MicroMittelPsychologischer HorrorSchockierendes Ende

Der Junge im Schrank

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Wer mit Geschwistern aufgewachsen ist, weiß, wie schnell es zu Geschrei und umherfliegenden Spielsachen kommen kann. Besonders dann, wenn man sich gemeinsam ein Zimmer teilt. Und in diesem Fall hat eine in zwei geteilte Nintendo DS dafür gesorgt, dass sich Emil im Schrank vergräbt. Das tat er immer, wenn er beleidigt war.

Komm endlich aus dem Schrank“, sagte ich mit matter Stimme. „Das Teil lässt sich bestimmt wieder reparieren.“

Als älterer Bruder, der zumindest die Reife eines Teenagers besaß, wusste ich, dass das, was ich sagte, Blödsinn war. Das Teil war hinüber, wie mein erspartes Taschengeld für die nächste Zeit.

Zu meiner Verteidigung: Ich hatte ihm die Konsole deshalb entrissen, da er nicht teilen wollte. Dabei zerbrach sie schneller, als ich erwartet hatte.

Später an diesem Abend war es bereits dunkel. Über der verschneiten Stadt hing der Nebel wie ein Vorhang. Kälte drang durch das Fenster, also schloss ich es. Und wie ich meinen Bruder kannte, würde er in Kürze wieder aus dem Schrank steigen.

Was dieses Mal jedoch nicht passierte.

19:18 Uhr. So lange war er noch nie da drin, was mich ein wenig verwunderte. Andererseits war Sturheit nichts Neues bei ihm.

Klopf, klopf, klopf.“

Ich klopfte ein paar Mal an die Schranktür. Nichts passierte.

Weißt du noch, wie du einmal in einem Karton eingepennt bist?“, sagte ich mit einem Schmunzeln auf den Lippen.

Dabei stieg ein erdiger Geruch auf, vielleicht wegen der frischen Luft oder einfach nur wegen meiner laufenden Nase.

Ich klopfte vier weitere Male.

Bleibst du da echt die ganze Nacht hocken?, fragte ich.

Hallo? Jemand da?“

Nach einem letzten Klopfen gab ich schließlich auf. Ich wollte nicht den restlichen Abend damit verbringen, den Kleiderschrank anzustarren.

Soll er doch drin versauern, dachte ich.

Ich fröstelte plötzlich, ohne zu wissen warum, als ich noch einmal kurz hinter mich blickte, bevor ich mich zum Gehen bewegte.

Das Fenster war zu.

Ich begab mich in die Küche.

Der geöffnete Kühlschrank hüllte mein Gesicht in ein kaltes Licht, als ich zum Tiramisu des Vortages griff. In der Auflaufform sah es inzwischen wie von übergroßen Ratten angefressen aus. Es schmeckte aber noch.

Wie immer grüßte mich das Krümelmonster, als ich den Kühlschrank wieder schloss.

Ich setzte mich auf das Sofa. Dabei sinnierte ich über das merkwürdige Verhalten meines Bruders. Was tat er so lange im Schrank? Im Dunkeln sitzen und Däumchen drehen? War das wirklich seine Art, um Stress abzubauen?

Um mich abzulenken, schaltete ich den Fernseher an. Galileo. Der tausendste Dönerbeitrag. Ich wechselte das Programm: eine Sendung über Weihnachtsmärkte. Irgendwann dürstete es mich nach einer Milch. Wieder das Krümelmonster– dümmlich, blau, grinsend.

Der Gedanke an Emil ließ mir keine Ruhe, als erneut ein Hauch von Erde aufzog. Ein Geruch, der hier nicht hingehörte. Fremd. Eigenartig.

Ich kontrollierte die Fenster. Alle geschlossen; alle Jalousien abgesackt. Das irritierte mich mehr, als ich zugeben wollte.

Ich ging wieder nach oben. Zum Kleiderschrank.

Sag mal … riechst du das auch?“, fragte ich.

Keine Antwort.

Ich klopfte.

Dieses Mal klang das Holz dumpfer.

