ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Das Bildnis
„Ein faszinierendes Werk, nicht wahr? Es ist mir gleich
aufgefallen, als ich eingetreten bin.“
„Tatsächlich?“, fragte die junge Frau, ohne jedoch den Blick
von dem Gemälde abzuwenden, welches sich nun schon seit geraumer Zeit anstarrte.
Er hatte sie gleich bemerkt, naja, nicht ganz. Vorher war
ihm natürlich das Bild aufgefallen, danach erst sie. Sie machte auf ihn den
Eindruck eine gute Gesprächspartnerin abzugeben, anders als die meisten Menschen
in dieser Halle, die sich einbildeten Kunstkritiker zu sein, nur weil sie zwei Mal
eine entsprechende Galerie besucht hatten. Nicht, dass er in dieser Hinsicht
selbst viel auf sich hielt, jedoch heuchelte er nicht, irgendetwas von Kunst zu
verstehen, sondern genoss sie einfach in all seinen Zügen. Sowohl die, die ihm
begreiflich waren, als auch die, die sich für immer vor ihm verschlossen.
Das Gemälde, das er nun betrachtete, während sich um ihn
herum leise murmelnde Grüppchen vorbeischlichen, ohne dem Werk auch nur einen
einzigen Blick zu würdigen, stellte ihn vor ein Rätsel.
„Allerdings“, antwortete er endlich auf die Frage der jungen
Dame, die jedoch kein Problem mit seinem langen Schweigen zu haben schien,
sondern selbst nur weiter geradeausstarrte. „Ich kann nicht beschreiben woran
es liegt. Als ich reinkam, hat es einfach gleich meine Aufmerksamkeit erregt. Dabei
muss ich aus der Nähe betrachtet sagen, dass es mir eigentlich ein bisschen
unheimlich erscheint. Um nicht zu sagen grotesk. Es entspricht nicht ganz
meinem Geschmack, hat aber trotzdem etwas Unvergleichliches an sich, dass mich
einfach nicht loslässt.“
Ach verdammt, was tat er denn da? Jetzt schwafelte er selbst
schon so geschwollen daher… Aber er konnte nichts dagegen unternehmen, das
Bildnis zog ihn zu sehr in seinen Bann, als dass er darüber hätte
stillschweigen bewahren können.
Wenn seine Gesprächspartnerin sich daran störte, zeigte sie
es zumindest nicht. Gelassen stand sie da, betrachtete weiter die an der Wand
hängende Kunst und schwieg.
Das Motiv war eigentlich nicht sonderlich außergewöhnlich.
Es zeigte einen bärtigen Mann, mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht. Auf
dem Kopf trug er ein Käppi, dass ihm so tief hing, dass es seine Augen
verdeckte. Dass allein machte es jedoch noch nicht so unheimlich. Erst im Zusammenspiel
mit der gewählten dunklen Farbgebung und dem abnormal breiten Lächeln,
entfachte es seine volle Wirkung. Man könnte meinen, den Teufel Höchstselbst
vor sich zu sehen, nur dass er sich nicht im flammenden Inferno der Hölle,
sondern im absoluten, finsteren Nichts befand.
Je länger er darauf starrte, desto mehr meinte der
Betrachter die Schreie der gequälten Seelen regelrecht hören zu können.
Irgendwann hielt er es nicht länger aus und wandte den Blick ab, wobei er wieder
zu der Frau rüber huschte. Sie schien keinerlei Schwierigkeiten damit zu haben,
das Bild ununterbrochen zu betrachten, womit sie recht allein dastand, da auch
weiterhin alle anderen Gäste einfach daran vorbeizogen, als ob sie es gar nicht
sehen würden.
Denn Moment der Pause, die er sich gönnte, nutzte er, um
seine schweigsame Gesprächspartnerin ein bisschen genauer zu mustern. Sie war
nicht im klassischen Sinne schön, wie er feststellte, was nicht bedeutete, dass
er sie als unattraktiv bezeichnet hätte, nur… nichtssagend. Langes schwarzes
Haar, umrahmte ein schlichtes, schmales, blasses Gesicht. Sie war klein, zierlich,
um nicht zu sagen mager und machte den absoluten Eindruck in der Masse gänzlich
unterzugehen.
Nach einer Weile drehte er erschrocken den Kopf zur Seite, wieder
hin zu dem Gemälde, weil er sich dabei erwischte, wie er sie gefühlt
minutenlang anstarrte. Nicht gerade die feine englische Art und ein bisschen
peinlich noch dazu. Dafür fiel ihm erstmalig etwas Eigenwilliges auf. Das Schildchen
unter dem Bild, auf dem eigentlich der Titel hätte stehen soll, war komplett
weiß.
