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Was von Vater übrig blieb

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Was von Vater übrig blieb

Leise tappte er mit seinen nackten, kleinen Füßen durch den dunklen Flur, nach jedem Schritt den Atem anhaltend und lauschend, ob seine Mutter ihn gehört haben könnte und ihn wieder ins Bett zurück schicken würde. Er fror, denn alles, was er anhatte, war sein Schlafanzug. In seinem rechten Arm hielt er seinen Kuschelhasen fest umklammert, seinen einzigen Begleiter in diesem unheimlichen Vorhaben. In der zu einer Faust zusammengepressten linken Hand lag ein kleiner silberner Schlüssel, ein Gegenstand, der ihn zu dem Ort führen würde, der die Ursache für den Tod seines Vaters barg. 

Er sei ja schon immer ein stiller Junge gewesen, hatte die Lehrerin zu seiner Mutter gesagt, und es sei ja auch logisch, dass Kinder nach dem Verlust eines geliebten Elternteils ruhiger und stiller werden, völlig logisch – sie hatte eine Pause gemacht und ihn mit einem Blick angesehen, der verzweifelt versucht hatte, aufzumuntern, aber kläglich daran gescheitert war –  dennoch mache sie sich große Sorgen. Er hatte beschämt zur Seite gesehen und einfach so getan, als hätte er nichts von dem Gespräch mitbekommen, sich fragend, wann das Ganze denn endlich vorbei war. Es sei jetzt schon fast zwei Monate her gewesen, seit sein Papa gestorben sei, und er wäre immer noch unglaublich still und würde sich nie melden, ab und zu würde er auch weinen und sie mache sich wirklich Sorgen, ganz große Sorgen.  Auch auf dem Pausenhof wäre er vollkommen alleine, selbst wenn er gefragt würde mit jemanden zu spielen, würde er ablehnen und sich in seine Ecke zurückziehen, einen großen Stein in der hinteren Ecke des Schulhofes , auf den würde er sich immer setzten und nichts machen.                                                                                                  

Seine Mutter hatte ihn näher an sich herangezogen und ihm den Kopf gestreichelt, während sie weiter der Lehrerin zugehört hatte.   Sie hätten alles versucht, um ihn aufzumuntern, hatte die Lehrerin weiter gesagt, aber nichts hätte Frucht getragen und so könne es nicht mehr weitergehen, nein, überhaupt nicht weitergehen. Und dann hatte sie seiner Mutter vorgeschlagen, ob er nicht vielleicht in Therapie gehen solle und sie kenne vielleicht jemanden, aber seine Mutter hatte sie unterbrochen und gemeint dazu wäre ihr das Geld zu schade und es würde sowieso nichts nützen und Geld habe sie sowieso zu wenig und der kleine schaffe das schon und damit war das Gespräch beendet.  

Im Auto hatte er gefragt, was ‚Therapie‘ überhaupt bedeute und sie hatte ihm gesagt, dass seien Leute, die traurige Leute glücklich machen wollten, aber eigentlich wollten sie das auch nicht sondern nur ihr Geld und sie täte seinen Papa unendlich vermissen. Und da hatte er angefangen zu heulen. 

Er hatte jetzt das obere Ende der Treppe am Ende des Flures erreicht und spähte über das Geländer nach unten in die vollkommene Finsternis. Nichts war zu hören, außer dem leisen Ticken der Uhr, die über der Küchentür hing und wenn er ganz genau hinhörte, konnte er das leise Schnarchen seiner Mutter vernehmen  

Er zögerte nicht zu lange, seinen Fuß auf die Stufe zu setzen, denn er hatte zwar große Angst, die Treppe in absoluter Dunkelheit hinunterzugehen, aber wenn er innehalten und kurz nachdenken würde, in welches Zimmer er eigentlich beabsichtigte zu gehen, wenn er darüber nachdenken würde, was ihn dort erwartete, welche dunkle Präsenz dort vielleicht lauerte, die er doch tagtäglich spürte, wenn er an der Tür vorbeiging, die seit dem Tag an dem es passierte nicht mehr offen gewesen war, wenn er daran dachte, wie eindringlich seine Mutter ihn gewarnt hatte – dann würde er in seiner Angst  umkehren und in seiner Neugierde wollte er das nicht zulassen. So legte er seine Hand auf das Geländer und überwand seine Furcht mit jedem Schritt aufs neue, langsam die Treppe hinunter steigend.  

