
Das Drylaner-Experiment
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Zu Teil 2: Das Drylaner-Experiment: Versuchsabbruch
Ich erwachte inmitten wohliger Wärme. Der Geruch von Minze, Rosen und
einigen mir unbekannten Aromen strömte in meine Nase und kitzelte
meine Geruchsrezeptoren wie ein frischer milder Frühlingswind. Von
irgendwoher drang leise Klaviermusik herüber, die in einer mir völlig
fremden Tonart komponiert war, und mir doch sofort ein Gefühl von
Geborgenheit und tief empfundener Freude schenkte. Einen Moment lang
dachte ich, dass ich einfach einen besonders realistischen Traum hätte.
Denn dies war nicht meine spartanische winzige Zweizimmerwohnung. Dort
hätte ich den Geruch von dreckigem Geschirr und überfüllten Mülleimern
und den Lärm von Baustellen oder streitenden Nachbarn vernommen. Und da
es möglicherweise ein Traum war, weigerte ich mich konsequent meine
Augen zu öffnen.
Andernfalls würde mich sofort die ernüchternde Realität empfangen und
mir mit der Wucht ihrer Probleme und Verpflichtungen in die Fresse
schlagen. Doch auch wenn ich mich mit aller Macht an diese Illusion
klammerte, riss mich letztlich doch eine mir unbekannte sanfte Stimme
aus meinen Gedanken. „Du kannst ruhig deine Augen öffnen, Dennis. Ich
weiß genau, dass du wach bist. Ich sehe es an deinen Vitalwerten.“
Eine so schöne Stimme hatte ich in meinem Leben selten gehört. Wenn
überhaupt. Zart, melodisch, freundlich und doch reif, bestimmt, und auf
irgendeine schwer zu fassende Weise sexy. Meine Augenlider gaben ihren
Widerstand auf und öffneten sich wie Blüten, die das Licht der Sonne
bemerkt hatten.
Ich bereute es nicht. Ich sah in das zauberhafte Gesicht einer Frau,
die genau wie ich ungefähr Mitte Zwanzig sein mochte. Wenn mich nicht
meine bisherigen Lebensjahre gelehrt hätten, dass es so etwas –
zumindest für mich – einfach nicht gibt, hätte ich schwören können, dass
ich mich direkt auf den ersten Blick in sie verliebt hatte. Sie war
schlank und doch weiblich und strahlte eine perfekte Mischung aus
Verletzlichkeit und Selbstbewusstsein aus, der ich mich kaum entziehen
konnte. Ausserdem hatte sie etwas sehr exotisches an sich.
Ihre Haut war weiß. Kalkweiß. Nicht auf die Art weiß, wie es
beispielsweise Nordeuropäer waren. Sie war vielmehr so weiß wie Milch.
Oder wie Knochen. Ihre Augen hingegen waren rot wie Blut. Rot wie ein
Sonnenuntergang bei klarem Himmel. Und sie hatten die Form… Ja,
tatsächlich: Sie hatten die achteckige Form eines Oktagons. Ihre Haare
aber waren silbern und schillerten hell in dem Kunstlicht, welches in
den warmen Tönen des mir wohlbekannten Sonnenlichts von der Decke
strahlte und aus keiner bestimmten Quelle zu kommen schien.
„Siehst du? Du kannst ja doch die Augen öffnen. Und wie gut du das
kannst. Anscheinend willst du ja gar nicht mehr damit aufhören, sie zu
benutzen.“ Sie lächelte mich an. Ein wenig erschreckte ihr Lächeln mich,
da es messerscharfe weiße Zähne und dunkelblaues Zahnfleisch enthüllte,
aber es brachte so viel Freundlichkeit mit sich, dass dieser Eindruck
schnell wieder verschwand.
„Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht anstarren. Es ist nur… wo bin ich hier eigentlich?“
Sie schüttelte leicht den Kopf, wobei ihr silbernes Haar wie im Wind
umherpeitschte. Ihre Oktagonaugen weiteten und verengten sich beinah wie
die Linse eines Fotoapparats.
„Ihr Erdlinge stellt immer die gleichen Fragen.“ Sie kicherte und klang dabei wie ein ganze Heer kleiner Glöckchen.
„Erdlinge? Bin ich hier etwa nicht auf der Erde?“ fragte ich, auch
wenn ich genau das schon vermutet hatte, als ich die Augen geöffnet
hatte.
Die Wände hier waren genauso schneeweiß wie das Gesicht dieser Frau
und schienen vollständig aus einem Guss zu bestehen. Es gab keine
Unebenheiten, Fugen oder Fehler. Gleichzeitig zog sich das gesamte
Zimmer ganz leicht zusammen und dehnte sich wieder aus, so als würde ich
mich inmitten gigantischer Lungenflügel befinden. An den Wänden gab es
holographische Projektionen, die Diagramme und Textfragmente mit Wörtern
und Buchstaben zeigten, die ich in meinem Leben noch nie gesehen hatte.