„Hm, seltsam“, murmelte er.
„Was denn?“, fragte die Frau monoton. Wirkliches Interesse drückte
ihre Frage nicht aus, dieses galt weiterhin ununterbrochen der Kunst, nicht ihm,
oder irgendwem sonst.
„Der Titel. Er fehlt.“
„Grinser“, antwortete sie prompt, was ihn reichlich
verwirrte.
„Wie meinen?“
„Der Titel. Er lautet Grinser.“
Darüber musste er kurz lachen, verstummte jedoch schnell
wieder, da es ihm unpassend in dieser sonst besinnlichen stillen Halle
erschien. „Wie… eingängig“, erklärte er, nachdem er sich verlegen geräuspert
hatte.
„Nicht wahr?“
Sprach diese Frau in einem Satz auch mal mehr als nur drei
Wörter? Mittlerweile ärgerte er sich ein bisschen über sie. Da hatte er gehofft,
eine angeregte Unterhaltung führen zu können und dann sowas… Dazu kam noch,
dass je länger er hier stand, ihm das Gemälde umso unheimlicher wurde. Seine
anfängliche Faszination, wechselte langsam in Unbehagen. Vermutlich wurde es Zeit,
sich anderen Werken zuzuwenden.
Dennoch erschien es ihm unhöflich jetzt einfach zu gehen,
ohne sich nicht wenigstens verabschiedet zu haben. „Also ich…“
Bevor er weitersprechen konnte, wandte die junge Frau sich
ihm plötzlich zu. Es ließ ihn schlagartig verstummen, als ihre Augen, die
seinen kreuzten. An und für sich war nicht Besonderes an ihnen. Schmale, braune,
langweilige Augen. Doch in ihnen ruhte etwas… etwas… mysteriöses, düsteres… verlangendes.
„Wollen Sie nicht die Geschichte, dieses Bildes hören?“, fragte
sie leise, eindringlich.
Nein, wollte er nicht. Auf einmal wollte er hier nur noch
weg. Umso mehr wunderte er sich über sich selbst, als sein Mund auf einmal sprach:
„Kennen Sie sie etwa?“
Sie nickte. „Aber natürlich. Immerhin habe ich es gemalt.“
Mit einem Mal war seine Sorge verschwunden. Alles was er tun
konnte, war sie mit großen Augen anzusehen, wobei er sich glücklich schätzte,
dass ihm nicht zusätzlich der Mund aufklappte. Jetzt ergab alles einen Sinn.
Sie war es, sie war die Künstlerin! Deswegen verhielt sie sich so seltsam. Er
hatte schon mit diversen Künstlern zu tun gehabt, das blieb nicht aus, wenn man
regelmäßig ihre Galerien besuchte und sie alle hatten, durch die Bank weg, ihre
Eigenarten. Exzentriker, durch und durch. Da machte die, die hier vor ihm
stand, keine Ausnahme.
„Wenn das so ist“, hörte er sich selbst sagen. „Liebend
gerne.“
Ein zaghaftes Lächeln legte sich über ihre Lippen. „Sehr
schön, dann hören Sie gut zu.“
Die Inspiration
Es war ein Tag wie jeder andere in meinem Leben. Auf der
Suche nach Inspiration, zog ich hinaus in die Welt, ließ mich treiben,
mitreißen, lenken. Das tue ich immer, wenn ich gerade nicht male oder schlafe.
Ich lebe für die Kunst, müssen Sie wissen, sie ist alles was ich benötige.
Vielleicht ist es diesem Umstand zu verdanken, dass ich nicht viele Freunde
mein Eigen nenne, um genau zu sein, gar keine. Aber das ist ok, wie gesagt, ich
brauche nicht viel mehr, als meine Farbe, eine Leinwand und natürlich:
Inspiration.
Da war ich also wieder, im Trubel der Stadt, ein Mensch unter
vielen. In der Geschäftigkeit nahm niemand Notiz von mir, umso mehr nahm ich
welche von ihnen. Menschen inspirieren mich am meisten, müssen Sie wissen. Ich
beobachte sie, studiere sie, versuche herauszufinden, was sie antreibt, worin
ihr Sinn im Leben liegt. Meiner unscheinbaren Art zum Dank, fällt es mir nicht
schwer, so zu arbeiten. Niemand stört sich daran, wenn ich eine Zeit lang in
seinem Leben verweile, daran teilhabe, etwas für mich mitnehme und dann weiterziehe.
