Vor meinem Fenster
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Sie sind da. Jede Nacht.
Die Geräusche, vor meinem Fenster.
Kratzen. Klopfen. Flüstern und Knirschen.
Ich habe aufgehört, die Nächte zu zählen, in denen sie zu hören waren, mich um den Schlaf brachten, mich zitternd unter meiner Bettdecke auf die Morgendämmerung warten ließen. Darauf, dass sie endlich verstummten.
Anfangs habe ich versucht, sie zu ignorieren. Ich war zwölf oder dreizehn, als es anfing… ich weiß es nicht einmal mehr genau. Damals hatte ich geglaubt, es seien die Äste des Baumes vor meinem Fenster. Ich glaubte, das Flüstern sei der Wind, und dieser sei es auch, der das Glas zum Knirschen brachte… oh, wie schön es war, als ich das noch glauben konnte. Damals reichte es aus, mir Kopfhörer in die Ohren zu stecken und laut Musik abzuspielen. So war es egal, was draußen passierte, ich konnte es nicht hören… anfangs. Drei oder vier Nächte lang war es gut gegangen. Zwar hatte es gedauert, bis ich bei der Musik hatte einschlafen können, doch dann war mein Schlaf tief und fest gewesen, und ich war morgens erholt aufgewacht; so erholt eben wie man um halb acht nur sein konnte.
Aber irgendwann brachte die Musik nichts mehr.
Ich hörte das Kratzen durch die Melodien hindurch, hörte das Flüstern das sich in die Stimmen der Sänger mischte und sie allmählich übertönte; es schien unmöglich dass ein Flüstern derart laut sein konnte, doch so war es…
Bis heute bin ich mir nicht im Klaren darüber, ob das, was ich nach einigen Nächten, in denen ich bloß dagelegen und versucht hatte, all diese Geräusche zu ignorieren, getan hatte eine gute Idee gewesen war. Ob heute womöglich alles anders wäre, wenn ich es nicht getan hätte. Aber ich hatte einfach nicht gewusst, was ich sonst hätte tun sollen, und so war ich in einer Nacht unter der Decke hervorgekrochen, hatte meine Kopfhörer beiseite gelegt und war aus dem Bett gestiegen. Ich hatte schon einige Male zuvor zum Fenster geblickt, doch niemals hatte ich dort etwas sehen können was diese Geräusche erklärt hätte, und so war es auch zunächst gewesen als ich nun auf das Fenster zugegangen war.
Draußen war es stockdunkel gewesen. Der Himmel war bewölkt, keine Sterne waren zu sehen, kein Mond, nichts. Ich hatte einfach dagestanden und in die Schwärze der Nacht geblickt, die Arme vor der Brust verschränkt, im dünnen Stoff meines Nachthemdes zitternd. Das Kratzen und Klopfen war verstummt, doch das Flüstern war noch da, und mein Herz schlug mir bis zum Hals während ich minutenlang dort verharrte, obgleich ich nicht wusste, was ich mir davon versprach. Und mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde das Flüstern lauter.
In dieser Nacht habe ich nichts von dem verstehen können, was die Stimmen sagten. Es mag paradox klingen, und so kam es mir auch vor, doch wenngleich auch sie lauter und lauter wurden konnte ich keine Worte ausmachen.
Ich weiß noch, wie ich mit dem Gedanken spielte meine Mutter zu holen, ihr die Stimmen zu zeigen und sie um Rat zu bitten, doch schnell wurde mir klar, dass das eine dumme Idee gewesen wäre. Zu dieser Uhrzeit lag Mom betrunken im Bett, und selbst, wenn es mir irgendwie gelungen wäre sie aufzuwecken und in mein Zimmer zu bringen, so hätte sie diese Stimmen wohl für eine Begleiterscheinung ihres Alkoholkonsums gehalten, und mich hätte sie bestraft dafür, dass ich mich anscheinend derart über sie lustig machte.
Also habe ich das getan, was ich auch die Nächte zuvor getan hatte. Mich ins Bet gelegt und Musik angemacht, und es hatte nicht lange gedauert, bis auch das Klopfen und Kratzen wieder begonnen hatte.
Ich habe versucht, davor wegzurennen. Habe versucht, diesen Geräuschen zu entkommen, doch es schien unmöglich zu sein, es spielte keine Rolle, wo ich war und was ich tat, die Geräusche verfolgten mich. Ich habe bei Freundinnen übernachtet, ohne dass ich ihnen etwas von meinen nächtlichen Erlebnissen erzählte, und obgleich niemand von ihnen jemals etwas zu bemerken schien, waren da jede Nacht wieder diese Geräusche.
