GeisteskrankheitKreaturenLange

Lichtermann

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Es war eine dieser Sommernächte, in denen man einfach keinen Schlaf fand, in denen man in der warmen Luft lag und in das Zwielicht starrte, in der Hoffnung, man würde einschlafen, bevor man eine Panikattacke bekam.

Okay, der letzte Punkt war vielleicht eine Sache, die auf mich eher zutraf als auf andere, doch ich denke, ansonsten könnt ihr euch die Situation einigermaßen vorstellen. Ich lag also still auf meiner Matratze, zog mir die Decke über den Körper, um Komfort zu finden, dann riss ich sie wieder herunter, weil mir zu warm war, gefühlt drehte ich alle fünf Minuten mein Kissen um.

Ich versuchte, mich auf mein Hörspiel zu konzentrieren. Es war eine Episode von Hui Buh dem Schlossgespenst.
Eine von den neueren, doch ich hatte auch die alten Geschichten.
Nennt mich kindisch, doch als tatsächliches Kind hatte ich diese Geschichten geliebt und jetzt, naja, jetzt beruhigten sie mich eben und halfen mir beim Einschlafen. Normalerweise.

Irgendwann gelang es mir dann mal, für eine Weile wegzudriften, doch bei meinem Glück hatte ich natürlich einen Albtraum:

Ich stand in einem Wald, doch das Laub am Boden war aus Papier, kleine, beschriebene Zettel, geschnitten in die Form von echten Laubblättern.
Doch das Laub hätte nirgendwo herunterfallen können, denn auf den krummen, schwarzen Baumstämmen saßen keine Baumkronen, sondern große Puppenköpfe, die mich aus ihren Glassaugen anstarrten.
Ich ging einen weiten Pfad, zwischen den gruseligen Puppenbäumen, entlang, wobei das Papierlaub unter meinen Füßen aufwirbelte und dabei Worte flüsterte, an die ich mich später nicht erinnerte, doch ich weiß noch, dass sie meine Gefühle verletzten. Außerdem waren sie auf einer Sprache, die ich nicht verstand. Weshalb es fragwürdig ist, weshalb ich dennoch verletzt war, doch es war eben ein Traum.
Die Puppenbäume folgten mir mit ihren Blicken zunächst nicht, erst als ich dachte:
„Oh, bitte lass diese gruseligen Puppenköpfe mir nicht mit den Blicken folgen!“
Ihr wisst schon, so wie ihr in anderen Träumen denkt: „Oh, hoffentlich kommt da jetzt kein Monster aus meinem Kleiderschrank.“ Irgendwann sah ich dann aus der Ferne eine Lichtung, auf der ein etwas höherer Baum wuchs.

Der Kopf auf der Spitze des Baumes war meiner. Also, nicht wirklich, er sah mir nicht ähnlich, aber als ich ihn im Traum sah, erkannte ich mich eben sofort wieder und dachte: „Jupp, so sehe ich aus.“
Das einzige, was meinem Traum-Ich auffiel, war der große Reißverschluss, der sich längs über meinen Puppenscheitel zog.
Instinktiv fasste ich mir an den Kopf und spürte- natürlich- auch dort einen Reißverschluss.
Doch ich wusste gerade nicht, wie man Reißverschlüsse offnet. Außerdem war das Öffnen von Reißverschlüssen eine schlimme Droge, ich durfte ihn nicht aufziehen, um keinen Preis, auch wenn ich es so sehr wollte.

Ich hielt also auf diese Lichtung zu. Aber als ich sie erreichte, war der Baum weg, stattdessen war sie voller Katzen. Und ich war auch eine Katze.

Und all die Katzen bellten mich wütend an und rannten dann vor mir weg.
Daraufhin war ich wieder ein Mensch, so denke ich und blickte instinktiv nach Osten, woher auch immer ich wusste, dass dort Westen war, soweit ich weiß gab es nichtmal eine Sonne in diesem Traum, aber ihr wisst ja, Träume.
Jedenfalls sah ich definitv nach Osten und sah, wie ein großes, glühendes Etwas, wie ein Komet, nicht weit von mir vom Himmel herab und in den Wald krachen.
Wasser spritzte auf und schwemmte mich durch ein Fenster in mein Wohnzimmer, wo sich im Fernsehen ein Hase über meine Hände lustig machte.
Dann sagte er mir: „In fünfzehn Minuten töte ich dich.“
Ich blickte zur Uhr und sie schnellte eine Viertelstunde vorwärts, woraufhin ich die Fähigkeit verlor, mich zu bewegen.
Dann schmolzen meine Augen und ich fiel tot zu Boden, wo mich später die Polizisten fanden, die mich verhafteten, was ich unfair fand, denn ich hatte den Reißverschluss ja nur berührt.

