ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Auf den Fensterscheiben des fahrenden Busses spiegelte sich das Laub der vielen dichtbewachsenen Linden wieder, die aneinandergereiht den Rand der Fahrbahn zierten. Das Wetter war warm und sonnig. Sonnenlicht durchbrach das Baumgestrüpp an vereinzelten Stellen, dementsprechend ließen sich auch Laub gemusterte Schlagschatten auf dem Asphalt der Straße nieder. Der Motor des Busses raunte nicht besonders laut aber auch nicht besonders leise. Ich war gerade dabei, meinen Kopf entspannt an die Fensterscheibe zu lehnen und still vor mich hinzu träumen. Während ich dies tat und beobachtete, wie ein Baum nach dem anderen vorbei gezogen war, ertönte von einem anderen Sitzplatz aus eine Stimme, die mir immer wieder meinen Namen zu flüsterte.
Es war Henrik, der mal wieder meine Aufmerksamkeit suchte. Auch bekannt als Riki. Aus dessen verschlagenem Grinse-Gesicht ein mehrfaches „Hey Edo!“ zu entnehmen war. Nachdem sich das nervig laute Flüstern zu einem „Eduard! Hey Eduard!“ steigerte, gab ich schließlich nach und erhob meinen Blick. Ich sah sichtlich genervt herüber zu Riki. Dieser macht eine Geste, bei der er die linke Hand zu einer Faust ballte und mit der rechten Hand immer wieder auf eine Seite der geballten Faust schlug. Dabei deutete er auf drei in knappen Hotpants bekleidete Mitschülerinnen, die weiter hinten im Bus saßen. Sie schauten auf irgendein Magazin und gackerten über etwas. Ich schüttelte darauf hin nur mit abweichendem Blick den Kopf, hielt mir die Hand vor die Stirn und die gute Rena, die direkt hinter Riki saß, schlug diesem mit einem deutlich hörbaren Geräusch in den Nacken. Daraufhin sah Riki verwundert und dümmlich zu dem Sitzplatz hinter sich, auf dem Rena saß. Rena erwiderte den Blick mit verschränkten Arme und gleichgültiger Mimik. Gegenüber von mir kam nun Theo zu Wort: „Typisch Riki. Es geht mal zu einer Übernachtung in die Jugendherberge und er hat wieder nur eines im Kopf.“, sagte Theo. Während er seine Kopfhörer, mit denen er eben noch Musik hörte, herunterzog und eine Tüte Käsecracker aufriss. „Wenn er überhaupt was im Kopf hat.“, ergänzte ich. Theo und ich grinsten, während er mir die Tüte mit Cracker hinhielt und mich hineingreifen ließ.
Zur Erklärung: Theo und Rena waren meine besten Freunde und Riki war eben dieser eine Idiot, der irgendwie auch noch dazu gehörte. Was für unsere Klasse momentan angestanden hatte, war eine Klassenfahrt mit Unterkunft in der Jugendherberge. Sicher. Das ist für eine Klasse jetzt vielleicht nichts allzu ungewöhnliches. Doch was dafür umso ungewöhnlicher gewesen war, war der Standpunkt der Herberge. Diese befand sich nämlich mitten im Wald. Auch war es keine besonders altmodische Herberge in der es nichts weiter zu tun gab außer Essen, Schlafen und sich die Freizeitangebote irgendwo außerhalb zu suchen – in dieser Herberge gab es Aktivitäten wie Klettern, Basketball, Tischtennis, Wandern, es gab eine Ausstellung von mittelalterlichen Waffen und Folterinstrumenten, es gab einen kleinen Kinosaal und in einer anderen Anlage in der Nähe der Herberge, befand sich noch ein Hallenbad mit einer heißen Quelle. Diese Infos teilte mir Theo mit, die er mir aus einer Broschüre heraus zitierte.
