Mein Freund Willie
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Der unsichtbare Freund
Ich habe einen Freund. Sein Name ist Willie.
Willie ist ein lustiger Kerl, wirklich!
Lasst mich euch ein bisschen von ihm erzählen:
Willie ist leider anderen Menschen gegenüber sehr schüchtern. Er sagt immer, er vertraue eben keinem, nur mir. Das schmeichelt mir natürlich, aber andererseits ist es auch ein bisschen schade, da er wirklich ein lustiger Kerl ist. Ihr müsstet ihn kennenlernen! Aber ich fürchte, da macht er nicht mit…
Es ist ja schon ein Wunder, dass ICH überhaupt an ihn rangekommen bin.
Ich glaube, bevor ich ihn gefunden habe, war er völlig allein. Ich glaube, da war er auch ein bisschen traurig, damals. Ich meine, wer ist schon gerne allein, oder?
Jetzt, mit mir, kann er wieder lachen, sagt er. Das freut mich, ich mag es nämlich, wenn er lacht. Und er ist ja auch ein wirklich lustiger Kerl!
Damals, als ich ihn kennenlernte, da hat er nicht gelacht. Da saß er ganz traurig und allein auf einer Schaukel in unserem Park und schaukelte ganz schwach und lustlos vor sich hin. Die anderen Kinder, die spielten alle Fußball oder rannten durch die Büsche und schrien und tobten. Ich glaube, sie haben Willie gar nicht gesehen.
Ich schon. Ich habe ihn gesehen und hab mich einfach mal auf die freie Schaukel neben ihm gesetzt und ihm ein bisschen zugeschaut.
Erst hat er mich nicht bemerkt, aber dann, ganz plötzlich hat er die Schaukel mit dem Fuß gestoppt, hat den Kopf rüber gedreht und zurück geschaut. Erst wollte er schon aufspringen und wegrennen, aber da hab ich ihn einfach gefragt, wie er heißt und da meinte er, er heißt Willie. Da hab ich gelacht und gelacht und gesagt, was das für ein Zufall sei, ich heiße auch Willie! Und ich sei auch gerade ein bisschen traurig. Und bevor jeder von uns alleine traurig ist, könnten wir zwei Willies doch auch genauso gut zusammen traurig sein, vielleicht würden wir dann schneller damit fertig werden.
Erst hat er etwas verwirrt geschaut, der Willie, aber dann haben seine Mundwinkel doch ein wenig gezuckt und er sagte „Okay, Willie!“
Und dann wollte er wissen, warum ich denn traurig sei. Ich sagte ihm, ich würde es ihm erzählen, wenn er mir verspricht, mir danach auch zu erzählen, warum er traurig ist. Er sagte „Okay!“ und so erzählte ich ihm, ich sei traurig, weil ich meinen besten und einzigen Freund verloren hätte. „Oh!“, sagte der andere Willie betroffen. „Das tut mir aber leid! Warum hast du deinen besten Freund verloren? Ist er gestorben?“
„Seine Mutter konnte mich nicht leiden“, erzählte ich weiter. „Sie hat ihm verboten, Zeit mit mir zu verbringen. Am Anfang hat er sich noch dagegen gewehrt, wir haben uns heimlich getroffen und er hat auch sein Fenster offen gelassen, damit ich reinklettern konnte und so. Einmal ist er auch rausgekommen, um mit mir abzuhauen, aber es hat nicht geklappt…“ „Oh!“ sagte der andere Willie wieder. „Und dann?“
„Jetzt du!“ sagte ich. Und Willie erzählte mir, dass er gar keine Freunde hätte, nicht mal einen, da die anderen Kinder ihn ausschließen würden, weil er so still war. Weil er lieber las und Gedichte schrieb und nicht wie die anderen Jungs Fußball und Schatzsucher spielte. Weil er klassische Musik liebte, keinen einzigen Actionfilm kannte und immer die viel zu großen Pullis seines Vaters trug. Ja alles in allem konnte er wohl einfach keine Freunde finden, alle würden ihn nur auslachen und das, so Willie, könne er sogar verstehen. Er wäre nun mal einfach ein komischer Sonderling. So und nun müsse er heim, sagte Willie seufzend und stand von der Schaukel auf. Seine Mutter würde sich sonst Sorgen machen. Es würde ja auch schon dunkel werden. Er schaute sich um. Es dämmerte tatsächlich schon und es wurde deutlich kühler. Die warme Nachmittagssonne war schon hinter den großen alten Eichen verschwunden, die jetzt lange Schatten auf uns warfen und leise in einer Abendbrise raschelten. Der Spielplatz hatte sich geleert. Die lauten Stimmen waren verstummt, es war kein einziges Kind mehr da. Keines außer Willie.
