LangeLegendenTod

Cropsey

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Er hasste Kinder. Gott… wie sehr er sie hasste.
Nein, nicht Kinder. Jugendliche. Teenager, diese halbstarken, überlauten Möchtegern-Trolle, die dachten, die Welt sei nichts als ein eigens für sie geschaffener Spielplatz. Respektlose kleine Monster mit dem Temperament eines Vulkans und der Selbstbeherrschung einer ausgehungerten Hyäne.

Er schüttelte sich, als er an ihre dreckig grinsenden Gesichter dachte.

Als er diesen Job angefangen hatte, hätte er nie gedacht, dass er solch einen großen Teil an Sozialarbeit beinhaltete. Sein Vater hatte sich damals sicherlich nie mit solchen Problemen herumschlagen müssen. Jedenfalls ganz bestimmt nicht so oft. Er hatte seinen Vater oft zur Jagd, oder bei seinen Kontrollrunden durch das Dickicht begleitet und nicht einmal waren sie auf eine Schande dieser Art gestoßen.
Seitdem er aber die Position des Försters übernommen hatte, machte sich jedes zweite Wochenende eine Gruppe von sorgenlosen Jugendlichen in seinen Wäldern breit um illegal zu Campen.

An sich war es ihm egal, ob hier irgendwelche Menschen ihre Zelte aufschlugen. Ganz im Gegenteil! Ginge es nach ihm, würde er jedem ans Herz legen, eine Nacht zwischen den Bäumen zu verbringen. Ungestört von jeglicher Zivilisation fühlte man sich so frei wie nie und er war der festen Überzeugung, dass die frische Luft und die zwitschernden Vögel so gut wie alles Seelenleiden heilen könnten. Nur deswegen hatte er sich damals eine kleine Hütte gekauft und war mit seiner Frau und seinem Sohn etliche Meilen von der nächsten Stadt weg gezogen.
Doch heutzutage schätzte so gut wie niemand mehr wert, was die Natur uns tagtäglich zur Verfügung stellte.

Und auch das wäre kein Problem gewesen, würden es manche nicht darauf anlegen auch noch das letzte bisschen Schönheit zu zerstören, dass diese Welt zu bieten hatte.
Wenn er einmal eine Horde Teenager nicht rechtzeitig erwischte, wusste er anhand des Mülls, den sie hinterließen, genau wie ihr Abend verlaufen war. Die Dinge, die er bereits aus dem Geäst hatte fischen müssen, waren unglaublich. Leere Wodka-Flaschen, halb zerrissene Packungen von billigem Tetra-Pack-Wein, das ein oder andere Kondom und eine Menge kleiner Plastiktütchen, in einigen von ihnen noch ein Hauch weißen Pulvers.

Die Drogen und der Alkohol interessierten ihn nicht. Auch er war einmal jung gewesen und hatte sich ausprobiert. Gott allein wusste, dass auch er den ein oder anderen Fehler in seinem Leben gemacht hatte, doch dafür hatte er gerade gestanden und die Suppe tapfer ausgelöffelt, die er sich selbst zubereitete. In seinen Augen war jeder für sein eigenes Glück, oder eben Pech verantwortlich und so verurteilte er niemanden für seine Lebensentscheidungen. Wenn diese jedoch Wellen schlugen, traf man bei ihm auf taube Ohren. Kaum zu glauben was passieren könnte, sollte eines der Wildschweine seine neugierige Schnauze in eines der Tütchen stecken.

Manchmal waren die Jugendlichen einsichtig. Dann verließen sie mit gesenkten Köpfen den Wald, entschuldigten sich sogar ab und zu bei ihm. In diesem Fall ließ sich sein altes Herz besänftigen und er bot ihnen gerne an, sie zur nächsten Bushaltestelle zu fahren und ihnen beim Tragen des Equipments zu helfen.
Doch die Gruppe, die er heute Mittag erst beim Aufschlagen ihrer Zelte erwischt hatte… ugh, sie brachten sein Blut zum Kochen!

Die Sonne stand noch nicht einmal ganz über ihnen, da hatten sie schon einen Stapel trockener Äste und Laub aufgesammelt. Seit Tagen hatte es schon nicht mehr geregnet, und obwohl der Herbst bereits vor der Tür stand sah es nicht so aus, als würde die Hitze so langsam abklingen wollen.

