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Geprüft

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Wer auch immer Prüfungen erfunden hat, war wahrlich kein
Menschenfreund. Wie kann man überhaupt nur auf die Idee kommen, den Wert
eines Menschen anhand seiner Antworten auf ein paar dumme Fragen zu
bestimmen, oder nach der Tagesform, in der er sich gerade befindet? Wie
kann man sich das Recht herausnehmen, einfach alle emotionalen Kämpfe,
die vielleicht gerade in seiner Seele toben zu ignorieren und so ein
komplexes und vielschichtiges Wesen auf eine Note oder eine Punktzahl zu
reduzieren, ihm diese wie ein Kainsmal anzuheften und auf dieser
hauchdünnen, verzerrten Grundlage über seine Zukunft zu bestimmen?

Ich habe das nie verstanden. Ich habe nie begriffen, warum unsere
Gesellschaft so auf Bewertungen und Ranglisten fixiert ist und es kaum
erwarten kann Menschen in Schubladen zu stecken. Es ist, als würden die
schlechtesten Eigenschaften unseres animalischen Erbes und unseres
Intellekts zusammenkommen: Hackordnung und eiskaltes Kalkulieren.

Aber es macht wohl wenig Sinn darüber nachzudenken. Es ist nun mal
so, wie es ist und auch ich musste mich in meinem Leben schon häufig dem
kalten Urteil von Prüfungen und Tests unterworfen, habe mich dabei mal
mehr und mal weniger bewährt und nebenbei einen ganzen Haufen von
Ängsten und Traumata angesammelt. Doch keine Prüfung war je so
entscheidend für mich und meine Zukunft gewesen, wie diese.

Ich könnte dir jetzt erzählen, ob es sich dabei um eine Abiturprüfung
handelt, um die Aufnahmeprüfung für eine renommierte Universität oder
um einen Bewerbungstest in einem Assessment-Center. Ich könnte dir eine
anrührende, persönliche Geschichte von dem Job oder der Ausbildung
erzählen, die ich unbedingt brauchte. Aber ich werde das nicht tun. Denn
die Rahmenbedingungen sind egal, sogar der Stoff, um den es geht, ist
egal. Beinah zumindest. Was zählt, ist der Prozess und der ist immer
gleich. Es gibt den Geprüften. Es gibt den Prüfer und es gibt die
gnadenlose Uhr, die den Geprüften immer hektischer und brutaler mit
schleimig-glänzenden, bitteren Versagensängsten füttert, bis er droht,
an ihrem Gewicht zu zerbrechen.

Wenn diese Angst zu mächtig wird, wenn sie alles in dir ausfüllt …
dann kann dir womöglich das widerfahren, was ich dir nun erzähle.

Ich stand mit klopfenden Herzen vor einer Tür in einem langen Flur.
Wenn mein Blick nicht auf die Uhr meines Handys geheftet war, wo ich
nervös den Ablauf der letzten Minuten vor dem Prüfungsbeginn verfolgte,
glitt mein Blick den schmalen, nüchternen Flur entlang, der wie der
Rachen eines trägen Monsters jedes Selbstbewusstsein und jede Zuversicht
zu schlucken schien. Weiße Wände, graugemustertes Laminat, kaltweisse
Deckenlampen. Manchmal war es mir fast, als würden die Wände sich
bewegen. Als könnte ich den Schluckreflex dieses Monsters sehen. Als
würde jeden Moment eine bizarre Zunge aus dem blickdichten Fenster am
Ende des Ganges entspringen und sich um meinen Körper wickeln, damit es
neben meiner Zuversicht auch mich selbst mit sich reißen und verdauen
könnte. Dabei hatte ich bereits geopfert.

Ich habe dem Moloch schon vor meiner Ankunft an diesem bedrückenden
Ort viele kostbare Stunden unwiederbringlicher Lebenszeit in den Rachen
geworfen, indem ich meinen Geist durch uninteressante Büchern und noch
uninteressantere Internetseiten gejagt habe, in der Hoffnung ein wenig
von dem zu Lernen, was die Prüfer von mir verlangten. Ich dachte, ich
hätte damit Erfolg gehabt, dachte, all die Plackerei hätte sich
letztlich gelohnt. Aber nun erkannte ich, dass das ein Irrtum gewesen
war.

