KreaturenLange

Laughing Jack – Die Rückkehr

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Kapitel 1: Was bisher geschah

Alles begann vor langer Zeit an einem verschneiten Weihnachtsmorgen. Der kleine Isaac war damals 7 Jahre alt und wohnte gemeinsam mit seinen Eltern in einem heruntergekommenen Haus am Londoner Stadtrand. Die Familie lebte in Armut, was den kleinen Jungen zum Außenseiter machte. Während die anderen Kinder aus der Nachbarschaft ein unbeschwertes Leben führten und ihr zu Hause einen sicheren Ort nannten, lebte Isaac in ständiger Angst. Angst vor der Strenge seiner Mutter und den Schlägen seines Vaters. Doch in der Nacht auf den 24. Dezember 1800 wurden seine Träume auf wundersame Weise erhört. Als der Junge am Weihnachtsmorgen die Augen öffnete, wanderte sein Blick durch das nur spärlich eingerichtete Kinderzimmer. Alles ruhig. Das Geschrei seiner Eltern von letzter Nacht war längst verstummt, auch wenn es noch immer wie ein Echo im Inneren des gebrochenen Jungen widerhallte. Aber was ist das? Am Fußende seines Bettes stand ein hölzernes Kästchen. Es war bunt bemalt und mit feinen Schnitzereien von fröhlichen Clownsgesichtern verziert. Daran befestigt ein kleines Schild mit der Aufschrift „Für Isaac“. Der Junge konnte seinen Augen nicht trauen. Noch nie hatte ihm jemand etwas geschenkt. Doch das sollte sich an diesem Weihnachtsmorgen ändern. Neugierig betätigte er die goldene Kurbel, die aus einer Seite der Box herausragte. Mit den Klängen einer Spieluhr ertönte die ihm bekannte Melodie „All araound the cobbler´s bench, the monkey chased the weasel, the monkey thought ´twas all in fun, pop! Goes the weasel…“, doch entgegen seiner Erwartungen blieb die Kiste fest verschlossen. In dem Glauben, der Springteufel sei kaputt, legte Isaac das Kästchen seufzend bei Seite. Doch gerade als er der Box den Rücken zukehrte, hörte er hinter sich ein lautes Geräusch. Er wirbelte herum und sah, dass das hölzerne Kästchen heftig vibrierte, bis sich mit einem Mal der Deckel schwungvoll öffnete. Als der bunte Rauch und das Konfetti die Sicht nach einer heftigen Explosion langsam wieder freigaben, stand vor dem kleinen Isaac -kaum zu glauben aber wahr- ein farbenfroher Clown mit hellrotem Haar, einer gekringelten Kegelnase und gefiederten Schultern. „Kommt, kommt alle herbei! Ob groß, ob klein! Der beste Clown aller Zeiten! Der einzig wahre Laughing Jack-in-a-box!“ rief der Clown mit ausgebreiteten Armen. Ungläubig rieb sich der kleine Isaac die Augen. „Ich bin Laughing Jack, dein neuer Freund fürs Leben! Ich bin magisch, ich verliere nie die Lust am Spielen, ich bin ein Meister am Akkordeon und ich passe mich deiner eigenen Persönlichkeit an; wenn sie sich verändert, verändere ich mich auch! Mit anderen Worten: Was auch immer dir gefällt, gefällt auch mir!“

Der Beginn einer innigen Freundschaft. In den folgenden Monaten verbrachten die beiden jede freie Minute damit, gemeinsam zu spielen. Zum ersten Mal in seinem Leben war Isaac dank Jack wirklich glücklich und konnte aus tiefstem Herzen lachen… bis das fröhliche Treiben eines Tages aus dem Ruder lief. Im Spiel ohne böse Absicht hauchte Jack der Nachbarskatze ganz unverhofft das Leben aus. Als Isaacs Mutter davon erfuhr, wurde sie so rasend vor Zorn, dass sie ihren Jungen ohrfeigte und noch am selben Tag auf ein Internat schickte. Ein Internat, weit weit weg von seinem besten Freund, seinem Seelenverwandten, der ihn aus seiner Einsamkeit gerettet hatte, in jeder Art und Weise, wie ein Mensch nur von einem anderen gerettet werden kann. Doch während des tränenreichen Abschieds gaben sich die beiden ein Versprechen: „Ich verspreche, dass ich so schnell wie möglich zu Dir zurückkehren werde“, sagte der Junge, woraufhin der Clown entgegnete „und ich werde hier auf dich warten, Kiddo!“

Die Jahre zogen ins Land, doch um den Clown blieb es dunkel und still. Tag für Tag wartete er auf die Rückkehr seines Freundes und darauf, dass er endlich die goldene Kurbel betätigt, wodurch er ihn aus seinem Verlies befreien würde. Doch das geschah nicht. Die Einsamkeit veränderte den Clown und mit der Hoffnung schwanden auch seine einst so bunten Farben. Sie wurden fahl und matt, bis sie vollständig zu einer farblosen Mischung aus tiefschwarzem Nichts und weißer Leere verblassten.

Monde und Jahre vergingen, bis Isaacs Mutter die Ehe mit einem gewalttätigen Mann zum Verhängnis wurde. Nach ihrem Begräbnis und der Hinrichtung des Ehemanns steht das heruntergekommene Haus am äußeren Stadtrand Londons für eine ganze Weile leer. Doch dann, eines Tages, hörte der monochrome Clown den dumpfen Hall schwerer Schritte, die die Treppe zum Dachboden hochliefen. Laughing Jack war zwar gefangen in seiner Box, doch konnte er sehen und hören, was um ihn herum geschah. „Kiddo?“ Der monochrome Clown traute seinen Ohren nicht! War sein alter Freund tatsächlich zurückgekehrt? Der Staub, der sich über die Jahre auf dem hölzernen Kästchen angesammelt hatte, vernebelte Jack die Sicht, doch konnte er eindeutig die Umrisse eines Mannes erkennen, der sich auf dem Dachboden umsah. „Mein Gott Isaac, Du bist es wirklich!“ rief der Clown voller Vorfreude auf das langersehnte Wiedersehen, doch das sollte noch eine ganze Weile auf sich warten lassen. Isaac sah…verändert aus. Auch an ihm war die Zeit nicht spurlos vorbeigegangen. Während die blauen Flecken auf der Haut des kleinen Jungen mit der Zeit verblassten, wurden die dunklen Schatten auf seiner Seele immer dunkler. Die schmerzhafte Erkenntnis, dass Isaac seinen ehemaligen besten Freund scheinbar vergessen oder als alberne Kindheitsfantasie abgetan hatte, verletzte den Clown zutiefst. Doch es sollte noch schlimmer kommen: In den folgenden Tagen und Wochen wurde Jack mehrfach Zeuge von Isaacs neuem und zweifellos verstörendem Hobby. Immer wieder brachte er Fremde zu sich nach Hause, die in Isaacs 4 Wänden und durch seine Hand einen grausam Weg in den Tod fanden. Die geschundene Seele des Isaac Grossman war zu einem wahrlich finsteren Ort geworden. Als Jack aus seiner Box mit ansieht, wie sich die rote Flüssigkeit über dem Fußboden vor ihm ergießt, zeichnet sich auf seinen schwarzen Lippen zum ersten Mal seit 13 Jahren ein breites Grinsen ab, denn „was immer dir gefällt, gefällt auch mir“.

