ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Als Kind war ich immer fasziniert von „althergebrachten“ Entertainern. Bauchredner, Zauberer, Zirkusartisten, Puppenspieler oder Pantomimen. Mit wenigen Kleinigkeiten konnten sie in meiner Fantasie die Tore zu ganz anderen Welten öffnen und mich komplett in ihren Bann ziehen. Über die Jahre habe natürlich auch ich das Interesse an solcherlei Unterhaltung verloren und mich mehr und mehr der modernen Unterhaltungselektronik zugewandt, behielt die heimlichen Helden meiner Kindheit jedoch immer in guter Erinnerung und stiller Bewunderung.
Meine doch etwas nostalgische Faszination mit diesen alten Künsten der Unterhaltungsbranche fand eines Abends jedoch ein jähes – und unumstritten verstörendes Ende.
Ich hatte mich dazu entschlossen, nach Berlin in eine der letzten Aufführungen von „Tanz der Vampire“ zu gehen. Ich wollte immer schon dort hin, konnte mich aber erst durchringen, als ich hörte, dass das Musical Deutschland verlässt.
Nach einer gelungenen Vorstellung zog ich also zufrieden durch die Straßen Berlins. Dem Abendprogramm angepasst in einen weinroten Samtmantel und Brokathemd gekleidet sollte mich mein Weg in eine Underground-Bar führen, bei der ich oft und gern einkehre. Ein Bier auf einen gelungenen Abschluss des Abends, bei Musik und in Gesellschaft Gleichgesinnter wollte ich mir einfach noch gönnen.
Die Hauptverkehrswege, oder die U-Bahn zu nutzen schien mir diesen Abend nicht sonderlich angebracht. Das Wetter war sehr angenehm – nicht zu kühl – und die Sonne stand noch hoch genug um den Himmel passend zum Abendthema blutrot zu färben. In einer der Seitenstraßen fielen mir ein paar Jugendliche auf, die sich um einen alten Mann scharten und kicherten. Paranoid, wie ich in solchen Situationen bin, bereitete ich mich darauf vor, im Notfall einzugreifen, sollte sich herausstellen, dass der alte Herr getriezt oder gequält würde.
Langsam trat ich also an die Gruppe heran und stellte zu meiner Entzückung fest, dass es sich nicht wie zuerst befürchtet um eine Straftat, sondern vielmehr um Unterhaltung hielt. Der Alte schwenkte eine Puppe an Fäden hin und her, ließ sie ein paar kleine Kunststückchen vollführen und erzählte dabei durch die Puppe bauchrednerisch schmutzige Witze.
Ich konnte einfach nicht anders als stehen zu bleiben. Fasziniert von der Präzision und der Fingerfertigkeit im Umgang mit seiner Puppe betrachtete ich das Schauspiel einige Minuten. Der Alte schien trotz seines ausgesprochen großen Unterhaltungstalentes irgendwie abwesend zu sein. Er war nicht bei der Sache und starrte stur und ausdruckslosen Gesichtes ins Leere. Ich dachte mir, um so präzise und akkurat mit den Fäden umgehen zu können, muss er das schon seit Jahrzehnten tun – und dadurch ist es nicht mehr anstrengend oder erfordert seine Aufmerksamkeit. Routine und Betriebsblindheit haben sich bei ihm eingeschlichen und der Trott des tagein-tagaus immer wiederkehrenden Handelns hat ihn sicher abgestumpft.
Auch wenn ich es nachvollziehen konnte und mir der Mann auf dieser Ebene sogar ein wenig leid tat, schmunzelte ich die ganze Zeit über beide Ohren. Die derben Witze waren sicherlich einige Male schwer unter der Gürtellinie, beinhalteten allerdings immer wieder faszinierend auf den Punkt gebrachte Beobachtungen der Gesellschaft, die durch die offensichtlichen Jahre als Straßenkünstler wohl Ausdruck seiner Unzufriedenheit waren.
Die Witze und Kunststückchen gingen knapp zehn Minuten lang weiter, bis die Puppe ein Stofftaschentuch aus der Jacke des Alten zog, vor sich ausbreitete und sich schlussendlich verbeugte, für die Aufmerksamkeit des Publikums bedankte und einen schönen Abend wünschte.