„Willie“ rief ich ihm leise nach, als er schon im Gehen war. “Ja?“ Er drehte sich noch einmal zu mir auf der Schaukel um. „Du Willie, ich kenne auch keinen einzigen Actionfilm…“ Er begann zu grinsen. Ich grinste zurück.
Und von diesem Tag an, waren wir Freunde. Wir trafen uns jeden Tag auf dem Spielplatz bei den Schaukeln, das war unser Ort. Willie kam immer nach der Schule und ich wartete schon auf ihn und winkte ihm von der Schaukel aus zu. Wir schaukelten immer eine Weile und redeten über dies und das und lachten viel.
Die anderen Kinder lachten auch aber das war uns egal. Sie mieden die Schaukel und blieben in großem Abstand, sie ließen uns in Ruhe und nur darauf kam es an. Wenn es uns zu laut wurde, nahm Willie mich mit zu sich nach Hause und wir hörten zusammen klassische Musik oder lasen Bücher. Es war eine tolle Zeit!
Doch Willie war immer noch bedrückt. In der Schule hänselten ihn seine Klassenkameraden nach wie vor und eines Tages bat er mich dann, mit ihm zur Schule zu kommen. Alleine traue er sich nicht mehr hin. Und ich war doch sein Freund und Freunde sind füreinander da, nicht wahr? Also ging ich am nächsten Tag mit ihm hin.
Das war vielleicht keine allzu gute Idee gewesen, denn als die anderen Jungen in der großen Pause anfingen um ihn einen Kreis zu bilden und ihn auszulachen und zu schubsen, da konnte ich einfach nicht mehr zusehen. Ich schrie: „Wehr dich endlich, Willie! Schubs zurück, schlag zurück!“ Und Willie versuchte es, aber alleine kam er einfach nicht an, gegen diese ganze Bande. Da musste ich ihm doch zu Hilfe kommen, oder? Gemeinsam schafften wir es aus dem Kreis auszubrechen und nahmen uns diese Mistkerle vor. Doch dann kam wie aus dem Nichts ein Lehrer um die Ecke. Der ging in das ganze Chaos hinein, packte Willie und zog ihn weg. Andere Lehrer folgten und alle machten bestürzte Gesichter. An Willies Händen klebte Blut.
Von da an sah ich Willie eine ganze Weile lang nicht mehr. Tagelang wartete ich vergeblich auf der Schaukel, er kam nicht.
Ich ging sogar zu seinem Haus und schaute durch die Fenster, aber ich sah nur seine Eltern. Als ich schon gar nicht mehr wusste, was ich tun sollte, fand ich einen Zettel unter meinem Schaukelsitz festgeklebt. Er war von Willie und darauf stand: „Mach dir keine Sorgen. Es war nicht deine Schuld. Hoffe wir können uns bald wiedersehen, aber die haben mich ins Krankenhaus geschleppt. Dabei bin ich doch gar nicht krank! Jetzt bin ich wieder zuhause, aber die wollen mich noch beobachten und ich darf noch nicht draußen spielen. Konnte nur mal kurz raus und habe diesen Zettel geschrieben, hoffe du findest ihn Bis bald. Willie.“
Ich machte mir neue Hoffnung und Sorgen zugleich. Ins Krankenhaus hatten sie ihn gebracht? Warum? Hatte Willie sich bei der Prügelei die Hand gebrochen? Ja, das war wahrscheinlich der Grund. Deshalb konnte Willie auch nicht in die Schule gehen oder draußen spielen. Aber das würde heilen und dann wäre alles wieder wie früher, da war ich mir ganz sicher. Also wartete ich weiter…
Der Tag kam, als Willie endlich wieder bei der Schaukel auftauchte.