Doch eines Tages geschah etwas Unerwartetes: Wahrscheinlich in einem Anflug von Nostalgie, betätigte der verbitterte Isaac die goldene Kurbel des zugestaubten Holzkästchens, woraufhin eine fürchterlich verstimmte und kratzige Version von „Pop goes the Weasel“ ertönte. Der Deckel des Kästchens sprang sogar auf, doch befand sich im Inneren, ganz wie es Isaac erwartet hatte, rein gar nichts. Gemeinsam mit anderem Krempel und menschlichen Überresten landete die Box, die einst das zu Hause seines besten Freundes war, im Müll. Gerade als Isaac nach dem Verwischen aller Spuren den Dachboden verlassen wollte, hörte er hinter sich eine kratzige, wenn auch vertraute Stimme „Issaaaaaac…“ . Isaac lief es eiskalt den Rücken runter, dabei war er nach all seinen Gräueltaten nun wirklich nicht leicht zu erschrecken. Langsam drehte er sich um, und da war er: Auf der anderen Seite des Raumes, gleich neben dem Mülleimer, stand der monochrome Clown, der einzig wahre Laughing Jack. Die schwarzen Haare, die einst leuchtend rot gewesen waren, hingen ihm in strähnigen und verdrehten Locken vorm Gesicht, seine Augen, überzogen von einem weißen Schleier und eingesunken in die tiefen Höhlen seines Schädels. Der Mund, gerahmt von tiefschwarzen Lippen, die sich zu einem verstörend breiten Grinsen verzerrten, hinter dem sich eine Reihe monströs scharfer Zähne verbarg. The Laughing Jack weitete seine schlaksigen Arme und sprach mit kratziger Stimme „Endlich frei! Hast Du mich mich vermisst, Isaac?“ Mit einem seiner knorrigen langen Finger machte er eine lockende Bewegung, doch Isaac stand nur wie angewurzelte da und stammelte „A-aber ich dachte, du wärst nicht real… nur Einbildung…“ Der monochrome Clown brach daraufhin in wahnsinniges Gelächter aus „Oh nein, nicht doch. Ich bin ziemlich real Kiddo… und ich habe so lange auf den Tag gewartet, an dem wir endlich wieder spielen können… ein letztes Mal!“ Und ehe er sich versah, holten Isaac seine eigenen Dämonen ein. Der Clown, verdorben durch das unsichtbare Band, das ihn bis in alle Ewigkeit mit Isaac verbindet und zutiefst gekränkt von dessen Verrat schwor sich nämlich Rache. Und in dieser Nacht verlor Isaac Grossman eine Sache, von der er selbst ganz vergessen hatte, dass er sie überhaupt besitzt: Sein Herz.

Wenn man den Gerüchten Glauben schenkt, dann ist Isaac Grossmans Herz noch immer in Laughing Jacks Besitz. Man konnte es bei seiner Obduktion nirgends finden. In den Jahren nach diesem Vorfall kam es zu vereinzelten Sichtungen des monochromen Clowns in ganz Großbritannien. Hier und da hat es einige merkwürdige Todesfälle gegeben, bei denen Kinder auf unerklärliche und grausame Art und Weise zu Tode kamen. Dann, von heute auf morgen, hörten die Sichtungen auf und auch die Kinder Englands schienen wieder sicher zu sein. In Spiritualisten Kreisen wird gemunkelt, dass The Laughing Jack von dem Engel, der ihn einst erschuf und auf die Erde sandte, jetzt, viele Jahre später wieder in sein hölzernes Verließ verbannt wurde. Vermutlich, weil die Sache aus dem Ruder lief und aus zwei unschuldigen Freunden ein regelrechtes Duo Infernale wurde! Wieder andere behaupten, dass es sich bei dem Engel um den Erzengel Luzifer handelte. Einst bekannt als Lichtträger, schuf er Jack mit nichts als guten Absichten, um einen kleinen Jungen aus seiner Traurigkeit zu retten. Doch dann kam Luzifers Rebellion, welche seine Verbannung aus dem Himmelreich nach sich zog. Verbittert über seinen Sturz kehrte der gefallene Engel auf die Erde zurück und sperrte den entarteten Laughing Jack für alle Ewigkeit zurück in sein Verlies, um von nun an selbst für das Leid in unserer Welt zu sorgen. Seither fehlt jede Spur von Laughing Jack.

Kapitel 2: Der nicht mehr springende Teufel

„Oh Du schöne Weihnachtszeit“ denkt Liz, als sie sich, bis oben hin mit Einkaufstüten bepackt durch die überfüllte Londoner Innenstadt kämpft. Das einzige, das ihr noch fehlt, ist ein Geschenk für ihre Nichte Lilly, die zugegebener Maßen in den letzten Monate einige seltsame Veränderungen durchgemacht hatte. Mit der Pubertät wurde aus dem einst lieben jungen Mädchen, das immerzu mit Puppen spielte, eine bockige Heranwachsende, die sich scheinbar für nichts und wieder nichts zu interessieren scheint. Und genau das macht die Sache mit dem Geschenk auch so schwierig. „Für Puppen und Kuscheltiere zu alt, für Parfum und Schmuck zu jung, Klamotten doof, Gemeinschaftsspiele auch doof… alles doof. Hmpf.“ Resigniert stellt Liz ihre Einkaufstüten auf das Kopfsteinpflaster und sieht sich um. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht mitbekommen hatte, wo sie eigentlich hingelaufen war. Sie musste irgendwo falsch abgebogen sein. Eigentlich kennt sie das Londoner West End gut, schließlich ist sie hier aufgewachsen, doch in dieser kleinen Gasse war sie noch nie. Warum auch? Außer ein staubiges Antiquitätengeschäft, einen heruntergekommen Pub und ein zwielichtiges Tattoostudio gibt es hier absolut nichts zu sehen. Gerade als Liz kehrtmachen möchte, fällt ihr Blick auf die altmodische Porzellanpuppe im Schaufenster des Antiquitätenhandels. Bei diesem Anblick wird ihr ganz warm ums Herz. Während sie sich langsam dem Schaufenster nähert, schwelgt sie in nostalgischen Erinnerungen. „Noch letztes Jahr zu Weihnachten wäre Lilly ganz schön aus dem Häuschen gewesen, wenn diese Puppe unter dem festlich geschmückten Baum auf sie gewartet hätte… sie werden so schnell erwachsen. Zu schnell!“ Liz erliegt schließlich dem Schwall an Nostalgie und betritt das Geschäft. Beim öffnen der Tür begrüßt sie das freundliche Klingeln des kleinen Glöckchens, das am oberen Rand des Türrahmens befestigt ist, doch sonst ist da niemand. „H-Hallo? …Keine Antwort. Hm.“ Langsam bahnt sich Liz ihren Weg durch das beengte Geschäft. An den Wänden hängen schwere dunkelrote Vorhänge aus Samt, überall stapeln sich Bücher mit künstlerisch verzierten Einbänden und die hölzernen Regale sind bis oben hin mit uraltem Kram gefüllt. Das wenige Licht, das durch die blinden Fensterscheiben fällt, wird von den Abertausenden kleinen Staubkörnchen, die sich schwebend in der Luft bewegen, reflektiert. Während Liz behutsam einen Fuß vor den anderen setzt, denn sie möchte wirklich nichts umstoßen, scheinen die kleinen glitzernden Partikel ihr auszuweichen, um die Sicht für ihre neugierigen Blicke freizugeben. Dann erregt das Regal ganz hinten links ihre Aufmerksamkeit: Auf den staubigen Holzbrettern stehen Kristallkugeln, wie man sie sonst nur von Wahrsagerinnen oder aus dem Fernseher kennt, Ouija Bretter in sämtlichen Ausführungen, ein Aleister Crowley Tarotkartenset und ein dickes schwarzes Buch, auf dem in goldener Schrift ein Pentagramm und die Worte „Die satanischen Bekenntnisse des Anton Szandor LeVey“ abgebildet sind. „Das könnte Lilly gefallen.“ Gerade als Liz nach einem der Ouija Bretter greifen will, ertönt hinter ihr die kratzige Stimme einer älteren Frau „Kann ich ihnen weiterhelfen?“. Vor Schreck fährt sie zusammen und stößt mit einer unkontrollierten Bewegung gegen das Regal, welches daraufhin so sehr ins Wanken gerät, dass eine der Kristallkugeln aus ihrer Fassung rollt und mit einem lauten Knall auf dem Fußboden in 1000 Teile zerschellt. „Es tut mir so leid!“ Mit weit aufgerissenen Augen und versteinerter Miene dreht sich Liz zu der Verkäuferin, die scheinbar aus dem Nichts hinter ihr aufgetaucht war, um. „Ist schon gut, mein Kind, so was kann passieren.“ Auch wenn die alte Dame durch die Brille mit den dicken Gläsern, die ihre Augen unnatürlich groß wirken lässt und den tiefen Falten im Gesicht fast ein wenig unheimlich aussieht, strahlt ihr Lächeln eine unfassbare Wärme aus. Peinlich berührt erwidert Liz das Lächeln der Verkäuferin und erklärt „I-ich suche ein Weihnachtsgeschenk für meine Nichte. Sie hat in letzter Zeit ein Faible für dieses düstere Zeug …“, während sie redet, beginnt Liz die Scherben auf dem Boden, eine nach der anderen aufzusammeln. „ … sie ist gerade in so einem Alter, da ist es schwierig, etwas passendes zu finden, wissen sie? Nichts scheint sie noch zu interessieren, geschweige denn ihr eine Freude zu bereiten… AUA! So ein Mist, jetzt hab ich mich geschnitten!“ Gerade als ein kleiner Tropfen Blut Liz´ Finger entlang auf den Boden tropft, purzelt hinter dem schweren Samtvorhang ein harter Gegenstand hervor, der mit einem lauten Poltern vor ihr zum Liegen kommt. „Nanu, wo kommt das denn her?“ Neugierig beäugt Liz die kleine hölzerne Box, die an jeder Seite mit detaillierten Schnitzereien von Clownsgesichtern verziert ist. Daran, dass dieses Kästchen tatsächlich uralt ist, besteht kein Zweifel. Die einst bunten Farben wirken verwaschen, matt und grau. Bei näherer Betrachtung bemerkt Liz, dass die Clownsgesichter entgegen ihrer Erwartung nicht gerade freundlich aussehen. Obwohl es sich bei ihnen lediglich um kleine Schnitzereien handelt, scheinen sie mit ihrem starren Blick und der ernsten Miene geradewegs in ihre Seele zu schauen. Das Ding ist ihr unheimlich und dennoch geht von diesem Gegenstand eine ungeheure Anziehungskraft aus. „Ich kaufe es!“, sagt Liz überzeugt. „Das hässliche Ding? Sind sie sich da sicher? Es funktioniert nicht einmal mehr. Ich sag es ihnen gleich, wenn sie die metallene Kurbel betätigen, wird ihnen weder ein Clown noch ein Teufel entgegenspringen. Es wird nur diese seltsam verstimmte Spieluhr ertönen Pop Goes The Weasel, sie wissen schon.“, klärt die Antiquitätenhändlerin Liz auf, die die hölzerne Kiste in ihren Händen daraufhin für einen weiteren Moment mustert. „Das macht nichts. Sie ist so herrlich seltsam und ein absolutes Unikat. Lilly wird sie lieben, gerade weil sie so sonderbar ist“, sagt Liz entschlossen. „Na, wie sie meinen! Und lassen sie die restlichen Scherben bloß liegen, bevor sie sich ein weiteres Mal schneiden. Ich fege das gleich weg.“, entgegnet die Verkäuferin, während sie kehrtmacht. Liz verbindet ihren blutenden Finger rasch mit einem Taschentuch, packt den Springteufel zu den anderen Geschenken in eine ihrer Einkaufstüten und folgt der älteren Dame zum Kassentresen. Für nur 5 Pfund darf sie das gute Stück ihr Eigen nennen. Als Liz das Antiquitätengeschäft verlässt und sich auf den Heimweg macht, ist es bereits Abend, doch sie ist zufrieden. „Jetzt kann Weihnachten kommen!“

