr aus. Es war wie in einem Albtraum, aus dem es kein
Entrinnen gab.
Hermine warf sich Harry in die Arme, drückte ihn an sich, klammerte
sich an ihn wie ein hilfloses Kind an einen Felsen im schäumenden
Fluss. „Es tut mir leid, Harry“, flüsterte sie mit vor Tränen
heiserer Stimme, „So leid!“ Er drückte sie zurück, als könne
die Wärme seines Körpers die Verzweiflung verjagen. „Ist schon
gut“, wisperte er ihr beruhigt zu. Gut? Was war gut? Nichts! “Und
das wissen wir beide.“
Ein leises Räuspern ließ Hermine den Kopf wenden, aber sie hielt
sich immer noch an ihm fest. Kingsley und Tonks standen im Raum. Der
dunkelhäutige Auror erklärte: „Wir sollen dich nach Askaban
bringen.“ „Wenn du bereit bist“, setzte die rosahaarige Frau
hinzu und lächelte.
„Ich habe dich lieb“, flüsterte Hermine und drückte Harry
erneut, „Achte gut auf meinen kleinen Löwen.“ Krummbein würde
verrücktspielen, wenn sie nicht wieder kam. „Versprochen“,
krächzte er und löste sich zögernd von ihr, fast als fürchte er
sie würde sich in Luft auflösen. „Es wird kein Tag vergehen, an
dem ich nicht an dich denke und an dem ich dich nicht vermisse.“
Weinend sah Hermine zu Boden. Seine Worte machten diesen Abschied
noch schwerer. „Harry, du bist ein großartiger Zauberer, vergiss
das nicht“, schniefte sie. Das Mädchen wandte sich um, damit der
Junge nicht den schweren Schritt tun musste. Sie wollte nicht seine
Verzweiflung und das unerträgliche Mitgefühl sehen und als
Erinnerung behalten. Stattdessen rief sie sich all die schönen
Momente ins Gedächtnis, die ihr jetzt so wertvoll waren wie Gold:
Ihre Erleichterung im Gesicht, als Harry wohlbehalten im ersten
Schuljahr aus der Krankenstation gekommen war; den Spaß, den sie in
Hogsmeade hatten; ihre Zeitreise im dritten Schuljahr, welche sie
ungeheuer zusammen geschweißt hatte. All diese Momente liefen vor
ihrem inneren Auge ab und Hermine zwang sich dazu sie festzuhalten,
in ihrem Herzen zu verschließen.
Harry stand immer noch im Raum. Sie spürte seinen Blick in ihrem
Nacken. Was sah er? Die streberische Schülerin, welche immer
aufpasste, dass sie nicht die Regeln brachen? Die Draufgängerin,
welche doch für einige Abenteuer zu haben war? Oder die Mörderin,
welche ihm Angst machte? Hoffentlich nicht. Vielleicht aber
wäre es gut, wenn er ihre Licht- und Schattenseiten in Erinnerung
behielt. Hermine stapfte zu den Auroren und befahl: „Bringt mich in
meine Zelle.“