Das Abgefahrenste war aber, dass ich in keinem normalen Bett lag. Ich
lag vielmehr in einem Meter Höhe mitten in der Luft! Und trotzdem spürte
ich eine weiche Matratze unter meinem Körper und machte keine Anstalten
auf den Boden zu fallen. Die Schwerkraft schien von irgendetwas außer
Kraft gesetzt worden zu sein.
„Nein. Du bist auf unserem Schiff und in unserer Obhut.“
Plötzlich schoss trotz der wunderschönen Umgebung Angst in meine
Venen. „Ihr habt mich entführt? Ich bin im All? Was habt ihr mit mir
vor? Woll ihr Experimente an mir durchführen? Wollt ihr meinen Körper
als Wirt für irgendeine Kreatur benutzen?“
Die Frau fing erneut an zu lachen und schien sehr amüsiert. „Als
nächstes fragst du auch noch, ob wir dich fressen wollen.“ Ihre spitzen
Zähne gaben dieser Bemerkung eine eigenartige Note.
Sie bewegte ihre milchweiße Hand in meine Richtung. Instinktiv wollte
ich zurückzucken. Aber sie war viel zu schnell. Ihre Reflexe waren
beachtlich und schneller als die jedes Raubtieres auf der Erde. Sie
hätte mir wahrscheinlich mit einem Griff die Kehle herausreissen können,
bevor ich meinen nächsten Atemzug tat. Doch das Einzige, was sie mit
ihrer angenehm warmen Hand tat, war meinen Arm zu streicheln. Mir jagte
direkt ein wohliger Schauer über den Rücken. „Mein Name ist übrigens
Trylayne und weder ich noch jemand anders hier, will dir irgendetwas
antun.“
„Warum habt ihr mich dann entführt, Trylayne?“ fragte ich sie jetzt
schon ein wenig entspannter. Ihre Gegenwart hatte eine überaus
beruhigende Wirkung. Jedenfalls auf die meisten Teile von mir.
„Entführung ist so ein hartes Wort. Aber es stimmt schon. Wir haben
dich ohne deine Erlaubnis hierher gebracht. Und das tut uns auch
aufrichtig leid. Aber wir wollen nicht, dass unsere Aktivitäten bekannt
werden, also müssen wir möglichst diskret und schnell vorgehen.“ Sie
leckte sich mit einer dicken blauen Zunge über ihre ebenfalls bläulichen
Lippen, an denen ich bei jedem ihrer Worte wie gebannt hing.
„Jedenfalls haben wir in der Tat einige Experimente mit dir geplant
…“ Als sie merkte, wie ich mich wieder verkrampfte, machte sie eine
beruhigende Geste. „Keine Angst. Es geht weder um Analsonden, noch um
fiese Operationen oder Implantate. Ich weiß ja, was ihr Erdlinge euch in
euren Filmen und Geschichten für grausige Vorstellungen über das Leben
jenseits eures Planeten zusammenreimt. Aber es handelt sich lediglich um
soziologische Experimente. Wir wollen euch und eure Lebensweise besser
kennenlernen. Mehr nicht.“
„Zu welchem Zweck?“ hakte ich in bemüht kritischem Ton nach, der mir
zunehmend schwerer fiel. Das lag zum einen an Trylaynes Anblick. Zum
anderen aber auch an ihrem Geruch. Roch es hier gerade noch nach Minze
oder Erdbeeren, so nahm ich im nächsten Moment frisches Holz,
Tannennadeln, mein Lieblingsshampoo, das Parfum meiner Ex-Freundin oder
einen anderen Geruch wahr, der mich emotional völlig gefangen nahm.
Die Lider ihre Oktagonaugen schlossen und weiteten sich schnell, was
wohl das Äquivalent zu einem Wimpernschlag sein mochte. „Um euch
irgendwann wirklich zu verstehen und offen mit euch in Kontakt treten zu
können. Denn wir können bestimmt eine Menge voneinander lernen. Da bin
ich mir ganz sicher.“
Da musste ich zustimmen, dachte ich benommen. Von ihr könnte ich
sicher eine ganze Menge lernen. Peinlicherweise regte sich daraufhin
eindeutig etwas zwischen meinen Beinen. Zum Glück tat mir Trylayne aber
den Gefallen, es nicht zu bemerken.
„Um was für Experimente geht es genau?“ fragte ich sie, um auf andere Gedanken zu kommen.
Sie verzog erneut ihre Lippen zu einem spitzzahnigen Lächeln.
Überhaupt schien sie sehr gerne zu lächeln. „Zunächst wollen wir einfach
nur wissen, was euch Spaß macht, wie ihr auf neue Erkenntnisse reagiert
und wie ihr euch verhaltet, wenn ihr euch vollkommen wohl fühlt.“
Wow. Das klang jetzt nicht wirklich übel. „Hattet ihr schon viele
Menschen hier oben? Warum haben wir noch nie etwas von einem der
Rückkehrer gehört? Er hätte doch sicher einiges zu berichten gehabt.“
Jetzt wirkte Trylaynne ein wenig verlegen. „Nun ja. Leider müssen wir
nachher euer Gedächtnis löschen, damit ihr eure Besuche bei uns später
nicht an die große Glocke hängen könnt.“
Das hingegen war nun weniger erfreulich. Was würden mir die schönsten
Erlebnisse bringen, wenn ich mich nachher nicht daran erinnerte?