Und trotzdem hatten sie begonnen, alte Tannzapfen anzuzünden und in einen Kreis aus Steinen zu legen. Einen von ihnen hatten sie anscheinend zuvor in Tequila getränkt, dem beißenden Geruch nach zu urteilen, der ihm schon von mehreren hundert Metern weit entfernt in die Nase stieg.
Das allein machte ihn bereits so wütend, dass es ihm schwer fiel einen ruhigen Ton anzuschlagen, als er auf die kleine Lichtung trat, auf der bereits eines der Zelte stand.
Es waren zwei Jungen und zwei Mädchen, sicherlich nicht älter als 15 und der reinen Provokation wegen fragte er sie, ob ihre Eltern denn wüssten, dass sich eine ganze Flasche goldener Tequila in ihr Gepäck verirrt hatte.

Spätestens bei der Erwähnung ihrer Eltern wurden die meisten Kinder ihres Alters mucksmäuschenstill, doch nicht diese Bande hier.
„Halt die Schnauze, Alter“, rief einer der Jungen und brach zusammen mit seinem Freund in gackerndes Gelächter aus. Die Mädchen hielten sich bedeckt, saßen auf mitgebrachten Campingstühlen beim Feuer und schienen unbeeindruckt von dem Fremden, der ihren kleinen Ausflug zu stören versuchte. Diejenige von ihnen, die etwas älter aussah, fischte eine abgegriffene Packung Lucky Strike Zigaretten aus ihrem Anorak und hielt sie kurz ins immer größer werdende Feuer, um sie anzuzünden, bevor sie einen langen Atemzug davon nahm und den Rauch scheinbar gelangweilt in seine Richtung blies.

Ihr Desinteresse machte ihn noch wütender, doch er zwang sich zur Ruhe. Sie waren nicht die ersten dummen Teenager, die versuchten cooler zu wirken, als sie es waren. Die Herren dieser Schöpfung litten ganz klar unter dem Alpha-Männchen Syndrom, also musste er seine nächsten Worte geschickt wählen.

Er zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, das kam fast immer gut an. Und dann erklärte er ihnen so simpel wie möglich, warum ein Feuer zu dieser Jahreszeit eine sehr gefährliche Sache sein konnte.

Sie hörten ihm gar nicht zu, hatten nicht einmal den Anstand so zu tun als ob. Einer der Jungen nahm sich eine Zigarette aus der Schachtel des Raucher-Mädchens und steckt sie sich zwischen die Lippen, ohne sie anzuzünden. Dann setzte er sich ebenfalls ans Feuer und gemeinsam taten sie so, als wäre er gar nicht hier.
So langsam hatte er genug von dieser Bande. Er startete einen letzten Versuch mit einer ruhigen Bitte darum, das Feuer unverzüglich zu Löschen und ihre Zelte wieder zusammen zu packen.

Sie äfften ihn nach, streckten ihre Zungen raus und spukten ins Gras direkt vor seinen Füßen. Ein besonders schweres Publikum.

„Hör zu, alter Mann. Verpiss dich besser, bevor ich wütend werde.“, sagte Zigaretten-Junge mit einem zufriedenen Grinsen in der Stimme. „Dann ist der Wald hier dein geringstes Problem.“

Am liebsten hätte er laut aufgelacht. Der Kleine war schmächtig und hätte ihn nicht einmal umreißen können, hätte er Anlauf genommen. Doch sie waren zu viert, aufgeputscht von Wachstumshormonen und so beschloss er dennoch Vorsicht walten zu lassen.

Er erklärte ihnen, dass er nicht hier sei, um ihnen Ärger zu machen. Er mache sich nur Sorgen um ihr Wohl, fügte er hinzu. Nachts laufen hier einige gefährliche Gestalten herum.

„Uhhhh, der Boogeyman wird uns holen kommen“, flüsterte der andere Junge in einem verschwörerischen Singsang. Eigentlich hatte er die Wildschweine und Braunbären gemeint, die jetzt begonnen ihre Nahrungsvorräte für den Winterschlaf aufzustocken, doch er verbesserte den kurzen Blonden nicht.

