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Knochenwald: Gefangen

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht?“ gab Christopher Gera knurrend zurück.

Dr. Jonathan How lächelte nur auf seine gewohnt charmante Weise. „Wahrscheinlich gar nichts. Aber wenn man in einem Gefängnis verrottet und plötzlich ein bewusstloser, ordentlich eingenässter Polizist in der Zelle neben einem auftaucht, kommt man nicht umher, die ein oder andere Frage stellen zu wollen.“

„Sie riechen auch nicht nach Rosenwasser!“ erwidert Gera wütend. Er war eigentlich nicht empfindlich, aber der Mann hier reizte ihn mit jedem seiner Worte.

„Nein. Da haben Sie recht“, pflichtete Jonathan ihm bei. „Ich rieche nach Le Mâle von Gaultier. Das enthält meines Wissens kein Rosenwasser.“

„Sie riechen vor allem nach Arroganz. Was für ein Doktor sind Sie überhaupt? Doktor für angewandte Doktorspiele?!“ schoss Gera zurück.

„So ähnlich. Ich bin Biologe. Insofern beschäftige ich mich durchaus auch mit den „Doktorspielen“ verschiedener Spezies. Und mein Wissen versetzt mich auch in die Lage, die Sinnlosigkeit von archaischen Revierkämpfen und Imponiergehabe in solch einer Situation zu erkennen. Weder Sie noch ich sind hier die Alphatiere. Wie Sie vielmehr erkennen können, befinden wir uns momentan in Käfighaltung. Es wäre also sinnvoll,auf Kooperation zu setzen, statt sich auf die Brust zu trommeln.“

Gera holte eines der Bonbons aus seiner Tasche, die man ihm zum Glücknicht abgenommen hatte, warf es ein und biss krachend darauf. Andernfalls hätte er auf seinen eigenen Zähne beißen müssen, so sehr regte ihn dieser altkluge Streber auf. Trotzdem hatte er leider Recht. Er brauchte seine Hilfe, um überhaupt auf eine Flucht hoffen zu können. „Also gut“, sagte Gera und rückte seine leicht demolierte Brille zurecht. „Dann kooperieren Sie doch gleich mal und erzählen mir Ihren Fluchtplan.“

Jonathan warf ihm einen amüsierten Blick zu. „Mein Fluchtplan? Der ist einfach: Beobachten, abwarten, handeln.“

Gera verschluckte sich an seinem Bonbon. Hustend antwortete er. „Das ist alles? Glotzen, Eier kraulen, Improvisieren? Das soll alles sein? Sie drehen hier seit wer weiß wie lange Däumchen, und das soll Ihr verdammter Fluchtplan sein?“

Jonathan zuckte mit den Schultern. „So lange bin ich noch gar nicht in dieser Zelle. Trotzdem lange genug, um zu erkennen, dass die hier verwendete Technik keine Flucht erlaubt. Alles ist doppelt und dreifach abgesichert. Unsere einzige Chance ist der menschliche Faktor. Menschen machen immer wieder Fehler.“

Geras Erdmännchenkopf starrte Jonathan skeptisch an. „Und welcher Fehler hat Sie hierhin geführt?“

Kurz huschte ein dunkler Schatten über Jonathans fröhliche Züge. Dennoch erzählte er von der kleinen Lucy. Er musste sich diese Schuld von der Seele reden, selbst wenn sein einziger Zuhörer dieser ungehobelte Polizist war.

Gera hörte aufmerksam zu, brach aber am Ende in kurzes, doch heftiges Gelächter aus. „Wow! Sie sind ja ein richtiger verrückter Professor. Experimente an Kindern sind schon eine Hausnummer. Ging Ihnen dabei auchso richtig einer ab?“

Das saß. Einen Moment lang bröckelte die fröhliche Gelassenheit von Jonathan und machte einem wilden Zorn Platz. Dann aber siegte wieder seine Vernunft. „Wenn Sie nichts als Vulgärsprache zu bieten haben, können wir uns das Reden auch sparen“, sagte er nur.