Ich wusste nichts. Ich war nichts. Ich war vollkommen wertlos und in
wenigen Minuten würde der Prüfer das auch erkennen und mich als den
Haufen atmender Biomüll enttarnen, der ich war. Es würde mich
verschlingen, durchkauen und schlussendlich in den Abfall spucken.

Verzweifelt suchte ich nach dem Funken Hoffnung, an den ich mich
zuvor geklammert hatte. Er bestand aus der Vorstellung, wie ich mich
fühlen würde, wenn ich bestanden hätte. Der Erwartung dieses
erfrischenden Gefühls, das fast zwangsläufig kommt, wenn der
Foltermeister endlich die Zangen von einem lässt. Ein Mantra aus
Fantasien der Entspannung, der Ruhe, der Freiheit, dass nun aber
unendlich fern und irgendwie hohl wirkte.

Ich blickte zu den anderen Prüflingen auf. Es waren zwölf. Ich hatte
sie bisher – zumindest jenseits einer rein faktischen Ebene – nicht
wirklich registriert. Ihre Anwesenheit machte auch keinen entscheidenden
Unterschied, spendete keinen Trost. Sie waren gefangen in ihren eigenen
Gedanken, kämpften ihre eigenen Kämpfe und waren ihren Ängsten genauso
ausgeliefert wie ich.

Nun aber sah ich sie mir erstmals etwas genauer an, wenn auch nur um
irgendetwas zu tun. Die meisten von ihnen schwiegen und blickten auf den
Boden oder in den alles verschlingenden Flur. Manche aber redeten
geflüsterte Worte miteinander. Diese waren wie Kinder, die glaubten,
dass das Monster sie schon nicht fressen würde, wenn der Fernseher lief.

Doch für uns gab es keine Sicherheit. Wir alle waren nur vereinzelte, hoffnungslose Schafe, die auf den Schlachter warten.

Die Tür ging auf. Der Schlachter kam.

Mir war durchaus bewusst, dass die Hand des Prüfers die Tür öffnete.
Die Hand eines Menschen aus Fleisch und Blut. Aber es hätte auch die
strafende Hand eines misanthropischen Gottes sein können. Der Prüfer war
in diesem Fall eine Frau. Sie war keine gestrenge Lehrerin vom
britischen Typ mit verkniffenen Mund, kein Klischee auf zwei Beinen. Sie
war eine junge Frau mit neutralem, professionellem Gesichtsaufdruck.
Unter anderen Umständen hätte ich sie beinah sympathisch gefunden. Aber
im Moment war sie kein Mensch. Sie war eine Hülle, eine gut angezogene
Handpuppe des Systems, eine ferngesteuerte Drohne, die die Leistungen
von mir und den anderen Lämmern prüfen, bewerten und viele von uns am
Ende mit einem Lächeln in die Bedeutungslosigkeit verabschieden würde.

Sie bat uns herein. Lenkte uns an unsichtbaren Schnüren zu unseren
Plätzen und nahm selbst hinter einem Pult Platz wie ein Roboter, der an
seine Aufladestation zurückkehrte. Ihre wachsamen, biologischen
Kameraaugen – Manifestationen des von Orwell beschriebenen Prinzips –
verfolgten jede meiner Bewegungen, bereit jede Verfehlung, jeden
Kommunikationsversuch mit den anderen Schafen dieser verschüchterten
Herde brutal zu sanktionieren. Ich warf einen unsicheren Blick durch den
Raum.

Auch hier weiße Wände, eine schlichte, große, laut tickende Uhr. Die
dunkelbraune Tür mit silbernen Knauf, durch die ich hereingekommen war
und die mich mit sadistischem Vergnügen zu verhöhnen schien. Ich hörte
sie rufen: „Komm! Gib schon auf und schreite direkt ins Vergessen. Du
weißt, dass du versagen wirst. Du weißt, dass du durch das Raster fallen
wirst. Warum quälst du dich, warum tust du dir das an?“

„Weil immer wieder andere Prüfungen warten werden. Weil unsere
Gesellschaft unser Leben damit pflastert. Von den höchsten Chefetagen
bis hinunter in den tiefsten Schlamm.“ Das hätte ich ihr antworten
können. Und es wäre die Wahrheit gewesen. Aber ich tat es nicht. Sie
hätte ohnehin nicht zugehört.