Doch nun blieb ihm nur noch eine letzte Drohung, die er nur ungern aussprach.

Würden sie die Lichtung nicht innerhalb der nächsten halben Stunde räumen, sähe er sich gezwungen die Polizei zu rufen. Dann würden sie ihr Camping Abenteuer eben in einer Betonzelle verbringen.
Er hatte noch nie die Polizei gerufen, hatte es auch nie tun müssen. Und wie es aussah, schienen diesen Teenager nicht die ersten auf seiner Liste sein zu wollen.

Sie sparten sich die dummen Kommentare und warfen sich stattdessen fragende Blicke zu. Keiner von ihnen wollte derjenige sein, der am Ende nachgab und Schwäche zeigte.
Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen stand Raucher-Mädchen auf und warf ihre Zigarette ins Feuer. Sie drehte sich zu ihren Freunden und seufzte: „Na los, ihr habt das Arschloch gehört. Ich will nicht in den Knast.“

Ein klein wenig bewunderte er sie für die Gelassenheit, mit der sie die Proteste ihrer Gruppe entgegennahm und weiterhin gelangweilt ihren Campingstuhl zusammen klappte. Er war erleichtert drüber, keinen Streit führen zu müssen.

„Das Feuer kannst du selbst ausmachen. Wir haben kein Wasser dabei“, rief der Blonde über die Schulter hinweg in seine Richtung und wurde mit einer Runde Gelächter belohnt.
Er verdrehte die Augen, begab sich aber sogleich zu seinem Truck um den Wasserkanister zu holen, den er für solche Fälle stets auf der Ladefläche dabei hatte.

Als er zurückkam waren die Teenager schon so gut wie fertig bepackt.
Diesmal bot er nicht an, sie zur nächsten Bushaltestelle zu fahren, doch er folgte ihnen bis zur Straße, um sicher zu stellen, dass sie nicht einfach zur nächsten Lichtung wandern, und ihre Zelte dort aufstellen würden.

All das war nun schon etliche Stunden her und den ganzen Tag über hatte er es nicht geschafft, die vier Jugendlichen zu vergessen. Er war noch immer so wütend über den fehlenden Respekt, den sie ihm und der Natur entgegen brachten. Sein Kopf schmerzte schon, so lange hatte er bereits mit den Zähnen geknirscht.
Doch nun würde er nachhause fahren und seinen Sohn umarmen. Er würde daran denken, dass er Sven besser erziehen würde, als die Eltern dieser Teenager es getan hatten. Und er stellte sich vor, wie sie alle in ein paar Jahren auf den heutigen Tag zurückblicken, und sich über ihr eigenes Verhalten in Grund und Boden schämen würden. Der Gedanke beruhigte ihn ein wenig, lenkte ihn sogar so weit ab, dass ihm der beißende Geruch erst auffiel, als er in den letzten Waldweg vor seinem Haus einbog. Hier war der Wald viel dichter als im Süden und so hielt er den dicken Rauch im ersten Augenblick für Nebel, so skurril dieser Gedanke auch war.

Dann sah er die Flammen. Orange-rotes Feuer zügelte durch ein zerbrochenes Fenster nach den Gräsern vor seiner Haustür.

Er presste seinen Fuß so stark er konnte auf das Gaspedal, betete zu Gott, dass er schneller fahren und endlich zum Haus gelangen würde.

Tequila, er roch es ganz deutlich in der wabernden Hitze.

Panik setzte ihm einen Stein in die Kehle und Wasser gemischt mit Galle sammelte sich in seinem Mund. Er wollte sich übergeben, doch dafür blieb keine Zeit. Quietschend kamen die Reifen des Trucks nur wenige Schritte von seiner Hütte entfernt stehen und er riss die Tür auf. Rauch stob sofort in den Innenraum des Wagens, kämpfte sich dann so lang in seine Lunge, bis er das Wasser-Galle-Gemisch einfach aushustete und ließ ihn für einen Augenblick schwanken.
Die Türen des Trucks hatten die Geräusche gedämpft, doch nun hörte er sie so laut und nahe, dass ihm Tränen in die Augen stiegen.
Die Schreie.
Sein kleiner Sven, seine geliebte Annie.
Er hörte sie über das tobende Knistern des, immer wilder brennenden, Feuers kreischen. Todesangst lag in Annies Stimme. Sie brüllte, wie er es bisher nur von tollwütigen Tieren kannte.