Das Kratzen. Das Klopfen. Das Flüstern.
Ich hätte mit irgendjemandem reden sollen, doch wusste ich nicht, mit wem… meine Freunde hätten mich für verrückt gehalten, meine Mutter hätte geglaubt, ich wollte sie verarschen.
Also habe ich versucht, es auszuhalten. Habe versucht, es zu ignorieren. Es zu ertragen.
Nach Wochen verstand ich zum ersten Mal die Worte, die die Stimmen mir zuflüsterten. Ich lag im Bett, starr die Wand anstarrend; ich hatte verstanden dass die Bettdecke mir keinerlei Schutz bieten konnte. Es musste um Mitternacht herum gewesen sein, und ich merkte, wie schwere Müdigkeit immer mehr von mir Besitz ergriff, es schien ewig her, seit ich das letzte Mal richtig hatte schlafen können.
Und dann war da diese Stimme gewesen. Sie war klarer und deutlicher als die anderen gewesen, wenngleich gedämpft, als käme sie durch Glas hindurch, und reflexartig drehte ich mich in Richtung Fenster, während ich den Worten lauschte: „Du bist bald soweit! Lass uns rein!“
Ich erinnere mich, wie ich aufgestanden bin; ich war wie in Trance. Ging auf das Fenster zu und starrte hinaus in die Dunkelheit… und dann sah ich sie.
Die Hände. Unzählige Hände, blutverschmiert, die mit den Fingern über das Fenster kratzten und mit den Knöcheln dagegen klopften, und schmierige rote Spuren auf dem Glas hinterließen…
Kleine Hände. Kinderhände.
Reglos stand ich da, starrte auf das grauenhaft Bild das sich mir bot. Überall diese Hände, und sonst nichts, keine Körper zu denen sie gehört hätten… das Klopfen und Kratzen wurde lauter und lauter, ohrenbetäubend, und dann war da wieder die Stimme die mich zuvor dazu veranlasst hatte mein Bett zu verlassen und mich so diesem furchterregenden Anblick auszusetzen… „Es ist bald so weit. Bald wird es Erlösung geben.“
Ich weiß ganz genau, dass ich unfähig war, mich zu bewegen. Meine Muskeln gehorchten meinen Befehlen nicht mehr, ich war unfähig dem Bedürfnis, wegzurennen das unglaublich stark war in mir, nachzukommen… konnte bloß dastehen und die Hände anstarren.
Meine Gedanken rasten, versuchten, zu begreifen, was passierte, was ich dort sah, wie das sein konnte… und ganz allmählich wurden auch die anderen Stimmen klarer und deutlicher.
„Bitte, lass uns rein!“
„Wir können nicht mehr!“
„Wir wollen nicht mehr!“
„Wir wollen doch nur Ruhe finden…“
Ich weiß nicht, wie lange ich so dort verharrte und all diese Eindrücke auf mich wirken ließ, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließen und mein Herz zum Rasen brachten. Ich habe erwartet, dass das Glas unter den Schlägen jede Sekunde zersplittern würde, dass die Hände hindurch greifen würden, hinein in mein Zimmer, und mich packen und nach draußen zerren würden…
Nichts von alledem geschah. Dafür jedoch erklangen Schritte.
Im Nachhinein bin ich mir sicher, dass sie sich langsam steigerten, von unten aus dem Erdgeschoss heraufkamen und immer lauter wurden, doch registriert habe ich sie erst, als ich das Knarren meiner Zimmertür hörte und die Schritte auf dem Parkett meines Bodens angelangt waren.
Die Starre, in der ich mich zuvor befunden hatte, löste sich, doch war ich noch immer nicht in der Lage, meine Handlungen wirklich zu beeinflussen, und so fühlte ich mich wie ferngesteuert als ich mich umdrehte…
Vielleicht hatte ich erwartet, meine Mutter zu sehen. Hatte gehofft, oder vielleicht auch befürchtet, dass ich sie geweckt hatte, obgleich ich selbst ja keinen Laut von mir gegeben hatte, und dass sie nun in mein Zimmer gekommen war um mich zur Ordnung zu rufen…
Doch es war nicht meine Mutter, die dort stand.
Im ersten Augenblick war ich mir nicht einmal sicher, ob die Gestalt da vor mir, die neben meinem Kleiderschrank inne gehalten hatte, wirklich menschlich war.
Sie war groß und dürr, fettiges schwarzes Haar fiel in ein Gesicht, das aussah wie eine Maske, weiß wie Schnee mit aschfahlen Lippen… Das Kleid das sie trug, einstmals vermutlich ebenfalls weiß, war zerschlissen und verdreckt, und gab den Blick frei auf grünlich verfärbte Haut, die sich an einigen Stellen bereits von ihrem Körper abschälte. Ihre Augen starrten mich an… schwarz und tot.