Ich blickte mich weiterhin um und sah ein paar Fenster, die mir ein
Draußen präsentierten, welches mir wie eine karikierte und erschreckend
dünne Illusion vorkam. Wie ein paar Theaterkulissen, die von hungrigen
Wesen mit zu vielen Armen, zu vielen Zähnen und viel zu wenig Mitleid
gehalten wurden und die nur deshalb idyllische Bilder von sonnigen
Wiesen und grünen Bäumen festhielten, um ihre Opfer in falscher
Sicherheit zu wiegen. Der Raum selbst kam mir beengt und dennoch
beängstigend groß vor. Zugleich Fabrikhalle und Legebatterie. Letzterer
Vergleich schien mir um so passender als ich die Prüflinge auf den
Plätzen vor und hinter mir beobachtete. Angespannte Gesichter, nervöse
Bewegungen, geduckte Körperhaltungen. Mehr noch als Schafe waren wir
Hühner, die ihre Antworten, ihr Wissen in festgelegtem Takt auf das
Papier quetschen sollten.

Aus dem Mund der Prüferin flossen nun ein paar einleitende Takte. Die
einzelnen Worte kann ich hier nicht wiedergeben, weil ich sie mir nicht
gemerkt hatte. Sie waren irrelevant. Wahrscheinlich waren es dieselben
nichtssagenden Floskeln, die das kalte Auge der Prüfung seit
Menschengedenken mit einem Anstrich von Menschlichkeit versehen sollten.
Eine Mimikry, ein Maskentanz, mehr nicht.

Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich mir nicht mal mehr sicher, ob
es wirklich Worte waren, die sie ausgesprochen hatte. Wenn ich mich
zurückbesinne sehe ich die Frau vielmehr in spasmischen Verrenkungen
insektenhafte, kryptische Laute hervorwürgen, deren Klang sich wie eine
übler akustischer Dunst über den ganzen Raum legte und mich und die
anderen vor Abscheu würgen ließ.

Eine gedehnte Sekunde lang herrschte vollkommene Stille, wenn man
einmal von stotternden Donnern meines Herzschlags absah. Dann senkten
sich die Stifte der anderen Verdammten wie in einer einzigen, von
fremden Mächten angeordneten Bewegung auf das Papier des Prüfbogens und
verursachten schabende, klackende und kratzende Geräusche auf ihren
abgenutzten Pulten, während die puppenhaften Personen, die diese Stifte
bewegten, sich ihr Gesäß auf den harten, unbequemen Stühlen
wundscheuerten.

Mir blieb keine Wahl. Ich musste dem unausgesprochenen Gesetz
gehorchen, wenn ich nicht ins Hintertreffen geraten und meine
verschwinden geringe Chance diese Prüfung doch noch zu bestehen nicht
von vorneherein gänzlich zunichtemachen wollte. Also senkte auch ich
meinen Blick – und meinen Stift – auf den Prüfungsboden.

Die ersten Aufgaben klangen fast harmlos.

„Welche Bedeutung haben Überhangmandate bei der Bundestagswahl?“

„Nennen Sie drei Tierarten aus der Gattung der Meeressäuger.“

„Worin liegt der Unterschied zwischen ‚Effektivität‘ und ‚Effizienz‘?“

Aber so war es fast immer. Die schweren Brocken hoben sie sich immer
für den Schluss auf. Zunächst wollten sie einen in Sicherheit wiegen.
Dennoch war mein Kopf wie leergefegt, obwohl ich ihn doch so lange mit
all diesen unbekömmlichen Fakten gefüttert habe. Wie ein Betrunkener
stocherten meine geistigen Hände in den Nebeln meines Verstandes,
während meine Hand Schweißflecken auf dem Papier hinterließ und die Uhr
den Countdown zum Augenblick meines endgültigen Versagens herunter
zählte.

Letztlich fiel mir dann doch noch das ein oder andere ein – mehr
schwammige Vermutungen und wilde Assoziationen als harte Fakten – und
ich schrieb meine Gedanken in ungelenken Worten auf das Papier.