Trylayne bemerkte meine Enttäuschung sofort. „Hey Dennis, mach nicht so
ein langes Gesicht. Im Grunde zählt doch ohnehin nur der Moment, oder?“
Sie warf mir einen eindeutigen Blick zu und wie durch Zufall ließ sie
dabei ihren Overall ein kleines Stück verrutschen, so das ich einen
kurzen Blick auf das erhaschen konnte, was darunter lag. Eigentlich
hatte sie ja recht. Was zählte war das Hier und Jetzt …
Egal was später mit meinem Gedächtnis passieren würde, zumindest
erinnerte ich mich sehr gut an jedes Detail meiner besonderen Begrüßung.
Trylayne war buchstäblich eine überirdische Liebhaberin und ich musste
mir eingestehen, dass sich Melanie, die mich vor fünf Monaten aus
unserer gemeinsamen Wohnung geschmissen hatte, in keiner Hinsicht mit
ihr messen konnte. Seltsamerweise bereitete mir unser Zusammensein aber
beinah genauso viel Angst wie Vergnügen. Vielleicht lag es daran, dass
all ihre Bewegungen etwas raubtierhaftes hatten. Ihr ganzes Wesen
berührte – und warnte – uralte Instinkte in mir. Gleichzeitig hatte es
aber auch etwas sehr faszinierendes und aufregendes. Wie ein Spiel mit
dem Feuer.
Ausserdem wurde die Angst nie so groß, dass ihre Pheromone sie nicht
in Zaum halten konnten. Denn ich war mir inzwischen sicher, dass es sich
bei den angenehmen Gerüchen genau darum handelte. Irgendetwas in ihr
schien meine Gedanken zu lesen und spielte perfekt auf der Klaviatur
meiner Emotionen. Das Problem daran war nur, dass mir das letztendlich
scheißegal war. Dafür war es einfach zu intensiv. Zu einzigartig. Ein
nur für mich designter Traum.
Auch die Gespräche mit ihr waren aufregend. Ich erfuhr so einiges
über ihr Volk. Sie nannten sich selbst „Drylaner“ und kamen ursprünglich
von einem Planeten aus dem Pegasus-Sternensystem. In grauer Vorzeit
waren sie wohl ein recht barbarisches und brutales Volk gewesen und
hatten sich ständig untereinander bekriegt. Irgendwann aber hatten sie
die Sinnlosigkeit all dieser Aggression begriffen und waren zu einem
friedlichen Volk geworden, dass sich vor allem der Wissenschaft widmete.
Lediglich ihre scharfen Zähne zeugten noch von diesen rohen
unzivilisierten Anfängen. Mit dieser Entscheidung hatte für sie eine
rasante technische Entwicklung und die Kolonisation des Universums
begonnen.
Nach diesem Gespräch hatte Trylayne sich entschuldigt. Sie hätte noch
einiges zu erledigen und würde später wieder zu mir stoßen. Bis dahin
dürfe ich mich selbstverständlich frei auf dem gesamten Deck bewegen.
Und genau das tat ich auch. Ich ging durch die Tür ihres
Privatzimmers, die lautlos und automatisch aufglitt als ich mich ihr
näherte und folgte einem langen weißen und ebenfalls eine atmenden
Organismus ähnelnden Korridor, an dessen Seiten immer wieder weitere
Türen eingelassen waren. Ich probierte natürlich bei jeder davon aus, ob
sie sich ebenfalls durch meine Annäherung öffnen würde. Aber sie blieben
verschlossen.
Ein Umstand, der mich eigentlich nicht weiter verwundern sollte, da
mir Trylayne schon mitgeteilt hatte, dass alle Nebenräume der
Forschungsstation zugangsbeschränkt seien. Aber die menschliche Neugier
ließ sich nun einmal schwer abstellen.
Am Ende des Korridors kam ich in den Vergnügungsbereich des Schiffes.
Zwar hatte Trylayne mich vorgewarnt, aber dennoch blieb mir vor Staunen
der Mund offen stehen.
Vor mir sah ich einen Raum, der ganz sicher mehrere Quadratkilometer
groß sein musste und Bände über die Dimensionen des Schiffes sprach, das
ihn beherbergte. Noch viel abgefahrener war aber, dass er ganz und gar
nicht aussah wie ein Raum. Weit über mir spannte sich ein leicht
rötlicher Himmel mit eisblauen, langsam dahintreibenden Wolken von
Horizont zu Horizont. Eine davon bewegte sich gerade an zwei blutroten
Sternen vorbei, von denen der eine etwas größer war als der andere. Und
ich konnte die Wärme dieser Sterne spüren, genau wie ich auch den Wind
auf meiner Haut spürte, soweit sie nicht von dem schlichten weißen
Overall verdeckt wurde, den Trylayne mir überlassen hatte.