Ich wachte also auf, in Schweiß gebadet und mit hämmerndem Herzen, dass immer wieder mal einen Schlag aussetzte, um dann doppelt so heftig wieder loszulegen.
Die ersten Anzeichen für eine meiner patentierten Panikattacken, also beilte ich mich, aus dem Bett zu kommen und ins Badezimmer zu stürzen.
Ich trank ein paar hastige Schlucke aus dem Wasserhahn, dann schloss ich ab und lief eine Weile auf und ab, was in meinem Kopf so ähnlich funktionierte, als würde ich die überschüssige Nervosität, die in meinem Körper angestaut war, in Bewegungsenergie umwandeln und verbrauchen.
Ob das auch nur annähernd so funktionierte, weiß ich bis heute nicht, doch meine Psychologin hatte mir einst geraten, auf meine intuitiven Mechanismen zu vertrauen und meinen Körper in dieser Hinsicht machen zu lassen.
Vielleicht war das ganze nur ein großer Placebo, aber wenn ich vor fiktiven Problemen Angst hatte, reichte vielleicht auch eine fiktive Lösung.

Jedenfalls verließ ich das Badezimmer etwas ruhiger, als ich es betreten hatte und ging die Treppe hinunter in die Küche mit der Absicht, mir eine Tasse Tee zu machen.

Unten im Flur blieb ich stehen und betrachtete die Fotos und Bilder, die dort chaotisch und ohne System an der Wand verteilt waren.

Da war ein Foto von meiner Einschulung, wie ich strahlend mit meiner Schultüte vor den Türen der großen, aufregenden Grundschule stand.

Ich mochte dieses Bild, vor allem, weil man im Hintergrund, hinter der Glastür, Elly Hopkins sehen konnte, das Mädchen, dass mich in einem Jahr so sehr gemobbt hatte, dass ich die Schule gewechselt hatte.
Irgendwie wirkte das Foto dadurch wie ein Filmplakat, auf dem die Helden im Vordergrund stehen, während im Hintergrund das böse grinsende Gesicht des Schurken lauerte.
Was wohl aus Elly Hopkins geworden war? Vermutlich studierte sie irgendetwas, wofür man einen Abischnitt von 1,x haben musste.

Da war auch eine Zeichnung von mir, aus dem Kunstunterricht. Wir hatten eine Burg malen sollen,in der dann so viele Geheimnisse und versteckte Details wie möglich untergebracht werden sollten.
Ich hatte eine 3+ bekommen, weil die Lehrerin meine Burg ’nicht verstanden hatte‘.

Offenbar wurde man heutzutage nicht nur für das eigene Unverständnis, sondern auch für die Blödheit anderer bestraft.

Immerhin hatte sie diese Arbeit benotet, anders als das Gruselbild, dass wir zu Halloween hatten malen sollen, welches sie entwertet hatte, weil es zu grotesk und verstörend gewesen war.
Sie hatte mir sogar vorgeworfen, ich hätte es bewusst gezeichnet um meine Mitschüler zu verängstigen.
Was bei einem Gruselbild offenbar falsch war?
Bei der bloßen Erinnerung bekam ich Kopfschmerzen. Menschen waren für mich allgemein kompliziert, eine zehnminütige Konversation konnte für mich so anstrengend sein wie ein halbstündiges Work-Out, doch diese Lehrerin, im spezifischen, hatte mich in den Wahsinn getrieben.
Sie war diese Art Mensch gewesen, die sich ein Bild von dir machten und dir dann erzählten, wer und wie du warst und warum du so warst und was du eigentlich wolltest, und wenn du Widerspruch wagtest, dann warst du aufsässig und wurdest wegen Respektlosigkeit mit pädagogisch sinnvollen Aufgaben überhäuft (Strafarbeiten durfte man ja nicht mehr sagen).
Nur mein Schulleiter, Herr Neubaum, war noch schlimmer gewesen, mit seiner ‚hilfsbereiten‘ Art.