So zumindest war es üblich. Nicht jedoch an jenem Tag.
Ich fuhr gerade mit der U-Bahn nach… ehrlich gesagt, habe
ich keine Ahnung. Meine Studie hat mich einen älteren Mann hinab in den
Untergrund folgen lassen, dort bin ich einen wahren Mob geraten, der mich beim
Einsteigen in die Bahn mitgenommen hat, wodurch ich seine Spur verloren habe.
Ich habe diesen Umstand einfach als gegeben hingenommen und bin mitgefahren,
wollte sehen, wohin mich dieser Wink des Schicksals wohl führen würde.
Und dann sah ich ihn.
Ein paar Stationen weiter. Im dichten Gedränge der Menschen,
wurde ich nahe der Tür an eine Wand gepresst. Mir blieb kaum genug Raum zum Atmen,
doch immerhin hatte ich freie Sicht auf die Welt, die an dem Fenster der Tür vorbeizog.
Besagte Tür öffnete sich, aber es stieg kaum jemand aus, was die Situation
innerhalb des Zuges also nicht wesentlich verbesserte. Das war mir allerdings egal,
denn in jenem Augenblick, sah ich ihn das erste Mal.
Ein Mann, kräftige Statur, rustikales Äußeres. Er zwängte
sich mühelos durch die Massen hindurch, stieg aus und ging seines Weges. Nur
für ein paar Sekunden, konnte ich das Seitenprofil seines Gesichts sehen:
rundlich, Dreitagebart, die obere Hälfte seines Gesichts mit einem Käppi
verdeckt. Wenn es Ihnen bekannt vorkommt, dann dürfen Sie jetzt raten, was ich
noch gesehen habe. Ganz genau, ein Grinsen. Nur von der Seite, wie gesagt, aber
dieser kurze Ausblick hat bereits gereicht, mir einen wohligen Schauer über den
Rücken zu jagen. Etwas an diesem Grinsen war… übernatürlich, schauderhaft
allemal.
Der Moment verstrich, der Mann zog weiter, die Türen
schlossen sich und der Zug fuhr wieder los, doch das Bild blieb mir im Gedächtnis.
Damals hatte ich noch keine Angst verspürt, nur Erregung und Faszination, weil
mich nach einer langen Reise die Muse geküsst hatte. Jetzt wollte ich mich nicht
mehr treiben lassen, jetzt wollte ich zurück nach Hause und malen, bevor das
Bild zu verblassen begann. Dumm von mir anzunehmen, dass es das jemals würde.
Ich arbeitete bis tief in die Nacht hinein und kam doch nur
sehr schleppend voran. Trotz dessen mir die Erinnerung gestochen scharf vor
Augen erhalten blieb, wehrte sie sich dagegen, auf einer Leinwand gebannt zu
werden. Es machte mich wahnsinnig, wütend und veranlasste mich dazu, irgendwann
verzweifelt alles fallen zu lassen und ins Bett zu gehen. Ein bisschen Schlaf,
so dachte ich mir, und am nächsten Tag würde die Welt schon wieder anders
aussehen.
In jener Nacht sah ich ihn zum zweiten Mal.
Ich kann nicht sagen, wie spät es war, als ich erwachte.
Spielt eigentlich auch keine Rolle, heute denke ich, dass es vielleicht sogar
schon Morgen war, nur dass die Dunkelheit, die mich in jenem Moment heimgesucht
hatte, sich nicht so leicht vertreiben ließ. Ja, ganz recht, es war stockdunkel
in meinem Zimmer, als ich erwachte, nicht einmal die Straßenlaternen erhellten
es von draußen. Dennoch konnte ich schemenhaft alles um mich herum erkennen,
wenn auch nicht viel mehr.
Im Moment meines Erwachens wusste ich bereits, was mein Körper
mir wenige Augenblicke später bestätigte: Ich war gelähmt, unfähig mich zu bewegen.
Haben Sie schon einmal von Schlafparalyse gehört? So in etwa können Sie sich
das vorstellen, nur dass kein solches Phänomen an meinem Zustand Schuld hatte.
Die Schuld trug einzig und allein der Mann, der sich inmitten
der Nacht, in meine Wohnung geschlichen hatte und nun an dem Fußende meines Bettes
stand. Ich erkannte ihn sofort. der gleiche Mann, das gleiche Käppi, das gleich,
breite Grinsen.