Ein paar der Jugendlichen zogen etwas Kleingeld aus ihren Taschen und legten es unter lachenden Komplimenten auf das Tuch und auch ich wollte den Alten unbedingt entlohnen. So viel Talent und Fähigkeit durfte in meinen Augen einfach nicht ungesehen und ungelohnt bleiben.
Während ich also grinsend in meinem Portemonnaie kramte, sah die Puppe den weitergehenden Jugendlichen nach.
„Hätte nicht gedacht, dass die was spenden. Normalerweise sind diese nutzlosen Bastarde für nichts als Spott und Häme zu haben.“
Ich hob den Kopf, sah kurz zur Puppe und schaute dann selbst den Jungs nach.
„Ja, manchmal geschehen wohl doch noch Zeichen und Wunder. Und lieber lasse ich mich positiv überraschen als negativ.“
Ich wandte meinen Blick wieder der Puppe zu, ging in die Hocke und schaute mir ihre Verarbeitung genauer an. Sie war ganz klar sehr alt, vielleicht sogar schon als antik zu bezeichnen. Das Holz hatte tiefe Spalten, die Farbe platzte an vielen Stellen ab und sie sah allgemein sehr mitgenommen aus.
„Sie haben ein unglaubliches Talent, wissen Sie das?“, fragte ich und wollte aus Neugierde die Hand der Puppe greifen. Sofort bekam ich eins vom Holzmännchen auf die Finger.
„Pfoten weg, Jungchen! Keiner hat was von Anfassen gesagt.“, fauchte mir der hölzerne Miniaturmensch entgegen.
Ich sah es nicht als gemein an, schließlich war die Puppe sehr alt und sein Lebensunterhalt schien von ihr abzuhängen. Ich entschuldigte mich höflich und legte drei Euro auf das Taschentuch.
„Warum sitzen Sie auf der Straße? Mit Ihren Talenten könnten Sie doch ins Theater oder generell in die Unterhaltungsbranche.“
„Mir gefällt es hier. Die Straße zeigt mir die echten Leute und nicht die aufgetakelten Snobs, die sich teure Opernkarten und Abendkleider leisten und denken, sie wären etwas Besseres.“
„Hmm…ich verstehe. Trotzdem sind sie sehr begabt. Mein Kompliment.“
Mir fiel erst dann wirklich auf, dass ich anstatt mit dem Alten, die ganze Zeit mit der Puppe redete. Aber der Alte redete ja auch nicht aktiv mit mir, sondern sprach immer noch durch die Puppe.
„Sie können ruhig direkt mit mir sprechen“, offerierte ich höflich „Oder wollen Sie nicht aus der Rolle fallen?“
„Nein, kann er nicht.“, entgegnete mir die Puppe kurz
„Warum?“
„Das geht dich wohl kaum etwas an, Jungchen.“
Ich hatte Schwierigkeiten, nicht wirklich sauer zu werden. Die Antwort der Puppe kam so rüde herüber, wie die Witze, die sie zuvor noch gerissen hatte und ich entschloss mich dazu, meinen Weg fortzusetzen.
Ich verbeugte mich leicht, wünschte einen angenehmen Abend und ging meines Weges, ohne weiter über den Puppenspieler nachzudenken.
Ein paar hundert Meter weiter kreuzten sich zwei Nebenstraßen und als ich nach links und rechts schaute, um mich über den Verkehr zu versichern, rutschte mir kurz das Herz in die Hose. Links von mir auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand der Alte.
Wieder vollführte er die gleichen Kunststücke, erzählte die gleichen Witze – aber wie um alles in der Welt ist er schneller gewesen als ich? Ich mag nur ganz normal gegangen sein, aber der Alte machte nicht den Eindruck, als sei er sonderlich gut zu Fuß. Ich konnte meinen Blick einfach nicht von ihm und seiner Puppe abwenden, als ich langsam weiterlief. Und obwohl uns vielleicht vierzig oder fünfzig Meter voneinander trennten, wollte ich den Abstand schnellstmöglich vergrößern. Als ich gerade im Begriff war, hinter einer Hausecke zu verschwinden und den Puppenspieler aus dem Blick zu verlieren, drehte sich seine Puppe mit dem Kopf zu mir. Während der Alte immer noch lethargisch und ausdruckslos ins Leere starrte, fixierte mich diese Puppe plötzlich geradezu. Mir blieb vor Schreck buchstäblich die Luft weg. Ich war für den Bruchteil einer Sekunde wie gelähmt.
