
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Devon lautet sein Name und er ist einer der Weisen des Gebeins. Ich kann noch immer nicht fassen, dass ich es wirklich geschafft habe, ihn hierher zu bringen. Freiwillig ist er natürlich nicht mit mir gekommen. Aber er hatte sich zu weit von seinen Glaubensbrüdern entfernt und so konnte ich ihn unbemerkt überwältigen und ihn irgendwie den gesamten Wegbis zum weit entfernten Eingang des Knochenwaldes mitnehmen. Anfangs hatte er sich noch gewehrt. Aber irgendwann war sein Widerstand erlahmt und nun liegt er wahrhaftig auf dieser Liege in meinem privaten Labor und muss nicht einmal von mir fixiert werden.
Natürlich liegt das auch
daran, dass er im Sterben liegt. Er verströmt einen durchdringenden
Geruch nach verbranntem Horn und Eiter. An seiner rechten Schulter fehlt
ein großes Stück Fleisch, sodass man bis hinunter auf den Knochen sehen
kann. Ebenso an seiner linken Hüfte und an seinem rechten Oberschenkel.
Und auch sein Schädelknochen ist durch mehrere kleine Löcher in seiner
komplett kahlen Stirn gut zu erkennen. Ein wahres Prachtexemplar auch
wenn er wahrscheinlich noch nicht sehr lange in der Sekte ist. Trotzdem
besteht an seinem Fanatismus kein Zweifel.
Ja, ich weiß. Ich habe all jene, die den Knochenwald freiwillig
betreten, als Narren bezeichnet. Aber als Wissenschaftler und Forscher
konnte ich letztlich dem Drang nicht widerstehen. Und dieser Fund ist
mir am Ende alle Gefahren und Alpträume wert. Zwar habe ich bereits seit
fast einer Woche nicht mehr wirklich schlafen können, aber … genug
davon. Zurück zu unserem Probanden.
Sein einst so trotziger und wütender Blick hat nun etwas Apathisches
an sich. Das liegt sicher an den vielen üblen Wunden und dem steigenden
Fieber. Nun, da der magische Einfluss des Waldes ihn nicht länger
schützt, beginnen seine Verletzungen zu eitern und sich zu entzünden.
Bakterien und andere Schädlinge stürzen sich auf sein rohes Fleisch wie
Wespen auf einen Honigkuchen im Sommer und auch wenn ich ihm starke
Antibiotika gegeben habe, glaubte ich nicht, dass er noch allzu lange
überleben wird.
Trotzdem bereue ich es nicht, ihn mit mir genommen zu haben. Zum
einen weiß ich, dass er bereits viele Unschuldige auf dem Gewissen
hatte. Er hat Kinder lebendig und schreiend in den Milchigen See
getaucht, verirrte Wanderer gehäutet und ausgeschabt und Knochen aus
lebendigen und um Gnade bettelnden Menschen gebrochen. Er hat den Tod
tausendfach verdient und ihn streng genommen auch selbst gewählt, als er
sich dem verfluchten Kult angeschlossen hat. Zum anderen kann – und
wird – er mir noch mehr über diesen geheimnisvollen Ort verraten. Mein
Wahrheitsserum wird schon dafür sorgen. Ich habe es so hoch dosiert,
dass es auch bei seinem veränderten Organismus wirken sollte.
Langfristige Schäden und Nebenwirkungen interessieren mich in seinem
Fall einen Scheiß.
Nachdem ich Devon das Mittel in seinen schmutzigen Arm injiziert
habe, lasse ich mich auf meinen weißen, gepolsterten Bürostuhl nieder,
schaltete mein digitales Diktiergerät an und lasse die Befragung
beginnen.
