ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Es war bereits tiefste Nacht. Die kahlen, dunklen Bäume zu meiner Linken und zu meiner Rechten ragten in den sternklaren Nachthimmel und verbanden sich durch ihre blattlosen Kronen hoch über meinem Kopf zu schemenhaften Netzen, durch welche das Mondlicht dünne Schatten auf den schmalen Waldweg warf, über den ich ging. Der Wind strich sanft durch das Geäst, und irgendwo in den Schatten der tiefen Finsternis hörte ich den Ruf einer Eule. Für manche mochte dieses Szenario unheimlich erscheinen, doch ich liebte es, bei Nacht durch den Wald zu wandern. Ich liebte die Stille, die mich umgab, nur unterbrochen von dem Geräusch meiner eigenen Schritte.
Diese Stille gab mir jedes Mal Inspiration für die Geschichten, an denen ich zurzeit schrieb, um mir neben meinem Literaturstudium etwas Geld zu verdienen. Außerdem sah ich es als eine Art Übung. Wer weiß, vielleicht hatte ich eines Tages die Möglichkeit, als Schriftsteller meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das war mein größter Traum. Außerdem brauchte ich ab und zu einfach dieses Gefühl der völligen Einsamkeit. Es half mir abzuschalten, den Tag Revue passieren zu lassen und den Kopf freizubekommen. Nur ich und die Natur, welche sich bereits vor Stunden schlafen gelegt hatte.
Mein Handy hatte ich zu Hause gelassen. Alles, was Ich bei mir trug, war eine altmodische Taschenlampe, die früher einmal meinem Dad gehört hatte. Mit ihr beleuchtete ich ab und zu den Weg vor mir, um nicht von ihm abzukommen. Nachdem ich gut einen Kilometer tief in die Waldlandschaft vorgedrungen war, kam ich wie gewohnt an dem verlassenen Haus vorbei. Dieses Haus war in der ganzen Stadt nur als „das Spukschloss“ bekannt und an Beklemmung kaum zu überbieten. Als ich zum ersten Mal hier vorbeigekommen war, hatte ich beim Anblick des Hauses, das dort verlassen auf einer leichten Anhöhe mitten im Wald stand, sofort kehrtgemacht. Später habe ich – über das Internet – herausgefunden, dass es sich bei dem Haus wohl um den ehemaligen Wohnsitz eines Künstlers handelte. Ich habe einige Artikel überflogen. Angeblich war der Kerl eine Art Modedesigner gewesen, welcher Kleidungsstücke für sehr reiche Leute anfertigte und sie auch in demselben Haus verkaufte. Ein paar Uni-Freunde, die bereits ihr ganzes Leben in dieser Stadt gewohnt hatten, erzählten mir, sie hätten nie jemanden herauskommen oder hineingehen sehen, und eines Tages begann das Haus schließlich zu verfallen, nachdem angeblich die Polizei dort herumgeschnüffelt hatte. Der Größe seines Anwesens nach musste der Besitzer mit seinen Kleidungsstücken allerdings einen beachtlichen Erfolg gehabt haben. Ich ließ den matten Strahl meiner Taschenlampe über den verlassenen Hof gleiten. Er erhellte die Überreste der… „Kunst“, für die dieser Kerl einmal bekannt war. Merkwürdige Stofffetzen hingen dort über morschen Holzkreuzen, welche wahllos überall auf dem Gelände verteilt standen. Die Szenerie jagte mir jedes Mal einen Schauer den Rücken hinab, zeitgleich ergriff mich dabei allerdings auch eine gewisse Neugier. Dieses Haus würde eine verdammt gute Gruselgeschichte für meinen Blog abgeben. Jemand, der so wohnte, konnte doch nicht normal sein, oder? Ich ließ meinen Blick einmal die Straße auf und ab schweifen und richtete ihn dann wieder auf das „Spukschloss“. Seit Jahren kam niemand mehr hierher. Niemand außer mir. Warum ich selbst jedes Mal diesen Weg wählte, weiß ich heute selbst nicht mehr so genau, vermutlich wartete ich einfach auf den Tag, an dem ich den Mut finden würde, über das große, geschwungene Eingangstor zu klettern und den Geheimnissen, die das Haus in seinem Inneren verbarg, auf den Grund zu gehen. Dieser Tag oder, besser gesagt, diese Nacht sollte nun gekommen sein. Ich beleuchtete das bereits erwähnte aus dunklem, rostüberzogenem Stahl, welches den Hof von der schmalen Straße abtrennte, über die ich hierher gekommen war. Spitze, lange Metalldorne ragten auf der Oberseite gen Himmel. Würde ich bei dem Versuch, dort drüber zu klettern, abrutschen, würde ich aufgespießt als Mahnmal für jeden anderen neugierigen Wanderer enden. Aber wie auch immer, ich musste es versuchen. Jedes Mal, wenn ich hier lang kam, spürte ich die Neugier in mir aufsteigen, die mich einfach nie so richtig loszulassen schien. Heute würde ich ihr nachgeben. Verlassene Orte haben mich schon immer fasziniert, und dieser Ort war ein Paradies für einen angehenden Schriftsteller wie mich. Also griff ich kurzerhand nach den rostigen Metallstangen des Tors und begann meinen Anstieg. Das Tor hatte eine Höhe von gut zwei Metern. Schnell war ich oben angekommen und schwang mein rechtes Bein über die Spitzen. Als ich den Fuß vorsichtig auf der anderen Seite wieder aufsetzte, kam mir der Gedanke: Würde ich nun abrutschen, würde ich vermutlich den schmerzhaftesten Tod sterben, den ein Mensch überhaupt sterben kann. Umso vorsichtiger ließ ich den anderen Fuß folgen. Dann sprang ich, ohne groß nachzudenken, ab und landete auf dem Hof des Anwesens.