Die Illusion war so perfekt, dass ich hätte schwören können, mich im
Freien zu befinden, obwohl Trylayne mir ja erzählt hatte, dass das alles
nur raffinierte technische Tricks waren. Erst jetzt löste ich meinen
Blick vom Himmel und sah, dass ich auf einer Anhöhe stand. Unter mir
erstreckte sich ein Tal voller fremdartiger architektonischer
Meisterwerke, die ohne Ausnahme weiß und silbern waren. Es gab
spiralförmige Gebäude, pyramidenartige, seltsame Scheibenkonstruktionen
und sogar einige Gebäudegruppen, die mich an ein Maul voll scharfer
Zähne erinnerte. Zwischen ihnen wimmelte es von Leben. Unzählige
Drylaner beiderlei Geschlechts und in jedem Alter, flanierten auf
glattgeschliffenen Straßen und das rote Licht der künstlichen Sonnen
schillerte wie frisches Blut auf ihren weißen Gewändern. Es war mit
Abstand das fantastischste, was ich je erblickt hatte.
„Atemberaubend, nicht?“ erklang eine kratzige Stimme direkt hinter
mir. Ich drehte mich um und sah in das Gesicht einer Frau, die nicht mal
halb so schön war wie Trylayne. Ihre Haut war schrumpelig, ihre
silbrigen Haare dünn und strähnig und ihre spitzen Zähne wirkten beim
Sprechen stumpf und grau. Ausserdem umgab sie der scharfe, strenge Duft
eines Raubtiers, nicht der nach Erdbeeren, Minz oder Honig, wie ich ihn
von Trylayne kannte. Die Frau war mir sofort unsympathisch. „Kann schon
sein.“ erwiderte ich desinteressiert und kühl.
Die Frau aber kümmerte sich nicht um meinen abweisenden Tonfall. „Oh
doch, das ist es. Selbst für mich, nach all den vielen Jahren. Aber was
sich hinter all dem verbirgt ist sogar noch … atemberaubender.“ Sie
zwinkerte mir verschwörerisch zu, wobei aber auch eine seltsame
Traurigkeit in ihren Augen lag. Ich für meinen Teil begriff rein gar
nichts. „Hinter all dem? Was soll denn dort sein?“ fragte ich sie
verwirrt. Die Frau blickte sich hektisch um, so als ob sie befürchten
würde, dass man uns beobachtete. Dabei war außer uns niemand auf dieser
Anhöhe. Alle anderen Drylaner waren dort unten im Tal. Wahrscheinlich
war sie nicht nur hässlich, sondern auch noch paranoid. Warum auch
sollte es diese Kombination allein bei Menschen geben?
Ich wollte mich bereits auf die Straße hinunter ins Tal begeben, als
mich die Frau urplötzlich umarmte und ihr faltiges Gesicht gegen meines
drückte. Ihr Raubtiergeruch hüllte mich ein. Es war widerlich.
Allerdings traute ich mich nicht, sie zurückzuweisen. Vielleicht gehörte
das zu den normalen Umgangsformen hier und ich wollte mich nicht dem
Zorn meiner „Gastgeber“ ausliefern. „Mein Name ist Demyra.“ flüsterte
sie mir mit ihrer rauen und gebrechlich klingenden Stimme zu.
Gleichzeitig spürte ich, wie sie mir etwas in meine linke Hand drückte.
Reflexartig nahm ich es entgegen. „Ich heiße Dennis.“ erwiderte ich.
„Ich weiß.“ antwortete sie mir und zeigte dabei auf ein silbernes Symbol
auf Brusthöhe meines Overalls, dass ich bisher für irgendeine modische
Verzierung gehalten hatte. „Es steht dort. Dein Name und noch einiges
mehr.“ Wieder war da dieser traurige Blick. „Ich muss jetzt gehen.“
sagte sie. „Vielleicht sehen wir uns wieder.“ Dann drehte sie sich um
und ging ohne ein weiteres Wort ins Tal hinunter.
Noch immer etwas verwirrt über diesen seltsamen Vorfall, betrachtete
ich den Gegenstand, den Demyra mir gegeben hatte. Es handelte sich um
eine kleine weiße Plastikkarte, die ein wenig an eine Kreditkarte
erinnerte. Auf der Karte waren in glitzerndem Silber weitere der
seltsamen Symbole aufgedruckt, die wohl die Sprache der Drylaner
darstellten. Besonders bemerkenswert war aber ein winziger roter Text
ganz unten auf dem Kärtchen. Denn er war in meiner Sprache geschrieben:
„Dein Blut enthüllt die Wahrheit.“ Was soll das jetzt wieder heißen?
Soll ich etwa die Karte mit meinem Blut vollschmieren? Nein, Danke. Ich
überlegte kurz das Kärtchen einfach wegzuschmeißen, steckte es aber dann
doch in die Tasche meines Overalls. Mann wusste ja nie. Dann aber ging
ich endlich ins Tal hinunter und damit mitten ins Vergnügen. Immerhin
war mein Vergnügen doch Teil der Experimente. Oder etwa nicht?