Auf einmal faszinierte es mich nicht mehr, es inspirierte
mich nicht, weckte nicht die Muse in mir, es machte mir nur eine Scheißangst. Ich
wollte schreien, doch es ging nicht. Mein Körper gehorchte mir noch immer nicht.
Alles was ich tun konnte, war da zu liegen, ihn anzustarren und darauf zu
warten, was er als nächstes vorhatte.
Während meine Panik jedoch mit jeder Sekunde zu wachsen begann,
mir brennend heiße Tränen die Seiten hinabliefen, mir das Herz in der Brust so
wild pochte, dass es Gefahr lief, jeden Moment herauszubrechen und ich so hektisch
atmete, dass ich befürchtete keine Luft mehr zu bekommen, stand er nur da. Er
stand einfach nur da und starrte auf mich herab. Zumindest nehme ich das an,
denn seine Augen konnte ich nicht sehen, sie waren ja von dem Käppi bedeckt.
Die Zeit zog sich quälend langsam dahin. Heute kann ich nicht
mehr sagen, wie lange es gedauert hat, doch irgendwann schlief mein
schweißdurchtränkter Körper vor Erschöpfung einfach wieder ein. Es mochten
Stunden gewesen sein, vielleicht auch Tage, die ich da in meiner Panik
verbracht habe, unfähig mich zu bewegen, unfähig um Hilfe zu rufen.
Der Schlaf vertrieb alles: Die Paralyse, die Dunkelheit und
den nächtlichen Besucher. Zumindest für den Augenblick.
Als ich das nächste Mal erwachte, begann mein Herz
schlagartig wieder wild zu pochen, weil ich fürchtete, erneut gelähmt zu sein,
doch ich war es nicht. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, ich konnte mich
frei bewegen, alles war wieder gut.
Nicht jedoch gut genug, um mich weiter an meinem Bild
arbeiten zu lassen. Allein, was ich bis zu diesem Punkt geschafft hatte, was
wahrlich nicht fiel war, jagte mir eine Heidenangst ein, als ich es erblickte.
Reflexartig nahm ich das nächstbeste Tuch herbei, um die Staffelei zu verdecken.
Niemals, so schwor ich mir, würde ich es vollenden. Ich nahm mir vor, es noch
am selben Tag zu entsorgen.
Ich tat es nicht. Nicht sofort zumindest. Ablenkung war es,
die ich suchte und Ablenkung war es, die ich fand. Eine Weile lang.
Es zog mich erneut hinaus in die Welt. Nicht, weil ich neue
Inspirationsquellen brauchte, sondern schlicht, weil ich es in meiner Wohnung
nicht aushielt. Die frische Luft tat gut, das Untergehen zwischen den
Menschenmassen ebenfalls. Jedoch dauert es nicht lang, bis mich das Gefühl überkam,
beobachtet zu werden. Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich mich
erschrocken umdrehte, Ausschau hielt und doch niemanden vorfand. Ich brauchte ziemlich
lang, um ihn zu erkennen.
Irgendwann, als ich mich gerade zum zigsten Mal panisch umsah
– Entspannung lieferte mir mein Spaziergang schon lange nicht mehr, doch heimgehen
schien mir ebenfalls keine wirklich Alternative zu sein – fand ich ihn, zwischen
all den Menschen vor. Weit entfernt und doch unverkennbar, wenn man ihn erst
einmal erblickt hatte. Dieses Grinsen konnte einfach von niemandem sonst stammen.
Er stand dort, zwischen den Massen, starrte mich an, obwohl
seine Augen verdeckt waren und grinste. Ich lief so schnell ich konnte, rannte
an Passanten vorbei, wechselte die Straßenseiten, flüchtete mich in ein Einkaufszentrum,
drehte mich um und… da war er schon wieder. Die Hände in den Seitentaschen
seiner Jacke stand er gelassen da, immer noch weit entfernt, doch nah genug,
damit ich ihn auch ja gut genug sehen konnte. Er machte nicht den Eindruck sich
sonderlich angestrengt zu haben, um mir folgen zu können.
Also lief ich weiter, was sollte ich auch sonst tun? Doch egal wie weit ich auch lief, er war immer da, stets in meiner Nähe, stets so, dass er mich beobachten konnte. Sein Blick brannte auf mir, noch mehr jedoch, grub sich sein Grinsen immer tiefer in mein Gedächtnis. Es brannte sich regelrecht hinein, so dass ich bald schon an nichts anderes mehr denken konnte. Nichts anderes mehr sehen konnte, weil es mir selbst dann vor den Augen hing, wenn ich ihn gerade nicht erblickte.
