KurzMicroPsychologischer Horror

Fenja

Sehen und Gesehen werden

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Fenja

Sehen und Gesehen werden

von Isen F. Varg

Fred:

Vor ein paar Jahren hatte Fred entschieden, in Rente zu gehen, doch nach kurzer Zeit sehnte er sich zurück ins Arbeitsleben. Mit den Greisen in seinem Alter fühlte er sich kaum verbunden, da er sich zu jung, zu agil, zu energiegeladen fühlte. Deshalb hatte er beschlossen, eine Stelle in Teilzeit anzutreten. Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, unterrichten. Es hatte ihm viel Freude bereitet zu sehen, wie seine Schützlinge mit seiner Hilfe aufblühten und sich verbesserten. Doch dann sah er sie.

Sie, eine freundlich lächelnde junge Frau, gerade mal dreiundzwanzig. Es war nicht das erste Mal, dass er sie sah. Schließlich hatten sie beide ein halbes Jahr zusammen gearbeitet. Aber nun sah er sie wirklich. Sein Puls beschleunigte sich. Alles in ihm spannte sich an. Ihre Handlungen erschienen plötzlich in einem ungeschönten Licht. Der Zauber war genommen, der Vorhang gefallen. Sie hatte wie ein armes, hilfloses Vögelchen gewirkt. Doch als sie aufsah, verriet sie ihr Blick.

Nun wirkte ihr Lächeln nicht mehr warm, die Augen nicht mehr freundlich. Er sah sie. Ein Wolf, der mit gefletschten Zähnen, strategisch auf den richtigen Moment wartete, um seiner Beute den Todesbiss zu geben. Fred erschauderte als er in die kühlen, kalkulierenden Augen blickte. Und er sah, dass sie sah, dass er sie gesehen hatte. Sie, Fenja.

Lora:

Die Hitze waberte in der miefenden Halle. Lora hatte sich auf der Bank nieder gelassen und blickte auf die Menschen. Sie sah sie. Fenja, eine kleine, stämmige Frau, die  mit verschränkten Armen auf dem verbrauchten, grünen Turnhallenboden stand und das Spiel leitete. Fünfundzwanzig Kinder rannten über ihre Felder, die Augen in der Luft, dem Ball auf der Spur.

Lora beobachtete die Frau. Sie passte hier nicht rein. Die anderen trugen blaue Jeans, sie trug schwarze Anzughosen.  Die anderen trugen T-Shirts, sie trug dunkle, geblümte Hemden. Die hochgekrempelten Ärmel offenbarten ein Tattoo, welches einen sich von Ketten reißenden Wolf zeigte. Flammend rotes Haar wallte über Fenjas Undercut. Sie hatte etwas elegantes an sich, kombiniert mit maskuliner Lässigkeit. Nein, sie passte hier nicht rein. Das kleine, verschlafene Dorf duldete sie – und beäugte sie dabei misstrauisch. Ab und an tat es Lora in der Seele weh. Fenja war eine Person, von der Lora immer Hilfe erwarten konnte. Sie bot die Hilfe an, bevor jemand sie danach fragte. Ohne ein Wort wechseln zu müssen, wusste Fenja, wie die Menschen um sie herum empfanden.

Lora müsste eigentlich aufstehen und ihr helfen. Schließlich war es ihr Job. Aber sie blieb sitzen und beobachtete die Frau. Sie dirigierte das Spiel, sorgte dafür, dass fair und ehrlich gespielt wurde, handelte bei Regelverstößen, tröstete weinende Kinder, die hingefallen waren. Das alles machte sie alleine und Lora blieb sitzen. Die Chefin und die andere Kollegin saßen schließlich auch. Erna, die andere Kollegin hielt einen tragbaren Ventilator in der Hand. Zusammengesunken kauerte sie auf der Holzbank und versuchte, die einunddreißig Grad aus ihrem Gesicht zu pusten.

Fenja:

Kühl und analytisch glitten Fenjas Augen durch die Runde. Akribisch musterte sie jede einzelne Person, bedacht darauf nicht zu starren. Kalte Wut durchströmte sie.

Die Situation des Vortags grämte sie. Warum hatten sie gesessen? Schmerzen und Magenleiden waren die Antwort gewesen. Sie stand, stand immer. Stand auch noch mit Schmerzen und Magenleiden. Unsolidarisch fand Fenja sie. Sie beobachtete die Kolleginnen und die Chefin. Die Chefin erklärte gerade etwas über die Planung des nächsten Jahres, aber die Kolleginnen sahen nicht einmal hin. Fenja war heiß, ihr Körper klebte vor Schweiß.

Sie wusste mehr über sie, als diese ahnten. Und mehr, als sie je wissen sollten. Lora versuchte schwanger zu werden, hielt es aber geheim. Erna meldete sich oft krank, weil sie keine Lust auf die Mitarbeiterinnen hatte. Sarah beging Arbeitszeitbetrug. Nele stellte sich als große Retterin hin, bediente sich aber an den Ideen, die Nele von Fenja hatte. Fenja übernahm Neles Aufgaben, als diese spurlos verschwunden war. Zwei Gruppen und den Telefondienst, den ihr ihre Chefin ihr zusätzlich aufs Auge gedrückt hatte. Fenja hatte überall Augen und Ohren, die ihr Informationen zutrugen. Sie selbst wirkte dabei stets neutral.

Zu Beginn des Jahres hatte sie mit Nele und Fred zusammengearbeitet, aber sie hatte diese Zusammenarbeit gelöst. Sie steckte viel ein, um sich jede Abwertung, jede Lüge, jede Ausrede, jedes Geheimnis für später zu merken. Es fiel ihr leicht, die naive Kollegin zu spielen, die sich sehr viel gefallen ließ. Die Kolleginnen sollten ruhig denken, dass sie über sie hinweg trampelten. Jedoch war sie schon lange nicht mehr das von anderen in Ketten gelegte Kind. Sarah war unter denen gewesen, die sie täglich niedergemacht hatten. Sarah hatte sie sogar geschlagen. Sie hatte sich befreit und ließ sich nun nichts mehr nehmen. Das hieß für Fenja nur noch das zu machen, was sie wollte, schicke Hemden, gutes Essen, Selbstfürsorge. Sie hatte jetzt die Fäden in der Hand. Alles, was sie tun musste, war zu warten, bis sich die Kolleginnen selbst in den Fäden verfingen und es genießen.

In einem Streitgespräch hatte Fred – als Mediator – gemerkt, wer sie war. Sie hatte die Erkenntnis in seinen Augen gesehen und die daraus folgende Angst. Fenja hatte versucht, besonders freundlich und normal zu ihm nach diesem Vorfall zu sein, denn sie hatte gehofft, dass er denken würde, sich geirrt zu haben. Doch Fred hatte sie gesehen – immer.  Er wich ihren Blicken aus und mied sie, als ob sie jederzeit in den Wolf mutieren würde, den er gesehen hatte.  Die Angst war sein Begleiter geworden bis er schließlich gekündigt hatte.

Fenja. Ein Wolf, ehemals in Ketten gelegt, freigebrochen und bereit zu vernichten, was sich ihr in den Weg stellte. Alles sehend, ohne dabei gesehen zu werden.

 

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