So beantwortete ich zwei Fragen, drei, schließlich vier. Wie viel
Zeit von den zwei Stunden, die ich hatte, war vergangen? Ich hatte keine
Ahnung, aber aus irgendeinem Grund wagte ich es nicht von meinem Pult
aufzusehen. Es war nur ein vages Gefühl, eine Intuition so als hätte mir
jemand durch einen schallgedämpften Raum hindurch eine Warnung
zugeschrien. Dieses Gefühl sagte mir, dass etwas Schreckliches passieren
würde, wenn ich aufblickte, bevor der Test beendet war. Das ich Dinge
sehen würde, die meinen Verstand so gründlich zerschmettern würden, wie
ein neugeborenes Küken, das man in den Schredder warf. Monströse Dinge.
Alptraumhafte Dinge.

Womöglich war dies alles nur Einbildung, aber … kratzten da wirklich
Bleistifte über Papier, oder kratzten eher spitze Krallen über bloße
Knochen? Entsprangen die Seufzer, das Husten und leisen Selbstgespräche,
die ich hörte, wirklich menschlichen Kehlen? Waren die knarzenden
Stühle in Wahrheit nicht vielmehr die knackenden Kiefergelenke vom Maul
eines Ungeheuers, das sich gerade öffnete? Und das, was ich für das
Ticken der Uhr hielt; waren das nicht Blutstropfen, die in grausamer
Regelmäßigkeit von einem an die Decke gespießten Kadaver
hinuntertropften?

Ich hätte mich leicht davon überzeugen können, dass dem nicht so war.
Aber ich wagte es nicht. Denn was war, wenn ich Recht hatte und ich
damit mein Schicksal besiegeln würde?

Ich versuchte mich wieder auf die Fragen auf dem Testbogen zu
konzentrieren und tat mein Bestes, den Pult der Prüferin nicht in mein
Blickfeld gelangen zu lassen, da ich mir nicht mehr sicher war, ob dort
wirklich noch ein Mensch saß. Da ich in der ersten Reihe saß, war das
nicht gerade einfach zu bewerkstelligen, aber irgendwie gelang es mir.

Frage fünf, Frage sechs, Frage sieben. Das Denken fiel mir immer
schwerer. Die Angst fegte alles mühsam angehäufte Wissen aus meinem
Gehirn hinaus und ließ dort nichts als vage Theorien und Mutmaßungen
zurück. Ich bannte diese dennoch auf das Papier. Solange ich schrieb,
war ich sicher.

Frage acht, Frage neun, Frage zehn. Inzwischen war es mir fast egal,
ob ich diesen Test bestand und vom gleichgültigen System verurteilt und
auf den Müllhaufen der Verlierer gespuckt werden würde. Ich wollte nur
noch hier raus. Aber ich durfte nicht. Noch nicht.

Unwillkürlich wanderte mein Blick etwas nach oben. Für den Bruchteil
einer Sekunde gerieten die Hände der Prüferin in mein Blickfeld, bevor
ich hastig wieder nach unten sah. Ein Eisklumpen explodierte in meiner
Brust und die knisternde Elektrizität von Adrenalin schoss durch meine
Nervenbahnen. Hatten ihre Hände etwa neun Finger gehabt? Und waren sie
dreimal so lang gewesen, wie gewöhnlich? Hatten Sie sich nicht sogar
langsam über den Tisch auf mich zugeschoben, wie Würmer oder Schlangen
aus bleichem menschlichem Fleisch? Dem folgte ein weiterer Gedanke: Ich
hatte sie gesehen! Ich hatte die ungeschriebene Regel gebrochen. Nun
würde bestimmt die Strafe folgen. Ich wollte wegrennen, hatte aber Angst
so erst Recht den Zorn der dämonischen Prüferin auf mich zu ziehen.
Also hielt ich den Atem an und wartete. In Gedanken sah ich, wie sich
ihre langen, wurmartigen Finger auf mein Gesicht zubewegten, um sich
erst durch die Gesichtshaut und dann durch den meinen Schädel hindurch
zum Gehirn zu graben und dort jeden Funken meiner Persönlichkeit und
meiner bedauernswerten Intelligenz aus mir herauszusaugen, bis ich als
sabbernder Hirntoter auf diesem Stuhl sitzen und zuletzt von den
erfolgreichen Prüflingen als Lohn für ihre Leistung verspeist werden
würde.