So verbrachte ich die nächsten Stunden. Immer auf der Flucht, gehetzt von diesem Ding. Denn um einen Menschen konnte es sich nicht handeln, dessen war ich mir mittlerweile sicher. Kein normaler Mensch, konnte sich derartig bewegen. Während ich immer schwächer und müder wurde, machte er nicht einmal ansatzweise den Anschein von Erschöpfung. Stattdessen stand er nur immer in der gleichen Pose da: Hände in den Jackentaschen, Käppi tief ins Gesicht gezogen, stetig mir zugewandt, während alle Menschen um ihn herum, einfach an ihm vorbeischritten, als ob sie ihn gar nicht bemerkten und dass, obwohl er ihnen zu Weilen mitten im Weg stand.
Irgendwann wurde es Nacht. Ich hatte längst die Orientierung
verloren, wusste nicht mehr wo ich war, wie spät es war und ob dieser Albtraum
je ein Ende nehmen würde. Ich war so unendlich müde, wollte nur noch schlafen…
doch Schlaf hätte bedeutet, ihn einzuladen. Dann wäre er mir garantiert wieder
nähergekommen. Nein, ich musste weiterlaufen, immer weiter, nur nicht anhalten.
Ich gelangte in eine kleine Seitengasse, düster war es dort
und es stank. Nicht, dass ich irgendetwas davon wirklich registriert hätte.
Alles was meine Sinne noch erfassen konnten, war dieses ununterbrochene
Grinsen.
Kein Wunder also, dass ich den Mann nicht kommen sah. Ich
rannte mitten in ihn hinein, worauf er jedoch vorbereitet zu sein schien, da
ich ihn nicht gleich umrannte, sondern er mich an den Schultern packte und an
die nahegelegene Wand presste. Er redete auf mich ein, ich verstand kein Wort.
Am Rande bemerkte ich seinen üblen Mundgeruch, der mir entgegenschlug und ein
Klacken, gefolgt von einem kalten Druck an meinem Hals. Vermutlich ein Messer,
aber so genau kann ich das nicht mehr sagen.
Meine klaren Erinnerungen setzen erst ein paar Momente später
ein. Ich lag auf dem Boden, meine linke Gesichtshälfte schmerzte, ich schmeckte
Blut in meinem Mund und der Kerl, in den ich hineingerannt war, stand
breitbeinig über mir. Sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er nichts Gutes
im Schilde führte. Er sollte nicht dazu kommen, seinen Plan in die Tat umzusetzen.
Gerade als er einen weiteren Schritt auf mich zu machen
wollte, wurde er nach hinten gerissen. Da war er schon wieder: mein grinsender
Verfolger. Er hatte den Fremden an den Schultern gepackt, donnerte ihn gegen
die Wand, gegen die er zuvor mich gepresst hatte und war mit einer
unmenschlichen Geschwindigkeit auch schon wieder bei ihm. Seine grobschlächtige
Hand, legte sich um den schmalen Hals des Mannes, er hob scheinbar mühelos an.
Er schlug um sich, trat wild nach vorne aus, doch das interessierte
den grinsenden Verfolger nicht, er steckte jeden Hieb einfach weg, während er
stur geradaussah, wodurch sein Gesicht weiterhin von dem Käppi verdeckt wurde.
Und dann hob er die andere Hand. Er nahm den Schirm seiner Mütze zwischen
Daumen und Zeigefinger und hob sie ein wenig an, ehe er seinen Kopf in den
Nacken legte und seinem Opfer in die Augen schaute.
Danach erinnere ich mich nur noch an die erstickten Schreie,
die relativ schnell unterbrochen wurden. Was mit dem Mann geschah war… war nicht
normal. Er… verdorrte. Anders kann ich es nicht beschreiben.
Es begann mit seinen Augen. Sie verschrumpelten, sanken in
sich zusammen, bis nur noch leere, gähnende Höhlen übrigblieben. Weiter ging es
mit seinem Gesicht, dass einfiel, faltig wurde, austrocknete. Kurz darauf brachen
seine vergeblichen Versuche zu Schreien ab, weil es ihm wohl die Kehle
zersetzte, ehe der Prozess sich über seinen gesamten Körper weiterzog. Die
vertrocknete Haut, legte sich eng um seine Knochen, da war kein Fleisch mehr an
ihm dran, dennoch zuckte und zappelte er immer weiter in seinem Todeskampf.