Als ich im pulsierenden Leben der Straßen des Vergnügungsviertels
ankam, bemerkte ich sofort die Blicke der Passanten. Anscheinend schien
ich nicht allein Trylayne zu gefallen. Auch andere Frauen sahen mich
durchaus mit mehr als oberflächlichem Interesse an. Und sogar einige
Männer. Sie zwinkerten mir mit ihren achteckigen Kameraaugen zu, fuhren
sich lüstern mit ihren dicken blauen Zungen über ihre spitzen Zähne und
schickten mir Wellen von wunderbar duftenden Pheromonen entgegen.
Allerdings sprach mich niemand von ihnen an. Bei den Frauen fand ich
das eher bedauerlich, aber was die Männer betraf war ich schon ziemlich
erleichtert. Zwar war niemand von ihnen auch nur annähernd so
unattraktiv wie Demyra, aber an meinen Vorlieben konnte ich nun einmal
nichts ändern und so blieb es mir immerhin erspart durch meine Ablehnung
unhöflich zu wirken. Ausserdem verstand ich ihre Sprache ja sowieso
nicht und es war ja nicht gesagt, dass jeder von ihnen so gut die meine
beherrschte wie Trylayne und Demyra. Da ich in der weitläufigen Stadt
sonst keine Orientierung hatte, ging ich in Richtung eines Restaurants,
das mir Trylayne empfohlen hatte. Denn ich war wirklich hungrig. Seit
meiner Ankunft hier hatte ich nichts zu mir genommen. Ich hoffte nur,
dass ich mir den Weg richtig gemerkt hatte.
Nach einigen Minuten, in denen ich den Drylanern dabei zusah, wie sie
ihren Erledigungen nachgingen, die sie nicht selten in eins der
fantastisch geformten Häuser und irgendwann wieder hinaus führten. Dabei
fiel mir auf, dass es hier nur sehr wenige Kinder gab. Auf fünzig
Erwachsene kam vielleicht eins. Aber wahrscheinlich war dies auch kein
Ort für Kinder. Aufgrund der völlig fremden Kultur war ich mir nicht
sicher, aber das ein oder andere Mal kam ich an Gebäuden vorbei, die
mich doch verdächtig an Bordelle erinnerten. Auf der anderen Seite war
ich auch nicht allzu traurig, dass mir kaum Kinder begegneten. Als mich
nämlich das erste mal ein kleiner Junge bemerkte, der an der Hand seines
Vaters die Straße entlangschritt, wurde er ganz aufgeregt und unruhig
und zeigte immer wieder mit einer so bestimmenden Geste auf mich, dass
ich fast dachte er wolle mich mit seiner Hand erdolchen. Sein Vater
schüttelte nur den Kopf und riss ihn mit sich, aber in den Augen des
Kleinen hatte ich etwas gesehen, dass mir Angst gemacht hatte. Etwas,
dass es bei einem so kleinen Kind noch nicht geben sollte und das so
überhaupt nicht in diese Idylle passte.
Endlich kam ich zu einem Platz, der sich wenigstens ungefähr mit
Trylaynes Beschreibung deckte. Allerdings gab es dort anscheinend gleich
mehrere Restaurants aus denen immer wieder Leute mit ihren Speisen
herauskamen. Offensichtlich war „Futter to go“ hier der letzte Schrei.
Da alle Speisen in weißes Papier eingeschlagen waren, konnte ich nicht
erkennen was sie dort aßen. Aber die Gerüche, die von überall zu mir
herüberwehten und sich mit dem olfaktorischen Hintergrundrauschen der
verschiedenen Pheromone mischten, kamen mir durchaus bekannt vor. Das
war doch schon mal kein schlechtes Zeichen.
Da ich von außen nicht entscheiden konnte, welches Restaurant mich
ansprach – immerhin gab es keine Reklametafeln oder Menükarten, sondern
nur diese fremdartigen silbernen Symbole – ging ich einfach in das
nächstbeste. Doch offensichtlich war das nicht unbedingt die beste Wahl
gewesen.
Direkt an der Tür empfing mich eine Art Türsteher, den ich zunächst
für einen Gast gehalten hatte und machte eine abwehrende Geste. „Das
nicht für Dynaricks. Wird nicht schmecken. Giftig für dich.“ sagte er in
gebrochenem Deutsch. Dabei gingen seine achteckigen Augenlider so
schnell auf und zu, dass man meinen könnte, er wollte mit ihnen
Stroboskoblicht erzeugen. „Geh dorthin! Dort gut!“ Er zeigte hektisch
auf ein schmales Gebäude direkt gegenüber dieses Etablissements. Ich
zuckte nur mit den Schultern, auch wenn ich mich über sein seltsames
Verhalten wunderte. „Ok. Dann noch einen schönen Tag.“ Im Grunde war mir
ja eh ziemlich egal wo ich etwas zu mir nahm. Also folgte ich einfach
seinem Rat.
Im Inneren des anderen Restaurants war ich seltsamerweise der einzige
Gast. Auch gab es hier weder eine Bedienung noch sonstiges Personal.
Stattdessen stand dort ein riesiger, weiß-silberner Automat, der die
gesamte Breite und Höhe des Raumes einnahm und der eine ganze Reihe von
Touchscreens, sowie mehrere quadratische Ausbuchtungen besaß. Da es vor
jedem dieser Ausbuchtungen einen stylischen weißen Barhocker gab, ließ
ich mich auf einem davon nieder und empfand ihn als unglaublich bequem.
