EigenartigesKreaturenLangeOrtschaftenÜbersetzung

Die Fremden

Endstation

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Mein Name ist Andrew Erics. Ich habe einmal in einer Stadt namens New York gelebt. Meine Mutter heißt Terrie Erics. Sie steht im Telefonbuch. Falls du die Stadt kennst und dies liest, finde sie. Zeig ihr das nicht, aber sag ihr, dass ich sie sehr lieb habe und dass ich versuche, nach Hause zu kommen. Bitte!

Angefangen hat alles, als ich mit 25 Jahren beschloss, dass es an der Zeit war, meinen Rucksack nicht mehr mit zur Arbeit zu nehmen. Ich dachte, es würde mich reifer aussehen lassen, wenn ich keine Schultasche mit mir herumschleppen würde wie ein Highschool-Schüler. Das bedeutete natürlich, dass ich morgens und nachmittags in der U-Bahn auf das Lesen verzichten musste, da meine Zeitschriften nicht mehr in eine Tasche hineinpassten. Eine Aktentasche wäre unpassend gewesen, da ich in einer Fabrik arbeitete, und Umhängetaschen kamen mir immer ein bisschen, ich weiß nicht, schwülstig vor. Für meinen Geschmack waren sie zu sehr wie eine Handtasche.

Eine Zeit lang hatte ich einen MP3-Player, mit dem ich mir die Zeit vertrieb, doch als er den Geist aufgab – er schaltete sich am Ende jedes Liedes ab, wenn ich nicht manuell zum nächsten Titel sprang -, habe ich auch ihn aufgegeben. So saß ich jeden Morgen eine halbe Stunde lang in der U-Bahn, die sich endlos hinzog, und hatte nichts anderes zu tun, als meine Mitreisenden zu beobachten. Ich war etwas schüchtern und wollte nicht dabei erwischt werden, deshalb observierte ich die Leute klammheimlich. Interessanterweise stellte ich schnell fest, dass ich nicht der einzige Mensch auf der Welt war, der sich in der Öffentlichkeit unwohl fühlte.

Die Leute vertuschten es auf verschiedene Weise, aber ich lernte, sie zu durchschauen. In meinem Kopf teilte ich sie in Kategorien ein. Da waren die Zappelphilipps, die es sich nicht bequem machen konnten, die ständig ihre Hände bewegten, ihr Gewicht verlagerten und ihre Beine mal näher, mal weiter zur Sitzbank bewegten. Das waren die auffallend nervösen Typen. Nach ihnen kamen die sogenannten „Pseudo-Schläfer“, die sich auf ihren Platz niederließen und praktisch in der gleichen Sekunde die Augen schlossen. Die meisten von ihnen schliefen aber nicht wirklich. Die echten Schläfer bewegten sich mehr, wurden bei Haltestellen oder nach lauten Geräuschen plötzlich wach. Die Fake-Schläfer waren von der Sekunde an, in der sie saßen, bis zu dem Moment, in dem der Zug an ihrer Haltestelle anhielt, einfach weggetreten.

Dann gab es noch die MP3-Player-Süchtigen, die gelegentlichen Laptop-Nutzer, die Leute, die in Gruppen reisten und zu laut redeten. Die Handy-Junkies waren entweder sehr populär oder konnten einfach nicht länger als zwei Minuten am Stück die Klappe halten, während sie sich lauthals am Telefon unterhielten, sodass es schließlich jeder bis ins letzte Abteil des Zuges mitbekommen hatte. Lästiges Pack.

Als die Beobachtung der Leute gerade unerträglich langweilig zu werden drohte, entdeckte ich die erste Ungereimtheit. Ein Mann mittleren Alters, braunhaarig, von durchschnittlicher Größe und Gewicht und lässig gekleidet. Seltsamerweise wirkte er fast zu normal. Er besaß keine außergewöhnlichen Merkmale, keine Eigenheiten, als wäre er dafür gemacht, in einer Menschenmenge unterzugehen. Das war es auch, was mich auf ihn aufmerksam machte – ich wollte sehen, wie sich die Leute in der U-Bahn verhielten, und er verhielt sich nicht einmal. Und er reagierte auch nicht. Es war, als würde man jemanden vor dem Fernseher sitzen sehen, der sich eine Dokumentation über Fische ansieht. Er ist nicht besonders aufgeregt und beschäftigt, aber er wendet auch nicht den Blick ab. Er ist anwesend, wird aber nicht beachtet.

Er ist nachmittags mit der U-Bahn gefahren. Es dauerte mehr als einen Monat, bis er mir auffiel, denn ich fuhr nicht jeden Tag mit der gleichen U-Bahn und setzte mich nicht bewusst in den gleichen Waggon, wenn ich es tat. Ich glaube, ich sah ihn das erste Mal an einem Montag und das zweite Mal am Donnerstag derselben Woche. Er nahm offensichtlich denselben Zug und saß im selben Waggon – sogar auf demselben Platz.

Zwangsstörung? Dachte ich zu dem Zeitpunkt.

Da er mir beim ersten Mal so sehr aufgefallen war, beobachtete ich ihn beim nächsten Mal noch intensiver. Er war, ehrlich gesagt, geradezu beängstigend. Er hat überhaupt nichts getan. Er saß ausdruckslos da, den Kopf gerade gerichtet, egal, was passierte. Eine Frau mit einem weinenden Kind stieg in den Wagen ein und setzte sich direkt hinter ihm. Er drehte nicht einmal seinen Kopf oder runzelte verärgert die Stirn. Und das Kind war auch noch verdammt laut.