Solange bis von ihm nicht viel mehr, als ein ledriges Skelett übrig war, welches
der Verfolger achtlos fallen ließ. Polternd krachte es zu Boden, blieb reglos liegen.
Bei dem Geräusch wurde mir übel.
Der Verfolger blieb noch einen Moment so regungslos stehen,
er das Käppi wieder herunterzog und sich mir zuwandte. So stand da, grinste auf
mich herab und nickte, ehe er sich umdrehte, losmarschierte und hinter der nächsten
Ecke verschwand.
Nach diesem Erlebnis habe ich mich aufgerappelt, bin nach Hause
gefahren und habe in einer Nacht das Bild zu Ende gemalt. Tja und das war’s,
dass ist die Geschichte dieses Gemäldes.
Der Verfolger
Er bemerkte überhaupt nicht, dass die Frau aufgehört hatte
zu reden. Noch hing er an ihren Lippen, löste sich nur langsam aus seinem
tranceartigen Zustand.
„Das… das war…“, setzte er stammelnd an, schüttelte kurz den
Kopf, um sich zur Besinnung zu rufen und fing von vorne an. „Das war eine unglaubliche
Geschichte.“ Unglaublich? Wohl eher verstörend, aber eben auch irgendwie
faszinierend. So wie das Bild. Faszinierend und grotesk zugleich.
„Finden Sie?“, lächelte die junge Frau. „Freut mich zu hören.“
„Gut, dass es nur das ist, nicht wahr?“, lachte er, wobei
ihn plötzlich eine gewisse Nervosität packte. „Eine Geschichte, meine ich.“
Sie sah irritiert drein. „Wie meinen Sie das?“
„Ach schon gut“, winkte er ab.
„Sie glauben mir nicht, nicht wahr?“
Natürlich tat er das nicht, wie konnte er auch? So
unglaublich die Geschichte auch geklungen haben mochte, es war eben nicht mehr:
nur eine Geschichte. Die Fantasie, einer exzentrischen Künstlerin. In ihrem
Kopf mochte sich das Ganze ja vielleicht wirklich so abgespielt haben, in einer
Art Fiebertraum oder was auch immer, aber freilich entsprach es nicht der
Realität. Es wäre ja absurd, so etwas anzunehmen!
„Ich habe ihn seitdem immer wieder gesehen, wissen Sie“,
erklärte die Frau, während sie sich von ihm ab- und wieder dem Bild zuwandte. „Den
grinsenden Verfolger.“
„Tatsächlich?“ War die Geschichtsstunde etwa noch nicht
vorbei? Na, ihm sollte es recht sein. Wegen einer Unterhaltung war er
schließlich hergekommen und die junge Künstlerin jetzt mitten in ihrer Erzählung
zu unterbrechen, wäre wohl mehr als unhöflich.
„Allerdings. Nachdem Vorfall ist er lange Zeit weggeblieben,
ein Jahr vielleicht. Dann kam er wieder und hat mich eine Zeit lang verfolgt.
Solange, bis er sein neues Opfer gefunden hatte.“ Sie schüttelte den Kopf. „Das
hat sich jetzt schon so oft widerholt, ich habe irgendwann aufgehört zu zählen.“
„Was meinen Sie damit?“ Langsam wurde ihm das Ganze doch ein
wenig unheimlich. Fantasie hin oder her, die Überzeugung, mit der die Künstlerin
an ihre Geschichte ranging, ließ ihn allmählich glauben, dass da mehr als nur ein
exzentrischer Wesenszug dahintersteckte.
Sie ging überhaupt nicht auf seine Frage ein. „Es dauert
jetzt schon so lange an, so viele Jahre…“
Jahre? Unmöglich. Wie alt mochte sie sein? Mitte zwanzig?
Höchstens!
„Ich habe mich nie mit ihm unterhalten, er ist nicht sonderlich
redselig, aber Theorien konnte ich dennoch aufstellen. Wollen Sie sie hören?“
Eine Antwort wartete sie erst gar nicht ab. „Ich denke, dass dieses Wesen aus
einer anderen Welt stammt. Aus diesem Grund kann es nicht direkt mit der unsrigen
interagieren und braucht einen… nun, sagen wir Anker. Der bin ich. Einmal im
Jahr, oder manchmal auch in kürzeren Abständen, nutzt es mich also, um unsere
Welt betreten und jagen zu können. Während es mich verfolgt, hält es nach potenzieller
Beute Ausschau. Ich weiß nicht genau, wovon es sich ernährt. Lebensenergie?