Was mich aber total umhaute war vielmehr, dass das Menü des Touchscreens
in meiner Sprache geschrieben war. Und dieses Menü bot mir wirklich
alle nur denkbaren Speisen an. Es gab Pizzen, Hummer, Kaviar, Burger,
Reiscurry, Gebratene Nudeln, Aufläufe, einfach alles. Ich bestellte mir
einen Cheeseburger, auch wenn ich keinen blassen Schimmer hatte woher
das Fleisch stammen mochte. Oder der Käse. Aber ich hoffte einfach das
Beste.
Die Zubereitung dauerte nicht einmal zehn Sekunden. Der Burger
entstand praktisch vor meinen Augen. Schicht für Schicht. Wie bei einem
3D-Drucker. Entsprechend skeptisch beäugte ich das Ergebnis. Aber er
roch nicht nur wie der beste Burger den ich je zu Gesicht bekommen
hatte. Er schmeckte auch so. Und das Beste daran war, dass ich
anscheinend überhaupt nichts dafür zu bezahlen brauchte und mich nicht
einmal besonders voll fühlte. Ich bestellte mir noch einen zweiten
Burger. Dann eine Salamipizza mit Kaviar und Nutella – einfach weil ich
es konnte, eine Portion Kartoffelgratin, einen Topf voll Mousse au
Chocolate, einen Teller gebratene Nudeln, zwei Eisbecher und vieles
vieles mehr. Ich hatte keine Ahnung wo die all die Zutaten und Rezepte
für unser irdisches Essen her hatten, aber war das eigentlich so
wichtig? Es war immerhin unglaublich köstlich und so viel ich auch aß,
es setzte dennoch kein Sättigungsgefühl bei mir ein.
Ich hätte immer mehr davon essen können. Da ich aber bemerkte, dass
mein Overall inzwischen eine deutlich sichtbare Ausbuchtung bekommen
hatte, beschloss ich es für heute gut sein zu lassen. Ausserdem hatte
ich ziemlichen Durst. Also beschloss ich mich durch die Cocktailkarte zu
arbeiten. Mojito, Caipirinha, Pina Colada, Daiquiri, White Russian, Sex
on the Beach. Sie alle schmeckten sogar noch besser als das Essen. Da
konnte keine Happy Hour auf der Erde mithalten. Leider schienen sie aber
alle auch stinknormalen Alkohol zu enthalten. Bevor ich also zu Knülle
war noch irgendwas mitzubekommen, beschloss ich das Lokal zu verlassen
und mich stattdessen ins Nachtleben zu stürzen.
Ich erwachte in Trylaynes Bett. Allein. Hin und wieder blitzten
Szenen der letzten Stunden in meinem Gedächtnis auf, wie
Positionslichter in dichtem Nebel. Da gab es das Bordell, dass ich
tatsächlich besucht hatte. Nackte weiße Haut, blaue Lippen, dicke Zungen
und viele scharfe Zähne. Dann hatte ich gegen Drachen gekämpft und
Zombies geköpft. Und ich war der Prinz irgendeines Landes. Ausserdem war
ich Weltraumpilot und habe eine Invasion zurückgeschlagen. Wenn ich
also nicht vollkommen den Verstand verloren hatte – was ich angesichts
der rauen Mengen an Alkohol gar nicht ausschließen wollte – musste ich
auch eine Art Holodeck oder Virtual Reality Technologie benutzt haben.
Vor allem aber erinnerte ich mich an wütende Gesichter und aggressive
Worte. An spitze, drohend zuschnappende Zähne und ausholende weiße
Fäuste. Ein Streit. Ich fuhr mir übers Gesicht und merkte, dass es
geschwollen war. Ausserdem fühlte ich tiefe Einstiche an meinem Hals.
Eine Bisswunde. Jemand hatte mich ziemlich vermöbelt. Und mit dieser
Erkenntnis kamen die Schmerzen. Ich wusste leider nicht einmal mehr, wer
angefangen hatte. Verfluchter Alkohol.
Plötzlich ging die Tür auf. Ein Duft von Erdbeeren und Minze wehte
herein und dann folgte das wunderschöne Gesicht von Trylayne. „Na, du
Held. Du hast aber einen ganz schönen Aufruhr verursacht.“ Ich spürte,
wie ich errötete „Tut mir leid, ich habe nur…“ Sie legte den weißen
Finger auf ihre blauen Lippen. „Psst! Alles gut. Ich weiß, was passiert
ist. Und glaube mir, andere haben schon viele Schlimmeres angestellt als
du. Das gehört nun einmal zum Experiment. Genauso wie das hier.“
Plötzlich schlüpfte sie aus ihrem weißen Laborkittel und stand vollkommen
nackt vor mir. Die nächsten Erinnerungen, die ich hatte vergaß ich
nicht wieder. Und sie waren sehr viel schöner als die letzten.