Als die U-Bahn an meiner Haltestelle ankam, wurde mir mulmig, beim Aussteigen zitterten meine Hände, als hätte ich einen Nikotinanfall. Irgendetwas an diesem Mann war „falsch“. Er war, so dachte ich, eine Art Freak. Ein Soziopath vielleicht, einer dieser stillen Typen, der ein Dutzend Frauenköpfe in seiner Gefriertruhe hat, wobei das erste Opfer seine Mutter war.

Ich ertappte mich dabei, dass ich nachmittags nach der Arbeit absichtlich trödelte und in den Kiosken im Einkaufszentrum nahe der U-Bahn stöberte, auch wenn ich nicht vorhatte, etwas zu kaufen. Ein paar Wochen lang vermied ich es, in die U-Bahn zu steigen, und wenn ich mich an der Haltestelle wiederfand, wenn sie einfuhr, wählte ich einen Waggon, der möglichst weit von dem entfernt war, in dem ich ihn gesehen hatte.

Dann, eines Morgens, begegnete ich einer anderen Person, bei der in meinem Kopf die gleichen Alarmglocken läuteten.

Eine Frau, die genauso unscheinbar aussah, genauso fehl am Platz in dem Tumult, der um sie herum herrschte. Später wurde mir klar, dass in dem Moment, als ich sie erkannte, meine Obsession begann. Das Beobachten von Menschen, das als eine Art Hobby angefangen hatte, um die Langeweile zu vertreiben, wurde für mich zu einer Art Religion. Ich konnte nicht in die U-Bahn oder den Bus steigen, ohne jeden Fahrgast zu mustern und eine Checkliste in meinem Kopf auszufüllen. Schlichte, einfarbige Kleidung ohne Markennamen? Check. Keine Mimik, keine beiläufigen Blicke aus dem Fenster oder in Richtung anderer Fahrgäste? Check. Keine Taschen, Geldbörsen oder Accessoires? Check. Check, Check, Check, wir haben noch einen. Seitdem habe ich sie „die Fremden“ getauft.

Ich sah sie nicht jeden Tag, auch nicht, als ich anfing, öfter als nötig die U-Bahn zu nehmen, und auch nicht, als ich abends mit den Bussen fuhr, die nicht auf meinem Weg lagen. Aber sie waren da, und zwar oft genug. Wenn sie mir begegneten, biss ich die Zähne zusammen, meine Handflächen schwitzten und meine Kehle war wie ausgetrocknet. Wenn du schon mal eine Rede gehalten hast, kennst du dieses Gefühl womöglich. Auch wenn sie mir nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkten, hatte ich das Gefühl, mich für sie zur Schau zu stellen. Ich konnte sie sehen, so deutlich wie der Tag. Wie könnten sie mich da übersehen?

Das taten sie aber nicht, jedenfalls nicht so, dass ich es merken konnte. Als meine Neugierde schließlich über meine Angst siegte, beschloss ich, einem von ihnen zu folgen. Ich entschied mich für den, der als Erster aufgetaucht war, den Mann in der Nachmittags-U-Bahn, der immer auf demselben Platz saß. Ich stieg ein und belegte einen Platz hinter ihm. Wir fuhren bis zum Ende der Linie, als er aufstand und vor mir ausstieg. Mit etwas Abstand verfolgte ich ihn, aber er kam nicht weit. Er setzte sich auf eine benachbarte Sitzbank, so ausdruckslos wie eh und je, und ich bog um eine Ecke und versuchte, lässig zu wirken. Nach ein paar Minuten traf die nächste U-Bahn ein, und ich sah, wie er einstieg und denselben Platz einnahm. Doch ich hatte nicht den Mut, ihm noch einmal zu folgen.

Er war nirgendwo hingegangen! Er war nur bis zum Ende der Linie gefahren und dann was? Zurückgefahren? Welchen Grund könnte er, könnte irgendjemand, dafür haben? Der Gedanke nagte an mir, noch lange, nachdem ich mit einem späteren Zug nach Hause gefahren war und versucht hatte, mich auszuruhen. Es ließ mich nicht los, bis ich mir einen Reim darauf machen konnte. Ich war nicht mehr nur verwirrt, sondern regelrecht wütend. Warum fuhr dieser eigenartige Bastard, dieser fast unmenschliche Mann, in der U-Bahn hin und her und erreichte kein Ziel? Der Verstand, so habe ich einmal gelesen, schreckt vor bestimmten Dingen zurück, weil allein ihr Anblick ein Affront ist. Spinnen lösen das bei vielen Menschen aus, insbesondere große Spinnen. Sie sehen für uns einfach falsch aus, fremdartig. Das war die Wirkung, die die Fremden auf mich zu haben schienen. Sie beleidigten meine Sinne.

Am nächsten Tag folgte ich ihm wieder, und am übernächsten Tag noch einmal. Jeden Tag, mindestens eine Woche lang, unternahmen wir beide unsere stillen Ausflüge zusammen, obwohl nur ich es wusste. Ende der Woche folgte ich ihm stundenlang, bis zum letzten Zug, der an diesem Abend in der Nähe meines Wohnblocks hielt. Wir fuhren von einem Ende der Stadt zum anderen und dann wieder zurück. Ich beobachtete nicht mehr die Leute. Sondern Personenbeobachtung, Fremdenbeobachtung. Ich hatte für niemanden mehr Augen, obwohl ich am Rande mehr als ein paar verwirrte Blicke in meine Richtung bemerkte. Abgesehen davon waren wir zwei vielleicht die einzigen Menschen auf der Welt, wenn es nach mir ginge.