Unseren Seelen? Etwas in der Art, wird es wohl sein. Das Problem ist nur, dass
diese Verbindung mittlerweile auch Auswirkungen auf mich hat. Beispielsweise
altere ich in unserer Welt seit jenem Tag nicht mehr. Gleichsam spüre ich aber, wie sich meine
eigene Existenz auf dieser Welt, zu lösen beginnt. Wer weiß, vielleicht werde
ich nach und nach in die Sphären dieses Wesens gezogen, während es sich meiner
bedient. Für die meisten Menschen bin ich schon lange nicht mehr zu sehen,
ebenso wenig meine Kunst. Das macht es meinem Begleiter immer schwerer, neue
Beute zu finden, da eine direkte Interaktion nötig ist, damit es durch mich, an
sein Opfer herankommt. Gut, dass heute unser Glückstag ist, langsam wird es
nämlich wirklich hungrig.“
Jetzt stand es fest, die junge Frau war nicht nur ein wenig
merkwürdig, sie war schlichtweg verrückt! Was redete sie da für einen Unsinn? „Danke
für das Gespräch“, sagte er knapp und wandte sich ab, bloß schnell weg hier.
„Eines sollten Sie noch wissen: Je mehr ich mich von dieser
Welt löse, desto mehr wirkt sich dieser Einfluss auch auf meine Umwelt aus. Niemand
wird Sie hören oder sehen können.“
„Was?“ Er drehte sich wutentbrannt um, jetzt reichte es aber
wirklich mit dieser durchgeknallten Geschichte! Schockiert musste er jedoch
feststellen, dass die junge Frau nicht mehr da war. Lediglich das Bild hing
noch an Ort und Stelle, an dem just in diesem Moment eine ältere Dame
vorbeilief.
Einer spontanen Eingebung folgend, machte er einen Schritt
auf sie zu. „Hey, entschuldigen sie die Störung, aber…“ Sie ignorierte ihn,
lief einfach weiter.
Niemand wird sie hören oder sehen können.
Unsinn! Er beeilte sich, um der Dame folgen zu können, streckte
den Arm aus und versuchte sie am Arm zu packen. Es war ihm völlig egal, was sie
davon halten würde, er wollte nur beweisen, dass die Künstlerin einen
Dachschaden hatte. Zu seiner tiefsten Entrüstung musste er jedoch einsehen,
dass sein Experiment scheiterte. Seine Hand glitt einfach durch den Arm der
Dame hindurch.
„Was…“, hauchte er und schüttelte den Kopf. „Nein… nein, nein
und nochmals nein. Ich träume!“ Ja, dass musste es sein. Während der
Betrachtung eines der vielen Bilder, war er eingeschlafen. Auf einem dieser
kleinen, grauen, quadratischen Hocker, die hier überall standen. Das ergab Sinn.
Er musste nur aufwachen.
Bevor er jedoch dazu kam, geschah plötzlich etwas anders
Unerwartetes: Das Licht in der gesamten Halle ging mit einem Mal aus. Es wurde
stockdunkel.
Erschrocken stolperte er ein paar Schritte zurück, ehe er sein
Gleichgewicht zurückerlangte. Seine Atmung ging hektisch, panisch sah er sich
zu allen Seiten um, konnte aber nichts erkennen. Scheiße noch eins, er konnte ja
nicht einmal seine eigene Hand vor Augen sehen! Außerdem war es auf einmal
totenstill, so still, dass er sein eigenes, rasendes Herz schlagen hören
konnte.
„Licht“, murmelte er. „Ich brauche Licht.“ Panisch fummelte
er in seiner Hosentasche herum, bis er endlich sein Handy zu fassen bekam und
es hervorholte. Mit einem Druck auf den Knopf, erstrahlte der kleine Bildschirm,
was ihn zwar ein wenig blendete, gleichsam aber auch beruhigte. Er wählte die
Taschenlampenfunktion, gleißender Schein erhellte den Boden zu seinen Füßen. Nun
hob er das kleine, technologische Wunderwerk, um es hin und herzuschwenken,
damit er sich orientieren konnte. Dabei schweifte es einmal kurz zu seiner
Rechten an die Wand, was ihm einen gehörigen Schrecken einjagte, laut aufschreien
und zur Seite wegspringen ließ.