Der Aufprall war härter als erwartet, und ich musste mich mit den Händen am Boden abfangen. Meine Handflächen brannten, als ich mich aufrichtete und mir den Staub von der Hose klopfte. Es war ein wirklich merkwürdiges Gefühl, plötzlich hier im Inneren des Anwesens zu stehen, das ich nun schon so oft von außen betrachtet hatte. Jedes Mal war es, als hätte ich seine Einladung ausgeschlagen, nur dieses Mal nicht. Langsam ging ich zwischen den stoffbehangenen Kreuzen hindurch. Sie waren ungefähr so groß wie ich selbst und sahen im Schein meiner Taschenlampe aus wie groteske Vogelscheuchen. Ich schluckte bei dem Gedanken daran, was ich empfinden würde, würden sie plötzlich anfangen, sich zu bewegen. Was, wenn sie mich anstarrten? Auf einmal fühlte ich mich einsam und gleichzeitig beobachtet. Eine leichte Unsicherheit stieg in mir auf. Sollte ich wirklich weitergehen? War es das wirklich wert? Ich warf einen Blick hinauf zu dem Anwesen. Dunkle Fenster, graue Fassade. „Hier ist niemand außer mir, also was soll dieser Unsinn?“, schimpfte ich mich selbst gedanklich aus, fasste aber dennoch den Entschluss, sofort umzukehren, sobald mir etwas merkwürdig vorkam. Mit diesem Gedanken konnte sich mein ängstliches Ich anfreunden, also setzte ich meinen Weg fort, bis ich vor der schweren, hölzernen Eingangstür des unheimlichen Hauses stand. Ein dicker, schwerer Türklopfer in der Gestalt eines Rabenkopfes beäugte mich kritisch aus wachsamen Augen. Nur aus Spaß zog ich ihn zurück und klopfte dreimal gegen das schwere Holz. Das laute Geräusch, welches so plötzlich die friedliche Stille durchbrach, ließ mich selbst zusammenzucken und hallte noch lange nach. Ein wenig eingeschüchtert rüttelte ich an dem rostigen Türgriff, aber natürlich war das völlig vergebens. Die Tür bewegte sich keinen Millimeter. „Was hatte ich eigentlich anderes erwartet?“ murmelte ich leise. Das war’s dann wohl, leb wohl, Gruselgeschichte, du hättest dich sicher gut in meinem Blog gemacht.
Gerade wollte ich dem spitzen Schnabel des Raben den Rücken zukehren, um unverrichteter Dinge den Rückweg anzutreten, als mir etwas auffiel. Ein metallisches Schimmern im schwachen Schein meiner Taschenlampe ließ mich innehalten. Als ich noch einmal die düstere Fassade und die ungezügelt wuchernden Hecken links und rechts des Hauses ableuchtete, sah ich das Blitzen wieder. Dann erkannte ich seinen Ursprung. Zwischen dem Gestrüpp ragte ein kleines Metalltürchen auf und war offensichtlich nicht geschlossen. Gerade als ich darauf zugehen wollte, stockte mir der Atem. War da etwa jemand? Mir war für einen Moment, als hätte der Strahl meiner Taschenlampe zwischen dem ungeschnittenen Gewächs, welches sich um das Türchen rankte, für den Bruchteil einer Sekunde die schemenhafte Gestalt eines blassen, glatzköpfigen Mannes beleuchtet, der sich, sobald der Strahl auf ihn fiel, in die Dunkelheit zurückzog. Ich schüttelte den Kopf. „Das ist doch Unsinn! Hier war seit Jahren niemand mehr“, ermahnte ich mich abermals. „Vermutlich habe ich einfach eines von den Kreuzen mit einer Person verwechselt.“ Ja, so musste es gewesen sein. Wäre nicht gerade unwahrscheinlich gewesen, die standen hier schließlich an jeder Ecke. Außerdem spielte mir meine Fantasie gerne mal Streiche, wenn ich mich unwohl fühlte oder Angst hatte. Langsam drückte ich das Türchen weiter auf. Hier war das Gras so hoch, dass es bis an meine Knie reichte und ich mich mit meinem ganzen Gewicht gegen das Türchen lehnen musste, um es über das dichte Gestrüpp zu schieben. Doch schließlich war es weit genug offen, dass ich mich hindurchzwängen konnte. So schob ich einen Fuß in die wild wuchernde Vegetation und ließ dann den Rest von mir folgen. Als ich mich durch Zweige und Blattwerk gekämpft und endlich freie Sicht auf den seitlichen Teil des massigen Gebäudes hatte, lief mir ein leichter Schauer über den Rücken. Die Kreuze, welche auf dem Vorhof standen, waren nichts gegen das, was sich hier drinnen abspielte. Hier standen sie so dicht aneinander, dass es unmöglich war, sich einen Überblick von dem Gelände zu verschaffen. Alles, was ich sah, waren diese Kreuze und die hohe dunkle Flanke des Anwesens zu meiner Linken.
Die Kreuze wirkten fast, als würden sie mich am Weitergehen hindern wollen. Das gesamte Szenario war verstörend. Als hätte sie jemand im Wahn aufgestellt. Und jedes Kreuz war behangen mit einem dieser merkwürdigen Stofffetzen. Ich kapierte nicht, was das Ganze sollte. Was brachte es, Stoff draußen über Kreuze zu hängen? Im Laufe der Jahre hatten die Fetzen anscheinend ihre Farbe verloren. Schmutzig und irgendwie faulig wie altes Leder hingen sie dort. Ich leuchtete die kahle Hauswand ab. Ich wollte in dieses Haus hinein. Meine Neugier hatte meine Angst besiegt. Auch wenn es mir bei dem Gedanken kalt den Rücken runterlief, wollte ich wissen, was es mit diesem Kerl auf sich hatte, der hier gelebt hatte. Außerdem wuchs in mir mittlerweile die Hoffnung, endlich einen geeigneten Einstieg für einen richtigen Roman zu finden. Vielleicht war das hier der Anfang von etwas ganz Großem.