Aber nichts dergleichen geschah. Zumindest vorerst. Was stattdessen seine Klauen nach mir ausstreckte, waren weitere Fragen.

Frage elf, Frage zwölf, Frage dreizehn, Frage vierzehn, Frage
fünfzehn, … mein Gott, hörte das denn nie auf? Kaum hatte ich eine Frage
beantwortet, nahm eine andere ihren Platz ein und mir kam der Vergleich
eines Kampfes gegen die Hydra in den Sinn. Jenem mythologischen
Ungeheuer, dem immer wenn man ihm einen seiner vielen Köfpe abschlägt,
mehrere neue nachwachsen. Der Eindruck verstärkte sich noch, als ich den
Stapel an Testbögen begutachtete. War er überhaupt kleiner geworden?
Oder wurden aus irgendeiner unheimlichen Dimension ständig neue Bögen
nachgeschoben?

Ich beschloss, mir keine Gedanken darüber zu machen. Wenigstens die
Uhr – so sehr ihr grauenhaftes Ticken auch gleich eines scharfen Messers
in mein Bewusstsein stach – würde dem ganzen Irrsinn so oder so bald
ein Ende machen. Also beantwortete ich Frage um Frage mit Sätzen, bei
denen ich mir inzwischen fast sicher war, dass es sich um vollkommenen
Bullshit handelte. Aber aus irgendeinem Grund konnte ich nicht aufhören.
Vielleicht war es die Überzeugung, dass es besser wäre es wenigstens zu
versuchen, dass ich den grausamen Prüfungsgott weniger verägern würde,
wenn ich zumindest mein Bestes tat. Aber in mir reifte langsam auch eine
andere Theorie heran.

Womöglich konnte ich gar nicht mehr anders. Womöglich war mein so
unspektakulär aussehender Stift von irgendeiner dunklen Magie beseelt
und würde mich fortan zwingen weiter und weiter zu schreiben, bis meine
Finger verkrampft und wund waren und dann noch weiter, bis ich den Stift
in blankgescheuerten Knochenfingern halten würde. Wer sagte mir
überhaupt, dass die Zeit noch normal verstrich? Ich hörte die Uhr
ticken, aber ohne aufzuschauen hatte ich keine Möglichkeit
sicherzugehen, dass sie auch wirklich weiterlief.

Das war Schwachsinn, schalt ich mich. Das MUSSTE Schwachsinn sein.

Einige Momente später war ich mir da nicht mehr so sicher. Denn die
Fragen, die bisher – obwohl von Mal zu Mal schwieriger – noch immer
halbwegs normal gewesen waren, begannen nun zunehmend bizarr zu werden.

„Zu welcher Untergattung gehört der gemeine Ghul?“

„Nennen Sie eine Gottheit aus dem zyratzokischen Kult der Drimöner und beschreiben Sie die gebräuchlisten Opferriten.“

„Welchen durchschnittlichen Eiweißgehalt hat ein Menschenfötus im 5. Monat?“

„Wie betritt man die Spiegelwelten der achten Sphäre?“

„Welcher Teil des Gehirns muss beim Homo Sapiens entfernt werden,
damit er die wahre Gestalt der würgenden Xerarkriten erkennen kann?“

Noch viel beunruhigender als diese vollkommen surrealen Fragen war
aber die Tatsache, dass ich die Antworten zu wissen schien. Besser sogar
als die auf die ganz normalen Aufgaben. Auch wenn mein bewusster
Verstand nach wie vor mit dichtem Nebel gefüllt war, so flossen diese
Antworten dennoch fast augenblicklich aufs Papier.

So ging es eine Zeitlang weiter und auch wenn sich die Angst und das
wachsende Gefühl der Derealisation wie eine Schlinge um meinen Hals
legten und mir das Schlucken und auch das Atmen zu einer Qual werden
ließen, so konnte ich doch vermeiden nach oben zu sehen. Das änderte
sich, als die nächste Art von Fragen kam, die zwar nicht mehr halb so
surreal, aber dafür doppelt so beängstigend war.