Am dem Tag, an dem der Anruf gekommen war, der seinen Vater für immer verändert hatte, hatten sie einen Waldspaziergang gemacht. Sein Vater hatte die ganze Zeit Scherze gemacht und sie hatten sich alle prächtig verstanden   Dann hatten seine Eltern am Wegesrand diese wunderschöne Blume entdeckt, die sie umbedingt fotografiert gewollt hatten. Während sie sich auf den Boden gekniet hatten um den besten Winkel zu finden, hatte er gelangweilt hinter ihnen gestanden, als er plötzlich auf der anderen Seite des Weges etwas tiefer im Wald hinein ein Reh gesehen hatte. Erfreut war er darauf zugerannt, und als es weggesprungen war, hatte er versucht dem Reh hinterherzurennen. Plötzlich war ihm aufgefallen, dass er nicht mehr wusste wo er war und seine Eltern hatte er auch nirgendwo mehr sehen können. Da hatte er angefangen zu weinen, weil er auch so furchtbare Angst gehabt hatte.              

Aber dann war auf einmal sein Papa wieder da gewesen und seine Mama auch und sein Vater hatte ihn hoch gehoben und ihn getröstet und ihm den Satz gesagt, den er immer gesagt hatte, wenn sein Sohn weinte. „Ich bin immer für dich da“. Und dann hatte er den Satz wiederholt und gesagt: „Ich verspreche dir, ich bin immer für dich da“. Und dann waren sie heimgefahren.              

Kaum waren sie zu Hause gewesen war der Anruf gekommen. Als sein Vater den Hörer abgenommen hatte und ein bisschen zugehört hatte, war er kreidebleich geworden.  Seine Schwester sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. 

Das war das erste Mal gewesen, dass er seinen Vater, der ihn immer getröstet hatte, weinen gesehen hatte.

Unten an der Treppe angekommen, waren es nur noch wenige Schritte bis zu der Tür des Zimmers – gleich gegenüber der Tür zu einer kleinen Küche, deren Uhr immer langsamer zu ticken schien -, das sein Vater vor zwei Monaten betreten und nicht mehr lebend verlassen hatte. Er war noch nie in dem Zimmer gewesen, es war Papas privates Reich gewesen, in das er sich nach dem Tod seiner Schwester ständig zurückgezogen hatte.  

Er hatte kaum noch Zeit mit seinem Sohn verbracht, war unzuverlässig auf der Arbeit geworden und war schließlich gekündigt worden. Häufig hatte man ihn in dem Zimmer weinen und fluchen gehört und beides war mit der Zeit nicht besser, sondern intensiver geworden.  Er hatte begonnen zu trinken, war teilweise erst spät nach Mitternacht nach Hause gekommen und ab und zu – wenngleich auch selten, denn er hatte seine Frau und seinen Sohn immer noch unglaublich lieb gehabt – hatte er seine Frau geschlagen. Niemand hatte so schlecht mit dem Tod umzugehen gekonnt wie sein Vater.  

Aber das war wahrscheinlich nicht der einzige Grund für sein Verhalten gewesen. Er hatte einen Haufen von Büchern nach Hause geschleppt. Spiritistiche Bücher über Zauberei, Totenbeschwörungen, Rituale und Geister. Sein Interesse an paranormalen Phänomenen existierte zwar schon seit seiner Studienzeit – Auch zuvor schon hatte er ab und zu das ein oder andere Buch über seltsame Vorkommnisse gekauft – aber wirklich daran geglaubt hatte er zuvor nicht gehabt.  In seiner überwältigenden Trauer hatte sich sein Interesse in Wahn manifestiert, immer häufiger hatte er selber Rituale ausprobiert gehabt. An seinem Todestag hatte er etwas „Großes“ vorgehabt, etwas, das „unser aller Leben wieder ein klein wenig besser machen wird“ – so hatte er am Abendessenstisch behauptet, bevor er sich wieder in sein Zimmer eingeschlossen hatte. 