Kapitel 3: Das Verlies

„Seit über 50 Jahren spüre ich nichts anderes als Dunkelheit und diese modrig-feuchte Kälte. Weißt Du, wenn ich so darüber nachdenke, ist es schon urkomisch. Ein farbenfroher Clown, von einem Engel erschaffen und auf die Erde gesandt, um einen kleinen Jungen aus seiner trostlosen Einsamkeit zu befreien. So waren es doch ausgerechnet diese beiden, die mich in dieses Verließ gesperrt haben. Welch eine ironische Wendung des Schicksals Isaac, findest Du nicht? Isaac? WARUM ANTWORTEST DU NICHT? …Heeeyyy, was ist denn los Kiddo, nicht weinen, alles wird gut! Nein, nein, nicht doch, ich bin Dir nicht mehr böse. Wir sind quitt, weißt Du doch! Auge um Auge, Zahn um Zahn oder wie sagt man so schön? Kannst Du Dich noch an unser Versprechen erinnern? Du wirst zu mir zurückkehren und ich werde auf Dich warten? Weißt Du Kiddo, heute ist ein ganz besonderer Tag, denn ob Du es glaubst oder nicht, das Warten hat ein Ende! Hast Du dieses Mädchen gesehen? Nein, hast Du nicht? Ach richtig, Du hast ja keine Augen mehr, sorry noch mal dafür! Aber Du wirst sehen! Schon bald wird mich irgendein unwissender Narr da draußen befreien … Und dann mein Freund, ja dann… sind wir endlich wieder vereint! Was? Wie das gehen soll, fragst Du? Aber aber mein alter Freund, du vergisst, ich mag vielleicht etwas eingerostet sein, aber ich bin immer noch magisch. Alles was wir brauchen, ist ein dummes Kind und ein kleines Bisschen Nekromantie!“

Kapitel 4: Ein frohes Fest

„Schon wieder Weihnachten. Irgendwie war das alles viel besser, als ich noch an den Weihnachtsmann glaubte. Je älter man wird, desto langweiliger wird das alles und man sieht, wie viel sich Mama und Papa streiten, weil die Planungen alles so durcheinanderwerfen. Erst streiten und dann abends bei Kerzenschein mit Chorgesang aus Papas Plattenspieler schallend, während ein knisterndes Feuerchen im Kamin brennt, scheinheilig bei Tisch gemeinsam speisen und die Geburt Christi huldigen. Oh, wie besinnlich. Dann die Bescherung und dann sind alle müde. Toll.“ Lilly wäre lieber einfach in ihrem Zimmer geblieben und hätte sich im Bett verkrochen, um ihrer liebsten Playlist zu lauschen, während sie lernt, ihre Tarotkarten richtig zu legen. Stattdessen aber muss sie nun hier sitzen. Wenigstens ist Tante Liz da. Die bringt immer etwas Stimmung in das spießige Familienleben, das sie einfach nur noch nervt.

Immerhin fließt Rotwein. Dann sind Mama und Papa irgendwann entspannt und können auch mal locker lassen, ohne darüber nachzudenken, was die Nachbarn denn denken könnten.

Sie schaut rüber zum Weihnachtsbaum und betrachtet die vielen bunten Päckchen.

„Bestimmt sind wieder gestrickte Socken von Oma dabei. Wie jedes Jahr. Es wäre nicht ansatzweise so schlimm, wenn diese blöden Dinger nicht so fürchterlich kratzen würden. Keine Ahnung, woraus sie die strickt, aber jedes Mal, wenn ich sie anziehe, wenn wir sie am 1. Weihnachtstag besuchen und ich sie ihr zuliebetrage, muss ich meine Füße aneinander rubbeln wie Neandertaler zwei Steine, um Feuer zu machen, einfach weil es so fürchterlich juckt! Und wie die letzten Jahre auch, landen sie dann ganz unabsichtlich in der zu heißen Wäsche, bei der sie leider eingehen und nicht mehr passen. Ups.“

Das Essen ist dieses Jahr sogar angenehm, was vielleicht an Papas Gehaltserhöhung liegt. Nach dem Essen setzt sich die Familie auf die Couch neben den Weihnachtsbaum. Es ist warm, die Erwachsenen haben glasige Augen vom Wein, der sich ebenfalls auf ihren verfärbten Zähnen umspielt von einem zarten Lächeln erkennbar macht. Es ist der Moment, in dem langsam Ruhe einkehrt und Lilly sich nicht mehr so angespannt wie beim Essen fühlt. Aufgeregt springt ihre Mutter auf und eilt zum Baum herüber. „So, was sagt ihr? Sollen wir anfangen?“

Alle beginnen ihre Geschenke auszupacken und immer wieder fällt Lillys Blick auf das dunkle Päckchen, auf dem sie deutlich einen Zettel mit ihrem Namen erkennt. „Das sieht interessant aus, das packe ich zuletzt aus.“, denkt sie sich. „Ach und da sind sie auch schon … Die Socken.“

Als alle Geschenke ausgepackt sind, nimmt Lilly das dunkle Päckchen in die Hand und betrachtet es zunächst. Es hat den Durchmesser eines gewöhnlichen Fußballs. Was sich darin befindet, ist jedoch absolut nicht absehbar. Eines muss man Tante Liz lassen – Sie schafft es jedes Jahr, etwas Außergewöhnliches zu finden. Ob es brauchbar ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Lilly schüttelt das Päckchen, doch sie hört nichts. „Vielleicht irgendeine Kiste für meine kleine Sammlung?“ Durch das dunkle Geschenkpapier, verziert mit goldenen Sternen und Halbmonden, kann sie eine Struktur der Oberfläche ertasten, die ihr allerdings ebenfalls nichts über den Inhalt verrät. Ihr Blick trifft den ihrer Tante, die gerade schon fast unruhig, aber lächelnd auf ihrem Platz hin und her rutscht. „Sie ist ja aufgeregter als ich… “, denkt sich Lilly. Vorsichtig öffnet sie das Papier. Irgendwas an diesem Geschenk scheint anders zu sein, denn sie vernimmt mit jeder weiteren Sekunde ein steigendes Druckgefühl auf dem Brustkorb, als würde eine unsichtbare Hand den Atem aus ihrer Lunge pressen. Allerdings könnte das auch einfach an der stickigen Atmosphäre in dem schlecht belüfteten Raum liegen, der von dem Feuer im Kamin beheizt wird.