Er dachte nicht darüber nach, bevor er auf die Haustür zustürmte und versuchte sie aufzubrechen. Das Holz war stabil, gerade erst erneuert worden, doch er gab erst auf, als das gefährliche Knacken nicht mehr von den Balken, sondern von seiner Kniescheibe her stammte. Er rüttelte am Türknauf und verbrannte sich sofort die Handinnenfläche an dem heißen Messing.

Als seine Sicht verschwamm realisierte er, dass auch er die ganze Zeit über geschrien und den giftigen Rauch um ihn herum geschluckt hatte. Schnell legte er sein Hemd über Mund und Nase und ging ein paar Schritte zu dem halb zerbrochenen Fenster hinüber. Mit der Hand, deren Haut noch intakt war, schlug er auf die kaputte Schreibe ein, bis seine Fingerknöchel bluteten und das Loch groß genug war, um seinen Körper hindurchzupressen. Er war so voller Adrenalin, dass er kaum spürte, wie die Spitzen Glasenden in das weiche Fleisch seines Unterbrauches schnitten, abbrachen, und sich tiefer in ihn drückten, als er mit einem lauten Knall in sein brennendes Wohnzimmer fiel.

Ihre Bücher brannten Lichterloh, die Stehlampe hatte bereits keinen Schirm mehr und der kleine Plastikbecher mit den Katzen darauf, aus dem sein Sohn so gerne trank, war bereits bis zum Boden weggeschmolzen.
In den Sekunden, in denen er sein gesamtes Leben vor seinen Augen verbrennen sah, realisierte er auch, dass Stille eingekehrt war. Das Tosen des Feuers war noch immer so laut wie heiß, doch kein einziger Schrei war mehr zu hören.

Stattdessen mischte sich das Heulen einer Sirene unter die Geräuschkulisse.

Sie würden es schaffen. Hilfe war schon unterwegs. Er müsse nur zu Annie durchkommen, und dann könnten sie aus dieser Hölle fliehen. Sie würden sich einfach ein neues Leben aufbauen müssen.

Er schlug einen Arm vor seine Augen, die von der trockenen Hitze und dem Rest an Alkohol in der Luft schmerzten. Wollte er ins obere Stockwerk gelangen, so müsse er direkt durchs Feuer ziehen.
So schnell er konnte entledigte er sich seines Hemdes und der Hose, um dem Feuer nichts zu geben, an das es sich klammern könnte. Er riss einen der Ärmel in Stücke und behielt eines davon, um seine Atemwege weiterhin zu schützen. Dann setzte er einen Schritt vor den anderen, ignorierte den Geruch von angekokeltem Fleisch und das Zischen der Härchen, die eines nach dem anderen von seinem Körper brannten.

Er fand seine Frau und seinen Sohn im Schlafzimmer. Sie kauerten vor dem geöffneten Fenster, so als hätten sie vorgehabt, herauszuspringen. Beinahe hätte er sie nicht erkannt. Er WÜNSCHTE, er hätte sie nicht erkannt. Sie hatten es nicht mehr hinaus geschafft. Sein Sohn hinkte nach einem Fahrradunfall stark mit seinem linken Bein und Annie war nicht stark genug gewesen, den Jungen zu tragen. Das Feuer war schneller gewesen als sie.
Verkohlte Puppen, mehr war von ihnen nicht mehr übrig. Annie hatte die Arme um den kleinen Sven gelegt, hatte ihn an ihre Brust gepresst und ihm die Augen zugehalten. Dort, wo ihre Körper sich berührten, schienen sie wie miteinander verschmolzen.

Sven, das konnte er genau sehen, hielt eine kleine Puppe fest umklammert, mit dem Kopf nach vorne geneigt, so als wäre er in den Armen seiner Mutter einfach eingeschlafen.
Es war der kleine Braunbär, den er ihm zum Geburtstag geschenkt hatte, und den Sven seitdem jede Nacht mit ins Bett nahm.