Ich begann zu überlegen, wie ich in das Gebäude hineingelangen könnte. Die einzige Option, die ich sah, war, ein Fenster einzuschlagen, doch dafür musste ich erst einmal hoch genug kommen, um eines von ihnen überhaupt zu erreichen. Ich sah mich um. Plötzlich fiel mein Blick weiter hinten auf ein kleines Dach vor den dunklen Tannen, die das Anwesen umgaben. Möglicherweise so etwas wie ein Schuppen.
Ich begann mich zwischen den grotesken Gebilden hindurchzuschlängeln, bedacht darauf, möglichst keinen dieser ekligen Fetzen dabei zu berühren.
Tatsächlich handelte es sich um das Dach eines kleinen Geräteschuppens. Als ich hineinleuchte, sprangen mir diverse Gartenwerkzeuge ins Auge. Eine Mistgabel, eine Schaufel, eine Sense, Harken, und… Da… eine Leiter! Mit ein paar kräftigen Rucken befreite ich sie aus all dem Gerümpel und zog sie heraus. Sie war ziemlich lang. Lang genug, um bis an eines der tieferliegenden Fenster zu reichen. Diesmal schlängelte ich mich nicht ganz so behände zwischen den Kreuzen hindurch wie auf meinem Hinweg. Ich stolperte ein paar Mal, riss dabei versehentlich einige von ihnen mit der Leiter um und fluche halblaut. Dann stand ich schließlich wieder vor der steinernen Hauswand. Ich lehnte die Leiter unterhalb eines der Fenster an und begann zu klettern. Als ich auf Höhe des Fensters ankam, versuchte ich mit der Taschenlampe durch das schmutzige Glas in den Innenraum zu leuchten. Doch hinter dem Fenster herrschte absolute Schwärze.
Zögernd betrachtete ich die Rückseite meiner Taschenlampe. Dann fasste ich einen Entschluss, holte aus und schlug oder – besser gesagt – klopfte mit ihr zaghaft gegen das Glas. Nichts passierte. Natürlich nicht. Ich hatte es ja nicht mal wirklich versucht. Was zum Teufel tat ich hier eigentlich gerade? Ich brach in ein Haus ein, das mir nicht gehörte. Ich beging ein Verbrechen. Ich sah von meiner erhöhten Position aus das Tor, über welches ich geklettert war. Noch hätte ich umkehren können. Doch schließlich entschied ich mich, es nicht zu tun. Ich war schon so weit gekommen. Wenigstens einen Blick hinein wollte ich riskieren. Eine kaputte Scheibe war nun auch für niemanden ein Weltuntergang. Genauso gut hätte die Scheibe bei einem Sturm zerstört worden sein können. Es würde vermutlich eh niemals jemand merken. Diesmal holte ich aus und schlug etwas kräftiger zu. Das Glas sprang an der Stelle, an der ich es getroffen hatte, und zackige Risse zogen sich nun über die gesamte Scheibe. Vorsichtig, damit ich keine Splitter ins Auge bekam, klopfte ich die Fensteröffnung systematisch frei. Dann leuchtete ich in das gähnende Loch, welches sich vor mir aufgetan hatte.
Der Raum schien eine Art altmodisches Arbeitszimmer zu sein. Zumindest gab es einen Schreibtisch und einen Lehnstuhl. Doch das war nicht weiter unheimlich. An den Wänden hingen Zeichnungen, Entwürfe für neue Hosen, Pullover, Hemden und Kleider. Auf dem Schreibtisch lagen ebenfalls Pläne und Zeichenutensilien. Auf dem Boden war ein Perserteppich ausgebreitet und von der hohen stuckbewehrten Decke hing ein Kronleuchter, anscheinend aus schwarz gefärbtem Stahl. Es sah beinahe so aus, als hätte der Bewohner den Raum nur kurz verlassen, um sich eine Tasse Kaffee zu holen. Wäre nicht alles von einer zentimeterdicken Staubschicht überzogen gewesen, hätte ich das Anwesen sofort verlassen, in der Sorge, er könne jeden Moment wieder zurückkommen und mich dort auf seinem Fensterbrett hockend vorfinden. Offenbar hatte die Polizei den Kerl damals festgenommen und sofort eingesperrt. Er durfte anscheinend nicht mehr in sein Anwesen zurückkehren, bevor seine Haftstrafe begann. Warum, wusste wie immer keiner, aber seine Verbrechen konnten nicht ganz ohne gewesen sein. Zögernd stieg ich in das Zimmer ein. Mein Herz begann ein wenig schneller zu klopfen. Ich befand mich nun in dem Gebäude, vor dem sich die ganze Stadt so sehr zu fürchten schien. Diese verfluchte Neugier. Langsam schritt ich durch den Raum. Die Luft roch modrig und die alten Holzdielen knarrten bei bei jedem meiner Schritte. Ein wenig zu laut für meinen Geschmack. Behutsam drückte ich die Klinke der Zimmertür hinunter. Beim Öffnen knarrte sie zehnmal so laut wie der Boden und ließ mir die Nackenhaare zu Berge stehen. Ich tat einen Schritt durch die Tür und staunte nicht schlecht. Ich stand auf einer Art Empore über der Eingangshalle des Hauses. Sie war nach all den Jahren immer noch wunderschön. Die gesamte Halle schimmerte weiß wie geschliffener Mondstein. Marmorne Fliesen pflasterten den Boden. Mir gegenüber befand sich eine zweite Empore, von der aus man ebenfalls in die unterschiedlichen Räumlichkeiten des Anwesens gelangen konnte. Zwei geschwungene Treppen, welche sich in der Mitte der Halle trafen, führten zu den Emporen hoch, welche von ionischen Säulen gehalten wurden. Zwischen den Emporen, direkt gegenüber der hohen Eingangstür aus schwarzem Ebenholz lag eine weitere Tür, welche offenbar in den hinteren Teil des Gebäudes führte. Von der hohen Decke hing ein gigantischer gläserner Kronleuchter. Das Mondlicht, welches durch die hohen Fenster in die Halle fiel, ließ ihn funkeln wie einen riesigen, geschliffenen Diamanten. Nach ungefähr einer Minute schaffte ich es endlich, mich von dem Anblick loszureißen. Stattdessen nahm ich die Tür ins Visier, welche tiefer in das Gebäude hineinzuführen schien. Ich ging die Treppe zu meiner Rechten hinunter und brach mir beinahe das Genick, als ich versehentlich eine der Stufen übersah und auf dem glatten Marmor ausrutschte, weil ich den Blick einfach nicht