Tatsächlich spürt sie das erste Mal eine kleine Aufregung, weil sie gespannt auf den Inhalt des Päckchens ist. Und dann ist es so weit. „Und? Was sagst du?“, fragt Tante Liz. Lilly hält die Kiste mit ausgestreckten Armen fest und betrachtet sie. „Gefällt sie dir?“ Ihr fallen schnell diese tristen Clownsgesichter auf dem alten Holz auf. Es sind keine „Ich bringe dich zum Lachen“-Clowns. Diese hier gucken anders. Fast schon tot. Ohne ein Lachen. „Was für ein blödes Klischee“, denkt sich Lilly. Mit einem gezwungenen Lächeln blickt sie ihre Tante an, die nun über das ganze Gesicht strahlt. Zum Glück ist ihr Lachen ansteckend, denn Lilly wäre sonst nicht im Stande, überzeugend zu lügen und so sagt sie „Sie ist wunderschön, danke Tante Liz!“

Zufrieden setzt Liz das Weinglas an und kippt den Inhalt mit einem einzigen großen Schluck herunter, wobei ihr etwas Rotwein auf die weiße Bluse tropft. Dann tupft sie sich die Lippen mit einer Servierte ab. „Eines würde ich noch trinken, bevor ich mich auf den Heimweg mache. Es ist schon spät. Bis das Taxi da ist, dauert es ohnehin noch etwas. Vor allem bei dieser eisigen Kälte da draußen. Die Straßen sind sicherlich aalglatt“.

Während sich die Erwachsenen jeweils noch ein letztes Glas Rotwein einschenken, sitzt Lilly vor der Kiste und betrachtet die goldene Kurbel. „Wenn da jetzt so ein blöder Clown raus springt, schmeiße ich das Ding aus dem Fenster. Ich bin doch kein Kind mehr!“, denkt sie. Aber irgendwas an dieser Kiste zieht sie nahezu magisch an. Sie spürt ihren Herzschlag, als sie mit der rechten Hand an das kalte Metall der Kurbel greift. Zaghaft dreht sie sie, wobei eine unglaublich verstimmte Melodie ertönt … „Pop Goes The Weasel“. Nachwenigen Augenblicken klickt es. Alles wird still. Vier Augenpaare blicken neugierig zu der Kiste, das Knistern des Feuers dominiert den Moment. Der Deckel springt auf, Lilly bereitet sich drauf vor, nicht zusammenzuzucken, doch es geschieht… nichts. Eine gähnende Leere starrt ihr aus der Kiste entgegen. „Die ist ja leer.“, sagt sie. „Ja, es ist ein ganz altes Stück. Ich fand sie so wunderschön und dachte, dass sie dir gefallen könnte. Sie eignet sich doch super als Aufbewahrungsort für deine Kostbarkeiten, oder?“ „Hm, ja, stimmt schon“, entgegnet Lilly und kann den Blick aus irgendeinem Grund noch nicht von diesem kaputten Springteufel abwenden.

Als sich Tante Liz verabschiedet und alle zu Bett gehen, platziert Lilly die Kiste auf ihrem Schreibtisch, den sie von ihrem Bett aus gut sehen kann. Sie setzt ihre neuen Kopfhörer auf, die für sie ebenfalls unter dem üppig geschmückten Weihnachtsbaum lagen und macht ihre Playlist an. „Hm, nach Musikhören ist mir gerade irgendwie doch nicht.“ Und so liegt sie einfach nur da. Lediglich der Schein der Straßenlaterne sorgt für etwas Licht in ihrem abgedunkelten Zimmer, während ein Schneesturm durch die ruhigen Straßen Londons wütet. Lilly betrachtet die Kiste „Gott, was für ein hässliches Ding. Ich könnte es eigentlich als Türstopper verwenden, vorausgesetzt, ich würde jemals wollen, dass sie offen steht. Aber selbst dafür sieht sie nicht stabil genug aus. Was soll ich damit? Ach, was solls… Ich bin müde. Irgendwas wird mir schon einfallen. Zur Not bemale ich sie einfach.“ Lilly dreht sich mit dem Gesicht zur Wand und bemerkt erst nach einer ganzen Weile ihre innere Unruhe. Ein kalter Schauer huscht ihr über den Rücken, als würden fremde Augen diesen mit ihren Blicken durchbohren. Sie spürt erneut dieses Druckgefühl auf ihrer Brust. Um sich selbst zu beruhigen, zieht sie die Bettdecke bis unter die Nasenspitze, doch auch das schafft keine Abhilfe. Mit großem Unwohlsein nimmt sie all ihren Mut zusammen und dreht sich schnell auf die andere Seite. Ihr Blick fällt in das leere Zimmer. „Du spinnst. Da ist nichts.“, sagt sie sich und starrt die Kiste auf ihrem Schreibtisch an, bis ihre Lider schwer werden und sie nach ungewisser Zeit in einen unruhigen Schlaf fällt.

Kapitel 5: Der monochrome Clown

Von einem Traum kann nicht die Rede sein, denn sie sieht nicht das Geringste. Nur die einnehmende, unendliche Schwärze, die sie umgibt. Es ist kalt. Ihr Körper ist starr und nach einem Ausweg zu suchen scheint sinnlos. Gefangen in einer Raumlosigkeit voller Unbehagen, vernimmt sie ein leises, nahezu hauchendes Flüstern. Mal weiter weg „Hey…“ und mal ganz nah „…Prinzessin…“, sodass sie das Gefühl bekommt, einen kalten, feuchten Atem direkt an ihrem Ohr zu spüren. „Lass mich raus“. Ein Kichern, schrill und irre. Verzweifelt versucht sie mit den Händen an ihre Ohren zu gelangen, um sich diese zuhalten zu können und dieser Stimme zu entfliehen, die ihr durch Mark und Bein geht, doch sie kann sich kein Stück bewegen. Panik steigt in ihr auf, die Atmung schnell und flach, ein Schrei bleibt in ihrem Hals stecken, gedrosselt von dem unerträglichen Hämmern ihres Herzens, welches ihren Brustkorb zu sprengen droht. Und dann… Gänsehaut, so intensiv, dass sie schmerzt, überzieht ihren ganzen Körper, bis sie schweißgebadet erwacht. „Oooooh, Lilly…“ Sie fröstelt. Der Schneesturm hat nachgelassen, doch hinterließ er eine aufdringliche und unangenehme Geräuschlosigkeit.

Aus dem Wohnzimmer kann sie das schwere, dumpfe Gongen der alten Standuhr hören. Ein Uhr. „Was für ein schrecklicher Traum.“ Ihr Herz schlägt ihr bis in den Hals. Mit zitternd feuchten Händen greift sie blind nach der Wasserflasche neben ihrem Bett, um ihre ausgetrocknete Kehle mit etwas Flüssigkeit zu benetzen. Dabei rutscht sie ihr fast aus der Hand. Sie richtet sich auf, trinkt einen großen Schluck und erst als sich ihr Puls normalisiert, öffnet sie langsam die Augen. Stille. Nichts. Als. Stille.

Draußen hört sie den Schnee, wie er dumpf von den schwer behangenen Ästen fällt. Das Einzige, das ihr deutlich zeigt, dass sie tatsächlich wach ist. „Vielleicht sollte ich einfach ein Hörspiel laufen lassen.“, sagt sie leise in die Dunkelheit, um sich mit dem Klang ihrer eigenen Stimme zu beruhigen. Sie nimmt noch einen Schluck Wasser, stellt die Flasche zurück und in dem Moment, in dem ihre Fingerspitzen die Kopfhörer berühren, lässt sie wieder diese geisterhafte Stimme zusammenzucken. „Wer braucht ein Hörspiel, wenn er meinen Geschichten lauschen kann?“, krächzt es durch die Finsternis. Lilly verharrt in ihrer Position, kann nicht glauben, was sie da gehört hat und wagt es auch nicht, sich zu bewegen. Konzentriert horcht sie in die Nacht hinein. Schweiß tritt ihr auf die Stirn. „Ihr wollt mich auf den Arm nehmen. Was ist los mit mir?“, denkt sie.