Das Feuer hatte ihn nun umzingelt. Es gab kein vor und kein zurück mehr, keinen Ort, an den er sich noch retten konnte. Doch das störte ihn nicht. Wie in Trance setzte er sich neben die noch immer dampfenden Körper seiner Liebsten und legte einen Arm um Annies schmelzenden Schultern.

Er hörte die Haustüre aufbersten, ein paar tiefe Stimmen riefen nach ihnen, doch er nahm sie gar nicht wahr. Wenige Sekunden, nachdem er sich gesetzt hatte, nahm er den Fetzen seines Hemdes vom Mund, und begann erneut zu schreien.

 

Die Erinnerung erwischte ihn jedes Mal aufs Neue eiskalt.
Anscheinend war er mal wieder weggenickt. Das passierte ihm in letzter Zeit immer häufiger. Er würde eben auch nicht jünger, sagte sein Therapeut in beinahe jeder seiner Sitzungen. Die Therapie hatte er gerichtlich verordnet bekommen, nach seinem Nervenzusammenbruch im Gerichtssaal, doch wer hätte ihm diesen verübeln können? Man hatte ihn gerade frisch aus dem Krankenhaus entlassen. Er trug noch immer Verbände und Stützstrümpfe über dem gesamten, von Brandwunden übersäten Körper und musste in die verheulten Gesichter der Menschen blicken, die seine Familie ausgelöscht hatten.

Die vier Teenager waren relativ schnell festgenommen worden, nachdem sie der Polizei auf ihrer Flucht so gut wie direkt in die Arme liefen. Nun saßen sie dort auf der unbequemen Holzbank, Augen rot vom vielen Weinen und warteten auf das Urteil der Jury. Er hätte eigentlich nicht kommen müssen. Jeder hätte verstanden, wenn die heutige Verhandlung zu viel für seine ohnehin geschundene Seele gewesen wäre. Doch er wollte hier sein. Wollte in ihre Gesichter blicken, wenn die Staatsanwaltschaft davon erzählte, wie seine Frau und sein Sohn bei lebendigem Leibe verbrannten. Er hatte sich tapfer geschlagen, bis der Richter das Urteil über die vier Täter verhängte.

Sozialstunden.
Gottverdammte Sozialstunden, und nicht mal mehr als 30 davon.

Man sei sich einig, dass Annies und Svens Tod ein mehr als tragischer Unfall gewesen war, aber nun mal nicht mehr als das: ein Unfall. Keiner der vier hätte gewusst, dass sich in der Hütte irgendwelche Personen aufhielten, schon gar kein Kind!
Es wäre ein jugendlicher Streich gewesen, der unerwarteterweise ausartete.
Nichts, worüber man gleich vier Leben in den Sand setzen müsste.

Und was war mit seinem Leben, hatte er dem Richter aus dem Publikum heraus zugeschrien. Was war mit dem Leben seiner Frau und seines Kindes? Waren sie wohl weniger wert als die vier Brandstifter vor ihm?

Er bekam keine Antwort, nur eine Verordnung von Therapiestunden, die er am Ende auch noch selbst hatte zahlen müssen.
Was erwartete er auch von einem System, dass seine eigenen Bürger bluten sehen wollte?

Nur so war er hier gelandet, da war er sich sicher.
Denn hätte man damals für Gerechtigkeit gesorgt, hätte er die ganze Sache nicht selbst in die Hand nehmen müssen.

Er legte seinen Kopf in die Hände und seufzte einmal tief. Das künstliche Licht aus den Neonröhren über seinem Kopf machte ihn müde. Vielleicht sollte er doch in eine Tageslichtlampe investieren.
Sein Therapeut würde ihm sicher dazu raten.

Ein leises Stöhnen hinter ihm riss ihn aus den Gedanken und sein Kopf schnellte wieder nach oben.
Über die Erinnerungen hinweg hatte er doch glatt seinen kleinen Gast vergessen.

Er drehte sich auf seinem Stuhl um 180 Grad und blickte zu dem schmalen Feldbett, dass am anderen Ende des Raumes an der Wand stand. Der zierliche Körper darauf hatte begonnen, sich zu bewegen.
Es würde noch ein paar Minuten dauern, bis die Wirkung des Betäubungsmittels nachließ, doch er würde sich schon mal bereit machen müssen.