von diesem überwältigenden Anblick abwenden konnte, der sich mir bot. Doch dann riss ich mich endgültig von ihm los und lief die letzten Stufen hinunter zur Tür. Irgendwie hatte diese Halle mir neuen Mut gegeben. Ohne Zögern öffnete ich sie und… stand in einem Korridor. Er war so… anders als die prunkvolle Halle davor. Es gab kein einziges Fenster. Stattdessen hingen finstere Ölgemälde an den Wänden. Der Boden war ein altmodischer Teppichboden mit dunkelroten Mustern. Die Wände und die Decke waren ebenfalls mit Teppich ausgekleidet. Dieser war allerdings dunkelgrün und trug nicht gerade zu einer auffrischenden Atmosphäre bei. Das Unangenehmste war allerdings, dass der Korridor in völlige Schwärze zu führen schien. Selbst der Strahl meiner Taschenlampe reichte nicht aus, um das Ende des Ganges zu erreichen. Dieses ganze Szenario bereitete mir Unbehagen. Irgendwas stimmte mit diesem Flur nicht. Es war, als wäre ich von einem Königsschloss direkt in den dunklen Keller meiner Uroma getreten, und genauso roch es hier auch. Umso mehr erschrak ich, als die Tür hinter mir zufiel und ich allein in der undurchdringlichen Dunkelheit stand. Alles, was ich hörte, war das Blut, welches in meinen Ohren rauschte.
Sofort schnellte ich herum und stieß die Tür wieder auf. Hier eingesperrt zu sein war das Letzte, was ich jetzt wollte. Ich atmete erleichtert auf, als sich die Tür problemlos öffnen ließ. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber der neue Mut, den ich in der Eingangshalle geschöpft hatte, war jetzt schon wieder vollständig verebbt. Dieses Mal stellte ich einen Fuß vor die Tür, damit sie nicht wieder hinter mir zuschlug. Dann leuchtete ich erneut mit meiner Taschenlampe in den scheinbar endlosen Korridor. Düstere Gemälde, Oma-Teppiche und völlige Schwärze. Sehr einladend… Dann fiel mir etwas auf. Rechts von mir war ein Lichtschalter in der Wand. So ein altmodisches Ding zum Drehen. Ich versuchte probehalber, ihn zu betätigen, und er… funktionierte. Wie zum Teufel konnte denn das sein? Das Haus stand seit Jahren leer. Resigniert schüttelte ich den Kopf. Die angelaufenen Lampen, welche in einem Abstand von etwa zwei Metern angebracht waren, tauchten den Flur in ein schummriges, gelbes Licht, und am Ende des Ganges, der mir merkwürdig lang erschien, beleuchteten die Lampen eine zweite Tür. Dennoch war ich mir nicht sicher, ob ich wirklich weitergehen wollte. Irgendwas stimmte mit diesem Haus tatsächlich nicht. Andererseits hatte ich jetzt schon mal Licht. Wie schlimm konnte es schon werden? Schließlich siegte meine Neugier. Ich atmete tief durch und nahm den Fuß von der Tür weg.
Langsam ging ich durch den Korridor auf die Tür am anderen Ende zu. Währenddessen sah ich mir die Gemälde zu meiner Linken und meiner Rechten an. Sie wirkten sehr alt. Ich kam an dem Bild einer Frau vorbei, die vor einem Spinnrad saß, an einem Gemälde eines Ehepaars, beide in feine Abendgarderobe gekleidet, einem Bild von einem dieser Stoffkreuze, welche vor dem Haus standen. Diese Bilder waren alle in dunklen Farben gehalten und lösten Unbehagen in mir aus, doch es gab zwei Bilder, welche mich wirklich verstörten. Zum einen war dort ein mittelalterliches Gemälde, welches zwei Männer zeigte, die eine dritte Person zersägten. Ob Mann oder Frau, konnte ich nicht genau sagen. Das Verstörendste war allerdings auch nicht, was auf dem Bild geschah, sondern dass jeder der Anwesenden ein groteskes, unnatürliches Grinsen auf dem Gesicht trug. Selbst die Person, die von den anderen beiden zersägt wurde. Dann war da noch ein Bild von einem Auge, in welches eine Nadel mit einem Faden gebohrt wurde. Vermutlich gab es hinter diesen Bildern irgendeine tiefere Bedeutung, aber ich bin wahrlich kein Kunstexperte. Dann stand ich schließlich vor der zweiten Tür. Ich drehte mich noch einmal um und blickte zurück zur Tür, welche nun zur Eingangshalle führte. „Verdammt, nicht so viel nachdenken!“, ermahnte ich mich selbst. Dann, ohne zu zögern, riss ich die Tür auf. Ich stand vor einer Kellertreppe, die ins Nichts zu führen schien. Sie war in denselben unangenehmen Farben gehalten wie der Korridor und mündete genau wie dieser in völliger Schwärze. Keine zehn Pferde würden mich dort hinunter bekommen. „Das wars“, dachte ich. Ich war schon viel zu weit in dieses merkwürdige Haus vorgedrungen. Ich wollte nicht länger hier sein. Ich schloss die Tür wieder und ging zurück, den Korridor entlang. Mittlerweile war mir völlig egal, was irgendein Künstler hier vor Jahren getrieben hatte. Meine Neugier war verflogen. Ich wollte nur noch hier raus. Mittlerweile freute ich mich schon auf mein warmes Bett in meinen eigenen vier Wänden. Ich drückte die Klinge der Tür zur Eingangshalle hinunter und…
Die Tür bewegte sich nicht. Ungläubig drückte ich die Klinke erneut hinunter und rüttelte an ihr. Wieder nichts. Panik stieg in mir auf. Erneut versuchte ich sie zu öffnen. Ich zog und drückte, aber sie gab nicht nach. Ich begann gegen das Holz zu schlagen, mich dagegen zu werfen, zu schreien, aber sie gab nicht nach. Ich war eingesperrt. Hier! In diesem ekelhaften Korridor. Nach dem vierten oder fünften Versuch, die Tür einzuschlagen, rutschte ich erschöpft an ihr herunter und blieb dort, nach Luft schnappend, sitzen. Tränen sammelten sich in meine Augen. Dieser Korridor war der letzte Ort, an dem ich jemals eingesperrt sein wollte, und ich Vollidiot hatte mein Handy zu Hause gelassen, somit konnte ich nicht einmal Hilfe rufen. Was mir aber am meisten zu schaffen machte, war, dass ich offenbar nicht allein war.
