Harmonie
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Es ist einer dieser lauen Sommerabende, an denen man nie weiß, ob es halb fünf oder vielleicht schon um neun ist, die Sonne ist schon halb hinter den Bäumen verschwunden und eine leichte Brise geht durch die Rosenbüsche im Garten. Sie beide lieben Rosen. Sie liegt in ihrem bunten Sommerkleid in der mit weißen Kissen ausgelegten Hollywoodschaukel, die blonden Haare offen, in der Hand eines dieser Bücher, in denen zwei perfekte Menschen sich ineinander verlieben und nach ihrem perfekten „Happy End“ ihr perfektes Leben bis zu ihrem perfekten Ende miteinander verbringen. Sie beide lieben Liebesgeschichten, sagt sie immer. Er steht in der geöffneten Hintertür, trägt das Hemd und die Hose, die sie ihm geschenkt hat. Sie sagt, es steht ihm. Über das kleine Radio, das neben ihr auf dem Boden steht, singt Björk. Er summt mit.
„It’s oh so quiet.“
Sie lieben diese schönen, romantischen Lieder, erzählt sie immer. Er sagt nichts. Und wenn sie ihn fragt, dann stimmt er ihr zu. Wieso soll er mit ihr diskutieren, wo sie doch alles weiß?
„Sh, sh!“
Die Kinder spielen oben, die Namen hat sie ausgesucht. Aber sie hatte ihn gefragt, ob er einverstanden sei, und er hatte genickt und sie küsste ihn und freute sich. Sie wollte schon immer Kinder. Er wollte das lieber auch. Die Kinder sind zwei kleine Engel, die Große spielt Geige, der Kleine hat gestern im Kindergarten ein Bild von ihnen gemalt, zwei Strichmännchen, darüber ein krakeliges „Mama + Papa“ und viele rote Herzen. Sie ist auch ein Engel. Allein wie sie daliegt in ihrem bunten Sommerkleid in der Hollywoodschaukel mit den weißen Kissen. Ein Bild wie aus der Werbung.
„It’s oh so still.“
Ihre ganze Familie ist wie aus der Werbung. Nicht das sie viel fernsehen würden, man kann ja auch mal was anderes machen, und er macht mit und spielt schon wieder mit ihr und den Kindern „Mensch ärgere dich nicht“ oder „Activity“. Sie sind eine tolle Familie. Damit sie das nicht vergessen, hängen überall Fotos, auf denen sie lächeln, während sie im Schwimmbad sind oder auf dem Weihnachtsmarkt oder vor dem Bungalow in Schweden, den sie so lieben. Im Süden waren sie noch nie. Was sie denn da wollen, hatte sie gefragt und er hatte geschwiegen und ihr dann zugestimmt, dass so ein Urlaub doch wirklich nicht sein müsse.
„Sh, sh.“
Wo keine Fotos hängen, hängen Bilder mit Sprüchen, positiven Sprüchen, vom Tanzen und Lachen und Verrücktsein, auch wenn er sich nicht an ein einziges Mal erinnern kann, dass sie etwas auch nur ansatzweise Verrücktes getan hätten. Das mit dem Verrücktsein ist wohl eher theoretisch gemeint. Doch sie beide mögen solche Sprüche. Nein, sie mag solche Sprüche. Trotzdem hat er genickt und gelächelt. Warum hat er genickt und gelächelt? Vielleicht, weil sie beide ja niemals streiten, schließlich ist ihre Ehe harmonisch. Weil sie sich viel zu sehr lieben, um zu streiten. Und weil sie, sollte es doch einmal dazu kommen, mit Sicherheit die Kinder auf ihrer Seite hätte.
„You’re all alone.“
Wieso macht er sich etwas vor? Er mag, was er laut ihr zu mögen hat. Doch die Wahrheit ist: Er hasst es. Er hasst die Rosenbüsche, er hasst romantische Lieder und Liebesfilme, er hasst seine perfekte Ehefrau und seine perfekten Kinder. Er hasst, was sie mag, und er hasst, dass er mögen muss, was er hasst.
„Sh, sh.“
Er will sich danebenbenehmen. Er will einen vollkommen verwilderten Garten. Er will lieber als arbeitsloser, drogenabhängiger Rocker mit seinen versoffenen Freunden in einer verkommenen Bude sitzen und Death Metal hören, als auch nur noch eine Gartenparty mit den Nachbarn zu feiern. Doch er weiß, dass er nichts davon bekommen wird, solange diese perfekte Frau aus der Werbung, die auf der Hollywoodschaukel liegt und ihren kitschigen Roman liest, in seinem Leben ist. Er wird mögen, was sie mag, tun, was sie will, ein guter Ehemann und Vater sein und dann wird er unglücklich sterben, doch alle Hinterbliebenen werden ihn beneiden, was er doch für ein erfülltes Leben gehabt hätte.
Die Heckenschere steht angelehnt an der Wand. Sie hat damit vorhin die Rosenbüsche beschnitten.
„And so peaceful…“
Er wollte die Kissen schon immer lieber rot.
„…until-„