Nach etwa einer Stunde Busfahrt waren wir endlich angekommen. Die Herberge sah von der Architektur her wie eine kleinere Burg oder Schloss aus. Um die Anlage betreten zu können, mussten wir einen schon älter aussehenden Torbogen passieren, dessen altes Mauerwerk über Jahrzehnte hinweg von einem Netz aus wildem Efeu überzogen wurde. Je mehr wir uns dem inneren Hof der Anlage näherten, umso mehr wandelte sich das Ganze in ein restauriert zeitgemäßeres Erscheinungsbild. Wie eine kleine Sekundenreise aus dem Mittelalter in die Moderne. Während alle anderen Fr. Luisa – unserer Lehrerin – ins Innere der Anlage folgten, blieben Rena, Theo und ich noch einen Moment vor der Herberge stehen. Unsere Blicke waren auf den oberen Teil des Gebäudes fixiert. Dort oben befanden sich ein paar wenige verdunkelte Fensterscheiben, welche ziemlich abseits zum Rest verbaut wurden. „Ich fühle mich hier jetzt schon nicht sehr wohl.“ Sagte Rena. Während wir immer noch die abgelegenen Fenster betrachteten und im Innenhof standen.
Kurz nachdem dieser Satz Renas Mund verlassen hatte, tauchte hinter uns, wie aus dem Nichts, eine Affenartige Kreatur auf. Die Kreatur packte Rena von hinten und zog wild an ihr herum. Rena gab einen schrillen Schrei von sich, während Theo und mir fast das Herz in die Hose rutschte. Doch es war nicht wirklich eine Kreatur. Es war nur Riki. Er meinte wohl sich einen Scherz mit einer albernen Gorilla-Maske erlauben zu müssen. Er fing an zu lachen und zog sich die Maske vom Gesicht. Er krümmte sich förmlich vor lachen. „Du hättest dein Gesicht sehen sollen!“, kicherte er. Aus der aufgeschreckten Rena brach ein gereiztes „Riki du dummes Arschloch!“ heraus. Riki wischte sich die Tränen aus den Augen. Doch das tat er nicht allzu lang. Denn Rena trieb ihn bereits mit Tritten und Schlägen vor sich her. Beide verschwanden hinter der großen Eingangstür. Theo und ich sahen den zweien still hinterher. Dann machte sich auch Theo auf den Weg zum Eingang. Ich blieb immer noch wie angewurzelt stehen und beobachtete weiterhin skeptisch die Fensterscheiben. Erst nachdem Theo sich nochmal herumdrehte, ein „Edo? Wo bleibst du denn?“ aus der Distanz gerufen hatte, setzte auch ich mich in Bewegung.
Wir betraten als letztes den Eingang in die Herberge. Fast zeitgleich war hinter einem der bis eben noch leer gebliebenen dunklen Fensterscheiben, das Gesicht eines fremden Mann mit Nagetier-Gesicht erschienen und dieser hatte nun auf den leer stehenden Innenhof gespäht.
Nachdem wir alle eincheckten, uns in den Zimmern niederließen, die Herberge erkundeten und in der Cafeteria was gegessen hatten, war nun langsam der Abend hereingebrochen. Es wurde bereits dunkel. Als auch wurde es in der Jugendherberge ruhiger. Denn ein Großteil der Klasse – vor allem die Mädchen – wollten im Hallenbad in der anderen Anlage in der Nähe noch schwimmen gehen.