Irgendjemand hatte die Tür von außen abgeschlossen. Irgendjemand wollte, dass ich diese gottverdammte Treppe hinunterging. Energisch wischte ich mir mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen. Also gut! Vielleicht will mich auch nur irgendein Arschloch erschrecken. Sollte das der Fall sein, werde ich ihm nicht zeigen, wie sehr ihm das gelungen ist. Ich richtete mich auf und ging abermals auf die Tür am anderen Ende des Korridors zu. Ich öffnete sie und stand wieder vor der Treppe, welche in die Dunkelheit führte. Ich knipste meine Taschenlampe an und begann den Abstieg in meine ganz persönliche Hölle.
Völlige Dunkelheit umgab mich. Es war, als würde die Schwärze dem Schein meiner Taschenlampe nur widerwillig Platz machen. Meine Schritte klangen dumpf auf den mit Teppich bezogenen Stufen. Ansonsten war es vollkommen still. Ich wusste nicht, wo diese Treppe hinführte. Offenbar in irgendeinen Keller tief unter dem Haus. Ich traute mich kaum, schneller zu gehen. Die Treppe hatte bereits drei Schlenker gemacht und jedes Mal hatte ich Angst, dass mir hinter der nächsten Biegung jemand oder etwas auflauern könnte. Dann stand ich auf einmal in einem kleinen, quadratischen Raum. An jeder der drei freien Wände befand sich eine verschlossene Tür. Wo zum Teufel war ich hier? Ich beschloss, systematisch vorzugehen und mir zuerst die rechte Tür vorzunehmen. In ihrer Mitte war ein Schild angebracht, auf dem stand: B.M. Archiv. Ich wusste nicht, was B.M. zu bedeuten hatte. Vermutlich waren das die Initialen dieses Künstlers.
Langsam drückte ich die Klinke hinunter und stieß die Tür vorsichtig auf, darauf bedacht, möglichst kein lautes Geräusch zu machen. Ich ließ den Strahl meiner Taschenlampe den Raum erhellen und als ich sah, was sich in ihm befand, bekam ich einen solchen Schock, dass ich zurücksprang und die Tür sofort wieder zuknallte. Mein Atem ging heftig, genau wie mein Herzschlag. Der Raum war riesig und überall standen Leute! Nicht zwei oder drei, sondern Dutzende schemenhafte Gestalten. Vollkommen regungslos. Geräuschlos. Langsam öffnete ich die Tür wieder und spähte erneut hinein. Sie standen immer noch da. Ich traute mich kaum, sie direkt anzuleuchten. Doch schließlich tat ich es und atmete erleichtert aus. Schaufensterpuppen. Dutzende von Schaufensterpuppen standen auf dem Boden, in Regalen und in Galerien an den Wänden; jede von ihnen trug ein anderes Kleidungsstück. Langsam ging ich auf ein paar von ihnen zu. Sie trugen Kleider unterschiedlichster Art. Pullover, T-Shirts oder feine Abendgarderoben. Die Kleidungsstücke sahen sehr viel besser aus als die zerschlissenen Stofffetzen, welche draußen über den Kreuzen hingen. Ich ging näher an eines der Stücke heran. Es war eine Art Pullover mit einem Rollkragen. Der Schnitt war weiblich und man konnte klar sehen, dass es sich hierbei um perfekte Detailarbeit handelte. Beinahe ein bisschen zu perfekt. Es waren keinerlei Nähte oder Fäden zu erkennen. Es war, als bestünde der Pullover aus einem einzigen Stück Stoff. Ärmel und Kragen gingen nahtlos in den Torso über, was zugegebenermaßen ein wenig befremdlich aussah, aber auch irgendwie gut und stilvoll. Bei genauerem Hinsehen konnte ich nicht einmal bestimmen, um welches Material es sich hier handelte. Es fühlte sich ebenso merkwürdig an wie es aussah. Ledrig, aber es war kein Leder. Ich hatte vor einiger Zeit, als ich noch unentschlossen über meine Karriere-Entscheidungen war, Modedesign studiert, aber ein solches Material hatte ich noch nie gesehen. Der Pullover hatte eine beige-weißliche Färbung, „cremeweiß“ nannte man diese Farbgebung, soweit ich mich erinnern konnte. Auf Brusthöhe befand sich ein Motiv, dabei handelte es sich um das detailgetreue Abbild eines Hasen. Auch hier konnte ich nicht ausmachen, um welches Material es sich bei den Fäden handelte. Man konnte jedes einzelne Haar erkennen und das Tier selbst sah so lebendig aus, dass man meinen konnte, es würde jederzeit loshüpfen und in dem Labyrinth aus Puppen verschwinden. Ich konnte meinen Blick kaum von diesem eigenartigen Kleidungsstück lösen. Diese Liebe zum Detail, die der Hersteller offenbar in seine Arbeit gesteckt hatte, war bemerkenswert und faszinierte mich. Plötzlich fiel mir etwas am unteren Ende des linken Ärmels auf. Hier waren wieder die Initialen B.M. eingraviert. Darunter hing ein Schild an einem dünnen Faden. Ich nahm es in die Hand und las, was dort stand. Laura Mcmillon, 23 Jahre, Hauttyp: III, Preis: 320.000 $. Ich stutzte und las den Zettel erneut. Ich hatte mich nicht geirrt, da stand 320.000 $. Ich wusste nicht, was ich von alldem halten sollte. Mochte ja sein, dass B.M. ein Modedesigner, noch dazu recht begabt, war, doch diesen absurden Preis verstand ich nicht. Ich ging noch einige weitere Puppen ab und überprüfte die Kleidungsstücke. Sophia Abigail, 20 Jahre, Hauttyp: I, Preis: 450.000 $; James Pritchfield, 30 Jahre, Hauttyp IV, Preis: 650.000 $; Edward Cooper, 18 Jahre, Hauttyp: V, Preis: 1.000.0000 $. Wer auch immer diese Leute waren, sie hatten offenbar einen ganzen Haufen Geld übrig. Vor allem der Letzte machte mich stutzig. Welcher 18jährige gab eine Million Dollar für ein verdammtes Kleidungsstück aus? In was für einer Welt leben wir? Da fiel mir eine Notiz auf der Rückseite des Zettels auf, ich hob ihn nah an meine Augen und begann, im Schein meiner Taschenlampe zu lesen:
Anmerkung
Sehr geehrter Mr. Smirnow.