„Wie heißt du?“
Er blickt mich nicht an, antwortet aber trotzdem mit monotoner und gebrochener Stimme auf meine Frage: „Devon.“
„Wer bist du?“
„Ein Akolyth der Knochen, ein ehrbares Mitglied der Weisen des
Gebeins. Meister der ersten Stufe, der Entfleischung.“ Sein Mund
offenbart helle weiße Zähne. Die Mitglieder seines Kults widmen der
Pflege von Zähnen und Knochen viel Zeit. Anders als dem Rest ihrer
Körper.
„Du weißt, dass du sterben wirst?“
Er nickt. „Ja.“
„Macht es dir nichts aus?“
Kurz werden Fieber, Monotonie und Resignation von einem Aufflackern
des alten Trotzes durchbrochen. Devons Stimme bekommt einen
schadenfrohen Unterton.
„Wieso sollte es mir etwas ausmachen? Ich werde ganz dem Knochen
gehören und bald werden Krixxamesh und die anderen kommen und auch deine
Knochen ernten.“ Etwas an der Art, wie er das sagt, jagt mir einen
regelrechten Schauer über den Rücken. Ich beschließe, mich nicht weiter
mit dem Vorgeplänkel aufzuhalten und direkt in das eigentliche Verhör
einzusteigen. Wer dieser Krixxamesh ist, interessiert mich dabei erst
einmal nicht. Wahrscheinlich der Anführer ihres Ordens.
„Warst du je in den Gebieten jenseits des Milchigen Sees?“, frage ich ihn stattdessen.
„Ja.“ Erst jetzt fiel mir auf, dass er nervös mit einigen weißen
Knochenkügelchen spielt, die er anscheinend aus dem Knochenwald
mitgebracht hatte. Ein Andenken an Zuhause. Sollte er ruhig damit
spielen. Solange er meine Fragen beantwortet.
„Wie bist du durch die Bergwälder gelangt?“
Er schüttelt den Kopf, wobei seine Knochen leise knacken. „Zu Fuß
natürlich, du Wurm. Denkst du, die Schneidmaden würden einen Weisen des
Gebeins angreifen? Wir sind die Auserwählten. Keine niedere Kreatur kann
uns gefährlich werden!“
Nun konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Ich habe es immerhin geschafft.“
Sein hochmütiger Ton weicht einer wütenden Stille. Punkt für mich. Trotzdem muss ich fortfahren.
„Was liegt dort, jenseits der Wälder?“
Widerwillig beginnt er erneut zu sprechen. Das Serum lässt ihm keine
Wahl. „Die knöcherne Brücke. Ein wichtiges Heiligtum. Sie ist nur einen
Meter breit, aber zweitausend Meter lang. Und sie ist unsere letzte
Bastion gegen die Markverzehrer. Dort schlagen wir sie zurück, zerlegen
sie in kleine Teile oder stoßen sie in die Tiefe, wo angespitzte Knochen
ihre Leiber wie Schmetterlinge aufspießen.“
„Wer sind die Markverzehrer?“
„Verabscheuungswürdige, unförmige, wabbelige Kreaturen! Sie bestehen
nur aus warzigem, glänzendem roten Fleisch und haben nicht einen
einzigen Knochen im Leib. Aber sie verzehren sich danach, sie zu
verspeisen. Sie sind wie wandelnde Geschwüre, die es auf unsere
wertvollen und heiligen Gebeine abgesehen haben. Dabei haben sie nicht
einmal Zähne oder Krallen. Sie fressen und töten nur durch ihre ätzenden
Verdauungssäfte. Es gibt keine unwürdigeren Kreaturen auf dieser Welt
oder in jeder anderen. Nicht einmal die Menschen.“ Er warf mir einen
abschätzigen Blick zu: „Aber wir haben sie bisher stets zurückgedrängt.
Ihre schleimigen Leiber bilden einen dichten Film auf und jenseits der
knöchernen Brücke.“
Angesichts dieser düsteren Schilderungen muss ich kurz innehalten.
Aber meine Neugier obsiegt über die Angst vor weiteren Albträumen.