Gera schüttelte entnervt den Kopf. „Jetzt seien Sie nicht so eine Heulsuse. Ich dachte, Sie sind ein erwachsener Mann. Und von mir aus können Sie auch so viel an Kindern herumdoktorn, wie Sie wollen. Ich kannSie dafür ja gerade ohnehin nicht einbuchten. Lassen Sie uns also lieber über diese Viecher reden, die die da draußen im Käfig halten. Wissen Sie irgendwas darüber?“

Jonathan nickte und wollte gerade anfangen, Gera hinsichtlich der Schneidmaden auf den neuesten Stand zu bringen, als ihn eine wohlbekannte Stimme unterbrach.

„Ja, Jonathan. Wissen Sie irgendwas darüber? Antworten Sie Ihrem neuen Freund ruhig! Freunde sind so wichtig auf dieser Welt, nicht wahr?“ Weder Gera noch Jonathan hatten bemerkt, dass Elvira Djarnek in den Raum gekommen war.

Jonathan betrachtete die herzlose, aber attraktive Frau, die von zweiLeuten aus Ihrem Sicherheitsteam begleitet wurde, von Kopf bis Fuß. Nach dem Zwischenfall mit Lucy hatte er eigentlich erwartet, dass sie mindestens ebenso schwer verletzt wäre wie er. Aber sie war anscheinend nach wie vor topfit.

„Sie leben immer noch? Hat Lucy Sie am Ende doch noch wegen all IhrerLiebenswürdigkeit ins Herz geschlossen, oder wartet sie nur auf den richtigen Augenblick, um Sie langsam und genüsslich zu töten?“ fragte Jonathan, während er sich entspannt gegen die durchsichtige Kunststoffwand seiner Zelle lehnte.

Elvira lächelte kalt. „Lucy wird töten. Ohne jeden Zweifel. Tiere, Männer, Frauen, Kinder. Jeden, der Ihren Weg kreuzt. Sie ist eine unkontrollierte, hochgefährliche biologische Waffe und dank Ihnen streift sie nun ungehindert durch die Welt.“

Jonathan konnte nicht glauben, was er da hörte. „Dank mir?! Haben Sieden Verstand verloren?“ schrie er empört. „Sie haben doch all diesen Mist veranstaltet!“

„Sie haben daran ebenfalls mitgewirkt, mein Lieber. Oder haben Sie das vergessen?“

„Weil Sie mich gezwungen haben!“

„Ohne Ihre Inkompetenz wäre das Mädchen noch immer unter unserer Kontrolle.“

„Was hätte ich denn machen sollen? Das „Mädchen“ hat eine massive Stahltür aufgesprengt. Mit bloßen Hände. Das Fleisch der Schneidmaden hat sie in eine labile, hochaggressive Killermaschine verwandelt. Hätte ich sie etwa beschwichtigen sollen wie einen ungezogenen Hund?“

„Zum Beispiel!“ erwiderte Elvira in vorwurfsvollem Ton.

Plötzlich erklang ein hysterisches Gelächter aus der Zelle neben Jonathan. Bonbonstücke flogen in alle Richtungen. Christopher Gera war anscheinend sehr amüsiert: „Bringt mir bitte einer Popcorn? Das hier isteinfach zu köstlich! Bin ich hier beim Trash-TV gelandet, oder warum zankt ihr Beiden wie ein altes Ehepaar? Passt ja auch irgendwie: Vater, Mutter und das entlaufene Scheißblag. Vielleicht solltet Ihr zwei einfach mal ordentlich vögeln!“

Elvira gab ein Zeichen. Der Sicherheitsmann – wie Jonathan wusste, warsein Name Brian – drückte auf einen kleinen silbernen Knopf an seinem Gewehr. Ein schriller, sirrender Alarmton erklang, die Zelle wurde erfüllt von rotem, blinkenden Licht und Christopher Gera fing ohne erkennbaren Grund an zu schreien. Kurz darauf brach er in die Knie und umklammerte seine Beine wie ein Kind. Erst als er unter Schmerzen stotterte „Bitte! Hören Sie auf!“, endete die unsichtbare Folter.