„Öffne die Kiste, Prinzessin.“ Dieses Mal klingt die Stimme so, als wäre sie nicht in ihrem Zimmer, sondern direkt in ihrem Kopf. Wie durch Zauberhand weicht mit einem Mal sämtliche Panik aus ihrem Körper. Und wieder ein leises „Hey…“ Hypnotisiert starrt sie auf die Kiste „…Prinzessin, lass mich raus. Na, kommt schon, Lilly…“

Ohne nachzudenken schlägt sie ihre Bettdecke zurück. Ihr Schlafanzug klebt förmlich vom Nachtschweiß auf ihrer Haut. „Das muss einer dieser luziden Träume sein. Es ist ein Traum! Was soll schon passieren?“

„Wir werden eine ganze Menge Spaß zusammen haben, das wird passieren… Du musst nur die Kiste öffnen!“ Lilly streckt die Hand aus und fasst wie in Trance um die goldene Kurbel, die im Schimmer des Mondscheins silbrig glänzt. Langsam fängt sie an, die Kurbel zu drehen. „…Pop Goes The Weasel…“, spielt der Springteufel die unerträglich verstimmte Melodie. Das Kichern schwillt an, gewinnt an Volumen. Es klickt. Stille. Sie lässt ihre Hand fallen und geht einen Schritt zurück. Für eine kurze Zeit geschieht nichts und Lilly ist wieder völlig bei sich. „Schlaf gewandelt. Ich bin nur schlafgewandelt. Was für eine verrückte Nacht. Das wird mir niemals irgendjemand glauben. Ich glaubs mir ja selbst kaum. So´n Scheiß.“ Müde dreht sie sich um und will wieder zu Bett gehen, als sie hinter sich ein rasselndes Geräusch wahrnimmt. Ruckartig wendet sie ihren Kopf wieder dem Schreibtisch zu und sieht, dass die Kiste begonnen hatte, heftig zu vibrieren. „Okay, ich weiß ganz sicher, dass ich wirklich wach bin und diese blöde Kiste auf meinem Schreibtisch vibriert und… autsch… “, sie kneift sich „… ja, das tut weh, mir kann niemand sagen, dass das hier gerade ein gottverdammter Traum ist! WAS PASSIERT HIER?!“ Urplötzlich springt der Deckel der Kiste auf. Lilly zuckt zusammen und fällt unsanft rücklings auf den Boden. „Oh, au!“ entweicht es ihr in einem kurzen Aufschrei.

Kleine feine Partikel fliegen durch die Luft, tänzeln Richtung Boden. Lilly verfolgt die kleinen Schnipsel mit ihrem Blick. „Schwarzes Konfetti?“. Als sie ihren Kopf wieder hebt und entgeistert zu der Kiste blickt, entdeckt sie schwarzen dicken Rauch, der dicht über ihre Ränder quillt und zu Boden sinkt. Schwerfällig und so undurchdringlich, dass er mehr an heißen Teer als an Rauch erinnert.

Gebannt beobachtet Lilly den sich langsam auflösenden Qualm und beginnt humanoide Konturen zu erkennen. Mit jeder weiteren Sekunde werden diese markanter. Erst blitzende scharfe Zähne, dann milchige Augäpfel, die sich durch den Rauch zu erkennen geben. Als sich der Rauch schließlich gelegt hat, kann Lilly dann alles sehen: Schwarzes Haar, welches wie vom Schweiß und Talg getränkt, strähnig und in verrückten Locken in eine graue Stirn fällt, hinweg über die dunklen, tiefen Augenhöhlen. Eine spitze Kegelnase, ein Mund, gerahmt wie von schwarzer Farbe, der das erschreckende Gebiss umschließt. Dieses Lilly bereits bekannte Kichern ertönt erneut und sie beobachtet, wie sich die langen schlaksige Arme einer schlanken großen Gestalt in die Luft erheben. Ein erleichterndes Seufzen entspringt den schwarzen Lippen, als sich der monochrome Clown genüsslich streckt und dabei die knorrigen Finger sowie den Nacken laut knacken lässt. Er schüttelt seine Gliedmaße aus, was ein unbeschreiblich merkwürdiges Knirschen erzeugt. „Kommt kommt alle herbei! Ob groß, ob klein! Der beste Clown aller Zeiten! Der einzig wahre Laughing Jack-in-a-box!“ Stille … „Ach, Prinzessin… wie wundervoll, dass Du mich befreit hast!“.