Mit einem angestrengten Schnauben hievte er sich hoch. Seit dem Tod seiner Frau hatte er ein paar Kilo zugelegt.
Er machte ein paar Schritte auf das Feldbett und das Nachtschränkchen zu, an dem eine Axt mit rot glänzender Schneide lehnte. Damals war sie sein ständiger Begleiter gewesen und hatte Bäume gefällt, als wären sie nichts weiter als Zahnstocher.

Kurz nachdem er seine gerichtlich verordneten Therapiestunden absolviert und sich dazu entschieden hatte, die Therapie dennoch weiter zu führen, hatte er all sein Geld in diesen Keller investiert. Angeblich handelte es sich bei diesem Untergrundgeflecht um den Bunker eines Mannes, der sein Leben dafür verschwendet hatte, sich auf das Ende der Welt vorzubereiten. Wer auch immer er war, er hatte gute Arbeit geleistet. Es gab einen großen Hauptraum, mit Sauerstoffversorgung und in die Wand eingelassenen Versorgungsschränken. Sogar an ein Abflusssystem wurde hier gedacht, obwohl es hier noch gar kein fließendes Wasser gab. Keine Chance auf ein Netz, oder eine Internetverbindung, Strom nur aus dem Generator.
Doch das Beste an diesem Gewölbe, waren seine Tunnel. Ihr Erbauer musste Jahrzehnte damit verbracht haben, dieses Netz aus Gängen aufzustellen. Es hatte mehrere Stunden gebraucht, sie alle abzugehen. Viele von ihnen endeten in Sackgassen.

Es war der perfekte Ort für jemanden wie ihn. Jemanden, der die Menschheit nicht mehr sehen wollte, der am liebsten als einziges Lebewesen auf diesem Planeten existiert hätte. Hier unten fühlte er sich wie der letzte Überlebende eines Atomkrieges.

Die vier Jugendlichen von damals hatte er nach der Gerichtsverhandlung nie wieder gesehen. Vielleicht waren sie weggezogen, vielleicht hatte er nicht gut genug nach ihnen gesucht, doch am Ende des Tages machte das keinen wirklichen Unterschied mehr. Mittlerweile sahen sie für ihn alle gleich aus.
Der Kleine, der gerade müde vor sich hin blinzelte, trug in seinen Augen das Gesicht des Zigaretten-Jungen. Erst letzten Monat hatte er zwei junge Mädchen hier liegen, die ihn beide an das Raucher-Mädchen erinnerten.

„Du musst nicht schreien, das wird dir nur weh tun“, sagte er sanft, als der Junge wach genug zu sein schien, um seine Worte aufnehmen zu können. Er wusste mittlerweile, dass das Mittel, welches er jedem der Kinder… nein, Jugendlichen, spritzte die Kehle austrocknete und das Schreien die Stimmbänder reizte. Viele von ihnen schrien doch, nur um Sekunden später in einen Hustenanfall über zu gehen. Dann schüttelte er nur enttäuscht mit dem Kopf und wartete extra ein paar Minuten länger, bis die Narkose auch wirklich komplett abgeklungen war.

Diesmal schien er jedoch ein klügeres Exemplar erwischt zu haben. Schon als er ihn im Wald aufgesammelt hatte, hatte er gewusst, dass dieser Junge ihm weniger Probleme bereiten würde als der letzte. Dieser hier konnte kaum Älter als 14 sein, vielleicht war er sogar der bisher jüngste Gast, den er in seinem Keller willkommen heißen durfte.
Er hatte ihn bei der Jagd entdeckt. Es sah so aus, als wäre der Junge gerade dabei gewesen Pilze zu sammeln, jedenfalls trug er einen großen Flechtkorb bei sich.
Pilz-Junge war so in seine Arbeit vertieft, dass er die Schritte aus dem Gebüsch gar nicht näher kommen hörte. Und als die Spritze in seinen Hals fuhr, wurde er sofort so still und bewegungslos wie ein Reh im Scheinwerferlicht.

