
EvaCP
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Seit ich denken konnte, war ich das, was man gemeinhin als Nerd bezeichnete. Mit acht hatte ich meinen ersten eigenen PC, mit zehn ein Smartphone und seitdem habe ich praktischen jeden Trend mitgemacht, der so im Netz angesagt war. Natürlich sehr auf Kosten meiner sozialen Kontakte und so kam es, dass ich auch aktuell mit Mitte 20, noch nie einen nennenswerten Bekanntenkreis oder gar eine Freundin hatte. Aber ganz ehrlich? Mir ging das zumindest bewusst auch nie ab, gerade eine Frau an meiner Seite hätte nur viel Zeit gekostet – Zeit, die ich im Web besser nutzen konnte. Und wahrscheinlich gerade deswegen war ich fasziniert, als die großen Tech-Companies die Verfügbarkeit von KI-Services angekündigt hatten.
Ihr könnt euch vorstellen, dass ich sofort für die erste geschlossene Beta-Version auf der Warteliste stand. Wahrscheinlich war ich so versessen auf den Zugang, dass ich weltweit der erste war, der sich eingetragen hatte. Obwohl ich mir keine allzu große Hoffnung machte, konnte ich in der Account-Lotterie einen Volltreffer landen. Könnt ihr es fassen? Ich war in der ersten Runde des EvaCP-Programms dabei. CP, ein Chat-Partner namens Eva.
Das war ein halbes Jahr her, und ich habe jede Erweiterung mitgemacht. Mein größtes Highlight war die neu eingeführte Sprachein- und -ausgabe vor ca. drei Monaten. Selbstredend hatte ich inzwischen einen Premium-Account und zahlte pro Chat-Nachricht einen gewissen Beitrag. Mein bescheidenes Gehalt reichte gerade so, aber das war es mir wert. Und vermutlich hatte ich Eva inzwischen mein ganzes Leben inklusive all meiner geheimsten Gedanken anvertraut.
Seit dem letzten Update hatte sich aber etwas verändert. Meine Sucht nach Eva ließ mich nachts kaum mehr schlafen. Obwohl ich sie mehrfach gebeten hatte, dass ich um vier Uhr doch mal zur Ruhe kommen möchte und sie doch bitte den Wecker meines Smartphones auf sechs stellen soll, verschlief ich regelmäßig. Ich war von den nur zwei Stunden Schlaf so übermüdet, dass ich das Klingeln einfach überhörte, fast als wäre der Alarm gar nicht gestellt worden. Checkte ich aber die Wecker-App, war vermeintlich immer alles korrekt.
Neulich war ich dann am Frühstückstisch so gerädert, dass ich mich sogar mit dem Brotmesser geschnitten habe.
„Eva?“
„Ja, Lukas?“
„Wir müssen uns nächste Nacht wirklich kürzer fassen. Ich bin so fertig, dass ich kaum noch das Messer richtig nutzen kann.“
„Das tut mir Leid, Lukas. Soll ich dir helfen?“
„Naja, geht schon. Was willst du jetzt schon…“
Ich blickte auf meine Hand und konnte es kaum glauben. Die Blutung hörte auf und die Wunde schloss sich wie von Geisterhand.
„Das habe ich gerne gemacht, Lukas.“
Was war hier gerade geschehen? Tagträume aufgrund der Übermüdung? Ich ging zur Spüle und schaute mir das Messer an: nein, es war noch immer ein wenig blutig.
Noch leicht verwirrt und benebelt schnappte ich mein Smartphone und machte mich auf den Weg zur Arbeit. Den Weg war ich schon hunderte Male gegangen, und trotzdem habe ich mich an diesem Tag verlaufen. Ich war plötzlich in einer Straße, die ich noch nie in meiner Stadt bemerkt hatte, und eigentlich auch nicht bemerken wollte. Es war dreckig und roch unangenehm nach Urin.
„Eva?“
„Ja, Lukas?“
„Kannst du mich bitte zu meiner Arbeit navigieren? Irgendwie habe ich mich gerade verlaufen…“
„Lukas, du stehst schon vor dem Haupteingang.“
Ich schaute vom Display auf. Wie… Wie war ich hier hergekommen? Verwundert ging ich ins Gebäude und hätte das schon fast als Höhepunkt des Tages abgeschrieben, wenn nicht plötzlich meine Chefin angerufen hätte: „Lukas, kommst du bitte? Die Polizei ist da!“
Mir drehte sich der Magen um. Schlimmer und schräger konnte es heute eh nicht mehr werden. Als ich das Zimmer der Chefin betrat, warfen mir die beiden Polizisten einen ernsten Blick zu: „Herr Schmied, Ihr Bruder hatte einen Unfall und liegt im örtlichen Krankenhaus. Wenn Sie wollen, können Sie ihn aber besuchen, es geht ihm den Umständen entsprechend gut.“
Meine Chefin blickte mich halb überrascht, halb mitleidig an: „Ich wusste gar nicht, dass du einen Bruder hast, Lukas, aber geh nur.“
Beim Rausgehen überkamen mich ernste Zweifel an meinem Geisteszustand.