Sie sind schon ein verrückter Hund, das muss ich ihnen lassen. Hauttyp V war wahrlich schwer zu finden. Doch schließlich ist es mir gelungen. Der junge Mann musste nicht lange leiden, so wie sie es gewünscht haben. Ich habe seine Haut vor der Verarbeitung 5 Monate ausgehangen, was zu einem komfortablen Tragen und der nötigen Dehnbarkeit führt, die es braucht, um ihre Maße abzudecken. Ich möchte sie damit natürlich keinesfalls angreifen, mein Guter. Wir alten Leute sind einfach nicht mehr ganz taufrisch, nicht wahr?
Ich danke ihnen herzlich für mein bisher größtes Geschäft und würde mich freuen, sie bald wieder in meinem Anwesen begrüßen zu dürfen.
Hochachtungsvoll
B.M.
Ich ließ den Zettel fallen. Plötzlich wurde mir das gesamte Ausmaß des Wahnsinns klar, welcher mich hier umgab. Diese irren Preise, die Angaben der Hauttypen, die Namen und diese merkwürdigen Kleidungsstücke. Haut! Das war zu viel. Ich taumelte rückwärts, die Welt um mich herum begann sich zu drehen, ich fiel und fand mich auf allen Vieren kauernd wieder. Im nächsten Moment entleerte sich mein gesamter Mageninhalt über den grauen Betonboden.
Plötzlich hörte ich ein Geräusch aus dem hinteren Teil des Lagers. Abermals gefror mir das Blut in den Adern. Ich hielt den Atem an und versuchte es erneut auszumachen. Das war es wieder. Ein Geräusch, als würde man eine Metallstange oder… eine Axt über den Boden schleifen. Und es wurde lauter. Adrenalin schoss in meine Adern. Im Dunkeln tastete ich den Boden hektisch nach meiner Taschenlampe ab und fasste dabei mehrmals in mein eigenes Erbrochenes. Zum Glück fand ich sie schnell und knipste sie an. Dann richtete ich den schwachen Lichtkegel in die Dunkelheit, während ich mich rückwärts in Richtung Tür vortastete. Allmählich gesellten sich schwere Schritte zu dem schleifenden Geräusch. Was hier passierte, war surreal. Die Geräusche mussten von irgendeinem großen Tier kommen, das man hier unten eingesperrt hatte. So etwas wie Monster gab es doch nicht,… oder? Naja, menschliche Monster gab es offenbar, das wusste ich jetzt. Angstschweiß rann mir die Stirn und den Rücken hinab, als die Schritte lauter wurden. Diese schlurfenden, schweren Schritte… So laut, so unmenschlich. Gerade als ich mit fahrigen Fingern die Türklinke des rettenden Ausgangs hinter mir ertastete, brach das Ding plötzlich aus der Dunkelheit hervor und enthüllte sein groteskes, ja abscheuliches Antlitz.
In solch einem Moment, wenn einem etwas so offensichtlich Übernatürliches direkt vor die Nase geworfen wird, stellt man alles in Frage. Träume ich oder bin ich wach? Kann ich meinen Augen trauen? Passiert das gerade wirklich? Bis mich dann die harte Realität wie ein fester Schlag in die Magengrube traf und die Panik in mir entflammte. Das Ding, welches da mitten im matten Schein meiner Taschenlampe stand, war riesig und hätte Frankensteins Monster neben sich so bedrohlich wirken lassen wie eine harmlose Barbie-Puppe. Dieses Wesen, das einem Menschen mehr ähnelte, als mir lieb war, überragte mich locker um einen Meter. Der Oberkörper war merkwürdig gestreckt und vornübergebeugt, was ihm einen hässlichen Buckel bescherte. Trotzdem sah es kräftig aus. In der rechten Hand hielt es eine gewaltige Keule, welche auf seiner seltsam knubbeligen Schulter ruhte. Sie schien mit Stacheldraht umwickelt worden zu sein. Seine linke Hand schliff dank seiner unnatürlich langen Arme über den Boden und war dadurch so verstümmelt, dass sie kaum mehr als Hand zu erkennen war. Doch das schien das Ding nicht weiter zu stören. Das Schlimmste war aber sein Kopf. Er war merkwürdig schmal und hoch. Lange, fettige, schwarze Haare hingen an beiden Seiten seines Gesichts herunter. Zwischen dem Vorhang aus Haaren ragte eine lange, dünne Nase hervor. Der Mund war nichts weiter als ein klaffendes Loch, an dessen Seiten die Mundwinkel schlaff nach unten hingen. Seine