„Oh, du hast Ärger mit deinen Mitschülern? Ich erzähle mal allen Lehrern, das du sensibel bist, damit sie dich anders behandeln und du noch mehr gemobbt wirst!“

„Angststörungen? Ach, das sind nur die Hormone, mach dir da keine Gedanken?“


„Autismus? Tja, da kann ich voll mitreden, ich kenne einen Typen, der hat Rainman gesehen.““

Was sollte das überhaupt mit diesem „Das sind nur die Hormone“?
„Ach, du ertrinkst gerade? Keine Sorge, das ist nur Wasser!“

Mittlerweile hatte ich mich so in Rage gedacht, dass ich meine Panikattacke völlig vergessen hatte.
Vielleicht war das ja die beste Heilung: Immer wenn ich die Nervosität hochkochen fühlte, würde ich nicht mehr an schöne, entspannende Dinge denken, sondern an jeden einzelnen Volldeppen, der mir in meinem Leben untergekommen war.
Und dann würde ich mich solange darüber ärgern, bis die Angst weg war.

Doch jetzt war ich für diesen Tee extra nach unten gegangen, jetzt würde ich ihn mir auch holen.
Gleich nachdem ich über ein drittes Bild nachgedacht hatte.

Meine Ärzte hatten mir versichert, dass ich autistisch veranlagt war, aber keine Anzeichen von OCD aufwiese, auf die sie mich ursprünglich untersucht hatten.

Doch letztendes lief beides auf gewissen Gesetzmäßigkeiten und Rituale hinaus und hätte ich nur zwei Bilder angesehen, keine drei, dann hätte ich bis zum Morgengrauen kein Auge zubekommen.

Also betrachtete ich noch ein Bild von mir, Harvey und Jasmin, von Harveys Geburtstag, als wir uns alle am alten Karpfensee zum Grillen getroffen hatten.

Wir hatten uns im Laufe der Jahre durch zahllose Gespräche über das Leben und seine Tücken zusammengerauft.

Harvey hatte in jungen Jahren seine Familie verloren, Jasmin war von ihrer missbraucht worden und weggerannt.
Zwischen den beiden fühlte ich mich immer etwas schuldig, wenn ich über meine Probleme sprach.

„Manchmal, wenn ich in meinem warmen Bett liege, nebenan von den Zimmern, in denen der Rest meiner liebenden, fürsorglichen Familie schläft, dann bekomme ich plötzlich völlig grundlos Angst und muss Tee trinken. Außerdem kann ich Leuten nicht in die Augen sehen und komme nicht so toll mit Gefühlen klar. Ist mein Leben nicht hart?“

Doch offenbar gefiel ihnen meine Gesellschaft und ich würde nicht nochmal den Fehler machen, mich von Menschen, die mich mochten, fernzuhalten, weil ich mich selbst lieber alleine in Selbstmitleid darüber wälzen wollte, wie einsam ich doch war.

An diesem Abend war am Strand des Sees ein totes Reh gefunden worden, erinnerte ich mich. Harvey hatte es nicht anfassen wollen, wegen der Bakterien, Jasmin hatte es beerdigen wollen. Ich hatte es einfach nicht mehr am Strand gewoltl und hatte vorgeschlagen, es ins Wasser zu schieben, mit Stöckern, damit die Fische es fressen konnten.
Dann war irgendein Aufseher gekommen und ich allein war nicht schnell genug weggerannt.

Er hatte mich gefragt, was ich da tue und ich hatte einen Moment zu langsam gedacht und irgendetwas in der Richtung gesagt wie: „Ich opfere diese gefallene Bestie den Herren der trüben Tiefen!“

Der Rest der Geschichte war nicht so amüsant, wie man es annehmen würde. Noch nicht.
Eines Tages würde die Erinnerung zum Schießen sein.

Rasch wandte ich den Blick von der Wand ab, bevor mein Blick an einem vierten Bild hängen bleiben konnte, denn dann hätte ich auch noch ein fünftes ansehen müssen.

Also folgte ich dem Flur bis in die Küche.
Früher, als wir gerade neu in dieses Haus eingezogen waren, war ich immer extra früh aufgestanden und hatte mich hier in der Küche auf den Boden gesetzt, um durch die Glastür zum Garten die Sonne aufgehen zu sehen.
Gerade im Winter war der Anblick überwältigend gewesen, mit der dicken Schneedecke, die den Garten bedeckte.
Außerdem liebte ich damals die Fußbodenheizung.