Außerdem läuft mir die Zeit davon. Mehr und mehr Eiter quillt aus den
entzündeten Wunden von Devon, Schweiß steht auf seiner fiebrigen Stirn
und Teile des beschädigten Gewebes beginnen bereits schwarz und
nekrotisch zu werden.
„Ist schon einmal jemand durch die Reihen der Markverzehrer gebrochen und hat erblickt, was hinter ihren Ländern liegt?“
Nun sieht mich Devon zum ersten Mal direkt an. Seine Augen sind weiß
wie Knochen und doch funkelt in ihnen unverhohlene Vorfreude. Er zeigt
mir ein breites Lächeln und offenbart dabei, dass sein Zahnfleisch
komplett entfernt worden ist. Dennoch halten seine Zähne im Kiefer fest.
Noch.
„Du stellst so viele Fragen, Mensch. Und mit jeder davon kommt Krixxamesh näher. Vielleicht bekomme ich dein Ende noch mit.“
Die Gewissheit in seinem Gesicht beunruhigt mich zutiefst. Sind es
nur Fieberfantasien oder habe ich meine Spuren nicht gut genug
verwischt? Ist hier tatsächlich irgendwo ein Portal in der Nähe?
„Antworte mir!“, schreie ich, aus Ungeduld genauso, wie um meine Nervosität zu überspielen.
„Nun gut. Jenseits der matschigen, stinkenden Felder, auf denen die
Markverzehrer nach den Knochen der Lebenden und Toten Ausschau halten,
liegt das Zentrum des Waldes.“
„Und was befindet sich dort?“
Er spielte wieder mit den Knochenkügelchen in seiner Hand und blickte
lächelnd auf einen Punkt in der linken hinteren Ecke des Zimmers.
„Dort befinden sich die Obersten. Die Vielrippigen. Die Markbleichen
Schlangen. Zusammengefügt aus den entfleischten Leibern Hunderter. Von
Auserwählten und Törichten. Von Wanderern und Pilgern. Knochen an
Knochen, Rippe an Rippe, Schädel an Schädel, Wille an Wille. Gewaltig
kriechen sie umher und beschützen das Kleinod im Zentrum. Den einen
Schatz, der nie geborgen werden darf. Nie geborgen werden wird!“
Bei den letzten Worten überschlägt sich seine Stimme fast vor Freude
und er beginnt hysterisch zu lachen. Erst jetzt komme ich auf die Idee,
in die von Devon fixierte Zimmerecke zu sehen. Dort ist etwas
erschienen. Buchstäblich aus dem Nichts. Eine titanische Knochenhand,
deren Finger wiederum aus einzelnen Händen zusammengefügt sind und die
dabei sind, nach mir zu greifen.
„Krixxamesh! Oh Vielrippiger, bestrafe diesen Menschen!“ ruft Devon
ekstatisch und zappelt wie ein Wahnsinniger, während der Eiter aus
seinen Wunden auf den Boden tropft.
Ich laufe in Richtung Tür, um so schnell wie möglich aus dem Raum zu
kommen. Dann aber fällt mir auf, wie töricht das wäre. Was immer aus
diesem Portal kommt, würde dann hinaus in die Welt gelangen können. Das
durfte einfach nicht passieren. Ich mag die meiste Zeit meines Lebens
ein selbstbezogenes Arschloch gewesen sein. Ich hatte mich für meine
Erfolge und Entdeckungen immer mehr interessiert als für die Nöte und
Bedürfnisse meiner Mitmenschen, aber so egoistisch, dass ich die Welt
einer winzigen Chance auf Flucht opfern würde, bin selbst ich nicht.
Stattdessen greife ich mir das digitale Aufnahmegerät.
„Jonathan. Wenn, du das hier hörst, bin ich tot. Du weißt dann auch,
weswegen. Hier sind meine Aufzeichnungen. Warne die Menschen!“ Die
seltsame Knochenhand ist inzwischen nur noch wenige Zentimeter von mir
entfernt und ich kann nicht mehr weiter zurückweichen. Ich drücke den
vorprogrammierten Notfallknopf, der sämtliche Daten an meinen alten und
einzigen Freund Dr. Jonathan How übermitteln wird. Ich hoffte nur, dass
ihn die Übertragung auch erreichen wird.