Es hatte grausam geendet. 

Zunächst war es für eine halbe Stunde ruhig gewesen. Doch dann hatte sein Vater wieder zu fluchen begonnen, intensiver als je zu vor. Dann hatten er und seine Mutter ein lautes Stampfen gehört, das Geräusch von splitterndem Glas, Schmerzenschreie. Immer lauter, hasserfüllter waren die Schreie geworden, schmerzerfüllter. Immer wieder hatten sie lautes Rumpeln gehört, unnatürlich lautes Kratzen. Es war klar gewesen, dass in dem Zimmer ein Kampf auf Leben und Tod stattfand. Verzweifelt vor Angst hatte seine Mutter vor der Tür gestanden, geschrien und  vergeblich auf Antwort gewartet. Sie hatte versucht, die Tür zu öffnen, und hatte schließlich panisch die Polizei gerufen.

Als die Polizei gekommen war, war es still geworden. Vollkommen still. Egal wie stark sie gelauscht hatten, kein Ton, kein Wimmern, kein Knurren, kein winziges bisschen Geräusch war mehr aus der Tür gedrungen. Die Stille hatte auf der anderen Seite gelauert, darauf gewartet, durchbrochen zu werden. 

Kaum stand er vor der Tür, die Faust um den Schlüssel, den er in Mamas Schublade gefunden hatte, fest umschlossen, da überströmten ihn die schrecklichen Erinnerungen mit Macht, sodass er kaum atmen konnte, die Angst saß drückend auf seiner Brust und sein Herz klopfte bis zum Hals. Bilder von Eeinnerungen, die sich tief in seinen Schädel eingebrannt hatten, tauchten wieder vor seinem geistigen Auge auf, lebendiger als je zuvor. Doch ein Bild zeigte sich ihm an deutlichsten.          

Das von der Leiche seines Vaters. 

Bevor sie die Tür aufgebrochen hatten, hatten sie ihn hoch geschickt, er solle auf keinen Fall sehen, was hinter der Tür sei. Sie hatten nicht weiter auf ihn geachtet und er hatte am oberen Ende der Treppe gestanden und über das Geländer gelunzt. Es war nur ein kurzer Blick gewesen, aber er war einschneidend genug gewesen, dass er ihn nie vergessen würde.

Sein Vater war voller blutiger Streifen gewesen, die Haut an allen Stellen brutal aufgekratzt, die Hände hatten vor Blut getrieft. Das Gesicht war von Blut, Dreck und abgemergelter Haut völlig entstellt gewesen.   Sofort war er in sein Zimmer gerannt, hatte sich auf das Bett geschmissen und geheult wie er es in seinem Leben noch nie getan hatte. Und niemand hatte ihn getröstet. Sein Vater war nicht für ihn da gewesen.

Nach diesem Ereignis hatte niemand mehr das Zimmer betreten und es war bis heute abgeschlossen geblieben. 

Nach der Beerdigung hatte er seine Mutter gefragt, was seinen Papa umgebracht habe. Seine Mutter hatte ihn an sich gepresst und angefangen zu weinen und hatte gesagt, es wäre ein Monster gewesen, ein abscheulich schreckliches Monster. Es hätte leuchtende Augen gehabt, die immer lügen und einem bis auf den Grund der Seele sehen, scharfe Zähne im Mund, mit denen es sich und anderen das Blut aus den Adern sauge und unglaublich lange Krallen, mit denen es einen umfängt und  in Stücke reißt, wenn man auf es hereingefallen sei.  Es sei unglaublich hässlich, sein Körper wäre spindeldürr und lang und seine Haut aschfahl.  Und es sei immer noch im Raum. Verängstigt hatte er sich an sie heran gedrückt und gefragt, ob das Monstern ihm und ihr etwas antun könne. Nein, hatte sie gesagt, es hätte keine Macht über sie, solange die Tür zu dem Zimmer schön brav geschlossen sei und niemand sich darin umsehe.

Und so war es auch zwei Monate lang geblieben. 