Wenn zehn Jahre gereicht hatten, damit mich hübsche Sonnenaufgänge kalt ließen, wie würde ich die Welt sehen, wenn ich einmal alt war? Würde ich irgendwann jedes Interesse an ihr verlieren?
Mich zurückziehen und in einer meiner wirren Wachträume aus Fantasie und Angst versinken, bis ich starb?
NEIN, BÖSER GEDANKE, ließ ich mein Hirn schreien, wie die liebe Frau Doktor es mir beigebracht hatte, GEH AUF DEIN ZIMMER!

Während der Wasserkocher langsam zu blubbern begann, nutzte ich die Gelegenheit, die Tür zu öffnen und einen Zug frische Nachtluft einzuatmen.

Jetzt, im Sommer, trug sie den Duft von frisch gemähtem Gras und in dieser Nacht war da noch etwas anderes, etwas, dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht einzuordnen wusste.

Irgendwo in der Dunkelheit, weit weg, leuchtete irgendein kleines Licht, vielleicht die Außenbeleuchtung von einem anderen Haus oder so, der Himmel war dunkelblau und hin und wieder sah ich eine Fledermaus, deren Sihouette sich vor dem großen, seicht glühenden Mond abzeichnete.

Ich guckte mich auf der Suche nach Fledermäusen tatsächlich etwas am Himmel fest, während meine Gedanken ziellos aus meinem Kopf zu driften schienen.

In solchen Moment dachte ich an nichts spezifisches und doch schien mein Hirn auf Hochtouren zu laufen, wie ein Drucker, der sich selbst reinigt.
In meiner Fantasie sehe ich mich selbst in diesen Phasen, während soetwas wie Neonlicht aus meinem Kopf sickert und in die Luft entweicht.

„Keine Sorge, Meister, das ist nur der Kopf, der unverbrauchte Kreativität rauswirft!“
Was für Geschichten man aus diesem Licht wohl hätte spinnen können?

War es in solchen Momenten verschwendet?
Mein Leben lang schien es mich schon zu erfüllen, mit so viel Masse und Druck, dass ich oft das Gefühl hatte, mein Kopf könnte explodieren, doch was wenn die Quelle eines Tages ungenutzt versiegen würde?
BÖSE, STOP, DENKE NICHTS BÖSES!
Richtig. Schmollen und Sorgen würden meine Probleme eh nicht lösen.

Der Wasserkocher gab Laut und ich schloss die Glastür um mich meinem Tee zuzuwenden.

Ich suchte mir meine Lieblingstasse aus dem Schrank, sie war mit den Kreaturen der zwölf Sternzeichen verziert, und wählte mir aus dem Teeschränkchen einen Beutel mit der Aufschrift Beste Kräuter, was etwas großspurig klang, doch es gab sicherlich schlimmere Übel in der Welt als hochmütige Teebeutel.
Der Tee war natürlich noh zu heiß zum Trinken, also schnitt ich mir noch ein wenig Gemüse aus dem Kühlschrank auf, welches ich knabberte, während ich auf das Abkühlen meines Tees harrte.

Irgendwann dann, fiel mir das Licht auf, dass die Küche zu erfüllen begann, und wandte mich abermals zur Glastür.

Wieder beschleunigte mein Herz, doch dieses Mal nicht aufgrund einer Panikattacke, jedenfalls keiner unberechtigten.

Das kleine Licht, dass ich zuvor inmitten der fernen Düsternis hatte leuchten sehen, war näher gekommen, es bewegte sich auf mich zu und wurde dabei stetig größer.

Sofort dachte ich an meinen Traum zurück. Das Licht, das von Himmel gefallen war, hatte auf die gleiche Weise geleuchtet, wie dieses hier, welches sich nun, sofern ich die Distanz richtig einschätzte, in meinem Garten befand.

Darauf konnte ich mir keinen Reim machen, doch zum Glück war ich ja gerade genug mit anderen Gedanken beschäftigt, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen.
Desto näher es kam, desto mehr Details erkannte ich.

Zunächst bemerkte ich, dass sich das Licht immer wieder hoch- und wieder hinunter bewegte, ein stetiges Auf und Ab. Daraus schloss ich, dass jemand das Licht tragen musste, dieses Bewegungsmuster deutete definitiv auf Schritte hin.
Aber so hoch über dem Rasen?
Wer auch immer das war, er hätte sehr groß sein und das Licht dabei noch über seinen Kopf heben müssen.

Dann sah ich, dass sich im Licht Dinge bewegten, oder eher, auf dem Licht.