Riki, Theo und ich befanden uns im Zimmer. Es war eines dieser typischen Zimmer, wie man sie aus den Jugendherbergen eben kennt. Mit Hochbetten, einem Schrank und einem Fenster. Draußen fing es im weiteren Verlauf des Abends an zu Donnern und mit dem abendlichen Anbruch der Dunkelheit, war auch der Regen gekommen. „Tja, Pech gehabt Riki. Die Möpse befinden sich jetzt alle im Hallenbad und du hast es nicht einmal mitbekommen. Weil du Stunden auf dem Klo verbracht hast.“, fing Theo mit einem spöttischen Unterton an. Er spielte dabei auf einer Playstation Portable GTA – Vice City. Riki erwiderte: „Und was ist mit dir? Dir scheint es ja nicht viel auszumachen, dass sie nun weg sind. Bist du vielleicht sogar ein bisschen schwul? Komm mir bloß nicht zu nah!“ Riki rückte ein gutes Stück von Theo weg. „Halt die Klappe Riki.“, antwortete Theo, während er gerade im Spiel einen Passanten mit gestohlenem Wagen überfuhr.
Ich wollte gerade zu einem: „Hey ihr beiden…“ ansetzen, als plötzlich lautstark der Blitz niederschlug. In den Leitungen der Herberge folgte ein Knacken. Alle Lichter erloschen auf einen Schlag. Es wurde Stockdunkel. „Na super. Toll gemacht Riki. Stromausfall.“, sagte Theo. „Was?! Wieso bin immer ich an allem Schuld?!“, schnaubte Riki. Ich hatte zum Glück eine große Taschenlampe dabei und holte diese aus meiner Tasche hervor. „Wusste ich’s doch, dass wir die hier brauchen werden.“, erwähnte ich.
Ich schaltete die Taschenlampe an und forderte Theo und Riki auf: „Kommt! Lasst uns mal nachsehen was los ist oder ob wir vielleicht den Hausmeister finden können. Fr. Luisa und die anderen sind ja gerade alle nicht da.“
Wir wanderten mit der Taschenlampe den Flur entlang und sahen uns von Stockwerk zu Stockwerk um. Auf der Suche nach dem Raum des Hausmeisters. Schließlich landeten wir indem Abteil, in welchen die Mädchen einquartiert waren. Während wir alles beäugten und mit der Lampe im Korridor alles beleuchteten, vernahmen wir aus einem der Zimmer der Mädchen ein raschelndes Geräusch. Vorsichtig öffneten wir die Zimmertür, um nachzusehen, was das gewesen sein könnte. Wie aus dem Nichts rempelten wir etwas an. Es war eine Personen. Es war ein Mädchen. Es war Rena. Wir fragten: „Rena?! Was tust du denn hier?! Wir dachten ihr seid alle beim Schwimmen?“ „Was ich hier tue? Das sollte ich wohl eher euch fragen!“, beschwerte sich Rena. „Und hört gefälligst auf mir mit dieser Lampe ins Gesicht zu leuchten!“, fügte sie noch mit verzerrtem Gesichtsausdruck an. „Oh, Entschuldige.“, sagte ich.
Wir schlossen die Tür hinter uns und ließen uns fürs erste in Renas Zimmer nieder. Von Renas Fenster aus, hatte man einen ziemlich deutlichen Blick auf den stockdunklen Waldrand, der den Gebäudekomplex umrandete, was ziemlich unheimlich wirkte. Der Regen erzeugte draußen einen Dunst artigen Schleier, welcher sich um die vielen wilden Bäume und das dichtbewachsene Unterholz, wie eine Schlange geschmiegt hatte. Aus einer Ecke des Zimmers kam von Riki ein: „Hey Jungs! Seht mal was ich hier gefunden habe…!“ Ich leuchtete auf Riki. Er hielt ein Objekt ins Licht der Taschenlampe. Es sah aus wie ein Höschen. Riki machte Freudensprünge und drückte sich das Höschen, wie wenn man sich beidhändig das Gesicht waschen würde, direkt an die Nase und zog einmal sehr tief Luft ein und aus. „Alter. Wie alt bist du eigentlich? Zwölf?“, fragte Theo. Während Riki immer noch am Höschen schnupperte, klopfte Rena diesem mit einer Mimik der Genugtuung auf die Schulter und erwähnte nebenbei: „Das gehört übrigens Anna. Wir teilen uns dieses Zimmer.“ Anna war sechzehn Jahre alt und brachte stolze 120 Kilo auf die Wage. Als Riki das Höschen beidhändig zu voller Größe auseinandergezogen und festgestellt hatte, was er da für ein Zelt in den Händen hielt, lag er das Höschen recht zügig wieder weg. Wir lachten Riki aus.