Augen schienen mit einem blutigen Leinentuch verbunden zu sein. Wie bei einem Huhn zuckte sein Kopf unkontrolliert in alle Richtungen, während er mit seiner absurd langen Nase hie und da in die Luft stieß und zu schnuppern begann. Er ist blind, schoss es mir durch den Kopf, während ich immer noch wie zur Salzsäule erstarrt mit meiner Hand auf der Türklinke dastand. Ich wagte es nicht, auch nur einen Muskel zu bewegen. Ich konnte meinen Blick einfach nicht von diesem monströsen Etwas abwenden, das da in der Finsternis vor mir stand. Plötzlich hielt es mit seinen komischen Kopfbewegungen inne und sah genau in meine Richtung. Ich schluckte. Er oder es hatte mich aufgespürt. Eine Gänsehaut breitete sich über meinen gesamten Körper aus, ich musste hier raus! Kaum hatte ich diesen Gedanken gefasst, stieß das Ungetüm einen markerschütternden Schrei aus. Bei diesem kreischenden Geräusch rutschte mir augenblicklich das Herz in die Hose, als das Ding begann, auf mich zuzurennen und dabei weitere hohe, allzu menschliche Schreie von sich zu geben. Panisch drückte ich die Türklinke hinunter, um diesem Alptraum endlich zu entfliehen. Doch zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass sich auch diese Tür keinen Zentimeter bewegte. Jetzt machte mein letztes bisschen Verstand der blanken Panik Platz. Wie von Sinnen begann ich an der Tür zu rütteln und gegen sie zu schlagen. Dann drehte ich mich um. Das Ding war nur noch fünf Schritte entfernt und ruderte mit seinen absurd langen Armen und seiner grotesken Keule durch die Luft. Noch drei Schritte. Ich konnte nichts tun, ich würde hier sterben. Noch ein Schritt, die Keule schnellte durch die Luft, ich spürte bereits, wie mein Kopf zerschmettert wurde, und stieß einen allerletzten Schrei aus… dann schlug ich die Augen auf und erwachte keuchend und schweißgebadet in meinem Bett.
Ich zitterte am ganzen Körper, als ich aufstand und in Richtung Badezimmer taumelte. Noch nie in meinem Leben hatte ich so lebhaft geträumt, dass ich mich an jedes Detail erinnern konnte. Den finsteren Hof mit den Kreuzen. Den langen, unheimlichen Korridor, in dem ich eingesperrt war, die Treppe und schließlich der Raum mit den Schaufensterpuppen und ihren Kleidern aus… Haut. Und dann war da dieses merkwürdige Ding, welches mich am Ende getötet hatte. Ich drehte den Wasserhahn auf und wusch mir ausgiebig das Gesicht mit kaltem Wasser, dann stützte ich mich auf den Seiten des Waschbeckens auf und sah in den Spiegel. Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so fertig ausgesehen. Meine Haare waren nass vom Schweiß, genau wie das dünne T-Shirt, welches ich zum Schlafen angezogen hatte. Ich warf einen Blick zum Fenster. Draußen war es noch dunkel, doch an Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich stieg die metallene Wendeltreppe meiner Wohnung hinunter und ging in die Küche. Es gab nur eins, was mir jetzt noch einen tiefen Schlaf garantieren konnte: Alkohol. Mit einem Griff unter die Bar beförderte ich meinen stärksten Whiskey hervor und goss mir eine großzügige Menge in ein Glas. Ich nahm einen großen Schluck und dann noch einen. Augenblicklich spürte ich, wie mein Mund taub wurde und das Gebräu mir die Kehle verbrannte. Aber es war ein angenehmes Brennen. Der rauchige Geschmack breitete sich in meinem Mund aus, und ich spürte bereits den ersten Anflug von Schwindel. Nachdem ich das Glas – und darauf noch ein weiteres – geleert hatte, stieg ich die Treppe langsam wieder hinauf, ließ mich in mein Bett und damit in einen tiefen und sorglosen Schlaf fallen.
Am nächsten Morgen wurde ich von einem durchdringenden Klingeln geweckt, zwischen meinen Vorhängen fielen bereits die ersten Sonnenstrahlen hindurch. Ich setzte mich auf und streckte mich. Dann stellte ich mit einem Blick auf die Uhr fest, dass es 7 Uhr morgens war. In einer Stunde… Mein Handy klingelte immer noch.