In der folgenden Woche verlor ich meinen Job. Mein Vorgesetzter war sehr freundlich und zurückhaltend, aber bestimmt. Ich war unkonzentriert, ich hatte keinen Fokus. Ich war nicht einmal annähernd produktiv. Es war eine gute Erklärung, glaube ich, aber ich konnte sie kaum vernehmen. Alles, woran ich denken konnte, war meine neue Arbeit, meine Mahnwache. Was würde dieser Mann, nein, dieses Ding, in der U-Bahn anstellen, wenn ich nicht da war, um ihn im Auge zu behalten? Ich verließ die Arbeit zum letzten Mal an diesem Tag um zwölf Uhr mittags. Normalerweise hätte ich um halb sechs mit der Verfolgung meiner Zielperson begonnen, aber ich war mir sicher, dass er schon auf mich warten würde. Jetzt wünschte ich mir, ich hätte dem Tag mehr Aufmerksamkeit geschenkt. War es sonnig? Immerhin war es Sommer. Ich hätte in der Stadt spazieren gehen können, um vielleicht ein paar hübsche Mädchen aufzusuchen. Ich hätte in einem Straßencafé einen Cappuccino trinken und eine Zigarette rauchen können und dann nach Hause gehen und meine aufkeimende Versessenheit aus dem Kopf verbannen können. Einen neuen Job finden und in Zügen und Bussen wieder anfangen zu lesen.

Stattdessen habe ich gewartet. Da mehrere Züge die Linien hoch- und runterfahren, saß ich mindestens eine Stunde lang im Bahnhof, bis ich ihn durch ein Fenster erblickte. Ich betrat den Waggon und merkte, dass meine Haut zum ersten Mal nicht mehr klamm war, meine Hände nicht mehr zitterten und mein Herz nicht mehr heftig pochte. Ich saß ihm zum ersten Mal direkt gegenüber, direkt in seinem Blickfeld. Ich achtete auf eine Veränderung in seinem Gesicht. Würde er mich erkennen? Wenn ja, sah ich keine Anzeichen dafür, und ich habe genau hingesehen. Wir müssen ein tolles Paar gewesen sein, als wir uns an diesem Nachmittag gegenüber saßen und uns gegenseitig anstarrten. Nur mit Mühe konnte ich verhindern, dass die aufsteigende Wut in mir mein Gesicht verzerrte, aber ich schaffte es, genauso ruhig und ausdruckslos zu bleiben wie er. Innerlich schrie ich ihn praktisch an. Reagiere auf mich, du verdammtes Arschloch! Sieh mich an, verdammt noch mal! Ich weiß, was du bist!

Aber ich tat es nicht und meine wortlosen Forderungen wurden nicht erhört, weder bei der ersten, noch bei der zweiten, noch bei der dritten oder zehnten Fahrt. Wir sind zusammen bis tief in die Nacht gefahren und an jeder Endstation sind wir zusammen ausgestiegen und haben gewartet. Ich saß direkt neben ihm auf der Bank und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, ohne etwas von ihm zu erfahren. Aber zwei konnten dieses Spiel genauso gut spielen wie einer.

Schließlich machten wir unseren letzten gemeinsamen Ausflug. Ich hatte ihn und wusste es. Die letzte Fahrt in der Nacht, bevor die Züge nicht mehr verkehrten. An diesem Punkt ließ ich ihn immer von mir weg, denn die Endstation ist weit von meinem Zuhause entfernt und die Busse enden zur gleichen Zeit wie die U-Bahnen. Aber dieses Mal würde ich ihm folgen, um endlich zu sehen, was er ist, wenn die Züge nicht mehr fahren. Vielleicht würde ich ein paar Antworten bekommen.

Die U-Bahn fuhr weiter, und die Vorfreude wuchs in mir. Der Waggon leerte sich langsam um uns herum, bis nur noch wir zwei stille Beobachter unter der Stadt waren. Ich kämpfte darum, ein manisches Grinsen zu unterdrücken, und die U-Bahn verlangsamte sich zum Kriechgang und stoppte anschließend. Die Endstation.

Der Fremde bewegte sich nicht, reagierte immer noch nicht. Der Zug stand still, die Türen waren offen. Ich konnte die letzten Nachzügler hören, die sich irgendwo hinter uns auf den Weg aus dem Bahnhof machten, ihre Schritte hallten in der Stille wider. Nichts. Das Lautsprechersystem ertönte, um allen, die noch halb schliefen, mitzuteilen, dass wir die Endstation erreicht hatten. Immer noch nichts. Schließlich konnte ich wieder Schritte hören. Ein Schaffner oder so etwas, der seinen Kopf in jeden Waggon steckte, um sich zu vergewissern, dass er leer war, um den Zug dorthin zu bringen, wo er in der Nacht stehen sollte. Ich wandte meinen Blick nicht von meiner schweigsamen Beute ab.

Ich konnte den Schaffner aus den Augenwinkeln sehen, als er schließlich unseren Wagen erreichte. Er schaute hinein, ließ seinen Blick über uns schweifen und ein verdutzter Blick überzog sein Gesicht. Er blinzelte ein paar Mal und hielt dann inne. Ich wartete darauf, dass er etwas sagte, der Moment zog sich in die Länge, aber dann ließ er uns mit einem leichten Kopfschütteln stehen. Vor unserem Zug stand ein anderer Waggon, und ich hörte, wie er anhielt, um auch diesen zu überprüfen, und ein paar Minuten später fuhr der Zug wieder an. Wir fuhren eine Weile, dann machten wir eine Kehrtwende und die U-Bahn wurde geparkt. Ich konnte in die Fenster weiterer Züge auf beiden Seiten von uns sehen und durch ihre gegenüberliegenden Fenster sogar in noch mehr.