Doch obwohl die Stimmung nun eigentlich ziemlich aufgeheitert sein sollte, machte mich irgendetwas stutzig. Irgendetwas war seltsam geworden. Etwas, dass ich nicht beschreiben konnte. Es war das innere Warnsignal eines kommenden bösen Omen. Ich wollte eigentlich schnellstens wieder von hier abreisen. Seitdem der Strom ausfiel und wir uns im Dunkeln befanden, breitete sich dieses komische Gefühl in mir aus. Doch ich ignorierte es und lies mir vor meinen Freunden nichts anmerken.
„Hey Leute… Seht ihr das auch da draußen?“, Riki war am Fenster und deutete auf etwas hin. „Was? Liegt da draußen im Regen jetzt auch eine Unterhose?“, gab Theo von sich. „Nein im Ernst! Ich verarsche euch nicht.“, entgegnete Riki und fügte noch an: „Da hinten. Gleich da im Regen zwischen den Bäumen. Ist das eine Art Gartenzwerg oder ein verformter Baumstumpf oder so was in der Richtung?“ Seufzend begab ich mich zu Riki ans Fenster. Ich versuchte mit der Taschenlampe dort draußen zu erkennen, worauf Riki hindeutete. Zuerst sah ich nichts anderes, als den düsteren tief schwarzen Waldrand. Doch um so länger ich die Augen zusammenkniff und durch die vom Regen erzeugten Nebelschwaden gespäht hatte, umso mehr vernahm ich den Umriss einer seltsam kleinen Figur. Die Figur stand direkt neben einem der Bäume und hatte wohl die Jugendherberge direkt im Blickfeld. Ein Teil der Nebelschwaden würde jeden Moment soweit abgezogen sein, dass sich direkt vor der Gestalt eine Lücke bilden und wir genauer sagen würden können, ob dort gerade im Regen wirklich etwas herumlungerte oder nicht.
„Was zur Hölle…?“, flüsterte ich. Rikis Atmung beschleunigte sich neben mir, während wir weiter aus dem Fenster starrten. Wir sahen nun, was dort am Waldrand gestanden hatte. Dort stand eine Art Gnom oder kleinwüchsiges Geschöpf, welches einen sehr langen spitzen Hut trug. Der Hut war im Vergleich zur Körpergröße der kleinen Gestalt wesentlich länger und ragte mit etwa dreifacher Körpergröße der Gestalt an sich, überproportional, spitz und gerade nach oben heraus. Es war auch nicht direkt die Optik eines Hutes, es war mehr wie eine Art spitze Verlängerung des Kopfes. Der Hut war komplett schwarz. Genauso wie der Kopf des Wesens. Auch hatte jenes Wesen kein Gesicht. Dort wo sich normalerweise das Gesicht befinden sollte, befand sich nur eine schwarze undefinierbare Oberfläche. Diese ging direkt in den langen spitzen Hut über. Der Rest des kleinen Körpers war aschfahl weiß und mit unzähligen Adern und Narben verunstaltet. Der Rumpf an sich war eher normal – die Glieder hingegen waren knochig dürr und krankhaft abgemagert. Der Regen rannte am Körper des gruseligen Zwerg-Wesens herunter. Doch die Nässe schien ihm nichts auszumachen. Es stand einfach nur dort am Waldrand und tat nichts. Außer regungslos auf die Herberge zu starren. Wenn wir auf der Brust des Wesens keine Atemwölbungen erkennen würden, wären wir uns nicht einmal sicher gewesen, ob sich nicht dort jemand mit Hilfe einer Puppe oder aufstellbaren Figur, eher einen Scherz mit uns erlauben würde.