Genervt nahm ich es vom Nachttisch und warf einen Blick auf das Display. Der Name Allan leuchtete mir entgegen, darunter der grüne Annehmen- und der rote Ablehnen-Button. Für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, das lästige Klingeln einfach abzuwürgen und mich zurück in die Kissen fallen zu lassen, um den Schlaf nachzuholen, den ich definitiv noch brauchte. Doch dann überwand ich mich und nahm den Anruf entgegen. Alles, was ich daraufhin hervorbrachte, war ein leicht gequältes „Hey Al, was geht ab?“ „Stan? Ey Alter, du klingst ja echt scheiße, hab ich dich geweckt?“ Die Stimme meines besten und unglücklicherweise immer hoch motivierten Uni-Freundes Allan drang an mein Ohr und löste damit ein unangenehmes Dröhnen in meinem Kopf aus. „Ja, hast du“, gab ich zähneknirschend zurück. „Dir auch einen guten Morgen. Was verschafft mir die Ehre?“ „Ach, ich dachte, ich ruf dich einfach mal an und sorge dafür, dass du nicht wieder verpennst.“ „Dass ich was nicht verpenne?“, fragte ich stirnrunzelnd und rieb mir die schmerzenden Augen. „Alter, du bist ja echt noch halb im Tiefschlaf. Was schon? Die Uni, Mann. Vorlesung beginnt um Halb 9, also raus aus den Federn.“ Genervt stöhnte ich auf. Normalerweise nahm ich mein Studium sehr ernst, doch gerade war ich im fünften Semester und hatte irgendwie einen totalen Durchhänger. Das musste einfach mit den Schlafstörungen und den lebhaften Albträumen zu tun haben, unter denen ich seit einigen Wochen litt. Ich war deshalb sogar schon beim Psychologen gewesen. Dieser konnte mir nicht sagen, warum ich diese Schlafstörungen hatte, hatte mir aber empfohlen, abends kleinere Spaziergänge zu unternehmen, die den Kopf von lästigen Gedanken befreien sollten. Außerdem hatte er mir zu einem Urlaubssemester geraten, in dem ich möglichst Stress reduzieren und all meine negativen Gedanken in meinen Geschichten niederschreiben sollte. Er meinte, mein Nebenjob als Autor würde mir die Möglichkeit geben, meinen Frust abzuladen. Vielleicht wäre das was für mein nächstes Semester. Bis dahin hatte ich mir vorgenommen, weiterhin meine Abendspaziergänge zu unternehmen. Seit ich damit begonnen hatte, ging es mit mir eigentlich schon wieder bergauf. Aber letzte Nacht schien ich so etwas wie einen Rückfall gehabt zu haben. Einen fürchterlichen Albtraum, was war da noch… irgendwas mit ’nem Haus und Kreuzen… „Dan? Hey Mann, bist du noch dran?“ Allans Stimme riss mich unsanft aus meinen Gedanken. „Ja… ja, bin noch dran. Hör zu, ich hab heute Nacht echt scheiße geschlafen… ich glaube nicht, dass ich komme.“
„Du hast scheiße geschlafen?“ Allans Stimme klang auf einmal besorgt. „Du machst das, was der Doc dir gesagt hat, diese… Spaziergänge, oder?“ „Ja, mache ich. Und es geht mir schon viel besser seitdem. Keine Ahnung, was heute Nacht los war“, gab ich zurück, ein wenig dankbar über die Sorgen, die er sich meinetwegen machte. „Tja“, sagte Allan nun wieder etwas fröhlicher als zuvor, „Wird schon nichts heißen. Du hast halt einfach schlecht geschlafen, das passiert jedem anderen auch ab und zu. Heute kannst du dich aber nicht drücken. Das hast du schon viel zu oft, wird Zeit, dass du mal wieder ins reale Leben zurückkehrst. Ich denke, du musst einfach mal wieder unter Menschen. Du vergräbst dich zu sehr.“ Ich rollte genervt mit den Augen. „Ja, kann schon sein, du alter Hobbypsychologe“, wiederholte ich resigniert, gefolgt von einem langgezogenem Seufzer. „Also guut. Vielleicht hast du ja Recht. Wir sehen uns später. Danke fürs Erinnern“, sagte ich schließlich und besiegelte damit mein Schicksal für diesen Tag.
Geschlagene acht Stunden später stand ich wieder vor meiner Haustür und kramte mit beiden Händen in meinem Rucksack nach meinem Schlüssel, bis er mir mit einem leisen Klirren durch die Finger glitt. Ich zog ihn heraus und steckte ihn ins Schloss. Das bekannte Klicken ertönte und ich fand mich im Eingangsbereich wieder. Neben mir die Briefkästen. Alle waren leer, bis auf einen. Mein Briefkasten quoll mal wieder über und zeigte mir, wie wenig ich zur der Zeit am Leben teilnahm. Ich öffnete ihn und ein Schwall von Prospekten kam mir entgegen. Die meisten konnte ich auffangen, zwei fielen auf den Boden. Und dann war da noch etwas. Ein dumpfer Aufschlag von etwas Festem. Ich blickte hinab auf meine Füße. Zwischen ihnen lag ein kleines, braunes Päckchen. Es war etwas unförmig, sah ansonsten aber aus wie ein normales Briefpaket. Ich stopfte den anderen Kram vorerst achtlos zurück in den Briefkasten und begann damit, das Päckchen zu öffnen. Dabei fiel mir eine weiße Karte in die Hände. In geschwungenen, handschriftlich verfassten Lettern stand dort:
Sehr geehrter Mr. Stanley Smith.
Ihr Besuch in meinem Anwesen letzte Nacht hat mich sehr überrascht. Ich empfange für gewöhnlich keinen unangekündigten Besuch, erst recht nicht um diese Uhrzeit. Ich entschuldige mich vielmals für die Unannehmlichkeiten, die sie meinetwegen hatten. Ich bin schon ein alter Knabe und eigentlich ein sehr zuvorkommender Gastgeber. Hätten sie nach dem Klopfen gewartet, bis ich öffne, wären wir vielleicht ins Geschäft gekommen. Sie hielten es allerdings für richtig, stattdessen bei mir einzubrechen. Nun denn, als Zeichen meines dennoch guten Willens habe ich ein kleines Souvenir beigefügt und möchte sie darum bitten, bei Interesse an meinen Waren zukünftig im Vorfeld einen Termin mit mir zu vereinbaren.
Hochachtungsvoll
ihr ergebener
Dr. Brandon Madley
Mir wurde schlagartig übel und auf meinem Rücken sowie auf meiner Stirn brach der kalte Schweiß aus, während ich den Brief ein zweites und ein drittes Mal las, um überhaupt zu realisieren, was dort stand, während die Erinnerung mich wie ein harter Schlag ins Gesicht traf. Das Haus, die Kreuze, der Keller, die Kleider aus Haut… die Kleider… mit einem Ruck riss ich das restliche Papier von dem sogenannten „Souvenir“. Es entpuppte sich als die groteske Abwandlung einer Brieftasche. Dünn und weiß spannte sich die Haut glatt über die Oberfläche. Keine Nähte. Nur dieses ekelerregende Material. Nichts von alledem war ein Traum gewesen. Ich hatte nicht geträumt!!
Geistesgegenwärtig riss ich die restlichen Prospekte aus dem Briefkasten. Ohne diesen danach wieder abzuschließen, taumelte ich die Stufen zu meiner Wohnung hoch. Oben angekommen steckte ich mit bebenden Fingern den Schlüssel ins Schloss und begann zu drehen. Dann stürzte ich in die Wohnung und von dort aus direkt ins Badezimmer, öffnete die Toilette und übergab mich… zum zweiten Mal in den letzten 24 Stunden.