Die kommenden Tage ließ ich es etwas ruhiger angehen. Zumindest dem
Alkohol und dem Streit ging ich aus dem Weg. Dem Essen und anderen
fleischlichen Gelüsten gab ich mich allerdings weiter ausgiebig hin und
auch das Holodeck besuchte ich von Zeit zu Zeit. Immerhin sollten die
Aliens ja bei ihren Experimenten ein paar Ergebnisse bekommen, auch wenn
mir noch immer nicht recht klar war, wie sie mein Verhalten
überwachten.
Aber wahrscheinlich hatten Sie überall Kameras aufgestellt, mir einen
Chip in den Kopf gepflanzt oder meine Haut durch Sensoren ersetzt. So
etwas in der Art, musste es sein. Doch es war mir auch seltsam egal.
Denn ich wurde wirklich glücklich. In den Tagen und Wochen die folgten
erlebte ich mehr Freuden und Genüsse als in meinem ganzen Leben zuvor.
Selbst als ich merkte, wie mein Körper mehr und mehr außer Form geriet,
hatte Trylayne eine Lösung dafür parat: Sie führte mich in einen großen
und mit einer Vielzahl verschiedener Geräte ausgestatteten Fitnessraum.
Zunächst sträubte ich mich dagegen, da ich schon auf der Erde nicht
viel für körperliche Betätigung übrig gehabt hatte. Aber dieser Raum
hatte wenig mit einem gewöhnlichen Fitnessstudio gemein. Jedes der
Geräte und Laufbänder war an eine eigene Virtual-Reality-Einheit
gekoppelt, so das aus ermüdenden Wiederholungen aufregende
Kampfeinsätze gegen virtuelle Gegner, spannende Verfolgungsjagden oder
Kletterpartien mit atemberaubender Aussicht wurden. Zudem gab sie mir
ein Gerät, dass auf Knopfdruck über eine winzige Nadel eine besondere
Substanz in meinen Körper absonderte, welche meine Motivation
augenblicklich steigern, meinen Organismus mit Adrenalin und Endorphinen
fluten und zugleich die Effektivität meines Trainings verzehnfachen
würde. Sie versicherte mir dabei, dass sie keinerlei Nebenwirkungen
hätte. Also probierte ich es aus. Und ich war regelrecht begeistert. Von
nun an ging ich mehrmals täglich trainieren.
Innerhalb weniger Wochen war aus einen mäßig attraktiven Kerl mit
Bäuchlein ein ansehnlicher Mann mit definierten Muskeln geworden, der
nun alle Vergnügungen der Station auch noch ohne jede Reue genießen
konnte.
Ja, ich war wirklich glücklich. Aber trotzdem fehlte mir etwas.
Irgendetwas, was ich nicht näher bestimmen konnte. Es war wie ein
winziges hässliches Loch in einem ansonsten perfekten Gemälde. Wie ein
dunkler unheimlicher Schacht in einer sonnenbeschienen Blumenwiese. Wie
ein entzündeter Pickel auf makelloser Haut. Und so sehr ich mich auch
ins Vergnügen stürzte, ich konnte dieses Gefühl einfach nicht
abschütteln.
Wahrscheinlich war es auch dieses unbestimmte Unbehagen, dass mir
wieder das Kärtchen in Erinnerung rief. Da mein Overall aus einem
regenerativen, sowie schmutz- und geruchsabweisenden Material bestand,
das nie gewaschen oder gewechselt werden musste, hatte ich es noch immer
in der Tasche. Andernfalls hätte ich es sicher schon längst verloren.
So aber holte ich es eines Tages hervor, als ich mir sicher war, dass
Trylayne gerade bei der Arbeit war. Anders als ich, hatte sie Aufgaben
zu erledigen, die sie manchmal mehrere Stunden in Anspruch nahmen.
Ich nahm also das harte weiße Kunststoffkärtchen in die Hand und
betrachtete es wie eine Biene, die mich entweder Stechen und mir den
süßen Honig der Gewissheit schenken konnte. „Dein Blut enthüllt die
Wahrheit.“ Wenn ich ihn las, wurde dieser in rot geschriebene Satz zum
einzigen Brennpunkt meiner Existenz. Zu einer Weggabelung, deren Ende
ich nicht absehen konnte. Es war wie mit diesen farbigen Pillen in dem
Film „Matrix“. Irgendwie spürte ich, dass der Satz das Loch in meiner
Idylle erweitern und alle Schönheit in sich hineinsaugen konnte.
Aber irgendwas in mir verhinderte, dass ich die Karte einfach wieder
wegsteckte. Stattdessen nahm ich meinen tragbaren Trainingshelfer und
fuhr mit einem Knopfdruck die kleine Nadel aus. Da sie sich nicht an
meinem Finger befand, tropfte die Substanz darin einfach auf den Boden.
Nach einem tiefen Luftholen rammte ich sie mir mit Wucht in den kleinen
Finger und wurde mit einem scharfen Schmerz und einem einzelnen
Blutstropfen belohnt. Diesen strich ich behutsam auf das Kärtchen.
Plötzlich erschien wie aus dem Nichts der faltige Kopf von Demyra über
der Karte. Und sie begann direkt mit mir zu sprechen.