„Rena… Theo… Das müsst ihr euch mal ansehen.“, sagte ich mit zittriger Stimme. Der spitze Hut dieses gesichtslosen Kobolds ragte zwischen den Bäumen soweit nach oben hervor, dass dieser das viele Geäst, welches vom regnerischen Sturm hin und her schwankte, problemlos erreichen und durchstechen konnte. Jemand, der diesen Anblick nicht mit eigenen Augen erlebt hatte, kann unmöglich beurteilen, was für ein Mark zersetzender Schauer uns in jenem Augenblick damals überkam.
Wir klebten am Fenster und fragten uns, warum das Geschöpf sich nicht von der Stelle rührte. Das Starren konnten wir uns allerdings nicht allzu lange erlauben.
Denn nun drehte sich der dunkle gesichtslose Kopf des Kobolds direkt unsere Richtung. Und das ruckartig und unerwartet. In genau jenem Moment, als der Kobold dies tat, krachte der nächste Blitzschlag durch den finsteren Himmel. Auf den einen Wimpernschlag war der Kobold nicht mehr zu sehen, auf den anderen Wimpernschlag klebte jenes Geschöpf plötzlich direkt an der Fensterscheibe des Zimmers. Mit seinem nicht vorhandenen Gesicht. Auf dessen schwarzer Gesichtsfläche bildete sich auf einmal ein Schlund oder Öffnung. Aus diesem Schlund heraus, erhob sich eine kreisrunde Gebissreihe. Diese war gespickt mit abscheulich spitzen scharfen Zähnen und fauliges Zahnfleisch trat in Erscheinung. Der Schlund erinnerte an einen Fleischwolf oder das Maul eines außerirdischen Wurmmonsters. Bei diesem grauenhaften Anblick begangen wir laut zu schreien und willkürlich zurück auf den dunklen Flur zu rennen. Für uns alle war dies der Schreckmoment des Lebens gewesen.
Wir verstreuten uns in alle Richtungen, wie die Kakerlaken. Ich rannte mit meiner Lampe einen der abgelegeneren Flure entlang. Als ich um die Ecke schoss, rempelte diesmal mich jemand um. Ich fiel heftig zu Boden. Es tat zwar weh, doch prellte ich mich leicht. Ich leuchtete auf die Person die mich zu Boden stieß. Vor mir stand ein riesiger Kerl. Er musste mindestens fast zwei Meter groß sein. Er hatte ein Nagetier artiges Gesicht welches ziemlich hervorstach. Er fragte: „Alles in Ordnung Jungchen…?“ In seiner Stimme lag etwas schelmisch hinterlistiges. „J-Ja. Wer sind Sie?“, gab ich zur Antwort.
Er kam einen Schritt näher auf mich zu und sprach: „Na wer wohl… Ich bin der Hausmeister und war gerade auf dem Weg zum Sicherungskasten. Nachsehen, was mit dem Strom los ist. Du verstehst…“ Ich beruhigte mich wieder etwas und erwiderte: „Oh. Wir waren schon vorhin schon auf der Suche nach Ihnen.“ Der Hausmeister begann daraufhin eigenartig zu kichern und im dunklen Flur bereitete sich ein kurzes Schweigen zwischen uns beiden aus.
Ich brach das Schweigen mit der Frage: „Was ist so lustig?“ Der Hausmeister grinste in sein Nagetier-Gesicht. „Ihr habt „Ihn“ auch gesehen, nicht wahr? Gerade eben… Dort draußen im Regen.“, schlussfolgerte er. Auf Grund der bildlichen Erinnerung, welche mein Gehirn daraufhin abrief, kam ich für einen Moment ins Straucheln. „Sie haben es auch gesehen?“, fragte ich und fügte noch an: „Wissen Sie etwas über dieses Geschöpf?“ Der Hausmeister klimperte mit seinem Schlüsselbund. Dann antwortete er: „Ja eine ganze Menge sogar…“
Er grinste und brabbelte dabei mit einem leicht wahnsinnigen Unterton vor sich hin.