„Mikrowellenstrahlung“, kommentierte Elvira. „Ein wahrer Geniestreichim Bereich nichttödlicher Waffen. Die Strahlung erhitzt das Wasser unter der Haut auf 55 Grad Celsius. Die Schmerzen sind heftig, aber es verbleiben keine dauerhaften Schäden. Sehr nützlich zur Kontrolle von Aufständen, wenn man nicht zu viele produktive Arbeitskräfte verlieren will. Aber auch praktisch, um nutzlose Idioten unter Kontrolle zu halten.“ Sie warf Gera einen giftigen Blick zu. Der blickte doppelt so hasserfüllt zurück, hütete aber vorerst seine Zunge.

Elvira atmete tief durch. „Ich bin ohnehin nicht hergekommen, um mit Ihnen zu streiten. Ich habe da vielmehr etwas, dass Sie sich ansehen sollten.“

Jonathan wurde in einen Bereich des Traktes geführt, in dem er noch nie zuvor gewesen war. Auf dem Weg dorthin sah er überall riesige Dellen, Kratzer und andere Schäden an den Wänden und der Laboreinrichtung, sowie ein Loch, das ungefähr die Größe eines kleinen Mädchens hatte. Er musste nicht lange überlegen, wer dafür verantwortlich sein könnte. Zwar war eine ganze Reihe von Technikern eifrig damit beschäftigt, die Schäden zu beheben, aber noch immer war dasLoch groß genug, um auch einem erwachsenen Mann Durchlass zu gewähren, wenn er sich nur klein genug machte. Außerdem schien helles Sonnenlicht durch die Öffnung, auch wenn Jonathan leider nicht genau erkennen konnte, was außerhalb davon lag. Jedenfalls brauchte er nur eins und eins zusammenzählen, um zu wissen, warum man ihn eingesperrt hatte. Andernfalls hätte er nämlich ohne weiteres fliehen können.

Daran war aber zurzeit allein schon wegen der schwer bewaffneten Sicherheitsleute nicht zu denken. Darum blieb ihm auch keine andere Wahl,als Ihnen in den Raum zu folgen, der wie viele andere von einer dicken Stahltür gesichert wurde. Seit dem Vorfall mit Lucy beeindruckten solcheTüren Jonathan nicht mehr halb so sehr wie früher. Da Elvira aber nicht über die enormen Kräfte von Lucy verfügte, entriegelte sie die Tür offensichtlich lieber mit einem Fingerabdruck-Scan, anstatt sie einfach aus den Angeln zu reißen.

Im Inneren des Raumes erwartete Jonathan der seltsamste Garten, den er je gesehen hatte. Neben einigen durch und durch gewöhnlichen Pflanzen gab es hier Ableger und Zweige von Knochenbäumen, die in einzeln abgetrennten Beeten gehalten und mit Speziallampen in verschiedenen Farben bestrahlt wurden. Interessanterweise gediehen die Knochenbäume am besten unter Schwarzlicht, aber das war für Jonathan dank Professor Wingerts Aufzeichnungen nicht weiter verwunderlich.

Zu seiner Linken führten einige Wissenschaftler Experimente an Probender knöchernen Gewächse durch, untersuchten sie unter dem Mikroskop, beträufelten sie mit verschiedenen Substanzen oder versuchten sie anscheinend mit anderen Pflanzen zu kreuzen. Zwischen den mit diesen Forschungen beschäftigten Männern und Frauen standen in regelmäßigen Abständen bullige Sicherheitsleute, die die Forscher argwöhnisch beobachteten. Offensichtlich war Jonathan nicht der einzige Wissenschafter, der nicht ganz freiwillig hier war.