„Dennis. Wahrscheinlich waren die letzten Wochen für dich wie ein
Aufenthalt im Paradies. Wahrscheinlich denkst du, dass es keinen
schöneren Ort als diesem im Universum gibt.“
Damit hatte sie nicht unrecht. Solche Gedanken waren mir durchaus schon gekommen.
„Aber leider hat fast alles im Leben seinen Preis. Und der liegt in
diesem Fall nicht in wissenschaftlichen Erkenntnissen, auch wenn
Trylayne und die anderen, dir das gerne weismachen wollen. Denn wir
Drylaner sind nicht das friedliche und erleuchtete Volk als das wir uns
so gerne darstellen. Eigentlich sind wir das genaue Gegenteil. Von dem
Tag an, als wir lernten unsere Zähne zu gebrauchen, konnten wir nicht
aufhören uns andere Lebewesen einzuverleiben. Zunächst Tiere und
Pflanzen, dann aber irgendwann auch einander. Unsere Freunde, Nachbarn,
Familienmitglieder. Es spielte keine Rolle. Denn die, die zu Kannibalen
wurden merkten, dass es sie stärker machte und dass sie nicht mehr
alterten. Manche von uns zeugten sogar allein aus dem Grund Kinder, um
sie später mästen und verspeisen zu können. Andere täuschten ihren
Partnern ewige Liebe und Treue vor, um sie im rechten Moment mit einem
Messer zu erwarten und sie mitunter auch lebendig zu schlachten, wenn
der Hunger zu groß war. So ging es jahrhundertelang, bis unser Volk am
Rande der Auslöschung stand.
Irgendwann haben die Überlebenden beschlossen, dass es so nicht
weitergehen konnte. Aber statt endlich damit aufzuhören, sich von
intelligenten Lebewesen zu ernähren, haben sie nach anderen
Nahrungsquellen geforscht. Sie steckten all ihre Ressourcen in die
Raumfahrt und schon bald begannen sie damit fremde Planeten und ihre
Bewohner abzuernten. Die Erde steht bei ihnen ganz besonders hoch im
Kurs. Du und deine Mitmenschen, ihr habt das zweifelhafte Glück als
Delikatesse zu gelten. Niemand sonst in der Galaxis schmeckt so zart und
verspricht so viel Lebenskraft. Deswegen fressen sie euch auch nicht
rücksichtslos auf, wie sie es mit anderen Völkern getan haben – die
gigantischen Fabriken und Schlachthäuser auf den abgeernteten Welten
Zetar 5, Irbidor und Chiran sind stumme Zeugen dieser Gräuel – sie
wollen die Erde vielmehr nachhaltig bewirtschaften. Deshalb picken sie
immer nur einige von euch heraus und sorgen dafür, dass ihr glücklich
und kräftig, nicht aber zu fett seid. Denn mageres Fleisch von
glücklichen Menschen schmeckt ihnen immer noch am besten. Um es
zusammenzufassen: Für Trylayne und die anderen bist du nichts weiter als
Biofleisch. Ganz besonders für Trylayne, denn sie hat einen ganzen
Haufen Geld in deine besten Teile investiert.“
Während ihrer Schilderungen hatte sich die gute Laune in meiner Brust
Schritt für Schritt in Eis verwandelt. Wenn all das stimmte, war ich am
Arsch. Aber warum erzählte sie mir dann davon? Seltsamerweise schien
sie meine Frage zu erahnen.
„Du wirst dich wahrscheinlich fragen, warum ich dir all das mitteile.
Nun, du wirst sicher schon bemerkt haben, dass ich anders als deine
feine Trylayne eine unattraktive alte Schachtel bin und auch nicht nach
Erdbeeren und Honig rieche. Das kommt ganz einfach daher, dass ich und
ein paar andere es ablehnen uns von Menschen und anderen intelligenten
Lebensformen zu ernähren. Deshalb altern wir ganz normal, besitzen keine
Superkräfte und verströmen keine betörenden Pheromone, die den
natürlichen Raubtiergeruch unserer Rasse überdecken. Leider sind wir
nicht besonders viele. Vielleicht knapp Eintausend unter den 1,5
Millionen, die hier auf diesem Schiff leben. Trotzdem will diese
hässliche alte Schralle hier, dir das Leben retten. Also hör zu! Du
musst einfach …“
Plötzlich wurde die Übertragung unterbrochen. Ein elektrisches
Blitzen schoss aus der Karte hervor und dann stieg schwarzgrauer Rauch
auf, der intensiv nach verschmortem Plastik roch. In der nun
vorherrschenden Stille hörte ich ein leises Husten. Ich drehte mich um
und sah in Trylaynes Gesicht. Sie hatte ihren Mund weit geöffnet und
fuhr sich genüsslich mit ihrer dicken blauen Zunge über ihre
messerscharfen Zähne. Mehr Angst als diese Geste machte mir aber der
Ausdruck ihrer Augen, denn aus ihnen blitzten überdeutlich zwei
Botschaften hervor: Sie hatte jedes Wort mitgehört. Und sie hatte Hunger
…
Zu Teil 2: Das Drylaner-Experiment: Versuchsabbruch