„Sie sagten – Du bist geisteskrank Charlie.“
„Sie sagten – Was du dort draußen siehst ist nicht real Charlie.“
„Sie sagten – Du suchst nur einen Weg jenes große Unglück zu verarbeiten Charlie.“
„Sie sagten – Charlie sollte lieber in eine Anstalt eingewiesen werden.“
Dann trat der Hausmeister noch deutlicher ins Licht der Lampe und sprach fast schon bedrohlich Zähne fletschend: „Doch ihr…! Ihr habt ihn auch gesehen! Ich bin eben doch nicht wahnsinnig!“
Aus Vorsicht vor diesem Mann trat ich einen Schritte zurück.
„Wen… Wen haben wir auch gesehen?“ Fragte ich mit angespannter Körperhaltung.
„Den gesichtslosen Butzemann! Das kleine spitzhütige Wesen, welches hier immer dann auftaucht, wenn’s regnet und ein großes Unheil bevorsteht.“ Entgegnete mir der Hausmeister.
„Ein bevorstehendes Unheil…? Was meinen Sie damit?“, wollte ich wissen.
Der Hausmeister verschwand wieder in jenen dunklen Gängen, aus denen er gekommen war. Auf dem Weg zum Sicherungskasten. Dabei klimperte er nochmals mit dem Schlüsselbund und pfiff das Lied vom Bi-ba-Butzemann. Seine Schritte erzeugten im Flur einen Widerhall, der in der Ferne immer leiser wurde und schließlich ausklang. Ich blieb ratlos stehen und verarbeitete die eben vollzogene Konversation. Bis auch ich mich schließlich von hier entfernt hatte, um nach meinen Freunden zu sehen.
Später, als der Strom und alle Lichter repariert wurden – der Hausmeister mochte irre sein, doch er erfüllte pflichtbewusst seinen Job – fanden wir wieder alle zueinander. Uns allen ging es einigermaßen gut. Keinem von uns fehlte etwas. Wir verarbeiteten das Erlebnis auf unterschiedliche Weisen und rätselten den ganzen restlichen Abend, was wir dort draußen nur für eine Erscheinung gesehen haben könnten. Bloße Einbildung konnten wir deutlich ausschließlich. Denn wir sahen ja schließlich alle das selbe Wesen.
Theo meinte, es wäre nur ein kleinwüchsiger Mensch in Verkleidung gewesen, der uns einen Streich spielen wollte.
Rena fragte sofort bei einem der anderen Mädchen nach einem Zimmertausch, nachdem diese mit Fr. Luisa vom Schwimmen zurückgekehrt waren.
Riki war angepisst und wollte nichts mehr davon wissen.
Und ich…
Tja und ich? Ich blieb für den Rest des Abends still und dachte über das nach, was der Hausmeister sagte.
Auf meine letzte Frage, was mit „Großem Unheil“ gemeint wäre, gab mir der Hausmeister folgende Erklärung zur Antwort:
Dass, wer den gesichtslosen Butzemann einmal zu Gesicht bekommen hat, zwar nicht selbst von einem großen Unheil erfasst werden – doch schon bald Zeuge eines großes Unheil sein werden wird. Ein Unheil, welches einer anderen armen Seele zugefügt werden würde. Das meinte er zumindest. Ich verstand es nicht wirklich. Das Gespräch endete an dieser Stelle. Ob da was dran sei oder sich nur um Spinnerei handelte, konnte ich damals nicht sagen. Doch zum Grübeln brachte es mich allemal. Auf unseren Zimmern schauten wir in der Nacht immer wieder aus dem Fenster. Um zu sehen, ob das Zwergen-Wesen irgendwo am Waldrand nochmal auftauchen würde. Doch das tat es nicht mehr. Es verschwand mitsamt dem Regen, der irgendwann ebenfalls aufgehört hatte, wie es auch mit diesem zuvor aus dem Nichts erschienen war. Als ob alles in Wirklichkeit nur ein seltsamer Traum gewesen wäre.