„Ich werde jetzt die Achillessehne deines linken Fußes durchtrennen. Es wäre ziemlich viel von mir verlangt, dich auch jetzt zu bitten, nicht zu schreien, aber ich wäre dir sehr verbunden, wenn du still bleiben würdest. Die Narkose ist noch nicht ganz abgeklungen, es wird also nicht so sehr weh tun, wie es das könnte. Das ist doch schon mal was, oder? Hier.“

Er zog den Gürtel aus seiner ohnehin bereits spannenden Jeanshose, faltete ihn zweimal zusammen und drückte ihn zwischen die Kiefer der Pilz-Jungen.

„Da kannst du drauf beißen, hab gehört das soll helfen. So…“, murmelte er und schob seine Hände unter Rücken und Oberschenkel des Teenagers. Mit einem Ruck hatte er ihn zur Seite gedreht, so weit, dass sich seine Schultermuskulatur überspannte und ein von der Matratze gedämpftes Ächzen zu ihm durchdrang. Vielleicht war die Narkose doch schon weiter abgeklungen, als gedacht. Er musste schnell handeln.

Schnurstracks griff er die Axt so nahe der Klinge wie möglich und setzte an der Ferse des Pilz-Jungen an. Ohne auch nur eine Sekunde lang zu zögern holte er ein wenig aus, stellte sich vor, dass der Fuß, den er gerade festhielt, ein dünner Holzscheit war, den er für den Kamin hälftete. So präzise wie seine zitternden Finger es erlaubten, ließ er die Klinge der Axt hinunter sausen, mit gerade so viel Kraft um ein paar gute Zentimeter ins Fleisch zu schneiden, nicht jedoch den ganzen Fuß abzutrennen. Pilz-Junge verdiente eine Chance, so, wie sie es alle taten.

Das hier war der Teil, der ihm am wenigsten gefiel. Nicht nur war die ganze Arbeit mit einer Menge Blut verbunden, er fühlte sich auch ein wenig schlecht dafür, dem Jungen Schmerzen zuzufügen. Doch es ging hier ums Prinzip, um Gerechtigkeit, und für die mussten die Voraussetzungen eben fair sein.

„Es wird noch eine ganze Weile weh tun. Wenn ich du wäre, würde ich jetzt erstmal nicht versuchen, das Bein groß zu belasten. Denk dran, wenn ich dich gleich losmache.“, sagte er nüchtern und drehte den Pilz-Jungen wieder zurück auf den Rücken. Er schien jetzt so gut wie wach zu sein und atmete schwer durch den Ledergürtel in seinem Mund. Den würde er dann später selbst entfernen können.

Bevor er die Fesseln des Jungen löste, der vor Tränen höchst wahrscheinlich noch gar nichts sehen konnte, machte er sich auf zur schweren Eisentür, die er bei seinem Einzug eigentlich hatte auswechseln wollen, da die Scharniere quietschten, egal wie viel Öl er ihnen fütterte. Er öffnete sie und gab den Blick auf das stockdunkle Tunnelsystem frei, dass sich etliche Meilen weit erstreckte und einem Labyrinth ähnlich war. Ein beißender Geruch stieg ihm in die Nase. Nicht Tequila, nein. Selbst nach all den Jahren war es eben dieser Geruch, den er auf den Tod nicht ertragen konnte.

Die Tunnel stanken nach Benzin. Das taten sie jetzt schon seitdem er sein Leben in den Untergrund verlegt hatte, doch nachdem er vor ein paar Stunden erst eine neue Spur gezogen hatte, war der Geruch noch frisch und ätzend.

Er drehte sich weg, in der Hoffnung die Türe bald wieder schließen zu können, und trat wieder auf das Feldbett zu. Die Atmung des Pilz-Jungen ging nun so schnell, dass er fürchtete ihn bald hyperventilieren zu sehen.

„Du musst keine Angst haben, kleines Bärchen“, log er und bog sich hinab, um die Fesseln zu lösen, „Sobald du deine Fesseln los bist, kannst du gehen wohin du willst.“
Der Pilz-Junge schien sich ein wenig zu beruhigen, warf ihm jedoch einen skeptischen Blick zu.
Er entschied sich seine Worte aufzusparen, ließ lediglich die Fesseln auf den Boden fallen und entfernte sich von dem Feldbett, um sich zurück auf seinen Drehstuhl zu setzen. Ächzend ließ er sich auf dem Polster nieder und Gestikulierte zur offen stehenden Tür.