Erst sah er verwirrt aus, irgendwie nicht ganz bei sich, er sah in meine Richtung, aber sah mich nicht direkt an. „Willie?“ fragte ich leise und besorgt. Da klärte sich sein Blick plötzlich und an die Stelle des verwirrten Ausdrucks trat ein mir wohlbekanntes Grinsen. „Hi, Willie!“ sagte er und es hörte sich erleichtert an. „Du bist ja doch da!“ „Klar,“ sagte ich, „wo soll ich denn sonst sein?“
Wir lachten beide, wie früher und fielen uns in die Arme. Und dann schaukelten wir, schaukelten wie wild auf dem langsam dämmrig werdenden Spielplatz und um uns herum wurden die Stimmen weniger und die Schatten länger.
Willie aber durchbrach die Stille mit einer lauten, sich überschlagenden Stimme, die ich so gar nicht an ihm kenne.
Er erzählte, wie er in der Schule einen Verweis bekommen hat, da die anderen Jungen Platzwunden und blaue Flecken davongetragen hätten und Colin Parker, der übelste von allen wäre sogar mit einer gebrochenen Nase und ausgerenktem Kiefer ins Krankenhaus gekommen. Er selbst wäre auch zum Arzt geschickt worden, natürlich wegen seiner verstauchten Finger, aber dann hätte ihm ein anderer Arzt ganz komische Fragen gestellt, ob er Stimmen höre oder Dinge sehe, die gar nicht da wären. Willie lachte laut, während er das erzählte. „Ich bin doch nicht irre, Will!“ schrie er fast. „Ich war FRÜHER irre, als ich mir das hab gefallen lassen von den anderen Jungen. Jetzt bin endlich bei klarem Verstand und nach der Aktion rühren die mich bestimmt nie wieder an!“ Er streckte seinen Arm aus, als die Schaukel am höchsten Punkt angekommen war und ich tat es ihm gleich und wir schlugen ein.
So unglaublich glücklich und euphorisch hatte ich meinen Freund noch nie erlebt. Für den einen Augenblick, in dem unsere Hände sich berührten, war die Welt in Ordnung.
Doch dann verstummten wir beide und der Moment war vorüber. Der höchste Punkt der Schaukel war erreicht und wir wurden beide langsamer. Willie bekam wieder den leicht verwirrten Gesichtsausdruck vom Anfang und der Wind raschelte durch die Eichenblätter.
Und noch ein anderes Geräusch war zu vernehmen. Ein anderes Rascheln. Es wurde lauter und kam näher. Schritte. Schritte durchs Gebüsch hinter uns. Noch ehe wir reagieren konnten, brach durch das Gebüsch hinter uns eine Person und stieß Willie von hinten von der Schaukel. Es war Colin Parker. Seine untere Gesichtshälfte war blau, der Rest aber zornesrot, seine Nase dick bandagiert und seine Augen funkelten wild.
„Hab ich dich, du Freak!“ zischte er zwischen geschwollenen Lippen hervor. „Sieh dir an, was du angerichtet hast!“ Er zeigte auf sein entstelltes Gesicht. „3 Wochen Krankenhaus und meine Nase wird nie wieder gerade! Dafür wirst du jetzt bezahlen!“
Er sprang auf Willie zu, der immer noch verdattert am Boden lag und wollte sich auf ihn stürzen.