Jetzt starrt diese seltsame Kreatur direkt in Lillys Augen. Noch immer sitzt sie dort auf dem Fußoden, unfähig, sich zu bewegen. „Wenn ich es nicht besser wüsste, wäre ich mir ziemlich sicher, dass mir die Sicherungen durchgebrannt sind. Da steht. Ein Clown. In meinem. Zimmer… Ein Clown.“ Er macht einen Schritt auf sie zu und beugt sich langsam ein Stück nach vorn. Wie in Zeitlupe, fast schon elegant, mit der linken Hand auf dem Rücken, streckt er Lilly seine rechte entgegen und bietet ihr Hilfe an. „Meine kleine Retterin, welch Ehre! Wenn ich bitten darf…?“ Zögernd und unschlüssig greift sie nach der Hand. Das Licht der Straßenlaterne, welches vom Schnee reflektiert wird, umspielt dieses außergewöhnliche Szenario auf eine so bizarre Weise, dass es umso surrealer erscheint, denn gerade wirkt hier gar nichts echt. Der Clown hilft Lilly hoch und ehe sie sich aufrichten kann, lässt er ihre Hand wieder los. „Plumps! Reingefallen! HAHAHAHA“ jubelt dieses verzerrte Gesicht und die Gestalt beginnt vor Freude im Kreis zu hüpfen. Lilly dagegen, die sich nun mehr wütend als alles andere aufrichtet, steht einfach vor ihrem Bett und starrt fassungslos zu diesem merkwürdigen Clownswesen „Wer zum Teufel bist du?“ – „Oh zum Teufel, zum Teufel…“ der Clown legt seine rechte Hand bei den Worten auf seine Brust. „Wer ich bin?“. Obwohl er inmitten seiner Sprünge abrupt stehen bleibt, mit dem Rücken zu ihr gewandt, dreht sich der Oberkörper wie eine Spirale in einer halben Drehung auf unnatürliche Weise in Lillys Richtung, sodass sich ihre Blicke wieder treffen. Bei jedem seiner folgenden Worte holt einen runden Gegenstand aus seiner Hosentasche, die viel zu klein für den ganzen Inhalt scheint. „Ich. Bin. Laughing…“ er wirft sie in die Luft „JACK!“ kichert und beginnt zu jonglieren. Dabei dreht er auch seine Beine in ihre Richtung und fängt an, diese fürchterliche Zirkusmelodie zu singen. So schief und unangenehm, dass Lilly nicht weiß, ob sie nun lachen oder sich einfach die Ohren zuhalten und weinen soll. Dabei fällt ihr auf, dass eine der drei scheinbaren Kugeln sich von den anderen beiden unterscheidet. In dem Licht ist es zwar nur schwer zu erkennen, doch ist sie sicher, dass es sich bei einem der 3 rundlichen Gegenstände nicht um einen Ball handeln kann. Mit dem Fokus auf dieses merkwürdige Ding äußert sie nur „Was… ist das?“ Irritiert hört Jack auf zu jonglieren, fängt die Kugeln wieder und blickt in seine Hände. Jetzt ist sich Lilly sicher, dass ihre Augen ihr keinen Streich gespielt hatten… „Es sieht aus wie ein… schwarzes Herz…?“ „OH! Mein Fehler! HAHA! Never Mind.“ Jack stopft den merkwürdigen Gegenstand wieder in die Hosentasche, streckt die Zunge konzentriert zur Seite aus und wühlt in der anderen. Dabei zieht er etwas Labberiges hervor, betrachtet kurz seine Kugeln, schmeißt sie auf den Boden und beginnt stattdessen Luftballons aufzublasen, um irgendwas daraus zu zaubern. Sollte das Resultat ein Luftballontierchen, so würde es Kinder mit Sicherheit nicht glücklich machen, denn irgendwie scheint dem Ballon die Luft ausgegangen zu sein. „Oh, Gott… Bist du einer dieser irren Horrorclowns, die vor ein paar Jahren die Straßen unsicher machen wollten oder hast du verpasst, dass Halloween fast zwei Monate zurückliegt?“ Für kurze Zeit ist nur das unangenehme Quietschen des Luftballons zu hören. „Wie, was? Gefällt dir nicht, was ich tue, Prinzessin?“ – „Falls das gruselig sein soll, misslingt es dir…“ – „GRUSELIG!? GRUSELIG!? Aber aber… Ich bin der einzig wahre Jack!“ Er lässt den Luftballon in seiner Hand platzen. „Meine Eltern!“ – „Oh nicht doch, die schlafen tief und fest. Also … wo waren wir? Ach ja… Ich bin der einzig wahre Jack. Ein Clown. Dein Freund. Du hast mich befr…“ – „Oh, Gott…“. Lilly verdreht die Augen, setzt sich auf ihr Bett und starrt genervt zu ihrem außergewöhnlichen Besucher. „Was willst du denn nun von mir? Ich bin müde, ich will schlafen, es ist spät, das ist mir gerade alles etwas zu komisch…“ Jack seufzt, schnappt sich Lillys Schreibtischstuhl, dreht ihn so, dass er sich rücklings mit seinen schlaksigen Beinen drauf hocken und die Arme auf der Lehne abstützen kann. „Du wolltest ein Hörspiel! Nicht wahr?“ Lilly schweigt. „Scheeeeeinbar ist die Prinzessin zu alt für meine eingerosteten Tricks. Hach, wenn ich nur so zurückdenke… Wie einfach es war.“ Melodramatisch blickt er aus dem Fenster. Sekunden vergehen und Lilly ist sich nicht sicher, ob er mit offenen Augen eingeschlafen ist. „Oh, wie ist denn das passiert? Da bin ich doch tatsächlich in Gedanken versunken.“, dann verfinstert sich seine Miene, was Lilly zum ersten Mal als unheimlich empfindet, denn obwohl sich seine Mimik entspannt, bleibt ein Großteil dieses verzerrten Grinsens auf seinem Gesicht, das wie eingebrannt wirkt. Irgendwie ist sie doch neugierig, auch wenn sie es natürlich niemals zugeben würde. Gespielt gelangweilt schaut sie ihn an. „Nun gut. Dann ist jetzt Schluss mit den Kinderspielchen. Kommen wir zu meiner Geschichte. Mach es dir bequem“. Mit einer beiläufigen Handbewegung deutet der Clown auf Lillys Bett. Tatsächlich gehorcht sie ihm, denn in diesem Augenblick ist irgendetwas anders. Sie krabbelt an das Kopfende des Bettes, setzt sich aufrecht hin und deckt sich zu. „Ich wurde vor vielen vielen Jahren erschaffen, um einen kleinen Jungen, gerade mal sieben Jahre alt, aus seiner schrecklichen Einsamkeit zu befreien. Seit jeher sind wir beide durch ein unsichtbares Band verbunden. Mein Dasein galt einzig und allein ihm. Doch irgendwann geschah etwas Schreckliches…“ dramatisch legt der Clown seine Hand an die Stirn und den Kopf ein in den Nacken. Schweigen. Die Uhr im Wohnzimmer schlägt halb. „Ja, und was ist jetzt mit ihm? Was ist passiert?“, fragt Lilly beinahe genervt. „Oh… ein Unfall, ein wahrlich tragischer Unfall… Und da, meine Prinzessin, kommst du ins Spiel“, irre grinst Jack ihr ins Gesicht und kommt ihr dabei unangenehm nah. „Ich weiß, dass du dich nach etwas Aufregendem sehnst. Nach Spannung. Nach Abenteuern! Komm mit mir, ich sorge dafür, dass du etwas erlebst, das du niemals mehr vergessen wirst!“ – „Was? Es ist mitten in der Nacht. Wenn ich mich jetzt raus schleiche, werden meine Eltern mich umbringen!“ – „Ach, papperlapapp… Deine ELTERN würden so was niemals tun!“ – „Vergiss es… Hör zu, wir fahren morgen früh los. Ich muss jetzt schlafen… Es tut mir leid, was mit deinem Freund passiert ist, aber ich bin nicht deine Retterin und um ehrlich zu sein, hab ich auch keine Lust, während der Weihnachtszeit einem Pennywise für Arme bei irgendeinem Problem zu helfen“. Traurig sieht Jack sie an. Und „Trauer“ ist in diesem Gesicht mindestens genauso verstörend wie der Versuch, dieses wahnsinnige Grinsen zu unterbinden. „Ich… Ich brauche dich, Prinzessin…“ Lilly verdreht die Augen. „Pass auf, wir können gerne nach Weihnachten mal schauen, wenn…“ – „Nein, es muss HEUTE NACHT SEIN!“ Wut überschattet das gerade eben noch traurig dreinblickende Clownsgesicht. „HEUTE!“, entsetzt schaut Lilly ihn an. Was für ein fieses Ding. Stört ihren Schlaf, geht ihr auf den Keks und dann auch noch verlangen, dass sie ihm bei irgendeinem Blödsinn hilft, wo er doch offenbar alleine zurechtkommen würde. Wieso musste es auch unbedingt sie sein? Sie will doch einfach nur schlafen, verdammt. „Nein, lass mich in Ruhe.“ Sie legt sich hin und dreht Jack den Rücken zu, was sie selbst nicht versteht, da sie auf wundersame Weise keinerlei Angst verspürt. Jack beginnt leise und dramatisch zu wimmern. „Lilly… bitte….“ Sie seufzt. Jack heult auf. Lilly legt sich ihr Kissen auf den Kopf, um seine nervtötenden Klänge zu dämmen, woraufhin Jack umso lauter und dramatischer heult. Als die Standuhr zwei Uhr schlägt, gibt sie auf. Sie legt sich auf den Rücken, starrt die Decke an, seufzt laut und sagt „OH MAN! Wenn du mir versprichst, dass du danach Ruhe gibst, helfe ich dir.“ In diesem Moment unterbricht Jack sein Gejaule, als hätte Lilly auf „Stopp“ gedrückt, blickt sie an und macht einen leichtfüßigen Sprung, wobei er, entgegen aller Schwerkraft auf der Ecke der Stuhllehne mit einem Fuß balanciert, sich im Kreis dreht und schwarzes Konfetti durch die Luft wirft „Juhuuuui!“.

Während sie die Bettdecke zurückwirft und erneut hörbar aufseufzt, fragt sie Jack: „Und was genau muss ich tun?“. Lilly steht auf und beginnt, Kleidung aus ihrem Schrank zu holen. Als Jack gerade tief Luft holt und ansetzt, unterbricht sie ihn „Ähm, hallo? Könntest du dich wenigstens umdrehen?“, er hält inne, tippelt auf der Stelle einen Halbkreis und atmet in einem kurzen Luftstoß wieder aus. Neuer Ansatz. „Also meine Prinzessin… Unser Ziel ist der Highgate Friedhof in London… “, er macht eine Pause, lauscht ihrer Reaktion und scheint abschätzen zu wollen, ob sie einen Rückzieher macht, hört aber nur den Stoff von Lillys Kleidung rascheln, die sie sich gerade überzieht. „Ja und dann?“ hakt sie weiter nach. Keine Antwort. Wieder verdreht sie die Augen. Als sie Schal, Mütze und Jacke angezogen hat, stellt sie fest, dass ihr sehr schnell merklich heiß wird. Startklar dreht sie sich um und starrt irritiert zu dem monochromen Clown, der wie bereit zu einem Kopfsprung ins Wasser auf der Stuhllehne steht. „Nun, ich spring in meinen kleinen hübschen Springteufel, Gott segne meinen Erschaffer, und du bringst mich zum Friedhof“ „Das wars? Mehr nicht?“ – „Nein, nein, meine kleine Heldin“ Jack setzt an und noch im Sprung ruft er „Ach und vergiss den Spaten nicht!“, während er in der Kiste verschwindet, wird das Kichern, begleitet von einem zarten Echo, immer leiser, bis der Deckel mit einem hörbaren Klicken zuschnappt. „Einen… Spaten? Was…“, doch weiter denkt sie darüber nicht nach. Wird schon, sagt sie sich, klemmt die Kiste unter ihren Arm und verspürt plötzlich den Drang, dieses blöde Ding noch mal kräftig zu schütteln, um es anschließend in der nächsten Tonne zu entsorgen. Doch sie würde sich belügen, wenn sie sagen würde, dass sie nicht neugierig wäre und so schleicht sie aus ihrem Zimmer und lässt die Türe kaum hörbar ins Schloss fallen.