Ich spüre jetzt bereits, wie mich die eiskalten Knochenhände berühren
und habe doch nur Augen für den Fortschrittsbalken meines
Aufnahmegeräts. Als dieser endlich den Versand bestätigt, ergebe ich
mich meinem Schicksal. Inzwischen haben mich gleich mehrere der
Knochenhände gepackt und ich bemerke jetzt, wie sie sich an Dutzenden
von Stellen durch meine Haut in mein Fleisch graben. Trotzdem fühle ich
fast so etwas wie Frieden. Ich habe mein Lebenswerk weitergegeben und
mit meinem Leben würden auch endlich die verdammten Albträume enden.
Außerdem habe ich ein letztes Opfer gebracht und die Welt vor
schrecklichem Unheil bewahrt.
Plötzlich taucht Devon in meinem Blickfeld auf. Sein Grinsen droht
fast seinen Kopf zu spalten und seine Hände spielen noch immer mit
diesen albernen Knochenkügelchen. „Hallo Professor! Sie sehen zufrieden
aus, für einen Todgeweihten.“
„Du kannst mir keine Angst mehr machen“, sage ich nur trotzig.
„Ach nein?“, antwortet der Weise des Gebeins in spöttischem Tonfall
und schüttet plötzlich die Knochenkügelchen in den Lüftungsschacht, der
neben der codegeschützten Sicherheitstür die einzige Verbindung dieses
Raums zur Außenwelt bilden. Klackend fallen sie hinunter.
„Was sollte das? Hast du genug von deinem Spielzeug?“ frage ich
belustigt, auch wenn mir die Knochenfinger wahnsinnige Schmerzen
bereiten und sie an einigen Stellen bereits Organe zu durchstechen
beginnen.
„Spielzeug?“ Er schüttelt den Kopf. „Nein, Professor. Das waren Schneidmadeneier.“
Dann drücken die Knochenhände so fest zu, dass mein Leben förmlich
aus mir herausgequetscht wird. Ein letzter Gedanke geht mir durch den
Kopf, bevor mein Hirn zu Ohren und Nase hinausläuft:
Die Welt ist verdammt. Und ich bin schuld.
Knochenwald-Serie
- Knochenwald
- Knochenwald: Auf der Flucht
- Knochenwald: Aufstieg und Fall
- Knochenwald: Außerplanmäßig
- Knochenwald: Der Kreis schließt sich
- Knochenwald: Der Zorn der Maden
- Knochenwald: Die Hölle wartet
- Knochenwald: Die Jagd beginnt
- Knochenwald: Dunkle Orte
- Knochenwald: Durch Mark und Bein
- Knochenwald: Ein Kaninchen
- Knochenwald: Enthüllungen
- Knochenwald: Entscheidungen
- Knochenwald: Erlösung
- Knochenwald: Experimente
- Knochenwald: Forschungsreise
- Knochenwald: Gefangen
- Knochenwald: Genesis
- Knochenwald: Knochenjob
- Knochenwald: Kopfkino
- Knochenwald: Kriegsrat
- Knochenwald: Leben und Tod
- Knochenwald: Let’s rock
- Knochenwald: Lucy
- Knochenwald: Madenkinder
- Knochenwald: Markerschüttert
- Knochenwald: Motel
- Knochenwald: Muttergefühle
- Knochenwald: Nektar der Götter
- Knochenwald: Neue Freunde
- Knochenwald: Nichts als Lügen
- Knochenwald: Schwarz und weiß
- Knochenwald: Sonnenaufgang
- Knochenwald: Souvenirs
- Knochenwald: Transformation
- Knochenwald: Vater, Mutter, Kind
- Knochenwald: Verschwinden
- Knochenwald: Weggefährten