Wortlos führten Elvira und ihre Begleiter Jonathan durch den gesamten, wirklich gigantischen Raum, bis sie endlich an ihrem Bestimmungsort angekommen waren. Was Jonathan dort erblickte, ließ ihn innerlich frieren. Eine gläserne, filigrane und wunderschöne Pflanze, die eine regelrecht ätherische Aura zu umgeben schien. Auch ohne die prallen roten und blauen Beeren wusste Jonathan genau, worum es sich handelte: Einen Glasstrauch. Die Aufzeichnungen seines verstorbenen Freundes waren hierzu sehr detailliert gewesen, und es brauchte nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, was Elvira Djarnek undihr Team mit einem Gewächs anstellen würde, welches aus dem Blut und den Seelen von Menschen hochgradig suchterzeugende Beeren herstellte. Erversuchte sein Gesicht zu einer ausdruckslosen Maske zu machen.

„Was soll das sein?“ fragte er betont gelangweilt.

Elvira lächelte ihr berüchtigtes Lächeln. „Ich denke, dass Sie das ganz genau wissen.“

„Denken war ohnehin noch nie Ihre Stärke.“

„Und lügen noch nie die Ihre. Ich bin mir ganz sicher, dass Sie etwasüber diese Pflanze wissen. Sie wuchs nämlich mitten zwischen zwei Knochenbäumen und scheint mir kein Gewächs zu sein, wie man es in jedem Blumenladen findet.“

„Leider irren Sie sich. Selbst wenn diese Pflanze irgendwas mit dem Knochenwald zu tun haben sollte, weiß ich trotzdem nichts darüber. Mein leider verstorbener Freund Professor Arnold Wingert war der eigentliche Experte auf diesem Gebiet. Mir hat er nur ein paar Dinge erzählt. Das Meiste ist mit ihm gestorben.“

„Das glaube ich Ihnen nicht!“ blaffte Evira ihn an „Niemand, der überso etwas Außergewöhnliches forscht, hinterlässt keine Aufzeichnungen. Und wenn er Ihnen zuvor schon etwas darüber erzählt hat – und das ist dank der Informationen, die Sie uns bereits geliefert haben, eindeutig der Fall –, bedeutet das, dass er Ihnen seine Aufzeichnungen höchstwahrscheinlich anvertraut hat. Und das wiederum heißt, dass Sie alles darüber wissen. Ein engagierter Wissenschaftler wie Sie könnte soeiner Versuchung nicht widerstehen. Trotzdem werden wir Nachforschungenüber diesen Professor Wingert anstellen und sehen, was wir über ihn herausfinden. Vielleicht ja sogar, dass er gar nicht tot ist.“

Elvira machte plötzlich einen müden und irgendwie beinah mitleidigen Gesichtsausdruck, was Jonathan mehr beunruhigte als ihre gewohnte Härte.

„Leider bin ich von Ihnen maßlos enttäuscht. Wenn Sie kooperiert hätten, hätten wir das alles viel… angenehmer gestalten können.“ Kurz flackerte wieder das Verführerische in ihrem Blick auf. „Doch nun werde ich Sie leider Dr. Kiving überlassen müssen.“

Gera war angepisst. Wortwörtlich. Und darüber hinaus war ihm langweilig. Er hatte inzwischen sein letztes Zitronenbonbon gegessen, und das hatte zu alle Überfluss ein wenig nach Pisse geschmeckt. Außerdem war das Doktorchen inzwischen weggebracht worden. Zuerst war ererleichtert darüber gewesen, dass er all das gedrechselte Geschwafel nicht mehr würde ertragen müssen. Dann aber kam die Langeweile.