Noch heute erinnere ich mich daran wie mir über wurde, von dem Gestank der sie umgab, nach Fäulnis, verdorbenem Fleisch und Tod.
Die Stimmen hinter mir, weiterhin gedämpft vom Glas, wurden lauter, wenngleich sie noch immer flüsterten, und vermischten sich langsam aber sicher zu einem unverständlichen Gewirr…
„Folge ihr! Folge der Botin!“
„Bitte, erlöse uns…“
Das war der Augenblick, in dem mir schwarz vor Augen wurde. Und ich schrie.
Ich weiß nicht, wie viele Jahre seitdem vergangen sind. Es können vier sein, vielleicht auch zehn. Es spielt keine Rolle. Zeit hat keinerlei Bedeutung, hier, in diesem Zimmer im Red Hill Asylum, in dem ich mich seit jener Nacht befinde. Die Pfleger haben mir gesagt, dass meine Mutter von meinem Schrei wach wurde, und dass sie einen Krankenwagen gerufen hat, als sie meinen reglosen Körper in meinem Zimmer gefunden hat.
Vielleicht entspricht das der Wahrheit, vielleicht haben auch die Nachbarn den Notarzt gerufen.
Seit dieser Nacht habe ich meine Mutter nicht mehr gesehen. Sie kam mich nicht einmal hier besuchen, und ich kann mir nur gut vorstellen, dass sie froh ist, dass ich weg bin. Dass diese Psychose, wie die Ärzte es nennen, dafür gesorgt hat dass ich hierbleiben muss, in dieser Anstalt, da sich mein Zustand bis heute trotz verschiedenster Medikation nicht verbessert hat.
Sie sind noch immer da. In jeder Nacht. Die Stimmen. Das Kratzen. Das Klopfen. Die Hände.
Die Botin, wie die Stimmen sie nennen. Die verfaulte, tote Frau.
Sie haben mir erzählt, dass sie es war, die mich ausgewählt hat. Die Botin hat mich gesehen, und sie hat gesehen, dass mein Leben eines ist, auf das die Welt gut und gerne verzichten könnte. Dass ich ihnen helfen kann.
Es hat gedauert, bis sie mir erklärt haben, wobei ich ihnen helfen sollte. Sie sagten, sie müssten sich erst sicher sein, dass ich es wirklich tun würde, dass ich bereit wäre, mein Leben zu beenden… wie viel Zeit verstrichen war, bis sie eben dies anscheinend geglaubt hatten, vermag ich nicht zu sagen.
Es war eine Nacht gewesen wie jede andere auch, in der ich auf meinem Bett gesessen hatte und den Geräuschen lauschte, während meine Zimmergenossin seelenruhig schlief, und plötzlich hatte die Botin direkt vor mir gestanden. Hatte mich angestarrt, mit ihren toten Augen, und ihre Hand nach meinem Arm ausgestreckt. Ichre Haut hatte sich schmierig angefühlt, und kalt, und ihre Stimme hatte einen seltsam gurgelnden Klang gehabt, als sie endlich, nach so langer Zeit, mit einer Erklärung begonnen hatte: „Du hast die Kinder gehört, du hast ihre Hände gesehen. Du weißt, dass sie tot sind, so wie ich, so wie du es auch bald sein wirst.“
Ich erinnere mich, wie ich sie anstarrte, unfähig, irgendetwas zu sagen, wie ich spürte dass meine Arme von Gänsehaut überzogen wurden als die Botin fortfuhr: „Es sind verlorene Kinder. Sie wurden entführt, vergewaltigt, ermordet. Zerstückelt und versteckt, im Wald verscharrt, in Flüsse geworfen! Niemals werden ihre Leichen gefunden werden, und niemals werden sie Ruhe finden! Sie sind dazu verdammt, auf ewig in der Zwischenwelt herumzuirren, auf der Suche nach jemandem, der bereit ist, sie zu erlösen…“
Mit jedem ihrer Worte konnte ich spüren, wie mir kälter und kälter wurde. Ich konnte nichts weiter tun als die Botin anzustarren, die meinen Blick unbeirrt erwiderte, während sie ihre Hand von meinem Arm zurückzog. Ich spürte, wie mir langsam Schwindelig wurde, eine Ohnmacht sich anbahnte, und das letzte, was ich hörte, bevor ich wieder einmal in die vollkommene Schwärze einer Bewusstlosigkeit glitt, waren erneut die Worte der Botin: „Noch ist es nicht soweit. Aber bald.