„Hast du Angst?“

„Weißt du, dass wir dich sehen?“

„Unsere Finger sind nah. Beschreibe ihre Form und ihre Absicht.“

„Bist du ein Teil der Herde?“

„Nenne eine von tausend Qualen, die dich bald erwarten.“

„Weißt du, was unter dem Boden ist?“

Nun konnte ich es nicht mehr länger aushalten. Keine Realität konnte
so schlimm sein, wie die Bilder, die mir meine Fantasie malte. Zitternd
und ängstlich hob ich meinen Blick vom Tisch und richtete ihn zum ersten
Mal seit Beginn der Prüfung wieder in den Raum. Was ich sah, zerbrach
meinen Verstand.

Mein kleiner Tisch, mein Stuhl und der Boden darunter waren zu einer
Insel geworden. Einer Insel der relativen Normalität. Ringsherum bestand
der Boden aus organischem, gräulich-glänzendem Schleim unter dem sich
irgendetwas bewegte, dass ich aber nicht näher bestimmen konnte. Ein
verfaulter und abscheulicher Geruch rammte sich wie das Glied eines
Vergewaltigers in meine Nase. Er war so dermaßen intensiv, dass ich
nicht verstand, warum ich ihn bisher nicht wahrgenommen hatte.

In diesem Schleim steckten die Körper der anderen Geprüften wie in
Treibsand fest. Einige von ihnen strampelten, während der Schleim sie
mit schmatzenden Geräuschen nach unten zog, andere verharrten
regungslos, als hätte sie jemand – so wie das legendäre Schwert
Excalibur – bis zur Brust in harten, organischen Stein gerammt. Nicht
weniger schockierend und grotesk als dieser Anblick war aber die
Tatsache, dass ihre Köpfe nicht länger menschlich waren. Auf ihren
vollkommen gewöhnlichen Schultern und Hälsen steckten nun Schafs- und
Hühnerköpfe, so als hätte es meine eigene Metaphorik in die Realität
geschafft. Manche von ihnen blökten oder gackerten sogar, was aber in
keinster Weise lustig, sondern erschütternd und bemitleidenswert klang.
Lediglich ein Prüfling hatte sein menschliches Gesicht behalten.

Es handelte sich um eine Frau, deren Körper etwa auf Höhe des
Bauchnabels mit einem Speer an die Decke genagelt worden war. Sie hatte
den Mund zu einem kraftlosen Schrei geöffnet, während ihr Blut im Takt
der gnadenlosen Uhr auf den Boden tropfte und vom lebendigen Boden wie
Nektar getrunken wurde.

Die Uhr, die den Takt für dieses ekelhafte Schauspiel lieferte,
bestand nun ihrerseits aus einem großen, rot geäderten Auge, an dem
Ziffern aus faulig-schwarzen Zähnen befestigt waren und Zeiger aus
getrockneten Därmen ihre zufälligen Runden drehten. Mal bewegten sich
die Zeiger normal, dann mit doppelter oder halber Geschwindigkeit und
gelegentlich sogar rückwärts. Die Wand hinter der Uhr war ebenfalls
keine normale Wand mehr. Sie bestand zwar nicht aus der gleichen
gräulichen Substanz wie der Boden, aber auch sie sah organisch aus. Sie
erinnerte mich an von Blutgefäßen durchzogenes Fleisch, durch das jemand
mit einer starken Taschenlampe leuchtete. In ihrer schwach
durchscheinenden Substanz sah ich SIE. Seltsame Wesen mit verzerrter,
länglichen Gesichtern, die ihre bösartig grinsenden Köpfe immer wieder
prüfend gegen die Wand drückten, als wollten sie daraus hervorbrechen,
was ihnen aber zum Glück nicht gelang. Noch nicht.

Mein Blick wandte sich angewidert ab und fiel stattdessen auf das
Pult der Prüferin, die ebenfalls kaum mehr wiederzuerkennen war. Ihr
Kopf war nun beinah haarlos, wenn man von einem dürren, strähnigen
Haarkranz absah. Ihr Hals war inzwischen mehr als dreimal so lang und
gekrümmt und ihre Brust auf groteske Weise nach vorne gebeugt. Alles in
allem erinnerte sie mich an einen Geier aus menschlichem Fleisch.
Lediglich ihre Finger störten das Bild. Finger, die schon jetzt mehr als
einen halben Meter lang waren und die mehr und mehr in die Länge
wuchsen. Sie kamen direkt auf mich zu. Es war wie in meiner verdammten
Vision.