Und so verging damals jene seltsame Nacht in der Jugendherberge im Wald. Am nächsten Morgen wurden wir alle von Fr. Luisa geweckt. Die Nacht hatten wir zwar einigermaßen gut überstanden, doch dieser Morgen sollte nichts gutes verheißen.
Die Art und Weise – wie uns unsere Lehrerin geweckt hatte – war komisch. Mit seltsamer Stimme und etwas perplexen im Unterton vor der Tür, nachdem sie anklopfte.Wir sollten alle, wenn wir uns fertig gerichtet hätten, schnellst möglichst in der Cafeteria zu einer wichtigen Besprechung versammeln. So hieß es. Wir wussten sofort, dass etwas nicht stimmte. So begaben wir uns, als wir fertig waren, sofort in die Cafeteria. Wo auch schon der Rest der Klasse an den Tischen verteilt gewesen war. Fr. Luisa war kreidebleich im Gesicht. Ihre Augen waren stark gerötet. Sie musste wohl geweint haben. „Setzt euch bitte zu den anderen.“, sagte Sie. Immer noch in dieser seltsam angeschlagenen Stimme. Wir wollten damals natürlich wissen was los sei.
Sie erzählte es uns. Unter erneut aufkommendem Schluchzen erzählte uns Fr. Luisa, dass heute Morgen an unserer Schule ein Amok-Lauf stattgefunden haben soll. Einer der Lehrer war durchgedreht und brachte eine geladene Kalaschnikow mit zur Schule. Er schloss das Klassenzimmer von innen ab und richtete ein Massaker an. Anschließend erschoss er sich selbst. Fünfunddreißig Schüler wurden dabei getötet, einer überlebte schwer verletzt und wurde in ein Krankenhaus gebracht. Wir konnten es nicht fassen und waren zutiefst schockiert. Nachdem uns das mitgeteilt worden war, begann ein Teil unserer Klasse zu wimmern. Tränen flossen und absolute Ungläubigkeit machte sich breit.
Was wir damals in dieser Jugendherberge erlebten, wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Auch jetzt noch. Dies alles liegt nun fast fünfundzwanzig Jahre zurück und ich konnte es nun endlich mit viel Überwindung in diesen Zeilen niederschreiben.
Was wir dort draußen am Waldrand stehen sahen…
Jenes kleine gesichtslose Wesen… Dessen Spitze seines langen schwarzen Hutes einzelnde Regentropfen von den von Regenwasser benetzten Blättern des dichten Laubes herunterprasseln und vom Erdboden absorbieren ließ.
Wir behielten es für uns. Wir erzählten niemandem etwas von unserer Begegnung mit dieser Gestalt. Na ja, zumindest bis jetzt.
Vom dem, was der Hausmeister damals zu mir gesagt hatte, erzählte ich wiederum meinen Freunden Theo, Riki und Rena nichts. Ich wollte es nicht noch schlimmer machen, als es ohnehin schon war.
Ob dies nun eine gute oder schlechte Entscheidung war, kann jeder für sich selbst entscheiden.
„Die See ist heute ziemlich unruhig. Hoffentlich treibt meine Flaschenpost auch weit genug hinaus.“, dachte sich ein Mann, der ein beschriebenes Papier in eine Glasflasche schob und die Flasche schwungvoll gen Ozean warf.
Für einen Moment war die Silhouette des Mannes in der Ferne auf der einsamen Bucht noch zu sehen. Dann schlug es ein zweites mal im Ozean ein.
Die unruhigen Wellen schäumten und wilde Möwen gaben ihr Laute von sich.