Etwas … anders. Fast erstickt.

Klopf, klopf, klopf.“

Ich klopfte etwas stärker.

Kannst du mich hören?“, fragte ich – ein Satz, der an diesem Abend unzählige Male folgen würde.

Gedenkst du, dort für immer zu bleiben?“

Keine Antwort.

Da er immer noch die beleidigte Leberwurst spielte, überlegte ich, wie ich ihn herauslocken konnte.

Mir kam eine Idee. Also wieder nach unten; nochmals am Krümelmonster-Sticker vorbei. Worauf ich es abgesehen hatte, befand sich unter einer Alufolie, auch das war noch vom Vortag übrig.

Emils Lieblingsessen: Kidneybohnen-Lasagne. Dazu konnte er sicherlich nicht Nein sagen.

Ich habe eine Überraschung für dich. Sie wird dir gefallen“, rief ich.

Mehr oder weniger kam mir die Stille aus dem Zimmer zu dicht vor. Bestimmt nur meine Nerven.

Ich erwärmte die Lasagne in der Mikrowelle, kehrte zurück und stellte den dampfenden Teller vor den Schrank, als wollte ich einen Geist besänftigen.

Zuversichtlich klopfte ich: „Hey, ich habe hier dein Lieblingsessen.“

Keine Reaktion.

Das Klopfen klang dumpfer, als würde etwas hinter der Tür nachgeben, und es folgte erneut dieser unbestimmte Erdgeruch, stärker als zuvor.

Wenn du aufgegessen hast, bring den Teller zum Spülen in die Küche“, sagte ich, zunächst mit gefasster Stimme. Denn langsam kroch mir die Stille mehr in die Ohren, als ich zugeben wollte.

Bevor ich ging: „Und bitte … komm raus.“

Den weiteren Abend verbrachte ich mit dem Lesen von Memes, Bizarro-Posts und Diskussionen auf Twitter. Dann hatte ich keine Lust mehr und legte das Handy weg. Mein Blick wanderte zur Treppe, die im Halbschatten lag. Der Weg nach oben. Zum Schrank.

Kommst du raus?“, rief ich nach oben.

Stille.

Steinernes Schweigen erfüllte das Haus.

Ich überlegte fieberhaft, was ich tun könnte, um ihn herauszulocken.

Mein Blick blieb am Christbaum hängen. Reichlich geschmückt mit Girlanden, Weihnachtskugeln und Lichterketten. Vereinzelt hingen Figürchen von Nussknackern und Engeln. Auf der Spitze des Baumes glomm ein Stern und unterhalb lagen bereits die ersten Geschenke. Mama gab sich wie jedes Jahr besonders viel Mühe beim Schmücken.

Wenn sie mich bei meinem Vorhaben erwischen würde, gäbe es Ärger.

Obwohl es eigentlich erst morgen so weit war, klemmte ich mir das Weihnachtsgeschenk für Emil unter den Arm, ein blaues Paket mit roten Schleifen, und kehrte damit zum Schrank zurück. Die Lasagne stand noch immer unangetastet da.

Der erdige Geruch war stärker geworden. Der Baum, redete ich mir ein. Nein, kein billiges Plastikteil. Ein echter, frisch geschlagener Nadelbaum aus dem Wald.

Vielleicht war es der Christbaum. Hoffentlich.

Hörst du mich?“, fragte ich.

Weißt du noch, das Baumhaus? Du oben, ich unten an der Leiter … du hast zu hastig gesägt, und die ganzen Späne flogen in mein Gesicht. Wir haben uns totgelacht.“

Ich stellte das Geschenk vor den Schrank. Es war das kleine Holzbrett, ein Überbleibsel, frisch geschliffen, mit Emils Initialen.

Jedenfalls … ich hab dir ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk mitgebracht. Es hat mit der alten Geschichte zu tun“, sagte ich. „Vielleicht willst du doch rauskommen.“

Nichts.

Ein Gefühl von Enge breitete sich in meiner Brust aus. Vielleicht wegen der Erinnerungen. Vielleicht wegen der Stille.