Und dann lächelte er mich an. Es war nur ein kleines Kräuseln der Lippen, das mir nicht aufgefallen wäre, hätte ich nicht die letzten Stunden damit verbracht, sein Gesicht zu studieren. „Also“, sagte er mit einem rauen Bariton. „Da wären wir.“

Ich versuchte zu antworten, konnte es aber nicht sofort. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Angst erfüllte mich. Es fühlte sich an, als wäre die ganze unterirdische Höhle, in der wir uns befanden, über mir zusammengebrochen. Ich hustete und stammelte und schaffte es schließlich mit rauer Stimme, die Frage zu stellen, die mich nachts wach gehalten, halb in den Wahnsinn getrieben und an diesen Ort und in diesen Moment geführt hatte. „Was bist du?“

Er ignorierte mich. Er stand auf, und die Zugtüren öffneten sich. Schockierenderweise wandte er sich dann zu mir um. „Kommst du?“

Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern ging auf den Bahnsteig hinaus. Ich beeilte mich, ihm zu folgen. „Komm schon, verdammt noch mal!“, rief ich. „Sprich mit mir! Wer bist du? Und was? Warum fährst du den ganzen verdammten Tag mit der U-Bahn?“ Er drehte sich nicht um oder verlangsamte seinen Gang. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber es ist anzunehmen, dass er überhaupt nicht reagiert hat, genauso wenig wie auf alles andere. Ich pirschte mich an ihn heran und brüllte noch eine Weile, aber irgendwann gab ich auf. Fünf Worte waren alles, was ich aus ihm herausbekommen würde.

Wir liefen den Bahnsteig entlang, bis wir an eine Abzweigung stießen, und bogen dann ab. Nun standen wir senkrecht zu den umliegenden Zügen. Der Weg vor uns war von oben beleuchtet, aber ich konnte nicht sehen, wo er endete. Soweit ich sehen konnte, verliefen die Züge auf beiden Seiten endlos weiter. Viel zu viele Züge für eine Stadt stellte ich fest. Ich denke, dass es zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr gespielt hätte, aber ich hätte wohl besser darauf achten sollen.

Ich bin nicht sicher, wie lange wir gelaufen sind. Einmal besaß ich eine Uhr, aber sie ging kaputt. Irgendwann holte ich mein Handy heraus, aber ich hatte dort unten keinen Empfang, und es zeigte mir nur „Kein Signal“ an. Der Fremde blieb ab und zu stehen und schaute sich ein oder zwei Minuten lang einen U-Bahn-Waggon an, aber dann zog er weiter. Ich brauchte eine Weile, um herauszufinden, warum, aber schließlich sah ich, dass sie nicht alle gleich waren. Die langen Reihen ähnelten sich, aber dann kamen wir zu einem anderen Modell. Es war ein bisschen größer oder kleiner oder hatte eine etwas andere Form. Auch die Cockpits, oder wie auch immer man den vorderen Teil nennt, in dem der Schaffner sitzt, waren oberflächlich betrachtet sehr unterschiedlich. Ich wusste es nicht, und ich weiß auch nicht, wonach er genau suchte, aber irgendwann muss er es gefunden haben, da wir wieder abbogen und sich die Türen der U-Bahn öffneten, als mein Gelegenheitsführer vor ihnen anhielt. Wir stiegen ein und setzten uns.

„Bist du jetzt bereit zu sprechen?“, fragte ich ihn. Keine Antwort. Frustriert seufzte ich und wog ernsthaft das Pro und Contra ab, ihm eine Zeit lang ins Gesicht zu schlagen, als plötzlich das Licht im Wagen eingeschaltet wurde und ich den Motor starten vernahm. „Was zum Teufel?“

Er warf mir einen Blick zu, der beinahe betrübt wirkte. „Du wirst nicht zurückgehen können.“

„Wovon redest du? Wohin zurückgehen?“ Wieder nichts. Dieses mauernde Arschloch! Der Zug setzte sich in Bewegung und fuhr in die entgegengesetzte Richtung als die, aus der wir gekommen waren. Denke ich. Die dauernde Parade der Züge hat meinen Richtungssinn aus dem Gleichgewicht gebracht. Er rollte ein paar Minuten lang und wurde erst dann langsamer, als wir uns der Haltestelle näherten. Sein leerer Blick wurde schärfer und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass er mich tatsächlich anstarrte und nicht nur in die Richtung schaute, in der ich mich gerade befand.

„Sei unauffällig, sei still. Errege nicht ihre Aufmerksamkeit.“

Der Zug hielt an, die Türen öffneten sich und sie strömten herein. Ich weiß nicht, was mir zuerst auffiel – die seltsame Kleidung, die zu langen Arme, deren Hände fast den Boden berührten, die tiefschwarzen Augen und kantigen Gesichter oder der blaugraue Farbton ihrer Haut. Meine Augen nahmen all diese Reize auf, aber mein Gehirn weigerte sich eine lange Sekunde lang, sie zu verarbeiten, und als ich es schließlich doch tat, konnte ich den Schrei, der sich seinen Weg aus meiner Kehle bahnen wollte, gerade noch unterdrücken. Ich dachte, mein Herz würde explodieren. Verdammt, ich dachte, ich würde explodieren. Alles in mir bebte und pochte wie eine angeschlagene Gitarrensaite. Mir wurde schwindelig, wofür ich dankbar war, und ich musste mich übergeben. Mein Mund war wie zugeschnürt und ich zwang mich, es herunterzuschlucken, was mir kaum gelang. Meine Instinkte schrien mir seine Worte entgegen – Sei unauffällig! Sei still! Errege nicht ihre Aufmerksamkeit!