Pilz-Junge zögerte, rieb sich die Handgelenke und versuchte sein linkes Bein so wenig wie möglich zu bewegen. Der Schmerz war sicher unvorstellbar. Noch schlimmer würde es werden, wenn er versuchte damit zu rennen.
Der Junge riss sich den Ledergürtel aus dem Mund und warf ihn zur Seite.

„Wer zur Hölle bist du?“, fragte der Teenager mit rauer, noch recht hoher Stimme und warf dabei immer wieder einen Blick auf die geöffnete Bunkertür, so als würde sie sich jeden Augenblick von selbst wieder schließen.
Diese Frage schien ihm wirklich auf der Seele zu brennen, wenn er die Chance auf Freiheit für ihre Antwort aufschob.

Er schnaubte. Das hatten sie ihn alle gefragt.

„Der Boogeyman“, raunte er und brach kurz darauf in schallendes Gelächter aus. Der Witz wurde nie alt und es wurmte ihn manchmal, dass nur er ihn zu verstehen schien.

„Willst du Fragen stellen, oder willst du laufen? Dann fühle ich mich aber dazu gezwungen, die Axt wieder zur Hand zu nehmen. Aber am Ende ist es deine Entscheidung.“

Sie entschieden sich nie für die Axt. Selbst wenn sie das Benzin rochen, entschieden sie sich stets für die Tunnel. Dabei hätte er es ihnen kurz und schmerzlos gemacht.
Doch auch nach allem, was in seinem Leben passiert war, glaubte er noch immer daran, dass jeder sein eigenes Glück in der Hand hielt und wäre nie darauf gekommen, diese letzte Entscheidung zu hinterfragen. Schließlich wartete in den Tunneln noch ein Funken Hoffnung.

Der Pilz-Junge stellte sich auf und sackte sogleich keuchend in sich zusammen. Er hatte ihn gewarnt und trotzdem hatte er versucht, sein linkes Bein zu belasten.
Doch er lernet schnell und humpelte schon bald auf die Eisentüre zu. Sein Kopf zuckte immer mal wieder zur Seite, um seinen Fänger im Auge zu behalten.

Erst als er den Türrahmen durchschritten hatte, weit genug entfernt war um sich sicher zu sein, dass der alte Mann ihn nicht mehr schnell genug erreichen konnte, drehte er ihm vollkommen den Rücken zu und floh in die Dunkelheit der Tunnel. Seine nackten Füße klatschten auf dem nassen Betonboden.

Er gab dem Pilz-Jungen 2 Minuten Vorsprung. Er war das Hinken nicht gewohnt, und so hatte er sich diesen kleinen Vorteil mehr als verdient.
Seine Armbanduhr stetig im Blick behaltend lauschte er dem klatschenden Rhythmus der Flucht und als die 2 Minuten abgelaufen waren, erhob er sich wieder mit einem angesträngten Keuchen und trat auf den dunklen Tunnel zu.

Vielleicht sollte er dem nächsten Teenager eine Taschenlampe mitgeben. Vielleicht würde es das fairer machen.

Er schob eine beinahe taube Hand in die Gesäßtasche seiner Jeans und holte eine Packung Streichhölzer hervor. Mit einem schnellen Ratsch entzündete er das Hölzchen und hielt es zwischen seinen Fingern, bis seine Fingernägel langsam begannen sich schwarz zu färben.

Dann schnippte er es in die Tiefen des Labyrinths, zündete Flammen, die dem Weg des Benzins folgten. Das Feuer warf flackerndes Licht auf sein von Brandnarben übersätes Gesicht.
Noch ein paar Sekunden ließ er die Hitze auf seine dicke Haut fallen, bevor er die Bunkertür wieder schloss und sich zurück zu seinem Platz bewegte.

Er erwischte sich dabei, wie er für einen kurzen Augenblick hoffte, dass Pilz-Junge seine Flucht gelingen würde. Vielleicht wollte er ja, dass jemand seiner Menschenjagd ein Ende setzte.

Doch wie wahrscheinlich war das schon?
Bisher war das Feuer immer schneller gewesen.

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