Endlich löste sich die Starre, die mich beim Anblick dieser
Albtraumszene befallen hatte und ich rannte um mein Leben in Richtung
Tür. Zwar scheute ich mich, den stinkenden, ekelhaften, lebendigen Boden
zu betreten, aber ich wollte noch viel weniger von diesen Fingern
berührt werden, da ich mir – nachdem die meisten meiner
Alptraumfantasien bereits Wirklichkeit geworden waren – ja denken
konnte, was sie mit mir anstellen würden, wenn sie mich erst zu fassen
kriegen würden. Also rannte ich und ignorierte das matschige, saugende
Geräusch und die Angst in die scheußliche Masse einzusinken und rannte
einfach los. Plötzlich hörte ich die Prüferin mit einer grässlichen,
rauen Kleinkindstimme rufen. „Herr Sonnenbach, wo wollen Sie hin?
Bleiben Sie im Raum, die Prüfung ist noch nicht vorüber.“ Die Wesen
hinter den Wänden wiederholten ihre Worte dabei wie ein lebendig
gewordenes Echo.

Aber ich hörte nicht auf sie und lief weiter durch den plötzlich
riesenhaft erscheinenden Raum. Ein paar Mal wäre ich beinah in den Boden
eingesunken und ein anderes Mal hätte mich auch beinah der flehende
Blick eines der versinkenden Schafsmenschen zur Umkehr bewogen, aber ich
entging dem gefährlichen Untergrund genauso, wie den verlockenden
Stimmen meines Gewissens und schloss endlich meine Hand um den silbernen
Türknauf. Sofort drehte ich ihn, ohne darauf zu achten, wie nah mir die
Prüferin gekommen war. Ich riss die Tür auf.

Doch vor mir wartete nicht die ersehnte Freiheit, sondern ein
Geschöpf, dass ich nicht mal ansatzweise beschreiben kann. Es war eines
und viele. Es war der Moloch, der Leviathan, der Allsehende, der Richter
der Richter, der Schlächter der Gnade und der Verhöhner Mitleids. Er
war das verkörperte Prinzip der Prüfung. Und in seinen vielen,
wabernden, gestaltlosen, zuckenden Augen sah ich, in aller bitteren
Konsequenz, dass ich durchgefallen war.

~o~

„Wie fandest du denn die Prüfung so?“

„Och ja. War recht heavy, aber ließ sich schon machen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich bestanden habe. Und bei dir?“

„Auch kein Problem. Aber das mit dem Typen, der da gerade so ausgetickt ist, ist schon krass, oder?“

„Auf jeden Fall. Ich meine, Prüfungsangst schön und gut, aber der hat sich verhalten als ob …

… als ob Dämonen hinter ihm her wären. Was wohl aus ihm geworden ist?“

~o~

Vollkommene Stille. Ein weißer Raum. Ein Bett. Irgendwie bin ich aus
dem Prüfungsraum hierhergekommen. Dem Urteil des Prüfers entronnen. Die
Luft stinkt nicht, sie riecht angenehm neutral. Die Ärzte waren, Gott
sei Dank ganz normale Menschen, wobei … hatte nicht einer von ihnen, der
Ältere mit dem schütteren Haar, auffällig lange Finger gehabt? Ich weiß
es nicht mit Sicherheit, aber ich hoffe, bete, dass ich mich irre. Dass
ich so verrückt bin, wie sie es behaupten. Dass, meine Sinne nur die
hilflosen Opfer eines von andauernden Prüfungen zerschlissenen Gehirns
sind und nicht die Fenster zu einer tieferen Wahrheit.

Wie gesagt: Ich hoffe es, aber ich weiß es nicht. Eines aber weiß ich
ganz genau. So deprimierend und einengend dieser Ort auch ist,
zumindest für eine Weile, wird es hier keine Prüfungen geben. Und dafür
bin ich dankbar.

Unendlich dankbar.

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