Erst glaubte ich, eine Uhr zu erkennen, deren Ziffernblatt erleuchtet war, sodass man darauf die Bewegungen der Zeiger sah, doch dann kam das Licht noch näher und ich revidierte meine Meinung:
Viel eher glich es einem Traumfänger mit Glasornamenten, deren Farben sich stetig zu ändern schienen, als lägen mehrere dieser farbenfrohen Linsen übereinander und würden sich in verschiedene Richtungen drehen, sodass sich die Farben mischten und brachen.
Und ‚Linsen‘, so stellte ich letztenendes fest, war genau das richtige Wort, denn anstatt flach zu sein, wie eine Uhr oder ein Traumfänger, war die Oberfläche gewölbt, wie bei einer Kuppel.
Schließlich erkannte ich auch den Körper und fast wäre mir ein spitzer Aufschrei entfleucht, denn was auch immer dieses Ding war, es war kein Mensch.

Retrospekt betrachtet, wäre es nicht minder unheimlich gewesen, wäre ein fremder Mensch mit einer riesigen Buntglassphäre durch meinen Garten gelaufen, doch in diesem Moment gefror mein Blut doch um einige Minusgrade tiefer, als ich es erwartet hätte.

Das Ding war gut drei Meter hoch, vermutlich mehr, denn es ging gebeugt, sodass seine abartig langen Arme auf dem Boden geschleift hätten, hätte das Ding sie nicht auf eine Weise angehoben gehabt, die mich, so unpassend es in diesem Moment auch erschien, an diese charakteristische Pose von Captain Jack Sparrow erinnerte.
Die Hände schienen ungewöhnlich groß, doch mit Sicherheit konnte ich es nicht sagen, dieses Ding hatte nicht nur einen völlig schwarzen Leib, der durch die Lichtverhältnisse schwer zu erkennen war, der Körper schien auch irgendwie verschwommen und konturenlos.
Das einzige, was neben dem großen Auge, zumindest hielt ich das große Licht für sein Auge, welches aber das ganze Gesicht einzunehmen schien, waren die Federn:
Aus der Schwärze ihres Leibes, wuchsen der Kreatur am Rücken, an den Beinen und Armen und auf am Hinterkopf, schillernde Federn in allen Farben des Regenbogens.
Sie waren eher spärlich gesäht, daher konnte von einem echten Gefieder keine Rede sein, doch es verstärkte den Eindruck eines anthropomorphen Traumfängers.
Das eigenartige Wesen blieb vor der Glastür stehen und richtete sein großes, strahlendes Auge auf mich.
Die Linse drehte sich hin- und her, als suche sie nach der richtigen Einstellung um mich zu betrachten.
Dann leuchtete das Licht hinter dem Glas in einem grellen Orange und hörte auf, die Farbe ständig zu ändern.
Ich denke, dass bedeutete, dass es sich nun auf mich konzentrierte.

Es begann, mit seinen Händen zu gestikulieren. Dabei zogen diese dünne Fäden aus Licht hinter sich her, als sondere die Haut des Ungetüms Neongase ab.

Bei Licht wären diese Lichtspiele vermutlich nicht aufgefallen, die Fäden waren nicht dicker als Spinnenweben, doch in der Nacht schillerten sie mit unheimlicher Schönheit.

Nach einigen Sekunden begriff ich, dass das Wesen mit mir zu kommunizieren versuchte.

Es wollte eingelassen werden.

Mein erster Impuls war der wohl natürlichste: Ich wollte zurück in mein Zimmer rennen und mich irgendwo verstecken, wo mich dieses Ding nicht finden würde.
Vielleicht auch meine Eltern wecken, obgleich irgendein Teil meines Gehirns, einer der nicht allzu intelligenten Teile, wohlbemerkt, sich schlecht bei dem Gedanken fühlte, die Nachtruhe meiner Eltern zu stören, nur weil ein indianischer Zyklop versuchte, sich Zugang zu unserem Haus zu verschaffen.

Doch dann begann ich meine Meinung zu ändern. Die Luft roch jetzt stärker nach… Nach was auch immer ich zuvor in der Sommerluft gerochen hatte. Ich konnte es nicht einordnen, ich glaube, ich hatte diesen Duft noch nie zuvor gerochen.
Es roch ein wenig, als hätte jemand eine Raffinerie parfümiert, doch deutlich besser, als man es sich bei dieser Beschreibung zunächst vorgestellt hätte.
Dieses Ding hätte einfach durch die Glastür brechen können, hätte es Gewalt im Sinn gehabt.