Doch ich war schneller. Während er Willie gedroht hatte, war ich von der anderen Schaukel gesprungen und stieß sie Colin jetzt kräftig in den Magen. Dieser war so überrascht dass er mit einem „Uff“ in die Knie ging und seine Augen fast aus dem Kopf fielen. „Was zur Hölle…?!“ brachte er gerade noch heraus, bevor ich seinen Kopf packte und begann, die Kette der Schaukel um seinen Hals zu drehen. Colin schrie und zappelte aber es war zu spät. Ich hatte ihn bereits so fest eingewickelt, dass er nicht mehr entkommen konnte. Der Rest von Colins Gesicht färbte sich passend zu seinem Kiefer. „Hilf mir, Willie, bitte…“ röchelte er. Willie erhob sich langsam, wie in Zeitlupe. Aber er ging nicht zu Colin. Er ging zur anderen Schaukel, von der ihn Colin eben noch gestoßen hatte, setzte sich wieder darauf und begann zu schaukeln. Er schaukelte und schaukelte und er schaukelte auch noch, als Colins Geröchel leiser wurde und schließlich ganz erstarb und nur noch der Wind in den Eichen raschelte…
Leider habe ich Willie nun schon wieder einige Wochen nicht mehr gesehen.
Wir haben an jenem Abend noch bis spät in die Nacht bei den Schaukeln gesessen, aber Willie wollte nicht mehr sprechen und ich habe ihn in Ruhe gelassen. Irgendwann sind Leute mit Taschenlampen gekommen, erwachsene Leute, ich glaube, Willies Eltern waren auch dabei. Alle waren sie ganz furchtbar aufgeregt und haben durcheinander geschrien, jemand hat die Polizei gerufen. Willie haben sie mit genommen und Colin auch. Ich wollte Willie eigentlich begleiten, aber er hat plötzlich auch angefangen zu schreien, ich solle verschwinden und ihn in Ruhe lassen. Dann habe ich das lieber getan.
Ich denke, eines Tages wird er mich vermissen und dann kommt er zurück. Es wird alles wieder wie früher.
Bis dahin warte ich bei den Schaukeln. Sie waren eine zeitlang abgesperrt mit rot-weißem Band und niemand durfte hin oder auch nur den Spielplatz betreten. Aber das hat sich gelegt. Mittlerweile nimmt hier alles wieder seinen gewohnten Gang, Kinder spielen hier und Erwachsene führen ihre Hunde aus. Nur die Schaukel wird nach wie vor gemieden, aber das soll mir nur recht sein. So kann ich in Ruhe auf Willie warten. Wenn er nur bald käme… Allmählich beginne ich, mir Sorgen zu machen…
Sollte ich schon wieder meinen einzigen und besten Freund verlieren, wie beim letzten Mal?
Jimmy hieß er und ich weiß noch genau, wie ich unten vor seinem Fenster stand und ihn rief, er solle zu mir herunter kommen. Wir wollten nämlich gemeinsam abhauen, damit er endlich seinem Stiefvater entkam, der ihn schlug und seiner Mutter, die nichts dagegen tat. Ich wollte doch nur, dass mein Freund glücklich wird.
Also rief ich von unten, er solle endlich springen, und er rief „Ich komme, Jimmy!“ und sprang. Aber er lief nicht mit mir fort. Er lief überhaupt nirgends hin sondern blieb einfach mit dem Gesicht nach unten liegen. Ich rüttelte ihn und schrie, aber es half alles nichts. Seine furchtbaren Eltern fanden ihn am nächsten morgen und schrien ebenfalls was das Zeug hielt, als hätten sie ihn geliebt, so wie ich. Dann kam ein großer Wagen mit blauem Licht und sie nahmen meinen Freund mit. Seitdem habe ich Jimmy nie wieder gesehen.
Und ich fürchte, ich werde auch Willie nie wieder sehen.
Was mache ich nur falsch?
Ich möchte doch nur einen Freund haben.