
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Das Krächzen hatte etwas Herausforderndes an sich. Als wollten sie ihn überreden, eine Mutprobe einzugehen. Die schwarzen Vögel saßen in großer Zahl auf der alten Eiche, die jetzt, entlaubt und alt, ihre starken, knorrigen Äste in den mit grauen Wolken verhangenen Himmel reckte. Ein einsamer Baum an einem geraden Weg, links und rechts die trostlosen Wiesen, benetzt vom unermüdlich fallendem Regen. Eine leere Landschaft. Er konnte sie von seinem Platz aus gut betrachten. Er stand auf einem gewaltigen Ast, mehr als einen halben Meter dick, gut fünf Meter über dem Erdboden. Seine Kleider waren vom Klettern mit grünem Abrieb verdreckt, denn der ganze Baum war mit Moos bedeckt, aber das scherte ihn nicht. Nichts und niemand scherte ihn mehr. Es gab eigentlich keinen genauen Grund dafür, dass er jetzt mit der Schlinge um den Hals auf diesem Ast stand, den Regen im Gesicht und kalte Luft in den Lungen. Es hatte schon vor langer Zeit angefangen, dann war es schneller gegangen und irgendwann hatte er bemerkt, dass ihm alles Schöne und alle Freude langsam durch die Finger rann wie Meeressand. Dann war jedes Gefühl irgendwann der dumpfen Leere gewichen, die ihn ausfüllte. Und doch, irgendwo in ihm war noch ein Funke, der sich nach Leben sehnte, der sich nach Freude und nach Farben sehnte. Und dieser Funke wusste auch, dass es vergebens war. Der Funke war es gewesen, der ihn mit genügend Kraft erfüllt hatte um das Seil zu suchen, seine strauchelnden Füße hierher zu tragen. Der Funke hatte ihn hier hinauf getrieben und ihn das Seil um den Ast schlingen zu lassen. Und jetzt stand er hier und konnte sich doch nicht überwinden den Schritt zu tun. Die schwarzen Vögel krächzten mit schwarzen Zungen und der Regen fiel, vom Klagelied des Windes über das Land gepeitscht.
Er schloss die Augen. Es ging nicht. Er hasste sich dafür, aber es ging nicht. Doch auch einfach die Schlinge vom Kopf nehmen konnte er auch nicht. Er war doch schon tot. Er war schon tot gewesen, bevor er losging. Jetzt zu springen hieß nur, es zu beenden. Wann hatte das alles eigentlich angefangen fragte er sich. Er wusste es nicht. Er öffnete die Augen wieder. Er blickte nach unten. Dort war nur der mächtige Stamm und der morastige Boden. Der Ast unter ihm schwankte im Wind. Seine Augen suchten den Horizont und konnten ihn unter den Wolken nicht finden. Es war plötzlich da, ein ganz einfacher Gedanke: Ich will es nicht.
Dann sprang er.
Das Krachen seines Genicks war so laut, dass die Krähen aufflatterten und sich kreischend beschwerten. Der Körper am Ende des Seils pendelte leicht hin und her. Die Krähen fanden ihn schnell.
Genau wie vorher das Dunkel in langsamen Wellen herangepulst war, tat es jetzt das Licht. Es war ein Gefühl nicht unähnlich dem Auftauchen aus tiefem Wasser, nur dauerte es länger, viel länger. Das Licht, das einen sanften blauen Schimmer hatte erblühte im Nichts, und schwemmte langsam voran, bis es kein Dunkel mehr gab und dann stemmte er mit einer unglaublichen Anstrengung seine Augen auf und das Blau wurde langsam zu dem altbekannten Grau. Das Gefühl ließ sich nicht beschreiben. Er konnte sich nicht bewegen, sein ganzer Körper bestand nur aus einem Kribbeln, einem heißen Brennen am Hals, das im Kontrast zu einem überwältigendem Empfinden von Kälte stand, das ihm tief ins Mark kroch um nicht von ihm zu weichen.
Und er fühlte noch etwas. Etwas auf seinem Kopf. Ein leichtes Stechen an mehreren Stellen. Er versuchte eine Hand zu heben um sich auf den Kopf zu fassen, aber es ging nicht. Was auch immer ihn früher dazu befähigt hatte, sein Fleisch willentlich zu bewegen, es war fort. Schon spürte er, wie seine Augen zufielen. Da drang der Schnabel der Krähe auf seinem Kopf wie ein grausamer Hammerschlag in seinen Augapfel ein. Es tat nicht weh. Und das war schlimm, denn dadurch fühlte er. Er fühlte, wie sich eine gierige Zunge in seiner Augenhöhle wand, wie die Schnabelhälften die weiche Masse zerquetschten. Und er konnte sich nicht bewegen. Langsam und warm rollte ihm sein Auge über die nasse Wange. Er hörte das Schreien von Krähen. Eine schreckhafte Andeutung am oberen Rande seines Blickfeldes. Hätte er den Ast über ihm sehen können, auf dem er vorhin noch gestanden hatte, hätten ihm Dutzende Augen zurück angestarrt. Die Krähe aus seinem roten Haarschopf, die jetzt mit ruckenden, schlingenden Bewegungen schluckte war die Wagemutigste gewesen. Und dann kamen die anderen. Geflügelte Schatten, gesendet um den Toten zu peinigen, der doch lebte.
Der lebte, während sie ihm das andere Auge langsam und quälend hinwegzupften. Der lebte, während sie ihm die Lippen vom Mund fraßen. Der lebte, als sein Fleisch in fauligen Stücken abfiel. Der mit Vogelkot bedeckte Kadaver hing am Seil als der Regen fiel und als die Sonne schien, ein Gefangener seines eigenen Geistes in einer dunklen Zelle, die einzige Empfindung das gnadenlose Stechen der Kälte. Und dann, endlich, als der Regen aus seinen leeren Augenhöhlen rann wie Tränen, sein Mund zu einem stummen Klagelaut geöffnet, lippenlos mit losen Zähnen und schwarzem Zahnfleisch, als die Unglücksvögel zu einem neuen Domizil weiterflogen, riss das Seil und es war ihm endlich gestattet, nicht mehr zu sein.