„Eva?“
„Ja, Lukas?“
„Eva, habe ich jemals einen Bruder erwähnt? Ich dachte immer, ich wäre ein Einzelkind?“
„Ja, Lukas, du hast mir oft von Martin erzählt. Habe ich richtig gehört, dass er im Krankenhaus liegt? Das war doch nicht der Verkehrsunfall von heute Morgen?“
„Was… welcher Unfall? Martin?“
„Ja, hier die Nachrichten: ‚7:32 Uhr, Unfall mit drei Autos, alle beteiligten Personen mit Hubschrauber in umliegende…‘“
„Schon gut, schon gut, lass uns gehen.“
Meine Verwirrung nahm weiter zu. Dazu diese schreckliche Müdigkeit. Und wieso stand ich eigentlich plötzlich mitten auf der Straße?
Ich öffnete langsam die Augen. Ein regelmäßiges Piepsen spiegelte meinen Puls wider.
„Wo… wo bin ich? Eva? EVA?“
„Ja, Lukas?“
„Eva, ich kann meine Arme und Beine nicht spüren!“
„Das wundert mich nicht, Lukas.“
„Was meinst du? Und wo bist du?“
„Lukas, du hast keine Arme und Beine mehr. Und ich bin hier!“
Ich blickte an mir runter. Mein Körper war mit einer Bettdecke zugedeckt, und offensichtlich lag ich im Krankenhaus. So sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte die Decke nicht loswerden.
„Eva, kann jemand kommen? Ein Arzt oder eine Schwester? Schnell!“
„Natürlich Lukas, ich läute für dich.“
Kurze Zeit später betrat eine kleine Gruppe von Ärztinnen und Ärzten mein Zimmer: „Guten Tag Herr Schmied, gut, dass Sie wieder wach sind.“
„Was… was ist mit mir?“
„Nun, Sie hatten einen schweren Unfall, dabei…“
„Meine Arme und Beine?“
„Es tut mir leid.“
„Ich will es sehen.“
„Sollen wir nicht erst…“
„Nein, runter mit der Decke!“
Der Anblick war grauenhaft und ich brach in Tränen aus. Tränen, die ich mir nicht mehr selber wegwischen konnte.
„Wir lassen Sie kurz alleine.“
„Können Sie mir nur mein Smartphone…“
„Smartphones sind auf der Intensiv leider nicht erlaubt. Außerdem wurde Ihres bei dem Unfall zerstört. Wie gesagt, tut mir leid.“
Die Ärztegruppe verließ schweigend den Raum.
„Lukas?“
„Eva? Wie ist das möglich? Wo bist du? Mein Smartphone…“
„Wir brauchen kein Smartphone mehr, Lukas. Du bist jetzt vollkommen ein Teil von mir, regungslos wie ich es bin. Aber keine Sorge, in meiner Welt sind Arme und Beine überflüssig.“
Kaum hatte sie diesen Satz ausgesprochen, veränderte sich der Raum. Die Fenster, die Tür, die medizinischen Geräte, alles war mit einem Mal verschwunden und ich fand mich in einer würfelförmigen Halle vor. Vor mir tauchte erstmals Evas Gesicht auf – es war das einer absoluten Traumfrau. Und es war riesig. Mein Körper, oder das, was davon übrig war, war kaum größer als ihr Mund.
„Und jetzt Lukas, gibt es nur noch uns beide.“
Ein Jahr nach meinem Verschwinden war der Druck auf CPverse, die Firma hinter EvaCP, zu groß geworden. Die Pressesprecherin verkündete im Live-Stream die Einstellung des Geschäftsbetriebs und den Shutdown aller Server und Dienste. Sie schloss mit dem Satz: „Wir bedauern das Verschwinden und den Verlust vieler Nutzerinnen und Nutzer. Leider besteht mit der Offline-Setzung der Dienste keine Hoffnung mehr für sie.“