Seitdem habe ich darauf gewartet, dass es endlich soweit sein würde, so, wie die Botin es gesagt hat.
Ich habe schon lange mit meinem Leben abgeschlossen, denn es gibt nichts mehr, was mich daran festhalten lässt. Ich bin allein, seit Jahren; alleine mit den Stimmen und den Händen, und der Botin, die mich noch immer jede Nacht besuchen kommt. Seit jener Nacht hat sie kein Wort mehr mit mir gesprochen. Bloß dagestanden und mich angestarrt. Auch sie schien nie genau zu wissen, wann es soweit sein würde, nur, dass der Zeitpunkt kommen würde…
Und nun. In dieser Nacht. In dieser Nacht ist es soweit. Ich habe es in dem Augenblick gespürt, in dem ich heute morgen erwacht bin, ausgeschlafen und ohne Kopfschmerzen, zum ersten Mal seit so vielen Jahren. Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Und der Sturm, der vor der Erlösung kommt.
Nun sitze ich auf meinem Bett, in meinem Zimmer, das vom Schein meiner Nachttischlampe erleuchtet wird. Ich kann die Stimmen hören, doch sie klingen anders, als sie es jemals zuvor getan haben. Nicht aufgeregt. Nicht fordernd. Nicht klagend. Sondern lediglich…erwartungsvoll.
Auch die Botin ist da. Sie steht neben der Tür, betrachtet mich mit ausdruckslosem Blick. Auch sie scheint zu warten. Worauf, weiß ich nicht. Doch ich bin mir sicher, dass ich es erfahren werde.
Die Minuten verstreichen, werden zu Stunden. Niemand bewegt sich, außer meiner Mitbewohnerin, die sich unruhig in ihrem Bett umher wirft, doch sie spielt keine Rolle. Sie ist bedeutungslos für das, was geschehen wird.
Draußen schlägt die Uhr des Kirchturms, und als wäre das irgendein geheimes Signal gewesen, erklingen draußen auf dem Gang Schritte. Die Klinke wird herabgedrückt, die Tür öffnet sich.
Herein tritt eine Gestalt. Von Größe und Statur ähnelt sie der Botin, doch ihr Haar ist silbern, schimmert im Licht der Lachtischlampe. Ein schwarzes Gewand bedeckt ihren Körper. Mit hellgrauen Augen blickt sie mich an, während sie langsam auf mich zukommt, sie wirkt wie blind, doch bin ich mir sicher dass sie es nicht ist.
Etwa einen Meter von mit entfernt bleibt sie stehen. Betrachtet mich, mustert mich von oben bis unten.
Dann, mit einer Stimme klar wie Kristall, beginnt sie zu sprechen: „Wie ich hörte, bist du bereit. Ich bin die Richterin. Dien Opfer wird akzeptiert. Du wirst mit uns kommen. Die Wahl der Erlösung wird zufällig getroffen. Ich fordere dich nun auf, zu tun, was du tun musst.“
Ohne den Blick von der Frau abzuwenden nickte ich, während ich mich vorbeuge, die Schublade meines Nachttisches aufziehe und hineingreife.
Zwar wurde mir eine Psychose diagnostiziert, doch als Suizidgefährdet galt ich nie, und so war es ein leichtes für mich, mir eines der großen Fleischmesser aus der Küche zu nehmen und es in meinem Zimmer zu verstecken.
Und heute Nacht ist es endlich soweit, dass ich es benutzen darf.
Die Botin stellt sich neben die Richterin und beide blicken mich an, erwartungsvoll. Das Flüstern der Kinder wird nun lauter, aufgeregter, und ich kann sie sehr gut verstehen, denn auch ich bin aufgeregt. Nicht ängstlich. Sondern einfach… erwartungsvoll.
Ich setze das Messer an meinen Hals. Die Klinge schneidet durch die Haut, Blut läuft aus dem Schnitt, doch lasse ich mich nicht davon beirren…
Während ich die Klinge weiterziehe werden die Stimmen zu freudigem Schreien. Ich spüre keinen Schmerz, denn ich habe jede Menge Schmerztabletten genommen, die ich mir über Wochen zusammengesammelt habe. Merke bloß, wie das warme Blut über meine Haut läuft, sehe, wie es auf das weiße Laken meines Bettes tropft… und ganz allmählich wird mir schwarz vor Augen. Mein Körper wird taub, und gleichzeitig seltsam leicht. Es fühlt sich an, als würde ich fallen und schweben gleichzeitig.
Endlich. Endlich ist es soweit. Endlich werde ich frei sein!