Dieser Tag ist verschwommen. Wir fuhren in der U-Bahn auf und ab, still und ausdruckslos, stundenlang, vielleicht tagelang. Sie kam mir viel länger vor als die Linie, die ich kannte, die Linie, in der ich dem Fremden gefolgt war. Die grässlichen Dinge um uns herum schienen uns keine übermäßige Aufmerksamkeit zu schenken, obwohl wir sehr auffällig gewesen sein müssen. Ich war so versteinert vor Angst, dass ich in Tränen ausbrach, als wir schließlich allein in die endlose Höhle der Züge zurückkehrten. Ich brach auf dem Boden zusammen und schluchzte lange Zeit einfach nur, während der Fremde teilnahmslos zusah.

Als ich mich wieder unter Kontrolle hatte, schaute ich ihn flehend an. „Bring mich nach Hause“, krächzte ich. „Bitte.“

„Das kann ich nicht“, sagte er mir. „Ich weiß nicht, welche von ihnen dich zurückführen würde. Wenn es überhaupt einen gibt.“ Er erhob sich und ging auf den Bahnsteig hinaus, und ich stand müde auf und folgte ihm. Er drehte sich ruckartig um. „Ich glaube, du bist mir genug gefolgt.“

Die Wut, die ich zuvor für ihn empfunden hatte und die Panik vorübergehend unterdrückt hatte, stieg in mir auf. „Was?“, schrie ich und stürmte nach vorne. Ich packte ihn an den Schultern und schleuderte ihn mit einer wahnsinnigen Kraft, von der ich nicht einmal wusste, dass sie in mir steckt, gegen die Seite eines U-Bahn-Waggons. „Du verdammter Hurensohn, was zum Teufel hast du mit mir gemacht!?“ Ich schlug ihn wieder und wieder. „Nimm mich zurück!“ Er ließ alles passiv über sich ergehen, und schon bald erlosch die auflodernde Wut in mir und ließ mich leer zurück. „Bitte“, bettelte ich, „bitte bring mich nach Hause.“

„So funktioniert das nicht“, sagte er. „Wenn wir zusammenbleiben, ist es wahrscheinlicher, dass wir bemerkt werden. Geh deinen eigenen Weg. Sei still und unauffällig, dann werden sie denken, dass du zu ihnen gehörst.“

„Wie konntest du mir das antun? Warum?“

Wieder schenkte er mir einen beinah betrübten Gesichtsausdruck. „Ich musste es tun. Das wirst du auch. Manchmal ist man… festgefahren.“ Er streifte meine Hände von seinen Schultern und drehte sich um, um fortzugehen. Ich fiel auf die Knie, als ich plötzlich keine Kraft mehr hatte, und sah ihm nach. An der Kreuzung drehte er sich noch einmal um und sah mich an. „Es tut mir leid.“ Dann war er verschwunden.

Ich blieb sehr lange auf den kalten Fliesen liegen. Ich rollte mich zu einem Ball zusammen und weinte eine Zeit lang. Als keine Tränen mehr in mir waren, schaffte ich es sogar, etwas zu schlafen. Als ich aufwachte, war der U-Bahn-Zug, mit dem ich gekommen war, nicht mehr da – er brachte noch mehr blaugraue Abscheulichkeiten dorthin, wo blaugraue Abscheulichkeiten immer hingehen. Ich hätte es sowieso nicht ausgehalten, dorthin zurückzugehen.

Ich versuchte, den Weg zurück zum Ausgangspunkt zu finden, um eine U-Bahn zu finden, die ich wiedererkannte, aber ich war mir nicht einmal mehr sicher, in welche Richtung ich hätte gehen sollen. Erst lief ich eine Stunde lang, dann noch eine. Endlich fand ich eine Metro, die mir vielleicht bekannt vorkam. Oder ich war verzweifelt genug, um mir das einzubilden. Als ich an die Tür trat, wurde sie mir geöffnet und ich nahm Platz. Der Zug fuhr an, und obwohl ich mein Leben lang ein Agnostiker war, betete ich mir die Seele aus dem Leib. Der Zug kam langsam zum Stehen, die Türen öffneten sich und für einen Moment dachte ich, ich sei gerettet. Menschen! Menschliche Wesen! Ich wäre der gläubigste Mensch der Welt!

Dann bemerkte ich die Augen. Genauer gesagt, das dritte, große Auge in der Mitte ihrer Stirne. Leck mich doch am Arsch, Gott, dachte ich.

Aber sie waren leichter zu ertragen als die letzten, und dafür war ich dankbar. Das dritte Auge blinzelte jedoch unabhängig von den anderen beiden, was mich anwiderte. Wenn einer von ihnen lächelte oder lachte oder sich mit einem anderen unterhielt, konnte ich nicht umhin, zu bemerken, dass ihre Zähne scharf und unförmig waren und gelb-grün vor Dreck. Doch wenn ich vorsichtig und selektiv blind war, konnte ich eine Zeit lang so tun, als wäre ich zu Hause. Bis einer von ihnen mit einem Sandwich in der Hand hereinkam und ich mit Schrecken feststellte, dass ich hungrig war und seit Tagen nichts mehr gegessen oder getrunken hatte.