Den Rest des Weges habe ich mich immer wieder umgedreht, war ständig auf Alarmstation. Immer wieder hatte ich das Gefühl, die Augen dieser Puppe auf mir ruhen zu haben, aber egal, wie oft ich mich umschaute, wie hektisch sich mein Kopf drehte und wie frequentiert mein Blick durch die Umgebung sprang, ich sah den Puppenspieler nicht mehr.
Erst im Club selbst konnte ich endlich ein wenig abschalten und versuchte, das Ganze einfach als Deja-vu abzutun. Meine zittrigen Hände sprachen allerdings eine deutlich andere Sprache.
Die Barkeeperin fragte mehrfach, ob alles mit mir in Ordnung sei, ich würde wohl ziemlich aufgewühlt aussehen, gab sich aber mit der Begründung, ich hätte einen stressigen Tag hinter mir, zufrieden.
Langsam aber sicher fiel der Vorfall mit dem Alten von mir ab. Je weiter die Stunde fortschritt, umso ruhiger und entspannter wurde ich. Letztendlich konnte ich Musik, Getränke und Gesellschaft so genießen, als wäre nichts geschehen.
Gegen 4 Uhr morgens machte ich mich dann auf den Heimweg. Gut gelaunt und zufrieden schlenderte ich durch die Straßen Berlins Richtung Hauptbahnhof. Die Temperaturen waren stark genug gefallen, um den Atem sichtbar werden zu lassen. Viele Menschen waren nicht mehr unterwegs und die Stadt selbst schien generell relativ ruhig zu sein.
Kurz vor dem Hauptbahnhof überkam mich allerdings erneut das Gefühl, dass ich beobachtet würde. Ich drehte mich zu allen Seiten um, fast schon panisch versuchte ich mich zu vergewissern, dass mir mein Unterbewusstsein einfach nur einen kleinen Streich spielt, aber hinter einem Baum, ungefähr 100 Meter von mir entfernt, stand jemand. Ich konnte nicht wirklich erkennen, wer oder was dort so regungslos verharrte, aber ich wusste, dass es der Alte war – und er stand direkt in meinem Weg zum Bahnhof…
Keine Chance, dass ich dem jetzt noch über den Weg laufe, dachte ich mir und bog in eine andere Straße ab, um den Puppenspieler zu umgehen und hinter ihm wieder auf meinen ursprünglichen Weg zurückzukehren. Meine Beine zitterten vor mehr als nur Kälte und ich hatte ernstliche Mühe damit, meine Geschwindigkeit hoch zu halten. Einige hundert Meter später wollte ich also wieder Richtung Hauptbahnhof einbiegen, als ich wieder vor diesem verfluchten Alten Mann stand. Vielleicht 10 Meter entfernt stand er da, die Puppe aufrecht und ihr Blick mich fixierend. Mir blieb der Atem stehen, meine Sinne schlugen Alarm, ich wollte rennen und schreien, alle Muskeln waren gespannt und zitterten. Mein Herz raste schneller, als ich es je für möglich hielt, hämmerte schwer gegen meinen Brustkorb und war so laut, dass ich fürchtete, es würde mir gleich aus der Brust springen.
„Guten Abend Jungchen“ tönte es von der Puppe.
Ich nickte nur zitternd. Hätte ich versucht, etwas zu sagen, wäre in dem Moment so oder so kein Ton dabei herausgekommen.
„Ist dir kalt? Du zitterst ja wie Espenlaub.“
Ich wusste in dem Moment nicht, was das sollte…War die Frage ernst gemeint oder spielte der Alte ein widerliches Spielchen? Das ganze stank zum Himmel.