Der Panikanfall löste sich so schnell wieder, wie er
aufgekommen war. Während er die Taschenlampe erneut auf das Gemälde richtete,
lachte er nervös. „Hast mich ganz schön erwischt, Kumpel“, murmelte er leise
dem Bild zu, das unter den jetzigen Lichtverhältnissen nur noch schauriger
wirkte, ja, beinahe lebendig.
Er schluckte. Dieses Grinsen machte ihn wahnsinnig. Wenn er
es noch länger betrachten musste, würde er noch den Verstand verlieren,
weswegen er sich eilig davon abwandte. „Ich muss hier irgendwie rauskommen.“
Das sollte ja kein Problem darstellen, der Ausgang lag schließlich nur wenige
Meter von ihm entfernt und dank der Taschenlampe, würde er den Weg schon
finden.
Von neuem Mut gefasst, kehrte er dem Bild namens Grinser den
Rücken zu. Gerade als er losgehen wollte, hörte er jedoch etwas, dass ihn dazu
veranlasste, wie gelähmt zu verharren. Schritte… schwere, stapfende Schritte.
Jedoch weit entfernt, zu weit, als dass sie von hinter ihm kommen konnten, was
sie aber eindeutig taten.
„Nicht umdrehen, bloß nicht umdrehen“, beschwor er sich flüsternd,
doch er hatte schon längst die Kontrolle über seinen Körper verloren. Er machte
eine hundertachtziggrad Wendung, hob die Taschenlampe und erblickte erneut, das
schauderhafte Bildnis des grinsenden Verfolgers. Es lief ihm eiskalt den Rücken
herunter, als er bemerkte, dass das Gemälde irgendwie durchsichtig geworden
war. Es schien nicht mehr ganz Bestandteil dieser Welt zu sein. Gleichsam nahm
es dabei die Realität mit sich, in diesem Fall, die Wand, die dahinter
eigentlich hätte sein sollen, nun aber von einem langen Korridor ersetzt worden
war. Und am Ende dieses Korridors lief er, der Verfolger und kam mit
gemütlicher Geschwindigkeit stetig näher.
„Nein“, hauchte er. „Nein… nein, nein! Das kann nicht sein! Aufhören! Holt mich raus hier! Lasst mich aufwachen! Bitte!“
„Keine Sorge“, sagte jemand hinter ihm, was ihm einen
erneuten beinahe-Herzinfarkt bescherte und erschrocken umdrehen ließ. Da war
sie wieder, die Künstlerin. Doch hatte sie jetzt nichts mehr mit der
unscheinbaren, nichtssagenden jungen Frau gemein. Sie war gealtert, so
unendlich gealtert. Tiefe Furchen zierten ihr Gesicht, trübe Augen blickten zu
ihm auf, in gebrechlicher, gebückter Haltung stand sie da… und lächelte leise.
Es war nicht ganz ein Grinsen und dennoch grässlich genug, dass es ihn fast
dazu veranlasste laut los zu schreien.
„Gleich ist es vorbei“, erklärte die Frau weiter. „Es ist
nichts Persönliches, aber wir haben Hunger… so unendlichen Hunger… Ich hoffe Sie
verstehen das und können uns verzeihen.“ Jetzt erkannte er es wieder, trotz
dessen ihre Augen trüb geworden waren, von den vielen Jahren, ruhte darin noch
immer der gleiche Ausdruck, den er während des Gesprächs nicht mehr bemerkt
hatte: Verlangen. Hunger.
„Nein“, erwiderte er, während er einen Schritt zurückstolperte.
„Nein, ich verstehe es nicht.“ Er machte einen weiteren Schritt rückwärts. „Und
ich werde es auch nicht verzeihen.“ Noch einer. „Alles was ich tun werde, ist
von hier verschwinden! Aufwachen! Wach auf, verdammt noch mal!“ Doch so laut er
auch schrie, der Albtraum endete nicht.
Ein letzter Schritt und plötzlich spürte er etwas
Unnachgiebiges in seinem Rücken. Dass es sich dabei nicht um eine Wand oder ein
Bild handelte, wusste er instinktiv. Ein letztes Mal sah er noch zu der Künstlerin,
schüttelte den Kopf und flüsterte. „Bitte…“
„Tut mir leid“, erwiderte sie. „Wir müssen uns nähren,
genauso wie ihr Menschen es müsst. Das ist der Kreislauf der Dinge. Und jetzt,
dreh dich bitte um.“
Nein, er wollte nicht. Dennoch tat er es. Er drehte sich um,
hob den Blick und schaute in das, was unter dem Käppi lag. Ein greller Schrei
entsteig seiner Kehle. Er sollte nicht lange anhalten.