An der nächsten Endstation, an der ich ankam, beschloss ich, etwas zu essen oder zu trinken zu suchen. Keine Ahnung, weshalb ich gewartet habe, aber es schien mir wichtig zu sein – um bis zur Endstation zu fahren. Als ich dort ankam, konnte ich mich kaum dazu durchringen, den Zug zu verlassen. Ich hatte den Fremden noch nie die U-Bahn verlassen sehen – und ich hatte ihn auch noch nie essen oder trinken sehen. Aber mein Magen akzeptierte kein Nein als Antwort. Ich stählte mich und versuchte, meine Miene neutral zu halten, und machte mich auf den Weg in den eigentlichen Bahnhof. Dann wurde ich etwas durcheinander gebracht.

Ich war auf der Suche nach Rolltreppen oder Treppen oder so etwas, aber alles, was ich sah, waren Löcher im Boden, in den Wänden und in der Decke. Riesige, unregelmäßig große Löcher, als wäre ich mitten in einem Bienenstock. Was sollte ich tun? In eines hinein springen? Es ergab keinen Sinn für mich, bis jemand durch eines davon kam. Er schwebte durch den Boden nach oben und dann an mir vorbei. Er runzelte kurz die Stirn, oder zumindest glaube ich, dass es ein Stirnrunzeln war, aber anscheinend reichte das, was sie davon abhielt, mich in der U-Bahn als Außerirdischen zu erkennen, zumindest so weit. Leider konnte ich nicht schweben, was der einzige Weg aus dem Bienenstock der U-Bahnstation zu sein schien. Fluchend machte ich mich auf den Weg zurück in den Tunnel.

Ich war wütend, hatte mich verlaufen, hatte Hunger und war einem Schicksal überlassen worden, das, wenn es nicht schlimmer als die Hölle war, mindestens doppelt so dumm und dreimal so unsinnig war. Ich war nicht in der besten Verfassung, was den Fehler meiner Meinung nach entschuldigt. Denn jeder weiß: Wenn man an einem öffentlichen Ort einfach nur schnell um die Ecke biegt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man jemanden anrempelt. So war es auch bei mir. Ich stieß mit einer Frau zusammen und fiel auf den Boden. Ohne nachzudenken, reagierte ich so, wie es jeder New Yorker tun würde – nämlich schlecht. „Verdammte Scheiße, du dumme Schlampe! Pass auf, wo du hinläufst!“

Ich erkannte meinen Fehler, noch bevor sie es tat. Ihr Blick wurde fragend und verwirrt, und als sie mich wirklich bemerkte, wölbten sie sich vor Entsetzen. Sie sprang – na ja, schwebte schnell – vor mir zurück und stieß einen gellenden Schrei aus. Es war zwar etwas jaulender, als ich es gewohnt war, aber ich verstand, worum es ging. Etwas weiter unten im Tunnel sah ich fremde, dreiäugige Köpfe auf uns zukommen. Plötzlich dachte ich an all die scharfen, dreckigen Zähne und rannte los. Die U-Bahn war nicht da, aber es führte ein Weg entlang des Tunnels – für die Reparaturarbeiter, nehme ich an. Dort, wo ich herkomme, wird er jedenfalls benutzt. Ich gab Vollgas und rannte einfach weiter, bis sich jeder Atemzug wie ein Messerstich anfühlte. Keuchend blieb ich stehen und schaute zurück. Der Tunnel hatte sich gekrümmt, sodass ich das Licht nicht mehr sehen konnte, aber niemand schien mir zu folgen. Umzukehren war jedoch keine Option.

In der Dunkelheit ging ich eine lange Zeit weiter. Schließlich kam ich zu einer kleinen Öffnung in der Wand und machte dort Halt, um mich auszuruhen. Hunger, Verzweiflung und eine rasante Flucht vor Angst hatten mich völlig ausgelaugt. Wahrscheinlich hätte ich wieder geweint, denn das schien alles zu sein, wozu ich in letzter Zeit fähig war, aber das schien einfach zu viel Arbeit zu sein. Ich setzte mich mit gespreizten Beinen an die Wand und stellte mir vor, wie ich diesen Fremden mit einem Hammer zu Tode prügelte. Es war eine beruhigende Vorstellung.

Eine Ratte schlurfte in der Nähe im Dunkeln herum. Ab und zu trat ich mit dem Fuß nach ihr, um sie zu verscheuchen, aber nach einer Weile machte ich mir nicht einmal mehr die Mühe dazu. Tollwut oder irgendeine andere Krankheit, die sie übertragen könnte, wäre ein Segen im Vergleich zu der ewigen Reise durch die Unterführungen fremder Welten, verloren, mittellos und allein. Als es wieder in meine Nähe kroch, verscheuchte ich es nicht. Selbst als es mein Bein berührte und drückte, konnte ich mich nicht dazu bringen, es zu beachten. Erst als ein Zug vorbeifuhr und die Lichter seiner Waggons den Durchlass erleuchteten, in dem ich mich befand, und das Ding, das ich für eine Ratte gehalten hatte.

Es war rattenähnlich, ja, aber weniger das, als es spinnenähnlich war. Wenn jemand die beiden miteinander gekreuzt hätte, wäre das Ergebnis fast so schrecklich gewesen wie das Ding, das an meinem Bein knabberte. Ich schrie auf, warf mich vom Boden hoch und stieß es wie ein Fußballspieler direkt gegen die gegenüberliegende Wand. Sein Rücken knirschte und ich sah zu, wie es sein letztes Zucken ausstieß, bevor der letzte Waggon vorbeifuhr und die Dunkelheit zurückkehrte.