Vorsichtig zwang ich meinen Körper, sich langsam und möglichst unauffällig zu bewegen. Meine Arme und Hände gehorchten mir nur widerwillig, konnten aber schlussendlich an meinen Gürtel greifen und den Griff meines Messers umklammern.
„Schau mal einer an, vorhin warst du noch so redselig… was hat dir denn auf einmal so plötzlich die Sprache verschlagen?“
Langsam aber sicher ging es mir tierisch auf die Nerven, dass der Alte nur über die Puppe sprach. Eigener Stil hin oder her, das machte die ganze Situation einfach nur tausendmal bedrohlicher. Und langsam schaltete mein Körper auf Kampf. Ich konnte ihm nicht entkommen und da Flucht ausfiel, blieb nur die Konfrontation.
Ich atmete einmal tief durch, und als ich im Begriff war etwas zu sagen, fuhr mir die Puppe direkt über den Mund.
„Lass es gut sein. Streng dich gar nicht erst an, du würdest sowieso kein bisschen bedrohlich klingen. Dazu zitterst du viel zu sehr.“
Der Alte ließ die Puppe vor mir auf und ab wandern, wie einen der CEO bei irgendwelchen Präsentationen, den Blick starr ins Leere gerichtet.
„Was zur Hölle wollen Sie von mir?“
„Nichts, Jungchen… ich will mich nur unterhalten.“
Ich wandte meinen Blick von der Puppe und keifte den Alten an: „Dann unterhalten sie sich gefälligst selbst mit mir, anstatt über diese verfluchte Puppe!“
Natürlich antwortete der hölzerne Kamerad „Tue ich doch“
„Oder was glaubst du, wer von uns die Puppe ist?“
Ich könnte schwören, dass mir einen Moment das Herz stehen blieb. Mein Atem stockte auf der Stelle und ich spürte einen Anfall von Schwäche, als ob mir jeder Muskel im Körper gleichzeitig den Dienst versagte. Meine Augen weiteten sich und ich sah zum ersten Mal genau genug hin.
Die Atemluft, die dem hölzernen Männchen sichtbar an die Kalte Luft entwich. Nicht der Alte, sondern die Holzfigur atmete. Lachend riss sie die Fädenkreuze aus den Händen des Alten, der daraufhin in sich zusammensackte wie Stofftuch oder Laken. Ganz so, als hätte er nicht einen einzigen Knochen oder Muskel im Körper.
Meine Beine versagten, ich fiel unkontrolliert auf die Straße, unfähig zu schreien vor purem Terror. Der Aufschlag auf dem Asphalt muss meinen Adrenalinschub ausgelöst haben. Ich riss meinen Körper nach oben, zerriss dabei meinen Mantel, weil sich meine Füße auf ihm aufstützten und rannte – oder vielmehr stolperte zumindest die ersten Meter, so schnell ich konnte.
Meine Lunge brannte, meine Beine zitterten, sackten immer wieder unter mir weg, aber so lange ich diese Puppe lachen hören konnte, blieb ich nicht stehen, drehte mich nicht um.
Alles was mir einfiel war zum Hauptbahnhof zu kommen, ins Licht, unter die Augen der Überwachungskameras direkt bei der Polizeidienststelle.
Ich warf mich dort in eine Ecke, zusammengekauert mit meinem Messer so fest in der Hand, dass sich meine Muskeln verkrampften und ich Schwierigkeiten hatte, den Griff loszulassen, als endlich die Sonne aufging und langsam aber sicher mehr und mehr Menschen in den Bahnhof strömten.
Ich stellte mich auf dem Gleis immer wieder in die Nähe anderer Leute, nie allein. Selbst im Zug zog ich die vollere Etage vor.
Erst als der Zug endlich den Bahnhof verließ, konnte ich ein wenig ruhiger werden und sah aus dem Fenster dem Puppenspieler zu, wie er die Leute unterhielt… mit den selben Kunststücken und derben Witzen, wie am Tag zuvor – und starrte zum letzten Mal in die Augen dieser Holzfigur.
Ich war seitdem nicht mehr in Berlin.