Langsam drehte er den Schlüssel um. Die Stille, die ihn in der absoluten Dunkelheit umfing, war ihm vertraut, es war genau dieselbe wie an dem Todestag seines Vaters. Selbst das Ticken der Küchentür konnte er nicht mehr hören. Langsam drückte er die Klinke und öffnete die Tür. 

Niemanden hatte er mehr geliebt als seinen Vater. Selbst als er sich noch mit Freunden getroffen hatte, war sein Vater immer der erste Anlaufpunkt gewesen. Zu ihm war er gegangen wenn er fröhlich war, zu ihm war er gegangen wenn er Angst, Kummer und Sorgen hatte. Und sein Papa war immer für ihn da gewesen. Und jetzt, wo sein Papa nicht mehr da war, musste er wissen, was dafür verantwortlich war.

Es war für die dunklen Verhältnisse im restlichen Haus relativ hell in dem Raum, der vor ihm lag, denn Mondlicht fiel durch ein Fenster an der rechten Wand, die Ecken des Raumes waren jedoch so dunkel, dass jemand sich in ihnen mühelos verstecken und in einer plötzlichen Bewegung hervorspringen könnte. Vorsichtig tat er ein paar Schritte in dem Raum, obwohl sein Kopf ihn schon längst anschrie, sofort kehrt zu machen, die Tür zu schließen und nach oben zu seiner Mama zu rennen.

Als er in der Mitte des Raumes ankam, merkte er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Die Wände waren zerkratzt, getrocknetes Blut klebte in den Kratzern, die Tapete blätterte ab. Auch der Boden war zerkratzt, das umgestürtzte Regal ebenso, die Bücher waren zerfleddert, ein paar Kerzen standen hier und da, fast bis auf den Boden niedergebrannt, doch das allerschlimmste war direkt vor ihm.

Eine dunkle Silhouette stand ihm genau gegenüber, ungefähr in seiner Größe, der Körper auf unnatürliche Weise verzerrt . Sie machte kein Geräusch, stand einfach nur da, bereit sich auf den Jungen zu stürzen und ihn dasselbe Schicksal wie das des Vaters erleiden lassen. Er war unfähig, sich zu bewegen, die Augen hatte er weit aufgerissen, sein Puls erreichte Höchstwerte.

Doch nichts geschah. Er schaffte es sich aus seiner Starre zu lösen und einen vorsichtigen Schritt nach hinten zu machen. Die Silhouette bewegte sich ebenfalls. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, als er wagte einen weiteren Schritt zu machen. Wieder bewegte sich die Silhouette. Nicht nur das, sondern sie schien kleiner zu werden. Mit jeden seiner Schritte zurück zur Tür wurde auch die Silhouette immer kleiner.                

Da dämmerte ihn, dass vor ihm ein Spiegel stand. Langsam näherte er sich dem Spiegel. Er war an mehreren Stellen zerschlagen worden, an vielen Stellen waren Sprünge. Blut klebte in den Rissen, der gesamte Spiegel war verschmiert mit einer undefinierbaren Mischung aus Dreck, Hass und Blut. Auf einmal bewegte sich etwas im Spiegel, ganz in der Nähe der Tür. Voller Schreck drehte er sich um.

In der Tür stand seine Mutter mit weit aufgerissenen Augen und geöffnetem Mund. „Was machst du hier?!“, schrie sie panisch, rannte auf ihn zu und packte ihn. Ohne ein weiteres Wort eilte sie zur Tür zurück, knallte sie zu und schloss sie mit dem Schlüssel ab, den er im Schloss stecken gelassen hatte. Sie eilte mit ihm die Treppe hinauf in sein Zimmer, schloss die Tür und setzte ihn auf sein Bett ab. „Nie und nimmer darfst du in dieses Zimmer herein!“, fuhr sie ihn an. „Mama“, brachte er nach einer Pause hervor, „da drin ist gar kein Monster! Papa hat gegen gar kein Monster gekämpft!“ 

Für eine kurze Zeit war es absolut still in dem Raum. Dann holte seine Mutter tief Luft und sah ihn mit Tränen in den Augen an. „Doch!“, sagte sie und fing an zu weinen. „Papa selbst war das Monster!“

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