In der Finsternis überkam mich ein schrecklicher Gedanke. Ich fragte mich, ob es essbar war. Ich wollte es nicht, und schon bei der Vorstellung musste ich würgen, aber ich hatte Hunger, und es gab keine Garantie, dass ich an diesem Ort oder jemals wieder etwas zu essen finden würde. Die Rattenspinne war meine einzige Möglichkeit. Ich zögerte so lange wie möglich, aber am Ende war das Überleben wichtiger als der Ekel. Ich hatte mein Feuerzeug dabei, aber nichts zum Anzünden. Ich rupfte Fleisch von ihrem Kadaver und kochte es ein wenig, indem ich es über die Flamme hielt, aber das half nicht viel. Nichts konnte helfen. Sein Fleisch war verdorben, verdorbener als alles, was du dir vorstellen kannst. Seitdem habe ich so verzweifelt nach Essen gesucht und viele andere fragwürdige Dinge gegessen, aber nichts war je so schlimm wie die Rattenspinne.

Im Nachhinein betrachtet, wurde ich damals zum Fremden. Zuvor hatte ich darum gekämpft, den ausdruckslosen Zustand zu erreichen, den der andere aufrechterhalten hatte. Was ich für Ruhe gehalten hatte, war Gefühllosigkeit. Ein scharfer Stein, der in einen Fluss geworfen wird, wird mit der Zeit durch das Wasser abgerundet, und das, was ich durchgemacht hatte, hatte dasselbe bewirkt. Als ich in der Dunkelheit, unter einer fremden Welt, ein Monster zerriss und fraß, wurden die letzten Kanten geglättet. Als ich aus der Schwärze in den Tunnel zurückkehrte, war ich genauso ausdruckslos und leer wie derjenige, der mich hierhergeführt hatte.

Das war aber nicht das Schlimmste. Das Schlimmste kam später, als ich das erste Mal stecken blieb. Der Fremde hatte es erwähnt, aber in meinem Zustand bemerkte ich es kaum. Eines Nachts, an der Endstation, wurde ich aufgefordert, den Zug zu verlassen. Die Welt war eine der näher an der Normalität liegenden. Die Menschen waren fast menschlich, wie ich es erkannte. Sie waren zwar orange und hatten einen Buckel, aber ansonsten waren sie fast normal. Nach der letzten Welt, in der die Menschen hässlich übergewichtige, sechsbrüstige Zwitterwesen ohne Nasen waren, fand ich die orangenen Typen ziemlich hübsch.

Zuerst dachte ich, dass der Schaffner mit jemand anderem spricht, aber ich war der Einzige im Wagen. Und außerdem hatte ich ihn verstanden. Die Orangen hatten sicherlich nicht den ganzen Tag Englisch gesprochen, aber trotzdem konnte ich verstehen, was er sagte. Als ich aufstand, wurde mir langsam klar, warum. Ich konnte nicht aufrecht stehen. Ich hatte einen Buckel und war, wie ich in meinem Spiegelbild vor dem Fenster sah, orange. Von da an setzte ich den Rest zusammen. Festgefahren bedeutete, dass ich aus irgendeinem Grund in dieser Welt gefangen war und auch so aussehen musste wie sie. Das wäre praktisch, wenn ich die Gelegenheit nutzen wollte, die U-Bahn-Station zu verlassen – was zwar meistens möglich ist, aber sehr viel Sorgfalt erfordert und ziemlich überwältigend ist. Fremde Welten sind ein bisschen abstoßend, habe ich festgestellt. Du versuchst, sie mit deiner eigenen zu vergleichen, aber die Unterschiede sind so groß, dass dir einfach schlecht wird.

Ich verließ die U-Bahn, denn es war klar, dass ich in dieser Nacht nicht zum zentralen Knotenpunkt zurückkehren würde, wie ich die unendliche Reihe von U-Bahn-Zügen zu nennen pflegte. Und auch in keiner anderen Nacht, wie ich bald herausfand. Was auch immer mich unbemerkt hatte gehen lassen, es funktionierte nicht mehr. Ich überlegte kurz, ob ich bleiben sollte. Aber dieser Ort war nicht mein Zuhause und konnte es auch nie sein. Auch wenn sie so aussahen wie ich, war ihre Kultur zwangsläufig eine andere. Das war eine Lektion, die ich bereits gelernt hatte. Selbst Welten, in denen die Menschen nicht von mir zu unterscheiden sind, bergen Gefahren in sich. Ich war einmal auf einer Welt, auf der die Menschen genauso aussahen wie ich – na ja, eigentlich sahen sie brasilianisch aus, aber das war mehr als nahe genug – und musste auf die harte Tour lernen, dass die Geste, die für mich „Hallo“ bedeutet, eine ernsthafte Beleidigung war. Beleidigend genug, dass ich halb totgeschlagen wurde, während die Menge zustimmend zusah.

Und selbst wenn dieser Ort eine Kultur hätte, die ich nachahmen könnte, wollte ich nicht bleiben. Ich wollte nur eines: nach Hause finden oder den Fremden finden, der mich auf diesen Weg gebracht hatte, und ihm die Scheiße aus dem Leib prügeln. Nichts anderes würde funktionieren.

Also wollte ich weiterziehen. Ich war mir aber nicht sicher, ob ich einem armen Trottel das antun konnte, was man mir angetan hatte. Konnte ich wirklich einen anderen dazu zwingen, so wie ich durch den ewigen Untergrund zu wandern? Es stellte sich heraus, dass ich das gar nicht musste. Nach ein paar Monaten bemerkte mich einer von ihnen, ja, und begann, mir wochenlang zu folgen. Ich ließ es sorgfältig so aussehen, als hätte ich ihn nicht gesehen, genau wie der Fremde. Aber ich war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihn zu warnen und dem Wunsch, ihn ans Ende der Welt zu bringen, damit ich seine trostlose Welt endlich verlassen konnte.