Kapitel 6: Quid pro Quo

Lilly holt, wie der Clown es ihr aufgetragen hatte, den Spaten aus der Garage und klemmt ihn gemeinsam mit der Holzkiste auf den Gepäckträger ihres Fahrrads. Dann schwingt sie sich auf den Sattel und fährt in die finstere Nacht dem Halbmond entgegen. Am Highgate Friedhof angekommen, stellt sie ihr Rad vor dem großen Eingangstor ab. Ganz schön unheimlich hier draußen. Die Stille, verursacht durch den Schnee, wirkt in Kombination mit der Szenerie des Friedhofs nahezu erdrückend. Lilly schaudert und befreit die Holzkiste aus der Klemme des Gepäckträgers. „Na, dann wollen wir den Casper mal aus seiner Box lassen. Dann ist es hier vielleicht auch nicht mehr ganz so unheimlich“, murmelt sie vor sich hin, während sie die goldene Kurbel abermals betätigt. Wieder ertönt die Spieluhr “…Pop Goes The Weasel…“, der Deckel öffnet sich, ein Knall, gefolgt von schwarzem Konfetti und einer dichten Rauchwolke. Dann Jacks schlanke Silhouette, die immer deutlicher zu sehen ist. „Na endlich!“ stöhnt er, während er den Staub aus seinem schwarz-weißen Clownskostüm klopft. „Was soll das denn heißen? Bist Du schon mal mit dem Rad durch so tiefen Schnee gefahren? Das ist ganz schön anstrengend!“ – „Aber aber Prinzessin …“ Jack beugte sich zu ihr runter, reibt Zeigefinger und Daumen seiner rechten Hand aneinander, bis sich plötzlich mit einem kleinen „Puff“ die Blüte einer schwarzen Rose in seiner Handinnenfläche manifestierte „… warum denn so ernst?“ Der monochrome Clown schenkte Lilly neben der Rose ein so breites Grinsen, dass sich der Mondschein in seinem scharfen Gebiss spiegelt. „Ein wenig abgedroschen meinst Du nicht auch?“, entgegnet Lilly unbeeindruckt, während sie sich mit dem Spaten in der Hand, dem Eingang des Friedhofs zuwendet. „Na dann wollen wir mal. Bleib ja dicht hinter mir, ist das klar?“ – “Aber gewiss doch!“. Mit einem schrillen Quietschen öffnet Jack das schwere Eisentor „Nach ihnen Milady“. Als Lilly in das klaffende schwarze Loch blickt, das da direkt vor ihr liegt und in das sie jetzt auch noch hineinlaufen soll, wird ihr ganz anders. Sie hätte nie gedacht, dass es nachts auf Friedhöfen derartig finster ist. Bis auf die vereinzelten Grabkerzen macht es fast den Anschein, als würde jedes Licht innerhalb der Mauern, die den Friedhof umgeben, verschluckt werden. Für einen kurzen Moment stellt sie ein weiteres Mal infrage, ob es sich hierbei nicht doch einfach nur um einen sehr realistischen Traum handelt. Sie wollte doch eigentlich nur schlafen und jetzt steht sie mit einem Spaten bewaffnet und einem Horror-Clown an ihrer Seite, mitten in der Nacht auf einem Friedhof. Ein weiteres Mal kneift Lilly in ihren eigenen Oberarm „Autsch, ja, das tut immer noch weh, also kein Traum“. Nach einem weiteren tiefen Atemzug bahnt sich das Mädchen, dicht gefolgt vom monochromen Clown, ihren Weg durch die Dunkelheit. Um sie herum, nichts als Totenstille. „Und woher wollen wir wissen, wo sich das Grab von Deinem Freund befindet?“, fragt Lilly nach einer Weile. „Wir sind ganz in der Nähe, das spüre ich!“, entgegnet Jack mit unruhiger Stimme. Sie konnte die innere Anspannung, die er plötzlich ausstrahlte, förmlich schmecken. „Irgendwas ist hier doch faul“, denkt sie, während sie unbeirrt einen Fuß vor den anderen setzt. Je weiter sie sich vom einzigen Ausgang des Friedhofs entfernen, desto mehr legt Laughing Jack an Tempo zu. Lilly hat bereits Schwierigkeiten, Schritt zu halten und befürchtet schon den Clown aus den Augen verloren zu haben, da hört sie, wie sein ohrenbetäubendes Jubeln die Stille zerreißt. Lilly gibt sich einen Ruck und rennt geradewegs in die Richtung, aus der Jacks irres Lachen zu kommen scheint. Nach einigen zurückgelegten Metern sieht sie den monochromen Clown in seine dissoziativen Selbstgespräche vertieft, vor einem uralten Grabstein knien. „Endlich hab ich Dich gefunden! Mein alter Freund, bald ist es geschafft und wir sind wieder vereint. Los Prinzessin, gib mir den Spaten, schnell!“ Lilly leistet keinen Widerstand und sieht Jack wortlos dabei zu, wie er die Schaufel eifrig in die dunkle Erde rammt und beginnt das Grab auszuheben. „Und du denkst, das geht in Ordnung, hier einfach eine Leiche auszubuddeln? Störst Du damit nicht die Totenruhe oder so was? Ich habe wirklich nicht vor, wegen Grabschändung im Gefängnis zu landen …“ „HALT DIE KLAPPE!“ Das Echo von Jacks Schrei hallt in den alten Friedhofsmauern wieder. Lilly sitzt einfach nur erschrocken da und starrt ihn mit weit aufgerissen Augen an. Sein Gesicht hat sich verändert. Die weiß verschleierten Augäpfel sind mit roten Adern durchzogen, dunkle Schatten lassen das ohnehin schon furchteinflößende Clownsgesicht eingefallen wirken, aus Jacks Nase rinnt Blut, und die bläulichen Adern unter seiner weißen Haut sind nun deutlich zu erkennen. Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht, doch Lilly wagt es nicht, einen weiteren Mucks von sich zu geben und alleine zurück durch die Dunkelheit will sie auch nicht. Zitternd setzt sie sich auf den Boden und lässt Jack ungestört seine Arbeit verrichten, bis sie schließlich hört, wie hartes Metall auf morsches Holz stößt. „Na also …“ murmelt der Clown und lässt den Spaten auf die Wiese neben sich fallen. Dann richtet er seine Aufmerksamkeit auf die eingeschüchterte Lilly. „Prinzessin, du hast doch sicher nichts dagegen, deinem alten Freund Jack eine Haarsträhne zu borgen? Weißt Du… ihr Kinder habt dieses Gen, das kann durchaus ganz nützlich sein, wenn man jemanden von den Toten auferstehen lassen will. Ich meine, Dein Blut wäre sicherlich effektiver aber… nein, lassen wir das. Eine Haarsträhne tut es auch. Also?“ Lilly kann nicht glauben, was sie da hört. „Du willst ihn von den Toten auferstehen lassen?“, wiederholt sie ungläubig die Worte des Clowns. „Ja, was denkst du denn? Und jetzt gib mir die verdammte Haarsträhne“, entgegnet Jack, während er eine große rostige Schere aus dem Ärmel seines Jacketts zieht und auf Lilly zu geht, die resigniert ihren Pferdeschwanz öffnet. Mit einem metallenen Schleifen durchtrennen die stumpfen Klingen der Schere eine Strähne von Lillys dunkelbraunem Haaren. Auch wenn ihr Laughing Jacks Vorhaben nicht geheuer ist, so ist sie dennoch neugierig. Sie steht vom Boden auf und nähert sich dem 2 Meter tiefem Loch. Als sie aus nächster Nähe den Namen, der in altertümlicher Schrift in den Grabstein gemeißelt ist, entziffern kann, stockt ihr der Atem. „Isaac Grossman … “, wiederholt sie die gelesenen Worte nachdenklich. „Irgendwoher kenne ich diesen Namen.“ Lilly denkt für eine Weile nach, während Jack das dunkle Erdloch vor ihnen hinab steigt und den Sargdeckel gewaltsam öffnet. Als Lilly die menschlichen Überreste sieht, fällt es ihr wie Schuppen von den Augen. „Isaac Grossman, der im Jahre 1813 meistgesuchte Serienmörder Großbritanniens! Aber na klar! DAS KANN NICHT DEIN ERNST SEIN!“, ruft Lilly verzweifelt, doch da ist es schon zu spät. Jack, über den geöffneten Sarg gebeugt, holt gerade in diesem Moment das schwarze Herz Isaac Grossmans aus seiner Hosentasche und platziert es gemeinsam mit Lillys Haarsträhne im skelettierten Brustkorb des Toten. Dann klettert er mit einer schnellen fließenden Bewegung aus dem Grab, schneidet sich mit der Schere in die Hand und beträufelt den Leichnam mit seinem Blut. Während sich das Grab mit einer brodelnden, tiefschwarzen, teerartigen Masse füllt, hallt Laughing Jacks irres Lacken durch die dunkle Nacht. „Es ist zu spät Kleines, sieh es ein! Und jetzt sieh zu und staune!“ Finster lachend und mit stolzer Brust stellt er sich neben Lilly, die jetzt gerne weglaufen würde, sich vor lauter Angst aber keinen Zentimeter rühren kann. Als das Erdloch bis zum Rand mit der pechschwarzen Suppe gefüllt ist, wird es für einen kurzen Augenblick ganz still. Jack macht einen Schritt auf das Grab zu und kniet sich auf allen vieren davor. Plötzlich erstreckt sich aus der schwarzen Masse eine menschliche skelettierte Hand, mit der sich die abscheuliche Kreatur, gequälte Laute von sich gebend aus ihrem Grab zieht. Lilly schreit vor Schreck auf und weicht einen großen Schritt zurück. Jack hingegen schaut sich das Spektakel aus nächster Näher und mit begeisterter Miene an. Das teuflische Grinsen in seinem Gesicht wird immer breiter, während seine blutunterlaufenen Augen vor lauter Staunen immer größer werden. „Jaaa, gut so, gleich hast du es geschafft mein Freund!“ Als Lilly dem Clown einen flüchtigen Blick zuwirft, bekommt sie einen Kloß im Hals. Jetzt war auch das letzte Bisschen Menschlichkeit aus Jacks Zügen gewichen und alles, was übrig geblieben war, ist der personifizierte Wahnsinn. Lilly weiß nicht, welcher Anblick ihr lieber ist, um nicht augenblicklich einen Nervenzusammenbruch zu erleiden: Der des irren monochromen Clowns oder den der verrotteten, mit schwarzem Schleim überzogenen Leiche, die sich gerade direkt vor ihren Augen langsam und mit einem markerschütternden Stöhnen aufrichtet und sich wie von Geisterhand zu einem fast lebendig aussehenden Menschen zusammensetzt. „Das muss ein Traum sein. Das. Ist. Nicht. Real.“ – “Oh doch Prinzessin, das ist sehr real!“, entgegnet Jack, der daraufhin auf den desorientiert guckenden Untoten zugeht, um ihn für ein emotionales Wiedersehen in die Arme zu schließen „Wie lange habe ich auf diesen Augenblick gewartet? Komm her Kiddo!“ – „Laughing Jack?! Was ist hier los?“ sagt Isaac Grossman mit kratziger Stimme. „Weißt Du, nach unserem kleinen Disput vor etwa 200 Jahren, wurde es mir nach einer Weile des Herumtreibens so ganz ohne meine bessere Hälfte ziemlich langweilig.“ – „Du hast mich getötet!“ – „Aber Isaac, das war doch nur ein Spiel! Ein Spiel, das du mir beigebracht hast, weißt du denn nicht mehr? Was dir gefällt, gefällt auch mir!“ – „Ich sollte dich hässlichen Clown auf der Stelle in Stücke reißen!“ – „Das würde ich nicht tun, Isaac. Ich wurde erschaffen, um Dich zu retten, und jetzt, viele Jahre später, habe ich Dich zurückgeholt, um mich zu retten. Du hast mich in meinem Verlies verrotten lassen und das Gleiche habe ich mit Dir getan! Quid pro Quo mein Freund! Und ab jetzt heißt es „Wenn du springst, spring ich auch“, denn Du hast mir Dein neues Leben zu verdanken, mein Blut fließt jetzt durch Deine Adern. Sieh es ein Isaac, wir sind eins! Schon immer und noch ewig!“