Es sei denn, es war wie ein Vampir, der eine offizielle Einladung brauchte, um ein Haus zu betreten.

Oder es wollte kein Glas zerbrechen, weil sein Gesicht aus Glas war?

Diese Überlegung schien mir seltsam, doch dann stellte ich mir vor, ich würde vor einer Tür aus Menschenhaut stehen.

Vielleicht war die Überlegung doch nicht so dumm.
Oder es wollte keinen Lärm machen, indem es die Scheibe einschlug.
Sonst rief noch jemand die Polizei, und die würde dabei stören, mich und meine Familie grausam unzubringen.

Dennoch, ich war mir irgendwie sicher, dass ich diese Tür nicht nur gefahrlos würde öffnen können, nein, es schien mir sogar notwendig.
Also ging ich zur Glastür und zog den Hebel hoch, sodass sie Tür einfach aufgedrückt werden konnte. Anschließend wich ich einige Schritte zurück.
Ein wenig Vorsicht brachte ich eben doch zustande.

Die Kreatur betrachtete den Türgriff. Wieder rotierten seine Augenlinsen.

Und dann ging das Ding einfach durchs Glas hindurch, als wäre es Luft.
War es also doch wie ein Vampir?

Das Wesen bewegte sich auf mich zu und ich wich zurück, bis ich mit dem Rücken an den Kühlschrank stieß.
Furchtvoll, doch eigenartigerweise nicht völlig hysterisch, blickte ich zu der Kreatur auf, die mich nun von oben betrachtetete.
Die Linsen seines Auges rotierten wild und die Federn zuckten und ich war mir sicher, einer detaillierten und präzisen Untersuchung unterzogen zu werden.

Dann gab die Kreatur urplötzlich ein Geräusch von sich, dass so gut wütend als auch fröhlich hätte sein können, in jedem Fall klang es aufgeregt.
Es riss seinen Kopf nach hinten, als wolle es mir eine Kopfnuss geben und die Linse begann erneut, wild ihre Farben zu ändern, vor allem war es ein chromatischer Tornado aus Grün und Violett, doch es gab kaum eine Farbe, die ich nicht gesehen hätte.

Dann schnellte der Kopf des Monsters vor und ich sah nur noch gleißendes Licht.

Am nächsten Morgen erwachte ich aus bizarren, doch überraschend friedlichen Träumen, wenn man bedachte, wie unruhig ich im Sommer zumeist schlief.
Ich duschte und zog mich an, ich verabschiedete meine Eltern zur Arbeit und meine kleine Schwester, als sie zu ihrer Freundin zum Spielen aufbrach.

Ich machte mir Frühstück und prüfte rasch am Computer, ob eine der Universitäten, bei denen ich mich beworben hatte, schon geantwortet hatte. Bisher gab es dort aber keine Veränderungen.

Dann setzte ich mich mit meinem Essen vor den Fernseher und guckte über dieses neue Serienportal, das mein Vater abonniert hatte, einige Folgen Steven Universe, wobei ich darüber nachdachte, wie viel besser die englischen Orignalversionen der Folgen waren, vor allem bei den Songs.
Nachdem die dritte Folge vorbei war, kehrte ich in die Küche zurück um meinen Teller in die Spülmaschine zu stellen.
Wobei mir dann die Tasse kalten Tees auffiel, die auf der Arbeitsfläche der Küche stand.

Der Tee…

Für einen Moment wurde mir schwindelig.
Ich warf einen Blick zur Küchentür und erkannte zwei kleine Lichtreflektionen darin.
„Was zum…“, machte ich, dann machten meine Gedanken einen Sprung: „Nein!“

Ich rannte nach oben ins Badezimmer und vor den Spiegel.

Wie war mir das eben entfallen?

Meine Augen hatten sich verändert: Sie schienen aus mehreren kleinen Linsen zu bestehen, die in verschiedenen Richtungen rotierten und dabei stetig die Farben änderten, was zugleich an ein Kaleidoskop als auch an einen schillernden Traumfänger erinnerte.
Dann hörte ich ein Surren und im Spiegel hinter mir erkannte ich eine Gestalt, deren Gesicht meinen Augen glich, wenn auch sehr viel größer.
Ich wandte mich zum Lichtermann um.

Es heißt, wer zu lange in den dunklen Abgrund schaut, in den schaut auch der Abgrund hinein.
Ich aber blickte viel zu lange ins strahlende Licht.

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