In der letzten Nacht folgte er mir bis zur Endstation, so wie ich es schon einmal getan hatte. Allerdings hatte er sich nicht getraut, sich mir gegenüber zu setzen. Sobald der Zug an der Endstation hielt, stürmte er los. Ich wartete und hoffte, dass der Schaffner mich nicht sehen würde und ich weiterfahren konnte, aber vergeblich. Ich verließ den Wagen, und die U-Bahn fuhr ohne mich los, und ich fluchte innerlich. Als ich um die Ecke zu den Fahrkartenschaltern ging, griff der junge Mann, der mir gefolgt war, an. Er hatte ein gefährliches, gebogenes Messer und hätte mich eigentlich überraschen müssen, aber ich reiste schon seit einigen Jahren durch feindliche fremde Welten. Meine Reflexe waren schärfer als jedes Messer.

Wir kämpften erbittert, bevor es mir gelang, ihm das Messer zu entreißen. Ich weiß nicht, wie es in seinen Hals gelangt ist. Ich glaube nicht, dass ich ihn töten wollte. So wütend war ich nicht einmal, denn ich erinnerte mich an meine eigene aufsteigende Rage von vor so langer Zeit. Danach, als er da lag und ausblutete, wurde ich richtig zornig. Ich schlug und trat ihn immer wieder und schrie. „Du Wichser! Du solltest doch…“ Tritt, noch ein Tritt, „du solltest mir folgen!“ Ein weiterer Tritt. Danach floh ich vom Tatort, aber nicht für lange. Am nächsten Tag war ich in aller Frühe da, um die erste U-Bahn am Morgen zu erwischen. Und in der Nacht, als ich mit der U-Bahn bis zur Endstation fuhr, war ich für den Schaffner wieder unsichtbar. Ich schätze, man kann sie entweder töten oder mitnehmen, wenn man zum zentralen Knotenpunkt zurückkehren will.

Ich war wieder unsichtbar, aber ich war auch orange und immer noch bucklig. So blieb ich bis zum nächsten Mal, als ich feststeckte. Anschließend habe ich getötet. Diesmal ging viel schneller. Ich wartete nicht darauf, dass sie mir folgte. Sobald ich als Fremder erkannt wurde, war sie die nächste, und ich traf meine Wahl. Ich werde niemanden sonst in diese Sache hineinziehen.

Aber ich frage mich, wie der Fremde aussah, der mich aufgenommen hat. Ich frage mich, wie er ursprünglich aussah und ob er wusste, dass er mich hätte töten können. Außerdem wundere ich mich über die anderen, die ich in meiner Heimat gesehen habe, und die wenigen, denen ich seit meiner Abreise begegnet bin. Töten sie sie oder nehmen sie sie mit? Und was auch immer sie wählen, betrachten sie es als Gnade? Ich bringe es nicht über mich, mit ihnen zu reden, sie zu fragen. Wir sind so oder so verdammt, und die Verdammten sollten in Einsamkeit leiden.

Ich habe jetzt fünfzehn von ihnen getötet, und ich bin sehr gut darin geworden. Aber ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich habe das Töten satt – zumindest das von Unschuldigen. Bevor ich zum Hauptknotenpunkt zurückkehrte, füllte ich einen Rucksack mit so viel Papier, wie ich hineinstopfen konnte, und schrieb diese Geschichte. Immer und immer wieder, um sie in so vielen U-Bahnen wie möglich zu hinterlassen. Ein paar tausend Botschaften in Flaschen, geworfen in ein Meer aus Stahlschienen. Dies ist eine Bitte und eine Warnung.

Meine Bitte war, dass du meine Mutter findest und ihr eine Lüge erzählst. Es ist eine Notlüge, keine Sorge. Sag meiner Mutter, dass ich sie lieb habe und dass ich versuche, nach Hause zu kommen. Vielleicht gibt ihr das etwas Hoffnung oder ein wenig Frieden. Ich wünschte auch, es wäre wahr. Aber die Sache ist die: Ich habe mich wie Odysseus gesehen, verloren und umhergetrieben, auf der Suche nach vertrauten Ufern. Aber ich bin nicht auf dem Meer verloren. Ich bin in endlosen Tunneln verloren – dem Labyrinth. Der Unterschied ist wichtig, denn Labyrinthe sind entworfen, gebaut. Irgendjemand oder irgendetwas hat diesen unmöglichen Ort geschaffen. Und sie müssen für das, was sie mir angetan haben, zur Rechenschaft gezogen werden. Sie haben mich in die Rolle des Theseus und nicht des Odysseus gesteckt, aber auch diese Rolle werde ich nicht länger spielen. Die seltsamen Regeln dieses Ortes haben mich von dem Menschen, der ich anfangs war, in etwas anderes gewandelt und wieder in etwas anderes. Sie haben mich zu einem Monster gemacht, und so werde ich der Minotaurus dieses Labyrinths sein. Und wenn ich kann, werde ich es um mich herum einreißen und diejenigen zerstören, die es gebaut haben.

Meine Warnung ist, dass du dich an öffentlichen Orten vor schweigsamen, ausdruckslosen Männern und Frauen in Acht nehmen solltest. Halte Abstand. Sie könnten dich töten oder noch Schlimmeres anrichten. Wenn du sie siehst, laufe schnell und weit weg. Und was noch wichtiger ist, ich warne dich, ich bitte dich: Fahre nicht mit dem Zug bis zur Endstation.

Original

Bewertung: 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Überprüfen Sie auch
Schließen
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"