Lilly hatte während dieser hitzigen Diskussion nur mit heruntergeklappter Kinnlade zwischen den beiden hin und her gesehen. Sie kann immer noch nicht glauben, was sich da gerade vor ihren Augen abspielt und ihr Gefühl sagt ihr, dass das Ganze kein gutes Ende nehmen kann. Vorsichtig, mit kleinen zaghaften Schritten, ein Fuß hinter den anderen entfernt sie sich von den Streithähnen vor hier. Als zwischen ihnen ein gewisser Sicherheitsabstand liegt, macht sie kehrt und sprintet los. Orientierungslos rennt Lilly durch die Dunkelheit. Noch ein letzter Blick über ihre Schulter und dann… dann prallt sie mit voller Wucht gegen etwas Hartes und fällt Rücklinks zu Boden. Es war Jacks knochiger Brustkorb, der sie unsanft abgebremst hatte. „Wo willst Du denn hin, Prinzessin? Du willst doch nicht etwa schon gehen?“ Der monochrome Clown beugt sich über Lilly und packt sie mit festem Griff an beiden Schultern. „Hey, was machst Du da, was hast du vor?!“ mit panischen Strampelbewegungen versucht sich Lilly aus Jacks Klauen zu befreien, doch seine Arme werden immer länger und beginnen sich wie eine Anakonda um ihre Beute, um ihren Körper zu schlingen. „Wir sind hier noch nicht fertig“ zischt Jack, während er das sich windende Mädchen zurück zu Isaac Grossmans Grab trägt. „Ich habe den Toten eine Seele genommen, jetzt verlangen sie ein Opfer, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Quid pro Quo meine Liebe“, erklärt er, gefolgt von einem dunklen, unheilvollen Lachen. „Ein Opfer?!“ Bei diesem Satz wird Isaac hellhörig und Lilly erkennt ein vorher nicht da gewesenes Funkeln in seinen sonst toten Augen. Der Untote fängt an zu kichern und bricht schließlich in schallendes Gelächter aus „Jack, mein Freund, weißt Du noch, die Nachbarskatze? Was hatten wir einen Spaß damals und was haben wir gelacht!“ Anscheinend hatte die Todesangst des Mädchens nostalgische Gefühle in Isaac ausgelöst. „Und, was wollen wir mit ihr anstellen?“, fragt Isaac aufgeregt und hüpft vor lauter Vorfreude von einem Fuß auf den anderen. „Ich wüsste da was!“ entgegnet Jack, seine bösartig funkelnden Augen auf das 2 Meter tiefe Loch in der Erde vor ihnen gerichtet. Jetzt sieht es ganz danach aus, als würde das Duo Infernale in dieser verhängnisvollen Nacht ein langersehntes Comeback feiern. „JACK! Du bist ein Genie!“, jubelt Isaac ganz aus dem Häuschen. „Das Kompliment kann ich nur zurückgeben! Möbel aus menschlichen Überresten? Wie bist Du denn darauf gekommen?“ – „Ach das …“ Isaac wirkt geschmeichelt, „Ich bin gelernter Sattler und habe einfach das beste aus beiden Welten kombiniert“ – „Eine tolle Idee! Wollen wir dann Kiddo? Auf die alten Zeiten!“

Isaacs Nicken besiegelt Lillys Schicksal. Der monochrome Clown lässt das bitterlich weinende Mädchen mit seinen langen Armen die schwarze Gruft hinab und legt es in den hölzernen Sarg. Dann holt er das verschlissene Kästchen mit der goldenen Kurbel aus ihrem Rucksack, der neben ihm auf dem Boden liegt. „Weißt Du, ich habe mir geschworen, nie wieder in dieses Ding zurückzukehren, also habe ich dafür nun wirklich keine Verwendung mehr!“ Jack wirft die Box, die er einst sein zu Hause nannte, zu Lilly in das Grab. „Ich wünsche Dir süße Träume Prinzessin!“ Mit einem finsteren letzten Lächeln schließt Jack den Sargdeckel. Dann hört Lilly einen dumpfen Schlag, unmittelbar gefolgt von einer Erschütterung. Isaac war vom Rand der Grube runter auf den Sarg gesprungen, um den Deckel zu beschweren. Für einen kurzen Augenblick geschieht nichts. Lilly versucht das dumpfe Gemurmel ihrer Peiniger zu verstehen, doch dann: BUM BUM BUM BUM … BUM BUM BUM BUM … Die kräftigen Schläge des Hammers, die die rostigen Nägel in das morsche Holz treiben, sind so laut, dass Lilly sich die Ohren zuhalten muss. Dann wieder Stille, bis das Prasseln der feuchten Erde, die auf das Holz über ihr trifft, zu hören ist. Die Luft, die Lilly umgibt, wird immer dünner, während Isaacs und Jacks dumpfes Gelächter immer leiser wird, bis es schließlich vollends verstummt. Lillys eigener Herzschlag und ihr heftiges Atmen hallen laut im Inneren ihres Kopfes wieder. Sie hört das Rauschen des Blutes, das mit hoher Geschwindigkeit durch ihre Venen schießt und ein schrilles Klingeln in den Ohren, …bis es mit zunehmender Erschöpfung um sie herum langsam still wird. Doch diese Stille ist anders … sie ist endgültig, „…bis auf [diese] Melodie im Wind, [denn] aus der Erde singt das Kind“: „ … Pop Goes The Weasel…“

– ENDE –

Zitat: Rammstein – Spieluhr

Diese CP gibt es auch als Hörspiel:

https://stimmenimkopf.podigee.io/27-laughingjackdierueckkehr

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