Seltsam, wie klar ich die Szene mit den Sägespänen vor Augen hatte.

Ich klopfte. Immer wieder.

Das Klopfen schien nicht nur hohler zu klingen, als läge Stoff dahinter, ich meinte sogar, etwas Feines wie Späne auf meinem Kopf zu spüren – ein Rieseln–, aber da war nichts. Mich beschlich ein mulmiges Gefühl.

Bitte … komm einfach raus.“

Mehr brachte ich nicht heraus.

Ich hatte fest damit gerechnet, spätestens zur Schlafenszeit, 23:00 Uhr, hektische Schritte und das Zerfetzen des Geschenkpapiers zu hören. Aber nichts. Nur der Abspann eines Weihnachtsfilms drang aus dem Wohnzimmer.

Ich lief im Flur auf und ab, immer wieder zur Kommode schielend.

Dort befanden sich das Telefon und die Notiz: „Sind bis morgen bei einem Geschäftsessen. Zwischen 20:00–01:00 Uhr nur im Notfall anrufen. Haben euch lieb.“

Ich schluckte.

Kannst du mich hören?“

Ich war wieder im Zimmer. Vor dem Schrank.

Willst du eine Entschuldigung? Ist es das, was du willst?“, fragte ich mit wachsendem Missmut. „Okay. Es tut mir leid. Bist du jetzt zufrieden?“

Die anhaltende Geräuschlosigkeit fühlte sich falsch an und ließ meine Verdrossenheit größer werden. Die Stille wurde zu dicht. Zu schwer.

Meine Verdrossenheit schlug um in Ärger, und mein Ärger schlug allmählich um in Verzweiflung.

Draußen ist das Telefon“, sagte ich. „Wenn du jetzt nicht rauskommst, rufe ich Mama an!“

Ich hob die Faust und klopfte.

Klopf, klopf …“

Dann härter:

BAM, BAM, BAM.“

Kälte kroch mir die Glieder hoch – nicht von draußen, nicht vom Fenster. Der Erdgeruch hing schwer in der Luft. Das Klopfen klang dumpfer als jemals zuvor.

Ich atmete flach ein und … ich hatte das Gefühl, mir ein paar feine Staubkörner aus dem Haar reiben zu müssen.

Bitte … komm raus. Bitte.“

Kaum mehr als ein Stottern spuckte ich aus.

Emil …?“

Inzwischen war mein Arm völlig ausgelaugt. Schwer wie Blei. Das Klopfen fühlte sich an, als ob man gegen Erde schlägt. Ein merkwürdiges Vibrieren.

Schwindel überkam mich, ich zitterte, und ich hatte das Gefühl, etwas drückte meine Brust zusammen.

Warum war es plötzlich so eng?

Warum roch ich … Erde?

Wirre Gedanken rasten durch meinen Verstand. Nichts ließ sich mehr sortieren.

Alles zog sich zusammen … und das nicht nur in meinem Kopf.

Ich tastete nach etwas Festem … Kaltem … ein stiller Widerstand.

Ein feines Rieseln über mir.

Dann …

Wie lange war ich schon hier?

Die eigene Hand konnte ich vor Augen nicht sehen. Eine erdrückende Enge. Und so stickig, dass das Atmen schwerfiel.

Ich schlug, immer wieder. Der Widerstand blieb stumm. Raues, feuchtes Holz war alles, wonach ich tastete.

Mit jedem Trommeln, Schreien und Hämmern rieselten Erdkrümel auf mein Gesicht.

Kein Emil. Kein Schrank. Kein Zuhause.

Ich schrie und schlug um mich, noch lauter, fester, aber ohne Echo. Keiner konnte mich hören im Dunkeln. Bis auf die Würmer um mich herum.

Holz.

Erde.

Totenstille.

Lichter brannten in den Straßen. An einem anderen Ort würde gleich der Gänsebraten serviert. Später gäbe es die Bescherung.

Heute, am Weihnachtsabend.

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