Eigentlich liebte es Gera, sich zu streiten. Ein guter, dreckiger Streit war besser und interessanter als jedes Liebesgesäusel und so ziemlich die einzige Interaktion mit lebenden Menschen, die er schätzte.Und mit dem Doktor konnte er sich wirklich wunderbar streiten. Vor allem, da er zwar ein Streber, Schnösel und Bücherwurm, aber trotzdem kein rückgratloses und ödes Weichei war. Er ließ sich von Gera nicht einschüchtern. Und das respektierte er. Außerdem wusste der Doktor sicher eine ganze Menge über diese bizarren Viecher da oben und auch über die knöchernen Bäume. Das hatte Gera im Urin.

Vor allem aber war der Doktor wahrscheinlich derjenige in diesem Drecksladen, der einem Verbündeten noch am nächsten kam. Als halber Psychopath erkannte Gera Wahnsinn, wenn er ihn vor sich hatte, und wie erdas einschätzte, waren die Leute hier noch weit abgefuckter als er selbst. Ein sauberer Tod war noch das Beste, auf das er hier hoffen konnte, und so gerne Gera auch mit Toten verkehrte, so ungern wollte er sich selbst zu ihnen gesellen. Also gab es eigentlich nur einen Weg. Er musste hier raus und das Doktorchen retten. Und er brauchte dringend neueZitronenbonbons.

„Wissen Sie, was das ist?“ fragte Dr. Kiving mit seiner brechenden, dürren Stimme und zeigte auf eine Spritze mit einer klaren Flüssigkeit, die er in seinen feingliedrigen Händen hielt. Er hatte Jonathan in einerverkrümmten Haltung auf einem unbequemen, harten Metallstuhl festgeschnallt. Allein diese Position war schon eine ziemliche Tortur, und alles in allem bot Jonathan gerade keinen sehr angenehmen Anblick. Das ohnehin bereits ordentlich lädierte Gesicht des Doktors und seine Arme waren nun mit noch mehr Wunden übersät, da er sich heftig gewehrt und sowohl Elvira als auch einem ihrer Schoßhunde ein blaues Auge verpasst hatte. Dennoch war er am Ende hier gelandet. In den Fängen dieses Zerrbildes von einem Mediziner. In einem schmucklosen engen Raum mit niedriger Decke, dessen Tür kaum zu erkennen war und der natürlich keine Fenster besaß.

„Keine Ahnung. Der Inhalt Ihres Kopfes?“

Dr. Kiving lächelte ein dünnes Lächeln. „Nein. Das ist ein Mittel, dass Ihr Schmerzempfinden verstärken wird. Quasi eine Anti-Aspirin, wenn Sie so wollen. Für ein maximales Erlebnis.“

Der kleine Doktor trat näher und versenkte den Inhalt der Spritze ohne Umschweife in Jonathans Venen. Jonathan leistete keinen Widerstand. Er hätte es auch gar nicht gekonnt. Selbst sein Kopf war fixiert worden.

„Schlimmer als der Anblick Ihres Gesichtes kann es auch nicht werden“, kommentierte Jonathan trotzig.

Kiving achtete gar nicht darauf. „Wissen Sie, ich frage mich wirklich, was ich am besten mit Ihnen anstellen kann. Für gewöhnlich entferne ich zunächst die Geschlechtsorgane, die Fingernägel und die Fußnägel. Das hat eine recht demoralisierende Wirkung auf die meisten meiner Patienten. Auch der Verlust der Augen, durchstochene Trommelfelleoder ein wenig entfernte Haut haben schon recht beeindruckende Effekte auf die Redebereitschaft erzielt. Leider hat Frau Djarnek mir das in Ihrem Fall untersagt.“

Auch wenn sich Jonathan um ein möglichst ausdrucksloses Gesicht bemühte, konnte man ihm die Erleichterung angesichts Kivings letzter Worte dennoch am Gesicht ablesen.

„Freuen Sie sich nicht zu früh!“ warnte Kiving ihn. „Frau Djarnek begreift trotz ihrer ärgerlichen Vorbehalte durchaus, dass ich ein paarAnreize benötige, um Sie zur Kooperation zu bewegen.“

Er holt ein Tablet aus seinem Kittel. „Ich habe mich deshalb für einezweistufige Vorgehensweise entschieden.“ Er tippte mit dem Finger auf das Tablet. Augenblicklich zogen sich die Fesseln an Jonathans Unterarmen noch fester zu.

„Das hier ist Stufe eins. Die Langzeitmotivation. Als Biologe haben Sie vielleicht eine Ahnung davon, wie lange Gliedmaßen ohne jede Blutzufuhr lebendig bleiben. Wenn Sie sofort mit der Wahrheit rausrücken, haben Sie nichts zu befürchten. Wenn Sie länger warten, haben Sie stark eingeschlafene Arme. Schmerzhaft – besonders dank unseres kleinen chemischen Hilfsmittels –, aber reversibel. Wenn Sie allerdings zu lange schweigen, werden Ihre Unterarme gänzlich taub werden und irgendwann beginnen abzusterben. Zwei verrottende Stücke Fleisch, die zufällig an Ihren Oberarmen hängen. Und ich versichere Ihnen, dass ich kein Problem damit habe, Sie so lange hier zu lassen, bis Ihre Unterarme als stinkender, fauliger Schleim von diesem Stuhl fließen.“

Jonathan tat sein Bestes, so unbeeindruckt wie möglich auszusehen. Aber in seinem Inneren machte sich eiskalter Schrecken breit. Er war kein Feigling, aber, von wenigen heroischen Ausnahmen abgesehen, waren selbst tapfere Menschen nicht für den Widerstand gegen Folter geschaffen. Jeder, der von sich etwas anderes erzählte, log.

„Doch das wird seine Zeit dauern, und ich sehe keinen Grund darin, unsbeide mit Langeweile zu quälen. Deswegen gibt es auch noch Stufe zwei.“Dr. Kiving zog ein langes Kabel aus seinem Tablet, an dessen Ende sich eine spitze Nadel befand, nahm Sie in die Hand und schritt damit betont langsam auf Jonathan zu, ging dann um ihm herum und hielt die Nadel direkt an die linke Seite seines Kopfes. Er spürte das kalte, unbarmherzige Metall an seiner Kopfhaut.

„Sicher kennen Sie den Trigeminusnerv. Es ist der größte Nerv im menschlichen Körper, und er kann die größten Schmerzen verursachen. Dagegen soll Migräne ein reiner Spaziergang sein.“ Mit diesen Worten jagte er die Nadel durch Jonathans Kopf. Heißglühende Pein erfüllte seinganzes Sein. Er hörte sich schreien, auch wenn er erst nicht begriff, dass dieser Schrei von ihm stammte.

„Na. Na. Ich habe doch noch nicht mal angefangen.“ Er tippte erneut auf sein Tablet und jagte damit einen elektrischen Puls direkt in den Nerv. Jonathan fehlten die Worte, diesen Schmerz noch zu beschreiben. Es gab keinen Gedanken mehr. Kein Gefühl. Nur Schmerz. Schmerz und wieder Schmerz. Er WAR der Schmerz. Und der Schmerz war alles, was je gewesen war und sein würde. Dann endete es abrupt.

Als Jonathan halbwegs wieder in der Wirklichkeit angekommen war, hörte er Dr. Kivings Stimme:

„Ich soll Sie eigentlich darum bitten, Ihr Wissen über diese hübsche Pflanze preiszugeben, aber wissen Sie was? Wenn es nach mir geht, können Sie gerne schweigen. Leisten Sie so viel Widerstand, und seien Sie so heroisch und tapfer, wie Sie wollen! Das hier ist nämlich keine Pflicht für mich. Kein notwendiges Übel. Ich genieße es. Ich wurde quasi dafür geboren.“

Er tippte erneut auf das Tablet.

Knochenwald-Serie

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